40

Sie schlichen wie die Geister, denen sie aus dem Weg zu gehen suchten, die Gebirgszugänge zu den Kellern unterhalb Graumark hinauf. Mit Hilfe von Fackeln, die sie in einer Nische am Tunneleingang aufgestapelt fanden, krochen sie durch die Finsternis und die Stille zum Kern der Bergfeste. Spinkser führte sie an; er hielt das derbe, gelbe Gesicht dicht an die Fackel gebeugt, und in seinen schwarzen Augen funkelte Angst. Er marschierte sicher und zielstrebig, und nur sein Blick verriet, was er sich selbst am liebsten nicht eingestanden hatte. Aber Jair sah es, erkannte es und empfand es als Spiegel dessen, was in ihm selbst verborgen ablief.

Er empfand ebenfalls Furcht. Die Vorahnung, die ihm zuvor solche Willensstärke verliehen hatte, war dahin. An ihre Stelle war Angst getreten, hemmungslose, schwer zügelbare Angst, die durch ihn hindurchströmte und ihm eisige Schauer über die Haut jagte.

Eigentümliche, bruchstückartige Bilder beherrschten sein Denken, während er sich mit den anderen seinen Weg durch den Felstunnel bahnte und der Geruch stickiger Luft und seines eigenen Schweißes in seine Nase drang: Gedanken an sein Zuhause in Shady Vale, an seine in alle Länder zerstreute Familie, an Freunde und vertraute Dinge, die er zurückgelassen und vielleicht verloren hatte, an die bedrückenden Dinge, die ihn quälten, an Allanon und Brin und was sie an diesem finsteren Ort zu dieser bösen Zeit zu suchen hatten. Alles geriet durcheinander und floß zusammen wie dem Wasser beigemischte Farben, und nichts von alledem ergab irgendeinen Sinn. Die Angst war es, die sein Denken so verwirrte, und er versuchte, sich dagegen zu stählen und seine Entschlossenheit wiederzuerlangen.

Die Hohlwege führten lange Zeit bergan, überschritten sich immer wieder und bildeten einen rätselhaften Irrgarten, in dem es keinen Anfang und kein Ende zu geben schien. Doch Spinkser machte niemals halt, sondern führte sie stetig weiter, bis sie schließlich eine breite, im Fels verankerte, eisenbeschlagene Tür erblickten. Sie traten auf sie zu und blieben so lautlos wie die Gänge, die sie hierhergeführt hatten, davor stehen. Jair duckte sich mit den anderen, als Spinkser ein Ohr an die Tür legte und lauschte. In der Stille seines Innern hörte er das Dröhnen seines Herzschlags.

Spinkser richtete sich auf und nickte einmal. Vorsichtig hob er den Riegel an, der die Tür verschlossen hielt, legte die Hände um den Eisengriff und zog. Die Tür schwenkte mit leisem Ächzen auf. Vor ihnen stieg eine Treppe an, die jenseits der Lichtkreise ihrer Fackeln in die Dunkelheit verschwand. Sie machten sich unter Spinksers Führung an den weiteren Aufstieg. Langsam und vorsichtig nahmen sie einen Schritt nach dem anderen und erklommen so allmählich die Stufen. Düsternis und Stille vertieften sich und schlangen sich dicht um sie. Der Treppenschacht endete und mündete oben in eine Tenne aus Steinquadern. Das leise Echo vom Scharren von jemandes Stiefeln auf der Treppe hallte droben rauh durch die Dunkelheit und verlor sich weit entfernt in der Stille. Jair schluckte seine aufkommenden Gefühle hinunter. Es war, als gäbe es da droben nichts als Finsternis.

Dann hatten sie die Treppe verlassen und waren von Dunkelheit umgeben. Wortlos blieben sie dicht bei dem Schacht stehen und spähten mit von sich gereckten Fackeln in die Düsternis. Das Licht reichte nicht bis an Wände und Decke, doch sie fühlten eindeutig, daß sie in einem so gewaltigen Gewölbe standen, daß sie sich wie Zwerge vorkamen. Am Rande des Lichtscheins ihrer Fackeln konnten sie die verdunkelten Umrisse von Kisten und Fässern ausmachen. Das Holz war trocken und faul, die eisernen Beschläge verrostet. Alles war von Spinngeweben überzogen, und über den Boden breitete sich eine dicke Staubschicht.

Doch in dem Staubteppich wiesen gespreizte Fußabdrücke darauf hin, daß hier ein eindeutig nicht-menschliches Wesen gegangen war. Was immer sich in die unteren Gefilde von Graumark gewagt haben mochte, es konnte noch nicht allzulange hier sein, dachte Jair fröstelnd.

Spinkser winkte sie weiter. Die Mitglieder der kleinen Gruppe schritten in die Dunkelheit, ertasteten sich von der offenen Treppe aus den weiteren Weg, wobei der Staub unter ihren Füßen aufgewühlt wurde und zu kleinen Wölkchen aufstiebte, um sich mit dem Licht ihrer Fackeln zu dunstigem Schein zu mischen. Unmengen von Vorratsgütern und vergessenen Lebensmitteln tauchten vor ihnen auf und verschwanden wieder. Und das Gewölbe nahm noch immer kein Ende.

Dann plötzlich führte die ganze Tenne um ein halbes Dutzend Stufen auf eine höhere Ebene und erstreckte sich von dort in die Dunkelheit. Sie stiegen dicht zusammengedrängt hinauf, gingen dann etwa zwanzig Meter weiter und gelangten in einen riesenhaften, gewölbten Korridor. Zu beiden Seiten erkannten sie verschlossene und verriegelte Eisentüren, als sie ihren Weg fortsetzten. Geschwärzte Fackelstumpen hingen in den Eisenhaltern, Ketten lagen in Haufen an den Wänden, und vielbeinige Insekten huschten von ihrem-, Licht ins schützende Dunkel davon. Ein Gestank, der in Wogen vom Kellergestein emporstieg, hinderte sie, frei zu atmen, und erstickte alle ihre Sinne.

Der Korridor endete an einem weiteren Treppenschacht, der diesmal wie eine aufgerollte Schlange nach oben führte. Spinkser machte sich nach einem kurzen Halt an den Aufstieg. Die anderen folgten ihm. Die Treppe wand sich zweimal um sich selbst und mündete dann auf einen weiteren Gang. Sie gingen diesen Tunnel mehrere Meter entlang bis zu der Stelle, wo er sich in zwei Richtungen gabelte. Spinkser führte sie nach rechts. Kurz darauf endete der Gang vor einer geschlossenen Eisentür. Der Gnom rüttelte am Riegel, zog vergeblich daran und schüttelte den Kopf. Besorgnis stand in seinem Gesicht, als er sich zu den anderen umdrehte. Er hatte ganz eindeutig gehofft, sie offen vorzufinden.

Garet Jax deutete mit einer unausgesprochenen Frage im Blick den Korridor hinab. Konnten sie umkehren und den anderen Weg einschlagen? Spinkser schüttelte langsam den Kopf, die Antwort war in seinen Augen zu lesen. Der Gnom wußte es nicht.

Sie verharrten zögernd und schauten sich an. Dann schob Spinkser sich vorbei und winkte den anderen, ihm zu folgen. Er brachte sie den Gang zurück zu der Abzweigung. Diesmal führte er sie nach links. Der zweite Korridor war länger und lief an Treppenaufgängen, in Finsternis gehüllten Nischen und zahlreichen Türen vorbei, die alle verschlossen und verriegelt waren. Der Gnom blieb einige Male unentschlossen stehen und setzte dann seinen Weg fort. Die Minuten vergingen, und Jair empfand wachsendes Unbehagen.

Dann endlich endete der Gang, diesmal vor zwei massiven Eisentoren, die so riesenhaft waren, daß Spinkser sich strecken mußte, um die Griffe zu fassen zu bekommen. Sie ließen sich mit überraschender Leichtigkeit betätigen, und der rechte Türflügel schwenkte lautlos auf. Die Mitglieder der kleinen Gruppe spähten vorsichtig hindurch. Hinter der Tür dehnte sich ein weiteres, mit Vorräten angefülltes Gewölbe. Doch hier lichtete sich das Dunkel ein wenig, wo es durch schwaches, graues Licht vertrieben wurde, das durch schmale Spalten in den Wänden kurz unterhalb der hohen Decke sickerte.

Spinkser wies auf die Schlitze und dann auf die gegenüberliegende Wand des Gewölbes, wo sich eine zweite verschlossene eiserne Flügeltür befand. Die anderen verstanden. Sie befanden sich in den Außenmauern von Graumark.

Unter der Führung Spinksers schlichen sie sich vorsichtig in den Raum. Hier lag kein Staub am Boden; keine Spinnennetze überzogen Kisten und Fässer. Der Gestank hing immer noch erstickend und beißend in der Luft, doch nun schien er ebenso von draußen hereingetragen wie von den Mauern umschlossen zu werden. Jair zog angeekelt die Nase kraus. Der Gestank könnte sie umbringen, bevor die finsteren Wesen sie aufspürten. Es stank so scheußlich wie...

Etwas scharrte leise in der Dunkelheit auf der einen Seite; Garet Jax fuhr mit Dolchen in beiden Händen herum und stieß einen Schrei aus, um die anderen zu warnen.

Zu spät. Etwas Riesenhaftes, Schwarzes, Geflügeltes schien aus dem Schatten hervorzubrechen. Es erhob sich im Schummerlicht und spreizte den lederhäutigen Körper wie eine riesenhafte Fledermaus. Zähne und Klauen blitzten elfenbeinhell, und ein grelles Kreischen brach aus seiner Kehle. Es fiel so schnell über sie her, daß keine Zeit blieb, sich zu verteidigen. Es kam im Sturzflug heran, flog an den Anführern vorüber und schoß auf Helt zu. Es prallte mit wildem Geflatter gegen den Grenzländer, und sein Kreischen wurde zu einem furchterregenden Fauchen. Helt taumelte schreiend zurück, bekam das schwarze Ding dann mit beiden Händen zu fassen und schleuderte es so heftig von sich, daß es quer durch den Raum in einen Stapel Vorräte flog.

Garet Jax sprang hinzu, die Dolche flogen aus seinen Händen und nagelten das Ding an die Holzkisten. Spinkser war am anderen Ende des Raumes angelangt und hatte einen der eisernen Türflügel aufgezerrt. »Raus hier!« brüllte er.

Sie stürzten einer nach dem anderen aus der Kammer, bis schließlich alle draußen waren. Spinkser drückte die offene Tür mit einem Knurren zu und warf die Eisenriegel in ihre Verankerung. Zitternd sank er mit dem Rücken gegen die Tür.

»Was war das nur?« keuchte Foraker mit grimmig zusammengezogenen buschigen Brauen und mit von einem Schweißfilm glänzendem Gesicht.

Der Gnom schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht. Etwas, das sich die Wandler mit schwarzer Magie geschaffen haben — vielleicht eine Art Wächter.«

Helt war auf ein Knie niedergesunken und hielt die Hände vors Gesicht. Blut sickerte in dünnen, scharlachroten Rinnsalen zwischen seinen Fingern hervor. »Helt!« flüsterte Jair und ging auf ihn zu. »Helt, du bist verletzt...«

Der Grenzländer hob langsam den Kopf. Böse Kratzer zerschnitten sein Gesicht. Ein Auge war angeschwollen und begann sich zu schließen. Er betupfte die Wunden mit seinem Hemdsärmel und winkte den Talbewohner zurück. »Nein, es sind bloß ein paar Schrammen. Nichts Schlimmes.«

Doch er zuckte vor Schmerzen zusammen. Unter Mühe kam er auf die Beine und stützte sich gegen die Wand. In seinen Augen stand ein unruhiger Blick.

Spinkser stand wieder aufrecht und schaute sich geheimnisvoll um. Sie befanden sich mitten auf einem schmalen Korridor, der auf der einen Seite zu einer geschlossenen Flügeltür, auf der anderen zu einem Treppenschacht führte, der ins Tageslicht mündete.

»Hier entlang!« winkte er und lief auf das Licht zu. »Beeilt euch — ehe etwas anderes uns entdeckt!«

Sie rannten alle hinter ihm her bis auf Helt, der noch immer an der Wand des Ganges lehnte. Jair schaute zurück und verlangsamte seine Schritte. »Helt?« rief er.

»Lauf weiter, Jair.« Der hünenhafte Mann tupfte immer noch Blut von seinem Gesicht. Dann stieß er sich von der Wand ab und setzte sich hinter ihnen her in Bewegung. »Nun geh weiter. Bleib dicht bei den anderen!«

Jair tat, wie geheißen, in dem Bewußtsein, daß der Grenzländer ihnen folgte, aber auch wohlwissend, daß ihm das äußerst schwerfiel. Irgend etwas stimmte ganz und gar nicht mit ihm.

Sie gelangten ans Ende des Korridors und stürmten die Stufen hinauf. Die gespenstische Stille der Festung wurde durch das Geräusch anderer Schritte und Stimmen durchbrochen, die wirr durcheinander, fern und unverständlich klangen. Das Kreischen des Flügelwesens hatte sie gewarnt, daß sich Eindringlinge in der Burg aufhielten. Jairs Gedanken arbeiteten wie rasend, während er mit den anderen die lange Treppe hinaufhetzte. Er durfte nicht vergessen, daß er das Wünschlied zu seinem Schutz besaß — das konnte er sinnvoll einsetzen, wenn er es nur schaffte, den Kopf nicht zu verlieren...

Etwas zischte an seinem Gesicht vorüber, daß er strauchelte und fiel. Ein Pfeil schlug in eine Wand des Treppenhauses. Sogleich war Helt neben ihm und zerrte ihn wieder in die Höhe. Pfeile pfiffen rund um sie her, als die Gnomen-Jäger im Korridor unten und auf den Brustwehren oben auftauchten. Die Gefährten befanden sich in den Mauern von Graumark, aber ihre Widersacher wußten es nun und versammelten sich. Jair erreichte das obere Ende der Treppe und stürmte hinter den anderen her an einer Reihe von Zinnen vorbei, die einen weiten Innenhof und ein Labyrinth von Türmen und Befestigungen überragten. Von überall her tauchten nun Gnomen mit Waffen in Händen und wildem Geschrei auf. Eine Handvoll lag niedergemacht von Garet Jax vor ihnen auf dem Wehrgang, wo der schwarz gekleidete Waffenmeister den Weg freikämpfte. Die Sechs rannten auf der Brustwehr entlang zu einer Turmtreppe, wo Spinkser sie zum Anhalten aufforderte.

»Die Falltür — dort!« Er deutete über den Innenhof zu einem eisernen Gatter, das über einem Torbogen in der dicken Quadermauer hochgezogen war. »Der Weg führt am schnellsten zum Croagh!« Sein gelbes Gesicht verzog sich zu einer Grimasse, als er nach Atem rang. »Die Gnomen werden binnen kurzem merken, daß wir dort hinaus wollen. Und dann lassen sie das Gatter herunter, um uns abzufangen. Wenn wir aber vor ihnen dort sind, können wir es benutzen, um ihnen statt dessen den Weg abzuschneiden!«

Garet Jax nickte und wirkte eigentümlich gelassen inmitten der Hektik dieses Augenblicks. »Wo sind das Räderhaus und die Winde?«

Spinkser deutete wieder in eine bestimmte Richtung. »Unter dem Tor — auf dieser Seite. Wir werden die Räder blockieren müssen!«

Rund um sie her ertönten Rufe und Schreie. Im Innenhof unten begannen die Gnomen zusammenzuströmen.

Garet Jax richtete sich auf. »Schnell dann — ehe es zu viele für uns sind.«

Die kleine Gesellschaft raste hinter Spinkser her die Turmtreppe hinunter. Unten angelangt, durchquerten sie einen dunklen, geschlossenen Flur zu einer einzelnen Tür, die auf den Innenhof führte. Auf dem ganzen Hof machten Gnomen-Jäger Front, um sich ihnen entgegenzustellen.

»Gütige Geister!« keuchte Spinkser.

Sie liefen los und stürmten auf das Tor zu.

Brin Ohmsford stand langsam auf und ließ eine Hand sanft auf Wispers massigem Kopf ruhen. In der Höhle herrschte wieder Stille, und nichts rührte sich. Einen Augenblick lang stand sie auf der Mitte der Felsbrücke und schaute über den Abgrund zu der Stelle, wo das Tageslicht die hohe, gewölbte Grotte erhellte, die ins Freie führte. Sie rieb zärtlich Wispers Kopf und fühlte deutlich die Schwielen und bösen Striemen, die er in dem schrecklichen Kampf mit den schwarzen Wesen davongetragen hatte, und die weiteren Verletzungen, die ihm zugefügt worden waren.

»Das ist nun vorbei«, flüsterte sie leise.

Dann wandte sie sich nach vorn. Sie trat rasch und ohne noch einmal zurückzuschauen über die Brücke und schritt über den Höhlenboden auf die Öffnung zu. Wisper begleitete sie; er tappte lautlos hinter ihr her, und seine blauen Kulleraugen leuchteten. Ohne sich umzudrehen wußte sie, daß er da war. Vorsichtig suchte sie das rissige Gestein nach Anzeichen für die unheilvollen Wesen oder andere aus der schwarzen Magie geborenen Schrecknisse ab, doch es waren keine zu sehen. Nur sie und die Katze waren übriggeblieben.

Minuten später erreichte sie die Grotte mit ihren hohen, glatten, aus dem Stein gehauenen Wänden und den komplizierten Mustern daran, die sie schon vorher gesehen hatte. Sie schenkte ihnen wenig Beachtung und trat sogleich zur Öffnung und in das dahinter scheinende Tageslicht. Nun kannte sie nur noch ein Ziel.

Sie ließ den Höhleneingang hinter sich zurück und stand wieder im Sonnenschein. Es war um die Mitte des Nachmittags, die Sonne sank westwärts den Baumwipfeln entgegen, und ihre Helligkeit war gedämpft durch den Nebel und die Wolken, die wie ein Tuch den ganzen Himmel über ihr bezogen. Sie befand sich auf einem Felssims mit Blick über ein tiefes, von einer Reihe kahler, zerklüfteter Gipfel umsäumtes Tal. Die Szenerie von Bergen, Wolken und Nebel hatte eine eigenartig traumhafte Tönung. Das gesamte Tal war in glänzendes Bleigrau getaucht. Sie schaute sich langsam um und blickte dann hinter sich hoch. Dort erhob sich, kühn auf dem Fels errichtet, eine einsame, düstere Burg. Graumark. Von ihren Höhen und noch weiter darüber, wohin ihr Blick schon nicht mehr reichte, wand sich die Treppe hinab, die der Croagh hieß. Sie führte an ihrem Felssims vorüber, streifte es knapp und verlief dann im Zickzack ins Tal hinunter.

An diesem Tal blieb ihr Blick schließlich haften. Es entzog sich als tiefer, schattiger Abgrund dem Licht, bis sich seine unteren Hänge ganz in nebelverhangenem Dunkel verloren. Der Croagh schlängelte sich abwärts in diese Finsternis, in ein Gewirr von Bäumen, Ranken, Sträuchern und wucherndem Unterholz, das so dicht gewachsen war, daß kein Licht es zu durchdringen vermochte. Dieser Wald stellte eine bedrohliche, verschlungene Wildnis dar, die keinen Anfang und kein Ende zu besitzen, sondern in ihrem üppigen Wachstum nur durch die Felswände der Berge begrenzt schien.

Brin starrte hinunter. Von hier erklang das Zischen, das sie schon vorher in den Abwasserkanälen gehört hatte. Es erinnerte an Atemholen. Sie zwinkerte in das blendende, graue Zwielicht. Hatte sie gesehen, wie...?

Der Wald in der Talsenke rührte sich.

»Du lebst«, sagte sie leise und stählte sich gegen das Gefühl, das diese Erkenntnis in ihr auslöste.

Sie trat weit hinaus auf das Sims bis zu seinem äußersten Rand, wo der Croagh sich mit ihm vereinte. Derbe Stufen waren in den Stein gehauen, und sie folgte ihnen mit dem Blick hinab bis zu der Stelle, wo sie hinter einer Felsbiegung verschwanden. Dann schaute sie wieder daran vorbei ins Tal darunter.

»Maelmord, ich komme zu dir«, flüsterte sie.

Dann drehte sie sich wieder zu Wisper um. Sie kniete neben ihm zu Boden und kraulte ihm zärtlich die Ohren. Ihr Lächeln war traurig und sanft. »Du darfst mich nicht weiter begleiten, Wisper. Auch wenn deine Herrin dich geschickt hat, auf mich aufzupassen, du darfst nicht weiter. Du mußt hierbleiben und warten, bis sie dich holt. Verstehst du?«

Der Kater blinzelte mit seinen leuchtenden Augen und rieb sich an ihr. »Schütze meinen Rückweg, wenn du mich überhaupt beschützen willst«, bat sie ihn. »Vielleicht verläuft es anders, als der Finsterweiher vorhergesagt hat — vielleicht muß ich doch nicht hier sterben. Vielleicht komme ich zurück. Halte mir den Weg frei, Wisper. Paß auf deine Herrin und meine Freunde auf. Laß nicht zu, daß sie mir folgen. Warte, und wenn ich die mir gestellte Aufgabe vollbracht habe, werde ich zu dir zurückkommen, wenn ich kann. Ich verspreche es dir.«

Dann sang sie dem Kater vor und benutzte das Wünschlied diesmal nicht, um zu überreden oder zu täuschen, sondern um zu erklären. In Bildern, die für das Denken der Moorkatze verständlich waren, ließ sie Wisper fühlen, was sie wünschte, und ihn begreifen, was sie tun mußte. Als sie fertig war, beugte sie sich vor und drückte die große Katze einen Augenblick lang fest an sich, grub ihr Gesicht ins rauhe Fell und fühlte, wie die Wärme des Tieres in sie floß und ihr neue Kraft verlieh.

Sie stand auf und trat zurück. Langsam ließ Wisper sich auf seine Hinterläufe und Vorderpfoten nieder, bis er ausgestreckt vor ihr lag. Sie nickte und lächelte. Er überwachte ihren Abstieg. Er würde sich so verhalten, wie sie es wünschte.

»Leb wohl, Wisper«, sagte sie zu ihm und trat auf den Croagh.

Der Gestank, der aus dem Abgrund hinter ihr aufgestiegen war, wehte ihr erneut aus den dampfenden Tiefen des Tales unter ihr entgegen. Sie beachtete ihn nicht und ließ den Blick einen Moment lang über die Klippen zu der Stelle schweifen, wo die Sonne den Horizont erhellte. Dann mußte sie an Allanon denken und fragte sich, ob er sie jetzt sah — ob er vielleicht auf irgendeine Weise bei ihr sein konnte.

Schließlich atmete sie tief ein, um sich zu fangen, und machte sich an den Abstieg.

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