39 Begegnungen in Samara

Die Weißmäntel am Tor beachteten Uno und Nynaeve genausowenig wie die anderen im stetigen Strom der Menschen und warfen ihnen lediglich einen mißtrauischen Blick zu, forschend und schnell. Mehr war bei so vielen Menschen einfach nicht möglich, und wahrscheinlich hielten es die Stadtwachen genauso. Natürlich gab es auch keinen Grund für erhöhte Aufmerksamkeit — höchstens in ihren Gedanken. Ihr Großer Schlangenring und Lans schwerer Goldring ruhten in ihrer Gürteltasche, denn der tiefe Ausschnitt des Kleids ließ nicht zu, sie an der üblichen Lederschnur zu tragen. Doch irgendwie erwartete sie fast, Kinder des Lichts könnten eine in der Burg ausgebildete Frau instinktiv erkennen. Ihre Erleichterung war riesengroß, als diese eisigen, gefühllosen Blicke weiterwanderten.

Auch die Soldaten schenkten den beiden keine weitere Aufmerksamkeit — sobald sie ihren Schal wieder hochgezogen hatte. Unos finstere Miene hatte vielleicht auch geholfen, ihre Blicke wieder zu den Weißmänteln abzulenken, aber dieser Kerl hatte überhaupt kein Recht dazu, so finster dreinzublicken. Das war allein ihre Sache.

So zog sie den langen grauen Wollschal noch einmal richtig zurecht und verknotete die Enden an ihrer Hüfte. Trotzdem betonte der Schal ihren Busen mehr, als ihr lieb war, und ein wenig Brustansatz war auch so noch zu sehen, doch war das gegenüber vorher schon ein großer Fortschritt. Wenigstens mußte sie sich jetzt keine Gedanken mehr darüber machen, daß der Schal wieder verrutschen könnte. Wenn das Ding nur nicht so heiß wäre. Es wurde höchste Zeit für einen Wetterumschwung. Schließlich befanden sie sich ja nicht allzu weit südlich der Zwei Flüsse.

Zur Abwechslung wartete Uno geduldig auf sie. Sie hatte ihre Zweifel daran, daß er es aus schlichter Höflichkeit tat, denn irgendwie schien sein Gesicht zu geduldig, aber schließlich schritten sie nebeneinander nach Samara hinein. Ins Chaos.

Der Lärm lag wie ein dichter Vorhang über allem, so daß sie kein einzelnes Geräusch heraushören konnte. Menschen verstopften die grobgepflasterten Straßen. Sie drängten sich fast Schulter an Schulter, von den ziegelgedeckten Tavernen zu den Ställen mit ihren Strohdächern, von lärmerfüllten Schenken mit einfachen gemalten Schildern wie ›Der blaue Stier‹ oder ›Die tanzende Gans‹ bis zu Läden, auf deren Schildern nicht einmal Namen standen, sondern nur hier ein Messer und eine Schere abgebildet waren, dort ein Ballen Tuch, die Feinwaage eines Goldschmieds oder das Rasiermesser eines Barbiers, ein Topf oder eine Lampe oder ein Stiefel. Nynaeve sah hellhäutige Gesichter wie bei den Menschen aus Andor, aber auch dunkelhäutige wie die der Meerleute, saubere oder schmutzige, Mäntel mit hohen Krägen und schmalen oder ganz ohne, unauffällige Farben und bunte, einfache Kleidung und bestickte, schäbig oder neu, und Moderichtungen, die ihr höchstens zur Hälfte bekannt waren. Ein Bursche mit einem dunklen, geteilten Vollbart hatte auf der Brust seines einfachen blauen Mantels silberne Ketten befestigt, zwei hatten das Haar zu Zöpfen geflochten — Männer mit einem schwarzen Zopf auf jeder Seite, der ihnen über das Ohr bis auf die Schultern herunterhing, und dazu hatten sie winzige Messingglöckchen auf die roten Mantelärmel und auf die umgeschlagenen Stulpen ihrer schenkelhohen Stiefel genäht. Aus welchem Land sie auch kommen mochten, diese beiden waren gewiß keine Narren. Ihre dunklen Augen waren hart und selbstsicher wie die Unos, und auf dem Rücken trugen sie gekrümmte Schwerter. Ein Mann mit bloßem Oberkörper, auf dem er eine leuchtend gelbe Schärpe trug, mit einer Haut von einem tieferen Braun als dem von lange abgelagertem Holz und komplizierten Tätowierungen auf beiden Händen, mußte wohl dem Meervolk angehören, obwohl er weder Ohrringe noch einen Nasenring trug.

Auch die Frauen unterschieden sich auf vielfältigste Weise, Haare von rabenschwarz bis zu einem so blassen Blond, daß es fast schon weiß war, zu Zöpfen geflochten oder mit einem Band zusammengerafft oder frei hängend, kurzgeschnitten, schulterlang, hüftlang, Kleider aus abgewetzter Wolle oder säuberlich geplättetem Leinen oder aus schimmernder Seide, Halskrausen, die mit ihren Spitzenbesätzen das Kinn streiften, oder Stickereien, oder Ausschnitte, die genauso tief waren wie ihrer. Sie sah sogar eine Domanifrau mit kupferfarbenem Teint, die ein beinahe durchsichtiges rotes, langes Abendkleid trug, das fast nichts verbarg! Sie fragte sich, wie sicher diese Frau nach Einbruch der Dunkelheit wohl noch sei. Oder selbst jetzt im hellen Tageslicht.

Die wenigen Weißmäntel oder Soldaten gingen in dieser brodelnden Menschenmasse unter und mußten sich genauso durchkämpfen wie jeder andere. Ochsenkarren und von Pferden gezogene Wagen schoben sich im Schneckentempo durch das völlig systemlose Straßennetz, Träger schaukelten Sänften durch die Menge, und hier und da rumpelte eine buntlackierte Kutsche mit einem Viereroder Sechsergespann mit Federn geschmückter Pferde mühsam einher. Die livrierten Lakaien und Wächter mit Eisenhauben bemühten sich vergeblich, den Weg dafür freizumachen. Musikanten mit Flöte, Zither oder Hackbrett spielten an jeder Ecke auf, falls dort nicht schon ein Jongleur oder Akrobat seine Künste zeigte. Die waren allerdings nicht gut genug, Thom oder den Chavanas Sorgenfalten zu bereiten. Und immer stand ein weiterer Mann oder eine Frau mit einer Mütze bereit, um Münzen einzusammeln. Zerlumpte Bettler waren überall zu sehen, zupften die Leute an den Ärmeln und hielten schmutzige Hände bittend auf, und Straßenhändler eilten geschäftig mit ihren Bauchläden durch die Menge und boten alles an, von Nadeln bis zu Bändern oder auch Obst. Ihre Rufe verloren sich im allgemeinen Lärm.

In ihrem Kopf vermischte sich alles zu einem einzigen Wirbel, bis Uno sie in eine engere Straße zog, wo der Betrieb im Vergleich etwas geringer schien. Sie blieb kurz stehen, um ihre Kleidung zu richten, nachdem sie sich durch die Menge hatte quetschen müssen, und folgte ihm dann weiter. Es war hier auch ein wenig leiser. Keine Straßenmusikanten oder Akrobaten und weniger Händler und Bettler. Die Bettler machten einen Bogen um Uno, selbst dann noch, als er einer mißtrauischen Gruppe von Straßenjungen ein paar Kupfermünzen zugeworfen hatte.

Sie konnte die Bettler verstehen. Der Mann wirkte nicht sehr... mildtätig.

Die Gebäude in dieser Stadt ragten hoch über die engen Gassen auf, obwohl sie meist nur zwei oder drei Stockwerke aufwiesen, so daß die Straßen ganz im Schatten lagen. Doch der Himmel war hell und bis zur Dämmerung waren noch ein paar Stunden Zeit. Also genügend Zeit, um zur Truppe zurückzukehren. Falls es notwendig war. Mit etwas Glück könnten sie sich alle schon bei Sonnenuntergang auf ein Flußschiff begeben.

Sie fuhr zusammen, als sich plötzlich ein anderer Schienarer ihnen anschloß, das Schwert auf dem Rücken und das Haar bis auf die übliche Skalplocke geschoren. Es war ein dunkelhaariger Mann, nur wenige Jahre älter als sie. Uno stellte ihn kurz vor und erklärte ihm die Lage, ohne im Schritt innezuhalten.

»Der Friede sei Euch hold, Nynaeve«, sagte Ragan. Er hatte ein Grübchen auf einer dunklen Wange, und fast genau in der Mitte befand sich eine kleine, dreieckige Narbe. Obwohl er lächelte, machte sein Gesicht einen harten Eindruck. Sie hatte allerdings noch nie einen weichen und sanften Schienarer kennengelernt. Weiche Männer überlebten nicht lang an der Grenze zur Fäule, weiche Frauen aber auch nicht. »Ich erinnere mich an Euch. Euer Haar war damals anders, nicht wahr? Spielt keine Rolle. Habt keine Angst. Wir bringen Euch sicher zu Masema und wohin Ihr auch danach wollt. Achtet nur darauf, ihm gegenüber Tar Valon nicht zu erwähnen.« Niemand beachtete sie sonderlich, doch er senkte die Stimme sicherheitshalber. »Masema glaubt, die Burg wird versuchen, den Lord Drachen zu gängeln.«

Nynaeve schüttelte den Kopf. Noch so ein törichter Mann, der sie gleich unter die Fittiche nehmen wollte. Wenigstens versuchte er nicht, sie in eine langwierige Unterhaltung hineinzuziehen. Bei ihrer Laune hätte sie ihm einiges an den Kopf geworfen, und wenn er nur über das Wetter hätte sprechen wollen. Ihr Gesicht war feucht, was ja kein Wunder war, wenn sie bei diesem Wetter einen Schal tragen mußte. Mit einemmal dachte sie daran, was der Einäugige ihr von Ragans Ansicht über ihr Mundwerk erzählt hatte. Sie glaubte nicht, ihm mehr als einen Blick zugeworfen zu haben, doch Ragan ging plötzlich neben Uno, als suche er dort Schutz, und nun beobachtete er sie mißtrauisch. Männer!

Die Straßen wurden noch enger, und obwohl die Steingebäude an den Straßenrändern nicht kleiner wurden, sahen sie immer häufiger deren Rückseiten und grobe graue Mauern, hinter denen sich höchstens winzige Gärten verbergen konnten. Schließlich bogen sie in eine Gasse ein, die kaum breit genug war, daß alle drei nebeneinander gehen konnten. Am hinteren Ende stand eine lackierte und vergoldete Kutsche, die von bewaffneten Männern umstellt war. Etwas näher, auf halbem Weg zwischen ihnen und der Kutsche, lungerten eine ganze Menge Kerle zu beiden Seiten der Gasse herum. Sie trugen die unterschiedlichsten Mäntel, und die meisten hielten Knüppel, Speere oder Schwerter, die genauso zusammengewürfelt waren wie ihre Bekleidung. Es mochte sich um eine Bande von Straßenschlägern handeln, aber keiner der Schienarer verlangsamte seinen Schritt, und so ging auch sie weiter, als sei nichts.

»Die Straße vorn herum wird voll sein von verdammten Narren, die versuchen, einen Blick auf Masema an einem verdammten Fenster zu erhaschen.« Unos Stimme war so leise, daß nur sie die Worte hören konnte. »Der einzige Weg hinein ist durch den Hintereingang.« Er schwieg, als sie den wartenden Männern so nahe kamen, daß die sie verstehen konnten.

Zwei davon waren Soldaten mit geränderten Helmen und Schuppenhemden, Schwerter an den Hüften und Speere in den Händen, doch gerade die anderen musterten die drei Ankömmlinge besonders eingehend und griffen nach ihren Waffen. Ihre Augen hatten einen beunruhigenden Ausdruck, zu eindringlich und fast fieberhaft. Ausnahmsweise einmal wäre ihr lieber gewesen, mit offener Lust angestarrt zu werden. Diesen Männern hier war es gleich, ob sie eine Frau war oder ein Pferd.

Wortlos schnallten Uno und Ragan ihre Schwerter mitsamt den Scheiden ab und händigten sie und ihre Dolche dazu einem Mann mit dickem Gesicht aus, der aussah, als sei er früher einmal Ladeninhaber gewesen, jedenfalls dem guten blauen Wollmantel und den Hosen nach. Die Kleidung war von wirklicher Qualität; sie war sauber, wenn auch stark abgenützt und verknittert, als habe er einen Monat lang darin geschlafen. Er erkannte die Schienarer, und obwohl er sie einen Moment lang mit gerunzelter Stirn anblickte — besonders das kleine Messer an ihrem Gürtel —, nickte er schweigend in Richtung einer schmalen Holztür in der Mauer. Das war vielleicht das Beunruhigendste überhaupt, daß keiner von ihnen einen Laut von sich gab.

Auf der anderen Seite der Mauer befand sich ein kleiner Hof, in dem Unkraut zwischen Pflastersteinen wuchs. Das hohe Steingebäude mit drei breit angelegten, hellgrauen Stockwerken, breiten Fenstern und friesgeschmückten Söllern und Giebeln und seinem roten Ziegeldach war bestimmt eines der feinsten in Samara. Sobald sich die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, sagte Ragan leise: »Es hat Anschläge auf das Leben des Propheten gegeben.«

Nynaeve brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, daß er erklärte, warum man ihnen die Waffen abgenommen hatte. »Aber Ihr seid seine Freunde«, widersprach sie. »Ihr seid alle Rand nach Falme gefolgt.« Sie würde nicht damit anfangen, ihn als Lord Drachen zu bezeichnen.

»Das ist der Grund, warum man uns verdammt noch mal überhaupt eingelassen hat«, sagte Uno trocken. »Ich sagte Euch ja, daß wir die Dinge... nicht ganz so sehen wie der Prophet.« Die kurze Pause und der schnelle Blick zurück zur Tür, um festzustellen, ob jemand lauschte, sprachen Bände. Vorher hatte er immer nur von Masema gesprochen. Und Uno war ganz bestimmt ein Mann, der nicht so einfach zurücksteckte.

»Nehmt Euch nur ausnahmsweise zusammen in bezug auf das, was Ihr sagt«, riet ihr Ragan, »und wahrscheinlich bekommt Ihr die Hilfe, die Ihr wünscht.« Sie nickte so verständnisvoll wie nur möglich, denn sie konnte wohl einen vernünftigen Rat von einem sinnlosen unterscheiden — auch wenn er kein Recht dazu hatte, ihr einen solchen zu erteilen —, und er tauschte einen zweifelnden Blick mit Uno. Sie würde diese beiden mit Thom und Juilin zusammen in einen Sack stecken und auf alles einprügeln, was herausragte.

So fein das Haus auch sein mochte, die Küche war jedenfalls verstaubt und leer bis auf eine knochige, grauhaarige Frau, deren tristgraues Kleid und weiße Schürze die einzigen sauberen Dinge in Sichtweite waren, als sie durch den Raum gingen. Die alte Frau lutschte an ihren Zähnen und blickte kaum auf, während sie in einem kleinen Suppentopf rührte, der in einer runden Feuerkuhle auf einem der großen, gemauerten Herde ruhte. Zwei zerbeulte Töpfe hingen an Haken, wo zwanzig Platz hatten, und auf dem breiten Tisch stand eine gesprungene Tonschüssel auf einem blau lackierten Tablett.

Außerhalb der Küche hingen einigermaßen gute Gobelins an den Wänden. Nynaeve hatte während des vergangenen Jahres so etwas einschätzen gelernt, und diese Fest- und Jagdszenen, auf denen Hirsche und Bären und Keiler gehetzt wurden, waren von guter, aber nicht ausgezeichneter Qualität. In den Fluren standen Stühle und kleine Tische und Kommoden an den Wänden, dunkle Lackarbeiten mit roter Maserung, mit Perlmutter eingelegt. Wandbehänge wie Möbelstücke waren ebenfalls verstaubt, und auch der rot und weiß geflieste Fußboden hatte kaum einen Besen gesehen. In den Ecken und den Nischen an der hochgelegten Stuckdecke hingen Spinnweben.

Es waren keine anderen dienstbaren Geister zu sehen —überhaupt niemand —, bis sie einen drahtigen Burschen zu Gesicht bekamen, der auf dem Fußboden neben einer Tür saß. Sein schmuddeliger roter Seidenmantel war viel zu groß und paßte überhaupt nicht zu dem schmutzigen Hemd und der abgetragenen wollenen Hose. Der eine der rissigen Stiefel hatte ein großes Loch in der Sohle, und aus dem anderen lugte ein Zeh heraus. Er hob eine Hand und flüsterte: »Das Licht leuchte Euch und segne den Namen des Wiedergeborenen Drachen?« Bei ihm klang es wie eine Frage, und so verzog er auch sein schmales, ebenfalls schmutziges Gesicht fragend; aber schnell merkte sie, daß bei ihm wohl alles so wirkte. »Der Prophet kann jetzt nicht gestört werden? Er ist beschäftigt? Ihr müßt ein wenig warten?« Uno nickte geduldig, und Ragan lehnte sich an die Wand. Sie hatten das schon öfter mitgemacht.

Nynaeve wußte selbst nicht, was sie vom Propheten erwartet hatte, noch nicht einmal jetzt, da sie wußte, wer er war — aber Schmutz hatte sie nicht erwartet. Diese Suppe hatte einen Geruch nach Kohl und Kartoffeln verbreitet —auch kaum die Art von Speisen, die man bei einem Mann vermutete, nach dessen Pfeife die ganze Stadt tanzte. Und dann nur zwei Dienstboten, und beide kamen möglicherweise aus den schlimmsten Behausungen außerhalb der Stadt.

Der knochige Wächter, falls er überhaupt einer war —denn er war unbewaffnet und genoß vielleicht genausowenig Vertrauen wie sie —, schien nichts dagegen zu haben, wenn sie sich so stellte, daß sie durch die geöffnete Tür blicken konnte. Der Mann und die Frau dort drinnen hätten nicht unterschiedlicher sein können. Masema hatte sogar die Skalplocke abrasiert, trug einen Mantel aus einfacher brauner Wolle, ziemlich zerknittert, aber sauber, und nur die kniehohen Stiefel waren abgestoßen. Die tiefliegenden Augen verwandelten seinen normalerweise schon säuerlichen Gesichtsausdruck in eine wahrhaft finstere Miene, und auf einer dunklen Wange war das blasse Dreieck einer Narbe zu sehen, beinahe ein Spiegelbild von Ragans Narbe, nur vom Alter stärker verblaßt und ein klein wenig näher am Auge. Die Frau trug elegante, goldgesäumte blaue Seide, war beinahe schon von mittleren Jahren und sehr hübsch, obwohl ihre Nase vielleicht eine Idee zu lang war, als daß man sie hätte schön nennen können. Ein einfaches blaues Netz hielt dunkles Haar zusammen, das ihr fast bis an die Hüften reichte, dazu hatte sie eine breite goldene Halskette angelegt, mit Feuerfunken besetzt, genau zum Armreif passend, und Ringe mit Edelsteinen schmückten nahezu alle Finger. Während Masema auf dem Sprung zu sein schien, mit gefletschten Zähnen auf jemanden loszugehen, zeigte sie würdige Zurückhaltung und Grazie.

»... so viele folgen Euch, wo immer Ihr hingeht«, sagte sie gerade, »daß Gesetz und Ordnung futsch sind, sobald Ihr ankommt. Die Menschen und ihr Eigentum sind nicht sicher... «

»Der Lord Drache hat alle Bindungen an Gesetze gelöst, alle, die von sterblichen Männern und Frauen geschaffen wurden.« Masema klang hitzig, aber auf eindringliche Art und nicht etwa zornig. »Die Prophezeiungen sagen aus, daß der Lord Drache alle Ketten sprengen wird, die uns binden, und so ist es. Die Ausstrahlung des Lord Drachen wird uns vor dem Schatten beschützen.«

»Hier ist nicht der Schatten die Bedrohung, sondern Straßenräuber und Taschendiebe und Schläger. Einige, ja viele derer, die Euch nachfolgen, glauben, sie könnten jedem alles abnehmen, was sie haben wollen, ohne dafür zu bezahlen, und dann einfach gehen.«

»Im Leben nach dem Tod, wenn wir wiedergeboren werden, finden wir Gerechtigkeit. Sich mit den Dingen dieser Welt zu beschäftigen ist nutzlos. Aber gut. Wenn Ihr irdische Gerechtigkeit wünscht« — dabei verzog er verächtlich den Mund —, »dann laßt folgendes gelten: Wenn künftig ein Mann beim Stehlen erwischt wird, hackt man ihm die rechte Hand ab. Ein Mann, der eine Frau belästigt oder ihre Ehre beschneidet oder einen Mord begeht, wird aufgehängt. Eine Frau, die stiehlt oder mordet, wird ausgepeitscht. Falls sich ein Ankläger findet und er zwölf überzeugt, seiner Anklage zuzustimmen, wird es künftig so gehalten. Das soll von nun an gelten.«

»Wie Ihr wollt; selbstverständlich«, murrte die Frau. Edel und distanziert wirkte ihr Gesicht, aber sie hörte sich erschüttert an. Nynaeve wußte nichts von den in Ghealdan geltenden Gesetzen, aber sie glaubte nicht, daß man darin mit Menschenleben derart leichtfertig umging. Die Frau atmete tief durch. »Dann ist da noch die Angelegenheit mit den Lebensmitteln. Es wird immer schwieriger, so viele Menschen durchzufüttern.«

»Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind, das zum Lord Drachen gekommen ist, hat ein Recht auf einen vollen Bauch. So muß es sein. Wo man Gold findet, muß man auch Lebensmittel finden, und es gibt zuviel Gold auf der Welt. Zuviel geschieht des Goldes wegen.« Masema wandte zornig den Kopf. Er war nicht zornig auf sie, nur ganz allgemein. Es schien, als suche er auf allen Seiten nach denen, denen das Gold so wichtig war, damit er seinen ganzen Zorn auf sie entladen konnte. »Der Lord Drache wurde wiedergeboren. Der Schatten dräut über der Welt, und nur der Lord Drache kann uns erretten. Nur der Glaube an den Lord Drachen, Unterwerfung und Gehorsam seinem Wort gegenüber. Alles andere ist sinnlos, auch dort, wo es keine Blasphemie ist.«

»Gesegnet sei der Name des Lord Drachen unter dem Licht.« Es hörte sich sehr eingelernt an. »Es ist nicht mehr einfach eine Angelegenheit des Goldes, Lord Prophet.

Lebensmittel in genügenden Mengen aufzutreiben und herzuschaffen, ist... «

»Ich bin kein Lord«, unterbrach er sie wieder, und diesmal war er wirklich verärgert. Er beugte sich zu der Frau hin, Speichel an den Lippen, und obwohl sich ihr Gesichtsausdruck nicht änderte, zuckten doch ihre Hände, als hätte sie sie gern in ihren Rock verkrampft. »Es gibt keinen Lord außer dem Lord Drachen, in dem das Licht wohnt, und ich bin nur eine demütige Stimme des Lord Drachen. Denkt daran! Hochgestellt oder niedrigen Bluts, wer Blasphemie begeht, wird der Säuberung zum Opfer fallen!«

»Vergebt mir«, murmelte die so auffallend geschmückte Frau. Sie spreizte den Rock und knickste so tief, wie es an den Hof einer Königin gepaßt hätte. »Es ist selbstverständlich so, wie Ihr es gesagt habt. Es gibt keinen Lord außer dem Lord Drachen, und ich bin nur eine demütige Dienerin des Lord Drachen — gesegnet sei sein Name —, die gekommen ist, um die Weisheit und die Führung des Propheten zu suchen.«

Masema wischte sich mit dem Handrücken über den Mund und war plötzlich ganz kalt. »Ihr tragt zuviel Gold. Laßt Euch nicht von irdischen Besitztümern verführen. Gold ist Unrat. Der Lord Drache ist alles.«

Sofort begann sie damit, die Ringe von ihren Fingern zu ziehen, und bevor noch der zweite weg war, eilte auch schon der magere Bursche von draußen an ihre Seite, zog einen Beutel aus seiner Manteltasche, öffnete ihn und hielt ihn ihr hin, damit sie die Ringe hineinfallen ließ. Auch die Halskette und der Armreif folgten.

Nynaeve sah Uno an und zog eine Augenbraue hoch.

»Jeder Pfennig geht an die Armen«, sagte er ihr mit so leiser Stimme, daß sie kaum etwas verstehen konnte, »oder an jemand Bedürftigen. Wenn nicht irgendeine Händlerin ihm ihr Haus zur Verfügung gestellt hätte, dann säße er in einem verdammten Stall oder in einer dieser verfluchten Hütten außerhalb der Stadt.«

»Selbst sein Essen ist ein Geschenk«, sagte Ragan genauso leise. »Sie haben ihm ursprünglich Speisen gebracht, die auch einem König gemundet hätten, doch dann fanden sie heraus, daß er alles wegschenkte bis auf ein wenig Brot, Suppe oder Eintopf. Er trinkt auch kaum noch Wein.«

Nynaeve schüttelte den Kopf. Nun, das war natürlich schon ein Weg, um Geld für die Armen zu bekommen. Man mußte es einfach denen rauben, die nicht arm waren. Natürlich war dann irgendwann einmal jeder arm, aber für eine Weile konnte es schon gutgehen. Sie fragte sich, ob Uno und Ragan wirklich über alles Bescheid wußten. Leute, die behaupteten, für andere Geld zu sammeln, steckten gewöhnlich eine hübsche Menge davon in die eigene Tasche; oder sie genossen viel zu sehr die Macht, die ihnen dieses Geld über andere verlieh, denen sie es geben oder enthalten konnten, wie sie wollten. Ihr gefiel ein Mann besser, der auch nur einen Kupferpfennig aus der eigenen Tasche gab, als einer, der eine Goldkrone hergab, die er wiederum einem anderen abgenommen hatte. Und von diesen Narren hielt sie überhaupt nichts, die ihre Höfe und Läden aufgegeben hatten, um diesem... diesem Propheten zu folgen, ohne eine Ahnung zu haben, woher sie ihre nächste Mahlzeit bekommen würden.

Drinnen im Zimmer knickste die Frau noch einmal und noch tiefer als vorher vor Masema, breitete ihren Rock weit aus und beugte das Haupt. »Bis man mir wieder die Ehre erweist, die Worte und den Ratschlag des Propheten zu empfangen. Der Name des Lord Drachen möge vom Licht gesegnet sein.«

Masema winkte sie geistesabwesend weg und hatte sie wohl schon halb vergessen. Er hatte die Gruppe im Flur entdeckt und blickte ihnen mit soviel Freude entgegen, wie sein saures Gesicht nur ausdrücken konnte. Viel war es nicht. Die Frau rauschte hinaus und schien Nynaeve und die beiden Männer gar nicht zu bemerken. Nynaeve schnaubte, als der magere Bursche im roten Mantel ängstlich winkte, sie sollten eintreten. Für jemanden, der gerade seinen ganzen Schmuck auf Verlangen hergegeben hatte, gab sich die Frau noch immer reichlich hoheitsvoll.

Der Magere huschte an seinen Platz neben der Tür zurück, als die anderen drei Männer sich nach dem Brauch der Grenzlande die Hände schüttelten, wobei sie sich am Unterarm faßten.

»Der Friede sei deinem Schwert gnädig«, sagte Uno, und Ragan tat es ihm nach.

»Der Friede sei dem Lord Drachen gnädig«, war die Antwort, »und sein Licht erleuchte uns alle.« Nynaeve stockte der Atem. Es gab keinen Zweifel daran, was er damit sagen wollte: Der Lord Drache sei die Quelle des Lichts. Und er besaß die Frechheit, vor anderen von Blasphemie zu sprechen! »Habt ihr endlich zum Licht gefunden?«

»Wir wandeln im Licht«, sagte Ragan vorsichtig. »Wie immer.« Uno schwieg und machte eine nichtssagende Miene.

Geduld und Erschöpfung spielten in seltsamem Einklang über Masemas Züge. »Es gibt keinen anderen Weg zum Licht als durch den Lord Drachen. Ihr werdet den Weg und die Wahrheit am Ende auch erkennen, denn ihr habt den Lord Drachen gesehen, und nur jene, deren Seelen vom Schatten verschlungen werden, können sehen und dennoch nicht zum Glauben finden. Ihr gehört nicht zu ihnen. Ihr werdet den Glauben finden.«

Trotz Hitze und trotz des Wollschals bekam Nynaeve eine Gänsehaut auf den Armen. Vollkommene Überzeugung lag in der Stimme des Mannes, und aus der Nähe bemerkte sie nun auch ein Glimmen in seinen beinahe schwarzen Augen, das schon dem Wahnsinn sehr nahe zu kommen schien. Sein Blick glitt über sie hinweg, und sie mußte ihre Beinmuskulatur anspannen, damit ihre Knie nicht zitterten. Gegen ihn wirkte der wildeste Weißmantel, den sie je gesehen hatte, noch lieb und friedlich. Diese Burschen in der Gasse waren nur ein schwacher Abklatsch ihres Meisters.

»Ihr da, Frau. Seid Ihr bereit, das Licht des Lord Drachen zu empfangen und dafür Sünde und Fleischeslust zu lassen?«

»Ich wandle im Licht, so gut ich kann.« Sie ärgerte sich selbst darüber, daß sie genauso vorsichtig antwortete wie Ragan. Sünde? Was glaubte er denn, wer er sei?

»Euch ist die Fleischeslust zu wichtig.« Masemas Blick war vernichtend, als er über ihr rotes Kleid und den eng um sie gewickelten Schal glitt.

»Und was soll das wieder heißen?« Uno riß überrascht die Augen auf, und Ragan gab mit den Handflächen nach unten beruhigende Signale, aber sie war nun nicht mehr aufzuhalten. »Glaubt Ihr etwa, Ihr hättet ein Recht dazu, mir vorzuschreiben, wie ich mich anziehen soll?« Bevor ihr selbst bewußt wurde, was sie tat, hatte sie schon den Schal aufgeknotet und über ihre Ellbogen heruntergleiten lassen. Es war ja nun wirklich viel zu heiß. »Kein Mann hat ein Recht dazu, weder gegenüber mir noch einer anderen Frau! Und wenn es mir paßte, nackt herumzulaufen, ginge das Euch nichts an!«

Masema betrachtete einen Moment lang ihren Busen, wobei allerdings keine Spur von Bewunderung in seinem Blick aus tiefliegenden Augen lag, sondern nur ätzende Verachtung, und dann blickte er ihr direkt ins Gesicht. Unos echtes Auge und das aufgemalte paßten perfekt zusammen, so finster blickten beide drein, und Ragan zog den Kopf ein. Wahrscheinlich führte er dabei lautlose Selbstgespräche.

Nynaeve schluckte betreten. Es war ja wohl nichts damit gewesen, ihre Zunge zu hüten. Vielleicht zum erstenmal in ihrem Leben bereute sie, gedankenlos drauflosgesprochen zu haben. Wenn dieser Mann befehlen konnte, daß anderen die Hände abgeschlagen oder sie gar aufgehängt wurden, und das nach einer lächerlichen Verhandlung, die diesen Namen nicht verdiente, dann war er vermutlich zu allem fähig. Sie glaubte, genug Zorn aufgestaut zu haben, um die Macht benützen zu können.

Aber falls sie das tat... Falls sich Moghedien oder Schwarze Schwestern in Samara aufhielten... Aber wenn ich es nicht tue und er...? Am liebsten hätte sie nun den Schal wieder ganz um sich geschlungen, bis hoch ans Kinn, doch nicht, während er sie so anstarrte. Etwas in ihrem Hinterkopf flehte sie an, sich nicht wie ein kompletter Wollkopf zu benehmen, denn nur Männer stellten ihren Stolz über den gesunden Menschenverstand. Dennoch hielt sie trotzig seinem Blick stand, auch wenn sie sich mit Mühe davon abhalten mußte, nochmals betreten zu schlucken.

Er schürzte die Lippen. »Solche Kleider trägt man, um Männer zu verführen, und sonst aus keinem anderen Grund.« Sie verstand nicht, wie seine Stimme gleichzeitig so inbrünstig und doch eisig klingen konnte. »Gedanken an Fleischeslust lenken den Verstand vom Lord Drachen und dem Licht ab. Ich habe schon daran gedacht, Kleider zu verbieten, die die Blicke und den Verstand von Männern ablenken. Frauen, die ihre Zeit damit verschwenden, Männer zu verführen, und Männer, die Frauen verführen möchten, müßten gezüchtigt werden, bis sie wissen, daß man die wirkliche Freude nur in tiefen Gedanken an den Lord Drachen und das Licht finden kann.« Er blickte sie nicht mehr richtig an. Dieser düstere, brennende Blick ging durch sie hindurch und verlor sich irgendwo in der Ferne. »Tavernen und andere Häuser, wo man starke Getränke verkauft, und überhaupt alle Orte, die den Verstand der Menschen von der wahren Verehrung ablenken, müssen geschlossen und niedergebrannt werden. In meinen Tagen der Sünde habe ich solche Orte besucht, aber das bereue ich nun von ganzem Herzen, so wie alle ihre Übertretungen bereuen sollten. Es gibt nur den Lord Drachen und das Licht! Alles andere ist eine Illusion und ein Köder des Schattens!«

»Das ist Nynaeve al'Meara«, sagte Uno schnell, als Masema Luft holen mußte. »Aus Emondsfeld an den Zwei Flüssen, wo auch der Lord Drache herkommt.« Masema wandte langsam den Kopf und blickte den Einäugigen an. Sie nutzte die Gelegenheit, um sich den Schal wieder richtig umzulegen und zu verknoten. »Sie war mit dem Lord Drachen in Fal Dara und in Falme. Der Lord Drache hat sie in Falme gerettet. Der Lord Drache betrachtet sie fast als Mutter.«

Zu einem anderen Zeitpunkt hätte er daraufhin von ihr einiges zu hören und vielleicht sogar eins aufs Ohr bekommen. Rand hatte sie nicht gerettet, oder jedenfalls nicht direkt, und sie war nur ein paar Jahre älter als er. Als Mutter, ja? Masema wandte sich ihr wieder zu. Das fanatische Glimmen in seinen Augen von vorhin war nichts gegen das, was sie jetzt darin ablas. Sie glühten beinahe.

»Nynaeve. Ja.« Nun sprach er schneller. »Ja! Ich erinnere mich an Euren Namen und Euer Gesicht. Gesegnet seid Ihr unter den Frauen, Nynaeve al'Meara, mehr als jede andere Frau außer der segensreichen Mutter des Lord Drachen selbst, denn Ihr habt den Lord Drachen aufwachsen sehen. Ihr habt Euch um den Lord Drachen gekümmert, als er noch ein Kind war.« Er ergriff ihre Arme, und seine harten Finger verursachten ihr Schmerzen, doch schien er das gar nicht zu bemerken. »Ihr werdet den Volksmengen von der Kindheit des Lord Drachen berichten, von den ersten Weisheiten, die er von sich gab, von den Wundern, die ihn begleiteten. Das Licht hat Euch hergeschickt, um dem Lord Drachen zu dienen.«

Sie wußte nicht, was sie darauf sagen sollte. Es hatte in Rands Umgebung niemals irgendwelche Wunder gegeben, jedenfalls nicht solche, die sie wahrgenommen hätte. Sie hatte in Tear einiges gehört, aber das, was ein Ta'veren verursachte, konnte man wohl kaum als Wunder bezeichnen. Nicht wirklich. Selbst das, was in Falme geschehen war, konnte man durchaus rational erklären. So einigermaßen. Und was seine frühen Weisheiten betraf, so war die erste, die sie von ihm vernommen hatte, daß er niemals mehr einen Stein nach jemandem werfen werde. Das hatte er nach einer kräftigen Tracht Prügel versprochen. Sie glaubte, sich seither an keine anderen Weisheiten mehr aus seinem Munde erinnern zu können. Und außerdem: Hätte auch Rand von der Wiege an mit Weisheiten um sich geworfen, hätten sich bei Nacht Kometen und bei Tag andere Erscheinungen am Himmel gezeigt, sie wäre trotzdem nicht in der Nähe dieses Wahnsinnigen hier geblieben.

»Ich muß flußabwärts reisen«, sagte sie zurückhaltend. »Um mich ihm anzuschließen. Dem Lord Drachen.« Den Namen brachte sie kaum über die Lippen, nachdem sie sich geschworen hatte, ihn nicht zu verwenden, aber bei dem Propheten konnte man Rand niemals einfach mit ›er‹ bezeichnen. Ich bemühe mich halt nur, vernünftig zu sein. Das ist alles. ›Ein Mann ist eine Eiche, die Frau eine Weide‹ sagte man. Die Eiche kämpfte gegen den Wind an und wurde gebrochen, während sich die Weide beugte, wenn es notwendig war, und überlebte. Das mußte ja nicht heißen, daß ihr das Beugen besonderen Spaß machte. »Er... der Lord Drache... ist in Tear. Der Lord Drache hat mich dorthin bestellt.«

»Tear.« Masema nahm die Hände von ihr und sie rieb sich unwillkürlich die Arme. Sie mußte das gar nicht versteckt tun, denn wieder blickte er durch sie hindurch in die Ferne. »Ja, das habe ich auch gehört.« Er sprach offensichtlich auch zu jemandem, der entweder weit entfernt oder in ihm selbst war. »Wenn Amadicia genauso zum Lord Drachen übergegangen ist wie Ghealdan, werde ich das Volk nach Tear führen, um sich dort in den Strahlen des Lord Drachen zu sonnen. Ich werde Jünger aussenden, die das Wort des Lord Drachen in Tarabon und Arad Doman verbreiten, in Saldaea und Kandor und den Grenzlanden, auch in Andor, und ich werde das Volk anführen, um zu Füßen des Lord Drachen zu knien.«

»Ein weiser Plan... äh... o Prophet des Lord Drachen.« Ein törichter Plan, soweit sie das beurteilen konnte. Das hieß aber nicht, daß es nicht klappen könnte. Törichte Pläne gingen aus irgendeinem Grund öfters auf, wenn Männer sie entworfen hatten. Rand würde es vielleicht sogar gefallen, wenn all diese Leute vor ihm knieten, falls er auch nur halb so arrogant geworden war, wie Egwene behauptete. »Aber wir... ich kann nicht warten. Ich bin herbeigerufen worden, und wenn uns der Lord Drache ruft, müssen wir einfachen Sterblichen gehorchen.« Eines Tages würde die Gelegenheit kommen, Rand für die Notwendigkeit, solche Worte in den Mund zu nehmen, eins überzuziehen! »Ich muß ein Schiff finden, das flußabwärts fährt.«

Masema sah sie so lange an, daß sie nervös wurde. Schweiß rann ihr den Rücken und zwischen den Brüsten hinunter, und das lag nur teilweise an der Hitze. Dieser Blick hätte selbst Moghedien zum Schwitzen gebracht.

Schließlich nickte er, und der feurige religiöse Eifer verflog und ließ nur seine übliche finstere Miene zurück. »Ja«, seufzte er. »Wenn Ihr gerufen wurdet, müßt Ihr gehen. Geht mit dem Licht und unter dem Licht. Kleidet Euch würdiger, denn diejenigen, die dem Lord Drachen nahestehen, müssen tugendhafter als alle anderen sein, und meditiert über den Lord Drachen und sein Licht.«

»Ein Flußschiff?« beharrte Nynaeve. »Ihr müßt es doch erfahren, wenn ein Schiff nach Samara kommt oder in einem der Dörfer am Fluß anlegt. Wenn Ihr mir nur einfach sagt, wo ich eines finden kann, dann würde das meine Reise sehr... beschleunigen.« Sie hatte zuerst sagen wollen: ›erleichtern‹, doch sie glaubte nicht, daß dies für Masema eine Rolle spielen würde. »Ich beschäftige mich nicht mit solchen Dingen«, sagte er gereizt. »Aber Ihr habt recht. Wenn der Lord Drache befiehlt, müßt Ihr auf dem Fuße folgen. Ich werde fragen. Falls man ein Schiff findet, wird irgend jemand mir das über kurz oder lang mitteilen.« Sein Blick schweifte zu den beiden Männern hinüber. »Ihr müßt bis dahin dafür sorgen, daß sie in Sicherheit ist. Falls sie darauf besteht, sich derart anzuziehen, wird sie Männer mit schmutzigen Gedanken verführen. Sie muß beschützt werden wie ein entlaufenes Kind, bis sie sich wieder beim Lord Drachen befindet.«

Nynaeve biß sich auf die Zunge. Eine Weide und keine Eiche, wenn es notwendig war, sich zu beugen. Sie brachte es fertig, ihren Ärger hinter einem Lächeln zu verbergen, das alle Dankbarkeit ausdrücken sollte, die sich dieser närrische Mann wünschen konnte. Allerdings war er ein gefährlicher Narr. Daran würde sie sich erinnern müssen.

Uno und Ragan verabschiedeten sich schnell, wobei sie sich alle wieder am Unterarm packten, und zogen sie hinaus, jeder an einem Arm, als hielten sie es aus irgendeinem Grund für notwendig, sie schleunigst von Masema wegzubringen. Der schien sie alle bereits vergessen zu haben, bevor sie noch an der Tür waren. Er runzelte schon wieder die Stirn, als er den drahtigen kleinen Mann erblickte, der mit einem derben Kerl in einem Bauernmantel wartete. Der Mann zerknüllte seine Kappe in den dicken Händen, und auf seinem breiten Gesicht stand Ehrfurcht geschrieben.

Sie sagte kein Wort, als sie wieder durch die Küche zurückgingen, wo die grauhaarige Frau mit der Zunge an ihren Zähnen entlangfuhr und dabei die Suppe rührte, als hätte sie sich in der Zwischenzeit überhaupt nicht bewegt. Nynaeve hielt noch immer den Mund, als die Männer sich ihre Waffen zurückholten, und auch dann noch, bis sie aus der Gasse heraus waren und auf etwas standen, das man allmählich als Straße bezeichnen konnte. Nun aber fuhr sie die beiden an, wobei sie ihnen abwechselnd drohend den Finger unter die Nase hielt. »Wie könnt Ihr es wagen, mich derart hinauszuzerren!« Leute, die gerade vorbeikamen, grinsten — Männer verständnisvoll und Frauen beifällig —, obwohl ja niemand eine Ahnung haben konnte, warum sie so auf sie einbrüllte. »Noch fünf Minuten, und ich hätte ihn soweit gehabt, daß er noch heute ein Schiff aufgetrieben hätte! Wenn Ihr mich jemals wieder anfaßt...« Uno schnaubte so laut, daß sie überrascht innehielt.

»Noch fünf verfluchte Minuten, und Masema hätte verdammt noch mal Hand an Euch gelegt. Oder vielmehr hätte er jemandem befohlen, das für ihn zu besorgen, und das hätte verflucht noch mal jemand wirklich getan! Wenn er sagt, etwas solle gemacht werden, dann findet er immer fünfzig verdammte Hände oder auch hundert oder verfluchte tausend, wenn es sein muß, um es für ihn zu tun!« Er marschierte davon, die Straße hinunter, Ragan immer an seiner Seite. Sie mußte mitgehen, oder sie würde zurückbleiben. Uno lief so schnell weiter, als wisse er genau, daß sie ihnen folgte. Beinahe wäre sie in die entgegengesetzte Richtung gegangen, nur aus reinem Trotz. Ihnen zu folgen hatte nichts damit zu tun, daß sie etwa fürchtete, sich in diesem Kaninchenbau von Straßen zu verlaufen. Sie hätte den Weg hinaus schon gefunden. Irgendwann. »Er ließ einen verdammten Lord des Hochrats der Krone auspeitschen — auspeitschen! —, obwohl er nur halb so zornig war wie auf Euch«, grollte der Einäugige. »Das Wort des Lord Drachen mißachten, nannte er es. Friede! Ihm vorzuwerfen, welches verfluchte Recht er habe, Euer verdammtes Kleid zu kritisieren! Ein paar Minuten lang habt Ihr euch gut gehalten, aber ich habe Eure Miene zum Schluß genau beobachtet. Ihr wart drauf und dran, noch mal auf ihn, verdammt noch mal, loszugehen. Das einzig noch Schlimmere, das Ihr hättet tun können, wäre, im Namen des Lord Drachen zu fluchen. Das bezeichnet er als Blasphemie. Genausogut könnt Ihr den verfluchten Namen des verdammten Dunklen Königs nennen!«

Ragans Skalplocke wackelte, so lebhaft nickte er. »Erinnerst du dich an die Lady Baelome, Uno? Gleich, nachdem aus Tear die ersten Gerüchte über den Lord Drachen auftauchten, Nynaeve, sagte sie etwas in abfälligem Ton über ›diesen Rand al'Thor‹, und das in Masemas Hörweite. Er holte nicht einmal Luft, so schnell schickte er nach einer Axt und einem Hackklotz.«

»Dafür ließ er jemand enthaupten?« fragte sie ungläubig.

»Nein«, knurrte Uno angewidert. »Aber nur, weil sie verdammt schnell vor ihm kroch, als sie begriff, daß er es blutig ernst meinte. Sie wurde hinausgeschleppt und an ihren verfluchten Handgelenken hinten an ihre eigene Kutsche gehängt und von vorn bis hinten durch das verdammte Dorf geschleift, in dem wir uns gerade befanden. Ihre eigenen verdammten Lakaien standen daneben wie ein Haufen feiger Bauern und schauten zu.«

»Als sie mit ihr fertig waren«, fügte Ragan hinzu, »dankte sie Masema für seine Gnade, genauso wie auch ihr Mann, Lord Aleshin.« Sein Tonfall war viel zu belehrend, um ihr zu passen. Er wollte ihr eine Lehre erteilen und sichergehen, daß sie ihn auch verstand. »Sie hatten einen guten Grund dafür, Nynaeve. Ihre wären nicht die ersten Köpfe gewesen, die er auf Stangen stecken ließ. Eurer wäre vielleicht der im Moment letzte gewesen. Und unsere wären auch gleich mitgerollt, hätten wir versucht, Euch zu helfen. Masema bevorzugt niemanden.«

Sie holte erst einmal Luft. Wie konnte Masema soviel Macht besitzen? Und offensichtlich nicht nur bei seinen eigenen Anhängern. Aber andererseits gab es ja keinen Grund dafür, warum Lords und Ladies nicht genauso große Narren sein sollten wie jeder Bauer. Ihrer Einschätzung nach waren viele davon sogar die größeren. Diese dumme Frau mit den vielen Ringen war ganz bestimmt auch eine Lady gewesen; solche Steine trug keine einfache Kauffrau. Aber Ghealdan hatte doch sicherlich eigene Gesetze und Gerichte und Richter! Wo war denn die Königin oder der König? Sie konnte sich nicht daran erinnern, wer in Ghealdan herrschte. Keiner an den Zwei Flüsse hatte je viel mit Königinnen oder Königen am Hut gehabt, aber dafür waren sie ja schließlich da, diese Lords und Ladies — um dafür zu sorgen, daß im Land Gerechtigkeit herrschte. Doch was Masema hier auch tat, ging sie letzten Endes nichts an. Sie hatte wichtigere Probleme, als sich um eine Horde von Tölpeln Gedanken zu machen, die sich von einem Wahnsinnigen tyrannisieren ließen.

Trotzdem ließ die Neugier sie sagen: »Meint er das ernst, daß er versuchen will, Frauen und Männer davon abzuhalten, sich überhaupt noch anzuschauen? Was wird seiner Meinung nach geschehen, wenn es keine Heiraten und Kinder mehr gibt? Wird er als nächstes die Leute davon abhalten, den Boden zu bebauen oder zu weben oder Schuhe anzufertigen, damit sie statt dessen über Rand al'Thor nachdenken können?« Sie betonte diesen Namen mit voller Absicht. Diese beiden liefen herum und nannten ihn schon den ›Lord Drachen‹, wenn auch nur eine Stecknadel zu Boden fiel. Beinahe so schlimm wie Masema. »Ich sage Euch eines: Wenn er versucht, den Frauen vorzuschreiben, wie sie sich anziehen sollen, dann wird er einen Aufstand hervorrufen. Gegen sich selbst.« In Samara mußte es doch etwas wie eine Versammlung der Frauen geben. Das gab es in den meisten Orten, wenn auch oft unter anderen Namen, und oftmals auch nicht als offizielle Einrichtung. Es gab eben Dinge zu tun, für die den Männern der rechte Sinn fehlte. Sie konnten Frauen zur Rechenschaft ziehen, wenn sie unanständig gekleidet waren, und taten das für gewöhnlich auch, aber das war nicht das gleiche, als mische sich ein Mann in solche Angelegenheiten ein. Die Frauen mischten sich ja auch nicht in Angelegenheiten der Männer ein, oder doch nicht mehr als notwendig; also sollten die Männer ihre Finger aus denen der Frauen lassen. »Und ich denke, die Männer werden nicht anders reagieren, wenn er versucht, die Tavernen und ähnliches zu schließen. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, der sich nicht in den Schlaf heult, wenn er seine Nase nicht abends von Zeit zu Zeit noch in einen Krug stecken kann.«

»Vielleicht wird er«, sagte Ragan, »und vielleicht wird er nicht. Manchmal ordnet er Dinge an, und manchmal vergißt er es oder schiebt es auf, weil etwas Wichtigeres aufkommt. Ihr wärt überrascht«, fügte er trocken hinzu, »wenn Ihr wüßtet, wieviel seine Anhänger ohne Murren hinnehmen.« Ihr wurde bewußt, daß er und Uno sie in die Mitte genommen hatten und die anderen Menschen auf der Straße mißtrauisch beobachteten. Auch ihrem ungeübten Blick schien es, die beiden seien jeden Moment bereit, innerhalb eines Herzschlags die Schwerter zu ziehen.

»Er ist nicht gegen die verdammte Heiraterei«, grollte Uno und starrte dabei einen Straßenhändler mit Fleischpasteten auf einem Tablett so böse an, daß der Mann sich umdrehte und davonlief, ohne die Münzen der beiden Frauen entgegenzunehmen, die mit Pasteten in der Hand vor ihm standen. »Ihr hattet Glück! Er hat sich nicht daran erinnert, daß Ihr keinen Mann habt, sonst hätte er Euch vielleicht mit einem Ehemann zum Lord Drachen geschickt. Manchmal wählt er willkürlich drei- oder vierhundert unverheiratete Männer und genauso viele Frauen aus, und, verflucht noch mal, verheiratet sie einfach. Die meisten haben sich vorher überhaupt noch nicht kennengelernt. Wenn dieser feige Abschaum sich nicht verdammt darüber beklagt, glaubt Ihr dann, sie würden die blutigen Mäuler aufreißen wegen ein bißchen Bier?«

Ragan knurrte etwas in sich hinein, doch sie schnappte genug auf, um die Augen zusammenzuziehen. »Mancher Mann weiß nicht, wie verdammt viel Glück er hat.« Das hatte er gesagt. Er bemerkte ihren zornigen Blick nicht einmal. Er war zu sehr damit beschäftigt, die Straße zu beobachten, wohl um rechtzeitig jemanden zu entdecken, der sie wie ein Schwein im Sack davonschleppen wollte. Sie war heftig in Versuchung, sich den Schal herunterzureißen und ihn wegzuwerfen. Er schien auch ihr Schnauben nicht wahrzunehmen. Männer konnten schon unerträglich blind und taub sein, wenn sie wollten.

»Wenigstens hat er nicht versucht, meinen Schmuck zu stehlen«, sagte sie. »Wer war diese törichte Frau, die ihm den ihren gab?« Sie hatte bestimmt nicht viel Verstand, wenn sie zu Masemas Anhängern gehörte.

»Das«, verkündete Uno, »war Alliandre, Gesegnete des Lichts, Königin des verdammten Ghealdan. Und ein Dutzend weitere Titel, wie Ihr Südländer sie so gern sammelt.«

Nynaeve stieß mit dem großen Zeh gegen einen hervorstehenden Pflasterstein und wäre fast gestürzt. »Also auf diese Art setzt er sich durch«, rief sie und schüttelte ihre helfenden Hände ab. »Wenn schon die Königin dumm genug ist, auf ihn zu hören, dann ist es kein Wunder, daß er tun und lassen kann, was er will.«

»Sie ist alles andere als dumm«, sagte Uno in scharfem Ton. Er warf ihr einen finsteren Blick zu, bevor er sich wieder der Beobachtung der Straße zuwandte. »Eine weise Frau. Wenn Ihr euch verdammt noch mal auf einem wilden Pferd wiederfindet, dann haltet Ihr euch verflucht fest und laßt es laufen, wie es will, falls Ihr noch ein bißchen Verstand im Kopf habt. Ihr haltet sie für dumm, weil Masema ihre Ringe weggenommen hat? Sie ist verdammt schlau genug, um zu wissen, daß er mehr verlangen würde, wenn sie bei ihren Besuchen keinen Schmuck mehr trüge. Beim erstenmal hat er sie besucht, wenn es auch seither umgekehrt lief, und er hat ihr die Ringe einfach von den verfluchten Fingern gezogen. Sie hatte Perlenketten im Haar, und er hat sie zerrissen, als er sie herausgezogen hat. Alle ihre Hofdamen haben auf den Knien gelegen und die blutigen Dinger vom Boden aufgelesen. Alliandre hat sogar selbst welche gesammelt.«

»Das klingt aber in meinen Ohren keineswegs so weise«, beharrte sie tapfer. »Es hört sich nach Feigheit an.« Und wem zitterten die Knie, weil er sie scharf anblickte? fragte eine Stimme in ihrem Kopf. Wer schwitzte wie blöd? Nun, wenigstens hatte sie sich nicht von ihm unterkriegen lassen. Gewiß nicht. Sich wie eine Weide zu biegen ist doch nicht das Gleiche, als sich wie eine Maus zu verkriechen, oder? »Ist sie nun die Königin oder nicht?«

Die beiden Männer tauschten wieder einen dieser irritierenden Blicke, und Ragan sagte ruhig: »Ihr versteht das nicht, Nynaeve. Alliandre ist die vierte, die auf dem vom Licht Gesegneten Thron sitzt, seit wir nach Ghealdan kamen, und das war noch nicht einmal vor einem halben Jahr. Johanin trug die Krone, als Masema begann, die Massen an sich zu ziehen, aber er glaubte, Masema sei ein harmloser Verrückter und unternahm nichts, sogar noch, als die Massen seiner Anhänger ständig anwuchsen und seine Adligen von ihm verlangten, er solle dem Spuk ein Ende bereiten. Johanin starb bei einem Jagdunfall...«

»Jagdunfall!« warf Uno höhnisch ein. Ein Händler mit Bauchladen, der zufällig in seine Richtung blickte, ließ vor Schreck seine sämtlichen Nadeln und Fadenrollen fallen. »Es sei denn, er konnte kein verdammtes Ende eines Jagdspießes vom anderen unterscheiden. Verfluchte Südländer und ihr verfluchtes Spiel der Häuser!«

»Und Ellizelle war seine Nachfolgerin«, nahm Ragan den Faden wieder auf. »Sie ließ die Volksmengen vom Heer auseinandertreiben, bis es schließlich zum offenen Kampf kam und das Heer davongejagt wurde.«

»Verdammt schäbige Nachahmung von echten Soldaten«, knurrte Uno. Sie würde noch einmal mit ihm seiner Ausdrucksweise wegen ein Wörtchen reden müssen.

Ragan nickte zustimmend, fuhr aber mit dem fort, was er erzählen wollte: »Man behauptet, Ellizelle habe daraufhin Gift geschluckt, aber wie sie auch gestorben sein mag, sie wurde jedenfalls durch Teresia ersetzt, die sich nach ihrer Krönung genau zehn Tage halten konnte, bis sie die Gelegenheit ergriff, zweitausend Soldaten auf zehntausend Leute zu hetzen, die sich außerhalb von Jehannah versammelt hatten, um Masema zu hören. Nachdem ihre Soldaten in die Flucht geschlagen wurden, dankte sie ab und heiratete einen reichen Kaufmann.« Nynaeve starrte ihn ungläubig an, und Uno schnaubte. Der jüngere Mann beharrte jedoch darauf: »So sagt man jedenfalls. Natürlich bedeutet in diesem Land eine Ehe mit einem Nichtadligen, daß man für immer auf jeden Anspruch auf den Thron verzichtet. Was auch Beron Goraed davon halten mag, eine hübsche junge Frau von königlichem Geblüt zu haben, so haben ihn doch wohl ein paar Dutzend Dienstmannen Alliandras aus dem Bett gezerrt und zum Jheda-Palast geschleppt, um in aller Frühe die Hochzeit zu vollziehen. Teresia reiste ab, um auf den Landgütern ihres frischgebackenen Ehemannes zu wohnen, während Alliandre gekrönt wurde — alles noch vor Sonnenaufgang. Die neue Königin bestellte Masema in den Palast und teilte ihm mit, daß er nicht mehr behelligt werde. Innerhalb von zwei Wochen drehte sich die Lage, und sie wurde zu ihm zitiert. Ich weiß nicht, ob sie wirklich das glaubt, was er predigt, aber ich weiß, daß sie sich auf den Thron eines Landes am Rande des Bürgerkriegs setzte, mit den Weißmänteln dazu auf dem Sprung, einzumarschieren, und sie hat dem auf die einzige Art Einhalt geboten, die ihr blieb. Das ist eine weise Königin, und ein Mann könnte stolz darauf sein, ihr zu dienen, obwohl sie eine Südländerin ist.«

Nynaeve öffnete den Mund und vergaß, was sie hatte sagen wollen, als Uno ganz nebenbei erwähnte: »Irgendein verdammter Weißmantel verfolgt uns. Seht Euch nicht um, Frau. Ihr solltet es wirklich besser wissen.«

Ihr Hals versteifte sich, weil sie sich solche Mühe geben mußte, geradeaus zu blicken. Ein Schauder lief ihr den Rücken herunter. »Biegt an der nächsten Ecke ab, Uno.«

»Das bringt uns von den Hauptstraßen und dem verdammten Stadttor weg. Wir können ihn verflucht noch mal in der Menge abhängen.«

»Biegt ab!« Sie holte langsam Luft und bemühte sich, mit weniger schriller Stimme zu sprechen: »Ich muß ihn sehen.«

Uno blickte so wild drein, daß ihnen die Leute auf zehn Schritt im voraus aus dem Weg gingen, aber sie bogen in die nächste enge Straße ab. Als sie um die Ecke kamen, drehte sie unauffällig ein wenig den Kopf, bevor die Mauerkante einer kleinen Taverne ihr den Blick zurück verwehrte. Der schneeweiße Umhang mit dem strahlenden Sonnenaufgang hob sich deutlich von der Kleidung der übrigen Passanten ab. Dieses schöne Gesicht, von dem sie sicher gewesen war, daß es zu dieser Uniform gehörte, war unverkennbar. Kein anderer Weißmantel außer Galad hätte einen Grund gehabt, sie zu verfolgen, und niemand wäre auf die Idee gekommen, ausgerechnet Uno und Ragan hinterherzulaufen.

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