Mein Name ist Robin Broadhead, und ich bin das reichste Wesen, das es im ganzen Sonnensystem gibt. Der Einzige, der an mich herankommt, ist der alte Bover, und er käme noch viel näher, wenn er nicht die Hälfte seines Geldes für Slumbeseitigung und Stadterneuerung und einen großen Teil vom Rest für eine genaue Abtastung des transplutonischen Weltraumes ausgegeben hätte, auf der Suche nach dem Schiff mit den Überresten seiner Frau Trish. (Was er mit ihr tun will, wenn er sie findet, weiß ich nicht.) Die überlebenden Herter-Halls stinken ebenfalls vor Geld. Das ist eine gute Sache, vor allem für Wan und Janine, die eine komplizierte Beziehung klären müssen, und das in einer komplizierten, abweisenden Welt. Meine Frau Essie ist bei bester Gesundheit. Ich liebe sie. Wenn ich sterbe, das heißt, wenn nicht einmal mehr medizinischer Vollschutz mich noch zusammenflicken kann, habe ich einen kleinen Plan, wie ich mich mit jemand anderem befasse, den ich liebe, und das befriedigt mich. Fast alles befriedigt mich. Die einzige Ausnahme ist mein wissenschaftlicher Berater Albert, der dauernd versucht, mir Machs Prinzip zu erklären.

Als wir den Hitschi-Himmel in unsere Gewalt brachten, bekamen wir alles. Die Methode, wie man Hitschi-Schiffe steuert. Die Methode, wie man Hitschi-Schiffe baut, einschließlich der Theorie, die ermöglicht, dass sie schneller fliegen als das Licht. Nein, das hat nichts mit »Hyperraum« oder »vierter Dimension« zu tun. Es ist ganz einfach. Beschleunigung vermehrt die Masse, sagt Einstein – der echte, nicht Albert. Aber wenn die Ruhemasse Null ist, spielt es keine Rolle, wie oft man sie multipliziert. Sie bleibt Null. Albert sagt, Masse könne geschaffen werden, und beweist das durch logische Grundprinzipien: Sie existiert, also kann sie geschaffen werden. Deshalb kann sie ebenso eliminiert werden, denn was geschaffen werden kann, kann auch beseitigt werden. Das ist das Hitschi-Geheimnis, und mit Alberts Hilfe, um das Experiment auszuführen, und Mortons Hilfe, die Gateway-Gesellschaft zu veranlassen, dass sie Schiffe zur Verfügung stellt, probierten wir es aus. Es kostete mich keinen Cent; einer der Vorteile großen Reichtums ist der, dass man sein Geld nicht auszugeben braucht. Alles, was man tun muss, ist, andere Leute zu veranlassen, dass sie es ausgeben, und dazu gibt es Anwaltsprogramme.

So schickten wir sofort zwei Fünfer von Gateway aus. Eines flog nur mit Landefähren-Energie und enthielt zwei Personen und einen Zylinder aus massivem Aluminium mit Formänderungsdetektoren. Das andere war mit einer kompletten Besatzung ausgestattet, bereit zu einer echten Mission. Das Instrumentenschiff hatte eine Live-Kameraanlage mit dreifach geteilter Bildwiedergabe: Schwerkraftmesser, Blick auf das zweite Schiff, Blick auf eine Cäsium-Digitaluhr.

Für mich zeigte das Experiment gar nichts. Das zweite Schiff begann zu verschwinden, und der Schwerkraftmesser registrierte das. Keine große Sache. Aber Albert war hoch begeistert.

»Seine Masse begann vor ihm zu verschwinden, Robin! Mein Gott. In den letzten zwölf Jahren hätte jedermann diesen Versuch unternehmen zu können! Dafür gibt es eine Wissenschaftsprämie von mindestens zehn Millionen Dollar!«

»Tu das in die Portokasse«, sagte ich, reckte mich und rollte mich zu Essie hinüber, um sie zu küssen, weil wir gerade im Bett lagen.

»Ist sehr interessant, lieber Robin«, sagte sie schläfrig und küsste mich ebenfalls.

Albert grinste und senkte den Blick, zum Teil deshalb, weil Essie an seinem Programm herumgebastelt hatte, und zum anderen, weil er so gut wie ich wusste, dass ihre Bemerkung zwar höflich gemeint war, aber nicht stimmte. Astrophysik interessierte meine Essie nicht sonderlich. Was sie interessierte, war die Gelegenheit, mit funktionierenden Hitschi-Maschinenintelligenzen zu spielen, und hier war ihr Interesse sehr groß. Achtzehn Stunden am Tag groß, bis sie alle Hauptsysteme in den Überresten des Ältesten und der Toten Menschen und der Toten Nicht-Menschen aufgespürt hatte, deren Gedächtnis zurückreichte bis in eine afrikanische Savanne vor fast einer Jahrmillion. Nicht, dass ihr sehr wichtig gewesen wäre, was in den Speichern steckte, aber wie es da gespeichert worden war, betraf ihren Beruf, und darin kannte sie sich aus. Die Änderungen für mein Albert-Programm waren das wenigste, was Essie vom Hitschi-Himmel bekam. Was wir alle bekamen, war sehr viel. Die großen Karten der Galaxis, die zeigten, wo die Hitschi überall gewesen waren. Die großen Karten der Schwarzen Löcher, die zeigten, wo sie jetzt sind. Sogar, wo Klara jetzt ist. Als kleiner Nebenerfolg für mich stellte sich sogar die Antwort auf eine Frage ein, die auf rein subjektiver Ebene für mich überaus interessant war: Weshalb lebte ich noch? Das Schiff, das mich zum Hitschi-Himmel getragen hatte, war nach neunzehn Tagen abgebremst worden. Nach allen bislang bekannten Gesetzen hinsichtlich Hitschi-Schiffen bedeutete das, dass es erst nach weiteren neunzehn Tagen ankommen konnte. Dann wäre ich gewiss tot gewesen. Tatsächlich legte es schon nach fünf Tagen an. Und ich war keineswegs tot gewesen oder nicht ganz, aber warum nicht?

Albert gab mir keine Antwort. Jeder Flug, den ein Hitschi-Schiff erfolgreich bewältigte, hatte zwischen zwei Körpern stattgefunden, die mehr oder weniger im Ruhezustand waren – ein paar Dutzend oder höchstens ein paar hundert Kilometer Unterschied in ihrer relativen Beschleunigung. Nicht mehr. Nicht genug, um ins Gewicht zu fallen. Aber mein Flug hatte ein Objekt verfolgt, das sich selbst in sehr schneller Bewegung befand. Er hatte beinahe nur aus Beschleunigung bestanden. Das Abbremsen hatte nur einen Bruchteil der Beschleunigungsphase gedauert. Und so blieb ich am Leben.

Und das war alles sehr zufriedenstellend, aber trotzdem …

Trotzdem zahlt man immer einen Preis.

Immer. Jeder große Sprung nach vorn hat einen verborgenen Preis gefordert, die ganze Geschichte hindurch. Der Mensch erfand die Landwirtschaft. Das bedeutete, dass jemand die Baumwolle pflücken und den Mais pflanzen musste. Und so kam’s zur Sklaverei. Der Mensch erfand das Automobil und bekam dafür Luftverschmutzung und Unfalltote. Der Mensch wurde neugierig darauf, wie die Sonne scheint, und seiner Neugier entsprang die Wasserstoffbombe. Der Mensch fand die Hitschi-Konstruktionen und kam einigen ihrer Geheimnisse auf die Spur. Und was erhielten wir? Zum einen Peter, der fast eine Welt tötete, mit einer Macht, die vor ihm noch niemand besessen hatte. Zum anderen erhielten wir ein paar nagelneue Fragen, mit deren Antworten zu befassen ich bisher den Nerv nicht hatte. Fragen, die Albert zu beantworten versuchen möchte, über Machs Prinzip, und Fragen, die Henrietta zur Sprache brachte, mit ihrem Gerede von Punkt X und der »verschwundenen Masse«. Und eine sehr große Frage in meinem Inneren: Als der Älteste den Hitschi-Himmel aus seiner Bahn holte und durch den Raum zum Kern der Galaxis jagte, wohin genau war er unterwegs?


Der erschreckendste, denke ich, und auch der befriedigendste Augenblick, das weiß ich, meines ganzen Lebens, das weiß ich, war der, in dem wir dem Ältesten die Fühler weggebrannt hatten und uns, ausgerüstet mit Henriettas Anweisungen, vor der Steuertafel des Hitschi-Himmels niederließen. Man braucht zwei Leute, damit das geht. Lurvy Herter-Hall und ich waren die beiden erfahrensten Piloten, die sich an Ort und Stelle befanden – wenn man Wan nicht mitrechnete, der mit Janine unterwegs war, um die aufwachenden Alten zusammenzutreiben und ihnen mitzuteilen, dass es einen Regierungswechsel gegeben habe. Lurvy ließ sich auf dem rechten Sitz nieder und ich auf dem linken (wobei wir uns erneut fragten, was für ein sonderbar geformtes Gesäß dort früher Platz genommen hatte). Und wir flogen los. Es dauerte über einen Monat, um zurückzukommen und den Mond zu umkreisen, die Stelle, die ich mir ausgesucht hatte. Es war kein verlorener Monat, im Hitschi-Himmel gab es genug zu tun, aber er verging ziemlich langsam, weil ich es furchtbar eilig hatte heimzukommen.

Ich brauchte meinen ganzen Mut, um die Startwarze zu drücken, aber ganz so schwer war es gar nicht. Als wir begriffen hatten, dass die Hauptsteuerung die Kodes für alle schon eingegebenen Ziele enthielt – es gibt mehr als fünfzehntausend in der ganzen Galaxis, und ein paar außerhalb –, kam es nur noch darauf an zu wissen, welcher Kode welches Ziel bezeichnete. Dann beschlossen wir, hoch erfreut von uns selbst, uns aufzuspielen. Wir erhielten eine Klage der Radioastronomen auf der Rückseite, weil unsere Mondumlaufbahn bei jeder Umkreisung ihre Peilantennen störte. Wir zogen also ab. Man macht das mit der Nebensteuerung, die im Flug bisher niemand zu berühren gewagt hat und die beim ersten Start nicht viel zu leisten scheint. Hauptsteuerung für vorausprogrammierte Ziele; Nebensteuerung für jeden Punkt, den man anfliegen will, vorausgesetzt, man kann die galaktischen Koordinaten angeben. Aber der Witz dabei ist, dass man die Nebensteuerung nicht benützen kann, bis die Hauptsteuerung auf Null gestellt wurde – was bei jedem Element auf eine klare, dunkelrote Farbe hinausläuft –, und wenn irgendein Prospektor das früher auf eigene Faust getan hatte, verlor er die Programmierung, um nach Gateway zurückfliegen zu können. Wie einfach alles ist, sobald man sich auskennt. Und so brachten wir dieses Riesending, eine halbe Million Tonnen schwer, in eine nahe Erdumlaufbahn und luden Gesellschaft ein.

Die Gesellschaft, die ich am dringendsten wünschte, war die meiner Frau. Was ich als Nächstes haben wollte, war mein Wissenschaftsprogramm Albert Einstein – das bezieht sich in keiner Weise auf Essie, wohlgemerkt, denn sie hat es geschrieben. Für mich gab es noch die Frage, ob ich zu ihr hinunter- oder sie zu mir heraufkam, aber nicht für sie. Sie wollte sich mit den Maschinenintelligenzen im Hitschi-Himmel abgeben, mindestens so dringend, schätzte ich, wie ich mich mit ihr. In einer Erdumlaufbahn von 100 Minuten ist die Sendezeit auch nicht schlecht. Sobald wir in Reichweite waren, sprach die Maschine, die Albert für mich programmiert hatte, mit ihm, pumpte alles in ihn hinein, was sie gelernt hatte, und bis ich Zeit hatte, mit ihm zu reden, konnte er auch schon antworten.

Es war natürlich nicht dasselbe. Albert in Farbe und drei Dimensionen im Holotank zu Hause war ein viel unterhaltsamerer Gesprächspartner als der Albert in Schwarzweiß auf einem Flachbildschirm im Hitschi-Himmel. Aber bis von der Erde neues Gerät heraufkam, war das alles, was ich hatte, und außerdem war es derselbe Albert.

»Gut, Sie wieder zu sehen, Robin«, sagte er wohlwollend und richtete seinen Pfeifenstiel auf mich. »Sie wissen wohl, dass ungefähr eine Million Mitteilungen auf Sie warten?«

»Die haben Zeit.« Außerdem hatte ich schon ungefähr eine Million erhalten, so sah es jedenfalls aus. Zumeist hieß es darin nur, dass jedermann tief verärgert sei, auf lange Sicht aber erfreut, und dass ich wieder schwerreich geworden war.

»Was ich zuerst hören will«, sagte ich, »ist, was du mir sagen möchtest.«

»Klare Sache, Robin.« Er klopfte seine Pfeife aus, während er mich betrachtete. »Nun«, sagte er, »zuerst Technologie. Wir kennen die allgemeine Theorie des Hitschi-Antriebs und finden uns mit dem Überlichtgeschwindigkeitsfunk zurecht. Was die Informationsverarbeitung in den Toten Menschen und so weiter betrifft … Sie wissen sicherlich«, meinte er augenzwinkernd, »dass Gosposcha Laworowna-Broadhead auf dem Weg zu Ihnen ist. Ich glaube, auf diesem Gebiet können wir zuversichtlich mit beträchtlichen Fortschritten rechnen. In wenigen Tagen wird eine Besatzung von Freiwilligen zur Nahrungsfabrik fliegen. Wir sind ziemlich sicher, dass auch sie gesteuert werden kann, dann bringen wir sie in eine nahe Umlaufbahn, um sie zu studieren und, wie ich glaube mit Gewissheit versprechen zu können, nachzubauen. Von technisch weniger wichtigen Einzelheiten wollen Sie jetzt sicher nichts hören, nehme ich an.«

»Eigentlich nicht«, sagte ich. »Oder jedenfalls nicht gleich.«

»Dann kommen wir zu theoretischen Überlegungen«, meinte er nickend, während er sich erneut die Pfeife stopfte. »Zuerst die Frage der Schwarzen Löcher. Wir haben eindeutig dasjenige gefunden, in dem sich Ihre Bekannte, Gelle-Klara Moynlin, befindet. Ich halte es für möglich, ein Schiff hinzuschicken, mit einer vernünftigen Wahrscheinlichkeit, dass es ohne ernsthaften Schaden ankommt. Die Rückkehr ist dagegen eine andere Frage. In den Hitschi-Speichern scheint sich nichts zu befinden, das uns ein Kochbuchrezept dafür liefern könnte, wie man etwas aus einem Schwarzen Loch herausholt. Theorie, ja. Aber wenn man versuchen wollte, die Theorie in Praxis umzuwandeln, bedarf es der Forschung und Entwicklung. Und zwar umfangreicher Bemühungen. Ich halte Ergebnisse nicht früher als, sagen wir, in ein paar Jahren für möglich. Eher dürften es Jahrzehnte sein. Ich weiß«, sagte er mit Nachdruck und beugte sich vor, »dass das für Sie eine Frage von persönlicher Bedeutung ist, Robin. Es könnte auch große Bedeutung für uns alle haben, und damit meine ich nicht nur die Menschheit, sondern auch Maschinenintelligenzen.« Ich hatte ihn noch nie so ernst gesehen. »Wissen Sie«, erklärte er, »das Ziel des Hitschi-Himmels ist ebenfalls eindeutig identifiziert worden. Darf ich Ihnen etwas zeigen?«

Das war natürlich nur eine rhetorische Frage. Ich antwortete nicht, und er wartete auch nicht. Er rutschte in eine Ecke des Flachschirms, während das Hauptbild auftauchte. Es war eine weiße Flut, geformt wie ein sehr dilettantisch gemalter türkischer Halbmond. Symmetrisch war er nicht. Der Halbmond war auf einer Seite schief, und der Rest des Bildes war leer, abgesehen von einem unregelmäßigen Lichtgesprenkel, das die Spitzen des Halbmonds ausfüllte und sie zu einer dunstigen Ellipse verlängerte.

»Zu schade, dass Sie das nicht in Farbe sehen können, Robin«, sagte Albert, von seiner Bildschirmecke herauflugend. »Es ist nicht weiß, sondern blau. Soll ich Ihnen sagen, was Sie sehen? Das ist kreisende Materie um ein sehr großes Objekt. Die Materie auf Ihrer linken Seite, die auf uns zukommt, fliegt schnell genug, um Licht abzugeben. Die Materie auf der rechten Seite, die sich entfernt, fliegt im Verhältnis zu uns langsamer. Was wir sehen, ist Materie, die sich in Strahlung verwandelt, während sie in ein außerordentlich großes Schwarzes Loch gezogen wird, das sich in der Mitte unserer Galaxis befindet.«

»Ich dachte, die Lichtgeschwindigkeit sei nicht relativ«, knurrte ich.

Er dehnte sich aus und füllte wieder den Bildschirm.

»Ist sie nicht, Robin, aber die Bahngeschwindigkeit der Materie, die es hervorbringt, ist es. Das Bild stammt aus dem Gateway-Archiv, und bis vor kurzem war die Stelle im Weltraum nicht bekannt gewesen. Aber jetzt ist klar, dass sie sich im galaktischen Kern befindet, ja ihn in gewisser Weise darstellt.«

Er machte eine Pause, während er seine Pfeife anzündete, und sah mich unverwandt an. Nun ja, das stimmt nicht ganz. Da war eine Verzögerung von Sekundenbruchteilen, und selbst Alberts Schaltungen konnten dagegen nichts tun; wenn ich mich bewegte, verblieb sein Blick so lange dort, wo ich vorher gewesen war, dass man sich beunruhigt fühlte. Ich drängte ihn nicht, und als er seine Pfeife richtig angezündet hatte, sagte er: »Robin, ich weiß oft nicht genau, welche Informationen ich Ihnen freiwillig zukommen lassen soll. Wenn Sie mir eine Frage stellen, ist das anders. Zu jedem Thema, das Sie aufwerfen, sage ich Ihnen so viel, wie ich weiß, solange Sie zuhören wollen. Ich erzähle Ihnen auch, was sein könnte, wenn Sie eine Hypothese hören wollen, und ich stelle freiwillig Hypothesen auf, wenn das entsprechend der Grenzen meines Programms angemessen erscheint. Gosposcha Laworowna-Broadhead hat für diese Art von Entscheidungen sehr komplexe normative Anweisungen geschrieben, aber vereinfacht laufen sie auf eine Gleichung hinaus. Nehmen wir ›W 1‹ als den ›Wert‹ einer Hypothese, während ›W 2‹ die Wahrscheinlichkeit darstellt, dass sie wahr sei. Wenn die Summe von ›W 1‹ und ›W 2 ‹ mindestens ›1‹ beträgt, dann sollte ich die Hypothese vortragen und tue das auch. Aber wie schwer ist es, ›W 1‹ und ›W 2‹ die richtigen numerischen Werte zuzuordnen, Robin! In dem besonderen Fall, um den es jetzt geht, kann ich in keiner Weise sicher sein, welchen Wert ich der Wahrscheinlichkeit beimessen soll. Aber die Bedeutung ist sehr hoch. Praktisch kann man sie als unendlich betrachten.«

Inzwischen war ich ins Schwitzen geraten. Was ich von Alberts Programmierung genau weiß, ist, dass er um so weniger glaubt, mir gefiele, was er zu sagen hat, je umständlicher er sich gibt.

»Albert«, erklärte ich, »mach endlich weiter.«

»Klare Sache, Robin«, meinte er und nickte, »aber lassen Sie mich vorher noch sagen, dass diese Vermutung nicht nur die bekannte Astrophysik bestätigt, wenngleich auf einer sehr komplexen Ebene, sondern auch andere Fragen beantwortet, etwa die, wohin der Hitschi-Himmel flog, als Sie umkehrten, und warum die Hitschi selbst verschwunden sind. Ehe ich Ihnen die Mutmaßung nennen kann, muss ich vier Hauptpunkte anführen:

Punkt eins. Die Zahlen, die Tiny Jim als ›flotte‹ bezeichnet. Das sind numerische Vielheiten, zumeist von der Art, die ›dimensionslos‹ genannt wird, weil sie immer gleich bleiben, egal, wo Sie messen. Das Masseverhältnis zwischen Elektron und Proton. Die Dirac’sche Zahl, um den Unterschied zwischen der elektromagnetischen Kraft und der Schwerkraft auszudrücken. Die Eddington’sche Feinstruktur-Konstante. Und so weiter. Wir kennen diese Zahlen sehr genau. Was wir nicht wissen, ist, warum sie so sind, wie sie sind. Weshalb sollte die Feinstruktur-Konstante nicht, sagen wir, statt 137 einfach 150 sein? Wenn wir die Astrophysik verstehen würden – wenn wir eine vollständige Theorie hätten –, müssten wir in der Lage sein, diese Zahlen aus der Theorie abzuleiten. Wir haben auch eine gute Theorie, aber die flotten Zahlen können wir daraus nicht ableiten. Warum nicht? Besteht die Möglichkeit«, fragte er ernsthaft, »dass diese Zahlen in irgendeiner Weise zufällig sind?«

Er machte eine Pause, paffte mit seiner Pfeife und hob dann zwei Finger. »Punkt zwei. Machs Prinzip. Auch da taucht eine Frage auf, vielleicht aber eine etwas leichtere. Mein verstorbener Vorgänger«, sagte er mit einem kleinen Augenzwinkern, wohl um mich zu beruhigen, dass das nun wirklich nicht mehr so schwer sei, »mein verstorbener Vorgänger hat uns die Relativitätstheorie gegeben, die nach allgemeiner Übereinkunft bedeutet, dass alles im Hinblick auf irgendetwas anderes relativ ist, ausgenommen nur die Lichtgeschwindigkeit. Wenn Sie zu Hause am Tappan-See sind, Robin, wiegen Sie 85 Kilogramm. Das heißt, das ist ein Maß dafür, wie Sie und der Planet Erde einander anziehen; es ist in einem gewissen Sinn Ihr Gewicht relativ zur Erde. Wir haben auch eine Qualität, die ›Masse‹ heißt. Der beste Maßstab für ›Masse‹ ist die Kraft, die erforderlich ist, einen Gegenstand, sagen wir, Sie, aus dem Ruhezustand zu befördern. Wir betrachten ›Masse‹ und ›Gewicht‹ in der Regel als praktisch dasselbe, und auf der Erdoberfläche sind sie das auch, doch Masse gilt als eine wesentliche Eigenschaft der Materie, während Gewicht immer relativ zu etwas anderem ist. Aber«, sagte er mit erneutem Augenzwinkern, »unternehmen wir ein Gedankenexperiment, Robin. Unterstellen wir, Sie wären das einzige Objekt im Universum. Es gibt keine andere Materie. Was würden Sie wiegen? Nichts. Was für eine Masse hätten Sie? Ah, das ist die Frage. Unterstellen wir, dass Sie einen kleinen Düsengürtel haben und beschließen, sich zu beschleunigen. Sie messen dann die Beschleunigung und berechnen die Kraft, die Sie brauchen, um sich in Bewegung zu setzen, und gelangen so zu Ihrer Masse – tun Sie das wirklich? Nein, Robin, das tun Sie nicht. Weil es nichts gibt, woran Fortbewegung zu messen wäre. ›Bewegung‹ als Begriff ist ohne Bedeutung. Die Masse selbst hängt also nach Machs Prinzip von irgendeinem äußeren System ab. Und Machs Prinzip zufolge, wie mein Vorgänger und andere es ausgearbeitet haben, ist das bei allen anderen ›wesentlichen‹ Eigenschaften der Materie genauso, ob Energie oder Raum … eingeschlossen die ›flotten Nummern‹. Robin, ermüde ich Sie?«

»Darauf kannst du dich verlassen, Albert«, fauchte ich, »aber nur zu!«

Er lächelte und hob drei Finger.

»Punkt drei. Was Henrietta ›Punkt X‹ genannt hat. Wie Sie sich erinnern, hat Henrietta ihren Doktor nie geschafft, aber ich habe mir ihre Dissertation vorgenommen und vermag zu sagen, was sie damit gemeint hat. In den ersten drei Sekunden nach dem Urknall, also dem Beginn des Universums, wie wir es jetzt kennen, war das gesamte Universum relativ kompakt, außerordentlich heiß und vollkommen symmetrisch. Henriettas Dissertation zitierte ausführlich einen alten Cambridge-Mathematiker namens Tong B. Tang und andere; sie behaupteten, dass nach dieser Zeit, nach Henriettas ›Punkt X‹, die Symmetrie ›erstarrte‹. Alle Konstanten, die wir jetzt beobachten, wurden an diesem Punkt fixiert. Alle flotten Zahlen. Vor ›Punkt X‹ gab es sie nicht. Seitdem sind sie vorhanden und nicht veränderbar.

Bei Punkt X in der Zeit, drei Sekunden nach dem Beginn des Urknalls, geschah also etwas. Es kann ein ganz zufälliges Ereignis gewesen sein – irgendeine Turbulenz in der explodierenden Wolke.

Oder es könnte absichtlich herbeigeführt worden sein.« Er verstummte und rauchte eine Weile, während er mich beobachtete. Als ich nicht reagierte, seufzte er und hob vier Finger. »Punkt vier, Robin, und der letzte. Ich entschuldige mich für diese lange Vorrede. Der letzte Punkt in Henriettas Vermutung hatte mit der fehlenden Masse zu tun. Es scheint einfach nicht genug Masse im Universum zu geben, damit die sonst sehr erfolgreichen Theorien vom Urknall funktionieren. Hier hat Henrietta in ihrer Doktorarbeit einen riesigen Sprung gemacht. Sie meinte, die Hitschi hätten gelernt, Masse zu erzeugen und zu vernichten – und darin hatte sie, wie wir jetzt wissen, Recht, obwohl das von ihr nur eine Vermutung war und die Professoren, vor denen sie ihre These verteidigen musste, diese sofort angriffen. Sie machte noch einen weiteren Sprung. Sie unterstellte, die Hitschi hätten sogar dafür gesorgt, dass Masse verschwunden sei. Nicht in einem Schiff, obwohl sie, wenn sie das angenommen hätte, auf dem richtigen Weg gewesen wäre. In sehr großem Maßstab. Um genau zu sein, in einem universellen. Sie stellte die Vermutung auf, sie hätten die ›flotten Zahlen‹ studiert wie wir und wären zu gewissen Schlüssen gekommen, die wahr zu sein scheinen. Hier wird es ein wenig kompliziert, Robin, also passen Sie gut auf – aber wir sind beinahe schon am Ziel.

Sehen Sie, diese Grundkonstanten bestimmen, ob es im Universum Leben geben kann oder nicht. Unter vielen anderen Dingen, versteht sich. Aber wenn manche davon etwas höher oder etwas niedriger wären, könnte es kein Leben geben. Erkennen Sie die logische Konsequenz dieser Aussage? Ja, ich glaube schon. Es ist ein einfacher Vernunftschluss. Hauptvoraussetzung, die ›flotten Zahlen‹ sind nicht durch Naturgesetze bestimmt, sondern hätten anders aussehen können, wenn bei ›Punkt X‹ bestimmte andere Ereignisse eingetreten wären. Nebenvoraussetzung, wenn sie in bestimmten Richtungen anders wären, würde sich das Universum für Leben als weniger gastfreundlich erweisen. Schlussfolgerung? Ah, das ist der Kern. Schlussfolgerung: Wenn sie in bestimmten anderen Richtungen anders wären, könnte das Universum für das Leben gastfreundlicher sein.«

Und er verstummte und sah mich an, während er mit einer Hand in einen Hausschuh griff, um sich an der Fußsohle zu kratzen.


Ich weiß nicht, wer von uns beiden in diesem Fall länger hätte warten können. Ich bemühte mich, eine Menge unverdaulicher Ideen zu verdauen, und der alte Albert war entschlossen, mir Zeit zu lassen. Bevor dieser Verdauungsakt beendet war, kam Paul Hall in das Abteil getrabt, das ich für mich belegte, und schrie: »Gesellschaft! He, Robin! Wir haben Besuch!«

Nun, mein erster Gedanke war natürlich Essie; wir hatten uns unterhalten; ich wusste, dass sie zumindest auf dem Weg zum Raumflughafen Kennedy war, wenn sie nicht schon darauf wartete, dass wir herunterkamen. Ich starrte zuerst Paul und dann meine Uhr an.

»Die Zeit hat nicht gereicht«, sagte ich, was stimmte.

Er grinste.

»Kommen Sie und gucken Sie sich die armen Kerle an«, meinte er lachend.

Und das waren sie wirklich. Sechs Stück, in einen Fünfer gepfercht. Keine vierundzwanzig Stunden, nachdem ich vom Mond gestartet war, auf Gateway abgeflogen, so stark bewaffnet, dass sie eine ganze Division von Ältesten hätten auslöschen können, entschlossen, zu retten und Gewinn zu machen. Sie waren den ganzen Weg hinausgeflogen, hinter dem Hitschi-Himmel her, hatten gewendet und waren wieder zurückgekommen. Irgendwo auf dem Weg mussten wir an ihnen vorbeigekommen sein, ohne es zu ahnen. Arme Kerle! Aber sie waren sehr anständige Burschen, Freiwillige, unterwegs zu einer Mission, die selbst nach den Maßstäben von Gateway unsicher erschienen sein musste. Ich versprach ihnen, dass sie am Gewinn beteiligt sein würden – es gab ja genug für alle. Sie konnten nichts dafür, dass wir sie nicht brauchten, vor allem wenn man bedachte, wie dringend wir sie hätten brauchen können.

Wir hießen sie also willkommen. Janine führte sie stolz herum. Wan stellte sie, während er mit seiner Schlafpistole wedelte, grinsend den sanften Alten vor, die diese neue Invasion ruhig hinnahmen. Und bis sich das alles beruhigt hatte, wurde mir klar, dass ich am dringendsten Essen und Schlaf brauchte, und verschaffte mir beides.

Als ich wach wurde, erfuhr ich als Erstes, dass Essie unterwegs war, aber erst nach einer Weile eintreffen würde. Ich zappelte eine Weile herum und versuchte mich an all das zu erinnern, was Albert zu mir gesagt hatte, versuchte mir den Urknall vorzustellen und den kritischen Augenblick nach drei Sekunden, als alles erstarrt war … aber ohne großen Erfolg. Ich rief Albert noch einmal auf und fragte: »Auf welche Weise gastfreundlicher?«

»Ah, Robin«, erwiderte er – ihn überrascht nie etwas –, »das ist eine Frage, die ich nicht beantworten kann. Wir kennen nicht einmal alle Eigenschaften des Mach’schen Universums, aber vielleicht … vielleicht«, sagte er und demonstrierte durch die Fältchen in seinen Augenwinkeln, dass er nur Vermutungen anstellte, um mich zufrieden zu stellen, »vielleicht Unsterblichkeit? Vielleicht eine schnellere Synapsengeschwindigkeit bei organischen Gehirnen, also höhere Intelligenz? Vielleicht nur mehr Planeten, die für die Entwicklung von Leben geeignet wären? Irgendetwas davon. Oder alles zusammen. Das Wichtigste dabei ist, dass wir theoretisch von solchen gastfreundlicheren Eigenschaften ausgehen können und dass es möglich sein sollte, aus ihnen eine angemessene Theorie aufzubauen. Henrietta ist so weit gegangen. Dann ging sie noch etwas weiter. Angenommen, die Hitschi (nahm sie an) hätten etwas mehr Astrophysik gelernt als wir, hätten auch entschieden, wie die richtigen Eigenschaften beschaffen sein müssen – und sich daran gemacht, sie herzustellen! Wie hätten sie das angestellt? Nun, ein Weg bestünde darin, das Universum in den Urzustand schrumpfen zu lassen und mit einem neuen Urknall von vorne anzufangen. Wie könnte das geschehen? Wenn man Masse erzeugen und vernichten kann – ganz einfach! Damit herumjonglieren. Die Ausdehnung aufhalten. Die Zusammenziehung auslösen. Dann auf irgendeine Weise außerhalb der Punktschrumpfung bleiben, darauf warten, dass das Ganze wieder explodiert – und von außerhalb des Monoblocks tun, was getan werden muss, um die Grundkonstanten des Universums zu verändern, damit ein neues entsteht, das … nun, sagen wir, der Himmel wäre.«

Meine Augen traten aus den Höhlen.

»Ist das möglich?«

»Für Sie oder mich? Jetzt? Nein. Völlig unmöglich. Wir wüssten gar nicht, wo wir anfangen sollten.«

»Nicht du oder ich, verflixt! Für die Hitschi?«

»Ah, Robin«, sagte er düster, »wer kann das sagen? Ich kann nicht erkennen, wie, aber das bedeutet nicht, dass es ihnen nicht möglich gewesen wäre. Ich kann nicht einmal ahnen, wie man das Universum so manipulieren könnte, dass es richtig wäre. Aber das mag gar nicht nötig sein. Man muss davon ausgehen, dass sie eine Möglichkeit hätten, praktisch für immer zu leben. Das ist notwendig, wenn man das selbst nur einmal machen möchte. Und wenn ewig, tja, dann könnte man einfach beliebige Veränderungen vornehmen und abwarten, was dabei herauskommt, bis man das Universum hat, das man sich vorstellt.« Er nahm sich die Zeit, seine kalte Pfeife kurz und nachdenklich zu betrachten, dann steckte er sie in seine Brusttasche. »So weit war Henrietta mit ihrer Doktorarbeit gekommen, bevor man über sie herfiel. Denn dann sagte sie, die ›fehlende Masse‹ könnte beweisen, dass die Hitschi wirklich damit begonnen hätten, sich in die ordentliche Entwicklung des Universums einzumischen – sie sagte, sie beseitigten Masse in den äußeren Galaxien, damit sie schneller davonflögen. Vielleicht, so meinte sie, fügten sie auch Masse im Zentrum hinzu – wenn es eines gibt. Und sie sagte, das könnte erklären, weshalb die Hitschi davongelaufen seien. Sie lösten den Prozess aus, vermutete sie, und entfernten sich dann, um sich irgendwo zu verstecken, vielleicht in einem großen Schwarzen Loch, bis der Prozess abgelaufen wäre und sie wieder herauskommen würden, um alles erneut von vorne anzufangen. Da war dann endlich der Teufel los! Kein Wunder. Können Sie sich einen Haufen von Professoren vorstellen, die mit solchen Thesen konfrontiert werden? Sie sagten, sie sollte lieber ihren Doktor in Hitschi-Psychologie als in Astrophysik machen. Sie sagten, sie hätte nichts zu bieten als Mutmaßungen und Annahmen – die Theorie könne in keiner Weise überprüft werden, sie sei nichts als eine Erfindung. Und eine schlechte noch dazu. Ihre Doktorarbeit wurde abgelehnt, und sie bekam ihren akademischen Grad nicht und ging nach Gateway, um Prospektorin zu werden und da zu landen, wo sie jetzt ist. Tot. Und«, sagte er nachdenklich, während er die Pfeife wieder herauszog, »ich glaube wirklich, dass sie sich geirrt hat oder wenigstens schlampig war, Robin. Wir haben sehr wenige Hinweise darauf, dass die Hitschi irgendeine Möglichkeit besaßen, auf die Dinge in irgendeiner anderen Galaxis als der unseren einzuwirken, und sie sprach vom gesamten Universum

»Aber du bist nicht sicher?«

»Keine Spur, Robin.«

»Hast du nicht wenigstens irgendeine gottverdammte Vermutung?«, schrie ich.

»Klare Sache, Robin«, sagte er düster, »aber nicht mehr als das. Bitte, beruhigen Sie sich. Sehen Sie, der Maßstab stimmt nicht. Nach allem, was wir wissen, ist das Universum zu groß. Und die Zeit ist zu kurz. Die Hitschi waren vor weniger als einer Million Jahre hier, und die Schrumpfungszeit des Universums bisher beträgt etwa das Zwanzigtausendfache davon – die Rückschnellzeit könnte nicht geringer sein. Es spricht mathematisch kaum etwas dafür, dass sie sich gerade diesen Zeitpunkt ausgesucht hätten, um in Erscheinung zu treten.«

»In Erscheinung zu treten?«

Er hustete.

»Ich habe eine Stufe ausgelassen, Robin. Es gibt da noch eine Vermutung, und ich fürchte, es ist meine eigene. Angenommen, das ist das Universum, das die Hitschi erbaut haben. Angenommen, sie hätten sich auf irgendeine Weise in einem weniger gastfreundlichen entwickelt, es gefiel ihnen nicht, sie ließen es zusammenschrumpfen, um ein neues zu machen, und in dem befinden wir uns jetzt. Das passt nicht schlecht, wissen Sie. Sie könnten herausgekommen sein, um sich umzusehen, und fanden es vielleicht genauso vor, wie sie es haben wollten. Und jetzt sind vielleicht diejenigen, welche den Fortpflanzungsflug unternommen haben, zurückgegangen, um die anderen zu holen.«

»Albert! Herrgott noch mal!«

Er meinte leise: »Robin, ich würde diese Dinge nicht sagen, wenn ich etwas anderes vermuten könnte. Es ist nur eine Mutmaßung. Ich glaube, Sie können sich nicht vorstellen, wie schwer es für mich ist, auf diese Weise Vermutungen anzustellen, und ich wäre auch gar nicht fähig dazu, wenn nicht … nun, es ist so. Es gibt einen möglichen Weg, dass etwas eine Zusammenziehung und einen neuen Urknall überlebt, nämlich wenn es sich an einem Ort befindet, an dem die Zeit praktisch stillsteht. Was für ein Ort ist das? Nun, ein Schwarzes Loch. Ein großes. So groß, dass es nicht durch Quantentunnelung Masse verliert und deshalb ewig bestehen kann. Ich weiß, dass es ein Schwarzes Loch dieser Art gibt, Robin. Masse: ungefähr das Fünfzehntausendfache der Sonne. Ort: die Mitte unserer Galaxis.« Er warf einen Blick auf seine Uhr, und seine Miene veränderte sich. »Wenn meine Berechnungen der Sache nahe kommen, Robin«, sagte er, »müsste Ihre Frau bald eintreffen.«

»Einstein! Das Erste, was sie tun wird, ist, dich umzuschreiben!«

Er zwinkerte mich an.

»Das hat sie schon getan, Robin«, betonte er, »und zu den Dingen, die sie mir beigebracht hat, gehört, Spannung zu lindern, wenn es angebracht ist, und zwar durch eine spaßhafte oder persönliche Bemerkung.«

»Willst du behaupten, dass ich angespannt sein müsste?«

»Eigentlich nicht, Robin«, sagte er. »Das alles ist völlig theoretisch – wenn überhaupt etwas. Und im Hinblick auf menschliches Leben vielleicht ganz abwegig. Vielleicht aber auch nicht. Dieses Schwarze Loch in der Mitte unserer Galaxis ist zumindest ein möglicher Ort, an den die Hitschi gegangen sein könnten, und nicht so sehr weit weg. Und ich habe gesagt, wir hätten das Ziel bestimmt, zu dem der Älteste unterwegs war? Das war es, Robin. Der Kurs führte direkt zu diesem Schwarzen Loch, als Sie umkehrten.«


Ich hatte es Wochen vor Essie satt, mich im Hitschi-Himmel aufzuhalten. Sie fühlte sich mit ihren Maschinenintelligenzen so wohl wie noch nie. Aber ich hatte Essie nicht satt, also blieb ich, bis sie endlich zugab, alles, was sie brauchte, aufgezeichnet zu haben. Achtundvierzig Stunden später waren wir wieder am Tappan-See. Und neunzig Minuten danach erschien Wilma Liederman mit sämtlichen Instrumenten und überprüfte Essie bis zum letzten Krümelchen unter ihrem Zehennagel. Ich machte mir keine Sorgen. Ich konnte sehen, dass es Essie sehr gut ging, und als Wilma auf einen Drink blieb, gab sie es auch zu. Dann wollte sie über die medizinische Maschine sprechen, mit der die Toten Menschen Wan gesund erhalten hatten, während er aufwuchs, und bevor sie ging, hatten wir eine Forschungsgesellschaft mit einem Kapital von einer Million Dollar gegründet – Wilma als Vorsitzende –, um festzustellen, was man damit anfangen könnte. Man sieht, wie leicht das ging. Wie leicht das alles ist, wenn es so läuft, wie du es haben möchtest.

Oder fast alles. Es gab immer noch das unbehagliche Gefühl, wenn ich an die Hitschi (falls es die Hitschi waren) in der Mitte der Galaxis dachte (falls sie dort waren). Das ist sehr beunruhigend, wohlgemerkt. Hätte Albert erklärt, die Hitschi würden Feuer und Zerstörung speiend innerhalb des nächsten Jahres herauskommen (oder überhaupt herauskommen), nun, gewiss, ich hätte mir da schreckliche Sorgen gemacht. Hätte er gesagt, in zehn Jahren oder auch in hundert, wäre ich zumindest nachdenklich geworden und vermutlich furchtbar erschrocken. Aber wenn man in astronomischen Zeitspannen denkt … ach was! Wie leicht ist es, sich über Dinge Sorgen zu machen, die vielleicht noch eine Milliarde Jahre ausbleiben?

Und trotzdem wollte sich die Vorstellung einfach nicht verflüchtigen.

Ich war unruhig beim Abendessen, als Wilma gegangen war, und als ich den Kaffee hereinbrachte, hatte Essie sich vor dem offenen Kamin zusammengerollt, sehr flott in der Stretchhose, und kämmte sich die langen Haare. Sie sah zu mir auf und sagte: »Wird vermutlich nicht geschehen, Robin, weißt du.«

»Wie kannst du so sicher sein? In diese Raumschiffe sind fünfzehntausend Hitschi-Ziele einprogrammiert. Wir haben davon überprüft, na … wie viele? Weniger als hundertfünfzig, und eines davon war der Hitschi-Himmel. Nach dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit gibt es hundert andere dieser Art anderswo, und wer will behaupten, dass nicht ein solches Ding zu ihnen rast, um den Hitschi mitzuteilen, was wir jetzt treiben?«

»Lieber Robin«, sagte sie, drehte den Kopf und rieb sich die Nase an meinem Knie, »trink deinen Kaffee. Von statistischer Mathematik verstehst du nichts, und wer will außerdem behaupten, dass sie uns etwas tun wollten?«

»Sie würden es gar nicht zu wollen brauchen! Ich weiß, was geschehen würde, verdammt! Das ergibt sich von selbst. Es ist das, was mit den Tahitianern, den Tasmaniern, den Eskimos, den Indianern geschehen ist – was immer passierte, während der ganzen Geschichte. Ein Volk, das es mit einer überlegenen Kultur zu tun bekommt, wird vernichtet. Niemand will das. Es kann einfach nicht überleben!«

»Immer, Robin?«

»Ach, komm schon!«

»Nein, im Ernst«, sagte sie. »Gegenbeispiel: Was geschah, als die Römer auf Gallier stießen?«

»Sie haben sie niedergeworfen, das passierte!«

»Richtig. Nein, fast richtig. Aber wer hat ein paar hundert Jahre später wen besiegt, Robin? Die Barbaren eroberten Rom, Robin.«

»Ich rede nicht von Eroberung! Ich rede von einem rassischen Minderwertigkeitskomplex. Was geschieht mit irgendeiner beliebigen Rasse, die in Berührung mit einer klügeren Rasse kommt?«

»Nun, unter verschiedenen Umständen verschiedene Dinge, Robin. Die Griechen waren klüger als die Römer, Robin. Die Römer hatten nie eine neue Idee, es sei denn die, zu bauen oder Menschen zu töten. Die Römer störte das nicht. Sie nahmen Griechen sogar in ihre Häuser auf, damit sie ihnen alles über Dichtung und Geschichte und Wissenschaft beibrachten. Als Sklaven. Lieber Robin«, sagte sie, stellte ihre Kaffeetasse ab und kam heran, um sich zu mir zu setzen, »Weisheit ist eine Art Rohstoff. Sag doch, wen fragst du, wenn du Informationen brauchst?«

Ich dachte eine Weile nach.

»Na, meistens Albert«, gab ich zu. »Ich verstehe schon, was du meinst, aber das ist etwas anderes. Es ist die Aufgabe eines Computers, in bestimmten Dingen mehr zu wissen und schneller zu denken als ich. Dafür ist er da.«

»Genau, lieber Robin. So viel du sehen kannst, bist du nicht vernichtet worden.« Sie rieb ihre Wange an der meinen und richtete sich auf. »Du bist unruhig«, entschied sie. »Was möchtest du tun?«

»Was gibt es für Möglichkeiten?«, fragte ich und berührte sie, aber sie schüttelte den Kopf.

»Das meine ich nicht, jedenfalls nicht jetzt. Willst du PV sehen? Ich habe eine Aufzeichnung von den Nachrichten heute Abend, als du mit Wilma Pläne geschmiedet hast, und da sieht man, wie deine lieben Freunde ihre alte Heimat besuchen.«

»Die Alten in Afrika? Hab’ ich heute Nachmittag gesehen.« Irgendein örtlicher Manager hatte es für sinnvolle Reklame gehalten, den Alten die Schlucht von Olduvai zu zeigen. Den Alten gefiel es nicht besonders – sie verabscheuten die Hitze, schnatterten gereizt miteinander über die Impfungen, die sie über sich hatten ergehen lassen müssen, schätzten die Reise im Flugzeug nicht. Aber sie machten Schlagzeilen. Das Gleiche taten Paul und Lurvy, derzeit in Dortmund, um ein Mausoleum zur Erinnerung an Lurvys Vater einzurichten, sobald seine Überreste von der Nahrungsfabrik zurückkamen. Das Gleiche tat Wan, der als »Junge vom Hitschi-Himmel« durch Auftritte im PV reich wurde; das Gleiche tat Janine, der es großartig gefiel, ihre Gesangsstar-Brieffreunde endlich persönlich kennen zu lernen. Das Gleiche tat ich. Wir waren alle reich an Ruhm und Geld. Was die anderen damit anfangen würden, wusste ich nicht. Aber was ich wollte, wurde endlich klar.

»Hol einen Pulli, Essie«, sagte ich. »Gehen wir spazieren.«

Wir schlenderten hinunter zum eiskalten Wasser und hielten Händchen.

»Es schneit ja«, teilte Essie mit und blickte zu der Kuppel siebenhundert Meter über unseren Köpfen hinauf. In der Regel kann man sie nicht sehr deutlich sehen, aber heute Nacht, von den Heizgeräten, die Schnee oder Eis daran hindern, sie zu zerstören, seitlich erhellt, war sie milchig, übergossen mit Spiegelungen von Lichtern am Boden, von Horizont zu Horizont reichend.

»Ist es dir zu kalt?«

»Vielleicht nur hier, direkt am Wasser«, gab sie zu. Wir stiegen den Hang hinauf zu der kleinen Palmengruppe am Springbrunnen und setzten uns auf eine Bank, um die Lichter auf dem Tappan-See zu betrachten. Es war behaglich hier. Die Luft unter der Kuppel wird nie wirklich kalt, aber das Wasser ist das des Hudson, der sieben- oder achthundert Kilometer offen dahinfließt, bevor er den Palisaden-Damm erreicht, und ab und zu kommen im Winter unter der Sperre Eisschollen hindurch bis an unseren Bootssteg.

»Essie«, sagte ich, »ich habe nachgedacht.«

»Weiß ich, lieber Robin.«

»Über den Ältesten. Die Maschine.«

»So, wirklich?« Sie zog die Füße aus dem Gras, das durch verwehtes Wasser aus dem Springbrunnen feucht geworden war. »Sehr gute Maschine«, sagte sie. »Ganz zahm, seit du ihr die Zähne gezogen hast. Vorausgesetzt, dass sie keine Nervenendorgane bekommt, sich nicht bewegen kann oder nicht mit Steuerschaltungen in Verbindung kommt … ja, ganz zahm.«

»Was ich wissen möchte, ist, ob du so etwas für einen Menschen bauen könntest«, sagte ich.

»Ah!«, erwiderte sie. »Hm. Ja, ich glaube schon. Würde einige Zeit dauern und natürlich viel Geld kosten, aber es würde gehen.«

»Und du könntest eine menschliche Persönlichkeit darin speichern – nachdem die Person gestorben ist, meine ich? So gut, wie die Toten Menschen gespeichert worden sind?«

»Sehr viel besser, glaube ich. Es dürfte einige Schwierigkeiten geben, vor allem biochemische, aber das ist nicht mein Gebiet.« Sie lehnte sich zurück, schaute zu der schillernden Kuppel hinauf und sagte nachdenklich: »Wenn ich ein Computerprogramm schreibe, Robin, spreche ich mit dem Computer, in der einen oder anderen Sprache. Ich sage ihm, was er ist und was er tun soll. Hitschi-Programmierung ist nicht das Gleiche. Sie beruht auf direkter chemischer Übertragung des Gehirns. Das Gehirn der Alten ist mit deinem oder meinem nicht direkt identisch, was die Chemie betrifft, deshalb ist die Speicherung der Toten Menschen ganz und gar nicht perfekt. Aber die Alten müssen von wirklichen Hitschi weit entfernt sein. Die Hitschi konnten den Prozess ohne erkennbare Schwierigkeit umwandeln, deshalb muss es gehen. Ja. Wenn du stirbst, lieber Robin, ist es möglich, dein Gehirn in eine Maschine zu übertragen, die Maschine in ein Hitschi-Schiff zu stecken und zum Schwarzen Loch bei Sagittarius YY zu fliegen, wo sie Gelle-Klara Moynlin guten Tag sagen und ihr erklären kann, dass der Zwischenfall nicht deine Schuld war. Dafür garantiere ich, nur darfst du noch, sagen wir, fünf bis acht Jahre nicht sterben, damit notwendige Forschung erfolgen kann. Würdest du mir das, bitte, versprechen?«

Manchmal überrascht mich etwas so, dass ich nicht weiß, ob ich weinen oder zornig werden oder lachen soll. Diesmal stand ich rasch auf und starrte auf meine liebe Frau hinunter. Und dann entschied ich, was ich tun wollte, und lachte.

»Manchmal verblüffst du mich, Essie«, sagte ich.

»Aber warum, Robin?« Sie griff nach meiner Hand. »Angenommen, es wäre andersherum, hm? Angenommen, es wäre ich, die vor vielen Jahren eine große, persönliche Tragödie durchgemacht hat. Genau wie die deine, Robin. In der jemand, den ich sehr geliebt habe, sehr zu Schaden kam, auf eine solche Weise, dass ich diese Person nie sehen oder ihr erklären könnte, was geschehen ist. Glaubst du nicht, dass ich unbedingt wenigstens mit ihr sprechen wollte, auf irgendeine Weise, um ihr zu sagen, was ich empfinde?«

Ich wollte antworten, aber sie stand auf und legte ihren Finger auf meine Lippen.

»War eine rhetorische Frage, Robin. Wir kennen beide die Antwort. Wenn deine Klara noch lebt, wird sie unbedingt von dir hören wollen. Da gibt es keinen Zweifel. Also, so ist der Plan«, fuhr sie fort. »Du wirst sterben – nicht bald, hoffe ich. Dein Gehirn geht in die Maschine. Vielleicht mache ich eine Kopie für mich, falls du erlaubst? Aber eine Kopie fliegt zum Schwarzen Loch, um Klara zu suchen, und findet sie und sagt zu ihr: ›Klara, Liebes, was geschehen ist, war nicht zu ändern, aber ich möchte dir sagen, dass ich mein Leben gegeben hätte, um dich zu retten. ‹ Und dann, Robin, weißt du, was Klara dieser sonderbaren Maschine antworten wird, die aus dem Nichts auftaucht, vielleicht nur ein paar Stunden ihrer Zeit nach dem Ereignis?«

Ich wusste es nicht. Der springende Punkt war ja, dass ich es nicht wusste. Aber das sagte ich nicht, weil Essie mir keine Gelegenheit dazu gab. Sie erklärte: »Dann wird Klara antworten: ›Aber ich wusste das, lieber Robin. Denn von allen Männern, die je geboren wurden, bist du derjenige, dem ich am meisten vertraue, den ich am meisten achte und liebe.‹ Ich weiß, dass sie das sagen würde, Robin, weil das für sie die Wahrheit wäre. Wie für mich.«

Загрузка...