Das Geborgene Land, im Norden des Königreichs Gauragar 6241. Sonnenzyklus, Sommer.


Auch wenn die schönste Zeit eines Zyklus begann, es lastete gedrückte Stimmung auf dem Geborgenen Land. Die blühende Natur, die warme Sonne, die ersten reichen Getreideernten und die vielen leckeren Früchte, die an den Bäumen hingen und dem Gaumen Abwechslung versprachen, kamen dagegen nicht an. Inzwischen hatten die Bewohner der Königreiche erfahren, dass Unheimliches vor sich ging. Dabei blieb es nicht bei der Schilderung der fremdartigen Ungeheuer. Mit jedem Erzähler, der die Kunde weiter verbreitete, stieg die Bedrohung um ein Vielfaches.

»Habt ihr schon gehört? Inzwischen können sie fliegen, sich unsichtbar machen und sich in einen Berg verwandeln.« Goda ritt schräg neben Ingrimmsch und Tungdil, hinter ihnen folgte der Tross von Zwergenkriegerinnen und -kriegern, die sich mit dem Diamanten auf dem Weg aus dem Grauen Gebirge nach Immengau befanden. Sie führten zehn kleine, gepanzerte Wagen mit sich, und in jedem befand sich eine neuerliche Imitation des Diamanten, die sie mit nach Paland brachten.

Es war Tungdils Idee gewesen, die Anzahl der Steine zu erhöhen und damit den Dieben, gleich ob es nun Untergründige, Orks mit rosafarbenen Augen, Monstren oder Unauslöschliche waren, ihr Vorhaben zu erschweren. Weitere Nachahmungen wurden bereits von den Vierten hergestellt.

»Du hast vergessen, dass ein Blick von ihnen ausreicht, um einen ausgewachsenen Mann zu töten. Und sie Feuer spucken«, seufzte Tungdil. Solches Gerede hörten sie allenthalben. Spätestens die Nachricht von der Rückkehr eines Unauslöschlichen, einem der Herrscher und Mächtigsten der Albae, hatte tiefe Angst mit sich gebracht. »Ich kann die Sorge der Menschen verstehen« sagte er. »Wenn ein Unauslöschlicher die Macht des Sterns der Prüfung überstanden hat, käme ich aus der Sicht der Menschen auf den Gedanken, dass es auch anderen gelungen sein könnte.«

»Das war Gerücht Nummer dreiundsiebzig«, meinte Goda ungerührt. »Ein Heer rottet sich in Toboribor zusammen, um von dort aus Raubzüge zu führen.«

Ingrimmsch staunte sie an. »Du zählst nicht wirklich mit?«

Sie grinste. »Sicher. Ich finde es aufschlussreich, wie schnell eine Hand voll Feinde unüberwindbar wird. Die Scheusale wurden von Dorf zu Dorf immer größer, schrecklicher und schier unbesiegbar. Wir haben das Wesen im Stollen zwar nicht besiegt, aber es wäre uns fast gelungen.«

Tungdil schaute über die Schulter nach dem Tross. Alles war in Ordnung.

»Übrigens, in der letzten Stadt gab es erste Gerüchte, dass sich ein mächtiges Artefakt in Paland befinde.« Goda blickte zu Tungdil. »Die Leute bemerken, dass sich in dieser alten Festung Soldaten aus allen Königreichen versammeln«.

»Nur keine Zwerge«, brummelte Ingrimmsch.

Tungdil wusste, dass dieser offensichtliche Umstand das Gerede über Streitigkeiten zwischen den Zwergen und Elben, Zwergen und Menschen, dem Zwergengroßkönig und den Königen der Menschen schürte... »Habt ihr Gerücht Nummer vierundsiebzig vernommen?« Goda liebte es, ihren Meister mit den Neuigkeiten zu ärgern. »Die Scheusale können die Unschuld von Jungfrauen mit einem einzigen Wort rauben.« »Wenn ich diesen Unsinn noch länger hören muss, stopfe ich mir Wachspfropfen in die Ohren«, meinte Boindil griesgrämig. »Man könnte meinen, die Leute freuen sich über das Schlechte mehr als über das Gute.« »Da hast du nicht ganz Unrecht«, nickte Goda. »Es liegt in der Natur der Menschen, mehr das Schlechte von etwas zu sehen, anstatt das Schöne daran zu loben.«

»Es sind nicht alle so«, schwächte Tungdil den Vorwurf ab, wohl wissend, dass die Zwergin damit zu einem Großteil die Wahrheit sprach. Das fand er erschreckend, wenn er bedachte, dass sie erst seit einigen Umläufen mehr Zeit mit den Menschen verbrachte.

»Wir können ihnen die Wahrheit kaum sagen, oder? Wir haben Glück, dass niemand von den einfachen Menschen ahnt, was die Scheusale beabsichtigen. Das Geheimnis um die mächtigen Diamanten bleibt derzeit gewahrt.«

»Da hast du auch wieder Recht.« Boindil rutschte aus dem Sattel und zog es vor, neben dem Pferdchen herzulaufen. Sein Hintern schmerzte zu sehr. »Ich werde mich niemals wirklich an diese Art zu reisen gewöhnen. Man mag schneller vorankommen, aber der Hintern wird so breit wie der des Ponys, auf dem man sitzt.«

Goda stieg ohne ein Wort zu sagen ebenfalls ab. Sie strengte sich sehr an, den Anweisungen Ingrimmschs zu folgen, und erbrachte körperliche Leistungen, über die Tungdil offen und Ingrimmsch heimlich staunte. Wenn sich Tungdil nicht sehr irrte, glaubte er, eine leise Veränderung im Verhalten seines Freundes gegenüber seiner Schülerin auszumachen: Er schaute sie öfter an als vorher, und zwar nicht mit den Augen eines Meisters, der den Lehrling beobachtet, sondern mit den Augen eines Zwerges, der Zuneigung zu einer Zwergin empfindet. So auch in diesem Augenblick.

»Gefällt sie dir?«, meinte er verschmitzt lächelnd.

»Was?« Boindil zuckte ertappt zusammen und errötete tatsächlich ein wenig. Sofort wandte er den Kopf auf die Straße.

»Na, die Fortschritte, die sie macht?«, meinte Tungdil und kehrte die Frage ins Sachliche um. »Ja, gewiss«, antwortete Boindil erleichtert. Er blickte seinen Freund an. »Du hast es eigentlich anders gemeint.« Tungdil grinste nur und deutete auf das Wäldchen, das zur ihrer Linken aufgetaucht war. Es mussten die letzten östlichen Ausläufer Älandurs sein, oder besser gesagt waren es die gleichen Bäume, wie sie in den Hainen der Elben wuchsen. »Es wird Zeit für eine Rast.«

Er ließ den Tross im kühlen Schatten anhalten und sich ausruhen. Auch wenn sich die Kinder des Schmieds während ihrer Wachdienste an der Oberfläche aufhielten, eine lange Wanderung und Reise bedeutete für die meisten von ihnen eine Besonderheit.

Ingrimmsch befahl Goda, Wache zu halten. Als sie sich von ihnen entfernt hatte, nahm er den Faden wieder auf. »Es stimmt Gelehrter«, seufzte er. »Ich freue mich, wenn ich sie sehe. Und ich habe Angst vor dem Tag, an dem sie mich verlässt.«

»Du wirst sie noch lange um dich herum haben. Es dauert Zyklen, bis gute Kriegerinnen entstehen«, gab er zwinkernd zurück, wurde dann aber ernst. »Du hast dich tatsächlich in sie verliebt.«

Boindil setzte sich, eine Hand hielt den Krähenschnabel aufrecht gestützt. »Ist es nicht verrückt? Mein Herz droht im Feuer meiner Gefühle zu schmelzen. Sie war es, die mein Kampffieber wieder zum Leben erweckte. Und dabei weiß ich, dass es mit uns nichts werden kann. Ich habe ihre Verwandte erschlagen. Goda wird mich niemals weiter beachten, sondern mich hassen. Ich spüre es, obwohl sie ihre wahren Gefühle verbirgt.« Tungdil dachte an die Unterredung mit Balyndis. Er verschwieg seinem Freund, dass Goda tatsächlich zuerst beabsichtigt hatte, ihn zu töten. Jetzt war der falsche Augenblick, es zu sagen. »Sei dir nicht so sicher«, meinte er stattdessen.

»Ach? Du denkst, dass sie mich mag? Den Mörder ihr Muhme?«

»Du wirst es herausfinden müssen.«

»Weißt du, wie lange ich nicht mehr um eine Zwergin geworben habe, Gelehrter?«, seufzte Ingrimmsch hilflos. »Oh, mir hat einmal jemand erzählt, dass man sie mit ihrem Lieblingskäse einreiben und sie viermal im Kreis drehen müsse, um ihr Herz zu gewinnen«, lachte Tungdil in Anspielung auf den nicht ernst gemeinten Ratschlag, den er einst von dem Zwilling bekommen hatte. »Aber wenn ich es mir recht überlege: Sei einfach du selbst.« Dies waren die weisen Worte Boendals gewesen. »Sie ist eine Dritte, ohne Clan, ohne Verwandtschaft. Das macht es dir leicht. Du musst niemanden beeindrucken oder überzeugen.«

Mit Unwohlsein dachte er an seine erste misslungene Vorstellung vor Balyndis' Vater zurück. Er war abgelehnt worden, aber sie hatte sich dennoch durchgesetzt, ihren Gemahl und ihren Clan für ihn und ihre Liebe zurückgelassen. Nun zerbrach das Band zwischen ihnen, und die Vorwürfe, die er sich deswegen machte, konnte er nicht verdrängen. Er fühlte sich als Verräter an ihr, mochte aber zugleich nicht mehr mit ihr wie Gattin und Gatte leben.

»Oh, Vraccas«, sagte Ingrimmsch verzweifelt. »Das ist mir alles zu viel. Ein ehrlicher Kampf, da weiß man wenigstens, woran man ist. Doch die Liebe, oh, das ist... kompliziert.«

Tungdil gönnte seinem Freund die Gefühle und wünschte ihm, dass seine Wünsche sich erfüllen würden. »Halte durch und warte auf den rechten Augenblick.« Er schlug ihm auf die Schulter. »Und vor allem höre nicht auf das, was die anderen aus deinem Clan sagen.«

Ingrimmsch grinste. »Bei denen ist mein Ruf eh dahin. Du vergisst: Ich habe dich zum Freund, Gelehrter.« Ein Reiter näherte sich ihrem Rastplatz von Süden her. Hatten sie ihn zuerst für ein Kind auf einem Pferd gehalten, bemerkten sie bald ihren Irrtum. Dunkle Kleidung, ein Kopftuch, metallisch klirrende Satteltaschen. »Schon wieder der Henker?«, wunderte sich Boindil. »Da möchte ich aber bald nicht mehr an einen Zufall glauben.«

»Es wird auch kein Zufall sein.«

»Dann schick ihn weiter, wenn er bei uns lagern möchte. Ich traue ihm nicht.«

»Warte es ab.«

Bramdal brachte sein Pferd neben Tungdil und Boindil zum Stehen. »Ich grüße euch beide«, lachte er von oben. »Darf ich mich ein wenig bei euch ausruhen?«

»Bist du in Porista schon fertig?« Tungdil machte zu Boindils Verblüffung eine einladende Bewegung. »Wir haben noch Tee, wenn du möchtest.«

»Gerne.« Bramdal langte hinter sich und warf eine Art Strickleiter herab. Von dem Steigbügel ging es auf die Sprosse und von dort aufs Gras. »Ich sehe die Verwunderung«, grinste er. »Ich dachte mir: Warum mit Ponys und langsam reisen, wenn ein Zwerg auf einem Pferd schneller ist? Also habe ich mir das gebaut«, er zeigte auf die Strickleiter, »und den Sattel anfertigen lassen.«

Ingrimmsch schaute Kopf schüttelnd hoch zur Kruppe. Der Henker hatte sich ein Pferd ausgesucht, das ihm noch größer erschien als die herkömmlichen Vierbeiner. »Niemals bekäme man mich dort hinauf.« »Die Aussicht kann ich nur empfehlen.« Bramdal folgte Tungdil zum Teekessel und bekam einen Becher. »Vielen Dank.«

»Nichts zu danken«, lehnte Tungdil ab. »Was führt dich in den Norden?«

»Ich kehre nach Bergensstadt zurück.« Bramdal blies über den heißen Tee. »König Bruron möchte, dass ich eine Schule einrichte.«

»Für Henker, nehme ich an?«

»Ganz recht. Er wollte sie nicht in Porista haben. Wegen des Rufes seiner kommenden Hauptstadt«, grinste der Zwerg. »Dabei erfülle ich nur die Gesetze. Seltsam, nicht wahr? Die Menschen verhängen den Tod über ihresgleichen und wollen dennoch nichts damit zu tun haben.«

Tungdil lächelte. »Wir haben uns in Porista gar nicht gesehen.«

»Nein. Ich war zu beschäftigt.« Bramdal zwinkerte. »Du glaubst mir nicht. Was denkst du von mir? Hältst du mich für einen Spion der Zwergenhasser?«

»Ja«, sagte Ingrimmsch sofort und legte die Hände um den Griff des Krähenschnabels.

Bramdal lachte laut auf, er klang wirklich belustigt. Sein Blick ging an dem Krieger vorbei zu Goda, und seine Neugier erwachte. »Eine stattliche junge Zwergin. Sie sieht stark aus. Ich wette, sie führt ihre Waffe mit sehr viel Kraft. Genau richtig für eine Scharfrichterin.«

»Lass sie in Ruhe«, kam es auf der Stelle von Boindil. »Sie ist meine Schülerin«, schob er rasch hinterher. »Wenn sie Hälse durchtrennt, dann die von Schweineschnauzen.« Ihm wurde heiß, das Blut rauschte ihm in den Ohren. War das Eifersucht?

»Ich verstehe. Deine Schülerin«, meinte Bramdal grinsend und ließ offen, was genau er damit meinte. Er nippte am Tee. »Ich hatte in Porista eine Unterredung mit Gordislan Hammerfaust. Es gab einen Zwischenfall in Goldhort, der große Unruhe schuf: ein Anschlag.«

Tungdil stieß die Luft aus. »Die Maschinen der Dritten?«

»Nein. Es war ein Anschlag auf die Stadt.« Bramdal sah ihn ernst an. »Jemand hatte die Stauwehre vollständig geöffnet und ein Drittel von Goldhort unter Wasser gesetzt. Glücklicherweise gelang es den Einwohnern, die zerstörten Hebevorrichtungen der Wehre zu ersetzen, sonst hätten noch mehr Freie ihr Leben verloren.« »Wie viele kamen um?«, wollte Ingrimmsch wissen.

»Zweihundertelf. Etwas mehr als dreißig Häuser müssen neu errichtet werden.« Betrübt senkte er den Blick. »Nein, die Maschinen der Zwergenhasser verschonen uns, weil sie uns nicht durch die Höhlen erreichen können. Aber sie trachten uns auf andere Weise nach dem Leben.« Er goss sich von dem Tee nach. »Das Schlimme ist, dass es keinen Schuldigen gab. Die Wärter an den Wehren sind getötet worden. Niemand hat den Mörder und Attentäter beobachtet.«

»Furchtbar«, sagte Tungdil betroffen.

»Die Flut hatte noch andere Auswirkungen. Sie spülte das Misstrauen in Goldhort hinein. Seither werden Stimmen laut, welche die Stämme und nicht die Dritten der Tat bezichtigen. Der Reichtum, sagen sie, schüre den Neid der Stämme auf so viel Vraccasium und Gold, wie es bei uns zu finden ist. Ein Stammeszwerg muss in der Clanversammlung der Vierten gesagt haben, dass wir versuchten, uns mit den reichhaltigen Opfergaben unrechtmäßig die Gunst von Vraccas zu erschleichen, und dass man das verhindern müsse. Andere meinen, dass die Stammeskönige die Zwerge zurück in die Zwergenreiche zwingen möchten.« Bramdal schwieg und wartete auf eine Antwort.

»Blödsinn«, polterte Ingrimmsch. »Die Gebirge haben mehr Gold, als in die Höhle passt, in der die Stadt liegt. Wieso sollten die Zweiten oder sonst jemand nach dem Geld der Ausgestoßenen trachten?« Tungdil lehnte sich gegen einen Baum, schloss die Augen. »Bald kann niemand mehr etwas sagen oder nichts mehr geschehen, ohne dass es heißt, dass die Dritten ihre Hand im Spiel hätten, und Misstrauen aus jeder Tat und aus jedem Ereignis erwächst. Leider ist es genau das, was die Zwergenhasser erreichen wollen.« Er hob die Lider. »Bramdal, wo auch immer du solche Reden vernimmst, verkünde, dass man darauf nicht hören soll. Je mehr Zwist herrscht, desto schneller gelangen die Zwergenhasser an ihr Ziel.«

Der Henker nickte. »Das sagte auch Gordislan Hammerfaust. Ich nehme an, du weißt, wie schwer es ist, gegen die Gerüchte anzukämpfen.« Er stellte den Becher ins Gras. »Ich reite weiter. Vielleicht sehen wir uns wieder. Und denk dann nicht wieder gleich, auch ich gehörte zu den Bösen«, sagte er zu Ingrimmsch, stand auf und erklomm sein Pferd. Mit dem Stiefel angelte er die Strickleiter herbei und zog sie zu sich hinauf. »Vraccas segne euch.« Er hob die Hand und ritt davon.

Tungdil und Boindil sahen ihm nach. »Weißt du, was mich verwundert?«, fragte Tungdil seinen Freund. »Er hat nicht gefragt, was wir in den Wagen transportieren.« »Ich bleibe dabei.« Boindil stemmte die Hände in die Hüften. »Er ist ein Spion.«

Tungdil zwinkerte. »Weil er Goda schöne Augen machen würde?«

»Nein«, versetzte der Zwilling. »Doch, auch«, seufzte er dann.

»Meister! Tungdil!«, rief Goda. »Kommt her! Ich habe etwas gefunden!«

»Vielleicht dein Herz?«, neckte Tungdil Ingrimmsch, der ihn daraufhin in die Seite rempelte. »Kein Wort mehr über diese Gefühlsduselei«, grummelte er, stand auf und lief los; Tungdil folgte ihm. Es war ungewohnt, ihn ohne seinen langen schwarzen Zopf zu sehen, wie er einmal mehr feststellte. Goda kniete neben einem Busch und drückte die Äste auseinander, als die beiden näher kamen. »Seht!« Zwischen dem Grün und dem herrlichen Violett der Blüten wurden die Züge eines Elben sichtbar, der wie tot mit dem Rücken auf der Erde lag, die Augen geschlossen und einzelne verwelkte Blätter auf dem Antlitz. Aus seiner rechten Brust ragten drei Pfeilspitzen, die seine Lederrüstung und die erdfarbene Kleidung darunter durchschlagen hatten. Den prunkvollen, bestickten Gewändern nach handelte es sich um einen Elben von nicht eben geringem Stand; seine spärliche Ausrüstung sprach dafür, dass er sich auf der Jagd befunden hatte. Sein Lager konnte nicht weit entfernt sein.

»Er atmet!«, staunte Ingrimmsch, als er das schwache Heben und Senken des Brustkorbs bemerkte. »Ho, die Spitz... Elben sind doch härter im Nehmen, als ich dachte.«

»Helft mir.« Tungdil richtete den Verletzten vorsichtig auf, um nach den Pfeilschäften zu sehen. Zwei waren abgebrochen, der dritte steckte abgeknickt in ihm. »Bei Vraccas! Das sind Elbenpfeile!«

»Bei einem Pfeil hätte ich gesagt, es war ein Unfall«, gab Ingrimmsch seine Einschätzung ab und schaute auf den vom Blut gefärbten Rücken. »Aber bei dreien halte ich das für ausgeschlossen. Es sei denn, sie veranstalten Jagden auf das eigene Volk.«

»Weswegen bringen sich die Elben gegenseitig um?« Tungdil betrachtete das Gesicht. »Oder sollten wir uns fragen, warum sie ihn umbringen wollten?«

»Die Pfeile könnten doch Fälschungen sein«, meinte Goda. »Vielleicht die Dritten?«

»Nein. Sie hätten Armbrüste genommen, um den Verdacht auf uns zu lenken, und den Leichnam an einem Ort abgelegt, an dem er bald gefunden worden wäre. Und den armen Kerl nicht am Leben gelassen«, erwiderte Tungdil. »Nein, der Elb ist von seinesgleichen mit Pfeilen beschossen worden. Entweder man hat ihn für tot gehalten und liegen gelassen, oder er ist geflüchtet, und sie haben seine Spur verloren.«

Boindil betrachtete ihren ungewöhnlichen Fund. »Was machen wir mit ihm? Die Wunden sehen schlimm aus. Lange wird er nicht mehr durchhalten.«

Tungdil warf einen Blick zu ihren Wagen. »Wir nehmen ihn mit. Wenn die Elben ihn töten wollten, möchte ich den Grund erfahren.« Er erinnerte sich nicht, jemals von einem Krieg im Innern Älandurs gelesen zu haben. Die merkwürdigen Verhaltensweisen der Gesandten, die geheime Botschaft in ihrem Begleitschreiben, der Stein, die bislang verborgen gebliebenen Bauten der Elben, das konnte womöglich alles mit diesem Verletzten zusammenhängen.

Konnte.

Vielleicht handelte es sich um eine persönliche Fehde oder einen hochrangigen Verbrecher, den man gestellt und auf der Flucht erschossen hatte. Niemand wusste, wie das Volk der Wälder und Haine seine inneren Streitigkeiten regelte. Möglich war vieles.

»Sorgen wir dafür, dass er am Leben bleibt und bald die Augen öffnet.« Tungdil rief weitere Krieger zu sich, damit sie beim Tragen halfen. Sie packten ihn in einen der Wagen und betteten ihn weich auf mehreren Lagen Fellen. Einer ihrer Heiler kümmerte sich um ihn.

Tungdil befahl den Aufbruch. Er wollte den Rest des Sonnenumlaufs nutzen, um sich so weit wie möglich von den Grenzen Älandurs zu entfernen. Es war nicht verboten, verletzte Elben in Wagen zu transportieren, aber es war auch nicht üblich, dass sich Zwerge um Elben kümmerten. Im schlimmsten Fall konnte man ihnen eine Entführung unterstellen.

So rollte der Tross mit nun doppelt brisanter Fracht nach Süden.

Ingrimmsch musste wohl oder übel zurück in den Sattel, um die Gruppe nicht zu verlangsamen. Da sich Goda nicht über das Geschaukel beschwerte, verstummte er. Es machte keinen guten Eindruck, wenn der Meister lauter jammerte als die Schülerin.

»Wer war der Zwerg, der vorhin bei euch saß?«, erkundigte sie sich.

»Niemand, der dich interessieren sollte«, gab Ingrimmsch ruppig zurück.

Goda hob die Augenbrauen. »Ein Kind des Schmieds, das auf einem Pferd reitet, ist schon außergewöhnlich.« »Er ist nicht außergewöhnlich. Er ist ein Henker.« Boindil gefiel es nicht, dass ihre Neugier sich nicht legte. »Er tötet die Verbrecher der Langen. Gegen Geld.«

»Ist sein Name Bramdal Meisterklinge?«, fragte sie aufgeregt.

Ingrimmsch knurrte. »Ja. Weswegen?«

»Ich habe schon viel von ihm gehört. Er kämpfte am Schwarzjoch und in Porista, erzählt man sich. Er hat allein neunzig Orks getötet und einhundert Krieger der Avatare«, schwärmte sie. »Ich würde ihn gern kennen lernen.« »Pah, das ist nichts gegen das, was Tungdil und ich erlebt haben. Und gegen die Anzahl der Schweineschnauzen, die wir gespaltet haben.« Er wandte sich auf dem Sattel zu ihr um. »Vergiss Bramdal. Er mag eine Legende sein, aber ich halte nichts von ihm. Traue ihm nicht. Und nun kein Wort mehr über ihn.«

Sie sah ihn erstaunt an. »Ja, Meister.« Ihr ratloser Blick wanderte zu Tungdil, der mit den Achseln zuckte und zu verstehen gab, dass es ihn nichts anging.

Als die Sonne sich vor der Nacht beugte, lotste Tungdil den Tross an das Ufer eines kleinen, reißenden Flüsschens, um sich gegen Angriffe von mehreren Seiten zu sichern. Angesichts des Gewässers fühlte er sich nicht sonderlich wohl, weil es zu viele Erinnerungen weckte. Dennoch blieb er bei seiner Entscheidung. Sicherheit ging über eigene Belange.

Die Mannschaft lud den Elben aus und begann eben mit dem Ausspannen der Ponys, da geschah es. Die Pferdchen wieherten unvermittelt auf, eines nach dem anderen stieg, schlug mit den Hufen aus und zerrte an den Zügeln.

Nichts hielt sie mehr zurück, sie preschten los, immer am Ufer des Flusses entlang und wie von unsichtbaren Geistern gehetzt.

Tungdil erkannte den Grund für die ansatzlose Flucht. Aus den Flanken und Hinterteilen der Pferde ragten winzige Federbüschel, die zu Blasrohrpfeilen gehörten. Und Pfeile entstanden nicht einfach so. Feinde hatten sich unbemerkt an ihre Fersen geheftet und gelauert, wann sich eine günstige Gelegenheit für einen Überfall bot. »Zu den Waffen!«, rief er. »Die Untergründigen sind in der Nähe.«

Ingrimmsch und Goda eilten zu ihm, während zwanzig der Zwerge die Verfolgung der Wagen aufgenommen hatten. »Wieso die Untergründigen?«, fragte ihn sein Freund und spähte umher, ohne etwas zu erkennen. Dreißig Zwerge stellten sich an ihre Seite, die Äxte und Schilde erhoben. Noch gab es nichts und niemanden zu bekämpfen. »Es könnte ebenso gut Bramdal sein.«

»Nein. Die Ponys wurden mit Blasrohren beschossen, um sie zum Durchgehen zu bringen«, sagte er. »Wir haben die Angreifer nicht bemerkt. Das bedeutet, sie hätten uns ebenso leicht umbringen können. Haben es aber nicht getan.«

Laute Schreie und lautes Wiehern machte sie aufmerksam. Die berittene Abteilung lag auf der Erde, die Ponys rollten durch Staub und Gras. Ein gespanntes Seil in Kniehöhe quer über den Weg hatte die Verfolger abrupt aufgehalten. Einige Zwerge und Tiere blieben benommen oder verletzt liegen, der tapfere Rest schwang sich in den Sattel und nahm die Verfolgung trotz der Blessuren auf.

»Wir sind in eine Falle gegangen«, grollte Ingrimmsch und senkte den Kopf. »Kommt raus, ihr bartlosen Feiglinge!«, schrie er und machte einen Schritt nach vorn. »So kämpfen keine Zwerge! Wenn ihr Anstand habt, zeigt euch, anstatt wie hinterfotzige Gnome durch das Gebüsch zu krauchen!«

Es knackte und knisterte, die dicken Halme des Schilfs, das zwanzig Schritt von ihnen entfernt wuchs, zitterten verräterisch.

Ingrimmschs Augen leuchteten auf. »Jetzt gehen wir mähen, Goda!« Er stürmte los, und die Zwergin folgte ihm unerschrocken.

In Tungdils Vorstellungskraft sah er dessen toten Bruder Boendal neben seinem Freund herlaufen und nicht die Dritte. Wenn Goda auf dem Höhepunkt ihrer Kunst angelangt war, würden die beiden eine ebenso unschlagbare Kampfeinheit bilden wie einst die Zwillinge. »Ihnen nach!«, befahl er den restlichen Zwergen. »Versucht, die Untergründigen nicht zu töten. Sie haben uns bislang geschont.«

In einer breiten Linie stürmten sie in den Wald aus hohem dünnem Gras und bahnten sich einen Weg durch die Halme, die sie um mehr als das Vierfache überragten.

Tungdil hoffte, dass sie einen der fremden Zwerge fingen. Nur so konnten sie zu den Diamanten gelangen, welche sie bereits an die Untergründigen verloren hatten, und auch an die Lösung des Rätsels um die Diebstähle. Je weiter sie vordrangen, desto weniger erfüllte sich seine Hoffnung. Sie erreichten die gegenüberliegende Seite des wogenden Schilfs, ohne auf jemanden gestoßen zu sein.

»Da drüben!«, rief Goda und zeigte auf eine Gestalt, die seitlich der Halme auf einen Hügel zuhielt. Sie war etwas größer als ein Zwerg, aber zu klein für einen Menschen.

Tungdil schwenkte herum und hetzte dem Untergründigen hinterher, an seiner Seite waren Goda und Ingrimmsch. Die übrigen Zwerge befanden sich zu weit von der Stelle entfernt, um den Flüchtenden einzuholen. Der Untergründige verschwand über die Kuppe, bald darauf folgten ihm die drei Zwerge. Der Abstand zwischen ihnen verringerte sich nicht.

»So wird das nichts«, brummte Boindil, hob den Krähenschnabel und schleuderte ihn aus dem Laufen heraus. »Flieg und halte ihn auf«, rief er ihm hinterher.

Um die eigene Achse wirbelnd, überbrückte die schwere Waffe die Distanz zu dem Untergründigen, das stumpfe Ende traf ihn am Oberschenkel und riss ihn von den Beinen. Er fiel zu Boden und rutschte durch das nasse Gras bis zum Fuß der Erhebung; stöhnend blieb er liegen.

»Ein meisterlicher Wurf«, lobte ihn Tungdil, der gefürchtet hatte, dass sich der unterarmlange Sporn in seinen Rücken bohren und ihn töten würde. Seit der Rückkehr des Kampffiebers traute er Ingrimmsch in einem Gefecht alles zu.

»Wirf niemals deine Waffe, wenn du keine zweite dabei hast«, feixte Goda augenblicklich. »Meister, du...« »Ho, nur nicht so schnell.« Boindil hob grinsend die breite Faust.

»Ich habe diese zwei Waffen, Schülerin. Die reichen für einen solchen Gegner aus. Gegen die Schweinchen hätte ich mir was einfallen lassen.«

»Du redest dich heraus«, beschwerte sie sich. »Wenn ich es getan hätte, müsste ich Balken schleppen oder andere unnütze Dinge tun.«

»Ja«, gestand er lachend. »Deswegen bin ich ja der Meister.«

Sie erreichten den Untergründigen, der stöhnend versuchte, sich aufzurichten. Tungdil kniete sich neben ihn und drehte ihn auf den Rücken. »Ganz ruhig«, sagte er beschwichtigend. »Wir möchten dir nichts tun.« Es handelte sich um einen Zwerg, daran bestand kaum ein Zweifel, auch wenn sein Bart fehlte, sich die Züge wesentlich härter präsentierten, der Körper etwas größer und kräftiger und die Haut dunkler war. Die Haare hatte er sich zu Zöpfen geflochten, dunkelblau, dunkelgrün und schwarz gefärbt. Der Ansatz begann erst ab der Mitte des Schädels, der vordere nackte Teil des Kopfes war mit Zeichen bemalt.

Eine Rüstung trug er nicht. Er schützte sich mit dicker Lederkleidung vor Wetter und Waffen, die Füße steckten in Stiefeln mit dünnen Ledersohlen. Und genau eine solche Sohle traf Tungdil unters Kinn und sandte ihn rücklings ins Gras.

Noch während er fiel, hörte er Ingrimmsch überrascht aufschreien, dann landete sein Freund mit blutender Nase auf ihm.

»Er hat mich getreten!«, sagte Ingrimmsch fassungslos und wischte sich Blut weg. »Der Bursche hat mich getreten wie einen Hund!« Wütend sprang er auf. »Ich reiße ihn auseinander, diese kleine Halbglatze!« Tungdil erhob sich und sah, dass der Untergründige Godas Angriff mit zwei schnellen Körperdrehungen, wie er sie von Ringern kannte, ins Leere laufen ließ. Er packte sie im Gegenzug am Unterarm und der Schulter und hebelte sie mit einer schwungvollen Bewegung aus. Sie hob vom Boden ab und prallte mit dem Rücken zuerst auf die Erde. »Lass ihn am Leben, Boindil!«, rief er und stand auf.

Ingrimmschs ungestüme Attacke führte zu keinem erfreulichen Ergebnis, zumindest nicht für den Zwilling. Es war in der Tat so, dass sich der Untergründige schnell und elegant bewegte, als tanze er mit seinen Gegnern. Kaum bot sich ihm die Gelegenheit, etwas zu fassen zu bekommen, wie den Gürtel oder eine Lederschlaufe am Kettenhemd, nutzte er es als Hebel. In diesem Fall war es das Wehrgehänge. Und so hob Ingrimmsch wieder ab, krachte auf die Brust und fluchte so arg, dass die untergehende Sonne sich Wolken suchte, um sich dahinter zu verstecken.

»Er hat mir die Knochen verbogen«, schrie er und schlug mit der Faust ins Gras. »Bei Vraccas, was für ein Saukerl! Das ist doch kein Kampf, dass ist Koboldkram!«

Der Untergründige rannte humpelnd davon.

Tungdil verfolgte ihn und freute sich darüber, dass er sein Durchhaltevermögen zurückerlangt hatte. Vor vierzig Umläufen oder mehr wäre er schon lange keuchend und mit Seitenstechen zusammengesunken. »Bleib stehen! Wir müssen über die Diamanten sprechen!«, rief er. »Sie sind wichtig für uns!«

Zwar hörte der Untergründige nicht auf ihn, aber der Treffer durch Boindils Krähenschnabel forderte auch bei ihm seinen Tribut.

Nach zweihundert Schritt über die weite, offene Ebene kam Tungdil so nahe an ihn heran, dass er einen Sprung wagte. Er warf sich gegen die Körpermitte seines Gegners und brachte ihn zu Fall. Noch in der Abwärtsbewegung wand sich der Untergründige wie ein Aal und wäre ihm beinahe entschlüpft, wenn nicht plötzlich Goda erschienen wäre und ihm einen Hieb mit dem Griffende des Nachtsterns versetzt hätte. Ohnmächtig sackte er zusammen.

»Danke, Goda«, schnaufte Tungdil vor Anstrengung und setzte sich auf den Gefangenen, verschnürte ihm mit seinem und Godas Gürteln Hände und Beine. Jetzt gab es kein Entkommen mehr.

Als er die Taschen des Untergründigen durchsuchte, fand er viele der rotgefiederten Blasrohrpfeile, außerdem ein kleines Fläschchen mit einer übel riechenden Flüssigkeit. Er schätzte, dass es sich um ein Gift handelte, um die Spitzen damit zu tränken.

Ingrimmsch tauchte auf. »Das nächste Mal soll er gefälligst eine Waffe hernehmen, wie es sich für einen anständigen Zwerg gehört«, sagte er gereizt und hielt sich mit der Linken die Brust. Seine Augen glitten suchend an dem Gefangenen herab. »Was denn? Nur ein Dolch?«

Der Untergründige hob die Lider und wehrte sich nicht weiter. Ihm war bewusst, dass die Flucht ein Ende hatte. Er musterte die Gesichter derer, die ihn gefangen nahmen. »Lasst mich gehen«, sagte er mit dunkler, tönender Stimme und einem harten Akzent. Es klang sehr adlig, gerade wie es Rodario manchmal tat, um Leute auf die Schippe zu nehmen. »Ich habe euch nichts getan.«

»Nichts getan?« Ingrimmsch deutete auf seine rechte Schulter. »Du hast sie mir mit deiner Werferei ausgekugelt!«

»Du hast versucht, mich zu töten. Hätte ich dich töten wollen, wäre es mir gelungen«, gab der Untergründige zurück. »Beschwere dich also nicht.«

Ingrimmsch lachte ungläubig auf. »Das höre sich einer an! Bei Vraccas, hast du Hulto-Kraut gekaut, oder was ist dir zu Kopf gestiegen?«

Tungdil bedeutete ihm mit einer Handbewegung, etwas gemäßigter zu sein. Goda stellte sich an die Seite ihres Meisters und bekam einen lobenden Blick von ihm, weil es ihr zu verdanken war, dass sie überhaupt einen Gefangenen gemacht hatten. Ihr stolzes Lächeln beruhigte ihn auf der Stelle.

»Ich bin Tungdil Goldhand, das sind Boindil Zweiklinge und Goda Feuermut«, stellte er vor. »Viele von uns haben Freunde und Verwandte verloren, um den Diamanten zu beschützen, den ihr uns stehlen wollt. Weswegen?«

Inzwischen gesellten sich weitere Zwerge zu ihnen. Man raunte Tungdil zu, dass die Kutschen gefunden worden waren. Die Truhen mit den Diamanten waren allesamt geöffnet worden und die Steine gestohlen. »Wir stehlen nicht. Wir nehmen uns unser Eigentum«, sagte der Untergründige. »Eine Broka hat ihn uns geraubt und verschleppt. Wir suchten ihn viele Sternenzüge lang, bis uns die Ubariu den entscheidenden Hinweis auf den Verbleib gaben.«

»Was sind Broka?«

Er überlegte. »Ihr würdet sie Elbin nennen.«

Tungdil nickte Ingrimmsch zu. »Das dachte ich mir. Wir nannten sie Eoil, und sie hat Schreckliches über das Geborgene Land gebracht. Aber sie veränderte den Stein. Er ist zu einem mächtigen Artefakt geworden.« »Das war er auch schon vorher«, gab der Untergründige zurück. »Es ändert nichts daran, dass der Diamant unser Eigentum ist.«

»Kannst du uns zu deinem Anführer bringen?« Tungdil öffnete zuerst den Gürtel um die Hände, danach den um die Beine und erhob sich von dem Gefangenen. »Eure Überfälle müssen ein Ende haben. Wir alle brauchen eine Lösung.« Er hielt ihm die ausgestreckte Hand hin.

»Gelehrter, sie stecken mit den Schweinchen unter einer Decke«, warnte ihn Ingrimmsch. »Ich denke nicht, dass wir ihnen trauen sollten.«

Der Untergründige tat so, als habe er den Einwurf nicht gehört, sondern stand aus eigenen Kräften auf, ohne die Hilfe Tungdils in Anspruch zu nehmen. »Ich bringe euch zu dem Ort, wo ihr auf Sündalon warten könnt. Mehr nicht.« Er klopfte das Gras von seiner Hose.

»Wir drei kommen mit«, sagte er. »Geh du voran.« Tungdil wies die anderen Zwerge an, im Lager auf ihn zu warten. »Hast du einen Namen?«

»Ja. Den habe ich.« Er nickte und humpelte los, was Boindil mit einem zufriedenen Grinsen wahrnahm. Es war der Ausgleich für die Schmerzen, die er fühlte.

Plötzlich spürte er Godas Hand auf seiner rechten Schulter, die zweite packte seinen Arm und drückte ihn kraftvoll nach hinten. Er knirschte mit den Zähnen, als die Knochen wieder an die Stelle rückten, wo sie hingehörten. Für die Dauer einiger Lidschläge waren sich ihre Gesichter ganz nahe, er spürte ihren Atem. »Verzeih mir, Meister«, sagte sie entschuldigend. »Je unvermuteter ein Gelenk eingekugelt wird, umso besser springt es an seinen Platz.«

»Schon gut«, sagte er und lächelte sie an. Nicht wie ihr Meister, sondern wie ein Zwerg. Ein verliebter Zwerg. Dann räusperte er sich, machte schnell einen Schritt zur Seite und ging an ihr vorbei. »Komm. Wir wollen den Gelehrten nicht allein lassen.«

Goda bemerkte den Unterschied im Lächeln. Das erklärte ihr seine heftige Reaktion, als sie von Bramdal erzählt hatte. »Oh, Vraccas.« Sie seufzte schwer und folgte ihm.


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