Das Geborgene Land, Königinnenreich Weyurn, 6241. Sonnenzyklus, Frühsommer.
Rodario rannte um sein Leben. Die Höhle war lang und schmal, am hinteren Ende führte ein steiler Pfad nach oben, geradewegs auf ein Tor aus Eisen zu. Das Wasser schwappte ihm bereits um die Füße, daher hetzte er den Weg hinauf auf den Durchgang zu.
Da er ahnte, dass sich dieser für ihn nicht öffnen würde, eilte er daran vorbei und suchte oberhalb des Tores nach einem Durchschlupf, der es ihm erlaubte, unbemerkt ins Innere des Berges zu gelangen.
Mit dem Wasser stieg seine Angst, diese abenteuerliche Episode seines Lebens nicht zu überstehen. Gut zwischen den Felsen versteckt, entdeckte er endlich eine eiserne Klappe, aus der stinkendes Gas entwich. Bevor ihn sein Verstand davor warnen konnte, es zu tun, zwängte er sich in die Öffnung und erklomm den kaminartigen Schacht dahinter.
Es ging unaufhörlich nach oben, gerade so als münde der Kamin in die Spitze des Berges. Der durchdringende Geruch nach faulen Eiern ließ Rodario unentwegt würgen, husten und spucken, dennoch arbeitete er sich beharrlich mit Händen und Füßen aufwärts, bis er durch eine Öffnung rutschte und auf der Empore einer großen Kammer landete.
In einem gewaltigen Becken unter ihm trat sprudelndes Wasser ein und füllte den Hohlraum immer weiter. Wenn die Eisentür, die sich zehn Schritte von ihm entfernt in der Wand befand, verschlossen blieb, wäre es um ihn geschehen.
Rodario eilte zu der Tür und betete, dass auf der anderen Seite keine Wachen standen. Er drückte den Riegel, der sich tatsächlich bewegen ließ, und drehte an dem kleinen Rad darüber, bis es mehrmals laut klickte, dann schob die Tür auf und huschte hinaus.
Niemand erwartete ihn, um ihm einen Speer in den Bauch zu stechen.
Er stand am Ende eines verwinkelten Ganges mit abgerundeten Wänden, die den Eindruck erweckten, als seien sie in langer Arbeit glatt wie Marmor geschliffen worden. An dem Fels glomm Moos und verbreitete ein schwaches braunes Licht.
Vorsichtig ging er vorwärts, lauschte auf verräterische Geräusche, die ihn vor einem ungewollten Zusammentreffen mit einem Alb bewahrten. Dabei erinnerte er sich an die Lautlosigkeit, mit der sich Narmora, die Halbalbin und Gefährtin seines Freundes Furgas, bewegt hatte. Vermutlich würde er einen Alb erst bemerken, wenn dieser ihm die Kehle durchschnitt.
Bald stand er vor einer ähnlichen Tür, die dieses Mal mit mehreren Riegeln und einem Drehrad gesichert war. Rodario öffnete sie einen Spalt weit und verharrte, als er die Hitze spürte, die herausschlug, und den Lärm vernahm: dröhnendes Rumpeln, das sich in regelmäßigen Abständen wiederholte, das Stampfen und Zischen von Maschinen, das helle Klirren von Schmiedehämmern, das laute Rufen der Arbeiter. Die Luft roch nach heißem Metall, nach Schlacke, nach Kohlefeuer und Öl. Wenn er nur auf seine Ohren und seine Nase vertraut hätte, so hätte er geglaubt, sich in der Schmiede im Reich der Fünften zu befinden.
Um nicht gleich entdeckt zu werden, ließ er sich auf alle viere hinab, zog die Tür auf, durch die rotes Licht fiel, und kroch hinein. Unter ihm befand sich eine Eisenplatte, an der sich zu seiner Linken eine Treppe aus Eisensprossen anschloss.
Rodarios Herz drohte stehen zu bleiben. Auf der Treppe standen zwei Albae! Sie trugen schwarze Rüstungen, hielten Speere in den Händen und schauten in die Tiefe.
»Das hat sich wieder gelohnt«, sagte der Blonde der beiden. »Ein fetter Segler mit reichlich Matrosen und Passagieren, die wir für den Meister arbeiten lassen können.«
»Endlich nicht mehr schuften«, lachte sein Freund und kratzte sich am Ohr, plötzlich hielt er die Spitze in der Hand. »Oh, verflucht. Das Harz ist weich geworden. Verdammte Hitze.«
Rodario hatte sich schon zuvor darüber gewundert, weswegen sich die Albae in der Sprache der Menschen unterhielten. Jetzt verstand er: Es waren Schauspieler. Die »Albae« waren verkleidete dünne Männer, und ihre ungewöhnliche Größe verschafften ihnen die Schuhe mit den hohen Sohlen. Auf den ersten Blick konnten sie damit einen einfachen Bauern oder Fischer täuschen, aber nicht ihn. »Schade, dass wir so viele Verletzte erstechen mussten«, sagte der Blonde und half dem anderen dabei, die Spitze wieder anzusetzen.
»Pflege hält nur auf.« Er lachte. »Und die Gefangenen freuen sich dafür über Gulasch.«
Rodario schielte über den Rand der ungesicherten Plattform.
Unter ihm breitete sich eine Werkstatt über zweihundert Schritt auf vielen verschiedenen Stockwerken aus. An manchen Stellen waren natürliche Ausbuchtungen des Berges als Schmiede genutzt worden, dann wieder hatte man Platten wie diese, auf der er lag, zu größeren Flächen zusammengesetzt und sie mit Streben im Gestein verankert, auf denen geschmiedet wurde.
Die Menschen, die angekettet ihre Arbeit verrichteten, schufen unterschiedliche Bleche, Räder, Eisenstangen, seltsam geformte Stücke und vieles mehr. Ein jeder hatte einige wenige, immer wieder gleiche Handgriffe zu erledigen. Die fertigen Teile warfen sie in Gitterboxen, die mit steter Geschwindigkeit an einer Kette befestigt hoch und runter fuhren.
Am Boden der Werkstatt wurden die Teile von Gefangenen ausgeladen und hinausgetragen. Hier befanden sich auch verschiedene, mitunter hausgroße Maschinen, an denen sich Unmengen von Schwungrädern und Zahnkränzen bewegten; Bänder und Ketten, die über die Räder liefen, spannten sich und führten zu weiteren Vorrichtungen, die sie wiederum antrieben. Vereinzelt liefen Ketten durch Mauerdurchbrüche in benachbarte Kammern.
Zischend stießen die Maschinen Qualmwolken aus, Menschen liefen um sie herum, legten Kohle nach oder gössen Wasser in die Behältnisse der Druckkessel. Der Krach musste in unmittelbarer Nähe kaum auszuhalten sein.
Rodario verstand nicht, was hier vor sich ging. Aber mit den Albae hatte diese Insel nichts zu tun. Die Einwohner Weyurns sollten das nur glauben, sich fern halten und nicht darüber sprechen. Einen besseren Schutz vor Entdeckung gab es nicht.
Schritte stapften die Treppe hinauf. »He, ihr da! Ihr sollt Wache halten und nicht an euren Ohren herumfummeln, ja?«, polterte eine ihm bekannte dunkle Stimme. Neben den Männern erschien ein dunkelhaariger Zwerg mit Lederhose, Stiefeln und Lederschürze. Der nackte, von Tätowierungen geschmückte Oberkörper glänzte von seinem Schweiß. Er trug einen Schmiedehammer mit solcher Lockerheit, als bestünde er aus Blech und Leichtholz.
Rodario glaubte, in ihm seinen Peiniger unter dem Wohnwagen wiederzuerkennen. Inzwischen ging er fest davon aus, dass der Lastkahn nicht an der Insel zerschellt, sondern darin verschwunden war. Die Insel war danach untergetaucht und hatte Rodarios Nussschale durch die Wellen zum Kentern gebracht. »Es liegt an der Hitze, Meister Bandilor«, verteidigte sich der Gescholtene. »Dadurch wird das Harz weich.« »Dann näh sie dir eben fest«, brummte der Zwerg. »Ich will nicht noch einmal sehen müssen, wie ihr euch befingert, ja? Wenn das einer der Gefangenen bemerkt, ist es mit der Maskerade vorbei.« Er wandte den Kopf, und Rodario sah den dichten, blutrot gefärbten Bart. »Hat einer von euch das Schott offen stehen lassen?« »Nein«, wehrte der Blonde sofort ab. »Ich habe keine Lust zu verglühen.«
Bandilors Augenbrauen zogen sich zusammen. »Ist Meisterin Veltaga vielleicht an euch vorbeigekommen, um Kammer zwei zu überprüfen?« Er ging an ihnen vorbei, den Hammer hielt er schräg vor sich. »Nein, Meister Bandilor. Niemand.«
Rodario gewann aus dem, was er gesehen und gehört hatte, die Erkenntnis, dass er einen geheimen Stützpunkt der Dritten ausfindig gemacht hatte. Niemand käme auf den Gedanken, dass sich Zwerge freiwillig auf eine Insel begaben und auf den Grund des weyurnschen Sees hinabtauchten. Ihren Gefangenen wurde eine Flucht unmöglich gemacht.
Zu seinem Entsetzen stapfte Bandilor die Stiegen hoch. So sehr Rodario sich umschaute, es gab kein heimliches Entkommen mehr für ihn. Er richtete sich halb auf, um sich in den Gang zurückzuziehen, aus dem er gekommen war, da bemerkte Bandilor ihn.
»Das ist nicht zu fassen! Der Schmierenkomödiant, ja?« Der Zwerg machte einen Satz nach vorn und wollte ihn am Bein packen.
Rodario drückte sich ab und rutschte von der Plattform. Dabei hielt er sich an der Kante fest, sodass er eine Rolle vorwärts machte. Vom Oberkörper an abwärts schwebte er kurz frei über dem Abgrund, dann landeten seine Füße auf der soliden Eisentreppe, nicht weit von den falschen Albae entfernt. Seine Finger öffneten sich, sein Herz pochte wild.
»Etwas mehr Respekt vor meiner Kunst«, rief er übermütig zu dem Zwerg hinauf, der wütend den Hammer nach ihm warf und ihn verfehlte; klirrend sprang das Werkzeug auf die Treppen und trudelte in die Tiefe. Die Wächter senkten ihre Speere und griffen an.
»Verzeiht, mit steht nicht der Sinn nach einem Gefecht mit Euch.« Rodario dachte gar nicht daran, sich auf einen Kampf einzulassen. Er sprang ohne zu Zögern in den nächsten Korb, der an ihm vorbei schwebte, und ließ sich nach unten transportieren. »Ich suche mir einen netten Ausgang!«, winkte er hinauf. »Wir sehen uns wieder, Meister Bandilor! Und ich kehre mit einem Geschwader weyurnischer Kriegsschiffe zurück.« Es ging vorbei an den staunenden Gefangenen, die sich nicht zu rühren wagten. Weder halfen sie ihm, noch schlössen sie sich an. Die Furcht vor den Albae und den Strafen hielt sie zurück, was er ihnen nicht einmal verdenken konnte. Es war schließlich nicht sicher, ob er entkam.
Ein Speer verfehlte ihn knapp und verhakte sich neben ihm in den Gittern. »Meinen Dank für die Waffe, Alb«, rief er und sah, dass ein zweites Geschoss nahte. Auch dieses verfehlte ihn, weil der Winkel für den Werfer zu ungünstig war. Dafür marschierten Bogenschützen ein Stockwerk über ihm auf; sie würden ihn treffen, ohne meisterliche Schützen zu sein.
Rodario sprang auf der Höhe eines Quergangs aus dem Korb und eilte geduckt auf den Durchgang zu. Irgendwo im Innern des hohlen Berges vermutete er seinen Freund Furgas, der sicherlich ebenso in Ketten lag. Tungdil und sämtliche Herrscher hatten die Gemeinheit der Dritten unterschätzt. Vielleicht konnte er unterwegs herausfinden, was die Dritten beabsichtigten. Sie würden sich nicht damit begnügen, auf Tauchfahrt zu gehen und seltsame Dinge zu schmieden. Die Zwergenhasser planten Großes.
Er gelangte in eine zweite Höhle, die etwas kleiner war und vom Aufbau her der ersten ähnelte. Hier war es noch heißer, denn auf dem Boden und auf den Plattformen standen zahlreiche Hochöfen, in denen flüssiges Metall brodelte.
Eine Zwergin stand zwischen den Arbeitern am Grund der Kaverne und gab Anweisungen, während die Funken um sie herum flogen. An einer anderen Stelle wurde gerade der Abstich vorgenommen; weiß glühend rann die geschaffene Legierung durch die Sandkanäle in vorbereitete Formen, wo sie erkalten durfte. Mehr sah Rodario nicht. Er erreichte eine Tür und stand dann wieder in einem der glatt geschliffenen, gewundenen Gänge, die ein Wurm in den Fels gefressen zu haben schien.
Dieses Mal traf er auf einen Wächter, einen falschen Alb, der vor einer Seitentür Wache hielt und ihn mit einem lächerlichen Fauchen attackierte.
»Keine Ahnung von der Materie haben und eine Rolle spielen wollen«, sagte Rodario tadelnd, der vor verkleideten Menschen keine Angst empfand. Bei wahren Albae hätte die Sache anders ausgesehen, aber so vertraute er auf seine Kampferfahrung, selbst wenn sie ein wenig eingerostet war.
Mit Wucht schlug er die Speerspitze zur Seite und stieß das stumpfe Ende seiner Waffe in den Schritt des Gegners, der aufstöhnend in die Knie sank. »Albae zischen nicht, wenn sie angreifen, merk es dir. Sie sind lautlos wie die Nacht und tödlich wie...«, er suchte nach dem passenden Vergleich, »wie... Ach, was soll's.« Er schlug dem Mann das Speerblatt gegen die Stirn und sandte ihn ohnmächtig auf den Gangboden. »Wenn du vor einer Tür Wache standest, wird sich dahinter etwas von Wert verbergen«, sagte er zu dem Liegenden und legte eine Hand auf die Klinke. »Schauen wir nach.«
Er drückte sie nach unten und rammte die Schulter gegen das Holz; schwungvoll wirbelte er in den dahinter liegenden Raum.
Kleidungsstücke verteilten sich unordentlich auf dem Boden, es roch nach altem Essen und abgestandener Luft, überall lagen Papiere mit Zeichnungen von Maschinen und Apparaten herum oder hefteten an den Wänden. Auf dem Bett hockte mit angewinkelten Beinen Furgas. Die graugrünen Augen schauten durch den Freund hindurch. Er sah verwahrlost aus, trug einen langen, dichten Bart und schmutzige Wäsche. Die Haare reichten bis auf die Brust und sahen verfilzt aus. Man hatte ihn schlecht behandelt.
»Furgas! Mein lieber Furgas!«, rief Rodario und eilte zu ihm. »Ich bin es, der Unglaubliche!« Er rüttelte ihn an der Schulter und schaute hinter sich, ob der nächste Alb erschien. »Auf die Füße! Das ist die Szene mit der dramatischen Flucht, bei der die Helden den Schurken entkommen und vielleicht das Böse für immer besiegen. Na, es wäre zumindest schön.« Er zog den lethargischen Mann auf die Beine. »Komm, wir verschwinden von hier.«
Wie ein widerstrebendes Kind folgte ihm Furgas. »Rodario? Wie kommst du hierher? Wie hast du die Insel gefunden?«, murmelte er verstört.
»Das hat eine lange Vorgeschichte, schätzungsweise drei bis vier Akte, und birgt Stoff für eine laufende Folge von hervorragenden Theaterstücken«, vertröstete Rodario ihn und trat auf den Gang. »Weißt du, wie wir von diesem Gefängnis flüchten können?«
Furgas wurde allmählich lebhafter. »Sind wir schon getaucht?«
»Ja.« Rodario verschlug es den Atem, als er den Geruch einatmete, der von dem Mann ausging. Sechzig Umläufe ohne Bad, schätzte er, war das Minimum, das man benötigte, um dieses Odeur zu verbreiten. »Dann gibt es keinen Ausweg.«
»Furgas! Reiß dich zusammen!« Eindringlich schaute der Mime seinem Freund in die Augen. »Wenn ich es geschafft habe, diese verdammte Insel zu betreten, wird es uns beiden auch gelingen, sie wieder zu verlassen.« »Aber sie haben überall Wachen...«
»Nöd'onn hatte überall Orks, die Avatare überall Soldaten«, spielte er die Gefahren herunter. »Wir haben sie auch gemeistert. Es ist unsere Pflicht, zu Tungdil und den anderen zurückzukehren und ihnen von diesen Dritten zu berichten. Komm endlich!«
Jetzt schaute ihm Furgas in die Augen. »Rodario«, lächelte er. »Der Unglaubliche Rodario. Du hast deinem Namen wieder einmal alle Ehre gemacht.« Er deutete nach links. »Und du hast Recht. Es gibt einen Schacht, durch den sie das Schwebgas abblasen. Dadurch könnten wir entkommen und zur Oberfläche tauchen. Falls wir es überleben.«
»Bist du dir sicher?«
Furgas grinste ihn mit korngelben Zähnen an, die seit langer, langer Zeit keine Behandlung mehr mit einer reinigenden Wurzel erfahren hatten. »Ich habe die Insel erbaut, da werde ich doch ihre Schwächen kennen.« Die Tür zu ihrer Rechten flog auf, und fünf Albae kamen auf sie zugestürmt; zwei davon trugen Bögen mit sich. Bandilor drängte sich nach vorn, er hielt eine Zweihänderaxt schlagbereit.
»Da ist er, der Komödiant, ja?«, grollte er.
»Bedroh mich«, raunte Furgas seinem Freund zu und stellte sich vor ihn. »Ich bin zu wertvoll für sie. Sie können es nicht wagen, mich zu verletzen.«
Rodario fiel keine bessere Lösung ein, daher brach er den Speer an der Wand in der Mitte durch und setzte die Klinge an den Hals des Freundes. »Zurück, ihr Ausgeburten eines schlechten Bühnenleiters«, rief er höhnend. »Wenn ihr uns verfolgt, steche ich ihn nieder, und es wird niemanden mehr geben, der eure verfluchte Insel bedienen kann.«
Bandilor blieb tatsächlich stehen. »Haltet ein«, befahl er den Wärtern. »Lasst sie gehen. Wir schnappen sie später, ja?«
»Lass die Insel auftauchen«, verlangte Rodario.
Aber der Dritte schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Wir müssen dazu erst wieder Schwebgas sammeln. Die Ballastkammern sind voll.« Er grinste böse. »Gib auf, ja?«
»Wir machen es so, wie ich gesagt habe«, raunte Furgas und lief rückwärts. »Durch das Schott, dann verriegeln wir es und verschwinden.«
Es kam Rodario vor, als zöge sich der Weg bis zu dem Durchlass eine Meile und mehr. Endlich traten sie in den nächsten Gang, schlössen die schwere Eisentür und verkeilten das Rad mit dem Öffnungsmechanismus. Furgas übernahm die Führung, steuerte zielsicher durch die engen Röhren, erklomm natürliche und künstliche Leitern, bis er sich durch eine Luke zwängte. Dort verharrte er und reichte Rodario die Hand. »Danke, dass du mich niemals aufgegeben hast« sagte er bewegt. »Erst du hast mir den Mut zur Flucht gegeben. Ich hatte ihn schon lange verloren.« »Wozu hat man denn sonst Freunde?«, strahlte Rodario. »Und unter uns: Es gibt keinen besseren Magister technicus als dich. Das Curiosum braucht dich dringend.« Er stieg ebenfalls in den Schacht. »Du zuerst.« Furgas machte ihm Platz. »Nein, du zuerst. Ich habe vergessen, die Sicherung der Flutklappe zu lösen.« Er kroch hinaus, während Rodario mit dem Aufstieg begann. Es dauerte eine ganze Weile, bis Furgas ihm folgte - allerdings mit viel weniger Mühe. Entsetzt sah er, dass das Wasser rasend schnell die Röhre hinaufstieg und sich Furgas wie ein Korken nach oben treiben ließ.
»Komm, so geht es einfacher«, rief er prustend.
Rodario ließ los. »Willst du uns ertränken?«
»Nein.« Er deutete nach oben. »Ich kann die Klappe erst öffnen, wenn der Gang geflutet ist. Sonst würden uns die eindringenden Wassermassen nach unten schleudern.« Furgas grinste den Mimen an. »Von Technik verstehst du noch immer nicht viel.«
»Dazu hatte ich immer dich«, lachte der Mime und verspürte ein Hochgefühl sondergleichen. Er stand kurz davor, das Unmögliche zu vollenden: Er hatte seinen Freund gefunden und würde ihn retten. »Was machen die Dritten hier?«
»Sie bauen Maschinen. Mordmaschinen.« Furgas' Gesicht verdüsterte sich. »Später, Rodario. Wir müssen unseren Atem sparen.«
Die geschlossene Luke kam näher, und sobald der letzte Rest mit Wasser gefüllt war, öffnete Furgas den Deckel und stellte die Verbindung zwischen dem See und dem Schacht her.
Weit über ihnen glitzerte das Sonnenlicht verheißend. Sie strampelten und näherten sich mit kräftigen Zügen der Oberfläche, die quälend langsam heran rückte.
Rodario ging die Luft aus, er musste gegen seinen Willen atmen und schluckte Wasser; gleich darauf tauchte er aus den Fluten, paddelte und hustete sich die Lungen frei. Auch Furgas würgte das Wasser aus sich heraus. Als sie zu Atem gekommen waren, schauten sie sich um.
Sie trieben mitten auf dem See in Weyurn, und weit und breit war kein Land in Sicht.
»Das ist doch mal eine schöne Flucht«, meine Rodario und blinzelte in die Sonne. Er rechnete damit, dass die Insel jeden Moment neben ihnen emporschoss. Beruhigenderweise fiel ihm ein, was Bandilor gesagt hatte: Selbst wenn sie wollten, konnten sie nicht auftauchen. Vorerst. »Wenigstens werden wir nicht verdursten. Zu trinken haben wir genug.«
»Die Götter sind mit uns.« Furgas deutete an den Horizont. »Da ist ein Boot!« Er hob die Arme und winkte, rief und brüllte, um auf sich aufmerksam zu machen. Rodario unterstützte ihn nach Leibeskräften, und bald darauf hielt der Kahn auf sie zu.
Nacheinander wurden sie an Bord gehievt. Rodario gab den Seeleuten die Geschichte von der Albinsel zum Besten und berichtete vom Untergang der Schaluppe. Das hatte zur Folge, dass das Fischerboot von seinem verängstigten Kapitän schnellstmöglich und mit vollständig gesetzten Segeln nach Mifurdania gesteuert wurde. Erschöpft saßen die beiden Freunde an Deck und hüllten sich in die Decken, die die Matrosen ihnen gebracht hatten.
»Es gibt viel zu erzählen«, sagte Furgas mit ernstem Gesicht. »Ich bete zu Vraccas, dass mir die Zwergenstämme verzeihen können, was ich ihnen angetan habe.«
»Du? Was hast du denn...«
Er senkte den Kopf. »Bandilor zwang mich dazu, Gefährte zu bauen. Gefährte, die er auf die Schienen der Tunnel setzen kann und mit denen er Tod und Verderben in die Zwergenreiche bringt.« Er wischte sich das Wasser vom Gesicht, wobei sich Rodario nicht sicher war, ob sich darin nicht Tränen verbargen. »Er plant noch Schlimmeres. Der Apparat dazu ist fertig«, sagte er leise. »Er wird Hunderten Zwergen das Leben kosten.« Rodario schlug ihm auf die Schulter. »Wenn wir es nicht verhindern können, mein Freund. Und wir werden es verhindern.« Er lächelte. »Unsere Taucherei hat übrigens - abgesehen von unserer unschätzbaren Freiheit - einen großen Vorteil, weißt du das?« Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. »Du stinkst nicht mehr.«