Inzwischen suchte mein Freund Audee Walthers auf Peggys Planet nach einer bestimmten Spelunke, um einen bestimmten Mann zu finden.

Ich sage, er ist mein Freund, obwohl ich seit Jahren nicht mehr an ihn gedacht habe. Er hatte mir einmal einen großen Gefallen erwiesen. Das habe ich nicht vergessen. Wenn jemand mich auf ihn angesprochen hätte: »Sag mal, Robin, erinnerst du dich, wie Audee Walthers seinen Kopf dafür hingehalten hat, dass du dir ein Schiff ausborgen konntest, als du es dringend brauchtest?«, hätte ich unwirsch geantwortet: »Ja, zum Teufel! Wie könnte ich so etwas vergessen!« Nun war es aber nicht so, dass ich pausenlos daran gedacht hätte. Ich hatte keine Ahnung, wo er sich im Augenblick aufhielt oder ob er überhaupt noch lebte.

Es war nicht schwer, sich an Walthers zu erinnern, schon wegen seines auffälligen Äußeren. Er war klein und nicht besonders gut aussehend. Die untere Gesichtshälfte war breiter als die Schläfenpartie, was ihn ein bisschen wie einen freundlichen Frosch aussehen ließ. Er war mit einer schönen, unzufriedenen Frau verheiratet, die nur halb so alt war wie er. Sie war neunzehn und hieß Dolly. Er bemühte sich verzweifelt, alles gut zu machen, weil er seine Frau so liebte. Daher schuftete er wie ein Sklave für Dolly. Audee Walthers war Pilot. Er flog alles, sogar Raumschiffe auf die Venus. Wenn sich der große Erdtransporter (der ihn ständig an meine Existenz erinnerte, da ich daran Anteile besaß und ihn nach meiner Frau benannt hatte) in der Umlaufbahn um Peggys Planet befand, war er als Pilot des Shuttles zum Be- und Entladen im Einsatz. Dazwischen flog er alles, was er auf Peggys Planet mieten konnte, um jeden Charter mitzunehmen, ganz egal, worum es sich handelte. Wie die meisten auf Peggys Planet war er 4 x 1010 Kilometer von dem Ort entfernt, an dem er geboren worden war, um hier mühsam seine Brötchen zu verdienen. Manchmal reichte es, manchmal nicht. Als er nun von einem Charterflug zurückkam und ihm Adjangba mitteilte, dass er einen neuen Auftrag für ihn hätte, wollte er sich diesen unter keinen Umständen entgehen lassen. Auch wenn das bedeutete, jede Bar in Port Hegramet abzugrasen, um seine Auftraggeber zu finden. Das war nicht leicht. Port Hegramet, eine »Stadt« mit viertausend Einwohnern, war mit Bars überreichlich gesegnet. Es gab jede Menge davon. In denen, die als Erstes infrage kamen – das Hotel-Café, das Flughafen-Pub und das große Spielcasino mit Port Hegramets einziger Nachtclubvorstellung –, waren die Araber nicht, die den Charterflug machen wollten. Auch Dolly war nicht im Casino, wo sie mit ihrer Puppenbühne aufzutreten pflegte. Sie war auch nicht zu Hause. Jedenfalls ging sie nicht ans Telefon. Eine halbe Stunde später streifte Walthers noch immer durch die finsteren Straßen der Stadt und suchte seine Araber. Er befand sich nicht mehr in den reicheren, westlichen Teilen der Stadt. Als er sie schließlich aufspürte, saßen sie in einer Spelunke am Stadtrand und stritten sich.


Alle Gebäude in Port Hegramet waren nur provisorisch, die logische Konsequenz, da es sich um eine Kolonie auf einem Planeten handelte. Wenn die neuen Immigranten jeden Monat mit der riesigen Hitschi-Himmel-Fähre von der Erde eintrafen, vergrößerte sich die Einwohnerzahl schlagartig wie ein Ballon, den man mit Wasserstoff aufbläst. Dann sank sie wieder während der nächsten Wochen, wenn die Siedler zu den Plantagen, Holzfällerlagern und Minen gebracht wurden. Sie ging aber nie auf die ursprüngliche Zahl zurück, da jeden Monat ein paar hundert neue Bewohner hinzukamen. Neue Behausungen wurden gebaut, alte abgerissen. Aber diese Spelunke sah noch provisorischer als alle anderen aus. Man hatte als Wände lediglich drei Plastikplatten aufgestellt und eine vierte als Dach darübergelegt. Die Seite zur Straße hin war offen, sodass die warme Luft hinein konnte. Nach draußen drang dichter Qualm von Tabak und Hanf, gemischt mit dem Geruch des selbst gebrauten, nach Bier riechenden Schnapses, der hier verkauft wurde.

Walthers erkannte die Gesuchten aufgrund der Beschreibung, die ihm sein Agent gegeben hatte, sofort. Es gab nicht viele Männer wie diesen Araber in Port Hegramet – Araber schon, aber wie viele reiche? Und wie viele alte? Mr. Luqman war noch älter als Adjangba, außerdem fett und kahlköpfig. An jedem seiner dicken Finger trug er einen Ring, die meisten mit Brillanten besetzt. Er saß mit einer Gruppe anderer Araber hinten in der Kneipe. Als Walthers auf sie zugehen wollte, hielt ihn die Barfrau auf. »Geschlossene Gesellschaft«, sagte sie und streckte den Arm aus. »Sie zahlen! Lass sie in Ruhe!«

»Ich werde erwartet«, behauptete Walthers und hoffte, dass das auch stimmte.

»Wozu?«

»Das geht dich einen Scheißdreck an«, erklärte ihr Walthers wütend und rechnete sich seine Chancen aus, wenn er sie einfach beiseite schob. Von dieser dürren, dunkelhäutigen Frau mit den auffälligen blauen Metallringen in den Ohren hatte er nichts zu befürchten. Aber der große Kerl mit dem spitz zulaufenden Schädel, der in der Ecke saß und herüberschaute, wirkte ungemütlich. Glücklicherweise sah Mr. Luqman in diesem Augenblick Walthers und stolperte auf ihn zu. »Also, Sie sind mein Pilot«, sagte er. »Kommen Sie, trinken Sie einen mit uns!«

»Vielen Dank, Mr. Luqman, aber ich muss nach Hause. Ich wollte nur den Charterflug bestätigt haben.«

»Ja. Wir werden mit Ihnen fliegen.« Er drehte sich um und blickte zu den anderen in seiner Gruppe, die sich über etwas fürchterlich stritten. »Wollen Sie was trinken?«, fragte er über die Schulter.

Der Mann war betrunkener, als Walthers gedacht hatte. Wieder lehnte er ab. »Danke, nein. Würden Sie jetzt bitte den Chartervertrag unterschreiben?«

Luqman stierte auf das gedruckte Stück Papier in Walthers’ Hand. »Der Vertrag?« Er dachte einen Moment lang nach. »Warum müssen wir denn einen Vertrag haben?«

»Das ist so üblich, Mr. Luqman«, beharrte Walthers, dessen Geduld sich allmählich erschöpfte. Hinter ihm brüllten sich die Begleiter des Arabers gegenseitig an. Luqmans Aufmerksamkeit ging zwischen Walthers und den Streitenden hin und her.

Da war noch etwas merkwürdig. Vier Männer waren an dem Streit beteiligt – fünf, wenn man Mr. Luqman mitrechnete. »Mr. Adjangba sagte, dass es um vier Leute ginge«, bemerkte Walthers. »Wenn es fünf sind, kostet das extra.«

»Fünf?« Luqman versuchte, sich auf Walthers’ Gesicht zu konzentrieren. »Nein. Wir sind nur vier.« Dann wechselte sein Gesichtsausdruck, und er lächelte nachsichtig. »Ach, Sie glauben, dieser Irre gehört zu uns! Nein, der kommt nicht mit. Der landet höchstens im Grab, wenn er nicht aufhört, Shameem die Lehren des Propheten auszulegen.«

»Verstehe«, meinte Walthers. »Wenn Sie jetzt unterschreiben würden …«

Der Araber zuckte mit den Achseln und nahm das Formular. Er legte es auf die Zinkplatte des Tresens und gab sich größte Mühe, das Gedruckte zu entziffern. Er hatte auch schon den Stift in der Hand, als die Streiterei lauter wurde. Aber Luqman schien sie völlig aus seinem Bewusstsein gestrichen zu haben.

Die meisten Gäste in der Kneipe waren Afrikaner, von denen die eine Hälfte wie Kikujus, die auf der anderen Seite wie Massai aussah. Auf den ersten Blick hatten auch die Typen, die sich stritten, alle gleich ausgesehen. Jetzt erkannte Walthers, dass er sich getäuscht hatte. Einer der Männer war jünger als die anderen, auch kleiner und schmächtiger. Seine Hautfarbe war dunkler als die der meisten Europäer, nicht aber so dunkel wie die der Libyer. Seine Augen waren zwar ebenso schwarz, aber nicht umrandet.

Walthers ging das Ganze nichts an.

Er drehte der Gruppe den Rücken zu und wartete geduldig, dabei wollte er so schnell wie möglich weg. Nicht nur, weil er Dolly sehen wollte. In Port Hegramet gab es ein buntes Völkergemisch, von denen sich die meisten nicht leiden konnten. Die Chinesen verkehrten meist nur mit Chinesen, die Lateinamerikaner blieben in ihrem Barrio, die Europäer im europäischen Viertel – aber keineswegs sauber getrennt und nicht immer friedfertig. Selbst bei den Untergruppen gab es scharfe Trennungslinien. Chinesen aus Kanton kamen mit denen aus Taiwan nicht aus, die Portugiesen unterschieden sich stark von den Finnen, und die einstigen Chilenen und ehemaligen Argentinier bekämpften sich immer noch. Auf keinen Fall waren Europäer in afrikanischen Kneipen gern gesehene Gäste. Als Luqman endlich den Vertrag unterschrieben hatte, dankte Walthers ihm und ging erleichtert auf die Straße. Er war noch keinen Häuserblock weit gekommen, als er hinter sich wütendes Gebrüll und einen Schmerzensschrei hörte.

Auf Peggys Planet kümmerte sich jeder nur um seine eigenen Angelegenheiten, soweit das möglich ist. Walthers lag sehr viel an diesem Charterflug. Es wäre doch möglich, dass die Männer, die auf den Mann einprügelten, afrikanische Rausschmeißer waren, die gerade seinen Kunden zusammenschlugen. Also ging ihn die Angelegenheit sehr wohl etwas an. Er drehte um und rannte zurück – das war ein Fehler, den er noch lange bereuen sollte, wie Sie mir glauben können.

Als Walthers zum Tatort gelangte, waren die Schläger weg. Die wimmernde, blutende Figur auf dem Pflaster gehörte nicht zu seinen Kunden. Es war ein junger Mann, den Walthers nicht kannte. Dieser umklammerte sein Bein.

»Helfen Sie mir! Ich gebe Ihnen auch fünfzigtausend Dollar«, stieß er ächzend heraus. Seine Lippen waren blutig und geschwollen.

»Ich geh’ und hol’ einen Polizisten«, bot Walthers an und versuchte sich loszumachen.

»Keine Polizei! Helfen Sie mir, diese Kerle umzulegen! Ich gebe Ihnen Geld!«, knurrte der Mann wütend. »Ich bin Kapitän Juan Henriquette Santos-Schmitz und kann Ihre Dienste gut bezahlen!«


Ich wusste natürlich zu dieser Zeit nichts von alledem. Walthers hinwiederum hatte keine Ahnung, dass Mr. Luqman für mich arbeitete. Das spielt auch keine Rolle. Zehntausende arbeiteten für mich. Außerdem hätte es auch keine Rolle gespielt, wenn sie alle Walthers bekannt gewesen wären. Das Dumme an der Sache war, dass er Wan nicht erkannte. Er hatte nur allgemein von ihm gehört. Dieser Umstand sollte ihm später noch schwer zu schaffen machen.

Ich kannte Wan sehr genau. Ich hatte ihn zum ersten Mal getroffen, als er noch ein Wolfskind war, das von Maschinen und Nicht-Menschen aufgezogen wurde. Bei der Aufzählung meiner Bekannten habe ich ihn einen Nicht-Freund genannt. Ich kannte ihn zwar, aber er hat sich nie so in die Gesellschaft eingefügt, dass er irgendjemandes Freund wurde.

Eigentlich war er eher ein Feind – nicht nur mir, sondern der gesamten Menschheit gegenüber –, als er verängstigt und geil auf seiner Couch in der Oort’schen Wolke dahinträumte, ohne sich darum zu kümmern, selbst wenn er es gewusst hätte, dass er damit alle anderen in den Wahnsinn trieb. Das war nicht seine Schuld. Sicher nicht. Es war nicht einmal seine Schuld, dass sich die erbärmlichen, zerstörerischen Terroristen von seinem Beispiel inspirieren ließen und uns auch in den Wahnsinn trieben, wann immer sie konnten. Aber damit kommen wir wieder zur Frage von »Schuld« und dem damit zusammenhängenden Begriff »Schuldbewusstsein«. Wenn wir uns damit auseinander setzen, sind wir schon wieder bei Sigfrid Seelenklempner, ehe wir es uns versehen, ich möchte aber jetzt über Audee Walthers berichten.

Walthers war kein Engel der Nächstenliebe. Trotzdem brachte er es nicht über sich, den Mann auf der Straße liegen zu lassen. Als er den blutenden Mann mit in das kleine Appartement nahm, das er mit Dolly bewohnte, hatte er keine klare Vorstellung, warum er das tat. Der Mann war übel zugerichtet. Zugegeben. Aber dafür gab es Erste-Hilfe-Stationen. Außerdem entpuppte sich der Patient als zunehmend unausstehlich. Auf dem ganzen Weg zu dem Viertel, das Klein-Europa hieß, machte er hinsichtlich seines finanziellen Angebots Rückzieher und beschimpfte Walthers als Feigling. Als er sich endlich auf Walthers’ Faltbett fallen ließ, betrug die Summe nur noch zweihundertfünfzig Dollar, und mit den abfälligen Bemerkungen über Walthers’ Charakter fuhr er fort.

Robins Ausführungen bedürfen auch hier wieder einiger Erläuterungen. Die Hitschi waren an lebenden Objekten sehr interessiert, besonders an solchem Leben, das intelligent war oder intelligent zu werden versprach. Sie hatten eine Erfindung gemacht, die ihnen gestattete, die Gefühle anderer Geschöpfe abzuhören, selbst wenn diese Welten entfernt waren.

Der Haken an dieser Vorrichtung war nur, dass sie sowohl sendete als auch empfing. Wenn man sie bediente, wurden die eigenen Empfindungen von den Empfängern ebenfalls wahrgenommen. War man wütend oder deprimiert – oder wahnsinnig –, führte das zu sehr, sehr schlimmen Folgen. Der Junge Wan hatte solch ein Gerät, seit er als Kleinkind ausgesetzt wurde. Er nannte es seine Traumcouch – Wissenschaftler gaben ihm später den Namen: Telempathisch-Psychokinetischer Sender-Empfänger. Als Wan diese Vorrichtung benutzte, kam es zu den Vorgängen, die Robin aus seiner Sicht hier beschreibt.

Wenigstens hatte er aufgehört zu bluten. Er setzte sich auf und schaute sich angewidert in der Wohnung um. Dolly war noch nicht zu Hause und hatte einen ziemlichen Saustall hinterlassen – schmutziges Geschirr auf dem Klapptisch, ihre Handpuppen überall verteilt, über dem Waschbecken hing Unterwäsche zum Trocknen, und am Türknauf baumelte ein Pullover. »Das ist ein Dreckloch«, meinte der ungebetene Gast. »Das ist nicht einmal zweihundertfünfzig Dollar wert.« Walthers lag eine scharfe Entgegnung auf der Zunge. Er schluckte sie runter wie die anderen während der letzten halben Stunde. War doch sinnlos!

»Ich werde Sie verarzten«, sagte er. »Dann können Sie gehen. Ich will Ihr Geld nicht.«

Der Mann versuchte mit seinen geschwollenen Lippen ein herablassendes Lächeln. »Wie können Sie nur so einen Blödsinn reden«, erwiderte er. »Schließlich bin ich Kapitän Juan Henriquette Santos-Schmitz. Ich besitze ein eigenes Raumschiff, Anteile am Transportschiff, das diesen Planeten beliefert, daneben bin ich auch an anderen sehr wichtigen Unternehmen beteiligt. Man behauptet, dass ich die elftreichste Person der menschlichen Gesellschaft bin.«

»Ich hab’ nie von Ihnen gehört«, entgegnete Walthers und ließ warmes Wasser ins Waschbecken laufen. Das stimmte aber nicht. Es lag zwar schon sehr lange zurück. Aber da war etwas, eine dumpfe Erinnerung. Jemand war eine Woche lang jede Stunde in den PV-Nachrichten erwähnt worden. Das war noch ein oder zwei Monate weitergegangen. Doch keiner ist so sicher in der Versenkung verschwunden wie der, welcher vor zehn Jahren mal einen Monat lang berühmt war.

»Sie sind der Junge, der bei den Hitschi aufgewachsen ist«, sagte Walthers plötzlich. Der Mann winselte.

»Genau! Aua! Sie tun mir weh!«

»Dann halten Sie doch still!«, riet ihm Walthers und überlegte, was er mit dem elftreichsten Mann der menschlichen Gesellschaft anfangen sollte. Dolly würde begeistert sein, ihn kennen zu lernen. Aber was würde sie aushecken, damit Walthers diesen Reichtum anzapfen und eine Plantage auf einer Insel oder ein Sommerhaus in den Heidehügeln kaufen konnte – oder eine Fahrt nach Hause –, sobald sich die ersten Wogen der Begeisterung gelegt hatten? Was war auf Dauer gesehen besser: den Mann unter irgendeinem Vorwand hier zu behalten, bis Dolly heimkam – oder ihn hinauszukomplimentieren und ihr nur von ihm zu erzählen?

Man muss nur lange genug über ein Dilemma nachdenken, dann löst es sich von selbst. Dieses löste sich, indem die Tür quietschend aufging und Dolly hereinkam.

Zu Hause lief Dolly oft mit tränenden Augen aufgrund einer Allergie gegen die Flora auf Peggys Planet, vergrätzt und meist ungekämmt herum. Wenn sie aber ausging, war sie strahlend schön. Offensichtlich machte sie auch auf den unerwarteten Gast einen tiefen Eindruck, als sie in der Tür stand. Obwohl Walthers schon länger als ein Jahr mit dieser fabelhaften, schlanken Figur und dem unbewegten Alabastergesicht verheiratet war, ja sogar die streng eingehaltene Diät, die zu ersterer geführt hatte, und die Mängel im Gebiss, die das zweite nötig machten, kannte, raubte sie ihm immer noch die Sinne.

Er begrüßte sie mit einem Kuss und nahm sie in die Arme. Der Kuss wurde erwidert, allerdings nicht mit ungeteilter Aufmerksamkeit. Sie musterte dabei den Fremden. Walthers hielt sie weiter umschlungen und sagte: »Liebling, das ist Kapitän Santos-Schmitz. Er war in eine Schlägerei verwickelt, und ich habe ihn hergebracht …«

Sie stieß ihn von sich. »Junior, wie kannst du nur!«

Es dauerte einen Augenblick, bis ihm das Missverständnis zu Bewusstsein kam. »Aber, nein, Dolly! Ich hab’ mich nicht mit ihm geprügelt! Ich war nur zufällig in der Nähe.«

Ihr Gesicht entspannte sich, und sie wandte sich dem Gast zu. »Sie sind hier natürlich herzlich willkommen, Wan. Lassen Sie mich mal sehen, was man mit Ihnen gemacht hat.«

Santos-Schmitz blähte sich sichtlich auf. »Sie kennen mich?«, fragte er und ließ sich von ihr den Verband zurechtzupfen, den Walthers bereits angelegt hatte.

»Aber natürlich, Wan! Jeder in Port Hegramet kennt Sie!« Mitleidsvoll betrachtete sie sein blaues Auge. »Man hat mich gestern Abend in der Spindel-Bar auf Sie aufmerksam gemacht.«

Er nahm den Kopf zurück, um sie näher zu betrachten. »Ja! Die Puppenspielerin! Ich habe Ihre Vorstellung gesehen.«

Dolly Walthers lächelte selten. Wenn sich aber an ihren äußeren Augenwinkeln Fältchen bildeten und sich die hübschen Lippen schürzten, war das noch reizvoller als ein Lächeln. Sie zeigte diesen Ausdruck noch öfter, während sie sich um Wan kümmerten, ihm Kaffee einflößten und seinen Erklärungen zuhörten, warum die Libyer zu Unrecht wütend auf ihn geworden waren. Falls Walthers gedacht hatte, Dolly könnte etwas dagegen haben, dass er diesen Fremden aufgelesen und nach Hause gebracht hatte, brauchte er in dieser Hinsicht keine Bedenken mehr zu haben. Die Zeit verrann. Walthers wurde langsam nervös. »Wan«, sagte er schließlich, »ich muss morgen früh fliegen. Ich nehme an, Sie wollen auch zurück in Ihr Hotel …«

»Auf keinen Fall, Junior!«, unterbrach ihn seine Frau. »Wir haben doch jede Menge Platz hier. Er kann das Bett haben, du schläfst auf der Couch, und ich nehme das Feldbett im Nähzimmer.«

Walthers war wie vor den Kopf geschlagen. Er brachte kein Wort heraus. Das war doch eine Schnapsidee. Natürlich wollte Wan zurück in sein Hotel – und Dolly war natürlich nur höflich. Sie konnte doch nicht im Ernst vorhaben, ihnen beiden jede Möglichkeit zu Intimitäten zu nehmen, vor allem nicht in der letzten Nacht, ehe er wieder mit diesen jähzornigen Arabern in den Busch zurückfliegen musste. Zuversichtlich wartete er darauf, dass Wan sich entschuldigen und seine Frau ihn nicht aufhalten würde. Aber seine Hoffnung wurde immer kleiner, bis sie schließlich ganz geschwunden war. Obwohl Walthers nicht sehr groß war, war die Couch noch kleiner als er. Er wälzte sich die ganze Nacht von einer Seite auf die andere und wünschte, dass er den Namen Juan Henriquette Santos-Schmitz nie gehört hätte …

Dieser Wunsch wurde vom Großteil der menschlichen Gesellschaft geteilt – mich eingeschlossen.


Wan war nicht nur ein widerlicher Kerl – was natürlich nicht seine Schuld war. (Ja, schon gut, Sigfrid, ich weiß; geh aus meinem Kopf heraus!) Er war auch auf der Flucht vor dem Zugriff der Justiz oder hätte es sein müssen, wenn jemand genau gewusst hätte, was er von den alten Hitschi-Artefakten geklaut hatte.

Als er Walthers gegenüber prahlte, dass er reich sei, log er keineswegs. Er hatte durch seine Geburt ein Anrecht auf eine Menge Hitschi-Technologie, weil ihn seine Mami in einer Hitschi-Behausung geboren hatte, in der es praktisch keine Menschen gab, mit denen er hätte reden können. Auf diese Weise kam er zu einem Haufen Geld, nachdem die Gerichte alles längere Zeit geprüft hatten. Das hieß auch, jedenfalls nach Wans Auffassung, dass er auf alles, was Hitschi hieß und nicht festgenagelt war, ein Recht besaß. Er hatte sich ein Hitschi-Schiff angeeignet – das wusste jeder. Aber mit seinem Geld mietete er Rechtsanwälte, welche die Klage der Gateway AG auf Rückgabe bei den Gerichten verschleppten. Ferner hatte er sich einige technische Apparate der Hitschi unter den Nagel gerissen, die nicht allgemein zu haben waren. Und wenn jemand anderer gewusst hätte, wie sie funktionieren, wäre Wans Fall blitzschnell verhandelt worden. Dann wäre er Staatsfeind Nummer eins und nicht nur ein öffentliches Ärgernis gewesen. Walthers hatte also ein Anrecht, ihn zu hassen, obwohl für ihn natürlich im Augenblick ganz andere Gründe ausschlaggebend waren.

Als Walthers am nächsten Morgen die Libyer sah, waren die schwer verkatert und gereizt. Walthers’ Laune war noch schlechter, obwohl er im Unterschied zu ihnen nicht verkatert war. Darin lag ebenfalls ein Grund für seine miese Stimmung.

Seine Passagiere fragten ihn nicht mit einer Silbe nach der vergangenen Nacht. Sie wechselten kaum ein Wort, als das Flugzeug über die weiten Steppen, die gelegentlichen Lichtungen und die spärlichen Farmen auf Peggys Planet dahindröhnte. Luqman und ein anderer Mann hatten sich in die Falschfarben-Satelliten-Holos des Abschnitts vertieft, den sie erforschen wollten. Ein anderer schlief. Der Vierte hielt sich nur den Kopf und stierte aus dem Fenster. Das Flugzeug flog beinahe selbständig zu dieser Jahreszeit, in der es kaum Wetterprobleme gab. Walthers hatte mehr als genug Zeit, über seine Frau nachzudenken. Es war für ihn ein persönlicher Triumph gewesen, als sie geheiratet hatten. Aber warum lebten sie nun nicht glücklich bis ans Ende ihrer Tage?

Sicher, Dollys Leben war nicht leicht gewesen. Ein Mädchen aus Kentucky, ohne Geld, ohne Familie, ohne Arbeit – ja, ohne irgendeine Ausbildung und vielleicht auch ohne überragenden Verstand –, so ein Mädchen musste alles, was sie sonst zu bieten hatte, einsetzen, um aus dem Kohlegebiet herauszukommen. Und das Einzige, was Dolly zu bieten hatte, war ihr Aussehen. Sie war sehr hübsch, wenn auch mit kleinen Mängeln. Sie hatte eine schlanke Figur und strahlende Augen, aber vorstehende Zähne. Mit vierzehn bekam sie einen Job als Go-go-Girl in Cincinnati. Von dem Geld konnte man aber nicht leben; es sei denn, man betrieb ein bisschen Prostitution am Rande. Das wollte Dolly aber nicht. Sie sparte sich auf. Sie versuchte es mit Singen, hatte aber nicht genug Stimme. Außerdem wirkte sie wie ein Bauchredner, wenn sie zu singen versuchte, ohne ihre Zähne zu zeigen … Als ihr das ein Kunde, den sie abgewiesen hatte, aus Wut sagte, ging ihr ein Licht auf. Der Manager dieses Clubs hielt sich für einen Komiker. Dolly wusch und nähte für ihn. Dafür brachte er ihr ein paar komische Darbietungen bei. Dann machte sie sich Handpuppen und studierte jede Aufführung eines Puppentheaters auf dem PV-Schirm. An einem Samstag probierte sie es als letzte Darbietung, als eine andere Sängerin am Sonntag ihren Platz einnehmen sollte. Ihre Nummer war zwar nicht Spitze, aber die andere Sängerin war so schlecht, dass man Dolly noch mal eine Chance gab. Zwei Wochen in Cincinnati, einen Monat in Louisville, beinahe drei Monate in kleinen Clubs außerhalb von Chicago – wären die Engagements nahtlos ineinander übergegangen, wäre es Dolly recht gut gegangen. Es lagen aber Wochen und Monate dazwischen. Sie musste nicht wirklich Hunger leiden. Zu der Zeit, als Dolly auf Peggys Planet kam, hatte sie ihre Darbietung so weit verfeinert, dass es ging. Nicht gut genug, um damit Karriere machen zu können, aber gut genug, um sich zu ernähren. Die Fahrt zu Peggys Planet war ein Schritt der Verzweiflung gewesen, weil man für den Flug dorthin sein Leben aufs Spiel setzen musste. Sie wurde zwar auch hier kein Star, es ging ihr aber auch nicht schlechter. Und sie sparte sich nicht länger auf. Sie gab sich aber auch nicht wahllos jedem hin. Als Audee Walthers Jr. ihr über den Weg lief, bot er ihr mehr als die meisten vorher – Heirat. Da griff sie zu. Mit achtzehn heiratete sie einen Mann, der doppelt so alt war wie sie.

Dollys Leben war schwer, aber auch nicht schwerer als das eines jeden anderen auf Peggys Planet – wenn man natürlich von Leuten wie Audees Ölprospektoren absah. Die Prospektoren – oder ihre Firmen – bezahlten den vollen Flugpreis zu Peggys Planet. Von denen hatte jeder eine bezahlte Rückfahrkarte in der Tasche.

Das stimmte sie aber auch nicht fröhlicher. Bis West Island, dem Punkt, den sie für ihr Basislager ausgesucht hatten, war es ein Flug von sechs Stunden. Nachdem sie gegessen und ihre Unterkünfte aufgestellt sowie ihre Gebete ein- oder zweimal gesprochen hatten – nicht ohne sich zu streiten, in welche Richtung sie sich wenden sollten –, war ihr Kater ziemlich weg. Allerdings war es inzwischen auch schon zu spät, um an diesem Tag noch etwas zu unternehmen. Für sie. Nicht für Walthers. Er bekam den Auftrag, zwanzigtausend Hektar hügeligen Buschlands kreuz und quer zu überfliegen. Da er nur einen Massesensor hinterherziehen musste, um die Anomalien in der Schwerkraft zu messen, spielte die Dunkelheit keine Rolle. Für Mr. Luqman spielte sie keine Rolle, für Walthers schon. Dies war genau die Art von Fliegerei, die er am meisten hasste. Er musste sehr tief fliegen. Und einige der Hügel waren ziemlich hoch. Er flog also mit Radar und Suchstrahler in Betrieb und erschreckte die langsamen, dummen Tiere, die in dieser Savanne in West Island lebten, zu Tode. Er selbst erschrak auch ganz gehörig, als er bemerkte, dass er eingedöst war. Beim Aufschrecken konnte er gerade noch die Maschine hochreißen, als eine mit Gebüsch bewachsene Kuppe auf ihn zuraste.

Es gelang ihm, fünf Stunden zu schlafen, ehe Luqman ihn aufweckte, damit er ein paar Stellen fotografisch erfasste, die noch nicht genau erkundet waren. Als er das hinter sich gebracht hatte, musste er über dem ganzen Gebiet Stacheln abwerfen. Diese Stacheln waren aber nicht einfach aus Metall. Sie waren Geophone und mussten kilometerlang auf Empfangsanordnung gesetzt werden. Außerdem mussten sie wenigstens aus zwanzig Metern Höhe abgeworfen werden, damit sie in den Boden eindrangen und zuverlässige Messungen ergaben. Dabei durfte man aber höchstens zwei Meter danebenwerfen. Es nützte Walthers gar nichts, dass er darauf hinwies, dass sich diese Anforderungen gegenseitig widersprachen. Er war daher auch keineswegs überrascht, dass die petrologischen Daten wertlos waren, nachdem die Vibratoren auf den Lastwagen in Betrieb genommen worden waren. »Machen Sie das Ganze noch einmal«, wies ihn Mr. Luqman an. Walthers musste also alles zu Fuß abgehen und die Geophone herausziehen und wieder mit der Hand einschlagen.

Eigentlich hatte er als Pilot angeheuert. Aber Mr. Luqman sah das nicht so eng. Es blieb jedoch nicht beim Herummarschieren mit den Geophonen. Einen Tag musste er die zeckenartigen Biester ausgraben, welche auf Peggys Planet den Regenwürmern entsprachen, die den Boden auflockerten. Am nächsten Tag drückte man ihm ein Gerät in die Hand, das sich ein paar Dutzend Meter tief in die Erde bohrte und Kernproben lieferte. Sie hätten ihn auch Kartoffeln schälen lassen, wenn sie Kartoffeln gegessen hätten. Auf alle Fälle versuchten sie, ihm das Abwaschen aufzuhalsen. Sie gaben in diesem Punkt nur so weit nach, dass man sich einigte, sich abzuwechseln. (Aber Walthers fiel auf, dass Mr. Luqman niemals an der Reihe zu sein schien.) Dabei waren die Arbeiten nicht einmal uninteressant. Die zeckenartigen Käfer kamen in ein Glas mit Lösungsmittel. Die so entstandene Suppe wurde auf ein Blatt Filterpapier für Elektrophorese geschmiert. Die Kernproben wanderten in kleine Inkubatoren mit sterilem Wasser und steriler Luft sowie sterilen Kohlenwasserstoffdämpfen. Mit beiden Versuchen konnte Öl nachgewiesen werden. Die Käfer gruben sich wie Termiten tief nach unten. Einiges von den Schichten, durch die sie sich hindurchgebohrt hatten, kam mit nach oben. Mittels der Elektrophorese konnte man die Zusammensetzung dieses Materials bestimmen. Die Inkubatoren testeten das Gleiche auf andere Art. Peggys Planet hatte wie die Erde in seinem Boden Mikroorganismen, die sich von reinen Kohlenwasserstoffen ernähren konnten. Wenn also in den Inkubatoren bei reinem Kohlenwasserstoff irgendetwas wuchs, musste es sich um solche Biester handeln. Ohne das Vorkommen von freien Kohlenwasserstoffen im Boden hätten sie nicht existieren können.

In beiden Fällen war der Nachweis für Ölvorkommen erbracht.

Walthers hielt diese Tests für stupide Kuliarbeit, die nur unterbrochen wurde, wenn man ihm auftrug, mit dem Flugzeug das Magnetometer zu schleppen oder noch mehr Stacheln abzuwerfen. Nach den ersten drei Tagen verkroch er sich ins Zelt und holte seinen Vertrag heraus, um festzustellen, ob er wirklich alle diese Arbeiten machen musste. Er musste. Er war entschlossen, mit seinem Agenten ein ernstes Wörtlein zu reden, wenn er wieder in Port Hegramet wäre. Nach dem fünften Tag überlegte er es sich. Es erschien ihm viel verlockender, den Agenten umzubringen … Die viele Fliegerei hatte aber auch ihr Gutes. Nachdem acht Tage der drei Wochen, welche die Expedition dauern sollte, um waren, meldete er Mr. Luqman mit Vergnügen, dass ihm langsam der Treibstoff ausgehe und er zurückfliegen müsse, um mehr Wasserstoff zu holen.


Als er das kleine Appartement betrat, war es schon dunkel. Zu seiner angenehmen Überraschung war aber die Wohnung tadellos aufgeräumt. Noch mehr freute ihn, dass Dolly zu Hause war. Am schönsten war, dass sie lieb zu ihm war und sich offensichtlich auch freute, ihn zu sehen.

Der Abend war ein voller Erfolg. Sie liebten sich, Dolly kochte etwas zu essen, dann liebten sie sich wieder. Gegen Mitternacht saßen sie auf dem ausgeklappten Bett, im Rücken die Kissen, die Beine ausgestreckt und hielten sich an den Händen. Sie tranken eine Flasche Peggy-Wein. »Ich wünschte, du könntest mich mitnehmen«, sagte Dolly, als er ihr von dem New-Delaware-Charter erzählt hatte. Dolly sah ihn nicht an. Sie spielte mit einer der Handpuppen. Ihr Gesicht war gelöst.

»Kommt überhaupt nicht infrage, Liebling.« Er lachte. »Du bist viel zu hübsch, als dass ich dich in den Busch zu vier lüsternen Arabern mitnehmen könnte. Ehrlich gesagt, ich fühle mich nicht einmal selbst sehr sicher.«

Sie hob die Hand. Immer noch sah sie entspannt aus. Die Puppe, die sie jetzt hochgenommen hatte, war ein kleiner Katzenkopf mit leuchtend roten Barthaaren. Das rosa Schnäuzchen ging auf, und eine Katzenstimme lispelte: »Wan behauptet, das sind wirklich raue Burschen. Er sagt, beinahe hätten sie ihn umgebracht, nur weil er mit ihnen über Religion gesprochen hat.«

»Ach ja?« Walthers wechselte die Stellung. Die Kissen in seinem Rücken schienen nicht mehr ganz so bequem zu sein. Er stellte die Frage nicht, die ihm im Kopf herumschwirrte: Ach ja! Hast du dich mit Wan getroffen? Das hätte bedeutet, dass er eifersüchtig war. Stattdessen fragte er nur: »Wie geht’s denn Wan?« Aber die andere Frage war in dieser enthalten, und sie wurde beantwortet. Wan ging es viel besser. Wans Auge war kaum noch blau. Wan hatte wirklich ein schickes Schiff, einen Hitschi-Fünfer, der aber sein persönliches Eigentum war und den er mit einer Sonderausstattung hatte versehen lassen – hat er gesagt. Gesehen hatte sie es nicht. Natürlich nicht. Wan hatte angedeutet, dass einiges Zubehör altes Hitschi-Zeug war – vielleicht nicht auf ganz ehrliche Weise erworben. Wan hatte auch angedeutet, dass jede Menge Hitschi-Zeug existierte, das nie gemeldet worden war, weil die Finder der Gateway AG keine Abgaben zahlen wollten. Wan fand, dass er ein Recht darauf besaß, weil er doch diesen unglaublichen Lebensweg gehabt hatte und quasi direkt von den Hitschi erzogen worden war.

Ohne dass Walthers es wollte, drängte sich die Frage auf seine Lippen. »Klingt, als ob du Wan ziemlich oft gesehen hast«, meinte er und versuchte, ganz unbeteiligt zu wirken. Sein Tonfall verriet ihm aber, dass dieser Versuch fehlgeschlagen war. Er klang entweder wütend oder beunruhigt – eigentlich eher wütend. Es ging ihm nicht in den Kopf! Wan sah doch bestimmt nicht gut aus und hatte einen miesen Charakter. Allerdings war er reich und passte im Alter viel besser zu Dolly …

»Aber Liebling, sei doch nicht eifersüchtig!«, bat Dolly mit ihrer eigenen Stimme. Sie klang sehr zufrieden – was Walthers etwas beruhigte. »Weißt du, er geht sowieso bald weg. Er will nicht hier sein, wenn der Transporter kommt. Im Augenblick bestellt er Vorräte für seine nächste Fahrt. Das ist der einzige Grund, warum er hergekommen ist.« Sie hob wieder die Hand mit der Katzenpuppe und sang mit der Kätzchenstimme: »Jun-ior ist eifersüchtig auf Dol-liii!«

»Bin ich nicht«, widersprach er spontan, gab dann aber zu: »Ja, ich bin’s. Sei mir nicht böse, Doll.«

Sie rutschte näher auf dem Bett an ihn heran, bis ihre Lippen ganz nah an seinem Ohr waren, und er ihren Atem spüren konnte. Dann flüsterte die Katzenstimme: »Ich verspreche es, nicht böse zu sein, Mr. Junior. Aber ich wäre sehr froh, wenn du …« Und wie die meisten Versöhnungen war auch diese wunderschön. Leider unterbrach das Schnarren des Piezophons Runde vier.

Walthers ließ es fünfzehnmal läuten, lange genug, um die angefangene Arbeit zu Ende zu führen, wenn auch nicht so gut, wie er es vorgehabt hatte. Als er sich meldete, meinte der Wachhabende vom Flughafen: »Hab’ ich einen schlechten Moment erwischt, Walthers?«

»Sagen Sie mir lieber, was los ist«, forderte Walthers und versuchte, sein immer noch heftiges Atmen zu unterdrücken.

»Raus aus den Federn und lächeln, Audee! Da sind sechs Leute mit Skorbut. Planquadrat sieben drei Poppa. Die Koordinaten sind etwas verschwommen, aber sie haben ein Radiozeichen. Das ist alles, was sie haben. Sie müssen einen Arzt, einen Zahnarzt und eine Tonne Vitamin C hinfliegen. Im Morgengrauen müssen Sie dort sein. Das heißt, dass Sie in genau neunzig Minuten starten.«

»Zum Teufel, Carey! Können die nicht noch warten?«

»Nur wenn Sie bei der Landung Leichen vorfinden wollen. Es geht ihnen verdammt dreckig. Der Schafhirte, der sie gefunden hat, sagt, dass seiner Meinung nach zwei sowieso nicht durchkommen.«

Walthers fluchte. Um Entschuldigung bittend schaute er Dolly an. Dann suchte er missmutig seine Sachen zusammen.

Als Dolly zu sprechen anfing, klang sie nicht mehr wie ein Kätzchen. »Junior? Können wir nicht nach Hause gehen?«

»Hier ist unser Zuhause«, stellte er fest.

»Bitte, Junior?« Ihr Gesicht war jetzt nicht mehr entspannt. Die Elfenbeinmaske verriet zwar keine Regung, aber er konnte die Anspannung in ihrer Stimme hören.

»Dolly, Liebes«, bemühte er sich, ihr klarzumachen. »Dort haben wir doch nichts. Erinnerst du dich nicht? Deshalb sind doch Leute wie wir hierher gekommen. Hier haben wir einen ganz neuen Planeten; allein diese Stadt wird größer als Tokio und moderner als New York sein. In ein paar Jahren werden sie sechs neue Transporter haben und eine Luftstromschlaufe statt dieser Zubringer …«

»Aber wann? Wenn ich alt und grau bin?«

Vielleicht gab es keinen berechtigten Grund für den Jammer in ihrer Stimme, gleichwohl war der Jammer da. Walthers schluckte, holte tief Luft und versuchte es mit einem Scherz. »Aber Schnuckiputzi«, tröstete er sie. »Du wirst niemals alt sein, nicht einmal mit neunzig.« Keine Antwort. »Komm schon, Liebling«, schmeichelte er. »Es geht aufwärts! Sie fangen bestimmt bald mit dem Bau der neuen Lebensmittelfabrik in der Oort’schen Wolke an. Vielleicht schon nächstes Jahr! Und sie haben mir so gut wie versprochen, dass ich beim Bau einen Job als Pilot bekomme …«

»Na großartig! Dann bist du gleich ein ganzes Jahr auf Achse statt einen Monat wie jetzt. Und ich kann in dieser miesen Bude hocken. Und das ohne irgendwelche anständigen Programme, mit denen ich mich unterhalten könnte.«

»Sie werden Programme haben …«

»Bis dahin bin ich längst tot!«

Er war jetzt hellwach. Die Freuden der Nacht waren verflogen. »Hör mal«, sagte er. »Wenn es dir hier nicht gefällt, können wir ja auch woanders hingehen. Es gibt noch mehr auf Peggys Planet als Port Hegramet. Wir können ins Hinterland ziehen, etwas Land roden, ein Haus bauen …«

»Kräftige Söhne aufziehen, eine Dynastie gründen?« Ihre Stimme war voll Verachtung.

»Na ja … so ähnlich, stelle ich mir vor.«

Sie drehte sich im Bett um. »Geh lieber duschen«, schnauzte sie ihn an. »Du riechst nach Ficken.« Während Audee Walthers Jr. unter der Brause war, erblickte ein Wesen, das ganz anders als Dollys Puppen aussah (obwohl eine davon es darstellen sollte), die ersten fremden Sterne seit einunddreißig wirklichen Jahren. Unterdessen hatte einer der kranken Prospektoren aufgehört zu atmen, sehr zur Erleichterung des Schäfers, der mit abgewandtem Gesicht versucht hatte, ihm zu helfen. Unterdessen kam es auf der Erde zu Aufruhr, und auf einem Planeten gab es einundfünfzig tote Kolonisten, achthundert Lichtjahre entfernt …

Und unterdessen war Dolly lange genug aufgestanden, um ihm Kaffee zu kochen und diesen auf den Tisch zu stellen. Sie selbst begab sich wieder ins Bett, wo sie angeblich oder wirklich weiterschlief, während er den Kaffee trank, sich anzog und hinausging.


Wenn ich Audee so aus der großen Entfernung, die uns jetzt trennt, betrachte, stimmt es mich traurig, dass er wie ein Schlappschwanz aussieht. Dabei war er keiner. Er war ein bewundernswerter Mensch. Er war ein erstklassiger Pilot, tapfer, rau, wenn es sein musste, und liebenswert, wenn er die Gelegenheit dazu hatte. Ich nehme an, jeder sieht von innen aus betrachtet wie ein Schlappschwanz aus. Und ich betrachte ihn ja von innen heraus – aus einer sehr großen Entfernung, innerhalb oder außerhalb, je nachdem, welche Analogie aus der Geometrie Sie auf diese Metapher anwenden wollen. (Ich höre Sigfrid stöhnen: »Ach, Robin! Schon wieder diese Abschweifungen!« Aber schließlich ist Sigfrid nie erweitert worden.) Wir haben alle unsere schwachen Stellen, die uns wie Schlappschwänze aussehen lassen. Das ist alles, was ich sagen will. Es wäre vielleicht netter, von verletzbaren Punkten zu sprechen. Audee war nun einmal überaus verletzlich, wenn es Dolly betraf.

Selbstverständlich haben Sie längst erkannt, dass die »Schlappschwänzigkeit«, für die Robin hier Entschuldigungen findet, nicht die von Audee Walthers ist. Robin war auch nie ein Schlappschwanz oder Jammerlappen, außer dass er sich ab und zu versichern musste, keiner zu sein. Menschen sind so merkwürdig!

Aber Audee war keineswegs von Natur aus wehleidig. In der folgenden Zeitspanne zeigte er alle guten Eigenschaften, die ein Mensch nur haben kann. Er war erfinderisch, leistete den Bedürftigen Beistand, ohne Müdigkeit zu zeigen. Das musste er auch. Unter der freundlichen Oberfläche von Peggys Planet waren einige Fallen gelegt.

Peggys Planet war ein Juwel, wenn man Nicht-Terra-Welten zum Vergleich heranzog. Man konnte die Luft atmen. Man konnte das Klima überleben. Die Flora verursachte für gewöhnlich keinen Ausschlag, und die Fauna war erstaunlich zahm. Nun – eigentlich nicht zahm. Eher dumm. Walthers wunderte sich manchmal, was die Hitschi in Peggys Planet gesehen hatten. Angeblich waren die Hitschi doch an intelligentem Leben interessiert – wenn sie auch nicht viel davon aufspürten –, auf Peggys Planet gab es nun wirklich nicht viel. Das schlaueste Tier war ein Raubtier, so groß wie ein Fuchs und so schnell wie ein Maulwurf. Es hatte den IQ eines Truthahns, was es dadurch bewies, dass es sein eigener, erbittertster Feind war. Seine Beute war noch dümmer und noch langsamer als er – dadurch hatte es immer reichlich zu fressen –, und seine verbreitetste Todesart war das Ersticken an den Brocken seines Fressens, die es wieder auskotzte, wenn es sich überfressen hatte. Für menschliche Wesen war das Fleisch dieses Raubtiers genießbar, wenn man wollte, ebenso das der meisten seiner Beutetiere, auch ein Teil der übrigen Fauna und Flora … wenn man vorsichtig war.

Die hartgesottenen Prospektoren waren nicht vorsichtig gewesen. Als der heftige tropische Sonnenaufgang über dem Dschungel aufflammte und Walthers das Flugzeug auf der nächsten Lichtung aufsetzte, war einer deswegen gestorben.

Er sah aus wie wenigstens neunzig und stank wie hundertzehn. Aber die Erkennungsmarke an seinem Handgelenk wies ihn als Selim Yasmeneh aus, dreiundzwanzig Jahre alt, geboren in einem Slum südlich von Kairo. Der Rest seiner Lebensgeschichte war nicht schwer zu erraten. Er hatte sich mühsam in den ägyptischen Elendsvierteln als Jugendlicher durchgeschlagen, bis er auf die phantastische Gelegenheit gestoßen war, ein neues Leben auf Peggys Planet anfangen zu können, falls er die Hinfahrt überlebte. Auf dem Transporter war er vor Hitze fast umgekommen. Zehn Betten waren übereinander angebracht. Bei der Landung der Kapsel, die sich aus der Umlaufbahn löste, litt er Höllenqualen – fünfzig Kolonisten in eine Nussschale ohne Pilot geschnallt –, die Kursänderung wurde durch einen Schub von außen bewirkt. Beim Eintritt in die Atmosphäre gerieten alle so in Panik, dass es ihnen die Exkremente heraustrieb, als sich die Fallschirme öffneten. Dabei landeten fast alle Kapseln sicher. Lediglich etwa dreihundert Siedler waren bisher beim Aufprall umgekommen oder waren ertrunken. Yasmeneh hatte Glück gehabt. Als er aber vom Gerstenfarmer auf Prospektor für Schwermetalle umsattelte, zerrann sein Glück, weil seine Gruppe nicht vorsichtig gewesen war. Die Knollen, von denen sie sich ernährten, als ihnen die Vorräte ausgegangen waren, enthielten, wie beinahe jede leicht auffindbare Nahrungsquelle auf Peggys Planet, einen Wirkstoff, der Vitamin C auf unglaublich nachhaltige Weise vernichtete. Das musste man gesehen haben. Aber sie glaubten es selbst dann nicht, als sie es mit eigenen Augen erlebten. Sie kannten das Risiko. Jeder kannte es. Sie wollten nur noch einen Tag bleiben, dann noch einen und noch einen, während ihre Zähne sich lockerten und ihr Atem zu stinken begann. Als dann der Schafhirte auf ihr Lager stieß, war es für Yasmeneh zu spät und beinahe auch schon für die anderen.

Walthers musste die ganze Gruppe, Überlebende und Retter, zu der Station zurückfliegen, wo eines Tages die »Schlaufe« gebaut werden würde. Dort gab es bereits über ein Dutzend fester Unterkünfte. Als er endlich zu den Libyern zurückkam, war Mr. Luqman außer sich vor Wut. Er hängte sich an die Tür von Walthers’ Flugzeug und brüllte: »Siebenunddreißig Stunden weg! Das ist die Höhe! Für die Unsummen, die wir für diesen Charterflug ausgeben, können wir auch anständigen Service verlangen!«

»Es handelte sich um Leben und Tod, Mr. Luqman«, verteidigte sich Walthers und versuchte die Verärgerung und die Erschöpfung nicht anklingen zu lassen, als er das Flugzeug nach der Landung versorgte.

»Leben ist hier doch das Billigste, was es gibt! Und sterben müssen wir alle!«

Walthers schob ihn beiseite. »Es waren Landsleute von Ihnen, Mr. Luqman, Araber …«

»Nein! Ägypter!«

»… na schön! Auf alle Fälle Moslems …«

»Es wäre mir scheißegal, wenn es meine eigenen Brüder wären! Unsere Zeit ist kostbar! Hier steht wirklich Wichtiges auf dem Spiel!«

Warum sollte er seinen Ärger noch länger zurückhalten? Walthers brüllte zurück: »So lautet aber das Gesetz, Luqman! Ich miete das Flugzeug bloß! Ich muss bei Notfällen fliegen, wenn man mich ruft. Lesen Sie mal das Kleingedruckte!«

Dagegen konnte selbst Luqman nichts mehr einwenden. Wie wütend er aber darüber war, zeigte sich, als er Walthers all die Arbeiten auflud, die inzwischen angefallen waren. Und alle sollten sofort erledigt werden. Am besten noch eher. Und ob Walthers geschlafen hatte? Nun, wir würden doch alle eines schönen Tages für immer schlafen, oder etwa nicht?

Kaum eine Stunde später flog Walthers, ohne die Möglichkeit gehabt zu haben, sich auszuruhen, die Markierungen mit der Magnetsonde ab – eine mühsame, verzwickte Arbeit. Man musste einen magnetischen Sensor hundert Meter hinter dem Flugzeug herschleppen und aufpassen, dass sich das verdammt störrische Ding nicht in einem Baum verfing oder in den Boden bohrte. Es war wirklich, als ob man zwei Flugzeuge gleichzeitig flog. In einem der seltenen Augenblicke, in denen Walthers zum Nachdenken kam, wurde er sich bewusst, dass Luqman ihn angelogen hatte: Es wäre ein Unterschied gewesen, wenn die Ägypter libysche Landsleute oder gar Brüder gewesen wären. Der Nationalismus war nicht auf der Erde zurückgeblieben. Es hatte bereits Grenzstreitigkeiten zwischen den Rinderhirten und Reisfarmern gegeben, als die Rinderherden auf der Suche nach Wasser in die Reisfelder eingedrungen und das Saatgut niedergetrampelt hatten. Chinesen und Mexikaner waren wegen unklarer Grundbucheintragungen aneinander geraten. Afrikaner bekämpften Kanadier, Slawen die Spanier, ohne dass ein Außenstehender den Anlass erkennen konnte. Das war schon schlimm genug. Noch schlimmer waren die Ausbrüche unter Angehörigen desselben Blutes, zwischen Slawen und Slawen, zwischen Lateinamerikanern und Lateinamerikanern.

Dabei hätte Peggys Planet eine so schöne Welt sein können. Es gab dort alles – beinahe alles, wenn man von Dingen wie Vitamin C absah. Es gab die Hitschi-Berge mit einem Wasserfall, der die »Kaskade der Perlen« hieß; achthundert Meter stürzten sich die milchigen Fluten von den südlichen Gletschern. Es gab die nach Zimt duftenden Wälder des Kleinen Kontinents mit ihren dümmlichen, freundlichen, lavendelfarbenen Affen – nun ja, keine wirklichen Affen. Aber sehr niedlich. Und das Glasmeer. Und die Windhöhlen. Und die Farmen – besonders die Farmen! Diese Farmen waren der Grund, warum so viele Afrikaner, Chinesen, Inder, Lateinamerikaner, arme Araber, Iraner, Iren, Polen – so viele verzweifelte Menschen bereitwillig die Erde und ihre Heimat verließen und so weit hinausfuhren.

Arme Araber, hatte er bei sich gedacht. Aber es gab auch ein paar reiche. So wie die vier, für die er arbeitete. Wenn sie von »wirklich Wichtigem« sprachen, wurde der Grad der Wichtigkeit in Dollar und Cent gemessen, das war klar. Diese Expedition war nicht billig. Seine Rechnung allein belief sich schon auf eine sechsstellige Summe – schade, dass er nicht mehr davon in die eigene Tasche stecken konnte! Und das war noch der kleinere Teil, wenn man bedachte, was sie für die Zelte, Kracher, Richtmikrofone und Gesteinssonden ausgegeben hatten. Dazu kamen noch die Miete für die Satellitenzeit, für ihre Falschfarben-Bilder und das Anfertigen von Konturenkarten mittels Radar, ferner die Instrumente, die er für ihr Geld in der Gegend herumschleppte … und was war mit dem nächsten Schritt? Als Nächstes mussten sie anfangen zu graben. Einen Schacht zu der Salzkuppe, die sie gefunden hatten. Dreitausend Meter tief zu bohren, würde Millionen verschlingen …

Kostete es aber nicht, wie er herausfand, weil sie auch einiges von dieser illegalen Hitschi-Technologie besaßen, von der Wan damals Dolly erzählt hatte.

Das Erste, was die Menschen über die längst verschwundenen Hitschi herausfanden, war die Tatsache, dass sie gerne Tunnel gruben. Beispiele für diese Tätigkeit waren überall unter der Oberfläche der Venus vorhanden. Sie hatten diese Tunnel mit einer wunderbaren Technik angelegt. Ein Feldprojektor löste die kristalline Steinstruktur auf und verwandelte sie in eine Art von Matsch. Dieser Matsch wurde abgepumpt, legte sich dabei an die Wände des Schachts und bildete das harte, blau schimmernde Hitschi-Metall. Solche Projektoren gab es noch, aber nicht in Privathand.

Sie schienen aber in der Hand von Mr. Luqman und seinen Männern zu sein … was darauf hinwies, dass nicht nur Geld, sondern auch Einfluss hinter ihnen stand … jemand mit der Hand am richtigen Hebel. Aus den spärlichen Bemerkungen während der Mahlzeiten und Ruhepausen glaubte Walthers schließen zu dürfen, dass dieser Jemand Robinette Broadhead hieß.

Die Salzkuppe war klar bestimmt, die Positionen für die Bohrungen lagen fest, die Hauptarbeit der Expedition war getan. Jetzt blieben nur noch die Überprüfung einiger anderer Möglichkeiten und die Gegenkontrollen. Selbst Luqman begann sich zu entspannen, und die Gespräche am Abend drehten sich mehr um zu Hause. Zu Hause war aber bei allen vieren nicht Libyen oder Paris, nein, es war Texas. Dort hatte jeder im Schnitt 1,75 Frauen und ein halbes Dutzend Kinder. Diese waren aber nicht gleichmäßig verteilt, soweit Walthers das richtig mitbekommen hatte. Über diesen Punkt äußerten sie sich absichtlich etwas vage. Um sie zu mehr Offenheit zu ermuntern, redete Walthers viel über Dolly. Mehr als er eigentlich beabsichtigt hatte. Über ihre schwere Kindheit und ihre Karriere auf der Bühne, ihre Handpuppen. Er erzählte ihnen, wie geschickt Dolly war, dass sie die Puppen selbst herstellte – eine Ente, eine junge Katze, einen Schimpansen und einen Clown. Das Glanzstück war ein Hitschi. Dollys Hitschi hatte eine fliehende Stirn, eine Hakennase, ein vorspringendes Kinn und Augen, die zu den Schläfen hin spitz zuliefen, wie bei den ägyptischen Wandgemälden. Im Profil schien das Gesicht in einer Linie nach unten zu verlaufen – das war natürlich alles reine Phantasie. Schließlich hatte damals noch niemand einen Hitschi gesehen.

Der jüngste Libyer, Fawzi, nickte beifällig. »Ja, es ist gut, wenn eine Frau Geld verdient«, meinte er.

»Es ist nicht nur das Geld. Es hilft ihr, aktiv zu bleiben. Trotzdem befürchte ich, dass sie sich in Port Hegramet ziemlich langweilt. Sie hat niemanden, mit dem sie sich unterhalten kann.«

Walthers’ Verdacht, dass Robin Broadhead die Prospektoren finanzierte, war durchaus begründet. Walthers’ Ansicht über Robins Motive … nicht so sehr. Robin war ein sehr moralischer Mann, wenn er es auch meistens mit dem Gesetz nicht so genau nahm. Er war außerdem jemand (wie Sie sehen), dem es viel Spaß machte, versteckte Andeutungen über sich zu machen, vor allem, wenn er von sich in der dritten Person sprach.

Auch der, der Shameem hieß, bekundete, dass er gleicher Meinung war. »Programme«, lautete sein weiser Rat. »Als ich nur eine Frau hatte, hab’ ich ihr mehrere gute Programme zur Unterhaltung gekauft. Ich erinnere mich, dass ihr ›Frau Irene gibt Rat‹ und ›Fatimas Freunde‹ besonders gut gefallen haben.«

»Ich wünschte, ich könnte das auch. Aber bis jetzt gibt es nichts Vergleichbares auf Peggys Planet. Sie hat es nicht leicht. Ich kann ihr wirklich keinen Vorwurf machen, wenn ich bestimmte Bedürfnisse habe und sie keine …« Walthers brach ab, weil die Libyer schallend lachten.

»In der Zweiten Sure steht geschrieben«, platzte der junge Fawzi heraus, »dass die Frau unser Acker ist und wir diesen Acker pflügen können, wann immer wir auch wollen. So spricht Al-Baqara, die Kuh.«

Walthers schluckte seine Verärgerung runter und machte einen kleinen Scherz. »Unglücklicherweise ist aber meine Frau keine Kuh.«

»Unglücklicherweise ist Ihre Frau keine Frau«, wies ihn der Araber zurecht. »Zu Hause in Houston haben wir für einen Mann wie Sie einen ganz bestimmten Ausdruck: Pussy-Frustling. Ein beschämender Zustand für einen Mann.«

»Aber hören Sie mal«, fing Walthers an, der rot geworden war. Aber dann schluckte er auch diesen Ärger hinunter. Drüben beim Küchenzelt schaute Luqman, der dabei war, die tägliche Brandyration peinlich genau abzumessen, mit finsterem Gesicht herüber. Walthers zwang sich zu einem versöhnlichen Lächeln. »Wir werden uns nie einigen«, meinte er. »Lassen Sie uns trotzdem Freunde bleiben.« Dann versuchte er, das Thema zu wechseln. »Ich hab’ mir so meine Gedanken gemacht«, sagte er. »Warum Sie hier direkt am Äquator nach Öl bohren wollen.«

Fawzi schürzte die Lippen und sah Walthers eindringlich an, ehe er antwortete. »Wir hatten viele Hinweise auf die richtigen geologischen Bedingungen.«

»Aber sicher haben Sie die – die ganzen Satellitenfotos wurden ja veröffentlicht. Sie sind kein Geheimnis. Aber auf der nördlichen Hälfte, um das Glasmeer herum, sieht die Geologie noch viel ergiebiger aus.«

»Das reicht!«, unterbrach ihn Fawzi und erhob die Stimme. »Walthers, Sie werden nicht dafür bezahlt, dass Sie dumme Fragen stellen!«

»Ich wollte doch nur …«

»Sie haben Ihre Nase in Angelegenheiten gesteckt, die Sie nichts angehen!«

Wieder waren die Stimmen laut geworden. Diesmal kam Luqman mit den achtzig Millilitern Brandy für jeden herüber. »Was ist denn los?«, fragte er. »Was will der Amerikaner wissen?«

»Spielt keine Rolle. Ich habe nicht geantwortet.«

Luqman musterte Walthers, dessen Brandyration er in der Hand hielt. Dann hob er plötzlich das Glas hoch und kippte es hinunter. Walthers unterdrückte seinen Protest. Es war ja nicht so wichtig. Er wollte diese Leute nicht als Saufkumpane. Außerdem schien Luqman trotz seines genauen Abmessens der Milliliter den einen oder anderen schon hinter die eigene Binde gegossen zu haben. Sein Gesicht war gerötet und die Zunge schwer. »Walthers«, sagte er, »wenn es wichtig wäre, würde ich Sie für Ihre Schnüffelei bestrafen. Ist es aber nicht. Sie wollen wissen, warum wir uns hier umsehen, hundertsiebzig Kilometer von der Stelle entfernt, wo die Schlaufe gebaut wird? Dann schauen Sie mal nach oben!« Mit theatralischer Geste zeigte er mit ausgestrecktem Arm zum dunklen Himmel hinauf. Dann stolperte er lachend weg. Über die Schulter warf er noch eine Bemerkung zurück. »Spielt doch überhaupt keine Rolle mehr!«

Walthers schaute ihm nach. Dann wandte er die Augen zum Nachthimmel.

Eine strahlend blaue Perle glitt durch die unbekannten Sternbilder. Der Transporter! Das interstellare Schiff S. Ya. Broadhead war gerade in den hohen Orbit eingetreten und ging bald darauf in die niedrige Umlaufbahn, um dort als riesiger, kartoffelförmiger, blau schimmernder kleinerer Mond am wolkenlosen Himmel von Peggys Planet zu parken. Walthers verfolgte dieses Manöver. In neunzehn Stunden würde das Schiff geparkt sein. Vorher musste er sich aber in seiner Raumfähre einfinden, um bei den hektischen Pendelflügen zwischen Peggys Planet und Raumschiff dabei zu sein. Der zerbrechliche Teil der Ladung und die Passagiere mit Sonderstatus mussten befördert werden. Die aus dem Orbit frei fallenden Kapseln mussten etwas gestupst werden, damit die völlig verängstigten Immigranten darin ihr neues Zuhause auch sicher erreichten.

Walthers dankte im Stillen Luqman, dass er ihm seinen Drink nicht gegönnt hatte. Er konnte sich heute Nacht keinen Schlaf leisten. Während die vier Araber schliefen, baute er Zelte ab, verstaute die Ausrüstung, belud sein Flugzeug und sprach mit dem Flughafen in Port Hegramet, um sicherzugehen, dass er einen Auftrag für den Shuttle hatte. Er hatte. Wenn er bis morgen Mittag zur Stelle war, würden sie ihm einen Liegeplatz zuweisen und damit eine Chance geben, sich an der Hetzjagd der Rundflüge zu beteiligen. Der riesige Transporter musste völlig entladen werden, ehe er seine Rückfahrt antreten konnte. Beim ersten Morgengrauen hatte er die Araber auf den Beinen. Sie fluchten und stolperten herum. Eine halbe Stunde später waren sie an Bord des Flugzeuges und auf dem Heimweg.

Es war noch reichlich Zeit, als er auf dem Flughafen landete. Trotzdem flüsterte eine Stimme in seinem Inneren unaufhörlich: Zu spät. Zu spät …

Zu spät, wofür? Das fand er bald heraus. Als er den Treibstoff bezahlen wollte, leuchtete auf dem Bank-Monitor eine rote Null auf. Sein gemeinsam mit Dolly unterhaltenes Konto war leer. Unmöglich! – oder doch nicht unmöglich, dachte er. Er schaute hinaus auf das Rollfeld, wo vor zehn Tagen noch Wans Landefahrzeug gestanden hatte. Jetzt war es nicht mehr dort. Als er sich die Zeit nahm und zum Appartement raste, war er eigentlich nicht überrascht: Das Bankkonto war geplündert. Dollys Kleiderschrank war leer. Die Handpuppen waren weg.

Und Dolly selbst war auch verschwunden.


Ich habe zu diesem Zeitpunkt nicht an Audee Walthers gedacht. Hätte ich es getan, wären mir sicher die Tränen über sein schweres Los gekommen – oder über meines. Ich hätte mir eingebildet, dass es wenigstens eine gute Entschuldigung wäre, um zu weinen. Die Tragödie, wenn ein geliebtes Wesen weggegangen ist, kannte ich nur zu gut. Vor vielen Jahren hatte sich meine große Liebe in ein Schwarzes Loch zurückgezogen und war auf immer verloren.

Aber wie gesagt, schenkte ich ihm keinen Gedanken. Ich war mit mir selbst beschäftigt. Mein Denken kreiste hauptsächlich um das Stechen in meinem Bauch. Darüber hinaus dachte ich noch viel über die Bösartigkeit der Terroristen nach, die mich und alles in meiner Umgebung bedrohten.

Das war aber nicht das einzig Böse um mich herum. Ich sann über meine abgenutzten Eingeweide nach, weil sie mich dazu zwangen. Die künstlichen Arterien wurden langsam härter, und jeden Tag starben sechstausend Zellen in meinem nicht ersetzbaren Gehirn ab. Und während dieser Zeit verlangsamten die Sterne ihre Bahn, und das Universum schleppte sich seinem endgültigen, entropischen Tod entgegen. Und unterdessen – unterdessen ging alles, wenn man es bedachte, unweigerlich den Bach hinunter. Doch ich dachte niemals darüber nach.

Aber so sind wir nun einmal. Wir machen weiter, weil wir uns darauf dressiert haben, nicht an diese »Unterdessen« zu denken, bis sie sich – wie mein Bauch – uns aufdrängen.

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