Sonnenschein ergoß sich vom wolkenlos blauen Nachmittagshimmel und umriß scharf Allanons große, dunkle Gestalt, die vor dem Hintergrund des herbstlich getönten Waldes vorüberstrich. Wärme und süße Herbstdüfte hingen in der Luft und neckten zärtlich die Sinne des Druiden, und über das Waldgebiet blies ein leichtes, sanftes Windchen durch die Bäume, um die langen, schwarzen Gewänder zu zerzausen. Der Mangold-Strom schillerte in seinem Bett zwischen noch sommergrünen Gräsern azurblau und silbern, und sein Funkeln widerspiegelte sich kalt in den Augen des großen Mannes.
Er nahm bewußt nichts wahr als die geschmeidige, rothäutige Gestalt, die katzenhaft am gegenüberliegenden Hang mit zusammengekniffenen, gelben Augen und in Vorfreude gefletschten Zähnen in die flache Senke der Klamm hinabschlich.
Bitte komm zurück! schrie Brin in die Stille ihres Denkens, nachdem das Entsetzen der vertrauten Vorahnung, die plötzlich zurückgekehrt war, sie zu quälen, und in wilder Ausgelassenheit an den Rändern ihres Blickfeldes tanzte, ihr die Sprache verschlagen hatte.
Das genau war es, wovor sie die Vorahnung gewarnt hatte.
Der Jachyra ließ sich auf alle viere hinabsinken, wobei sich seine Muskeln unter der angespannten Haut ballten und Schaum ihm vor den Mund zu treten begann. Von seinem Rückgrat stellten sich Stacheln auf und wippten im Rhythmus seiner Körperbewegungen, als er zum Grund der sonnenbeschienen Klamm kroch. Die Schnauze der dunklen Gestalt gegenüber entgegengereckt, schrie das Ungeheuer ein zweitesmal auf — es war das gleiche, gräßliche Heulen, das wie ein irres Lachen klang.
Allanon blieb zehn Meter von der Stelle, wo die Bestie kauerte, stehen. Reglos blickte er dem Geschöpf entgegen. Auf dem harten, dunklen Gesicht erschien ein Ausdruck so furchterregender Entschlossenheit, daß es dem Talmädchen und dem Hochländer vorkam, als könnte kein Lebewesen, wie böse es auch sein mochte, dies ertragen. Doch das irre Grinsen des Jachyras wurde nur noch breiter; noch mehr krumme Zähne blitzten aus dem zurückgezogenen Maul hervor. In den gelben Augen stand Wahnsinn.
Für einen langen, schrecklichen Augenblick musterten Druide und Ungeheuer einander im tiefen Schweigen des Herbstnachmittags, und die ganze Welt um sie her schien anzuhalten. Wieder erklang das Gelächter des Jachyras. Er trat mit einer eigentümlichen, schwungvollen Bewegung zur Seite. Dann stürzte er mit erschreckender Plötzlichkeit auf Allanon zu. Nichts hatte sich jemals so schnell bewegt. Es war kaum mehr als ein verschwommenes, rötliches Ungetüm, als es von der Erde absprang und sich auf den Druiden warf.
Irgendwie verfehlte es sein Ziel. Allanon war schneller als sein Angreifer und schlüpfte so schnell zur Seite wie ein in die Nacht getauchter Schatten. Der Jachyra flog an dem Druiden vorbei und prallte bei seiner Landung hinter ihm auf die Erde. Er ließ sich kaum einen Augenblick Pause, wirbelte schon wieder herum und sprang sein Opfer ein zweites Mal an. Doch der Druide hatte bereits die Hände ausgestreckt, und blaues Feuer brach aus ihnen hervor. Die Flammen stießen in den Jachyra und schleuderten ihn mitten im Sprung zurück. Er landete als unförmige Masse am Boden, und immer noch prasselte das Feuer auf ihn nieder und trieb die Bestie mit seinen lodernden Flammen weiter zurück, bis sie mit einem Ruck an einer großen Eiche zum Stehen kam.
Erstaunlicherweise war der Jachyra fast augenblicklich wieder auf den Beinen.
„Gütige Geister!“ flüsterte Rone Leah.
Dann stürzte er wieder auf Allanon los, tauchte und wand sich an dem Druidenfeuer vorbei, das von den Fingern des anderen strömte. Wie von Sinnen warf er sich dem großen Mann mit der todbringenden Schnelligkeit einer Schlange entgegen. Das blaue Feuer prasselte auf ihn nieder, schleuderte ihn zur Seite, doch er erwischte den Druiden mit den Klauen der einen Hand und riß schwarze Kleider und Fleisch auf. Allanon taumelte zurück, zuckte unter der Wucht des Hiebes zusammen, und das Feuer erlosch zu Rauch. Im hohen Gras zehn Meter weiter rappelte der Jachyra sich wieder hoch.
Langsam umkreisten die beiden Widersacher einander. Der Druide streckte Arme und Hände vorsichtig vor sich aus, sein dunkles Gesicht war eine wütende Maske. Doch in den Gräsern, durch die er schritt, färbten seine Blutstropfen das dunkle Grün mit karmesinroten Streifen.
Der Jachyra verzog noch einmal die Schnauze zu einem bösen, irren Grinsen. Rauchfahnen ringelten sich von seiner rötlichen Haut empor, wo das Feuer sie versengt hatte, doch das Ungeheuer schien unverletzt. Stählerne Muskeln spannten sich bei jeder seiner Bewegungen in einem geschmeidigen, siegessicheren Totentanz, der sein potentielles Opfer verhöhnte.
Wieder griff er mit einem schnellen, geschmeidigen Sprung an, der ihn auf den Druiden prallen ließ, ehe der sein Feuer einsetzen konnte. Allanons Hände schlössen sich um die Handgelenke der Bestie und rissen sie hoch, so daß sie seinen Körper nicht erreichen konnte. Die krummen Zähne schnappten heftig um sich und versuchten, sich in den Hals des Mannes zu graben. Auf diese Weise ineinander verknotet, taumelten die beiden vor und zurück durch die Schlucht und versuchten, mit Drehen und Wenden sich dem anderen gegenüber einen Vorteil zu verschaffen.
Dann schleuderte der Druide den Jachyra mit gewaltigem Schwung nach hinten, riß ihn von den Füßen und schmetterte ihn zu Boden. Sofort schoß wieder blaues Feuer von seinen Fingern und umhüllte das Ungeheuer. Der Aufschrei des Jachyras war gellend und schrecklich, ein irres Kreischen, das die ganzen Wälder rings umher erstarren ließ. Schmerz klang aus diesem Schrei, doch ein Schmerz, der etwas unerklärlich Triumphierendes an sich hatte. Der Jachyra sprang von der Feuersäule, wand sich, um sich zu befreien, und seine mächtige, rote Gestalt dampfte und flackerte unter kleinen, züngelnden, blauen Flämmchen. Er wälzte sich endlos durch das Gras, kullerte blindlings wie von Sinnen und wurde von einem noch dunkleren Feuer verzehrt, das in seinem Innern brannte. Doch er kam wieder auf die Beine. Seine krummen Zähne blitzten, als er die Lefzen zurückzog, und seine gelben Augen funkelten hell und widerlich.
Er genießt den Schmerz, begriff Brin mit Entsetzen. Schmerz macht ihn nur noch stärker.
Hinter ihr schnaubten die Pferde, wichen zurück vom Geruch des Jachyras und zerrten an den Zügeln, die Rone Leah sicher in Händen hielt. Der Hochländer schaute besorgt zurück, rief den Tieren zu und versuchte vergeblich, sie zu beruhigen.
Noch einmal griff der Jachyra Allanon an, schoß und sprang durch die lodernde Flamme des Druidenfeuers, die sich in ihn hineinfraß. Er hatte mit reißenden Klauen schon fast die schwarz gekleidete Gestalt erreicht, doch wieder trat Allanon gerade noch rechtzeitig zur Seite, und das blaue Feuer schleuderte das Geschöpf in einem Energiestoß von sich.
Brin beobachtete das alles; der Kampf rief Übelkeit in ihr hervor, doch sie konnte den Blick nicht abwenden. Ein einziger Gedanke kreiste immer wieder durch ihr Denken. Der Jachyra war zu stark. Der Druide hatte so viele schreckliche Kämpfe ausgefochten und überlebt; er hatte es mit fürchterlichen Geschöpfen der schwarzen Magie aufgenommen. Aber der Jachyra war irgendwie anders. Er war ein Wesen, dem Leben und Tod nichts besagten und nichts bedeuteten, dessen Existenz bereits allen Naturgesetzen Hohn sprach — ein Geschöpf des Wahnsinns, der Raserei, der sinnlosen Zerstörung.
Ein ohrenbetäubendes Kreischen brach aus der Kehle des Jachyras, als das Ungeheuer sich erneut auf Allanon stürzte. Die Pferde scheuten erschreckt und rissen ihre Zügel aus Rones Händen los. Verzweifelt versuchte der Hochländer, sie wieder zu fassen zu bekommen. Doch im gleichen Augenblick, als die Pferde sich befreit hatten, galoppierten sie auch schon wild davon in Richtung der Wasserfälle. Innerhalb von Sekunden waren sie zwischen den Bäumen dahinter verschwunden.
Rone und Brin widmeten ihre Aufmerksamkeit wieder dem Kampf, der sich unten abspielte. Allanon hatte eine Feuerwand zwischen sich und seinem Angreifer errichtet, und die Flammen stießen wie Messer nach dem Jachyra, als der vergeblich durchzubrechen versuchte. Angestrengt hielt der Druide die Mauer aufrecht, indem er die Arme in starrer Konzentration ausgebreitet hielt. Dann plötzlich ließ er seine Arme in einer schwungvollen Bewegung herabsinken, und mit ihnen sank die Feuerwand. Wie ein Netz fiel sie über den Jachyra, und die Bestie wurde verschlungen. Für einen Augenblick verschwand sie ganz in einer tosenden Feuerkugel. Das Geschöpf drehte und wand sich, um zu entkommen , doch das Feuer umschloß es hartnäckig im Bann der Zauberkunst des Druiden. So sehr der Jachyra sich auch abmühte, er konnte sich nicht freikämpfen. Brins Hand faßte nach Rone. Vielleicht...
Doch dann schoß der Jachyra mit einem Satz fort von Allanon und der offenen Grasfläche der Klamm hinein in den Wald. Die Flammen hüllten ihn noch immer ein, doch das Feuer ließ bereits nach. Der Abstand zwischen dem Druiden und dem Ungeheuer war zu groß, und Allanon konnte seine Umklammerung nicht aufrecht erhalten. Mit einem Aufheulen warf sich das Monster in einen Kiefernbestand, zertrümmerte Stämme und Äste und steckte alles in Brand. Holz und Kiefernnadeln splitterten und loderten auf, Rauch quoll aus der Dunkelheit hervor.
Inmitten der Klamm ließ Allanon müde die Hände sinken. An ihrem Rand warteten Brin und Rone in absoluter Stille und starrten ins rauchige Dunkel, in dem die Bestie verschwunden war. Im Wald herrschte wieder Stille.
„Er ist fort“, flüsterte Rone schließlich.
Brin antwortete nicht. Sie wartete schweigend.
Einen Augenblick später rührte sich etwas in dem verbrannten, finsteren Kiefernstreifen. Brin fühlte, wie die Kälte, die sich in ihr breitgemacht hatte, deutlich mehr Biß bekam. Der Jachyra trat zwischen den Bäumen hervor. Er schob sich an den Rand der Klamm, das Maul breit zu dem scheußlichen Grinsen verzogen und mit funkelnden, gelben Augen.
Er war unverletzt.
„Was für eine Art Teufel ist das nur?“ flüsterte Rone Leah.
Der Jachyra näherte sich Allanon wieder mit heiserem, gierigem Keuchen. Aus seiner Kehle brach ein leises, hektisches Pfeifen, und er hob die Schnauze, als wittere er den Geruch des Druiden. Auf dem hohen Gras vor ihm sprenkelte eine Blutspur des großen Mannes das Grün mit hellem Scharlachrot. Der Jachyra blieb stehen. Langsam und bedächtig beugte er sich zu dem Blut hinab und machte sich daran, es von der Erde zu lecken. Das Pfeifen wurde vor Wohlbehagen plötzlich tiefer.
Dann griff er an. Mit einer einzigen geschmeidigen Bewegung winkelte er die Beine unter sich an und warf sich Allanon entgegen. Die Hände des Druiden fuhren mit ausgestreckten Fingern empor — doch zu langsam. Das Geschöpf hing an ihm, ehe er das Feuer entfachen konnte. Sie stürzten ins hohe Gras und kullerten und drehten sich in unlösbarer Umklammerung. Der Angriff war so schnell erfolgt, daß das Ungeheuer auf Allanon lag, ehe Brins gellender Warnschrei an seine Ohren drang. Blaues Feuer flackerte an den Fingerspitzen des Druiden auf und versengte Handgelenke und Unterarme seines Angreifers, als diese zupackten, doch das Feuer tat keine Wirkung. Die Klauen des Jachyras gruben sich in Allanons Körper, zerfetzten Kleider und Haut und stießen bis auf Knochen vor. Der Druide warf den Kopf zurück, Schmerz überflutete das dunkle Gesicht — ein Schmerz, dem mehr zugrunde lag als körperliche Verletzung. Verzweifelt versuchte der Druide, die Bestie abzuschütteln, doch der Jachy ra lag zu dicht auf ihm, als daß er irgendwo hätte einen Hebelgriff ansetzen können. Klauen und Zähne rissen an Allanon, und der muskulöse Körper des monströsen Angreifers hielt sein Opfer fest auf den Boden gepreßt.
„Nein!“ schrie Rone Leah plötzlich.
Er riß sich von Brin los, die ihn festzuhalten suchte, stürzte sich in die Klamm und hielt die ebenholzschwarze Klinge seines großen Breitschwerts mit beiden Händen fest umfangen. „Leah! Leah!“ schrie er wie von Sinnen. Das Versprechen, das er dem Druiden gegeben hatte, war vergessen. Er konnte nicht einfach stehenbleiben und zusehen, wie Allanon starb. Er hatte ihn einmal gerettet. Vielleicht schaffte er es ein zweites Mal.
„Rone, komm zurück!“ rief Brin vergeblich hinter ihm her.
Einen Augenblick später stand Rone Leah bei den beiden Kämpfenden. Die dunkle Klinge des Schwertes von Shannara fuhr hoch, zuckte in funkelndem Bogen herab und schnitt tief in Schultern und Hals des Jachyras und zerschmetterte mit der Kraft der Magie Muskel und Knochen. Der Jachyra bäumte sich auf, ein erschrecktes Heulen brach aus seiner Kehle, und der rötliche Leib zuckte hoch, als wäre er von innen heraus gebrochen.
„Stirb, du Ungeheuer!“ schrie Rone wütend, als er Allanons zerschundenes, blutiges Gesicht darunter sehen konnte.
Doch der Jachyra starb nicht. Ein muskulöser Arm schwenkte heftig herum und schlug den Hochländer mit verblüffender Kraft quer übers Gesicht. Er flog zurück, seine Hände lösten den Griff um das Schwert von Leah. Sogleich griff der Jachyra ihn an und heulte die ganze Zeit über in irrer Begeisterung, als genösse er den heftigeren Schmerz auf irgendeine üble, unbegreifliche Weise. Er bekam Rone zu fassen, ehe der stürzte, packte ihn mit seinen Klauen und schleuderte ihn über die ganze Länge der Klamm, wo er als ein wirres Häufchen am anderen Ende liegenblieb.
Dann richtete sich der Jachyra auf. Die dunkle Klinge des Schwertes von Leah steckte noch tief in seinem Körper. Er griff nach hinten und zog das Schwert heraus, als hätte der Hieb nicht die geringste Wirkung auf ihn gehabt. Er zauderte einen Augenblick, während er sich die Klinge vor die gelben Augen hielt. Dann schleuderte er das Schwert von Leah von sich, in die Luft über den Wassern der Mangold-Fälle, in denen es dann versank und wie ein Stück Treibholz außer Sicht getragen wurde und in der schnellen St römung nur so hüpfte und kreiste.
Der Jachyra wirbelte zu dem gefallenen Allanon herum. Erstaunlicherweise war der Druide wieder auf den Beinen; seine Kleider waren zerfetzt und dunkel mit Blut befleckt. Als der Jachy ra ihn stehen sah, schien er völlig in Raserei zu verfallen. Er heulte vor Zorn auf und sprang.
Doch diesmal versuchte der Druide nicht, ihn zurückzuschlagen. Er erwischte den Jachyra mitten im Sprung, seine großen Hände schlössen sich wie ein Schraubstock um den Hals des anderen. Ohne die Krallen zu beachten, die an seinem Körper rissen, zwang er das Monster rückwärts zu Boden, und seine Hände drückten zu. Schreie erklangen aus des Jachyras verletzter Kehle, und der rötliche Körper wand sich wie eine aufgespießte Schlange. Die Hände des Druiden drückten weiter zu. Das Maul öffnete sich weit, Zähne schnappten und bissen in die Luft.
Dann ließen Allanons Hände unvermittelt los, und er stieß sie tief in das offene Maul. Von den geschlossenen Fingern schoß blaues Feuer nach unten. Zuckungen schüttelten den Jachyra, der wild um sich schlug. Das Druidenfeuer loderte durch seinen kräftigen Körper bis hinab in den Kern seines Seins. Nur einen Augenblick versuchte der Jachyra, sich loszureißen. Dann brach das Feuer überall aus ihm heraus, und er explodierte in einem gleißenden Blitz blauen Lichts.
Brin wandte sich ab und schützte die Augen mit der Hand gegen die Helligkeit. Als sie wieder hinschaute, kniete Allanon alleine auf einem Häufchen verkohlter Asche.
Brin ging zuerst zu dem bewußtlosen Rone, der zusammengekrümmt am Rand der Klamm lag und flach und leise atmete. Liebevoll legte sie ihn ausgestreckt hin und tastete vorsichtig Glieder und Körper nach Anzeichen auf Knochenbrüche ab. Sie fand keine, und eilte deshalb, sobald sie die Schnittwunden in Rones Gesicht gesäubert hatte, zu Allanon.
Der Druide kniete in der Asche, die von dem Jachyra übrig war, hielt die Arme eng um sich geschlungen und den Kopf auf die Brust gesenkt. Seine langen, schwarzen Gewänder waren zerfetzt und blutgetränkt.
Langsam kniete Brin sich neben ihn, und ein betroffener Ausdruck breitete sich über ihr Gesicht, als sie sah, was die Bestie ihm angetan hatte. Der Druide hob müde den Kopf und betrachtete sie aus harten Augen.
„Ich sterbe, Brin Ohmsford“, sagte er ruhig. Sie wollte den Kopf schütteln, aber er hob die Hand, um ihr Einhalt zu gebieten. „Hör mich an, Talmädchen. Es war vorhergesagt, daß dies geschehen würde. Der Schatten von Brimen, meinem Vater, hat es mir im Schiefertal prophezeit. Er sagte mir, ich müßte das Land verlassen und würde nicht wiederkehren. Und außerdem, daß es geschähe, ehe wir am Ziel unserer Suche angelangt wären.“
Er zuckte unter plötzlichen Schmerzen zusammen, und sein Gesicht spannte sich in Reaktion darauf an. „Ich dachte, ich könnte es vielleicht irgendwie umgehen. Aber die Mordgeister... sie fanden einen Weg, den Jachyra loszulassen, vielleicht im Wissen... oder zumindest in der Hoffnung, daß ich derjenige wäre, den er angreifen würde. Er ist eine Ausgeburt des Wahnsinns. Er schöpft Kraft aus seinen Schmerzen und den Schmerzen der anderen. In seiner Raserei verletzt er nicht nur den Körper sondern auch die Psy che. Dagegen gibt es keine Abwehr. Er hätte sich selbst in Stücke gerissen, nur um mich vernichtet zu sehen. Er stellt ein Gift dar...“
Er verschluckte sich an den Worten. Brin beugte sich und schluckte Kummer und Furcht hinab. „Wir müssen die Wunden verbinden, Allanon. Wir müssen...“
„Nein, Brin, es ist vorbei“, fiel er ihr ins Wort. „Mir kann niemand mehr helfen. Mein Schicksal muß sich gemäß der Vorhersage erfüllen.“ Er blickte langsam über die Klamm. „Aber du mußt dich um den Prinzen von Leah kümmern. Das Gift wird in ihm ebenfalls wirken. Er ist jetzt dein Beschützer — wie er es versprochen hat.“ Sein Blick wanderte zurück zu dem ihren. „Ich weiß, daß sein Schwert nicht verloren ist. Der Zauber wird das nicht zulassen. Es muß... seinen Weg zurück in sterbliche Hände finden... der Fluß wird es jenen Händen zutragen...“
Wieder verschluckte er sich an den Worten und kippte diesmal unter den heftigen Schmerzen seiner Verletzungen vornüber. Brin streckte die Hand aus und fing ihn auf, hielt ihn aufrecht und fest an sich gedrückt.
„Sprecht nicht mehr“, flüsterte sie mit Tränen in den Augen.
Langsam löste er sich von ihr und richtete sich auf. Blut klebte an ihren Händen und Armen, wo sie ihn gestützt hatte.
Ein schwaches, ironisches Lächeln zuckte über seine Lippen. „Die Mordgeister glauben, ich sei derjenige, den sie zu fürchten hätten — ich sei derjenige, der sie vernichten könnte.“ Er schüttelte langsam den Kopf. „Sie täuschen sich. Du besitzt die Macht dazu, Brin. Du bist diejenige, der... niemand standhalten kann.“
Eine Hand schloß sich in eisenhartem Griff um ihren Arm. „Hör mir genau zu. Dein Vater mißtraut dem Elfenzauber; er fürchtet sich vor dem, was dieser Zauber vermag. Ich sage dir jetzt, daß er Grund hat, ihm zu mißtrauen, Talmädchen. Die Magie kann ein Element des Lichts oder der Finsternis sein, für den, der über sie befiehlt. Vielleicht erscheint sie dir als ein Spielzeug, doch das ist sie niemals gewesen. Hüte dich vor ihrer Macht. Es ist Macht, wie ich sie niemals zuvor erlebt habe. Hüte sie! Setze sie wohlbedacht ein, dann führt sie dich unversehrt bis ans Ziel deiner Suche. Setze sie wohlbedacht ein, dann wird sie für die Vernichtung des Ildatch sorgen!“
„Allanon, ich kann doch nicht ohne Euch weiter!“ rief sie leise und schüttelte verzweifelt den Kopf.
„Du kannst, und du mußt. So wie bei deinem Vater... es gibt niemand anderen, der die Aufgabe erfüllen könnte.“ Er senkte das dunkle Antlitz.
„Das Zeitalter geht zu Ende“, flüsterte Allanon, und seine schwarzen Augen funkelten. „So müssen die Druiden mit ihm vergehen.“ Er hob die Hand und ließ sie zärtlich auf die ihre fallen. „Doch das Vertrauen, das ich für sie weitertrug, muß nicht vergehen, Talmädchen. Es muß den Überlebenden erhalten bleiben. Dieses Vertrauen übertrage ich nun dir. Beuge dich zu mir.“
Brin Ohmsford lehnte sich vor, bis ihr Gesicht sich direkt vor dem seinen befand. Langsam und mühevoll führte der Druide eine Hand durch die zerfetzten Gewänder an seine Brust und zog sie wieder heraus, nachdem er die Finger in sein Blut getaucht hatte. Vorsichtig berührte er ihre Stirn. Er drückte ihr die Finger, die warm von seinem Körperblut waren, auf die Haut und sprach leise in einer Sprache, die sie noch nie gehört hatte. Etwas schien mit der Berührung und dem Gesagten in sie zu strömen und erfüllte sie mit einer Woge des Hochgefühls, das als gleißender Lichtstrom über ihr Gesichtsfeld brandete und dann verschwunden war.
„Was... was habt Ihr mit mir gemacht?“ fragte sie ihn stammelnd.
Doch der Druide antwortete ihr nicht. „Hilf mir auf die Beine“, befahl er ihr.
Sie starrte ihn an. „Ihr könnt nicht gehen, Allanon! Ihr seid zu schwer verletzt!“
Eine eigentümliche, ungewohnte Sanftheit erfüllte die dunklen Augen. „Hilf mir auf die Beine, Brin. Ich werde nicht weit zu gehen haben.“
Widerstrebend schlang sie die Arme um ihn und zog ihn in die Höhe. Blut tränkte das Gras, wo er gekniet hatte, und die Asche des Jachyras.
„Oh, Allanon!“ Brin weinte nun rückhaltlos.
„Führ mich ans Flußufer!“ wisperte er.
Langsam und unsicher wankten sie über die einsame Klamm zu der Stelle, wo der Mangold-Strom zwischen seinen grasüberwucherten Ufern ostwärts sprudelte. Die Sonne schien noch in strahlendem warmen, freundlichen Goldton und hellte den Herbsttag auf. Es war ein Tag zum Leben, nicht zum Sterben, und Brin wehklagte innerlich, daß das für Allanon keine Gültigkeit haben sollte.
Sie erreichten das Flußufer. Vorsichtig ließ das Talmädchen den Druiden wieder in eine kniende Haltung sinken, und er beugte den Kopf nach vorn, um nicht ins blendende Licht schauen zu müssen.
„Wenn deine Aufgabe erfüllt ist, Brin“, sprach er zu ihr, „wirst du mich hier finden.“ Er hob ihr das Gesicht entgegen. „Nun tritt zurück.“
Niedergeschlagen trat sie langsam von ihm fort. Tränen strömten ihr die Wangen hinab, und ihre Hände vollzogen flehentliche Gesten in Richtung der zusammengekauerten Gestalt.
Allanon erwiderte ihren Blick für einen langen Moment, dann wandte er sich ab. Ein blutgestreifter Arm hob sich zum Mangold-Strom und streckte sich über ihm aus. Augenblicklich beruhigte sich der Fluß, seine Oberfläche glättete sich und wurde friedlich wie die eines geschützten Teichs. Eine seltsame, leere Stille legte sich über alles.
Einen Augenblick später begann das ruhige Wasser in der Mitte heftig zu brodeln, und aus der Tiefe des Flusses stiegen die Schreie empor, die auch aus den Wassern des Hadeshorn heraufgeklungen waren — schrille, durchdringende Schreie. Doch sie ertönten nur für einen Augenblick, dann war alles wieder still.
Am Rand des Flusses sank Allanons Hand herab, und er senkte den Kopf.
Dann erhob sich aus dem Mangold-Strom die Geistergestalt von Brimen. Der Schatten stand grau und fast durchschimmernd vor dem Hintergrund des Nachmittagslichts, verharrte abgerissen und gebeugt vom Alter auf den Wassern des Flusses.
„Vater“, hörte Brin Allanon leise rufen.
Der Schatten kam näher und glitt bewegungslos über die ruhige Wasseroberfläche. Er kam zu der Stelle, wo der Druide am Boden kniete. Dort beugte er sich langsam hinab und hob die zerschundene Gestalt in seine Arme. Ohne sich umzudrehen, schwebte er übers Wasser zurück. In der Mitte des Mangold-Stroms hielt er inne, und unter ihm brodelten die Wasser zischend und dampfend. Dann ging er langsam im Fluß unter, und der letzte der Druiden verschwand außer Sicht. Der Mangold-Strom blieb noch für einen Augenblick ruhig, dann war der Zauber vorüber, und das Wasser sprudelte wieder ostwärts.
„Allanon!“ schrie Brin Ohmsford.
Sie stand alleine an der Uferböschung, starrte über den rasch dahinfließenden Strom und wartete auf eine Antwort, die niemals kommen sollte.