Das Geborgene Land, Königinnenreich Weyurn, Mifurdania 6241. Sonnenzyklus, Spätfrühling.


Nachdem sich Rodario und Tassia in der Stadt noch ein wenig nach Furgas umgehört hatten, kehrten sie zu dem Rest der Truppe zurück. Gesa lief ihnen Arme schwenkend entgegen, so dass beide an ein aufgescheuchtes Huhn denken mussten. Ihr beleibter Körper befand sich in Wallung, alles unter ihrem Kleid hüpfte und sprang auf und ab; dagegen half auch das Mieder nicht.

»Herr Rodario! Endlich seid Ihr da!« Sie nahm ihn bei der Hand. »Kommt schnell. Es waren Männer da, die Euren Wohnwagen zerschlagen und den armen Reimar verprügelt haben. Wir haben die Hunde auf sie gehetzt, und da sind sie endlich verschwunden.«

»Es ist gut, Gesa. Beruhige dich.« Er tätschelte ihre Wange. Rodario hatte so etwas schon vermutet und blieb daher gelassen.

Doch der Anblick seines zerstörten Heimes traf ihn tief. Das kleine Haus auf Rädern hatte unter der rücksichtslosen Suche nach dem Schmuck ordentlich gelitten; nichts stand mehr an derselben Stelle, das Meiste war zu Bruch gegangen. Wenn er den Schlägern von Noliks Vater noch einmal begegnete, würde er ihnen zur Wiedergutmachung alles abnehmen, was sie am Leib trugen. Sogar die Unterwäsche, nur um sie ordentlich zu demütigen.

»Oh, Palandiell!«, jammerte Gesa, die am Aufgang des Wagen stehen geblieben war. »Wie schade!« Seufzend legte Rodario sich auf die zerschlitzte Matratze. »Danke, Gesa. Es ist gut. Ich werde später aufräumen.« Sie nickte und ging.

Tassia schloss die Tür und nahm die Kette aus ihrem Versteck unter den Dielen. »Sie sind zu dämlich zum Suchen«, lachte sie erleichtert und legte den Schmuck an.

»Und sie glauben, dass wir dieses Kleinod in Mifurdania verscheuert hätten«, fügte er hinzu und streckte die Arme nach ihr aus. »Komm zu mir, Königin der Schauspielerinnen, und gewähre dem Kaiser deine Gunst. Zeige dich mir in aller Pracht, bekleidet mit Gold und Edelsteinen um deinen Hals.«

Sie ließ das von der Wäscheleine erbeutete Kleid von ihren Schultern rutschten und legte sich neben ihn, streichelte sein Gesicht. »Und, Kaiser der Wolllust? Wollen wir an deinem Theaterstück arbeiten?« »Oh, wie gewagt! Du möchtest einen Liebesakt auf der Bühne zeigen?«, grinste er dreckig, und sein aristokratisches Gesicht nahm ordinäre Züge an. »Damit wäre uns ein Aufenthalt im Kerker sicher. Wegen unzüchtigem Verhalten.«

Sie lächelte und kitzelte sein Bärtchen mit einer Strähne ihres blonden Haars. »Wir führen den Akt dennoch auf. Jetzt gleich und nur für uns.«

Er küsste sie in den Nacken, bald darauf ergaben sie sich dem Liebesspiel, bis sie erschöpft in die Überreste der Matratze sanken und sich mit dem, was von der Decke übrig geblieben war, gegen die Kühle schützten. Rodarios Gedanken schweiften nach der wundervollen Ablenkung wieder zu seinem verschollenen Freund und den Abenteuern des heutigen Umlaufs. »Man hat versucht, uns zu töten, brave Menschen sind gestorben, und ein Mann wurde entführt«, sagte er nachdenklich. »Und irgendwie dreht sich alles um Furgas.« Tassia nahm das dunkelgelbe Kleid an sich und schlüpfte hinein. »Weswegen? Und was will nur jemand mit dem Schmied?«

»Lambus ist ein begabter Feinschmied, wie man ihn selten findet. Er hat Neider.« Er stieg in seine Kleider und bedauerte es sehr, die Frau nicht mehr in verführerischer Blöße zu sehen. »Steckt Furgas vielleicht selbst dahinter?«, grübelte er. »Lambus wollte die Stadt nicht verlassen, sagte er uns. Was kann so dringend sein, dass Furgas ihn deswegen entführen lässt?« Er verwarf den Gedanken. Ein solches Verhalten passte nicht zu seinem Freund.

»Hattest du nicht gesagt, er hätte seine Gefährtin und seine Kinder verloren?«, fragte sie, stand auf und lehnte sich an die Tür. »Er hat wohl eine neue Liebe gefunden.«

»Ach, wegen des Kindes, das ihn begleitete?« Rodario fing an, das Durcheinander in seinem Wohnwagen zu ordnen. »Ich verstehe es nicht. Er liebte Narmora über alles.«

»Gefühle können sich ändern.«

»Sicher. Bei jedem anderen«, nickte er. »Aber nicht bei Furgas. Du kennst ihn nicht, sonst würdest du anders denken und dich ebenso wundern wie ich. Er müsste zu einem gänzlich anderen Menschen geworden sein.« »Mh.« Sie legte die Hand auf die Klinke. »Und wenn es nicht sein Kind ist? Vielleicht hat er es zu sich genommen?« Tassia lächelte ihm zu. »Ich störe dich nicht weiter beim Aufräumen und Nachdenken. Du wirst deine Ruhe haben wollen.«

»Sehr nett, wie du dich aus dem Staub machst.«

Sie lachte hinreißend. »Die Königin weiß, wann sie zu gehen hat.« Mit diesen Worten trat sie hinaus. »Tassia!«

»Ja?«

Rodario deutete auf ihren Hals. »Die Kette.«

»Oh.« Sie streichelte über den Schmuck, der die Sonnenstrahlen reflektierte und atemberaubend strahlte. »Sie fühlt sich so gut auf meiner Haut an.«

»Zieh sie nicht an, solange wir in Mifurdania sind«, bat er sie, und sie legte die Kette ab, um sie in dem bewährten Versteck zu verbergen. »Aber später wird sie ein wichtiges Requisit bei unseren Aufführungen sein.« Sie hauchte ihm eine Kusshand zu und lief hinaus. Ihm blieb die unleidige Aufgabe, in seinem kleinen Reich Ordnung zu schaffen.

Nach getaner Arbeit setzte er sich im Schein der Lampe vor seinen Wagen auf die schmalen Stiegen und schrieb an dem neuen Stück weiter.

Es ging ihm leicht von der Hand; Tassia und die heutigen Ereignisse beflügelten ihn. Alles, was sie erlebt hatten, wurde von ihm eingebracht - ein Stück voller Leidenschaft, Abenteuer und Geheimnisse.

Wie es endete, stand noch nicht fest. Dazu musste er Furgas erst finden.

Er schenkte sich Wein aus der einzigen heil gebliebenen Flasche ein, als er das Lachen von Tassia hörte. Es war ein ganz bestimmtes Lachen.

Eifersucht loderte in ihm auf. Er stellte das Glas ab und ging zum Wagen, in dem Reimar lebte. Vorsichtig stellte er sich auf die Zehenspitzen und schaute durch das kleine Fenster. Das Lachen hatte ihm einen schrecklichen Verdacht beschert, und was er sah, brachte die Gewissheit: Die Königin ging fremd. Offenbar stand ihr der Sinn heute noch nach weiteren Vergnügungen. Und Reimar, der Bär von einem Mann, tat ihr den nicht eben selbstlosen Gefallen.

Rodario kehrte zu den schmalen Stufen zurück, nahm das Glas in die Hand. Und lachte. Er lachte und lachte, bis ihm die Luft ausging und sich die ersten neugierigen Köpfe in den Fenstern der kleinen Wagen zeigten; sogar Reimar schaute, ein Tuch um die Hüften gebunden, aus der Tür. Der Schauspieler deutete auf den Mann und lachte von neuem los, kippte nach hinten und rang nach Luft.

»Schon gut, ihr lieben Leute«, winkte er den Schaulustigen zu. »Es ist nur der tägliche Abendwahn, der mich befällt, wenn ich anderen beim Liebesakt mit meiner Gemahlin zuhören muss.«

Reimar bekam einen hochroten Kopf und verschwand blitzartig, und Rodario wurde von einem weiteren Lachkrampf geschüttelt.

Er blickte zu den Sternen, vor denen dünne Wolken vorüberzogen und sie in Milch tauchten. »Oh, ihr Götter! Da habt ihr mir eine Frau geschickt«, grinste er. »Sie soll mir wohl heimzahlen, was ich in der Vergangenheit mit anderen Weibsbildern getrieben habe, was?« Er leerte sein Glas. »Ich habe euer Spiel durchschaut. Warst du das, Samusin, Gott des Ausgleichs?«, rief er laut, nahm die Flasche und prostete den Gestirnen zu. »Ich danke dir! So viel Inspiration habe ich schon lange nicht mehr erfahren.« Kühl rann der Rotwein seine Kehle hinab; er stellte das Gefäß ab, danach schrieb er weiter.

Die Zeit verrann, doch er war wie im Rausch. Er strich Szenen, schrieb und formulierte an Akten und Aufzügen herum. Die Arbeit machte Durst. Ohne hinzuschauen, streckte Rodario die Hand nach der Weinflasche aus, da klirrte es laut, und die Lampe, die ihm Licht gespendet hatte, zersprang.

Verdutzt blickte er auf. Er konnte sie unmöglich herabgeworfen haben, seine Hand befand sich viel zu tief. Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Die Lampe stand immer noch am selben Fleck, schräg hinter ihm, auf der obersten Stufe. Rodario starrte auf den Pfeil, der ihr Glas durchschlagen und sich in das Holz der geschlossenen Tür gebohrt hatte. Eine halbe Elle weiter links, und die Spitze wäre ihm ins Auge geflogen! Die Bogenschützin aus Mifurdania!, durchzuckte es ihn, und er ließ sich zur Seite fallen. Schnell kroch er unter seinen Wagen und lauschte.

Insekten summten um ihn herum, das Zirpen der Grillen erklang hier und dort; die Pferde standen dösend auf ihrer behelfsmäßigen Koppel aus Tauen, und der grauschwarze Rüde Hui lag schnarchend im Gras, den Kopf entspannt auf die Pfoten gelegt.

Im Grunde klang es nach einer sehr friedlichen Nacht - wenn da nicht das leise Stöhnen Tassias, das etwas lautere Ächzen Reimars und das Quietschen der strapazierten Wagenfedern gewesen wären. Unglaublich! Die lieben sich den Verstand aus den Köpfen, und ich werde Opfer eines Attentäters!, dachte er mit Galgenhumor und sah zu dem Wagen, in dem sich die Frau und der Arbeiter dermaßen vergnügten, dass die Lampe neben der Treppe in ihrer Halterung hin und her schwankte. Es hatte nichts mit dem Akt zu tun, den er und Tassia vollzogen. Aber wie hatte sie so schön gesagt? Manchmal reichten Frauen ein paar ordentliche Muskeln.

Mit einem leisen Tock bohrte sich ein zweiter Pfeil knapp neben ihm in die hölzerne Speiche, ein dritter prallte gegen die eisenbeschlagene Radnarbe und barst.

Rodario legte sich flach hin und starrte angestrengt in die Dunkelheit, aus deren Schutz heraus man auf ihn schoss. Er wollte die anderen Leute nicht wecken. Die Gefahr, dass einer aus seiner Truppe - absichtlich oder zufällig - verletzt oder gar getötet wurde, war ihm zu hoch. »Pst, du so genannter Wachhund!«, zischte er dem Hund zu. »Ksch! Ssst! Hoch mit dir, Köter!«

Der Rüde hob den Kopf, schaute zu ihm und wedelte mit dem Schwanz.

»Nein, nicht freuen! Sei ein böser Hund!«, raunte er. »Beißen! Fass! Such und fass!«

Der Hund erhob sich, streckte sich ordentlich und trottete zu Rodario unter den Wagen, um ihm das Gesicht zu lecken.

»Hör auf damit«, wehrte der Mime die Liebesbeweise der langen, nassen Zunge ab. »Hörst du? Du sollst angreifen! Töten!« Er zeigte auf die andere Seite. »Such!«

Endlich hatte Hui ihn verstanden. Er witterte in die Richtung, in die Rodario gezeigt hatte, und schlenderte davon, die Nase am Boden und die Rute nach oben gestreckt.

Es tat dem Mimen ein bisschen Leid, den Hund losgehetzt zu haben. Er spähte nach vorn und sah bald weder Hund noch Meuchelmörder. Dafür hatte Reimars Wagen aufgehört zu wippen. Anscheinend hatten sie genug. Eine kühle Klinge legte sich an seinen Hals. »Du wirst verschwinden«, sagte eine raue Stimme, der Geruch von kaltem Rauch, Ruß und glühendem Eisen stieg in Rodarios Nase. »Gleich morgen packst du deinen Krempel, Schauspieler, und fährst mit deinen bunten Wägelchen irgendwoanders hin, ja?«

»Mit Verlaub, warum...«

Ein stechender Schmerz brannte an seiner Kehle, die Schneide hatte die Haut geritzt. »Du wirst verschwinden und nie wieder Fragen über den Verbleib des Magisters stellen, verstanden?«, raunte die Stimme in sein Ohr. »Wir beobachten dich, Schauspieler.«

Die Tür von Reimars Wagen öffnete sich einen Spalt, Tassia schaute herüber, um zu sehen, ob er noch immer auf den Stufen saß. Da sie ihn nicht mehr erblickte und das Licht der Lampe verlöscht war, huschte sie aus dem Wagen.

»Sieh dir dein Liebchen genau an, Schauspieler. Wenn du nämlich weiter hinter dem Magister herschnüffelst, wird sie sterben«, drohte der Mann neben ihm. Eine Hand packte sein Haar und zog ihm den Kopf zurück, bis seine Stirn den Unterboden des Wohnwagens berührte. »Und danach du, deine Truppe und der Magister!« Es stach wieder unangenehm in seinem Hals. Dieses Mal hatte das Messer tiefer geschnitten; warme Flüssigkeit sickerte über den Adamsapfel, und Rodario wurde übel. Ihm wollte nichts einfallen, wie er sich aus dieser misslichen Lage aus eigenen Kräften befreien könnte. Er war ganz auf den Großmut desjenigen angewiesen, der hinter ihm kauerte und ihm das Leben durch eine einfache Handbewegung nehmen konnte. »Ja«, krächzte er, weil die Angst und die Haltung ihm das Sprechen erschwerten.

»Sehr gut«, lachte der Unbekannte. »Denk daran: Wir beobachten dich, ja?« Die Hände ließen seinen Schopf los, und er bekam einen mächtigen Schlag gegen den Hinterkopf, vermutlich mit dem Griff der Waffe. Es genügte, um ihm den klaren Blick vorübergehend zu rauben. Dann hörte er, wie der Mann von ihm wegkroch, aufstand und davonrannte. Die Gefahr war gebannt.

Stöhnend kroch Rodario unter dem Wagen hervor, taumelte die Treppe hinauf in seinen Wagen und besah sich den Schnitt an seinem Hals im Spiegel.

Die rote Linie zog sich über die ganze vordere Hälfte seiner Kehle, der Schnitt blutete heftig und ging tief. Mit etwas mehr Druck wäre die Wunde schwer zu versorgen gewesen, aber so reichte es aus, dass er sich einen dicken Lappen mit einem langen Schal festband. Morgen würde er eine Heilerin aufsuchen. Nachdem sie aufgebrochen waren.

»Allmählich wird es etwas zu viel Abenteuer. Selbst für meinen Geschmack«, murmelte er, prüfte den Sitz des Verbandes und betrachtete seine Finger, an denen sein eigenes Blut klebte. Schwindel ergriff ihn, rasch setzte er sich. »Viel zu viel.«

Die Schmerzen betäubte er mit dem restlichen Rotwein aus der halbvollen Flasche. Nur gut, dass die Bogenschützin die Lampe und nicht die Flasche getroffen hatte.

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