22 Gezwitscher in der Nacht

Mat lag mit geschlossenen Augen und dem Gesicht nach unten auf seinen Decken. Er genoß das Gefühl von Melindhras Daumen, wie sie seinen Rücken massierten. Nichts war angenehmer als eine Massage nach einem langen Tag im Sattel. Nun gut, vielleicht gab es doch noch Besseres, aber in diesem Augenblick war ihm die Massage lieber.

»Du hast starke Muskeln für einen so kleinen Mann, Matrim Cauthon.«

Er öffnete ein Auge und blickte zu ihr, wie sie auf seinen Hüften hockte. Sie hatte das Feuer doppelt so stark aufflammen lassen wie notwendig, und an ihrem Körper lief der Schweiß herunter. Ihr dünnes goldenes Haar, bis auf diesen für die Aiel typischen Pferdeschwanz im Nacken, klebte an ihrer Kopfhaut. »Wenn ich dir zu klein bin, kannst du dir ja einen anderen suchen.«

»Für meinen Geschmack bist du keineswegs zu klein.« Sie lachte und zerzauste seine Haare. Die waren länger als ihre eigenen. »Und du bist außerdem noch süß. Entspanne dich. Die Massage hilft dir nicht, wenn du verspannt bist.«

Zufrieden knurrend schloß er die Augen wieder. Süß? Licht! Und klein. Nur Aiel würden ihn als klein bezeichnen. In jedem anderen Land, das er bisher besucht hatte, war er größer als der Durchschnitt der Männer, wenn auch nur ein wenig. Er erinnerte sich daran, hochgewachsen gewesen zu sein. Größer als Rand, damals, als er gegen Artur Falkenflügel ritt. Und eine Handbreit kleiner, als er neben Maecine gegen die Aelgari stritt. Er hatte sich mit Lan darüber unterhalten, wobei er behauptete, er habe einige Namen erwähnen hören. Der Behüter sagte ihm, Maecine sei König von Eharon gewesen, einer der Zehn Nationen — was Mat nicht neu war — vier- oder fünfhundert Jahre vor den Trolloc-Kriegen. Lan bezweifelte, daß selbst die Braunen Ajah mehr darüber wußten. Viel Wissen war in den Trolloc-Kriegen untergegangen und noch mehr im Hundertjährigen Krieg. Von dort stammten die ersten und die zeitlich nächstgelegenen jener Erinnerungen, die man ihm in den Kopf gepflanzt hatte. Nichts mehr später als Artur Paendrag Tanreall und nichts aus der Zeit vor Maecine von Eharon.

»Ist dir kalt?« fragte Melindhra ungläubig. »Du zitterst ja.« Sie kletterte von ihm herunter, und er hörte, wie sie Holz nachlegte. Hier lagen genug vertrocknete Holzreste herum, die sie verbrennen konnten. Sie klatschte ihm hart auf den Po, bevor sie wieder auf ihn kletterte. Dabei murmelte sie: »Gute Muskulatur.«

»Wenn du so weitermachst«, knurrte er, »glaube ich bald, daß du mich zum Abendessen am Spieß braten willst, wie die Trollocs es machen.« Er genoß das Zusammenleben mit Melindhra ja sehr, solange sie nicht ständig darauf beharrte, daß sie größer sei als er, doch war ihm die Situation im Augenblick nicht ganz geheuer.

»Du bist nicht für den Spieß bestimmt, Matrim Cauthon.« Ihre Daumen gruben sich fest in seine Schulter. »Ist das nicht gut? Entspanne dich.«

Er hatte schon vor, eines Tages zu heiraten und häuslich zu werden. Das war der richtige Weg. Eine Frau, ein Haus, eine Familie. Den Rest seines Lebens über an einen Fleck gebunden sein. Ich habe noch nie von einer Ehefrau gehört, die es gern hatte, wenn ihr Mann einen hebt oder am Spieltisch sitzen bleibt. Und dann war da ja etwas, das die eigenartigen Leute auf der anderen Seite jener Tür gesagt hatten, die ein Ter'Angreal war. Sein Schicksal sei es, die ›Tochter der Neun Monde‹ zu heiraten. Na ja, früher oder später muß ein Mann wohl heiraten. Aber er hatte ganz bestimmt nicht vor, eine Aielfrau zu ehelichen. Er wollte mit so vielen Frauen tanzen wie möglich, und das, solange er nur konnte.

»Du bist nicht für den Spieß geschaffen, sondern um großen Ruhm zu erwerben, glaube ich«, sagte Melindhra leise.

»Das klingt doch schon mal gut.« Nur, daß er jetzt keine andere Frau dazu brachte, ihn auch nur anzusehen, weder die Töchter des Speers noch andere. Es war, als habe ihm Melindhra ein Schild umgehängt, auf welchem stand:

EIGENTUM VON MELINDHRA AUS DER JUMAI-SEPTIME DER SHAIDO.

Nun, das letztere hätte sie wohl hier und jetzt gerade nicht daraufgeschrieben. Aber wer wußte schon, was ein Aiel tun würde und ganz besonders eine Tochter des Speers? Frauen dachten sowieso nicht wie Männer, und Aielfrauen dachten überhaupt nicht wie irgend jemand sonst auf der Welt.

»Es ist seltsam, daß du dich so im Hintergrund hältst und nicht mehr aus dir machst.«

»Mich im Hintergrund halten?« murmelte er. Ihre Hände fühlten sich gut an. Sie entfernten Knoten aus seinen Muskeln, die er nicht einmal geahnt hatte. »Wie denn?« Er fragte sich, ob es etwas mit der Halskette zu tun habe. Melindhra schien große Stücke daraufzuhalten oder zumindest sehr stolz zu sein, sie von ihm erhalten zu haben. Natürlich trug sie das Ding nie. Das war bei den Töchtern nicht üblich. Aber sie trug sie in ihrer Tasche herum und zeigte sie jeder Frau, die sie sehen wollte. Und das waren wohl ziemlich viele.

»Du stellst dich in den Schatten Rand al'Thors.«

»Ich stehe in niemandes Schatten«, erwiderte er geistesabwesend. Es konnte nicht an der Halskette liegen. Er hatte auch schon anderen Frauen Schmuck geschenkt, Töchtern des Speers und anderen, denn er gab hübschen Frauen gern hübsche Dinge, auch wenn er dafür manchmal nur ein Lächeln erhielt. Er erwartete auch gar nicht mehr. Wenn eine Frau Küssen und Schmusen nicht so gern hatte wie er, was sollte es dann? Es gab ja andere.

»Natürlich liegt auch eine gewisse Ehre darin, im Schatten des Car'a'carn zu stehen. Um den Mächtigen nahe zu sein, mußt du dich in ihren Schatten begeben.«

»Schatten«, stimmte Mat zu, der überhaupt nicht hinhörte. Manchmal akzeptierte eine Frau sein Geschenk und manchmal auch nicht, aber keine hatte deshalb so getan, als sei er ihr persönlicher Besitz. Das war es, was ihn wirklich an ihr störte. Er war nicht bereit, sich von irgendeiner Frau besitzen zu lassen, gleich, wie hübsch sie war. Und gleich, wie gut ihre Hände auch mit seinen verknoteten Muskeln fertig wurden.

»Deine Narben sollten ehrenvolle Narben sein, die du dir in deinem eigenen Namen verdient hast, nicht so wie diese.« Mit einem Finger fuhr sie die Narbe um seinen Hals nach, die der Henkerstrick zurückgelassen hatte. »Hast du die hier im Dienste des Car'a'carn empfangen?«

Er schüttelte ihre Hand ab, schob sich auf die Ellbogen hoch und drehte sich um, damit er sie ansehen konnte. »Bist du sicher, daß der Name ›Tochter der Neun Monde‹ dir nichts sagt?«

»Das habe ich dir doch schon gesagt. Ich weiß nicht, was er bedeutet. Leg dich wieder hin.«

»Wenn du mich anlügst, dann schwöre ich, werde ich Dir Striemen auf dein Hinterteil verpassen.«

Mit in die Hüften gestützten Händen blickte sie ihn drohend von oben herab an. »Glaubst du, daß du... mir den Hintern wirklich versohlen kannst, Mat Cauthon?«

»Ich kann ja mein Bestes geben.« Sie würde ihm vermutlich einen Speer durch die Rippen stoßen. »Schwörst du, daß du noch nie von der Tochter der Neun Monde gehört hast?«

»Ich habe nie davon gehört«, sagte sie bedächtig. »Wer ist sie? Oder was ist sie? Leg dich hin und laß mich...«

Eine Amsel begann zu singen, anscheinend gleichzeitig im Zelt und auch draußen, und einen Augenblick später ein Rotkehlchen. Gute Vögel von den Zwei Flüssen. Rand hatte seine Alarmsignale von dem ausgewählt, was er kannte, und das hier waren Vögel, die es in der Wüste nicht gab.

Melindhra sprang mit einem Satz von ihm herunter, wickelte sich die Schufa um den Kopf und zog den Schleier vor, während sie mit der anderen Hand Schild und Speere hochriß. Und so rannte sie aus dem Zelt.

»Blut und Asche, verdammt!« fluchte Mat und kämpfte sich in seine Hose hinein. Ein Rotkehlchen bedeutete Gefahr aus dem Süden. Er hatte mit Melindhra ihr gemeinsames Zelt im Süden aufgebaut, bei den Chareen, so weit von Rand entfernt wie möglich, doch ohne das Lager zu verlassen. Aber er rannte bestimmt nicht nackt hinaus zwischen diese Dornbüsche, so wie Melindhra. Die Amsel bedeutete Gefahr vom Norden her, wo die Shaarad lagerten. Also kamen sie gleichzeitig von zwei Seiten her.

Er stampfte, so gut es in dem niedrigen Zelt ging, die Füße in die Stiefel hinein und sah den silbernen Fuchskopf an, der neben seinen Decken lag. Draußen wurden Schreie laut und das Klirren von Metall auf Metall. Er hatte endlich begriffen, daß dieses Medaillon Moiraine bei ihrem ersten Versuch daran gehindert hatte, ihn mit Hilfe der Macht zu heilen. Solange es ihn berührt hatte, konnte das Machtgewebe ihn nicht beeinflussen. Er hatte noch nie von Schattenwesen gehört, die mit der Macht umgehen konnten, aber da waren ja noch immer die Schwarzen Ajah, wie Rand behauptete, und er glaubte es ihm, und natürlich bestand immer die Möglichkeit, daß einer der Verlorenen schließlich doch Rand offen anzugreifen wagte. Also zog er den Lederriemen über den Kopf, so daß sein Medaillon auf der Brust hing, packte den mit Raben gekennzeichneten Speer und duckte sich aus dem Zelt hinaus in den kalten Mondschein.

Er hatte keine Zeit, in der eisigen Kälte zu schaudern. Er war noch nicht einmal ganz aus dem Zelt heraus, da verlor er beinahe den Kopf durch ein sichelartiges Trolloc-Schwert. Die Klinge streifte sein Haar, während er sich nach vorn warf und abtauchte. Er wandte sich empor und hatte den Speer kampfbereit in den Händen.

Auf den ersten Blick hätte man bei dieser Dunkelheit den Trolloc für einen massigen, hochgewachsenen Mann halten können, der eben einen Aiel noch um die Hälfte überragte, ganz in eine schwarze Rüstung gehüllt, die an Ellbogen und Schultern Dornen aufwies. Am Helm waren Bockshörner angebracht; so schien es jedenfalls, doch die Hörner wuchsen aus diesem nur zu menschlichen Kopf heraus, und unter den Augen war die Schnauze eines Ziegenbocks zu sehen.

Fauchend schlug der Trolloc nach ihm, und dann heulte er Worte in einer harten Sprache, für die eine menschliche Zunge nicht geeignet schien. Mat wirbelte seinen Speer wie einen Bauernspieß, schlug die schwere, gekrümmte Klinge zur Seite und rammte seine lange Speerspitze in die Bauchpartie der Kreatur. Unter dem mit Hilfe der Macht angefertigten Stahl spaltete sich das schwarze Metall der Rüstung genauso leicht wie das Fleisch, das darunter lag. Der Trolloc mit der Bocksschnauze krümmte sich mit einem röchelnden Schrei, und Mat zog seine Waffe heraus und sprang schnell zur Seite, als der schwere Körper zu Boden sackte.

Überall in seiner Umgebung kämpften teils unbekleidete, teils nur halb bekleidete Aiel, allerdings alle mit dem schwarzen Schleier vor dem Gesicht, gegen Trollocs mit hauerbewehrten Keilerschnauzen oder Wolfsrachen oder Adlerschnäbeln. Einige der Köpfe wiesen Hörner auf, andere Kämme oder Federn. Alle schwangen sie diese seltsam gekrümmten Schwerter und Dornenäxte, Dreizacke mit Widerhaken und Speere. Hier und da benützte einer einen mächtigen Bogen, um mit Haken versehene Pfeile abzuschießen, die schon fast kurze Speere waren. Auch Männer kämpften Seite an Seite mit den Trollocs. Sie trugen grobe Mäntel, schwangen Schwerter und schrien genauso verzweifelt wie die anderen, wenn sie zwischen den Dornbüschen starben.

»Sammael!«

»Sammael und die Goldenen Bienen!«

Die Schattenfreunde starben schnell, meist schon dann, wenn sie einem Aiel gegenübertraten, doch die Trollocs starben nicht ganz so leicht.

»Ich bin doch kein verdammter Held!« schrie Mat. Er wollte sich nicht irgend jemandem mitteilen, es mußte nur einfach aus ihm heraus, während er gegen einen Trolloc mit Bärenschnauze und haarigen Ohren kämpfte. Es war sein dritter. Die Bestie schwang eine Axt mit langem Stiel, mit einem halben Dutzend Dornen und einer langen Schneide, die groß genug war, um damit einen Baum zu spalten. Er fuchtelte damit herum, als sei sie in seinen großen, haarigen Pratzen lediglich ein Spielzeug. Es war einfach die Nähe zu Rand, die Mat in solche Schwierigkeiten brachte. Alles, was er sich vom Leben erhoffte, waren guter Wein, ein Würfelspiel und ein oder drei hübsche Mädchen. »Ich will nicht in all das verwickelt werden!« Besonders dann nicht, wenn Sammael in der Nähe war. »Hört Ihr mich?«

Der Trolloc stürzte mit aufgeschlitzter Kehle zu Boden und Mat fand sich plötzlich einem Myrddraal gegenüber, der gerade zwei Aiel tötete, die ihn gemeinsam angegriffen hatten. Der Halbmensch sah wie ein Mann aus, doch leichenblaß, und er trug einen Panzer aus sich überlappenden schwarzen Schuppen wie die Haut einer Schlange. Er bewegte sich auch wie eine Schlange, flüssig, elegant und flink, als habe er keine Knochen. Sein nachtschwarzer Umhang hing immer schlaff herunter, gleich, wie er sich auch bewegte. Und er hatte keine Augen. Nur eine stumpfweiße Hautfläche, wo die Augen sein sollten.

Der augenlose Blick traf ihn, und er schauderte. Die Angst kroch ihm ins Knochenmark hinein. »Der Blick der Augenlosen bedeutet Angst«, sagte man in den Grenzlanden, wo sie es ja wissen mußten, und selbst die Aiel gaben zu, daß der Blick eines Myrddraal ihnen bis ins Innerste fahre. Das war die erste Waffe dieses Geschöpfes. Der Halbmensch rannte mit fließenden Bewegungen auf ihn zu.

Mit einem Aufbrüllen warf sich Mat ihm entgegen. Der Speer wirbelte wie ein Bauernspieß durch die Luft, stach zu, blieb immer in Bewegung. Das Ding trug ein Schwert, so schwarz wie sein Umhang, ein Schwert, das in den Essen von Thakan'dar geschmiedet worden war, und falls er davon eine Wunde empfing, war er so gut wie tot, es sei denn, Moiraine wäre zufällig in der Nähe und würde ihn sofort mit Hilfe der Macht behandeln. Doch es gab nur einen sicheren Weg, einen Blassen zu besiegen. Man muß-te auf Teufel komm raus angreifen und ihn überwältigen, bevor er einen selbst erwischte. Jeder Gedanke an Verteidigung konnte zum Selbstmord werden. Er konnte sich auch keinen Seitenblick zur Schlacht hin leisten, die überall in seiner Umgebung in der dunklen Nacht tobte.

Die Klinge des Myrddraals zuckte wie die Zunge einer Schlange, schoß wie ein schwarzer Blitz vor, aber nicht um anzugreifen, sondern um Mats Angriff zu parieren. Wenn der mit Raben gekennzeichnete und durch die Macht geschmiedete Stahl auf das Metall aus Thakan'dar traf, blitzte es blau auf und knisterte wie bei einem Flächenblitz.

Plötzlich traf Mats Speerhieb auf Haut. Das schwarze Schwert flog mitsamt einer blassen Hand weg. Die darauf folgende Rückhandbewegung schlitzte dem Myrddraal die Kehle auf, doch Mat hielt nicht inne. Ein Stoß durch das Herz, dann erst die eine Ferse und dann die andere durchschneiden, alles blitzschnell. Erst dann trat er von diesem Ding zurück, das auf dem Boden noch zuckte und mit der übriggebliebenen Hand und dem Stumpf der anderen um sich schlug. Aus den Wunden floß tintengleich dunkles Blut. Die Halbmenschen brauchten gewöhnlich sehr lange, bis sie eingestanden, tot zu sein, und sie starben meist erst endgültig nach Sonnenuntergang.

Mat sah sich um, und da wurde ihm bewußt, daß der Angriff vorüber war. Diejenigen Schattenfreunde und Trollocs, die noch am Leben waren, mußten inzwischen geflohen sein. Jedenfalls sah er niemanden außer den Aiel, der noch auf den Beinen gewesen wäre. Einige von ihnen lagen aber ebenfalls am Boden. Er zog ein Tuch vom Hals eines toten Schattenfreundes, um das schwarze Blut des Myrddraal von seiner Speerspitze zu wischen. Wenn er es zu lange dort beließ, würde es das Metall verätzen.

Dieser nächtliche Angriff ergab keinen Sinn. Den Leichen nach zu schließen, die er im Mondschein liegen sah ob menschlich oder ob von Trollocs, hatte es kaum einer bis hinter die erste Reihe der Zelte geschafft. Ohne zahlenmäßig viel stärker zu sein, konnten sie wohl kaum gehofft haben, mehr zu erreichen.

»Was hast du da gerufen? Carai irgendwas? In der Alten Sprache?«

Er drehte sich um und blickte Melindhra an. Sie hatte den Schleier abgenommen und trug noch immer nicht mehr am Leib als ihre Schufa. Auch andere Töchter und Männer in der näheren Umgebung liefen mehr oder weniger nackt herum und gaben sich genauso selbstverständlich. Die meisten aber schienen nun auf direktem Weg und ohne langes Zögern zu ihren Zelten zurückzukehren. Sie kannten einfach keine Scham; daran lag es. Kein bißchen Schamgefühl. Sie schien noch nicht einmal die Kälte zu spüren, obwohl der Atem wie Nebel vor ihrem Mund stand. Er war genauso verschwitzt wie sie, und nun fror er gewaltig, da seine Gedanken nicht mehr dadurch abgelenkt wurden, daß er um sein Leben kämpfen mußte.

»Das habe ich mal gehört«, sagte er zu ihr. »Der Klang hat mir gefallen.« Carai an Caldazar! ›Zur Ehre des Roten Adlers. ‹ Der Schlachtruf von Manetheren. Die meisten seiner Erinnerungen stammten aus Manetheren. Ein paar davon hatte er bereits gekannt, bevor er diesen verdrehten Türrahmen durchschritten hatte. Moiraine behauptete, das Alte Blut spräche aus ihm. Nun, solange es nicht aus seinen Adern drang...

Sie legte ihm einen Arm um die Schultern, als er zum Zelt zurückging. »Ich habe dich mit dem Nachtläufer zusammen gesehen, Mat Cauthon.« Das war eine der Aielbezeichnungen für die Myrddraal. »Du bist so groß, wie es einem Mann geziemt.«

Grinsend legte er einen Arm um ihre Taille, doch er konnte den Angriff nicht vergessen. Er wollte schon, da seine Gedanken viel zu sehr in den geborgten Erinnerungen verstrickt waren, aber er konnte nicht. Wieso hatte jemand einen solch hoffnungslosen Angriff gestartet? Niemand außer einem Narren griff ohne Grund eine so offensichtliche Übermacht an. Diesen Gedanken wurde er einfach nicht los. Niemand griff grundlos an.

Das Vogelgezwitscher riß Rand augenblicklich aus dem Schlaf, und noch als er die Decken zur Seite schlug und ohne Mantel in Strümpfen hinauslief, griff er nach Saidin. Die Nacht war kalt, und der Mond schien hell. Schwacher Kampfeslärm drang von den Hügeln unterhalb des Passes an seine Ohren. Rund um ihn liefen die Aiel wie in einem aufgescheuchten Ameisenhaufen durcheinander und eilten dann in die Nacht hinaus, dorthin, wo hier auf dem Paß ein Angriff erfolgen konnte. Das Wachgewebe würde wieder Alarm geben — diesmal würde ein Blaufink rufen, falls auf dem Paß Schattenwesen auftauchten —, bis er es morgens wieder auflöste, aber es gab keinen Grund, irgendein törichtes Risiko einzugehen.

Bald war es auf dem Paß wieder ruhig. Die Gai'schain befanden sich in den Zelten, denn selbst jetzt war ihnen das Führen von Waffen verboten, und die anderen Aiel lauerten an den Orten, die möglicherweise verteidigt werden mußten. Sogar Adelin und die übrigen Töchter waren weg, als wüßten sie, daß er sie zurückgehalten hätte, falls sie warteten. Er konnte leise Unterhaltungen von den Wagen nahe der Stadtmauer her vernehmen, aber weder die Fahrer noch Kadere zeigten sich. Er erwartete das auch nicht. Der leise Kampfeslärm — Rufe, Todesschreie — kam von zwei Seiten her. Es spielte sich auf jeden Fall weiter unten und ein gutes Stück entfernt ab. Auch vor den Zelten der Weisen Frauen herrschte Durcheinander. Wie es schien, blickten auch diese Aiel in Richtung der Kämpfe.

Ein Angriff dort unten ergab keinen Sinn. Es waren auch nicht die Miagoma, es sei denn, Timolan hätte Schattenwesen in seinen Clan aufgenommen, und das war in etwa so wahrscheinlich wie Trollocs als neue Rekruten der Weißmäntel. Er wandte sich zu seinem Zelt zurück, und trotz der schützenden Hülle des Nichts zuckte er zusammen.

Aviendha war heraus in den Mondschein getreten und hatte sich lediglich eine Decke um den Körper gewickelt. Und ihr gegenüber stand ein hochgewachsener Mann, der ganz in einen dunklen Umhang gehüllt war. Schatten trieben über ein viel zu blasses, hageres Gesicht. Die Augen waren viel zu groß. Ein süßer Gesang erklang, und der Umhang öffnete sich zu breiten, ledrigen Schwingen wie denen einer Fledermaus. Aviendha bewegte sich wie in Trance und glitt langsam auf die lockende Umarmung zu.

Rand lenkte die Macht, und ein fingerdünner Strahl von Baalsfeuer, ein Pfeil aus flüssigem Licht, stach an ihr vorbei und traf den Draghkar am Kopf. Die Wirkung dieses dünnen Strahls erfolgte langsamer, aber nicht weniger wirkungsvoll als bei den Schattenhunden. Das Geschöpf veränderte seine Farbe, von Schwarz zu Weiß, von Weiß wieder zu Schwarz, und dann löste es sich in schimmernde Lichtflecken auf, die im Mondschein tanzten und vergingen.

Aviendha schüttelte sich, als der Gesang erstarb, und starrte die letzten Lichtpunkte an, bis sie verschwunden waren. Dann wandte sie sich Rand zu und raffte die Decke enger um sich zusammen. Ihre Hand hob sich und ein Feuerstrahl, so dick wie sein Kopf, fauchte auf ihn zu.

Selbst in die Leere des Nichts gehüllt, überraschte ihn das. Er dachte gar nicht daran, die Macht zu verwenden, sondern warf sich unter den sich aufblähenden Flammen hindurch zu Boden. Sie erstarben einen Augenblick später.

»Was macht Ihr denn da?« schrie er so zornig, so erschrocken, daß das Nichts zersprang und Saidin ihn verließ. Er rappelte sich hoch und ging mit steifen Beinen auf sie zu. »Das ist doch die Höhe an Undankbarkeit!« Er wollte sie schütteln, daß ihre Zähne klapperten. »Ich habe gerade eben Euer Leben gerettet, falls Ihr es nicht bemerkt haben solltet, und falls ich dabei irgendeine verdammte Aielregel überschritten habe, dann ist mir das...!«

»Beim nächsten Mal«, fauchte sie zurück, »werde ich es dem großen Car'a'carn selbst überlassen, mit allem fertig zu werden!« Ungeschickt packte sie die Decke noch fester und duckte sich vor Zorn steif ins Zelt hinein.

Zum erstenmal blickte er sich um. Und entdeckte einen weiteren Draghkar, der zusammengekrümmt am Boden verschmorte. Er war so zornig gewesen, daß er weder gehört hatte, wie dieses Wesen in Flammen aufging, noch den ekligen Brandgeruch wahrgenommen hatte. Nicht einmal das abgrundtief Böse hatte er hinter sich gefühlt. Ein Draghkar tötete, indem er seinem Opfer zuerst die Seele aussog und dann das Leben. Er mußte ganz nahe sein, damit es zu einer Berührung kam, aber dieser hier lag tatsächlich nicht mehr als zwei Schritt von seinem ursprünglichen Standort entfernt. Er wußte nicht, ob das Singen und die Umarmung eines Draghkar die gleiche Wirkung auf jemanden hatte, der mit Saidin erfüllt war, doch er war froh, das nicht herausfinden zu müssen.

Er holte tief Luft und kniete sich neben die Zeltklappe. »Aviendha?« Er konnte nicht hineingehen. Drinnen brannte eine Lampe, und es konnte ja sein, daß sie nackt dort saß und ihn im Geist zerriß, wie er es verdient hatte.

»Aviendha, es tut mir leid. Ich entschuldige mich. Ich war ein Narr, solche Worte zu gebrauchen, ohne nach dem Grund zu fragen. Ich sollte wissen, daß Ihr mir nichts antun würdet, und ich... ich... ich bin ein Narr«, schloß er reichlich tölpelhaft.

»Ihr wißt wirklich eine Menge, Rand al'Thor«, kam die gedämpfte Antwort. »Ihr seid tatsächlich ein Narr!«

Wie entschuldigte sich ein Aiel? Danach hatte er sie nie gefragt. Wenn er so an Ji'e'toh dachte, daran, Männern das Singen beizubringen und ihre Hochzeitsbräuche, dann würde er sie wohl auch nie danach fragen. »Ja, das bin ich. Und ich bitte Euch um Verzeihung.« Diesmal kam keine Antwort. »Liegt Ihr unter Euren Decken?« Schweigen.

Er knurrte leise in sich hinein und stand auf. Seine nur in Strümpfen steckenden Zehen bohrten sich in den eiskalten Boden. Er würde hier draußen bleiben müssen, bis er sicher sein konnte, daß sie züchtig bedeckt sei. Und das ohne Stiefel und Mantel. Er griff nach Saidin, Verderbnis und alles andere, nur um vor der beißenden Kälte ins wohltuende Nichts entfliehen zu können.

Die drei Traumgängerinnen unter den Weisen Frauen rannten herbei und natürlich auch Egwene. Alle starrten den brennenden Draghkar an und umgingen ihn betont. Mit fast gleichen Bewegungen zogen sie ihre Schals fester um sich zusammen.

»Nur einer«, sagte Amys. »Dem Licht sei Dank, doch überrascht es mich.«

»Es waren zwei«, berichtete ihr Rand. »Ich... vernichtete den anderen.« Warum zögerte er eigentlich, nur, weil Moiraine ihn vor dem Gebrauch des Baalsfeuers gewarnt hatte? Es war eine Waffe wie jede andere. »Wenn Aviendha diesen hier nicht getötet hätte, hätte er mich vielleicht erwischt.«

»Das Gefühl, daß sie die Macht gebrauchte, hat uns hergerufen«, sagte Egwene. Sie musterte ihn von Kopf bis Fuß. Zuerst glaubte er, sie suche nach Verletzungen, doch sie widmete seinen bestrumpften Füßen besondere Aufmerksamkeit und blickte anschließend zum Zelt hinüber, wo durch einen offenstehenden Spalt der Zeltklappe Lampenschein drang. »Du hast sie schon wieder aus der Fassung gebracht, nicht wahr? Sie hat dein Leben gerettet, und du... Männer!« Mit angewidertem Kopfschütteln schob sie sich an ihm vorbei ins Zelt hinein. Er hörte bald leise Stimmen, konnte aber nicht verstehen, was dort drinnen gesprochen wurde.

Melaine zupfte an ihrem Schal. »Wenn Ihr uns nicht braucht, müssen wir unten nachsehen, was dort geschieht.« Sie eilte davon, ohne auf die beiden anderen zu warten.

Bair lachte meckernd, als sie und Amys ihr folgten. »Wollen wir wetten, bei wem sie zuerst nachschaut? Meine Amethyst-Halskette, die dir so gefällt, gegen dein SaphirArmband?«

»Gemacht. Ich glaube, sie geht zuerst zu Dorindha.«

Die ältere der Weisen Frauen gackerte wieder. »Sie hat immer noch nur Bael im Kopf. Eine Erstschwester ist eine Erstschwester, aber ein frischgebackener Ehemann...«

Sie gelangten außer Hörweite, und er beugte sich zur Zeltklappe herunter. Er verstand nach wie vor nicht, was sie da drinnen sprachen. Er hätte vielleicht sein Ohr an den offenen Spalt halten können, aber das würde er nicht tun. Sicher hatte sich Aviendha mittlerweile bedeckt, da ja schließlich Egwene bei ihr war. So wie sich Egwene inzwischen den Aielsitten angepaßt hatte, konnte es allerdings durchaus sein, daß sie statt dessen ebenfalls ihre Kleider abgelegt hatte.

Das leise Klatschen weicher Sohlen auf dem harten, kalten Boden kündete von der Ankunft Moiraines und Lans. Rand richtete sich auf. Obwohl er ihrer beider Atemzüge hörte, waren die Schritte des Behüters kaum hörbar, nur die Moiraines. Ihr Haar hing ihr lose ins Gesicht, und sie hielt einen dunklen Morgenmantel, dessen Seide im Mondschein glänzte, vor ihrer Brust zusammen. Lan war vollständig angekleidet, trug Stiefel und hatte die Waffen gegürtet. Außerdem war er in diesen Umhang gehüllt, der ihn zu einem Teil der Nacht werden ließ. Klar. Der Kampfeslärm unten auf den Hügeln verklang nun langsam.

»Ich bin überrascht, daß Ihr nicht eher kamt, Moiraine.« Seine Stimme klang kalt; besser die Stimme als er selbst. Er hielt an Saidin fest, obwohl er dagegen ankämpfen mußte, doch die eisige Kälte der Nacht wurde dadurch von ihm ferngehalten. Er war sich ihrer bewußt, spürte jedes Härchen an seinen Armen, das sich der Kälte wegen unter seinen Hemdsärmeln aufstellte, aber sie berührte ihn nicht. »Ihr kommt doch für gewöhnlich und seht nach mir, sobald Ihr Unheil auch nur wittert.«

»Ich habe noch nie alles erklärt, was ich tue oder lasse.« Ihre Stimme klang genauso kühl und geheimnisvoll wie immer, doch selbst im Mondschein konnte Rand erkennen, daß sie errötete. Lan blickte besorgt drein, obwohl das bei ihm schwer festzustellen war. »Ich kann nicht ewig Eure Hand halten. Irgendwann einmal müßt Ihr alleine laufen lernen.«

»Das habe ich heute abend, oder?« Verlegenheit glitt über die Oberfläche des Nichts, denn es klang, als habe er alles allein vollbracht, und so fügte er schnell hinzu: »Aviendha hat den hier beinahe schon von meinem Rücken weggebrannt.« Die Flammen aus dem Körper des Draghkar waren fast niedergebrannt.

»Nur gut, daß sie sich hier befand«; sagte Moiraine gelassen. »Ihr habt mich also nicht benötigt.«

Sie hatte keine Angst verspürt, dessen war er sich ganz sicher. Er hatte gesehen, wie sie mitten unter Schattenwesen gerannt war und die Macht so geläufig als Waffe verwendet hatte, wie Lan sein Schwert. Zu oft schon war das geschehen, als daß er nun glauben konnte, sie sei aus Angst nicht früher gekommen. Also, warum war sie dann nicht gekommen, als sie die Anwesenheit des Draghkar fühlte? Sie mußte ihn gespürt haben und Lan mit ihr, denn das war eine der Gaben, die ein Behüter durch die Bindung an seine Aes Sedai erhielt. Er könnte sie ja zur Rede stellen, sie durch ihren Eid ihm gegenüber und ihre Unfähigkeit, unumwunden zu lügen, in die Enge treiben. Nein, das brachte er nicht fertig. Das tat er niemandem an, der letzten Endes versuchte, ihm zu helfen.

»Wenigstens wissen wir jetzt, was der Angriff unten bezweckte«, sagte er. »Ich sollte glauben, dort geschehe etwas Wichtiges, während sich der Draghkar an mich heranschlich. Das haben sie schon in der Kaltfelsenfestung versucht, und dort hat es auch nicht geklappt.« Nur hatten sie damit diesmal beinahe Erfolg gehabt. Falls das überhaupt die Absicht dahinter gewesen war. »Man sollte doch denken, daß sie diesmal etwas Neues ausprobieren würden.« Couladin befand sich vor ihm, und die Verlorenen waren, wie es schien, überall zugleich. Warum konnte er sich nicht einem Gegner nach dem anderen stellen?

»Macht nicht den Fehler, die Verlorenen für dumm zu halten«, warnte Moiraine. »Das könnte sich als fatal erweisen.« Sie rückte fröstelnd ihren Morgenmantel zurecht, als wünsche sie, er sei dicker. »Es ist schon spät. Falls Ihr mich nicht weiter benötigt...?«

Aiel kamen langsam zurück, als sie und der Behüter gingen. Es gab einiges Erstaunen über den Draghkar, und man rief ein paar Gai'schain, um die Leiche wegzuschleifen, doch die meisten blickten nur kurz hin und begaben sich dann in ihre Zelte. Sie schienen in seiner Anwesenheit solche Vorkommnisse mittlerweile zu erwarten.

Als Adelin und die Töchter auftauchten, kamen sie mit schleppenden Schritten und offensichtlich bedrückt näher. Sie betrachteten den Draghkar, wie er von weißgekleideten Männern fortgeschleppt wurde, und sie tauschten lange Blicke, bevor sie sich zu Rand herüberwagten.

»Hier war nichts zu erwarten«, sagte Adelin zögernd. »Der ganze Angriff spielte sich unten ab — Schattenfreunde und Trollocs.«

»Ich habe gehört, wie sie ›Für Sammael und die goldenen Bienen‹ schrien«, fügte eine andere hinzu. Da sie die Schufa ganz um den Kopf gewickelt hatte, konnte Rand nicht erkennen, wer sie war. Es klang jung; einige der Töchter des Speers waren kaum älter als sechzehn.

Adelin holte tief Luft und hielt Rand einen ihrer Speere waagrecht mit festem Griff hin. Die anderen taten es ihr nach — jede mit einem Speer. »Wir — ich — habe versagt«, sagte Adelin. »Wir hätten hier sein sollen, als der Draghkar kam. Statt dessen sind wir wie die Kinder hinuntergerannt, um den Tanz der Speere zu tanzen.«

»Und was soll ich mit denen anstellen?« fragte Rand mit einem Blick auf die Speere, worauf Adelin ohne noch zu zögern antwortete: »Was immer Ihr wünscht, Car'a'carn. Wir sind bereit und werden keinen Widerstand leisten.«

Rand schüttelte den Kopf. Verdammte Aiel und verdammtes Ji'e'toh! »Ihr nehmt die Dinger wieder hoch und geht an Eure Plätze, mein Zelt zu bewachen. Also? Geht schon.« Sie sahen sich gegenseitig an, bevor sie gehorchten, und zwar genauso zögernd, wie sie gekommen waren. »Und eine von Euch soll Aviendha sagen, daß ich hineinkommen werde, sobald ich zurück bin«, fügte er hinzu. Er würde nicht die ganze Nacht über hier draußen warten und sich fragen, ob er hereingehen dürfe. Er stolzierte steif davon. Der Boden unter seinen bloßen Strümpfen war sehr hart.

Asmodeans Zelt befand sich unweit des seinen. Von dort war kein Laut an sein Ohr gedrungen. Er schlug die Klappe zur Seite und duckte sich hinein. Asmodean saß im Dunklen und kaute auf seiner Unterlippe. Er zuckte zusammen, als Rand erschien. Dann kam er ihm auch schon zuvor: »Ihr habt doch sicher nicht erwartet, daß ich eingreife, oder? Ich habe die Draghkar gespürt, aber mit denen konntet Ihr selbst fertigwerden, und das seid Ihr ja auch. Ich habe die Draghkar noch nie leiden können. Wir hätten sie nicht erschaffen sollen. Sie haben weniger Hirn als ein Trolloc. Gebt ihnen einen Befehl, und sie töten manchmal trotzdem denjenigen, der ihnen am nächsten ist. Wenn ich hinausgegangen wäre, etwas unternommen hätte... Vielleicht hätte mich jemand bemerkt? Was, wenn sie erkannt hätten, daß nicht Ihr es wart, der die Macht lenkt? Ich... «

»Es war gut für Euch, daß Ihr nicht herauskamt«, unterbrach ihn Rand, der sich mit übergeschlagenen Beinen in der Dunkelheit niedergesetzt hatte. »Wenn ich Euch heute abend von Saidin erfüllt dort draußen gespürt hätte, hätte ich Euch möglicherweise getötet.«

Das Lachen des anderen klang etwas zittrig. »Daran hatte ich auch gedacht.«

»Es war Sammael, der uns heute abend die Angreifer auf den Hals schickte. Jedenfalls die Trollocs und die Schattenfreunde.«

»Es sieht Sammael gar nicht ähnlich, das Leben seiner Männer so zu verschwenden«, sagte Asmodean bedächtig. »Aber er riskiert andererseits auch zehntausend Tote oder sogar das Zehnfache, wenn es ihm etwas einbringt, das seiner Meinung nach die Opfer wert ist. Vielleicht will auch nur einer der anderen vortäuschen, es sei Sammael gewesen. Und wenn die Aiel auch Gefangene hätten... Trollocs denken nicht viel, außer an Töten, und die Schattenfreunde glauben, was man ihnen sagt.«

»Er war es tatsächlich. Er hat schon einmal auf genau die gleiche Art versucht, mich zu ködern — in Serendahar.« O Licht! Der Gedanke glitt über die Oberfläche des Nichts. Ich sagte ›mich‹. Er hatte keine Ahnung, wo Serendahar gelegen oder was damals geschehen war, nur die eigenen Worte kannte er. Die Worte, die eben erst verklungen waren.

Nach langem Schweigen sagte Asmodean leise: »Das habe ich nicht gewußt.«

»Was ich wissen möchte, ist der Grund.« Rand wählte seine Worte sorgfältig und hoffte, daß es seine eigenen seien. Er erinnerte sich an Sammaels Gesicht. Er war ein Mann — Nicht meine. Es sind nicht meine Erinnerungen! —, ein untersetzter, kräftiger Mann mit kurzem, blondem Bart. Asmodean hatte ihm alle Verlorenen beschrieben, doch ihm war klar, daß dieses Bild in seinem Gedächtnis nichts mit seiner Beschreibung zu tun hatte. Sammael hatte immer größer sein wollen und war frustriert gewesen, daß selbst die Macht das nicht vermochte. Das hatte ihm Asmodean aber nicht gesagt. »Nach allem, was Ihr mir berichtet habt, wird er mich wahrscheinlich nur dann offen bekämpfen, wenn er sich des Sieges gewiß sein kann. Vielleicht noch nicht einmal dann. Ihr sagtet, wenn er könnte, würde er mich wahrscheinlich dem Dunklen König selbst überlassen. Also, warum ist er jetzt so siegessicher; warum will er, daß ich ihn verfolge?«

Sie diskutierten stundenlang in der Dunkelheit, ohne zu klaren Erkenntnissen zu gelangen. Asmodean blieb bei seiner Meinung, es sei einer der anderen gewesen, in der Hoffnung, Rand auf Sammael zu hetzen und damit wenigstens einen oder vielleicht auch beide loszuwerden. Zumindest behauptete Asmodean, er glaube das. Rand spürte immer wieder den fragenden Blick aus den dunklen Augen des Mannes. Seine Worte vorhin waren zu offensichtlich herausgerutscht, als daß er das hätte vertuschen können.

Als er schließlich zu seinem eigenen Zelt zurückkehrte, sprangen Adelin und die anderen Töchter sofort auf. Alle wollten ihm auf einmal mitteilen, daß Egwene weg sei und Aviendha schon lange schlafe, und daß sie zornig auf ihn sei. Daß beide zornig seien. Sie erteilten ihm so viele unterschiedliche Ratschläge, wie man den Zorn der Frauen besänftigen könne, und dazu noch alle gleichzeitig, daß er überhaupt nichts mehr verstand. Schließlich schwiegen sie aber doch, warfen sich bedeutungsschwangere Blicke zu, und schließlich sagte Adelin: »Wir müssen noch über die heutige Nacht sprechen. Über das, was wir taten und was wir versäumten. Wir... «

»Es war gar nichts«, erwiderte er, »und sollte es doch etwas Schlimmes gewesen sein, dann ist es vergeben und vergessen. Ich würde gern zur Abwechslung einmal ein paar Stunden Schlaf genießen. Wenn Ihr weiter darüber reden wollt, dann geht zu Amys oder Bair. Ich bin sicher, sie verstehen viel besser als ich, worauf Ihr hinauswollt.« Das brachte sie überraschenderweise wirklich zum Schweigen, und sie ließen ihn hineingehen.

Aviendha lag unter ihren Decken. Ein schlankes, weißes, unbedecktes Bein ragte heraus. Er bemühte sich, weder das Bein noch sie selbst anzublicken. Sie hatte eine Lampe angelassen. Dankbar schob er sich unter seine Decken und löschte die Lampe mit Hilfe der Macht. Dann ließ er Saidin los. Diesmal träumte er von Aviendha, wie sie Feuer schleuderte, allerdings nicht auf den Draghkar. Sammael saß neben ihr und lachte.

Загрузка...