XII


Das Geborgene Land, Königinnenreich Weyurn, 12 Meilen nordwestlich von MiFurdania, 6241. Sonnenzyklus, Sommer.


Nach den vielen Unterbrechungen verlief der Rest ihrer Reise ausgesprochen gut. Sie gingen an Bord der beiden königlichen Schiffe, die ihnen bereitgestellt worden waren, und nahmen Kurs auf Mifurdania. Unterwegs legten sie an der Insel Windspiel an und überließen den Elben der Obhut des königlichen Archivars, den sie im Namen von Königin Wey mit der Pflege beauftragten.

Dann war es auch schon wieder mit ihrem Glück vorbei.

Dass ein See durchaus hohe Wellen besaß, wurde den Zwergen und ihren Begleitern bald deutlich vor Augen gehalten.

Die Göttin Elria machte sich gegen Abend einen Spaß daraus, das Wasser in Aufruhr zu versetzen und die Wogen gegen den Rumpf der beiden Schiffe zu schleudern, auf denen sie fuhren.

Es ging in einem steten Auf und Ab über Weyurns See, Gischtschleier durchnässten jeden, der sich im Freien befand. Es gab - bis auf Tungdil - keinen Zwerg des Geborgenen Landes, der sich nicht übergeben musste, die Untergründigen dagegen taumelten nicht einmal auf den schwankenden Planken.

Tungdil eilte hinunter in den Frachtraum, um nach der in Decken eingeschlagenen Statue Lot-Ionans zu sehen. Er könnte es sich nicht verzeihen, wenn sie jetzt, kurz vor ihrem Ziel, wegen des Sturms stürzen und zerbrechen würde. Breitbeinig umrundete er seinen versteinerten Ziehvater, prüfte die Gurte. Dann zog er einen Zipfel Decke zur Seite und betrachtete das Gesicht.

»Bald«, versprach er ihm mit einem einzigen Wort und schluckte schwer. Aus der Hoffnung, den vertrauten und geliebten Magus lebendig vor sich stehen zu sehen, war überwiegende Gewissheit geworden. Was er wohl sagen wird, wenn er hört, was alles geschehen ist?, fragte er sich und berührte den Saum des versteinerten Gewandes, das unter der Abdeckung herausschaute. Er ertappte sich dabei, dass er überlegte, ob Lot-Ionan ihn wegen irgendeiner Sache aus den vergangenen Zyklen ausschimpfen konnte. Tungdil grinste. Nein, er hat keinen Grund. Es sei denn, Heldentaten sind verwerflich. Er zog ein Seil fester um die Füße der Statue und erklomm die Treppe zurück an Deck.

»Elria hat eine neue Art des Fluchs gegen uns ersonnen«, ächzte Boindil und rülpste leise. Mehr als Luft kam nicht mehr, es befand sich nichts mehr in seinem Magen, was er über die Reling hätte speien können. Es war das erste Mal seit dem Streit auf dem Hof, dass er etwas zu Tungdil sagte. Bis dahin hatte er die Gesellschaft von Goda, den Zwergen und dem Schauspieler vorgezogen.

»Das ist gar nichts«, grinste Sirka. »Wir haben auf den Meeren schon stärkere Stürme erlebt.« »Im Jenseitigen Land gibt es Meere?« Tungdil dachte an die dürftigen Aufzeichnungen, die er über die Welt auf der anderen Seite der Gebirge gelesen hatte. Er konnte sich nicht erinnern, etwas über ein Meer gelesen zu haben.

»Gewiss. Wir befahren sie.« Sirka schaute zum Steuermann. »Die Schiffe und die Mannschaft wären auf unseren Meeren rettungslos verloren. Sie würden den Stürmen nicht Stand halten.«

Furgas stand bei ihnen, ihm machte das Wetter nichts aus. »Hier muss es irgendwo gewesen sein«, verglich er die Umgebung und rief Rodario zu sich. »Die Entfernung stimmt, und da drüben ist eine Insel. Ist das die, welche du umfahren hast?«

Rodario hielt sich am Mast fest, Wasser rann aus seiner Kleidung. »Es kann sein. Hoffen wir, dass sich der Fischer nicht getäuscht hat, als er von der Alb-Insel berichtete.«

»Der Sturm ist gut für uns«, meinte Sirka. »So können wir nahe genug herankommen, ohne dass die Dritten uns sofort bemerken.«

Tungdils Augen schweiften über das Häuflein Wagemutiger, und er erinnerte sich an den namenlosen Untergründigen, der sie damals zu Sündalon geführt hatte. Er fragte Sirka nach ihm. »Was hat es mit ihm auf sich? Was bedeuten die Zeichen auf seiner Stirn und seine Kleidung? Warum nannte er mit seinen Namen nicht?«

»Ich glaube, es gibt lediglich sieben Personen, die wissen, wie er heißt«, antwortete sie. »Ich gehöre nicht dazu. Er ist Sündalons Vertrauter und dem Acront von Letefora ergeben. Er wurde von ihm ausgebildet.« Die Auskunft brachte mehr Fragen als Klarheiten. »Aber was...«

»Berg voraus!«, brüllte der Ausguck nach unten. Nun musste Tungdil seine Neugier zügeln. Dergard, der in der Tür zu Passagierkajüte stand, winkte Tungdil und Furgas zu sich. »Das ist die Stelle, an der die Quelle liegt«, rief er in ihre Ohren. »Ich spüre es ganz deutlich. Es gibt keinen Zweifel daran.« »Wenn die Insel aufgetaucht ist, heißt das, dass sie die Monstren entweder erwarten oder absetzen möchten«, sagte Furgas laut.

Tungdil presste die Lippen zusammen. Gegen vier der Scheusale, die im schlimmsten Fall neue magische Kräfte aufgenommen hatten, wäre es ein aussichtsloser Kampf, solange sie Lot-Ionan nicht zum Leben erweckt hatten. »Wir haben keine Wahl«, sagte er. »Wir müssen die Insel einnehmen und sofort zum Grund tauchen. Haltet Euch bereit, Dergard.« Er eilte die Treppen zum Steuermann und zum Kapitän hinauf, um seine Anweisungen zu geben. »Sucht eine Stelle, an der wir anlanden können.«

»Das geht nicht. Seht Ihr den Strand?«, rief der Kapitän. »Es besteht aus festem Gestein. Das wird uns den Bug aufschlitzen.«

»Es gibt keine andere Möglichkeit. Wir haben nicht genügend Beiboote, und schon gar nicht werden wir sie bei diesem Sturm absetzen können«, beharrte Tungdil. »Jagt die Schiffe notfalls auf den Strand und lasst sie danach zerschellen.«

»Ihr seid kein Seefahrer, Tungdil Goldhand! Wisst Ihr, was Ihr da verlangt?«, meinte der Mann entsetzt. »Ihr setzt unsere Leben aufs Spiel!«

»Ja: Tut es einfach, Kapitän. Es geht um mehr als um ein paar Schiffe.« Und ein paar Leben. Er kehrte auf das Deck zurück, begab sich von dort erneut in den Frachtraum und scheuchte die Zwerge und die Soldaten aus Weyurn hinauf, um die Eroberung der Insel einzuleiten. Lot-Ionans verhüllte Statue wurde an Deck gebracht und mit dem Seil des Lastkrans verbunden. Tungdil betrachtete die Vorbereitungen mit großer Aufmerksamkeit und Sorge. Von diesem Augenblick an musste alles glücken.

Sie versammelten sich am Bug, während die Alb-Insel als großes, schwarzes Gebilde näher kam. Bald darauf rannten die Schiffe auf die Basaltplatte. Krachend barsten die Spanten. Keiner der Zwerge und Untergründigen schrie, grimmig klammerten sie sich an Tauen oder Aufbauten fest, um nicht den Halt zu verlieren. Das Holz wurde durch den scharfen Stein wie von einer Klinge aufgeschlitzt.

»Alle von Bord!«, schrie Tungdil und blies in ein Rufhorn, um den Zwergen auf dem zweiten Schiff das Signal zu geben; danach sprang er hinab und landete auf dem harten Felsen.

Den meisten Zwergen und Soldaten gelang dieses Kunststück ebenfalls; lediglich ein Dutzend verfehlte durch das Schlingern der Schiffe den festen Strand und landete im Wasser. Sie versanken augenblicklich in den Wogen.

Tungdil fluchte lautlos, als er es sah. Sie sollten ihre Leben nicht umsonst verloren haben. »Lasst die Statue herab!«, rief er. Er sah, wie das Wasser in den geöffneten Vorderteil des Schiffes schoss und ihn umgehend flutete.

Ein Hebearm des Krans schwang herum, Matrosen betätigten die Winde, und der versteinerte Magus schwebte von Deck.

Als er sich bereits halb über dem Strand befand, schwankte das Schiffs besonders heftig. Das Heck schwenkte herum, und so wurde der Rumpf wie ein Laib Brot aufgeschnitten.

Die schwere Last tanzte und hopste wie ein Gehenkter am Seil, dann wurde die Beanspruchung zu groß. Mit einem Knall riss das Tau, und die Statue stürzte nach unten.

Die Zwerge sprangen zur Seite, um nicht erschlagen zu werden; polternd schlug sie auf dem Strand auf - und rollte in Richtung der Bruchkante.

»Haltet sie fest!«, brüllte Tungdil und rannte durch das Wasser, das ihm bis zur Hüfte stand. Zusammen mit fünf Zwergen zog und zerrte er an der Statue, aber die Decken hatten sich vollgesogen und machten sie noch schwerer. Eine Woge spülte drei Zwerge von den Beinen, und der versteinerte Lot-Ionan rutschte über den Basalt in die Tiefe.

»Nein!«, schrie Tungdil und starrte auf die Stelle, wo die Statue versunken war. Er machte einen Schritt vorwärts, als könnte er hinterher tauchen und sie bergen.

»Lass sie«, hielt ihn Ingrimmsch zurück. »Wer weiß, ob die Rückverwandlung überhaupt funktioniert hätte. Wir haben einen Magus, Gelehrter. Und dem müssen wir seine Magie verschaffen.«

Die Versteinerung Lot-Ionans hatte scheinbar auf Tungdil übergegriffen. Unfähig, sich zu rühren oder etwas zu sagen, verharrte er auf dem Strand. Der Wind peitschte ihm ins Gesicht, er vernahm das Krachen der sterbenden Schiffe. Seine Gedanken zerrannen wie seine Pläne zu Quecksilber, sickerten nach unten und verschwanden ohne irgendeine Spur. Was wird jetzt?, war das Einzige, was er innerlich unentwegt wiederholte. Ich habe ihn für immer verloren. Durch meine Schuld. So sollte die Eroberung der Insel nicht beginnen.

»Tungdil!«, herrschte Ingrimmsch ihn an und rüttelte an seiner Schulter. »Komm zu dir. Wir brauchen dich.« »Verdammt!«, schrie Tungdil gegen den Sturm, die Gischt überdeckte seine Tränen, die er vor Wut und Trauer weinte. Dann wich die Niedergeschlagenheit dem Zwergentrotz. »Also gut. Erobern wir diese verfluchte Insel.« Er hob den Kopf. »Furgas!«

Furgas zeigte sich, winkte und sprang von Deck. Er übernahm die Leitung, führte sie durch die Grotte, in der Rodario schon einmal gewesen war, und stand unmittelbar vor einer massiven Wand. »Hier ist ein verborgener Ausgang«, erklärte er und tastete an dem schwarzen Stein herum.

Tungdil und die anderen warteten voller Spannung, sicherten in alle Richtungen.

Rodario sah durch den Höhlenausgang, wie die nächste Welle die beschädigten Schiffe anhob und gegen die Bergwand schleuderte. Sie zerbrachen lärmend in viele große und kleine Trümmer. Einige Seeleute retteten sich an Land, die meisten glitten zusammen mit den Wrackteilen in die aufgewühlte See. Damit blieb den Eroberern nur der Erfolg. Ein Rückzug war nicht mehr möglich.

Die Wand vor ihnen schwenkte zur Seite. »Wir kommen durch den Gang in die mittlere Ebene der Schmiede«, erklärte der Mime.

»Eine Gruppe befreit die Gefangenen«, befahl Tungdil und stellte zehn Soldaten dazu ab, »der Rest hält sich nicht weiter auf und folgt Furgas und mir direkt zu den Dritten.« Er nickte ihnen zu. »Vraccas sei mit uns und mache uns erneut zu den Beschützern des Geborgenen Landes.« Er blickte zu Sirka, schenkte ihr ein Lächeln und gab Furgas das Zeichen, dass es losgehen konnte.

Die Gruppe aus zweihundert Kämpfern eilte durch den schmalen Gang und näherte sich der mit Riegeln und Bolzen geschützten Tür, die sich unter den erfahrenen Händen von Furgas ganz leicht öffnen ließ. Rodario erkannte den Ort sofort wieder. Sie standen genau in der Nähe des Durchgangs, durch den er damals in die Höhle mit den Schmelzöfen geflüchtet war.

Die Zwerge und Soldaten schwärmten aus.

»He!« Einer der Gefangenen hatte die Unbekannten bemerkt. »Wer seid ihr?«

Sein Rufen wurde von den Umstehenden gehört, die Zwerge und Soldaten waren entdeckt. »Bei den Göttern des Guten: Truppen der Königin! Elria sei gepriesen! Befreit uns!«, schrie der Gefangene aufgeregt und reckte bittend die Fesseln. Nun begann ein lautes Rufen und Schreien in der Höhle. Die Männer und Frauen hatten Angst, dass sie nicht von den Soldaten befreit würden.

Damit lockten sie die Wärter an, die zuerst an einen Aufstand glaubten. Als sie ihren Irrtum erkannten, leisteten die meisten der nachgeahmten Albae nur wenig Widerstand. Sie waren zu wenige, als dass sie mit einem Sieg rechneten. Sie hofften stattdessen auf die Gnade der Eroberer.

Aber zehn Gegner hockten hoch oben und schössen Pfeile auf die Eindringlinge ab oder schleuderten glühende Kohlen nach ihnen. Es gab Verletzte und Tote, der rasche Vormarsch geriet ins Stocken.

Furgas, Rodario, Tungdil, Sirka, Ingrimmsch und Goda führten derweil eine Truppe in die Schmelze, um die Dritten zu fassen. Die Wärter hier rannten nicht vor ihnen davon oder ergaben sich bereitwillig. Der Widerstand war groß und konnte nicht einfach durch ein paar rasche Axthiebe erstickt werden.

»Gebt Acht!« Tungdil bemerkte, dass sich die Hochöfen in den Ebenen über ihnen der Reihe nach neigten und ihren heißen Inhalt über sie ergießen wollten. »Sucht euch Deckung! Unter die Felsen, rasch!« Flüssiges, gelbes und rot glühendes Eisen ergoss sich wassergleich von oben, spritzte Funken schlagend auf die Wege und Stockwerke darunter und verbrannte die Unglücklichen, die sich nicht rechtzeitig in Sicherheit brachten. Es war ein wunderschönes und zugleich tödliches Schauspiel. Etliche der Soldaten und der angeketteten Arbeiter am Boden vergingen in der Flut; die Luft in der Höhle stank, wurde sengend und schmerzte in den Lungen, Zischen und Schreien mischten sich.

»Wo ist Furgas?« Rodario entdeckte seinen Freund nicht mehr. »Furgas!«, schrie er wie wahnsinnig und wurde von Tungdil gerade noch davor bewahrt, in eine Lache flüssigen Eisens zu treten. Es hätte ihn unweigerlich den Fuß gekostet.

»Da!« Ingrimmsch zeigte nach unten, wo der Mantel des Magisters verbrennend auf der Oberfläche des Eisens trieb und ein verkohlter Arm in der leuchtenden Masse hinabsank. »Vraccas hat ihn für seine Taten an seinem Volk passend gestraft«, murmelte er.

»Schießt die heimtückischen Angreifer aus den Felsen«, befahl Tungdil wütend. Noch ein wichtiger Mensch bei dieser Unternehmung war verloren. Die Reihen lichteten sich viel zu schnell.

»Furgas«, flüsterte Rodario entsetzt. »Mein armer Freund. Die Götter sind seit dem Tod von Narmora nur grausam zu dir gewesen. Ich hatte gedacht, dass sie sich mit dir versöhnt hätten, weil sie mich dich finden ließen.« Der verkohlte Arm... ein letzter Gruß von dem Mann, mit dem er zyklenlang durch das Land gezogen war, der das Curiosum zu einem phantastischen Traumgebilde gemacht hatte und dem er so viel zu verdanken hatte. Weg, tot, verbrannt. »Dabei hätten wir dich gebraucht, Furgas.« Er wischte sich die Tränen aus den Augen und zog sein Schwert. »Deinen Tod werden mir die Dritten büßen!« Er stürmte davon, den Gang entlang, durch den er schon einmal gelaufen war.

»Ihm nach«, rief Tungdil den Zwergen zu und befahl den Soldaten, die Gefangenen zu befreien und die Wärter zu beschäftigen. Durch ein Schott erreichten sie eine schmale, hohe Höhle.

Hier befand sich das Herz der Insel. Der Raum war angefüllt mit Drehventilen, Rohren und Ketten, die in den Decken verschwanden. Unter den gewaltigen fünf Kesseln, welche einen Großteil der Höhle ausfüllten und fünfzig Schritt hoch waren, loderten Öfen. Sie schufen den Wasserdampf, mit dem zahlreiche Maschinen auf dieser Insel arbeiteten.

Rodario entdeckte die Dritten neben einem Eisenkasten, aus dem viele kleine Glasröhrchen ragten und Rohre abzweigten. Darin schwappte eine klare, brodelnde Flüssigkeit. »Ihr da!«, reckte er das Schwert gegen sie. »Ihr werdet bezahlen, was Ihr meinem Freund und dem Geborgenen Land angetan habt!« Er flog die Stufen hinab, um Veltaga und Bandilor zu stellen.

Bandilor fluchte laut und legte die Hebel hinter sich um. »Ihr werdet niemals lebend von hier entkommen.« Veltaga lief zu einem der Kessel, bediente die Hebel und kurbelte an den Ventilrädern.

»Ich hoffe, der Unglaubliche weiß, dass es keine Bühnenanweisung gibt, die ihn den Kampf gewinnen lässt«, meinte Ingrimmsch und eilte hinterher, gefolgt von Goda, Tungdil und den restlichen Kriegern. Bandilor hob seine Axt und schlug damit die Hebel ab, dann parierte er in aller Ruhe Rodarios Angriff, rammte ihm die Schulter in den Unterleib und stieß ihm das stumpfe Griffende der Axt in den Bauch. Der Mime ließ sich dadurch nicht entmutigen. »Ich will Rache für Furgas!« Er trat Bandilor zwischen die Beine und stach mit dem Schwert zu. »Verrecke!«

Abgelenkt von den Schmerzen, gelang es dem Dritten nicht mehr, die Waffe aufzuhalten. Sie fuhr ihm in den Hals und hinterließ eine Wunde, die kein Medicus des Geborgenen Landes erfolgreich zu behandeln vermochte. Das Blut sprühte hervor und benetzte die Ventile, die Anzeigen und verbogenen Hebel.

Und doch war es nicht vorbei.

Bandilor schlug nach Rodario und traf ihn an der Hüfte. Die Axt zog einen langen, roten Strich über den Beckenknochen, Kleidung und Fleisch klafften auseinander, und der Mime stürzte zu Boden. Schneller als ein Hammer auf Eisen trifft, stand der Dritte über ihm und holte sterbend zum Streich gegen den Verletzten aus. »Nein, Zwergenhasser!« Boindil erschien, drosch den Krähenschnabel gegen die herabsurrende Klinge und fälschte sie ab; singend prallte sie auf den Stein. »Ich bin dein Gegner!« Den Schwung nutzte er, um seine Waffe in einer kreiselnden Bewegung um den Kopf zu schwingen und zuzuschlagen.

Die stumpfe Seite kollidierte mit Bandilors Schläfe, und selbst der Helm schützte ihn nicht mehr vor der vernichtenden Wirkung des Schlages. Knochen knackten, das Gesicht verschob sich, Blut schoss Bandilor aus der Nase. Durch die Wucht wurde er gegen die Wand geworfen und rutschte neben dem jammernden Rodario zu Boden. »Wieder einer weniger von euch.« Ingrimmsch spie auf den Dritten und schaute zu Goda. »Es war nicht gegen deinen Stamm gerichtet. Nur gegen diese verfluchten Zwergenhasser.«

Tungdil versuchte in der Zwischenzeit, Veltaga an ihrem Wüten zu hindern. Es konnte nicht gut sein, was sie an den Maschinen anrichtete. Er glaubte, Druck auf seinen Ohren zu spüren und hatte das Gefühl, dass sich der Boden unter seinen Füßen nicht mehr so stark bewegte.

»Wasser!«, schrie Dergard und deutete auf den Höhleneingang. »Wasser bricht ein!«

Tungdil ahnte, was das bedeutete. Die beiden Dritten hatten eine Tauchfahrt eingeleitet und, die Niederlage vor Augen, alles geöffnet, was es an der Insel zu öffnen gab. »Schließt die Schotts! Macht alles dicht«, rief er nach hinten und heftete sich an Veltagas Fersen, die eben zur Eisentreppe rannte und die Stufen in eine zweite Ebene hinaufeilte. Dort befanden sich weitere Hebel, mit denen sich noch mehr Schaden anrichten ließ. »Ihr werdet mit uns untergehen!«, schrie sie und riss an zwei weiteren Vorrichtungen.

Er erreichte sie, als sie ein Stellrad betätigen wollte.

Sie warf einen Dolch nach ihm, den Tungdil mit der Feuerklinge abwehrte, dann zückte sie mit der Rechten einen mehrkantigen Streitkolben, um für den Nahkampf gewappnet zu sein; ihre Linke zog ein Kurzschwert. Tungdil sah von seinem erhöhten Standort aus, dass eine riesige Welle in die Schmiede schwappte, weiße Dampfwolken stoben fauchend auf. Heiße Schmelzöfen zersprangen, als das kalte Wasser sie traf, und ihre Bruchstücke flogen Geschossen gleich umher.

»Verriegelt endlich die Schotts!«, befahl er und wich Veltagas Streitkolben aus, der ihn verfehlte und ein Ventil zerschlug.

Die Zwerge taten endlich, was Tungdil angeordnet hatte. Ein, zwei verletzte weyurnische Soldaten retteten sich zu ihnen, dann schlössen sich die dicken Eisentüren. Für alle anderen Soldaten und die Gefangenen gab es keine Rettung mehr. Dort, wo sich kleine, für das Auge unsichtbare Lücken zwischen Fels und Metall befanden, spritzte das Wasser in feinen Strahlen ins Innere.

»Wie habt ihr uns gefunden?«, keifte Veltaga und holte zum nächsten Schlag aus.

»Ihr Zwergenhasser könnt euch nicht vor uns verbergen«, erwiderte er und blockte ihre Attacke, die auf seine linke Schulter zielte. Gleich darauf sprang er zur Seite, um der Klinge des Kurzschwertes zu entgehen. »Der entflohene Furgas half uns bei der Suche.«

»Der Magister? Er ist hier?« Die Zwergin lachte. »Oh, er hat sich gewiss eine besondere Falle für euch ersonnen, wenn er euch zu uns geführt hat.« Sie setzte mit dem Schwert nach und streifte seinen Arm. Das Kettenhemd bewahrte ihn vor einem Schnitt. »Dann hätten wir die Insel nicht fluten müssen.« Veltaga schaute auf seine Axt. »Du musst Tungdil Goldhand sein. Der Magister redete immer davon, dich töten zu wollen.« Tungdil verstand nicht, wovon sie sprach. »Eine Falle?« Er führte die Feuerklinge gegen ihre Körpermitte. Gerade rechzeitig hielt sie ihren Streitkolben schützend vor den Leib, doch er federte zurück, und sie verletzte sich durch den Schwung selbst. Aufkeuchend taumelte sie rückwärts gegen eine Wand aus Ventilen. »Er sagte immer, dass du Schuld an seinem Unglück bist. Du und alle Zwerge. Deswegen half der Magister uns, als wir ihn darum baten, uns bei unserer Rache zu unterstützen.«

»Es sind die Lügen einer Zwergenhasserin«, lachte Tungdil sie aus. »Darauf falle ich nicht herein.« »Weswegen sollte ich dich anlügen?« Veltaga drückte sich ab und griff ihn mit beiden Waffen zugleich an. »Du bist hier und wirst sterben. Ist das nicht Beweis genug?«

Tungdil ließ das Schwert gegen seinen Oberkörper prallen, was zwar sehr wehtat und ihm eine Rippe brach, ihn aber nicht tötete. Die Schneide der Feuerklinge kappte den Streitkolben unterhalb des schweren Metallkopfes und machte ihn damit beinahe ungefährlich.

Blitzschnell schlug er Veltaga den Stiel längs gegen die Stirn und stieß sie auf die Eisenplatten. »Ihr habt euch das fein ausgedacht, um Zwietracht zwischen Furgas und uns zu säen. Aber ich falle nicht darauf rein.« Er setzte ihr den Stiefel auf die Brust und drückte sie nach unten. »Ergibst du dich?«

Die Zwergin blutete aus dem Mund und aus der gebrochenen Nase, das Sigurdazienholz war hart wie Eisen. »Ich muss mir nichts ausdenken, Goldhand. Der Magister hat alles eingefädelt, alles ersonnen und gebaut. Er hat den Unauslöschlichen sogar die Monstren erschaffen, nachdem sie ihm versprochen hatten, die Macht des Steins gegen die Zwerge einzusetzen.«

Sie hob ruckartig den Arm mit dem Schwert und schlug nach ihm, doch Tungdil schwang die Seite der Axt mit den Widerhaken in ihren Unterarm und hielt ihn damit fest. »Haben deine Lügen denn niemals ein Ende?« Veltaga schrie voller Qualen. »Ich lüge nicht! Der Magister hat alles geplant. Auch, dass ihr hier auftaucht. Er wollte Rache für seine Familie.«

Ein lautes, eisernes Ächzen erfüllte den Raum.

»Es sind die Türen!«, rief Goda zu ihm hinauf. »Sie halten dem Druck nicht länger stand.«

Ingrimmsch stand vor den verbogenen Hebeln und versuchte, sie zusammen mit den Zwergen zu bewegen; einer brach ab, der andere bog sich in die entgegengesetzte Richtung.

Tungdil drehte die Axt und verstärkte Veltagas Leiden. »Wie tief sinken wir?«

»Eintausendsiebenhundert Schritt, hat der Magister geschätzt. Es ist die tiefste Stelle des Sees«, heulte sie. »Ihr werdet eurem Untergang nicht entkommen. Selbst wenn ihr wüsstet, wie man die Ventile bedient. Wir haben alle Kammern geflutet. Ihr werdet verhungern.« Sie lachte gequält. »Der größte Held des Geborgenen Landes und die einzige Waffe, welche die Unauslöschlichen aufhalten könnte, liegen für immer auf dem Grunde Weyurns. Das ist eine Rache, wie sie schöner nicht sein könnte.« Sie spuckte ihm ihren roten Speichel ins Gesicht. »Genau so hat es der Magister geplant. Er brauchte den Tunnel ins Jenseitige Land gar nicht.«

Mit einem harten Ruck zog er die Widerhaken aus ihrem Unterarm, ihr roter Lebenssaft rann auf die Eisenplatte. »Ihr Dritten seid erbärmlich«, knurrte er.

»Du glaubst mir immer noch nicht?« Veltaga schaute auf ihren zerschmetterten Arm. »Frag den Schauspieler. Bandilor hat ihn in Mifurdania auf Geheiß des Magisters besucht und ihn bedroht, damit er nicht weiter nach ihm sucht. Er war zu gutmütig. Ich hätte den Schauspieler gleich getötet, aber der Magister verschonte sein Leben.« Ihre Lider flatterten, sie stand kurz vor einer Ohnmacht. »Das Geborgene Land wird untergehen, so hat er es sich gewünscht. Und ihr werdet nichts dagegen tun können.« Sie senkte den Kopf, atmete flacher. Es dauerte nicht mehr lange, und die Dritte würde sterben.

»Was ist das für ein Tunnel?«, fragte er sie und beugte sich über sie, packte sie am Kragen der Lederrüstung und zog sie nach oben. Wenn es den Tunnel gab, konnte er der Ausweg aus ihrem nassen Grab sein. »Wo ist er?« Ein hartes Rumpeln ging durch den Berg. Sie hatten auf dem Grund des Sees aufgesetzt, und das Ächzen der Eisentüren wurde bedrohlicher.

»Der Tunnel ist unerreichbar für euch«, lächelte sie ihn mit blutigen Zähnen an. »Ihr werdet...« Veltagas Blick ging durch ihn hindurch, die Augen wurden glasig wie die einer Puppe. Sie war tot.

Tungdil ließ den Kragen los, sie fiel auf das Eisen.

»Hat sie was gesagt?«, fragte Rodario. »Gibt es eine Möglichkeit zu entkommen?«

Er schüttelte den Kopf. »Wir werden uns selbst etwas ausdenken müssen.«

»Kommt her!«, hörten sie Sirkas aufgeregte Stimme. »Schaut euch das an!«

Sie rannten in die Mitte des Raumes. Sechs baumdicke Metallpfeiler ragten zehn Schritt hoch aus dem Boden, die zu einer sechseckigen Plattform führten; von der Plattform hingen zahlreiche Ketten und Lederbänder herab, und neben ihr stand eine käfigähnliche, große Hebebühne, die über einen Flaschenzug betätigt werden konnte. »Was hat das wieder zu bedeuten?«, murmelte Goda, unbewusst den Tonfall ihres Meisters nachahmend, und berührte einen der schmucklosen Pfeiler. »Kalt. Nichts Besonderes.«

Dergard trat nach vorn. »Das ist sie«, raunte er ehrfurchtsvoll. »Das ist die neue Quelle. Ich spüre die Energie, die durch das Eisen fließt.«

»Das ist kein Eisen.« Tungdil betrachtete das Metall genauer. »Es ist die Legierung, die Magie leitet«, befand er. »Natürlich! Vermutlich durchbrechen die Pfeiler den Boden und ragen aus der Unter seite der Insel. Sie leiten die Kraft aus der neuen Quelle hinauf zu der Plattform.« Er legte den Kopf in den Nacken. »Da oben entstanden die Scheusale der Unauslöschlichen.«

»Jetzt sind wir an der Reihe«, sagte Ingrimmsch, zupfte Dergard am Ärmel und deutete auf den Aufzug. »Du wirst gleich zu einem Magus. Hast du dir schon einen Beinamen ausgedacht?«

Dergard schluckte laut. »Ich werde mich in Erinnerung an Nudin den Wissbegierigen nennen.« Tungdil schnalzte mit der Zunge. »Das ist keine gute Eingebung, Dergard. Es weckt bei mir und gewiss bei vielen weiteren Bewohnern schlechte Gedanken. Lass dir etwas Besseres einfallen.« Er ging zur Hebebühne, öffnete sie und betrat sie. »Komm. Je eher du über die Kräfte verfügst, desto eher wird es uns gelingen, aus unserem Gefängnis zu entkommen.«

»Du wirst uns doch befreien können, oder?« Ingrimmsch betrachtete ihn mit zusammengezogenen Augenbrauen. »Ihr Magi könnt das sicher. Du musst es einfach können.«

»Ich werde es versuchen«, versprach Dergard und stieg zu Tungdil, die anderen bedienten den Flaschenzug und hievten die beiden in die Höhe.

»Der Einsame«, sagte der Mann auf halber Strecke. »Ich werde mich Dergard der Einsame nennen. Es gibt keinen Famulus mehr, niemanden, der Magie nutzen kann. Außer mir.«

»Traurig, aber treffend«, meinte Tungdil und schaute zur Plattform; plötzlich glaubte er, ein Flackern gesehen zu haben.

Dann erkannten sie es ganz deutlich. Schwache Funken tanzten an den Rändern entlang, zuckten gegen die Eisenwände der Kessel und leckten daran.

»Magie«, sagte Dergard leise und ein wenig ängstlich. »Wie es wohl sein wird, von ihr durchdrungen zu werden?«

Tungdil lächelte ihm aufmunternd zu, während sich der Aufzug der Plattform näherte. »Hunderte von Magi vor dir haben es überstanden und sogar länger gelebt als jeder Mensch im Geborgenen Land.« Sie glitten an dem Rand vorbei und schauten auf die Oberseite. »Wir...« Er verstummte abrupt. »Bei Vraccas!«, stieß er hervor. Dergard wich bis zum Ende des Aufzuges zurück.

Einen Schritt über der Plattform schwebte ein Elb, getragen von waberndem Nebel und unzähligen Blitzen, die zwischen seinem Leib und dem Metall pulsierten. Zu einem überwiegenden Teil waren Brust, Bauch, Unterleib, Schultern und Oberarme von einer Rüstung bedeckt, die mit dem Fleisch verwachsen war, die Hände steckten in schweren Panzerhandschuhen; der Rest von ihm war nackt. Neben ihm rotierte ein schmaler Speer mit einer dünnen Klinge, dessen Runen grün schimmerten.

»Kein Ungeheuer, aber ein Alb«, sagte Tungdil und wollte die Tür des Aufzugs öffnen. »Schicken wir ihn in den Tod, bevor er erwacht.« Das Schloss klemmte. »Verflucht!« Er hob die Feuerklinge und schlug wuchtig dagegen; die Verankerungen rissen heraus, und die Tür schwang mit viel Schwung auf.

Im selben Augenblick öffnete das Wesen die Lider und zeigte ihnen nichts als Schwärze, die in den Augenhöhlen hockte. Es fauchte sie an und zeigte ihnen die Zähne, griff nach dem Speer und sank auf die Plattform. Kaum berührten die nackten Füße das Metall, leuchteten unzählige Symbole auf seiner Rüstung auf. »Komm her!« Tungdil stürmte hinaus, die Axt zum Schlag erhoben.

Der Alb federte in die Höhe und sprang zum nächsten Kessel, drückte sich von dort wie eine Katze ab und katapultierte sich hinauf in eine Spalte im Fels. Vorerst war er verschwunden. Die Funken und Blitze erloschen. »Was ist da oben los?«, rief Ingrimmsch besorgt.

Tungdil trat an den Rand und schaute kurz zu seinen Begleitern hinab. »Seid vorsichtig. Wir haben einen Alb in der Höhle. Er lag auf der Plattform und labte sich an der Magie. Es war wohl die Überraschung der Dritten und der Unauslöschlichen für uns.« Wachsam wandte er sich wieder den Wänden zu. »Dergard, komm her.« »Wo ist er hin?«, fragte der Famulus und fühlte sich in dem käfigähnlichen Gebilde vorerst geschützt. »Ich weiß es nicht. Wir bekommen ihn früh genug zu Gesicht.« Tungdil drehte sich unentwegt im Kreis, sicherte und spähte angestrengt in das Halbdunkel, mit dem seine Augen gut zurecht kamen. Er konnte den Gegner nirgends sehen. Ausnahmsweise hatte er nichts dagegen, denn einem womöglich zaubernden Alb hatten sie - abgesehen von der Feuerklinge - nichts entgegenzusetzen.

Dergard verließ den Aufzug. Er betrat die Plattform und ging bis zur Mitte. Dort schloss er die Augen und hob die Hände. Weder er noch Tungdil sagten ein Wort. Ein lautes Krachen und metallisches Reißen zerstörte die Andacht. »Das Wasser kommt!«, rief Goda aufgeregt. »Bei Vraccas, die Türen sind geborsten! Wir werden ersaufen wie die Ratten.«

»In den Fahrstuhl«, rief Tungdil hinab. »Kommt hoch auf die Plattform.« Ratternd verschwand der Korb nach unten. Er rief Dergards Namen, der nicht auf die Rufe reagierte. »Wach auf! Du musst etwas tun!«, verlangte er und stieß ihn an. »Dergard! Handle, oder wir sterben alle!«

Der Magus wankte und wurde von dem Zwerg gestützt, dann keuchte er und hielt sich die Brust. »Welche Kraft«, schnaufte er überwältigt. »Ich spüre es! Tungdil, ich spüre es in mir!«

Der Zwerg packte ihn bei den Schultern. »Dann nutze deine Macht, um uns vor den Fluten zu retten. Hebe die Insel!«

Der Korb mit den letzten Überlebenden erschien, und sie sprangen der Reihe nach auf die Plattform. Schäumende Wassermassen umtosten deren massive Pfeiler. Dampfend verloschen die Öfen unter den Kesseln, die Besorgnis erregend tickten. Das heiße Blech erhielt durch die großen Temperaturunterschiede Spannung, die ersten Nieten rissen oder flogen davon.

Und während die Bedrohung für sie immer weiter wuchs, vermochten sie nichts anderes zu tun, als nach dem Alb Ausschau zu halten und zu warten, dass Dergard sie mithilfe der Magie vor dem Tod bewahrte. Der Magus wirkte wie im Rausch. Er grinste, hob die Arme und murmelte etwas, bis seine Finger leuchtende Symbole in die Luft zeichneten, die auseinander stoben und sich glitzernd auf die Innenwand des Berges legten. Wieder schüttelte sich die Insel, der Druck in den Ohren kehrte zurück. Das konnte nur eines bedeuten. »Er schafft es!«, jubelte Rodario und hielt sich die schmerzende Stelle. »Er schafft es tatsächlich. Das nenne ich mal eine Prüfung, die eines Magus würdig ist.« Er setzte sich hin. »Und wenn er damit fertig ist, uns zu retten, und ich bis dahin ohnmächtig geworden bin, soll er sich bitte um meine Wunde kümmern«, fügte er Zähne knirschend hinzu.

»Achtet auf die Wände«, erinnerte sie Tungdil an den Alb.

»Wir tun dem Vieh auch noch den Gefallen, es vor dem Tod zu retten«, murrte Ingrimmsch. »Dass es uns bloß nicht entkommt, wenn wir aufgetaucht sind.« Er tat absichtlich überzeugt.

Dennoch stand ihnen das Wasser bereits bis zu den Oberschenkeln und lief ihnen in die Stiefel. Sie mussten hoffen, dass Dergard seine Prüfung bestand und ihnen das Leben bewahrte. Als der Wasserspiegel sank, gab es daran vorerst kaum mehr einen Zweifel.

»Runter und raus mit uns. Wer weiß, wie lange Dergard die Insel halten kann«, befahl Tungdil. »Sucht unterwegs nach etwas, das uns als Boot dient.«

In aller Eile verließen sie die Plattform und rannten den Weg zurück, vorbei an den zerstörten Schmelzen und den Leichen von Zwergen, Soldaten und Arbeitern, über große Trümmerstücke hinweg, die noch immer enorme Hitze aussandten, bis zur Grotte. Dort fanden sie tatsächlich lange Boote, die in einer Seitennische mit Seilen befestigt worden waren. Rodario erinnerte sich, die als Albae verkleideten Wächter damit fahren gesehen zu haben.

Draußen war es dunkel, die Nacht war hereingebrochen. Elria verschonte sie mit einem neuerlichen Sturm und ließ die Gestirne auf sie niederleuchten. Sie rannten auf den Strand und ließen die Boote zu Wasser. »Hat jemand den Alb gesehen?«, fragte Tungdil und schaute sich immer wieder um.

»Keine Ahnung, wo er abgeblieben ist. Aber er wird mit der Insel zusammen untergehen, hoffe ich«, sagte Ingrimmsch. »Auch wenn es mir lieber gewesen wäre, wenn ich ihn hätte spalten dürfen.«

Dergard, der im Boot von Tungdil saß, brach ohne ein Wort von sich zu geben zusammen. Er konnte die Anstrengung nicht länger überstehen. Für einen Magus, der keinerlei Erfahrung besaß, hatte er eine unglaubliche Leistung vollbracht.

Doch die Insel senkte sich nicht. Ohne das Fluten der Ballastkammern schwamm sie wie ein Korken auf den Wellen und weigerte sich, in die Tiefe zu sinken.

»Wir werden die Mechanik reparieren müssen«, sagte Tungdil. »Wir brauchen sie noch. Spätestens wenn Dergard neue Kraft benötigt.«

»Ohne Furgas?« Rodarios Boot kam längsseits zu ihnen. »Wie soll uns das gelingen?«

Tungdil rang mit sich selbst, ob er ihnen Veltagas Lügen über den Magister offenbaren sollte. Andererseits, selbst wenn etwas davon der Wahrheit entsprochen hätte, so wäre es nun unerheblich. Furgas und die beiden Dritten waren tot, die Gefahr durch neue Maschinen gebannt. Bislang hielten alle Veltaga und Bandilor für die Schufte. Er beschloss für sich, dass es so bleiben sollte.

»Es wird uns irgendwie gelingen«, sagte er zu Rodario. »Es muss ja nicht so gekonnt sein wie bei ihm. Wir müssen nur auf den Grund zur Quelle und wieder hinauf gelangen. Vielleicht bilden sich neue Felder aus, die bis ans Land reichen. Aber bis dahin wird Dergard von Zeit zu Zeit tauchen müssen.« Er erkannte zu ihrer Linken mehrere Lichter über dem Meer und eine dunkle Silhouette. »Da drüben ist eine bewohnte Insel. Dahin rudern wir und kehren mit einem Schiff von Königin Wey zurück. Sollen die Soldaten unsere Eroberung beschützen. Wir müssen sofort nach Toboribor, oder wo auch immer sich die Unauslöschlichen aufhalten.« Niemand erhob Einwände. Und so ruderten sie über den See zur Insel, fanden den Hafen eines Fischerdorfes und fragten sich zu dem Dorfältesten durch, damit er Soldaten sammelte.

Ein Fischer brachte sie zu dem hell erleuchteten Haus des Dorfältesten. »Kommt herein«, empfing sie der Hausherr im Nachthemd und mit zerzaustem braunem Schopf. »Heute ist anscheinend eine ganz besondere Nacht.«

»So? Wie kommst du darauf?«, sagte Ingrimmsch.

»Weil ihr nicht die ersten seid, die mich aufsuchen.« Er bat sie in seine Amtsstube und zeigte auf den Besucher, der in Decken gehüllt vor dem Kamin saß, die nassen Haare trocknete und die Kälte aus seinem Körper vertrieb. Tungdil kannte auf Anhieb die Gestalt mit dem grauen Bart, den weißen Haaren und die hellblauen Augen, die sich auf ihn richteten. Als er das freundliche Lächeln im Gesicht des vertrauten Mannes sah, das er für immer verloren geglaubt hatte, überwältigte es ihn. Er rannte zu ihm und drückte ihn an sich. »Lot-Ionan«, schluchzte er glücklich.


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