Am späten Nachmittag erreichte Jair Ohmsford mit seinen Weggefährten die Zwergen-Gemeinde von Culhaven. Nach der Meinung des Talbewohners konnte es nur gut sein, daß dieser Tag zu Ende war. Bleierne Himmel und eisiger Wind waren ihnen ostwärts durch das Land vom Silberfluß gefolgt, und selbst die Herbstfarben der großen Ostland-Wälder hatten einen grauen, winterlichen Hauch an sich. Gänse zogen am bedrohlichen Herbsthimmel südwärts über das Land, und die Strömung des Flusses, dem sie folgten, war rauh und unfreundlich.
Der Silberfluß wies allmählich Anzeichen für die von seinem König vorhergesagte Vergiftung auf. Schwärzlicher Schaum säumte das Wasser, und die klare Silberfarbe war trübe geworden. Tote Fische, kleine Nagetiere und herabgestürzte Vögel trieben vorbei, und der Fluß erstickte schier vor Treibholz und Gesträuch. Sogar sein Geruch war unangenehm, seine frische Sauberkeit war zu ranzigem, faulem Gestank geworden, der ihnen mit jedem Umschlagen des Windes in die Nase fuhr. Jair erinnerte sich an die Erzählungen seines Vaters vom Silberfluß, Erzählungen, die seit Shea Ohmsfords Zeit bekannt waren, doch was er jetzt erblickte, ließ ihn übel werden.
Garet Jax und Spinkser trugen wenig dazu bei, seine Laune zu verbessern. Selbst ohne die beständige Erinnerung an das Übel, das den Fluß befallen hatte, und ohne die Kälte dieses Tages hätte Jair es schwierig gefunden, ein Lächeln auf den Lippen oder Fröhlichkeit in der Stimme zu wahren, mit dem Waffenmeister und dem Gnomen als Reisebegleiter. In sich zurückgezogen und schweigsam trabten sie mit der Begeisterung der Trauernden bei einer Totenwache neben ihm her. Sie hatten seit dem Aufbruch an diesem Morgen keine zehn Worte gewechselt, und nicht ein Lächeln war über eines der Gesichter gehuscht. Mit auf den Weg vor ihnen geheftetem Blick marschierten sie mit einer verbissenen Entschlossenheit, die an Fanatismus grenzte. Ein- oder zweimal hatte Jair versucht, ein. Gespräch in Gang zu bekommen, als Reaktion war jedesmal kaum mehr als ein verhaltenes Grunzen gekommen. Das Mittagessen war ein angespanntes und peinliches Ritual aus seiner Notwendigkeit heraus gewesen, und selbst der schweigsame Marsch ostwärts war dem noch vorzuziehen.
Insofern war ihre Ankunft in Culhaven dem Talbewohner mehr als willkommen, wenn schon aus keinem anderen Grund, so weil sie bedeutete, daß er bald die Möglichkeit hatte, sich mit jemandem halbwegs Normalen zu unterhalten — allerdings sah er Gründe, auch das zu bezweifeln. Die Zwerge hatten sie bereits ganz im Westen an der Grenze von Anar erspäht und sie schweigsam beobachtet und nicht die geringste Anstrengung unternommen, durch die sie sich hätten willkommen fühlen können. Auf dem ganzen Weg zur Stadt waren sie Patrouillen von Zwergen-Jägern begegnet — abgehärteten Männern in Lederwämsern und Waldmänteln, die bewaffnet und zielstrebig unterwegs waren. Keiner von ihnen hatte gegrüßt oder war auch nur für das kleinste Schwätzchen stehengeblieben. Alle waren ohne Nachfrage vorüber und ihres Weges gegangen. Nur ihre Augen kamen herübergewandert, um die Besucher zu beäugen — und diese Augen waren nicht freundlich gewesen.
Bis Jair und seine Weggefährten den Rand der Zwergensiedlung erreichten, wurden sie von jenen Zwergen, an denen sie vorüberkamen, ungeniert gemustert, und in ihren Mienen lag mehr als nur ein Funken Mißtrauen. Garet Jax, der immer noch vorwegging, schien die Blicke, die ihnen folgten, nicht zu beachten, aber Spinkser wurde immer unruhiger, und Jair fühlte sich fast ebenso unbehaglich wie der Gnom. Garet Jax führte sie die Landstraße hinab, die das Dorf im Zickzack durchquerte, und war eindeutig mit dem Ort vertraut und sich sicher, was er vorhatte. Säuberlich instandgehaltene Wohnhäuser und Läden säumten die Gehwege, auf denen sie entlangschritten, massiv konstruierte Gebäude mit ordentlichem Rasen und Heckenreihen und aufgelockert durch Reihen von Blumenbeeten und gepflegten Gärten. Die Familien und Ladenbesitzer schauten hoch, wenn sie vorüberkamen, und in ihren Händen ruhten Werkzeuge und Waren, als sie bei ihrer täglichen Arbeit innehielten. Aber selbst hier waren bewaffnete Männer zu sehen — Zwergen-Jäger mit hartem Blick und mit Waffen an den Gürteln. Das war vielleicht eine Gemeinde mit Familien und Wohnhäusern, dachte Jair bei sich, doch im Augenblick sah es mehr nach einem bewaffneten Feldlager aus.
Als sie schließlich zur Mitte der Siedlung gelangten, hielt sie eine Patrouille zu Fuß an. Garet Jax sprach rasch mit einem der Wachsoldaten, und der Zwerg verschwand im Laufschritt. Der Waffenmeister trat wieder zu Jair und Spinkser. Gemeinsam standen sie den restlichen Mitgliedern der Patrouille gegenüber und warteten in gedankenversunkenem Schweigen. Zwergenkinder kamen und stellten sich neugierig mit auf Spinkser gehefteten Blicken um sie auf. Der Gnom ignorierte sie eine Zeitlang, dann wurde er das Spielchen leid und stieß ein plötzliches Knurren aus, so daß die ganze Bande schnell in Deckung lief. Der Gnom schaute finster hinter ihnen drein, schaute gereizt zu Jair und zog sich demonstrativ in sich zurück.
Ein paar Minuten später tauchte der von Garet Jax beauftragte Wachsoldat wieder auf. In seiner Begleitung befand sich ein robust wirkender Zwerg mit großem, gelocktem schwarzem Bart, Schnurrbart und kahlem Schädel. Ohne seinen Schritt zu verlangsamen, trat er mit zur Begrüßung ausgestreckter Hand direkt auf den Waffenmeister zu.
»Hast dir ja wirklich Zeit gelassen unterwegs«, knurrte er, als der andere die schwielige Hand in die seine schloß. Scharfe braune Augen spähten unter buschigen Brauen hervor, und der Blick des Mannes war hart und leidenschaftlich. Sein kräftiger, untersetzter Körper war in locker sitzende Waldkleidung gehüllt, er trug Stiefel und Gürtel aus weichem Leder und zwei Messer an seinem Bund. Von einem Ohr baumelte ein großer goldener Ohrring.
»Elb Foraker«, stellte Garet Jax den Zwergen Jair und Spinkser vor.
Foraker musterte sie einen Augenblick lang schweigend und wandte sich dann wieder an den Waffenmeister. »Du hast ja merkwürdige Gesellschaft, Garet.«
»Wir haben merkwürdige Zeiten.« Der andere zuckte mit den Schultern. »Wo können wir uns denn einmal setzen und etwas zu essen bekommen?«
Foraker nickte. »Hier entlang.«
Er führte sie an der Patrouille vorüber an die Stelle, wo die Straße rechts abzweigte, und von dort in ein Gebäude, in dem sich ein großer Speisesaal mit Bänken und Tischen befand. Ein paar davon waren von Zwergen-Jägern besetzt, die ihr Abendessen zu sich nahmen. Einige schauten hoch und nickten Foraker zu, doch diesmal zeigte niemand besonderes Interesse für die Begleitung des Zwerges. Offensichtlich machte es einen Unterschied, in wessen Gesellschaft man sich befand, dachte Jair. Foraker suchte für sie einen Tisch etwas hinten an der Wand auf und gab Zeichen, daß etwas zu essen gebracht wurde.
»Was soll ich mit den Zweien anfangen?« fragte der Zwerg, als sie sich gesetzt hatten.
Garet Jax wandte sich zu seinen Begleitern um. »Der Bursche ist ganz schön direkt, was? Er war vor zehn Jahren dabei, als ich Zwergen-Jäger für ein Grenzscharmützel am Wolfsktaag-Gebirge ausbildete. Und vor ein paar Jahren waren wir auch in Callahorn zusammen. Deshalb bin ich jetzt hier. Er bat mich zu kommen und gibt sich mit einem Nein als Antwort nicht zufrieden.«
Er schaute wieder Foraker an. »Der Talbewohner ist Jair Ohmsford. Er sucht nach seiner Schwester und einem Druiden.«
Foraker lehnte sich mit krauser Stirn zurück. »Einem Druiden? Was für einem Druiden? Es gibt keine Druiden mehr. Es hat keine Druiden mehr gegeben seit...«
»Ich weiß — seit Allanon«, fiel Jair ihm ins Wort, der nicht länger stillhalten konnte. »Das ist der Druide, den ich suche.«
Foraker starrte ihn an. »Tatsächlich? Und was führt dich zu der Überzeugung, daß du ihn hier finden wirst?«
»Er sagte mir, daß er ins Ostland ziehen wollte. Er hat meine Schwester mitgenommen.«
»Deine Schwester?« Der Zwerg zog die buschigen Brauen zusammen. »Allanon und deine Schwester? Und sie sollen sich hier irgendwo aufhalten?«
Jair nickte langsam, und sein Mut sank immer tiefer. Foraker sah ihn an, als ob er verrückt wäre. Dann schaute er zu Garet Jax.
»Wo hast du denn den Talbewohner auf getrieben?«
»Unterwegs«, antwortete der andere ausweichend. »Was weißt du über den Druiden?«
Foraker zuckte mit den Schultern. »Ich weiß, daß Allanon seit zwanzig Jahren im Ostland von keinem mehr gesehen wurde — weder mit noch ohne irgend jemandes Schwester.«
»Na, dann wißt Ihr ja nicht gerade viel«, mischte Spinkser sich plötzlich mit einem Hauch von Spott in der Stimme ein. »Der Druide ist geradewegs unter Eurer Nase vorbeigekommen.«
Forakers stolzes Gesicht fuhr zu dem Sprecher herum. »An Eurer Stelle würde ich meinen Mund halten, Gnom.«
»Der hat den Druiden angeblich aus dem Ostland verfolgt«, erklärte Garet Jax, und sein Blick schweifte wie beiläufig durch den fast leeren Saal. »Folgte ihm vom Maelmord direkt zur Türschwelle des Talbewohners.«
Foraker starrte ihn an. »Ich frage dich noch einmal — was genau soll ich mit den beiden anfangen?«
Garet Jax erwiderte seinen Blick. »Ich habe mir darüber Gedanken gemacht. Tritt der Rat heute Abend zusammen?«
»In diesen Zeiten — jeden Abend.«
»Dann laß den Talbewohner zu ihnen sprechen.«
Foraker zog die Stirn kraus. »Warum sollte ich das tun?«
»Weil er ihnen etwas zu erzählen hat, das sie meiner Ansicht nach interessieren dürfte. Und nicht nur über den Druiden.«
Zwerg und Waffenmeister beäugten einander schweigend. »Ich werde einen Antrag stellen müssen«, versprach Foraker schließlich, doch sein Mangel an Begeisterung war nicht zu übersehen.
»Da wäre jetzt doch der geeignete Zeitpunkt.« Garet Jax stand auf.
Foraker seufzte, erhob sich ebenfalls und blickte dabei auf Jair und Spinkser hinab. »Ihr zwei könnt euer Essen verzehren und hierbleiben. Geht nicht weg.« Er zögerte. »Ich weiß nichts von einem Druiden, der durch den Ort gekommen sein soll, aber ich werde mich um deinetwillen umhören, Ohmsford.« Er schüttelte den Kopf. »Komm mit, Garet.«
Der Zwerg und der Waffenmeister verließen den Speisesaal. Jair und Spinkser saßen allein am Tisch und hingen ihren Gedanken nach. Wo war Allanon? fragte Jair sich in stiller Verzweiflung mit gesenktem Kopf und starrte auf seine Hände, die er vor sich verschränkt hielt. Der Druide hatte gesagt, er ginge ins Ostland. Würde er dabei nicht durch Culhaven kommen? Wenn nicht, welchen Weg hatte er dann genommen? Wohin hatte er Brin geführt?
Ein Zwerg mit weißem Latzschürzchen brachte ihnen Teller mit heißen Speisen und zwei Becher Bier, und sie begannen zu essen. Keiner sprach ein Wort. Die Minuten verstrichen, während sie ihre Mahlzeit zu sich nahmen, und Jair fühlte, wie seine Hoffnungen mit jedem Bissen, den er aß, weiter schrumpften — so als verzehrte er irgendwie die Antworten, nach welchen seine Fragen verlangten. Er schob den Teller von seinem Platz zurück, scharrte nervös mit einem Stiefel über den Holzboden und versuchte sich darüber klar zu werden, was er tun würde, wenn Elb Foraker recht hatte und Allanon und Brin tatsächlich nicht hier vorübergekommen waren.
»Hör auf damit!« knurrte Spinkser plötzlich.
Jair schaute hoch. »Womit?«
»Mit dem Fuß am Boden zu scharren. Es ist nervtötend.«
»Entschuldige.«
»Und hör auf, ein Gesicht zu machen, als hättest du deinen besten Freund verloren. Deine Schwester wird schon wieder auftauchen.«
Jair schüttelte langsam und immer noch verwirrt den Kopf. »Vielleicht.«
»Hm«, brummelte der Gnom. »Ich bin derjenige, der sich Sorgen machen müßte — nicht du. Ich weiß nicht, warum ich mich jemals von dir zu diesem Wahnsinnsunternehmen habe überreden lassen können.«
Jair stützte die Ellbogen auf den Tisch und schmiegte das Kinn in beide Hände. Aus seiner Stimme klang Entschiedenheit. »Selbst wenn Brin nicht durch Culhaven gekommen ist, selbst wenn Allanon einen anderen Weg eingeschlagen hat, wir müssen trotzdem in den Anar, Spinkser. Und wir müssen die Zwerge überreden, uns zu helfen.«
Spinkser gaffte ihn an. »Wir? Uns? Du solltest dir besser mal eine Minute Zeit lassen und über diesen Wirund-Uns-Unfug nachdenken! Ich gehe nirgendwohin außer dorthin, wo ich herkomme, ehe ich mich in dieses ganze Durcheinander verstricken lasse!«
»Du bist Fährtensucher, Spinkser«, erklärte Jair ruhig. »Ich brauche dich.«
»Dein Pech«, keifte der Gnom, dessen derbes, gelbes Gesicht plötzlich dunkel angelaufen war. »Ich bin zufällig auch Gnom, falls du das noch nicht bemerkt haben solltest! Hast du gesehen, wie sie mich da draußen angegafft haben? Hast du die Kinder gesehen, die mich bestaunt haben, als wäre ich ein wildes Tier aus dem Wald? Benutze deinen Kopf! Es herrscht Krieg zwischen Zwergen und Gnomen, und die Zwerge werden kaum etwas von dem hören wollen, was du ihnen vortragen willst, solange du darauf bestehst, mich zu deinem Verbündeten zu machen! Was ich in jedem Fall ohnehin nicht bin!«
Jair beugte sich nach vorn. »Spinkser, ich muß den Himmelsbrunnen erreichen, ehe Brin zum Maelmord gelangt. Wie soll ich das schaffen, wenn ich niemanden habe, der mich hinführt?«
»So wie ich dich kenne, findest du schon eine Möglichkeit.« Der Gnom tat das Thema ab. »Außerdem kann ich nicht dorthin zurück. Spuk hat ihnen sicher erzählt, was ich getan habe. Wenn nicht er, dann ein anderer von den Gnomen, die davongelaufen sind. Sie werden nach mir suchen. Wenn ich zurückgehe, wird irgend jemand mich wiedererkennen. Wenn ich erwischt werde, werden die Wandler...« Er verstummte mitten im Satz und warf die Hände in die Höhe. »Ich gehe nicht, und damit hat sich’s!«
Er machte sich wieder über seine Mahlzeit her und hielt den Kopf über den Teller gebeugt. Jair beobachtete ihn schweigend und fragte sich, ob er vielleicht einen Fehler beging, wenn er sich vor allem um Spinksers Hilfe bemühte; vielleicht hatte der König vom Silberfluß ihn doch nicht als seinen Verbündeten vorgesehen. Spinkser wirkte eigentlich nicht sehr wie ein Verbündeter, wenn man darüber nachdachte. Er war insgesamt zu clever, zu opportunistisch, und seine Gefolgschaftstreue wechselte so oft, wie der Wind umschlug.
Er war keiner, auf den man sich verlassen konnte, oder? Und trotz allem hatte der Gnom etwas an sich, das Jair mochte. Vielleicht war es seine Zähigkeit. Wie auch Garet Jax war Spinkser ein Überlebenskünstler, und das war genau die Sorte Weggefährte, die Jair brauchte, wenn er den unteren Anar erreichen wollte.
Er sah zu, wie der Gnom mit geräuschvollen Schlucken den Rest seines Bieres trank und sagte dann ruhig: »Ich dachte, du wolltest etwas über die Zauberei kennenlernen?«
Spinkser schüttelte den Kopf. »Nicht mehr. Ich habe alles von dir erfahren, was mich interessiert, Junge.«
Jair zog verärgert die Stirn kraus. »Ich glaube, du hast einfach Angst.«
»Glaub, was du magst. Jedenfalls gehe ich nicht mit.«
»Und was ist mit deinen Leuten? Ist dir gleichgültig, was die Mordgeister ihnen antun?«
Spinkser fuhr herum. »Dank dir habe ich keine mehr!« Dann zuckte er mit den Schultern. »Ist ja auch egal. Ich habe eigentlich keine mehr gehabt, seit ich das Ostland verlassen habe. Ich bin mir selbst meine eigenen Leute.«
»Das ist nicht wahr. Die Gnomen sind deine Leute. Schließlich warst du zurückgekehrt, um ihnen zu helfen, oder nicht?«
»Die Zeiten ändern sich. Ich bin zurückgekommen, weil es das Gescheiteste war! Und jetzt gehe ich nicht zurück, weil das jetzt das Gescheiteste ist!« Spinkser wurde wütend. »Warum gibst du es nicht einfach auf, Junge? Ich habe schon genug für dich getan. Ich fühle mich nicht verpflichtet, noch mehr zu tun. Schließlich hat der König vom Silberfluß mir keinen Silberstaub gegeben, um den Fluß zu reinigen!«
»Was für ein Glück, nicht wahr?« Jair errötete und geriet nun selbst ein wenig in Zorn. »Du wärst mir schon die richtige Hilfe, die alle fünf Minuten die Partei wechselt, wenn es mal ein bißchen haarig wird! Ich dachte, du hättest mir in den Eichen damals geholfen, weil du eine Wahl getroffen hättest! Ich glaubte, es ist dir wichtig, was aus mir wird. Nun, vielleicht habe ich mich getäuscht. Was ist dir überhaupt wichtig, Spinkser?«
Der Gnom war verblüfft. »Für mich ist wichtig, am Leben zu bleiben. Und darum solltest du dich auch kümmern, wenn du nur einen Deut Grips hättest.«
Jair erstarrte vor Empörung. Er hob sich halb von seinem Platz und stemmte die Arme auf den Tisch. »Am Leben bleiben! Na, wie genau willst du es anstellen, wenn die Mordgeister das Ostland vergiften und dann westwärts in die anderen Länder ziehen? Und genau das wird passieren, nicht wahr? Du hast es selbst gesagt! Wohin willst du dann fliehen? Noch einmal einen Frontwechsel in Erwägung ziehen — wieder so lange Gnom werden, um die Wandler zu täuschen?«
Spinkser hob die Hand und schob Jair beiseite. »Du hast ein großes Maul für einen, der so wenig vom Leben weiß. Wenn du vielleicht draußen in der Welt gewesen wärst und für dich selbst hättest sorgen müssen, anstatt dich von jemandem verhätscheln zu lassen, wärst du nicht so schnell dabei, auf andere mit dem Finger zu zeigen. Und jetzt halt den Mund!«
Jair verfiel augenblicklich in Schweigen. Er würde nichts erreichen, wenn er die Angelegenheit weitertrieb. Spinkser hatte beschlossen, ihm nicht zu helfen, also war das vorbei. Wahrscheinlich war er ohne den Gnomen ohnehin besser dran.
Die beiden warfen einander noch finstere Blicke zu, als Garet Jax ein paar Augenblicke später zurückkam. Er war alleine und trat direkt an ihren Tisch. Falls er die Spannung zwischen ihnen bemerkte, ließ er sich jedenfalls nichts anmerken. Er setzte sich neben Jair.
»Du sollst vor dem Ältestenrat erscheinen«, eröffnete er ihm ruhig.
Jair schüttelte langsam den Kopf. »Ich weiß nicht recht. Ich bezweifle, ob das richtig ist.«
Der Waffenmeister nagelte ihn mit Blicken fest. »Du hast keine Wahl.«
»Und was ist mit Brin? Und Allanon?«
»Man hat nichts von, ihnen gehört. Foraker hat es nachgeprüft, sie sind nicht in Culhaven gewesen. Niemand weiß etwas über sie.« Die grauen Augen musterten den Talbewohner eingehend. »Welche Hilfe du zu deinem Auftrag suchst, du wirst sie alleine finden müssen.«
Jair warf Spinkser einen knappen Blick zu, doch der Gnom wollte ihn nicht anschauen. Er wandte sich wieder an Garet Jax. »Wann soll ich vor den Rat treten?«
Der Waffenmeister erhob sich. »Jetzt.«
Der Ältestenrat der Zwerge war im Versammlungshaus zusammengetreten, einem großen, höhlenartigen Saal im Innern eines quadratischen Baus, in dem alle Ämter für die Regierungsangelegenheiten der Siedlung Culhaven untergebracht waren. Die zwölf Ratsmitglieder saßen hinter einem langen Tisch auf einem Podium am Ende des Saales und blickten auf die Bankreihen hinab, welche durch breite Gänge getrennt waren; sie führten zu zwei großen Doppeltüren, durch welche man den Raum betrat. Durch diese Türen führte Garet Jax Jair und Spinkser. Alles außer dem vorderen Teil des Saales war in Dunkelheit getaucht; vorne warfen Öllampen ihr hartes, gelbes Licht auf die Bühne. Die Drei, die den Raum betraten, gingen bis zum Rand des Lichtscheins und blieben dort stehen. Eine Anzahl anderer hatten Plätze auf den Bänken vor dem Podium inne und hoben und drehten die Köpfe, als sie sich näherten. Ein Dunst von Pfeifenrauch hing über den versammelten Männern, und der beißende Geruch von brennendem Tabak erfüllte die Luft.
»Tretet vor!« rief eine Stimme.
Sie gingen weiter, bis sie auf Höhe der vordersten Bankreihe standen. Jair schaute sich voller Unbehagen um. Die Gesichter, die seinen Blick erwiderten, waren nicht nur die von Zwergen. Zu seiner Rechten saßen eine Handvoll Elfen und ein halbes Dutzend Grenzleute von Callahorn weit zu seiner Linken. Foraker war ebenfalls anwesend, und sein bärtiges Gesicht wirkte mürrisch und ernst, als er sich an die gegenüberliegende Wand lehnte.
»Willkommen in Culhaven«, erklang die Stimme erneut.
Der Sprecher erhob sich von dem Tisch auf dem Podium. Es war ein graubärtiger Zwerg fortgeschrittenen Alters mit rauhem, schroffem Gesicht, dessen gebräunte Haut faltig wirkte im kalten Licht der Lampen. Er stand in der Mitte der Ratsältesten.
»Ich bin Browork, Ältester und Bürger von Culhaven und Vorsitzender dieses Rates«, stellte er sich vor. Er hob die Hand und winkte Jair heran. »Tritt vor, Talbewohner.«
Jair trat ein oder zwei Schritte auf ihn zu, blieb stehen, betrachtete die Reihe der Gesichter, die auf ihn herabblickten. Sie wirkten alle recht alt und verwittert, doch ihre Augen waren noch schnell und aufmerksam, als sie ihn musterten.
»Dein Name?« fragte ihn Browork.
»Jair Ohmsford«, erwiderte er. »Aus Shady Vale.«
Der Zwerg nickte. »Was willst du uns vortragen, Jair Ohmsford?«
Jair schaute sich um. Die Gesichter rings um ihn her warteten gespannt — Gesichter, die er nicht kannte. Sollte er ihnen offenlegen, was er wußte? Er schaute zu dem Ältesten zurück.
»Du kannst offen sprechen«, versicherte ihm Browork, der seine Sorge spürte. »Alle hier Versammelten sind vertrauenswürdig; es sind alles Anführer im Kampf gegen die Mordgeister.«
Er setzte sich wieder langsam auf seinen Platz und wartete. Jair schaute sich noch einmal um, dann holte er tief Luft und begann zu sprechen. Schritt für Schritt enthüllte er alles, was seit Allanons Ankunft in Shady Vale vor jenen vielen Nächten geschehen war. Er berichtete — vom Erscheinen des Druiden, seiner Warnung vor den Mordgeistern, wie er Brin brauchte und von ihrem gemeinsamen Aufbruch nach Osten. Er schilderte die folgende Flucht, die Abenteuer, die ihm im Hochland und in den Schwarzen Eichen widerfahren waren, seine Begegnung mit dem König vom Silberfluß und die Prophezeiung dieser legendären Person. Er brauchte einige Zeit, bis er seine Erzählung zu Ende geführt hatte. Während er sprach, lauschten die Männer schweigend. Er konnte sich nicht dazu durchringen, sie anzusehen; er fürchtete sich vor dem, was er in ihren Gesichtern lesen könnte. Statt dessen starrte er auf die Narben und Höhlungen, die Broworks verwittertes Antlitz zeichneten, und in die tiefliegenden blauen Augen, die seinen Blick fest erwiderten.
Als er schließlich fertig war, beugte sich der Zwergenälteste langsam nach vorn, faltete die rauhen Hände auf dem Tisch vor sich und blickte Jair unverwandt an.
»Vor zwanzig Jahren kämpfte ich an Allanons Seite, um die Dämonen-Horden von der Elfenstadt Arborlon zurückzuschlagen. Es war eine schreckliche Schlacht. Der junge Edain Elessedil...« Er wies mit der Hand auf einen blonden Elf, der kaum älter war als Brin. »... war zu jener Zeit noch nicht auf der Welt. Sein Großvater, der große Eventine, war damals König der Elfen. Seinerzeit ging Allanon zum letzten Mal in den Vier Ländern um. Seither wurde der Druide nicht mehr gesehen, Talbewohner. Er ist nicht nach Culhaven gekommen. Er kam auch nicht ins Ostland. Was sagst du dazu?«
Jair schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, warum er diesen Weg nicht genommen hat. Ich weiß nicht, wohin er gezogen ist. Ich weiß nur, welches Ziel er ansteuert — und meine Schwester mit ihm. Und ich weiß auch, daß er im Ostland gewesen ist.« Er drehte sich zu Spinkser um. »Dieser Jäger folgte seinen Spuren vom Maelmord westwärts bis zu meinem Haus.«
Er wartete auf eine Bestätigung, aber Spinkser schwieg.
»Allanon ist seit zwanzig Jahren von niemandem mehr gesehen worden«, wiederholte ein anderer Ratsältester rasch.
»Und niemand hat jemals mit dem König vom Silberfluß gesprochen«, warf ein dritter ein.
»Ich habe mit ihm gesprochen«, beharrte Jair. »Und ebenso mein Vater. Er half meinem Vater und einem Elfenmädchen, vor den Dämonen nach Arborlon zu fliehen.«
Browork betrachtete ihn immer noch eingehend. »Ich kenne deinen Vater, junger Mann. Er kam nach Arborlon, um den Elfen bei ihrem Kampf gegen die Dämonen beizustehen. Gerüchte besagten, er wäre der Besitzer der Elfensteine, wie du auch berichtet hast. Aber du gibst an, du hättest die Elfensteine aus eurem Haus mitgenommen und dann dem König vom Silberfluß geschenkt?«
»Im Austausch gegen Zauberkräfte, die ich brauchen konnte«, bestätigte Jair schnell. »Für einen Wunsch zu Brins Rettung. Für den Sehkristall, um sie zu finden. Und für Kraft für jene, die mir beistehen würden.«
Broworks Blick wanderte nun zu Garet Jax. Der Waffenmeister nickte. »Ich habe den Kristall gesehen, von dem er spricht. Es ist Zauberei. Er zeigte uns das Gesicht des Mädchens — das er als seine Schwester bezeichnet.«
Der als Edain Elessedil vorgestellte Elf sprang plötzlich auf. Er war groß und hellhäutig, und das blonde Haar reichte ihm bis auf die Schultern. »Mein Vater hat mir oft von Wil Ohmsford erzählt. Er hat immer betont, er sei ein ehrenwerter Mann. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Sohn von ihm etwas anderes als die Wahrheit sprechen könnte.«
»Falls er nicht Phantasie mit Wirklichkeit verwechselt«, schränkte einer vom Rat ein. »Diese Geschichte ist schwer zu schlucken.«
»Aber die Wasser des Flusses sind wirklich faul geworden«, gab ein anderer zu bedenken. »Wir wissen alle, daß die Mordgeister es irgendwie vergiften, um uns zu vernichten.«
»Wie du sagst, ist das allgemein bekannt«, gab der erste zurück. »Das beweist kaum etwas.«
Andere Stimmen wurden nun laut und stritten über die Glaubwürdigkeit von Jairs Erzählung. Browork riß mit einem Ruck den Kopf hoch.
»Ruhe, Älteste! Überlegt, was wir tun sollen!« Er wandte sich wieder an Jair. »Dein Auftrag, falls das stimmt, erfordert, daß wir dir Hilfe zuteil werden lassen. Ohne diese Hilfe kannst du es nicht schaffen, Talbewohner. Ganze Gnomenheere trennen dich von dem, was du suchst, jenem Ort, den du Himmelsbrunnen nennst. Versteh auch, daß keiner von uns jemals dort gewesen ist oder die Quelle der Wasser vom Silberfluß gesehen hat.« Er schaute sich nach Bestätigung um; Köpfe nickten, und keiner widersprach. »Um dir also zu helfen, müssen wir erst von dem überzeugt sein, was wir tun sollen. Wir müssen daran glauben. Wie sollen wir etwas glauben, von dem wir keine persönliche Kenntnis besitzen? Woher sollen wir wissen, ob du uns die Wahrheit sagst?«
»Ich würde nicht lügen«, erklärte Jair hartnäckig und errötete.
»Vielleicht nicht wissentlich«, grübelte der Älteste. »Trotzdem sind nicht alle Lügen beabsichtigt. Manchmal ist das, was wir für die Wahrheit halten, nur eine Falschheit, die uns täuscht. Vielleicht ist das hier auch der Fall. Vielleicht...«
»Vielleicht vergeuden wir genügend Zeit mit Reden darüber, bis es zu spät ist, Brin zu retten!« Jair verlor nun die Geduld. »Ich bin in nichts getäuscht worden! Was ich hier erzähle, hat sich so zugetragen!«
Die Stimmen murmelten mißbilligend, doch Browork machte sogleich Zeichen, daß man Ruhe geben sollte. »Zeig uns diesen Beutel Silberstaub, damit wir etwas Zutrauen fassen können zu dem, was du sagst«, befahl er.
Der Talbewohner starrte ihn hilflos an. »Das wird Euch nichts nutzen. Der Staub sieht aus wie gewöhnlicher Sand.«
»Sand?« Eines der Ratsmitglieder schüttelte voller Unmut den Kopf. »Wir verplempern unsere Zeit, Browork.«
»Dann laß uns wenigstens den Kristall sehen«, seufzte Browork. »Oder beweis uns auf andere Art, daß deine Erzählung der Wahrheit entspricht«, schlug ein anderer vor.
Jair fühlte, wie ihm die Chance, die Zwerge von irgend etwas zu überzeugen, zwischen den Fingern zerrann. Wenige vom Rat, wenn überhaupt welche, schenkten ihm Glauben. Sie hatten weder Allanon noch Brin zu Gesicht bekommen; keiner von ihnen hatte jemals von einem gehört, der mit dem König vom Silberfluß gesprochen hatte; wie es ihm vorkam, glaubten, sie nicht einmal an die Existenz einer solchen Person. Und jetzt erzählte er ihnen, er hätte die Elfensteine für Zauberkräfte weggegeben, die man nicht einmal sehen konnte.
»Wir vergeuden unsere Zeit«, murrte der erste Älteste noch einmal.
»Sollen andere den Talbewohner befragen, während wir mit unseren Geschäften fortfahren«, meinte ein anderer.
Wieder erhoben sich die Stimmen, und diesmal übertönten sie Broworks Bitten um Ruhe. Fast einstimmig forderten die Zwerge des Rates und im Saal, die Angelegenheit ohne weiteren Verzug zu vertagen.
»Das hätte ich dir voraussagen können«, flüsterte Spinkser ihm plötzlich von hinten zu.
Jair wurde tiefrot vor Wut. Er hatte einen zu weiten Weg und zu viele Anstrengungen hinter sich gebracht, um sich nun abwimmeln zu lassen. Gib uns Beweise, forderten sie. Damit wir glauben können.
Nun, er wußte, wie er sie dazu bringen würde!
Plötzlich trat er vor, richtete die Arme weit in die Höhe und deutete dann in die Dunkelheit des Ganges, der von seinem Standort aus nach hinten führte. Die Geste war so dramatisch, daß die Stimmen auf der Stelle verstummten, und alle Blicke sich umwandten. Dort war nichts, nichts als Finsternis...
Dann sang Jair, sang rasch und schrill das Wunschlied, und aus dem Nichts der Luft tauchte eine hohe, schwarze Gestalt in Umhang und Kapuze.
Die Gestalt war Allanon.
Alle Versammelten stöhnten auf. Schwerter und lange Messer wurden aus Scheiden gerissen, Männer sprangen von den Bänken, um sich gegen diesen Geist zu verteidigen, der aus dem Dunkel aufgetaucht war. In der Kapuze reckte sich ein dunkles, mageres Gesicht zum Licht, und sein Blick heftete sich auf die Männer des Rates. Dann verstummte Jairs Lied, und der Druide war verschwunden.
Jair wandte sich wieder zu Browork um. Der Zwerg machte große Augen. »Glaubt Ihr mir nun?« fragte der Talbewohner gelassen. »Ihr sagtet, Ihr würdet ihn kennen; Ihr behauptet, Ihr hättet mit ihm bei Arborlon gekämpft. War das der Druide?«
Browork nickte langsam. »Das war Allanon.«
»Dann wißt Ihr, daß ich ihn gesehen habe«, erklärte Jair.
Alle Versammelten wandten ihren Blick nun wieder dem Talbewohner zu und fühlten sich unbehaglich und erschreckt angesichts des Geschehenen. Jair hörte Spinkser hinter sich kichern, es war ein leises, nervöses Lachen. Aus dem Augenwinkel sah er gerade noch Garet Jax. Der Waffenmeister hatte einen neugierigen, fast überraschten Gesichtsausdruck.
»Ich habe die Wahrheit gesprochen«, versicherte Jair Browork. »Ich muß in den unteren Anar und den Himmelsbrunnen finden. Dort wird Allanon zusammen mit meiner Schwester sein. Nun entscheidet Euch — werdet Ihr mir helfen oder nicht?«
Browork schaute die Ältesten an: »Was meint ihr?«
»Ich glaube ihm«, äußerte ein alter Mann ruhig.
»Aber es könnte ein Trick sein!« meinte ein anderer. »Es könnte das Werk der Mordgeister sein!«
Jair schaute sich schnell um. Ein paar Köpfe nickten zustimmend. Im rauchigen Schein der Öllampen umwölkten Mißtrauen und Angst viele Blicke.
»Ich finde, die Gefahr ist zu groß«, gab ein anderer Ältester zu bedenken.
Browork erhob sich. »Wir sind verpflichtet, jedem Hilfe zu gewähren, der nach der Vernichtung der Mordgeister strebt«, erklärte er, und seine blauen Augen waren schnell und hart. »Dieser Talbewohner hat uns berichtet, daß er mit anderen zum gleichen Zweck in gleicher Absicht verbündet ist. Ich glaube ihm. Ich finde, wir sollten alles tun, was in unserer Macht steht, um seine Mission zu unterstützen. Ich rufe euch zur Abstimmung, Älteste. Hebt die Hand, wenn ihr meinen Antrag befürwortet.«
Browork reckte die Hand weit in die Höhe. Ein weiteres halbes Dutzend Ratsmitglieder tat es ihm nach. Doch die Gegenstimmen ließen sich nicht so leicht zum Schweigen bringen.
»Das ist Wahnsinn!« rief einer. »Wer soll sie begleiten? Sollen wir Männer vom Dorf abkommandieren, Browork? Wer soll denn mit auf diese Suche, der du so unbedacht deinen Segen gegeben hast? Ich verlange Freiwillige, wenn es schon sein muß!«
Das Stimmengewirr murmelte zustimmend, Browork nickte. »So soll es sein.« Er sah sich schweigend in dem Saal um, sein Blick wanderte von einem Gesicht zum nächsten, suchend, wartend, daß einer die Herausforderung annähme.
»Ich werde mitgehen.«
Jair schaute sich langsam um. Garet Jax war einen einzigen Schritt nach vorn getreten, und seine grauen Augen wirkten ausdruckslos, als er sich dem Rat stellte.
»Der König vom Silberfluß hat dem Talbewohner versprochen, daß ich sein Beschützer sein würde«, sagte er leise. »Nun gut. Das Versprechen soll eingelöst werden.«
Browork nickte und schaute sich dann noch einmal im Raum um. »Wer von euch wird noch mitgehen?« fragte er.
Elb Foraker stemmte sich von der Wand ab, an der er gelehnt hatte, und kam herüber zu seinem Freund. Wieder ließ Browork den Blick über die Versammlung schweifen. Einen Augenblick später rührte sich jemand bei den Männern von Callahorn. Ein riesenhafter Grenzbewohner erhob sich; er hatte schwarzes Haar, und ein kurzgeschorener Bart umrahmte sein langes, eigentümlich sanftes Gesicht.
»Ich werde mitkommen«, brummte er und stellte sich zu den anderen.
Jair trat unwillkürlich einen Schritt zurück. Der Grenzbewohner war fast so ein Hüne wie Allanon.
»Halt«, sprach Browork ihn an. »Die Männer von Callahorn müssen diese Aufgabe nicht zu der ihren machen.«
Der große Mann zuckte mit den Schultern. »Wir kämpfen gegen denselben Feind, Ältester. Die Aufgabe reizt mich, und ich möchte dabeisein.«
Dann plötzlich stand Edain Elessedil auf. »Ich möchte auch mitgehen, Ältester.«
Browork zog die Stirn kraus. »Ihr seid ein Elfenprinz, junger Edain. Ihr seid mit den Elfen-Jägern hier, um Schulden zu begleichen, die nach Ansicht Eures Vaters aus der Zeit stammen, da die Zwerge in Arborlon an seiner Seite kämpften. Schön und gut. Doch ihr treibt die Höhe der Schuld zu hoch. Euer Vater würde das nicht gutheißen. Überlegt es Euch noch einmal.«
Der Elfenprinz lächelte. »Es gibt nichts mehr zu bedenken, Browork. Die Schuld besteht in diesem Falle nicht gegenüber den Zwergen, sondern gegenüber dem Talbewohner und seinem Vater. Vor zwanzig Jahren ging Wil Ohmsford mit einer Elfen-Erwählten auf die Suche nach einem Glücksbringer, der die Dämonen vernichten sollte, die sich aus der Verfemung befreit hatten. Er setzte für meinen Vater und für mein Volk sein Leben aufs Spiel. Nun habe ich die Gelegenheit, für Wil Ohmsford das gleiche zu tun — seinen Sohn zu begleiten und dafür zu sorgen, daß er findet, was er sucht. Ich bin so fähig wie jeder andere Mann hier und möchte mitgehen.«
Noch immer runzelte Browork die Stirn. Garet Jax schaute zu Foraker. Der Zwerg zuckte nur mit den Schultern. Der Waffenmeister sah einen Augenblick zu dem Elfenprinzen hinüber, als wollte er die Ernsthaftigkeit seines Engagements oder vielleicht auch nur seine Chance zu überleben ermessen, und nickte dann langsam.
»Nun gut«, willigte Browork ein. »Also fünf.«
»Sechs«, erklärte Garet Jax gelassen. »Genau ein halbes Dutzend, damit es Glück bringt.«
Browork schaute verwundert drein. »Wer ist der sechste?«
Garet Jax drehte sich langsam um und deutete auf Spinkser. »Der Gnom.«
»Was?« Spinkser fiel das Kinn herab. »Ihr könnt nicht über mich bestimmen!«
»Das habe ich bereits getan«, erwiderte der andere. »Ihr seid der einzige hier, der schon an dem Ort war, der sein Ziel ist. Ihr kennt den Weg, Gnom, und Ihr werdet ihn uns zeigen.«
»Nichts werde ich euch zeigen!« Spinkser war bleich, sein Gesicht von Wut verzerrt. »Dieser Junge... dieser Teufel... er hat Euch dazu gebracht! Na, Ihr habt keine Macht über mich! Ich werde euch alle den Wölfen vorwerfen, wenn Ihr mich zum Mitgehen zwingt!«
Garet Jax trat auf ihn zu, seine schrecklichen, grauen Augen waren kalt wie Eis. »Das wäre höchst unangenehm für Euch, Gnom, denn bei Euch wären die Wölfe zuerst. Nehmt Euch einen Augenblick Zeit und denkt darüber nach.«
In der Versammlung kehrte Totenstille ein. Waffenmeister und Gnom standen einander reglos Auge in Auge gegenüber. In den Augen des Mannes in Schwarz stand der Tod; in Spinksers Augen Zögern. Doch der Gnom wich nicht zurück. Er blieb an Ort und Stelle stehen, kochte vor Zorn und saß in der Falle, die er selbst geschmiedet hatte. Langsam wanderte sein Blick zu Jair und in diesem Augenblick empfand der Talbewohner unwillkürlich Mitleid für den Gnomen.
Spinksers Nicken war kaum wahrzunehmen. »Wie es scheint, habe ich keine Wahl«, murmelte er. »Ich bringe euch hin.«
Garet Jax drehte sich wieder zu Browork um. »Sechs.«
Der Zwergenälteste zögerte und seufzte dann resignierend. »Also sechs«, verkündete er leise. »Das Glück stehe euch bei.«