Brin sprach wenig auf dem Rückweg vom Finsterweiher zum Kamin. Sie mußte die Bedeutung von allem, was der Schatten ihr gesagt hatte, trennen und entschlüsseln, denn sie wußte, ihre Verwirrung würde im Lauf der Zeit nur größer. Als ihre Begleiter sie bedrängten, ihnen alles zu berichten, was der Geist geoffenbart hatte, erzählte sie nur, daß das verschwundene Schwert von Leah sich in den Händen der Spinnengnomen befände und daß der einzige Weg, der unbeobachtet in den Maelmord führte, durch die Abwasserkanäle von Graumark verlief. Nachdem sie das berichtet hatte, bat sie, sie möchten sie mit weiteren Fragen verschonen, bis sie ins Tal zurückgekehrt wären, und widmete sich dann der Aufgabe, alles ihr Verkündete noch einmal zu überdenken.
Das seltsame Bild von Jair in einem verdunkelten Raum mit der verhüllten Gestalt, die so bedrohlich auf ihn zuging, stand ihr zuerst vor Augen, als sie sich daran machte, die ihr gestellten Rätsel zusammenzupuzzeln. Der Finsterweiher hatte das Bild aus Boshaftigkeit und Zorn heraufbeschworen, und sie konnte nicht glauben, daß etwas Wahres an dem war, was er ihr vorgeführt hatte. Die verhüllte Gestalt war weder ein Gnom noch ein Mordgeist gewesen, und jene waren die Feinde, die den Ohmsfords nachstellten. Es ärgerte sie, daß sie überhaupt geblieben war, um das Bild vor sich ausbreiten und sich foppen zu lassen, wie es der Absicht des Finsterweihers entsprochen hatte. Wäre sie nur halbwegs vernünftig gewesen, hätte sie ihm sofort den Rücken gekehrt und ihm nicht die Gelegenheit gegeben, sie zu quälen. Jair war bei ihren Eltern und ihren Freunden. Was ihr der Finsterweiher vorgegaukelt hatte, war nichts anderes als eine schmähliche Lüge.
Und doch konnte sie nicht ganz sicher sein.
Da sie mit dieser Sorge nichts weiter anfangen konnte, schob sie sie beiseite und widmete ihre Gedanken den anderen Rätseln, die der Finsterweiher ihr aufgegeben hatte. Es waren viele. Vergangenheit und Gegenwart waren durch irgendwelche Machenschaften der schwarzen Magie eins, hatte der Schatten angedeutet. Die Macht, die der Dämonen-Lord zu Zeiten Shea Ohmsfords ausgeübt hatte, war jene, über die heute die Mordgeister verfügten. Doch hinter den Worten des Finsterweihers steckte noch mehr Bedeutung. Er erwähnte irgendeine Verbindung zwischen dem Krieg der Rassen und dem jüngsten Krieg, den ihr Vater und die Westland-Elfen gegen die Dämonen der Märchenwelt ausgefochten hatten. Da war diese heimtückische Ahnung, daß der Dämonen-Lord zwar durch die Magie des Schwertes von Shannara vernichtet worden, aber eben doch nicht tot war. »Wer leiht heute der Magie seine Stimme und schickt die Mordgeister aus?« hatte der Finsterweiher gefragt. Am schlimmsten aber war die gehässige Andeutung des Schattens, daß Allanon — der die ganzen Jahre über im Dienste der Vier Länder und ihrer Menschen stets alles vorhergesehen hatte — sich diesmal getäuscht hätte. In der Überzeugung, die Wahrheit zu sehen, hatte er die Augen verschlossen. Was hatte der Finsterweiher gesagt? Daß Allanon nur die Rückkehr des Dämonen-Lords sähe — er sähe nur die Vergangenheit.
Siehst du klar? hatte der Schatten geflüstert. Hältst du die Augen offen?
Enttäuschung wollte in ihr aufsteigen, doch sie brachte sich schnell wieder unter Kontrolle. Die Enttäuschung würde nur dazu beitragen, sie noch blinder zu machen, und sie mußte einen klaren Kopf behalten, wenn sie die Worte des Finsterweihers auch nur annähernd verstehen wollte. Angenommen, überlegte sie, Allanon hätte sich tatsächlich geirrt — eine Mutmaßung, die sie nur schwer akzeptieren konnte, aber die sie nun einmal annehmen mußte, wenn sie herausbekommen wollte, was ihr mitgeteilt worden war. Auf welche Weise hätte diese Fehleinschätzung wirken können. Es war offenkundig, daß der Druide sich in der Überzeugung getäuscht hatte, die Geister würden nicht ahnen, daß sie über den Wolfsktaag den Weg ins Ostland nähmen oder daß sie ihnen nicht folgen könnten, wenn sie das Tal verlassen hätten. Waren diese Irrtümer nur Bruchstücke und Bestandteile eines viel umfänglicheren Trugschlusses?
Hältst du die Augen offen? Siehst du klar?
Wieder flüsterten die Worte in ihrem Kopf eine Mahnung, die sie nicht verstehen konnte. War Allanons Täuschung auf gewisse Weise auch die ihre? Sie schüttelte den Kopf angesichts ihrer Verwirrung. Denk es vernünftig durch, ermahnte sie sich. Sie mußte voraussetzen, Allanon hätte irgendwo in seiner Analyse der Gefahr, die sie im Maelmord erwartete, einen Fehler begangen. Vielleicht war die Macht der Mordgeister größer, als er vermutet hatte. Vielleicht hatte ein Teil des Dämonen-Lords die Zerstörung des Meisters überlebt. Vielleicht hatte der Druide die Stärke ihrer Feinde unter- oder ihre eigene Stärke überschätzt.
Dann dachte sie darüber nach, was der Finsterweiher über sie gesagt hatte. Kind der Finsternis, hatte er sie genannt, die dem sicheren Tod im Maelmord entgegenginge und den Keim ihrer eigenen Zerstörung in sich trüge. Gewiß käme diese Zerstörung von der Magie des Wünschliedes — eine unangemessene und unberechenbare Waffe zur Abwehr der schwarzen Wandler. Die Mordgeister waren Opfer ihrer eigenen Magie. Sie jedoch ebenfalls, hatte der Finsterweiher erklärt. Und als sie erregt geantwortet hatte, daß sie mit ihnen nichts gemein hätte, daß sie keine schwarze Magie gebrauchen würde, hatte der Schatten gelacht und sie belehrt, keiner benutze die schwarze Magie — vielmehr benutze die Magie ihn.
»Darin liegt der Schlüssel zu allem, was du suchst«, hatte er gesagt.
Das stellte ein weiteres Rätsel dar. Es hatte sicher seine Richtigkeit, daß die Magie sie ebenso benutzte wie umgekehrt. Sie mußte an ihren Zorn auf die Männer vom westlichen Bogengrat auf der Rooker-Handelsstation denken, und wie Allanon ihr vorgeführt hatte, was der Zauber mit jenen dicht ineinander verwachsenen Bäumen anstellen konnte. Retterin und Zerstörerin — sie wäre beides, hatte Brins Schatten gewarnt. Und nun hatte der Finsterweiher ebenfalls eine solche Warnung ausgesprochen.
Cogline flüsterte etwas neben ihr und tänzelte dann davon, als Kimber Boh ihn maßregelte, sich zu benehmen. Sogleich zerstreuten sich ihre Gedanken, sie beobachtete, wie der alte Mann unter Gelächter und Gekicher wie einer, der halb dem Wahnsinn verfallen war, in die Wildnis des Waldes davonhuschte. Sie sog tief die kühle Nachmittagsluft ein und sah zu, wie die Schatten des frühen Abends sich über das Land senkten. Sie stellte fest, daß sie Allanon vermißte. Eigentümlich, war doch seine undurchschaubare und überragende Präsenz ihr in den Tagen, da sie zusammen reisten, nur ein geringer Trost gewesen. Aber da war diese seltsame Seelenverwandtschaft zwischen ihnen gewesen, dieses Gefühl gegenseitigen Verstehens, die Empfindung einer gewissen Ähnlichkeit...
War es die Magie, die ihnen gemeinsam war — das Wünschlied und die Druidenmacht?
Sie spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, als sie wieder seinen zerschundenen, blutigen Körper vor sich sah, wie er in jener Schlucht zusammengesackt war. Wie schrecklich er angesichts des drohenden Todes für sie ausgesehen hatte, als er die Hand hob, um ihre Stirn mit seinem Blut zu zeichnen... Als einsame, erschöpfte Gestalt erschien er ihr, der weniger von der Druidenmacht als von der Druidenschuld durchdrungen war und sich an das Gelübde seines Vaters gebunden fühlte, daß die Druiden die Verpflichtung einlösten, die sie mit der Entfesselung der schwarzen Magie in der Welt des Menschen auf sich geladen hatten.
Und diese Verpflichtung hatte er nun auf sie übertragen.
Der Nachmittag verblaßte zum Abend, und die kleine Gesellschaft gelangte aus der Wildnis des Anar ins Tal vom Kamin. Brin hörte auf, über die Worte des Finsterweihers nachzudenken, und überlegte statt dessen, was sie ihren Gefährten sagen und was sie mit den kleinen Wissensfragmenten anfangen sollte, die sie gewonnen hatte. Ihr eigenes Los in dieser Sache stand unumstößlich fest, nicht aber das der anderen — nicht einmal Rones. Wenn sie ihm die Weissagung des Finsterweihers erklärte, war er vielleicht zu überzeugen, sie allein weiterziehen zu lassen. Wenn es vorherbestimmt war, daß sie ihrem Tod entgegenging, konnte sie ihn vielleicht wenigstens davon abhalten, das gleiche Schicksal auf sich zu nehmen.
Eine Stunde später saßen sie gemeinsam vor dem Kamin der kleinen Hütte auf mit Decken gepolsterten Stühlen und Bänken: Brin, der alte Mann, das Mädchen und Rone Leah. Die Wärme des Feuers spiegelte sich in ihren Gesichtern, als die Nacht kalt und still herniedersank. Wisper schlief friedlich auf seinem Teppich; er hatte den riesigen Körper der Länge nach vor dem Kamin ausgestreckt. Die Moorkatze, die sich die meiste Zeit des Tages auf ihrer Reise zum Finsterweiher und zurück nicht hatte sehen lassen, war bei ihrer Rückkehr sogleich wieder aufgetaucht und hatte sich sofort auf ihrem Lieblingsplatz niedergelassen.
»Der Finsterweiher erschien mir in meiner eigenen Gestalt«, begann Brin ruhig, als die anderen lauschten. »Er nahm mein Gesicht an und verspottete mich mit dem, wofür ich mich hielt.«
»Solche Spielchen treibt er gern«, bemerkte Kimber voller Mitgefühl. »Davon darfst du dich nicht beeindrucken lassen.«
»Nichts als Lügen und Täuschungen! Er ist ein finsteres, schrulliges Wesen«, flüsterte Cogline, der mit dem stockdürren Körper vornübergebeugt dasaß. »Seit dem Untergang der alten Welt in seinen Teich gebannt, spricht er in Rätseln, die kein Mann jemals zu lösen vermag — und auch keine Frau.«
»Großvater«, tadelte Kimber Boh ihn liebevoll.
»Was wußte der Finsterweiher denn zu berichten?« wollte Rone wissen.
»Was ich euch schon gesagt habe«, erwiderte Brin. »Daß sich das Schwert von Leah in Händen der Spinnengnomen befindet, die es aus den Wassern des Mangold-Stroms zogen. Daß der Weg in den Maelmord, auf dem man vor Blicken geschützt ist, durch die Abwasserkanäle von Graumark führt.«
»Und das war keine Irreführung?« bedrängte er sie.
Sie schüttelte langsam den Kopf und dachte an die geheimnisvolle Art und Weise, wie sie den Zauber des Wünschliedes angewendet hatte.
Cogline schnaubte verächtlich. »Na, und der Rest waren Lügen, möchte ich wetten!«
Brin schaute ihn an. »Der Finsterweiher prophezeite, der Tod erwarte mich im Maelmord — es gäbe kein Entrinnen für mich.«
Es trat erschreckte Stille ein. »Lügen, wie der alte Mann schon festgestellt hat«, murmelte Rone schließlich.
»Der Finsterweiher sagte voraus, du kämst dort ebenfalls ums Leben. Er behauptete, wir trügen beide schon den Keim des Todes in der Zauberkraft, über die wir verfügen: du im Schwert von Leah, ich im Wünschlied.«
»Und du glaubst diesen Unfug?« Der Hochländer schüttelte den Kopf. »Also, ich für meinen Teil nicht. Ich kann auf uns beide aufpassen.«
Brin lächelte traurig. »Und wenn die Worte des Finsterweihers, keine Lügen sind? Wenn auch dieser Teil der Wahrheit entspricht? Muß ich unbedingt deinen Tod auf mein Gewissen laden, Rone? Wirst du da darauf bestehen, mit mir zu sterben?«
Rone errötete angesichts ihres Tadels. »Wenn es sein muß. Allanon hat mich zu deinem Beschützer gemacht, als ich etwas werden wollte. Was für ein Beschützer wäre ich denn, wenn ich dich jetzt im Stich und dich allein weitergehen ließe? Wenn es vorherbestimmt ist, daß wir sterben sollen, Brin, dann muß das nicht dein Gewissen belasten. Ich nehme es auf das meine.«
Brin standen wieder die Tränen in den Augen, und sie mußte schwer schlucken, um die Gefühle, die in ihr aufstiegen, zu unterdrücken.
»Mädchen, Mädchen, nun wein doch nicht. Wein bloß nicht!« Cogline war plötzlich auf den Beinen und schlurfte zu ihrem Platz. Zu ihrer Überraschung strich er ihr liebevoll die Tränen fort. »Es sind lauter Spielchen beim Finsterweiher, nichts als Lügen und Halbwahrheiten. Der Schatten sagt jedermann den Tod voraus, als wäre er mit besonderen Einsichten gesegnet. Aber, aber. Was kann ein Geisterwesen schon vom Tod wissen?«
Er tätschelte Brin die Schulter, schaute grimmig zu Rone hinüber, als wäre es irgendwie seine Schuld, und murmelte etwas über verdammte Eindringlinge.
»Großvater, wir müssen ihnen helfen«, erklärte Kimber plötzlich.
Cogline fuhr zornig herum. »Ihnen helfen? Und was haben wir gerade getan, Mädchen? Feuerholz gesammelt?«
»Nein, Großvater, das denke ich nicht, aber...«
»Aber nichts!« Krumme Arme beschrieben eine ungeduldige Handbewegung. »Natürlich werden wir ihnen helfen!«
Das Talmädchen und der Hochländer schauten einander verblüfft an. Cogline kicherte schrill und trat dann nach dem schlafenden Wisper, daß der Kopf mit den langen Schnurrhaaren ruckartig hochfuhr. »Ich und dieses nichtsnutzige Tier — wir werden euch helfen, so gut wir können! Ich kann solche Tränen nicht sehen! Kann ja meine Gäste nicht durch die ganze Gegend laufen lassen, ohne daß ihnen jemand den Weg zeigt!«
»Großvater«, wollte das Mädchen ihn unterbrechen, aber der alte Mann beachtete sie gar nicht.
»Haben schon lange nicht mehr hinter diesen Spinnengnomen hergejagt, was? Gute Idee, sie mal wissen zu lassen, daß wir noch da sind, falls sie auf den Gedanken kommen, wir könnten fortgezogen sein. Oben auf dem Tofferkamm werden sie sein — nein, nicht um diese Jahreszeit. Nein, jetzt wo der Winter bevorsteht, sind sie vom Kamm ins Moor gezogen. Das ist ihr Zuhause; dorthin würden sie ein Schwert schleppen, wenn sie es aus dem Fluß gefischt haben. Wisper wird es für uns aufstöbern. Dann ziehen wir ostwärts am Rand des Moores entlang und hinüber zum Rabenhorn. Ein oder zwei Tage vielleicht, alles in allem.«
Er wirbelte wieder herum. »Aber du nicht, Kimber. Ich kann nicht zulassen, daß du kreuz und quer durch dieses Land ziehst. Die Wandler und das alles sind viel zu gefährlich. Du bleibst hier und paßt auf das Haus auf.«
Kimber warf ihm einen verzweifelten Blick zu. »Er hält mich immer noch für ein Kind. Ich bin diejenige, die sich Sorgen um ihn machen müßte!«
»Ha! Um mich brauchst du dir keine Sorgen machen!« fauchte Cogline.
Kimber lächelte nachsichtig, ihr Koboldgesicht wirkte gelassen. »Natürlich muß ich mir um dich Sorgen machen. Ich liebe dich doch.« Sie wandte sich an Brin. »Brin, du mußt eines verstehen. Großvater verläßt das Tal ohne mich überhaupt nicht mehr. Hin und wieder ist er auf meine Augen-und mein Gedächtnis angewiesen. Großvater, sei nicht ärgerlich über das, was ich sage, aber du weißt selbst, daß du manchmal vergeßlich bist. Und Wisper wird dir auch nicht immer gehorchen. Er wird verschwinden, wenn es dir am wenigsten paßt, falls du allein aufzubrechen versuchst.«
Cogline blickte finster drein. »Na ja, das macht der dumme Kater eben.« Er sah zu Wisper hinab, der ihn seinerseits schläfrig anblinzelte. »Zeitvergeudung, wenn ich versuche, ihn umzuerziehen. Na schön, dann werden wir wohl alle gehen müssen. Aber du hältst dich fern, wenn Schwierigkeiten auftreten, Mädchen. Die überläßt du mir.«
Brin und Rone warfen einander rasche Blicke zu.
Kimber wandte sich an sie. »Dann ist ja alles klar. Wir können bei Tagesanbruch aufbrechen.«
Das Talmädchen und der Hochländer schauten einander ungläubig an. Was ging hier vor? Als wäre es die selbstverständlichste Sache von der Welt, war gerade beschlossen worden, daß ein Mädchen, das kaum älter war als Brin, ein halbverrückter alter Mann und eine Katze, die manchmal verschwand, für sie das vermißte Schwert von Leah von irgendwelchen Kreaturen zurückerobern würden, die sie als Spinnengnomen bezeichnet hatten, um sie dann ins Rabenhorn-Gebirge nach Graumark zu begleiten! Es würde nur so wimmeln von Gnomen, Wandlern und anderen gefährlichen Wesen — Wesen, deren Macht den Druiden Allanon vernichtet hatte —, und der alte Mann und das Mädchen verhielten sich, als ob das alles gar nicht so wichtig wäre.
»Nein, Kimber«, meinte schließlich Brin, weil sie nicht wußte, was sie sagen sollte. »Ihr könnt uns nicht begleiten.«
»Sie hat recht«, bestätigte Rone. »Ihr könnt euch nicht einmal annähernd vorstellen, gegen welche Kräfte wir da antreten müssen.«
Kimber Boh schaute sie abwechselnd an. »Ich kann es mir besser vorstellen, als ihr denkt. Ich erklärte euch schon einmal: Dieses Land ist meine Heimat. Und Großvaters. Wir kennen seine Gefahren und verstehen sie.«
»Ihr versteht doch nicht die schwarzen Wandler!« explodierte Rone. »Was könnt ihr zwei denn gegen sie ausrichten?«
Kimber gab nicht nach. »Ich weiß nicht. Vermutlich das gleiche wie ihr. Ihnen aus dem Weg gehen.«
»Und wenn ihr das nicht könnt?« fuhr Rone hartnäckig fort. »Was dann?«
Gogline schnappte nach dem Lederbeutel, der an seinem Gürtel hing, und hielt ihn von sich. »Ich werde sie meine Zauberkraft spüren lassen, Ausländer! Ich lasse sie das Feuer schmecken, von dem sie keine Ahnung haben!«
Der Hochländer zog voller Zweifel die Stirn kraus und schaute Brin hilfesuchend an. »Das ist Irrsinn!« schnauzte er.
»Sei nicht so schnell bei der Hand, die Magie meines Großvaters abzutun«, riet Kimber und nickte dem alten Mann beruhigend zu. »Er hat sein ganzes Leben in der Wildnis zugebracht und viele große Gefahren überlebt. Er ist zu Dingen imstande, die ihr ihm nicht zutrauen würdet. Er wird euch eine große Hilfe sein. So wie Wisper und ich ebenfalls.«
Brin schüttelte den Kopf. »Ich glaube, daß das eine ganz schlechte Idee ist, Kimber.«
Das Mädchen nickte, um zu bekunden, daß sie verstand. »Du wirst deine Meinung noch ändern, Brin. Jedenfalls hast du ohnehin keine Wahl. Du brauchst Wisper zum Aufspüren. Du brauchst Großvater, damit er euch führt. Und du brauchst mich, um den beiden bei ihren Aufgaben zu helfen.«
Brin wollte noch einmal Einwände erheben, hielt dann aber inne. Was dachte sie sich eigentlich? Sie waren vor allem zum Kamin gekommen, weil sie jemanden brauchten, der sie durch den Dunkelstreif führte. Es gab nur einen Mann, der dazu in der Lage war, und dieser Mann war Cogline. Ohne Cogline zögen sie vielleicht wochenlang durch die Wildnis des Anar — Wochen, die ihnen nicht zur Verfügung standen. Und jetzt, wo sie ihn gefunden hatten und er ihnen die Hilfe anbot, die sie so dringend benötigten, wollte sie ihn abweisen!
Sie zögerte. Vielleicht hatte sie einen guten Grund dafür. Kimber erschien ihr als ein Mädchen, deren Herz größer war als ihre Kraft. Doch es blieb Tatsache, daß Cogline vermutlich ohne sie keinen Schritt machte. Hatte sie dann überhaupt das Recht, ihre Besorgnis um Kimber über das Vertrauen zu stellen, das Allanon ihr geschenkt hatte?
Das glaubte sie nicht.
»Dann ist wohl alles beschlossene Sache«, sagte Kimber leise.
Brin schaute ein letztes Mal zu Rone. Der Hochländer schüttelte hilflos und schicksalergeben den Kopf.
Brin wandte sich ab und lächelte müde. »Das ist es wohl«, stimmte sie zu und hoffte wider alle Vernunft, daß der Beschluß der richtige sein würde.