Das Geborgene Land, Königreich Idoslän, in den Höhlen Toboribors, 6241. Sonnenzyklus, Spätsommer.
Tungdil stellte sich Dergard entgegen und schob Goda hinter sich. »Hilf deinem Meister«, wies er sie an und tat so, als wolle er den Magus angreifen. Dabei vertraute er auf den Schutz der Feuerklinge.
Dergard handelte. Ein neuerlicher Strahl sprang aus seinen Fingern und jagte auf den Zwerg zu. Die Axt zog die heranschießenden Energien an und sog sie in sich auf. Sämtliche Intarsien leuchteten auf, und die Diamanten verwandelten sich in winzige, grelle Sterne.
Tungdil geschah nichts; er spürte, dass sich der Sigurdaziengriff der Waffe erwärmte, mehr nicht. Kurzerhand schlug er dem Magus die flache Seite gegen die Schläfe. Bewusstlos sank Dergard zusammen. »Weg da, Gelehrter!«, schrie Ingrimmsch hinter ihm. »Runter!«
Tungdil machte einen Satz nach hinten und ließ sich rücklings fallen.
Die lange Klinge des Maschinenwesens sirrte über sein Gesicht hinweg und verfehlte ihn um Barthaaresbreite. Klirrend zersprang sie am Sockel des Altars. Die Kreatur schrie ihre Enttäuschung heraus.
Dafür zerschnitten die Räder des Gefährts den ohnmächtigen Magus. Sie rollten über den Unglücklichen hinweg, sein Leib und seine Gliedmaßen wurden mehrfach durchtrennt; vom Kopf blieb nicht mehr als eine breiige Masse. Nichts und niemand außer den Göttern vermochte ihm mehr zu helfen.
»Ich töte euch!« Das Monstrum schleuderte seinen Speer nach Ingrimmsch, der im Begriff war, auf den Altar zu steigen. Der Zwerg sprang zurück und ging zusammen mit Goda hinter dem Fußende in Deckung. »Ich lenke es ab«, rief Tungdil über die Schulter. »Ihr wisst, was ihr zu tun habt.« Innerlich machte er sich schwere Vorwürfe, weil er den Tod von Dergard zu verantworten hatte. Die Bewusstlosigkeit hatte ihn zu einem leichten Opfer gemacht.
Das Monstrum nahm einen weiteren Speer, die der Länge nach auf der Oberfläche des Gefährts montiert waren. »Deine Axt wird nicht gegen mich taugen«, sagte es und kam langsam näher. »Du reichst nicht einmal an mich heran, Unterirdischer.«
Tungdil bückte sich und hob ein Klingenbruchstück auf, wog es in der Hand und warf es mit viel Kraft nach dem Gegner. Es drehte sich um die eigene Achse und traf ihn mit einem scharfen Zacken gegen die linke Schulter. Das Geschoss hatte die Panzerung nicht durchschlagen.
Lachend beschleunigte das Wesen sein Gefährt, während sich Tungdil einige Schritte vom Altar entfernte, um sich freier bewegen zu können. »Du wirst mich nicht bezwingen«, versprach er der Kreatur. Goda versuchte ihr Glück und rannte auf der anderen Seite des Altars entlang, sprang hoch und wollte sich auf die Oberseite ziehen, um den Diamanten zu erreichen.
Da drehte das Wesen den Kopf und schleuderte seinen Speer nach ihr. »Weg von der Schöpferin!« Die Attacke kam zu überraschend. Die scharfe Schneide zerschnitt Godas Kettenhemdringe und die Eisenplättchen, glitt waagrecht neben dem Schultergelenk durchs Schlüsselbein und warf sie nieder. Der Schaft ragte einen Schritt weit aus ihrem Rücken.
Tungdil konnte es sich nicht erlauben, sich um das weitere Schicksal der Dritten zu kümmern, denn der Wagen hatte ihn gleich erreicht. Er kauerte sich zusammen, rollte sich über die Schulter vor den tödlichen Rädern weg und unter den Klingen hindurch, kam auf die Beine und legte die ganze Kraft in einen hohen Sprung. Was die Not ihm eingegeben hatte, gelang! Er landete kniend auf der breiten Oberfläche des Gefährtes. Der gepanzerte Rücken wuchs vor ihm in die Höhe, und sein Instinkt leitete sein Tun.
Tungdil dachte nicht weiter nach. Er hob die Arme und drosch die Feuerklinge mit aller Kraft gegen die Stelle, an der er das Rück grat des Scheusals vermutete. Brachte dieser Hieb nicht den Tod, wäre es mit seinem eigenen Leben wohl bald vorüber.
Doch die Axt ließ ihn nicht im Stich. Sie zerriss das Tionium, hackte sich hindurch und glitt mühelos durch das feste Fleisch bis zu den Wirbeln. Dabei erstrahlte sie mit flammendem Schein; die Diamanten pulsierten, als schlüge ein Herz in ihnen.
Das Scheusal schrie gellend, es bog und krümmte sich, die langen Arme zuckten nach hinten, um den Zwerg in seinem Rücken zu packen. »Geh runter von mir!«
»Nein!« Da hatte Tungdil bereits ein zweites Mal zugeschlagen, auch wenn es nicht einfach war, auf dem schwankenden Untergrund das Gleichgewicht zu wahren. Der nächste Hieb fiel weniger kräftig aus, aber es genügte, um die gleiche, stark blutende Wunde zu treffen und den Schaden zu vergrößern. Mit einem tierhaften Brüllen schlug das Wesen um sich und erwischte Tungdil am Oberkörper. Er flog zwei Schritt weit durch die Luft und schlug schwer auf dem Boden auf, ohne den Stiel der Axt loszulassen. Benommen rappelte er sich auf und sah durch einen Schleier hindurch den Wagen schlingernd heranrasen. Die übrigen Zwerge rannten herbei, um ihrem Anführer beizustehen.
Neben sich sah er den Speer, der seinen Freund Ingrimmsch verfehlt hatte. »Ich lege mein Leben in deine Hand, Vraccas!«, sandte er ein Stoßgebet an seinen Schöpfer, nahm den Speer und warf ihn dem Feind entgegen. Das Scheusal fuhr in sein eigenes Verderben. Die Auswirkungen der beiden Axtschläge verhinderten, dass es eine Abwehrbewegung machen oder dem Geschoss ausweichen konnte. Und so traf die breite, scharfe Klinge mitten in seine Brust.
Das Gefährt vollführte eine abrupte Drehung und überschlug sich mehrmals; dabei wurde der Speer zunächst tiefer in den Körper gedrückt, bevor er nach dem zweiten Aufprall auf dem Boden abbrach. Tungdil hechtete zur Seite, um dem schweren Wagen auszuweichen. Das Gefährt rumpelte an ihm vorbei, zerschellte an der Höhlenwand und spickte das Scheusal in seinem Innern mit allerlei Bruchstücken von Zahnrädern und Gestänge, die zum Antrieb gedient hatten. Blut schwappte in Strömen auf den Fels. Undeutlich sah Tungdil, dass man dem Wesen die Beine oberhalb der Knie amputiert und die Stummel mit zahlreichen Haken und kleinen Ketten versehen hatte. Mit dieser Vorrichtung war das Gefährt gesteuert worden. Ihn schauderte.
Drei Zwerge stützten Tungdil und gingen mit ihm zum Altar. Ingrimmsch stand davor und hielt die Rechte mit dem Diamanten in die Höhe. »Hier, Gelehrter«, rief er. »Wir haben ihn! Vraccas sei Dank! Komm her und hack dem Spitzohr den Kopf ab, damit wir gehen und unsere Verwundeten versorgen können.« Er holte zum Wurf aus. »Fang!«
Es sirrte, und plötzlich ragte ein Pfeil aus seiner linken Seite. Dann wurde seine Hand nach links geschlagen, die Finger öffneten sich und gaben den Stein frei. Er fiel zurück auf die Brust der Albin, rollte auf deren Bauch und blieb an ihren gefalteten Händen liegen.
Ingrimmsch starrte auf den zweiten Pfeil, der in seinem Unterarm steckte. »Heimtückische Spitzohren«, ächzte er und wurde von drei weiteren Geschossen in die Brust getroffen, ehe er einknickte und auf die Albin fiel. Aus dem zweiten Eingang strömten drei Dutzend Elben und schössen ihre Pfeile nach den Zwergen. »Boindil!«, schrie Tungdil wie von Sinnen und stürmte den Elben mit erhobener Axt entgegen. Es war nicht die Zeit, wie ein Gelehrter zu handeln.
Bis sich die übrigen Zwerge von ihrer Überraschung erholt hatten, starben fünfzehn von ihnen durch die Geschosse. Die Überlebenden von Tungdils Truppe folgten ihrem Anführer brüllend, um sich auf die verhassten Feinde zu stürzen und sie am Raub des Steins zu hindern.
Es wurden die längsten siebenunddreißig Schritte, die Tungdil jemals in seinem Leben getan hatte. Um ihn herum erklangen die Todesschreie der Zwerge, die zu ihm aufgeschlossen hatten. Die meisterhaften Bogenschützen fanden Lücke um Lücke in dem Schildwall, durch die sie ihre tödlichen Pfeile sandten. Manche der Geschosse durchschlugen sogar die Schilde der Zwerge, nagelten ihre Unterarme daran fest oder flogen weiter und raubten das Leben eines Kriegers.
Das Geräusch von eilenden Stiefeln und rasselnden Kettenhemden sowie die Kampfrufe wurden leiser, bis Tungdil drei Schritte vor den Elben bemerkte, dass er als Einziger übrig geblieben war. Hinter ihm zog sich eine Spur von Zwergenleichen.
Mit Tränen der Wut und des Hasses hob er die Axt und schwang sie gegen den erstbesten Elben, den er vor sich sah. Da bekam er einen furchtbaren Schlag gegen den Kopf und einen Stich ins linke Auge. Der Schmerz verbreitete sich grell wie ein Gewittersturm in seinem Verstand.
Die Kraft wich ihm aus sämtlichen Muskeln. Alles an ihm wog plötzlich Zentner, die Feuerklinge schien das Gewicht eines Berges zu haben. Tungdil ging vor dem Elb zu Boden und rutschte vor seine Füße. Ein Stiefel drehte ihn auf den Rücken, und er sah Rejalins Gesicht über sich schweben. »Die Zeit des Friedens zwischen unseren Völkern, Tungdil Goldhand, ist vorüber«, sagte sie eisig. »Ich bin sicher, dass keiner von den Unterirdischen unsere Prüfung überstehen wird. Ihr seid verdorben.« Sie langte an ihm vorbei, dann hob sie die Feuerklinge auf. »Schwer. Aber eine Besonderheit, die für das Gute kämpft. Sie wird uns bessere Dienste leisten als deinem Volk.« Sie richtete sich auf. »Wir, die Eoil Atär, führen das Geborgene Land in eine Zeit der Makellosigkeit. Die Ära der Schwachheit, des Verfalls und der Zügellosigkeit ist vorüber.« Tungdil wollte etwas erwidern, doch seine Sinne schwanden. Der Tod klopfte bei ihm an und wollte ihn in die Ewige Schmiede führen.
Bevor er mit unwiderstehlichem Zwang beide Augen schloss, meinte Tungdil, eine Gestalt in einer schwarzen Albaerüstung aus dem Schatten treten zu sehen. Sie näherte sich den Reihen der Elben von hinten und hob die Hände, die schlanke Schwerter führten.
Als ein warmer Regen auf ihn niederging, wusste er nicht, ob er es sich einbildete oder nicht. Wo sollte dieser warme Regen in der Höhle herrühren?
Dann zerstoben seine Gedanken...
»Warum hast du mir das angetan?«
Der Unauslöschliche schrak aus seinem Schlummer und schaute in das wunderschöne Gesicht seines Sohnes. Er kauerte neben seinem Bett, die linke gepanzerte Hand hielt den Speer, die rechte fuhr über die mit dem makellosen Fleisch vernähten Metallplatten.
»Ich habe dir nichts angetan. Ich habe dich mächtiger als alle übrigen Wesen des Geborgenen Landes machen lassen.« Er setzte sich auf, schwang sich von seinem Lager und griff nach dem Helm, der auf dem Ständer ruhte. Er hatte sich nur einen Augenblick der Rast gönnen wollen, bevor er in die Schlacht zurückkehrte, die mehr und mehr zu ihren Ungunsten verlief. Die Untergründigen und Unterirdischen kämpften verbissen in den Tunneln, und aus irgendeinem Grund hatten sich die Elben ebenfalls aufgemacht, den Diamanten zu sichern. Die Rivalität verschaffte ihm und Nagsar Inäste keinerlei Vorteil.
»Mächtiger als du, Schöpfer?«
»Wieso bist du nicht in dem Gang, den ich dir zugewiesen habe?«, erteilte er seinem Sohn eine Rüge. »Ich wollte mir dir sprechen, Schöpfer.« Sein Sohn erhob sich. »Ich möchte nicht länger das Blut der Elben vergießen.«
Der Unauslöschliche verharrte in der Bewegung. »Geh sofort auf deinen Posten«, sagte er eiskalt. »Du wirst jeden Elben töten, der dir begegnet.«
»Aber wir sind wie sie! Wir töten Wesen, die aussehen wie wir. Es sind gewiss Freunde...« »Wir sind niemals wie sie! Kommen Freunde in ein Haus und trachten danach, die Bewohner zu vernichten und ihren Schmuck zu stehlen?« Er setzte den Helm auf. »Du tust, was ich dir sage, Sohn. Du trägst die Verantwortung für deine Schöpferin.« Abrupt wandte er sich zu ihm. »Möchtest du, dass sie stirbt, bevor sie dich mit ihren eigenen Augen erblickt hat?«
»Warum sehen meine Brüder anders aus als ich?«
»Es sind nicht deine Brüder.«
»Aber sie sagten, dass die Schöpferin auch ihre Schöpferin sei.«
»Das ist eine Lüge. Gib dich nicht mit ihnen ab.« Er wollte ihn aus der Kammer auf den Gang hinausstoßen. Doch der junge Alb unterlief seinen Arm und wich nicht zurück.
»Nimm mir die Platten aus dem Leib«, verlangte er harsch. »Sie tun mir weh. Allein vermag ich es nicht zu tun.« »Nein. Du wirst sie brauchen. Sie schützen dich im Kampf.«
»Du trägst eine Rüstung um dich herum und nicht in dir. Warum darf ich es nicht ebenso tun?«, erwiderte der Alb hartnäckig, die schwarzen Augen wandten sich nicht ab.
Der Unauslöschliche hasste dieses unentwegte Widersprechen. »Es ist besonderes Metall, das die Kräfte in dir wirken lässt.«
»Ich will es trotzdem nicht.«
»Es ist mir gleichgültig, was du willst. Du bist mein Sohn und wirst tun, was ich von dir verlange.« »Ich...«
Der Unauslöschliche packte ihn bei der Kehle. »Hüte deine Zunge! Wir haben keine Zeit, über diesen Unsinn zu diskutieren. Die Sicherheit deiner Schöpferin ist wichtiger als deine Wünsche. Hast du verstanden, mein Sohn?« Die schwarzen Augenhöhlen des Albs versprühten Wut. »Aber es tut so weh!«
»Ertrage es.« Der Unauslöschliche schleuderte ihn brutal hinaus. »Du weißt, wohin du zu gehen hast.« Er wollte sich nicht weiter damit aufhalten.
Der Alb prallte gegen die Wand, knurrte und hob seinen Speer; augenblicklich entflammten die Runen darauf dunkelgrün. »Nimm mir das Eisen. Das ist keine Bitte mehr.«
Der Unauslöschliche blieb stehen. »Runter mit der Waffe!«, flüsterte er erbost und zückte seine beiden Schwerter. »Es war kein kluger Einfall, deinen Schöpfer zu bedrohen.«
»Es war kein kluger Einfall, mir das anzutun!«, gab der Alb anklagend zurück und schaute auf das schwarze Blut, das hier und da strichdünn über die Metallplatten rann.
Die Lider des Unauslöschlichen verengten sich. »Du warst wieder auf der Insel?«
»Ich wollte, dass die Unterirdischen und der Mensch mir die Platten abnehmen, aber der Mensch war nicht da, und die Unterirdischen weigerten sich. Alles, was ich tun konnte, war, mir mehr von dieser Macht zu nehmen, die meine Schmerzen lindert.« Er lauerte auf die Bewegung seines Gegenübers. »Ich will dir nichts tun, Schöpfer. Wenn du mir erlaubst, so zu sein wie du.«
Sie standen sich stumm gegenüber, starrten einander an.
Aus nicht allzu weiter Entfernung erklang das Klirren von Waffen. Einer der Bastarde schrie und brüllte, darunter mischte sich das Rufen von Unterirdischen.
»Die Angreifer haben die Kaverne gefunden, in der Nagsar Inäste ruht. Bist du nun zufrieden?«, rief der Unauslöschliche. »Es war deine Aufgabe, den Gang zu sichern.« Er hob den Fuß, und sofort zielte der Speer gegen seinen Hals. »Was soll das?«
»Du weißt, was ich verlange. Eher lasse ich dich nicht ziehen.«
Der Unauslöschliche betrachtete sein Geschöpf, das bei aller äußerlichen Vollkommenheit in seinem Inneren falsch geraten war. Vielleicht hatte es an der Schändung Nagsar Inästes durch die Orks gelegen, dass sie ihm diesen Alb gebar. Dessen Schönheit nützte ihm nichts. Einen ungehorsamen Sohn, der Forderungen stellte, konnte er nicht brauchen.
Die Schwerter zuckten schneller als ein Pfeil fliegen kann nach vorn, stießen in die Lücken der Panzerung und durchbohrten die Brust und den Hals des Albs, der auf diesen Angriff nicht vorbereitet gewesen war. »Du bist nicht länger mein Sohn«, sagte der Unauslöschliche zu ihm und wich dem kraftlos gestoßenen Speer mit einer tänzerischen Drehung aus. »Es wird Bessere nach dir geben, die den Willen ihrer Schöpfer erfüllen möchten. Selbst wenn deine Schöpferin und ich nochmals tausend Zyklen warten müssen.« Er trat ihm in den Bauch und warf ihn zu Boden, die Klingen glitten heraus. Schwarzes Blut spritzte aus den glatten Schnitten. »Du wolltest, dass ich dich von den Schmerzen befreie?« Er stach mit den Schwertern noch einmal zu. Der Alb bäumte sich auf, krümmte sich zusammen und versuchte, die Schneiden mit den Handschuhen abzuhalten. Es gelang ihm nicht. Die Runen auf seiner Panzerung flackerten und erloschen, der schlanke Körper sank zurück und erschlaffte.
Der Unauslöschliche hielt sich nicht weiter damit auf. Seine geliebte Schwester schwebte in gewaltiger Gefahr, aus der sie die Bastarde offensichtlich nicht befreien konnten.
Während er sich der Kaverne näherte, verstummte der Schlachtenlärm sehr rasch. Kein gutes Zeichen. Er stand in dem hinteren Eingang, und als sein Blick das Ge schehen erfasste, unterdrückte er einen Entsetzensschrei. Nur ein leises Stöhnen flog über seine Lippen und verblieb in seinem Helm.
Elben. Elben in weißen Gewändern und weißen Rüstungen, wie sie von den Gefolgsleuten der Eoil getragen wurden, hatten die Höhle eingenommen. Einer ihrer Bogenschützen erlegte soeben den Letzten der Unterirdischen mit einem Schuss ins Auge, bevor er die Gruppe erreichte. Ein Bastard lag tot und umgeben von den Trümmern seiner Maschine an der Höhlenwand, die Leichen von Unterdischen verteilten sich in der Kaverne.
Nein! Sei mir nicht genommen worden, geliebte Schwester! Er sah ihren enthaupteten Leichnam auf dem Altar ruhen. Ihr schwarzes, heiliges Blut rann in Strömen von dem Stein und lief die Stufen hinab bis zum Höhlenboden. Eine Elbin hielt den Kopf Nagsar Inästes in den Händen, ein Elb zeigte ihr ehrfürchtig den Diamanten, der aufgehört hatte zu leuchten.
Verzweiflung überwältigte den Unauslöschlichen. Meine Schuld! Es ist meine Schuld! Ohne mein Versagen würde sie noch leben. Er lehnte sich an die Wand, die Kraft schoss aus seinem Leib und lähmte seine Bewegungen.
Ihr Anblick brannte sich in seinen Verstand. Er roch ihr Blut und sah, dass es noch immer aus dem Stumpf sickerte.
Bilder aus der Vergangenheit drangen empor. Schöne Bilder. Als sie am obersten Fenster des Turms über Dsön geschaut und sich an der Pracht ihres Reiches erfreut hatten; als sie ihre Triumphe über die Elben der Goldenen Ebene und Lesinteils mit rauschenden Festen gefeiert hatten; als sie sich geliebt hatten, mit Schmerz und voller Hingabe und ewig währender Leidenschaft...
Diese Erinnerungen ertranken im Blut seiner Schwester, wurden davongeschwemmt und vergingen. Ein Elb schritt zum Altar und gab der Leiche mit seinem Speer einen Stoß. Der Torso fiel auf der anderen Seite hinunter und rollte über die Stufen. Schräg blieb er darauf liegen, achtlos weggeschoben und behandelt wie Dreck. Ich räche dich, geliebte Nagsar Inäste, wie noch kein Gemahl seine Gemahlin rächte. Die Wut jagte seine Kraft in die Muskeln zurück. Er hob langsam die Schwerter und betrachtete die Elben, die um den Altar standen und sich über ihren vermeintlichen Sieg freuten. Er hörte, dass sie die Eoil priesen. Ich verlasse das Geborgene Land. Mit dem Diamanten, um seine Geheimnisse zu entschlüsseln. Und wenn ich zurückkehre, gibt es nichts, was meiner Wut standhält. Er schlich in einem Bogen auf die Elben zu. Alles wird in meinem Sturm vergehen. Wie diese Elben.
Der Unauslöschliche erreichte den Rücken des ersten Kriegers, ohne dass sie ihn bemerkten. Damit ließ sich ihr blutiger Untergang nicht mehr aufhalten.
Diejenigen, die ihre Waffen bereits verstaut hatten, fielen zuerst, weil sie nichts besaßen, was sie vor den Klingen des Angreifers schützte; und diejenigen, die ihre Schwerter hielten, wurden überrumpelt. Erst als von den dreißig Feinden noch sieben standen, wurde das Schlachten zu einem Gefecht.
»Beschützt die Fürstin!«, hallte der Schrei durch die Höhle. Die Elben leisteten erbitterten Widerstand, doch es gab kein Mittel gegen den von Hass beflügelten Unauslöschlichen. Die Verletzungen, die sie ihm zufügten, ignorierte er. Die surrenden Schneiden kappten im Gegenzug Hälse und Arme, durchtrennten Handgelenke und Schenkel, fuhren durch Schädel und Oberkörper. Die alten Orkgebeine, auf denen sie sich bewegten, tranken das Blut voller Lust.
Der Unauslöschliche wütete, bis drei Krieger und eine Elbin übrig waren.
Er leitete den gegnerischen Schlag des ersten Angreifers ab, riss ihn durch den Schwung herum und ließ die Klinge durch den Bauch eines anderen Elben gleiten. Danach zerschlug er die Waffe mit seinem rechten Schwert und schmetterte mit dem linken Schwert gegen eines der Bruchstücke, das dem dritten Elb geschossgleich quer ins Gesicht fuhr.
Der Unauslöschliche fing den Hieb des letzten Elben ab, der ihn mit dem zerbrochenen Schwert angriff, und durchtrennte den Arm unterhalb des Ellbogens. Seine Schwerter wie eine Schere einsetzend, schnitt er dem Soldaten den Kopf ab, der hoch in die Luft flog. Er nahm Schwung und stieß die Klingen rechts und links des Halses in den noch aufrecht stehenden Leichnam. Die Arme fielen samt den Schultern und großen Stücken des Oberkörpers auf die Knochen am Boden.
Die Schreie und der Geruch des Elbenblutes konnten seine eisige Wut nicht kühlen. »Du bist also die Fürstin.« Mit einem Schritt stand er vor der Elbin und tauchte unter ihrem Schwertschlag hinweg, während er ihr die Kniesehnen mit einem schnellen Schnitt seines rechten Schwertes durchtrennte. Aufschreiend stürzte sie vor ihm nieder. Er trat ihr die Waffe aus der Hand. »Was ist mit Liütasil?«
Sie starrte ihn an, ihre Lippen bewegten sich lautlos.
»O nein. Du wirst keinen Eoilzauber sprechen.« Sein linker Arm schnellte vor und durchbohrte ihr rechtes Handgelenk. Ihre Faust öffnete sich, und der Diamant fiel klappernd zwischen die Knochen. »Du hast mir Schmerzen zugefügt, wie ich sie niemals zuvor verspürt habe, Fürstin. Diesen Schmerz möchte ich sehr gern mit allen Elben des Geborgenen Landes teilen.« Er zog das Schwert zurück, wühlte in den Knochen und fand den Stein. Triumphierend hob er ihn hoch. »Er gehört mir. Sobald ich verstehe, wie ich seine volle Macht zu nutzen vermag, bringe ich deinem Volk das Ende, dem es schon einmal knapp entrann. Dsön Balsur mag untergegangen sein, doch das schützt euch nicht vor den Albae.«
Ihre blaugrünen Augen blickten ihn ohne ein Zeichen des Zweifels an. Eine verblendete Eifererin. »Die Eoil werden uns schützen. Sie kehren zurück. Die Zeichen in den Heiligtümern verkünden...«
»Sie kehren zurück? Dann werde ich zur Stelle sein, um sie zu vernichten. Aber du wirst sie nicht mehr sehen, Fürstin.« Der Unauslöschliche hatte Schritte und viele raue Stimmen aus einem der Gänge vernommen. Die zweite Welle der Untergründigen rollte heran. Seine Wunden brannten, er fühlte Schwäche in den Gliedern. Rückzug. Es sind zu viele Gegner. Er steckte den Diamant und ein Schwert weg, den Griff des anderen umfasste er mit beiden Händen. »Und die Eoil werden auch keine Elben mehr zu Gesicht bekommen. Nicht mehr im Geborgenen Land.«
Sein Schlag trennte ihren Oberkörper sauber durch, die Schneide fraß sich von der linken Schulter hinab bis zur rechten Hüfte und zerschnitt die Orkknochen darunter. Die Fürstin starb zu seinem Bedauern viel zu rasch. Gerne hätte er sie mitgenommen und bis in alle Ewigkeit gefoltert, sie als niemals versiegende Farbquelle benutzt.
Geliebte Schwester. Er kniete sich vor Nagsar Inästes Haupt, streckte zögernd die Hand aus - und stockte. Er brachte es nicht übers Herz, ihre Züge ein letztes Mal anzuschauen. Der Kummer hatte die Macht, ihn zu töten. Der Unauslöschliche berührte stattdessen ihre langen schwarzen Haare und schnitt sich eine Strähne davon ab, ehe er mit seinem Andenken zwischen den blutigen Handschuhen aufsprang und in den Tunnel lief, so schnell es ihm seine Wunden erlaubten.