13

Allanon, Brin und Rone Leah krochen durch den Wald. Verstohlen und schnell durchquerten sie ein Labyrinth von Bäumen, die wie die geschwärzten Pfähle einer Fallgrube himmelwärts ragten. Rings um sie her war die Nacht verstummt. Zwischen den vom herannahenden Herbst halb entlaubten Ästen hindurch wälzten sich tief und bedrohlich Stücke und Fetzen eines bewölkten Nachthimmels in Sicht. Die Fackelflammen hoch oben in den Türmen der Burg flackerten zornig mit blutrotem Schein.

Brin Ohmsford hatte Angst. Die Vorahnung hielt ihr Denken umklammert, und sie kämpfte ihr Flüstern mit lautloser Verzweiflung nieder. Ringsum tauchten blitzend Bäume, Baumstämme und Sträucher auf, als sie weitereilte. Entflieh! dachte sie. Entflieh diesem Ding, das dich da bedroht. Aber nein, nicht ehe wir fertig sind, nicht bevor... Ihr Atem kam in schnellen Stößen, und die Hitze ihrer Anstrengung wurde auf ihrer Haut rasch zu kaltem Schweiß. Sie fühlte sich leer und unglaublich einsam.

Dann standen sie an den großen Klippen, auf denen die Festung sich erhob. Allanons Hände zuckten über das Gestein vor ihm, er beugte den hohen Körper konzentriert herab. Er ging vielleicht ein halbdutzend Schritte nach rechts, und wieder packten seine Hände zu. Brin und Rone gingen mit ihm und sahen zu. Eine Sekunde später richtete er sich auf und zog die Hände zurück. Etwas im Gestein gab nach, und ein Teil der Wand schwang auf und legte ein finsteres Loch dahinter frei. Sogleich winkte Allanon sie hinein. Sie ertasteten sich den Weg nach vorn, und die Steinpforte schloß sich wieder hinter ihnen.

Einen Augenblick lang warteten sie im Dunkeln, ohne etwas sehen zu können, und lauschten auf die schwachen Geräusche, als der Druide dicht an ihnen vorüberging. Dann flackerte grelles Licht auf, und Flammen leckten an der pechbeschmierten Spitze einer Fackel hinauf. Allanon reichte Brin die Fackel, entzündete eine zweite für Rone und schließlich eine dritte für sich. Sie standen in einer kleinen, abgeschlossenen Kammer, von der aus sich eine einzige Treppe nach oben ins Gestein wand. Allanon warf einen raschen Blick hinauf und machte sich daran, die Stufen zu erklimmen.

Sie stiegen tief in den Berg, einen Schritt nach dem anderen, und aus Hunderten von Stufen wurden Tausende, je länger sich die Treppenflucht dahinzog. Tunnel kreuzten den Gang, dem sie folgten, und teilten ihren Weg, doch sie hielten sich weiter an die Treppe, und folgten der langen Windung hinauf in die Dunkelheit. Es war warm und trocken hier im Fels, irgendwo aus der Ferne dröhnte das Stampfen einer Heizungsanlage durch die Stille. Brin kämpfte die Panik nieder, die sie in sich aufsteigen fühlte. Der Berg vermittelte ein Gefühl, als wäre er ein lebendes Wesen. Es dauerte lange Minuten, bis die Treppe an einer großen, eisenbeschlagenen Tür endete, deren Angeln im Gestein des Berges verankert waren. Dort blieben sie stehen, und ihr Atem durchdrang heiser die Stille. Allanon beugte sich nahe zu der Tür, berührte kurz die Nägel der Eisenbeschläge, und sie schwang auf. Geräusche drangen auf sie ein — das Pumpen und Klopfen von Kolben und Hebeln —, die durch den kleinen Gang hallten wie das Brüllen eines gefangenen Riesen, der sich losriß. Hitze schlug ihnen trocken und beißend ins Gesicht, als sie alle kühle Luft absaugte. Allanon spähte einen Augenblick lang durch die offene Pforte und schlüpfte hindurch. Brin und Rone beschirmten ihre Gesichter und folgten ihm.

Sie befanden sich im Heizungskeller, dessen große, schwarze Grube tief zur Erde hin offenlag. Dort stampften die Heizungsmaschinen in stetem Rhythmus, um die natürlichen Erdfeuer zu schüren und ihre Hitze in die oberen Räume der Festung zu pumpen. Der Ofen war seit der Zeit der Dämonen-Lords nicht mehr in Betrieb gewesen und erst jetzt wieder von dem Feind, der oben wartete, angeworfen worden; das Gefühl fremden Eindringens war greifbar und bedrückend. Rasch führte Allanon sie über den schmalen Metallaufstieg rund um die Grube zu einer von einer Anzahl Türen, die von der Kammer abgingen. Eine Berührung des Metallbeschlags, und sie öffnete sich in die Finsternis. Sie streckten ihre Fackeln vor sich her und stolperten aus der gräßlichen Hitze, um die schmale Tür wieder hinter sich zuzudrücken.

Erneut dehnte sich ein Gang vor ihnen, und sie folgten ihm kurze Zeit zu einer Stelle, wo seitlich eine Treppenflucht abzweigte. Allanon ging darauf zu, und sie machten sich daran, auf ihr emporzusteigen. Die drei schlichen nun langsam und vorsichtig — denn man fühlte unbestreitbar, daß andere sich ganz in der Nähe aufhielten — hinauf durchs Dunkel, und lauschten...

Hinter ihnen, irgendwo unten, wurde krachend eine Tür zugeschlagen, und sie blieben wie versteinert auf der Treppe stehen. Es war nichts weiter zu vernehmen. Wachsam huschten sie weiter.

Am Ende der Treppe befand sich eine weitere Tür, an der sie stehenblieben und lauschten. Allanon faßte nach einem verborgenen Schloß, um die Pforte aufzuschieben, trat hindurch und ging weiter. Dahinter lag ein weiterer Gang mit einer weiteren Tür am Ende, dann noch ein Gang, eine Treppe, eine Tür und wieder ein Gang. Geheimgänge durchzogen die uralte Festung wie Honigwaben und führten hohl und schwarz durch die Mauern der Burg. Moder und Spinnengewebe erfüllten die Luft mit dem Geruch und Gefühl von Alter. Ratten huschten vor ihnen durch die Finsternis, als kleine Wachposten, die ihr Kommen weitermeldeten. Doch keiner hörte es im Schloß der Druiden.

Dann ertönten irgendwo aus den Sälen der Burg Stimmen bis zu der Stelle, wo die Eindringlinge sich verstohlen und versteckt niederkauerten. Die Stimmen waren tief und leise, ein gedämpftes Gemurmel, das anschwoll und verebbte, aber in jedem Falle viel zu nah. Brin war der Mund trocken geworden, und sie konnte nicht schlukken. Der Rauch von den Fackeln brannte ihr in den Augen, und sie spürte, wie die Masse des Gesteins rings umher sie niederdrückte. Sie fühlte sich wie in einer Falle. Und um sie herum, versteckt im unklaren Halblicht und Schatten, tanzte die Vorahnung.

Und endlich endete dieser neueste Tunnel. Plötzlich wich die Düsternis vor ihren Fackeln, und eine Steinmauer versperrte ihnen den Weg. Allanon zögerte nicht. Er trat sogleich an die Wand, lehnte sich einen Moment dicht an die Fläche, als lauschte er und drehte sich dann zu Brin und Rone Leah um. Er hob einen Finger an die Lippen und neigte ein wenig den Kopf. Brin atmete tief ein, um sich etwas zu beruhigen. Die Warnung des Druiden war eindeutig:

Sie würden nun gleich die Festung betreten.

Allanon wandte sich wieder zu der glatten Mauer um. Eine Berührung des Gesteins, schon schwenkte eine kleine Geheimtür lautlos zurück. Die drei traten hintereinander hindurch.

Sie standen in einem kleinen, fensterlosen Studierzimmer voller Staub und dem Geruch von Alter. Der Inhalt des Raumes lag wild verstreut durcheinander. Bücher waren aus den Regalen, die sich an den Wänden entlangzogen, geholt und auf den Boden geworfen worden, Einbände zerfetzt und Seiten herausgerissen. Gepolsterte Lehnstühle waren aufgeschlitzt, ein Lesetisch und ein hochlehniger Sessel umgekippt worden. Jede Bohle des Parkettbodens war aus ihrem Gefüge herausgebrochen.

Allanon betrachtete das Werk der Zerstörung im rauchigen Schein der Fackeln, und Zorn zeichnete sein dunkles Gesicht. Dann trat er wortlos an die gegenüberliegende Wand, griff in die leeren Regale und berührte etwas, das er dort fand. Lautlos schwenkte das Regal zur Seite und ließ dahinter ein verdunkeltes Gewölbe sichtbar werden. Der Druide gab ihnen Zeichen, draußen zu warten, trat durch den Eingang, schob seine Fackel in einen eisernen Halter und wandte sich nach rechts. Die Wand bestand aus lauter glatten und dicht gegen Luft und Staub abschließenden Granitblöcken. Der Druide begann, leicht mit dem Finger über das Gestein zu streichen.

Brin und Rone standen noch in dem Studierzimmer und beobachteten den Druiden einen Augenblick bei der Arbeit, drehten sich dann aber plötzlich zur Seite. Ein schmaler Lichtsaum umriß eine Tür in der Finsternis des Raumes, eine Tür, die von dem Arbeitszimmer in die Hallen der Festung führte. Von irgendwo jenseits davon erklangen Stimmen.

In dem Gewölbe stütze Allanon die Finger an die Granitwand und hielt den Kopf in tiefer Konzentration gesenkt. Unvermittelt verstrahlten seine Finger einen tiefblauen Schimmer durch den Stein. Dieses Glühen wurde zu Feuer, das lautlos durch den Granit loderte, aufflackerte und erlosch. Wo sich zuvor die Granitwand befunden hatte, waren nun Regale mit dicken, ledergebundenen Büchern zu erkennen: die Geschichtsbücher der Druiden.

Im Korridor hinter dem Studierzimmer rückten die Stimmen näher.

Rasch hob Allanon einen der dicken Bände von seinem Platz auf den Regalen und trug ihn. zu einem leeren Holztisch in der Mitte der Kammer. Er legte das Buch auf den Tisch und schlug es auf.

Er blieb stehen und begann, es schnell durchzublättern. Er fand fast sogleich, was er suchte, und beugte sich tief hinab, um zu lesen.

In die gedämpften, rauhen Stimmen draußen mischte sich nun das Poltern von Stiefeln. Hinter jener Tür trappten mindestens ein halbes Dutzend Gnomen.

Brin formte mit den Lippen lautlos Rones Namen, und ihre Augen waren im Schein der Fackeln von Furcht erfüllt. Der Hochländer zögerte, dann reichte er ihr rasch seine Fackel und zog das Schwert von Leah. Mit zwei Schritten war er an der Tür und schob den Riegel vor. Die Stimmen und die polternden Füße gingen vorüber und weiter — bis auf eine. Eine Hand machte sich an dem Riegel zu schaffen und wollte die Tür öffnen. Brin trat noch weiter in die Dunkelheit des Studierzimmers zurück und betete, daß, wer immer da draußen stünde, nicht das Licht ihrer Fackel sah oder sie roch und daß die Tür sich nicht öffnen würde. Der Riegel wurde noch einen Augenblick gerüttelt. Dann begann derjenige draußen, es mit Gewalt zu versuchen.

Unvermittelt zog Rone Leah den Riegel zurück, riß die Tür auf und zerrte einen verdutzten Gnomen herein. Der stieß einen überraschten Aufschrei aus, ehe ihn der Knauf vom Schwert des Hochländers am Kopf traf und er bewußtlos zu Boden fiel.

Eilends schloß Rone die offene Tür zum Arbeitszimmer, verriegelte sie wieder und trat zurück. Brin rannte zu ihm. Im Gewölbe stellte Allanon den Band, in dem er gelesen hatte, an seinen Platz auf dem Regal zurück. Mit einer schnellen kreisenden Handbewegung vor den Werken der Druidengeschichte verwandelte er die Bücherborde wieder in die Granitwand. Er riß seine Fackel aus dem Halter, eilte aus dem Gewölbe, schob das Regal zurück, das seinen Zugang verbarg, und winkte dem Hochländer und dem Mädchen, ihm zu folgen. Dann schlüpfte er in den Gang, durch den sie gekommen waren. Einen Augenblick später lag das Studierzimmer hinter ihnen.

Sie gingen zurück durch das Labyrinth von Tunneln und schwitzten nun vor Angst und Anstrengung. Alles um sie her war wie zuvor, die Gesprächsfetzen, die hier und da erschollen, und das tiefe Stampfen der Feuerung, das von irgendwo unten wie ferner Donner heraufklang.

Dann hieß sie Allanon erneut stehen zu bleiben. Vor ihnen befand sich eine weitere mit Staub und Spinnweben verklebte Tür. Wortlos gab der Druide ihnen Zeichen, ihre Fackeln im Staub des Ganges auszudrücken. Sie kehrten in die Festung zurück.

Sie traten aus der Finsternis in einen hell von Fackeln erleuchteten Saal, der nur so strahlte vor Messing und poliertem Holz. Obgleich alles in der alten Burg mit Staub überzogen war, schimmerte das Putzwerk noch durch die Schichten wie kleine Flämmchen in geschecktem Schatten. Eine große Halle dehnte sich ins Dunkel, deren Eichenwände dicht behangen waren mit Tapisserien und Gemälden, derart angebracht, daß die Schmuckwerke eines anderen Zeitalters sie in hohe Nischen aufteilte. Mit dem Rücken flach an den schmalen Eingang gelehnt, sahen der Hochländer und das Talmädchen sich rasch um. Die Halle war leer.

Eilig führte Allanon sie links den verdunkelten Korridor hinab, huschte von einem Schatten zum nächsten, vorbei an kleinen Lichtkreisen rauchiger Fackeln und am Schimmern der Nacht, das dunkelgrau durch hohe, gitterverzierte Fenster fiel, die sich im Bogen . über die Brüstung draußen himmelwärts spannten. Eine seltsame Lautlosigkeit hing in den Sälen der alten Festung, als wäre plötzlich alles Leben außer dem ihren erstickt worden. Nur das beständige Brummen der Maschinen unten durchbrach die Stille. Brins Blick schoß suchend von der verdunkelten Halle zum fackelerleuchteten Eingang. Wo steckten die Mordgeister und die Gnomen, die sie befehligten? Eine Hand griff nach ihrer Schulter, und sie fuhr herum. Es war Allanon, der sie zurückzog in den Schatten eines Alkovens, der zwei hohe Eisentüren umschloß.

Dann plötzlich, wie zur Antwort auf Brins unausgesprochene Frage — durchdrang ein Schrei schrill und heiser die Stille der Feste. Das Mädchen aus dem Tal wirbelte bei dessen Ertönen herum. Er kam aus dem Studierzimmer hinter ihnen. Der Gnom, den Rone bewußtlos geschlagen hatte, war wieder zu sich gekommen.

Nun waren überall Schritte zu hören, die über die Steinfliesen dröhnten und durch die Stille polterten. Überall erklangen Schreie. Rone Leahs Schwert blitzte dunkel im Zwielicht, und der Hochländer schob Brin hinter sich. Doch Allanon hatte inzwischen das Eisengatter öffnen können; mit einem Ruck zerrte er Brin und Rone außer Sicht und schlug die Türen hinter ihnen zu.

Sie standen auf einem schmalen Treppenabsatz und blinzelten durch einen Schleier rauchigen Lichts von Fackeln, die in Haltern über die ganze Länge einer Treppe brannten. Die Stufen zogen sich wie eine Schlange an den massiven Steinmauern des riesigen Turms entlang, der sich vor ihnen erhob. Gigantisch und schwarz schien er sich in ungeahnte Höhen zu erheben; doch zu ihren Füßen unterhalb des winzigen Absatzes, auf dem sie standen, führte er in die Erde wie in eine grundlose Grube. Bis auf den Absatz und die Treppe durchbrach nichts die glatte Oberfläche der Mauern, die sich ohne Anfang und Ende in undurchdringliche Finsternis dehnten.

Brin wich an die Eisentüren zurück. Das war der Turm der Festung, der die heilige Stätte der Druiden beherbergte. Jene, die einst mit Shea Ohmsford von Culhaven gekommen waren, hatten geglaubt, hier würde das Schwert von Shannara aufbewahrt. In seiner monströsen Dimension vermittelte er das Gefühl, der Brunnen eines Riesen zu sein, der durch die ganze Erde führte.

Rone Leah tat einen Schritt auf den Rand des Absatzes zu, doch Allanon zog ihn sogleich zurück. »Bleib zurück, Hochländer!« warnte er ihn im Flüsterton.

In der Burg wurden die Rufe und Schreie lauter, und das Getrappel von Füßen ertönte von überall. Allanon machte sich daran, die schmalen Stufen mit dem Rücken zur Turmmauer emporzusteigen.

»Bleibt unten«, rief er ganz leise zu ihnen herab.

Nach einem Dutzend Stufen gelangte er an den Rand der Treppe. Magere Hände hoben sich mit gekrümmten Fingern aus dem Innern seiner schwarzen Gewänder. Seinen Lippen entschlüpften Worte, die das Talmädchen und der Hochländer nicht verstehen konnten, und die kaum vernehmlich und vom Zorn gedämpft klangen.

Aus der Tiefe des Turmes erklang zur Antwort ein deutliches Zischen.

Die Arme des Druiden sanken langsam mit nach unten gewandten Handflächen und zu Klauen verkrampften Fingern herab. Dampf sickerte aus den Winkeln seines harten Mundes, quoll ihm aus Augen und Ohren und erhob sich von dem Stein, auf welchem er stand. Brin und Rone beobachteten das Ganze voller Entsetzen. Unter ihnen zischte es wieder aus der Grube.

Dann brach blaues Feuer aus Allanons Händen, ein riesiger Flammenstoß, der hinabschoß in die Finsternis. Er zog Funken hinter sich her, flackerte unten heftig auf, nahm plötzlich eine gespenstische grüne Tönung an und erstarb.

Im Turm kehrte Stille ein. Hinter den Eisentüren waren Alarmschreie und das schwache Poltern von Schritten in chaotischem Durcheinander zu vernehmen, doch innerhalb des Turms ertönte kein Laut. Allanon sackte gegen die Wand zurück, schlang die Arme eng um seinen Leib und senkte den Kopf, als litte er Schmerzen. Der Dampf, der aus ihm emporgestiegen war, hatte sich verflüchtigt, doch der Stein, auf welchem er stand und gegen den er sich lehnte, war rußgeschwärzt.

Dann zischte es noch einmal aus der Grube, und diesmal erbebte der Turm selbst von diesem rätselhaften Geräusch.

»Schaut in seinen Schlund hinab!« Allanons Stimme klang heiser.

Der Hochländer und das Mädchen aus dem Tal spähten vom Rand des Absatzes in die Grube. Tief drunten schlug brodelnder grüner Nebel wie flüssiges Feuer gegen die Wände des Turmes. Das Zischen, das er von sich gab, klang wie eine unheimliche, haßerfüllte Stimme. Langsam heftete sich der Nebel an die Mauern und zog durchs Gestein, als wäre es Wasser. Und dann begann er gemächlich höherzusteigen.

»Er kommt heraus!« wisperte Rone.

Der Nebel zog sich wie ein Lebewesen an den Felsquadern der Mauern empor. Meter um Meter krallte er sich höher zu der Stelle, wo sie standen.

Nun war Allanon wieder neben ihnen, zerrte sie vom Rand des Absatzes zurück und zog ihre Gesichter nah an sein eigenes. Seine dunklen Augen blitzten wie Feuer.

»Flieht jetzt!« befahl er. »Blickt nicht zurück. Wendet euch weder nach rechts noch nach links um. Flieht aus der Festung und von diesem Berg!«

Dann stieß er die Turmtüren mit großer Wucht auf und trat hinaus in die Säle der Festung. Es wimmelte überall von Gnomen-Jägern; sie fuhren herum, als er erschien, und ihre derben, gelben Züge waren vor Überraschung wie erstarrt. Blaues Feuer loderte von den ausgestreckten Händen des Druiden und brannte sich in sie hinein, daß sie wie Blätter von einem plötzlichen Wind zurückgeschleudert wurden. Schreie brachen aus ihren Kehlen, als das Feuer sie traf, und sie liefen entsetzt vor diesem finsteren Rächer davon. Einer der Mordgeister tauchte auf, ein schwarzes, in seinen Gewändern gesichtslosen Ding. Blaues Feuer schoß mit erstaunlicher Macht in dieses Wesen, als der Druide zu ihm herumwirbelte, und einen Augenblick später war es zu Asche zerfallen.

»Lauft!« rief Allanon zum leeren Türrahmen zurück, wo Brin und Rone wie versteinert standen.

Sie folgten schnell seinem Befehl, liefen an Gnomen vorbei, die tot im Weg lagen und rasten durch das rauchige Fackellicht auf die Gänge zu, durch welche sie hergekommen waren. Die Hallen blieben nur einen Moment lang leer, dann tauchten die Gnomen wieder auf und gingen zum Gegenangriff über; sie bildeten einen massiven Keil gepanzerter, gelber Gestalten, die vor Wut heulten und an deren Gürtel Speere und Kurzschwerter blitzten. Allanon brach die Schlachtenreihe mit einem einzigen Stoß Druidenfeuer auf und machte ihnen den Weg frei. Eine zweite Gruppe wogte aus einem Seitenkorridor auf sie zu, als sie versuchten, daran vorbeizuhasten, und Rone drehte sich um und hob das Schwert von Leah. Er stieß den Schlachtruf seiner Heimat aus, als die Gnomen auf ihn eindrangen und stürzte sich mitten in sie hinein.

Hinter ihnen tauchte ein weiterer Mordgeist auf, und vor ihnen noch einer. Rotes Feuer schoß aus ihren schwarzen Händen auf Allanon zu, doch der Druide wehrte den Angriff mit seinem eigenen Feuer ab. Flammen prasselten rings umher in wildem Durcheinander, und Wände und Tapisserien gerieten in Brand, Brin wich an eine Wand zurück und legte schützend den Arm vor die Augen, und Rone und Allanon kämpften zu beiden Seiten der Stelle, an der sie sich niederkauerte. Gnomen strömten aus allen Richtungen auf sie zu, und nun waren auch mehr Mordgeister zu sehen — schweigsame, schwarze Ungeheuer, die aus dem Dunkel auftauchten und sie angriffen. Rone Leah löste sich aus dem Kampf mit den Gnomen und sprang zu einem, der sich ganz nahe herangewagt hatte. Schon sauste die ebenholzschwarze Klinge des Schwertes von Leah herab und zerschlug den Geist in Aschepartikel. Flammen loderten von den Angriffen ringsum gegen seinen Körper, doch er tat sie mit einem Achselzucken ab, da die schwarze Klinge die Wucht ihrer Feuerkraft wirkungslos machte. Mit wütendem Geheul bahnte er sich den Rückzug bis zu der Stelle, wo Brin zusammengesunken an der Wand kauerte. Gewaltige Hochstimmung ließ sein Gesicht strahlen, und Linien verwaschenen Grüns zogen wilde Kreise im schwarzen Metall des Schwertes. Er packte sie am Arm, riß sie hoch und schob sie vor sich her. Dort kämpfte Allanon den Weg zur Tür frei, durch welche sie von den unterirdischen Gewölben gekommen waren, und seine schwarze Gestalt ragte hoch aus Rauch, Feuer und ringsum ringenden Leibern wie ein zu Leben erwachter Schatten des Todes.

»Durch die Tür, Hochländer!« brüllte der Druide und schleuderte die Angreifer fort, die versuchten, ihn von der Seite zu Boden zu reißen.

Ein plötzlicher Ausbruch roten Feuers umhüllte sie alle, so daß sie von seiner Wucht für einen Augenblick wie gelähmt waren. Allanon hatte sich umgedreht und von seinen Händen strömte Druidenfeuer und errichtete eine massive, blaue Wand, die sie sogleich vor ihren Verfolgern schützte. Irgendwie hatten sie dann das Feuer der Mordgeister hinter sich gelassen, rasten an ein paar verstreuten Gnomen vorüber, die vergeblich versuchten, sie bei ihrer Flucht aufzuhalten. Schreie und Rufe hallten durch die Druidenfestung, als sie bei der Tür anlangten, welche sie suchten. Einen Augenblick später hatten sie sie geöffnet und kamen unbeschadet hindurch.

Plötzliche Dunkelheit hüllte sie ein wie ein Leichentuch. Das Heulen ihrer Gegner verstummte augenblicklich hinter dem Tor, durch welches sie gekommen waren. Allanon hob rasch die abgelegten Fackeln auf, entzündete sie wieder, und die drei Gefährten rannten zurück durch die Katakomben. Sie liefen hinab durch Gänge und Treppenschächte. Hinter ihnen erschallten noch einmal grell die Schreie der Verfolger, aber der Weg vor ihnen war nun frei. Sie stürzten hinab in den Heizungsraum, vorbei an Erdfeuer und Maschinengetöse zu der Stelle, wo die Stufen sie tief in den Kern des Berges führten. Noch immer versperrte ihnen niemand den Weg.

Dann drang plötzlich ein neues Geräusch an ihre Ohren, es war noch fern, gellte aber vor Entsetzen. Es erreichte sie als einziges, endloses Klagen, aus dem das nackte Grauen sprach.

»Es geht los!« rief Allanon zu ihnen zurück. »Nun aber schnell!«

Sie liefen wie von Sinnen, als das Jammern hinter ihnen rasend wurde. Etwas Unaussprechliches widerfuhr jenen, die sich in der Festung befanden.

Ach, der Nebel! schrie Brin in das Schweigen.

Sie flohen die Stufen hinab, die zum Fuß des Berges führten, folgten den Biegungen und Kurven des Ganges und hörten die ganze Zeit über das Kreischen derer, die hinter ihnen in der Falle saßen. Es kamen Treppen in endloser Zahl und blieben hinter ihnen zurück, und sie rannten immer weiter.

Dann endlich waren die Treppen zu Ende, und der im Gestein der Felswand verborgene Eingang ragte plötzlich vor ihnen in die Höhe. Allanon stürzte eilends hindurch und führte sie fort, vom Berg weg ins kühle Dunkel des dahinterliegenden Waldes.

Und die Schreie schallten immer noch hinter ihnen her.

Die Nacht verflog. Es war kurz vor Tagesanbruch, als sie ihre Pferde aus dem Tal von Paranor führten. Erschöpft und zerlumpt machten sie an einem Felsüberhang auf höher liegendem Gelände östlich von der Bergspitze der Burg halt und schauten dorthin zurück, wo grüner Nebel unheilvoll die alte Festung umwaberte und sie vor ihrem Blick verdeckte. Der Himmel wurde heller, und der Nebel verflüchtigte sich schließlich mit der Zeit, wie ein gelüftetes Leichentuch. Schweigsam sahen sie zu, wie er sich auflöste.

Dann brach die Dämmerung an, und der Nebel war fort.

»Es ist vorüber«, flüsterte Allanon in die Stille.

Brin und Rone Leah starrten fassungslos. Unter ihnen erhob sich der Berggipfel, auf dem einst die Druiden-Festung gestanden hatte, ins Licht der Morgensonne — kahl und leer bis auf eine Gruppe verfallender Nebengebäude. Die Burg der Druiden war verschwunden.

»So war es in den Geschichtsbüchern zu lesen; so war es vorhergesagt«, fuhr Allanon ruhig fort. »Brimens Geist kannte die Wahrheit. Älter als die Zeit der Feste war die Magie, erdacht, sie wieder fortzuschließen. Nun ist sie dahin zurückgekehrt in das Gestein des Berges und mit ihr all jene, die in ihr eingeschlossen waren.« In seinem dunklen Gesicht stand schreckliche Traurigkeit. »So geht es zu Ende. Paranor ist dahin.«

Aber sie waren am Leben! Brin fühlte, wie große Entschlossenheit sie durchströmte und den düsteren Ton des Druiden beiseite schob. Die Vorahnung war falsch gewesen und sie lebten — alle drei!

»So geht es zu Ende«, wiederholte Allanon leise.

Dann suchten seine Augen die des Mädchens aus dem Tal, und es war, als teilten sie ein unausgesprochenes Geheimnis, das keiner von beiden in seiner Gänze erkannte. Dann lenkte Allanon langsam sein Pferd zur Seite. Gefolgt von Brin und Rone ritt er ostwärts auf die Wälder des Anar zu.

Загрузка...