Alle hatten sich gegen mich verschworen, sogar mein über alles geliebtes Weib, sogar mein treues Datenbeschaffungsprogramm. In den kurzen Augenblicken, die sie mich wach sein ließen, stellten sie mich vor die Entscheidung: »Du kannst in die Klinik zu einer kompletten Untersuchung gehen«, schlug Albert vor und zog verständnisvoll an seiner Pfeife.

»Du kannst aber auch verdammt noch mal so lange schlafen, bis du verdammt sicher bist, dass es dir wieder gut geht«, bot Essie als Alternative an.

»Ah-ha«, hielt ich ihr vor. »Das habe ich mir gedacht! Du hast mich bewusstlos gehalten, stimmt’s? Wahrscheinlich sind es schon einige Tage, seit du mich hast ausschalten und aufschneiden lassen!« Essie vermied es, mir in die Augen zu sehen. Edelmütig fügte ich hinzu: »Ich mache dir ja keine Vorwürfe deswegen. Aber verstehst du denn nicht? Ich will mir dieses Ding ansehen, das Walthers gefunden hat. Kannst du das wirklich nicht verstehen?«

Sie schaute mich immer noch nicht an, stattdessen funkelte sie das Hologramm von Albert Einstein an. »Scheint verdammt munter heute. Gibst du dem Chuligan auch genug Beruhigungsmittel?«

Alberts Bild hustete. »Nun ja, Mrs. Broadhead, das medizinische Programm ist gegen unnötige Ruhestellung zu diesem Zeitpunkt.«

»O Gott! Er wird wach sein und uns beide Tag und Nacht ärgern! Sache erledigt! Du, Robin, gehst morgen in die Klinik!« Während der ganzen Zeit, die sie mich anfauchte, streichelte sie mit der Hand meinen Nacken. Worte können lügen, die Berührung der Liebe kann man spüren.

Daher machte ich den Vorschlag: »Ich komme dir auf halbem Weg entgegen. Ich gehe in die Klinik und lasse mich vollständig untersuchen; aber nur unter der Bedingung, dass du mir keine Schwierigkeiten mehr machst, ins All zu fliegen, wenn das Ergebnis günstig ist.«

Essie schwieg und überlegte. Albert zog eine Augenbraue hoch. »Ich glaube, du machst einen Fehler, Robin.«

»Dazu sind wir Menschen ja da – um Fehler zu machen. Und jetzt, was gibt’s zum Abendessen?«

Wissen Sie, ich hatte mir ausgerechnet, dass sie es als günstiges Zeichen werten würden, wenn ich einen guten Appetit entwickelte. Vielleicht taten sie es auch. Ich hatte ferner überlegt, dass mein neues Schiff erst in mehreren Wochen fertig sein würde – also kein Grund zur Eile. Ich hatte keine Lust, wieder in so einem engen, stinkenden Fünfer loszufliegen, wenn ich bald eine eigene Jacht haben würde. Was ich nicht bedacht hatte, war, wie sehr ich Krankenhäuser hasste.

Wenn Albert mich untersuchte, maß er die Temperatur bolometrisch, tastete meine Augen auf Klarheit und meine Haut auf äußere Veränderungen wie geplatzte Äderchen ab, pumpte Ultraschall durch meinen Körper, um in die inneren Organe zu schauen, und nahm Proben der von mir in der Toilette gelassenen milden Gaben, um sie auf ihr biochemisches Gleichgewicht zu untersuchen und die Bakterien zu zählen. Albert nannte diese Methode nichtzudringlich. Ich nannte sie höflich. Die diagnostischen Methoden im Krankenhaus waren keineswegs so höflich, aber auch nicht wirklich schmerzhaft. Man betäubte die Oberfläche meiner Haut, ehe man tiefer ging. Sobald man durch die Oberfläche durch ist, gibt es nicht mehr viele Nervenenden, um die man sich Sorgen machen muss. Eigentlich spürte ich nur Zwicken, Drücken und Kitzeln. Aber davon eine Menge. Hinzu kam, dass ich wusste, was man mit mir machte. Haarfeine Lichtröhrchen schauten sich im Inneren meines Bauches um. Ganz dünne spitze Pipetten nahmen Gewebepfropfen zur Analyse ab. Meine Körpersäfte wurden abgesaugt, Wundnähte überprüft und Narben beurteilt. Die ganze Sache dauerte nicht einmal eine Stunde, aber mir kam es viel länger vor, und ehrlich gesagt, hätte ich lieber etwas anderes gemacht.

Dann durfte ich mich wieder anziehen. Man gestattete mir, mich in einem bequemen Sessel in Gegenwart eines echten, lebenden Arztes niederzulassen. Auch Essie durfte dabei sein. Ich ließ ihr aber keine Chance, sich zu äußern, sondern fing gleich an. »Na, was sagen Sie, Doktor?«, fragte ich. »Wann kann ich wieder ins All? Ich meine nicht Raketen. Ich meine die Lofstromschlaufe, die ja so traumatisch wie ein Fahrstuhl ist. Sie zieht einen auf einem magnetisierten Band …«

Der Arzt hob die Hand. Er war ein untersetzter, weißhaariger Nikolaustyp mit einem gepflegten weißen Bart und blitzenden blauen Augen. »Ich weiß, was eine Lofstromschlaufe ist.«

»Gut! Freut mich zu hören! Na und?«

»Nun«, sagte er. »Nach einer Operation wie der Ihren raten wir für gewöhnlich, solche Unternehmungen erst drei bis vier Wochen später durchzuführen, aber …«

»O nein, Doc! Nein!«, unterbrach ich ihn. »Bitte! Ich will doch nicht fast einen ganzen Monat so rumhängen!«

Er schaute mich an, dann Essie. Dann lächelte er. »Mr. Broadhead«, sagte er. »Ich glaube, Sie sollten zwei Dinge wissen. Erstens, dass es oft wünschenswert ist, den Patienten nach einer Operation einige Zeit lang ohne Bewusstsein zu lassen. Mit elektrisch stimuliertem Muskeltraining, Massagen, richtiger Ernährung und guter Pflege kommt es zu keiner Beeinträchtigung der Funktionen. Außerdem ist es für die Nerven des Patienten sehr viel leichter. Und für seine Umgebung.«

»Ja, ja«, nahm ich dies nicht besonders interessiert zur Kenntnis. »Was ist das zweite?«

»Das zweite ist, dass Ihre Operation heute bereits dreiundvierzig Tage zurückliegt. Sie können praktisch alles machen, wozu Sie Lust haben. Auch einen Star auf der Schlaufe.«


Früher, als die Straße zu den Sternen über Guayana, Baikonur oder das Kap führte, musste man etwa für eine Million Dollar flüssigen Wasserstoff verbrennen, um in die Umlaufbahn zu gelangen, in der man auf ein anderes Fahrzeug umstieg, das einen noch weiter hinausbrachte. Jetzt hatten wir die Lofstrom-Startschlaufen rund um den Äquator. Das waren riesige Gazegebilde, die man erst sehen konnte, wenn man schon fast daneben stand – nun, innerhalb von zwanzig Kilometern. Dort war auch die Satelliten-Landebahn. Ich betrachtete das Gefilde mit Freude und Stolz, als wir kreisten und zur Landung ansetzten. Essie saß neben mir und murmelte mit gerunzelter Stirn dauernd vor sich hin. Sie arbeitete ein neues Projekt aus – eine Art Computerprogramm, vielleicht einen Pensionsplan für ihre Big CHON-Angestellten. Da sie Russisch sprach, konnte ich nichts verstehen. Ich klappte den Bildschirm vor mir herunter und ließ mir von Albert mein neues Schiff vorführen. Er nannte alle technischen Daten, wie Kapazität, Zubehör, Masse und Komfort, während er langsam das Bild drehte. Da ich einige Millionen Dollar und einen Haufen Zeit in das Spielzeug gesteckt hatte, war ich interessiert, aber nicht so sehr wie an dem, was jetzt kam. »Später, Albert«, sagte ich. Gehorsam zog er sich zurück. Ich reckte meinen Hals, um die Schlaufe beim Anflug nicht aus den Augen zu verlieren. Über dem Teil vor ihr, die einer Sprungschanze glich, konnte ich schwach die Kapseln erkennen, die mit dreifacher Erdbeschleunigung hinaufrasten, sich dann bildschön und leicht lösten und am steilsten Teil des Abhangs ins Blaue hinein verschwanden. Herrlich! Keine Chemikalien, keine Verbrennung, keine Schädigung der Ozonschicht. Nicht einmal die Energieverschwendung wie beim Start eines Hitschi-Landefahrzeugs. Manche Sachen konnten wir sogar besser als die Hitschi!

Früher reichte es nicht einmal aus, im Orbit zu sein. Man hatte noch die lange, langsame Hohmann-Reise zum Gateway-Asteroiden vor sich. Dabei kam man vor Angst fast um, weil jeder wusste, dass mehr Gateway-Prospektoren starben als reich wurden. Außerdem war man raumkrank und dazu verdammt, Wochen oder Monate zusammengepfercht in dieser interstellaren Kiste zu verbringen, ehe man zum Asteroiden gelangte. Vor allem hatte man Angst, weil man ja wusste, dass man alles aufs Spiel setzte, was man besaß oder sich geborgt hatte, um für die Reise zu bezahlen. Jetzt hatten wir einen Hitschi-Dreier gechartert, der auf uns in der niedrigen Erdumlaufbahn wartete. Wir konnten in Hemdsärmeln umsteigen und auf dem Weg zu den Sternen sein, ehe wir noch unsere letzte Mahlzeit auf der Erde verdaut hatten – das heißt, wir konnten, weil wir über genügend Einfluss und Geld verfügten, um das zu bezahlen.

Früher war eine Fahrt in das interstellare Nichts so ähnlich wie Russisches Roulette. Der Unterschied bestand nur darin, dass man, wenn einem das Glück gewogen war und man am Ende der Reise etwas fand, auf ewig reicher als reich sein konnte – wie es mir passierte. Aber meistens fand man nur den Tod.

»Ist jetzt viel besser«, stellte Essie richtig fest, als wir aus dem Flugzeug stiegen und in die heiße Sonne Südamerikas blinzelten. »Und wo ist der verdammte Gästewagen von dem elenden Flohkiste-Hotel?« Ich verlor kein Wort darüber, dass sie meine Gedanken gelesen hatte. Nach so vielen Jahren der Ehe war ich daran gewöhnt. Es war auch keine Telepathie. Jeder Mensch hätte dasselbe gedacht, wenn er das tat, was wir gerade machten. »Ich wünschte, Audee Walthers würde mit uns kommen«, sagte ich und blickte hinaus zur Startschlaufe. Wir waren noch mehrere Kilometer entfernt, am anderen Ufer des Tehigualpa-Sees. Ich konnte die Spiegelung der Schlaufe im Wasser sehen. In der Mitte des Sees tiefblau, in Ufernähe grüngelb. Dort hatte man essbare Algen ausgesät. Es war ein hübscher Anblick.

»Wenn du ihn mit dabeihaben wolltest, war es blöd, ihm zwei Millionen zu geben für die Jagd nach seiner Frau«, kritisierte Essie praktisch denkend. Dann schaute sie mich genauer an. »Wie fühlst du dich?«

»Absolut super«, antwortete ich. Das war auch von der Wahrheit nicht allzu weit entfernt. »Hör auf, dir um mich Sorgen zu machen! Wenn man medizinischen Vollschutz hat, wagen sie es nicht, einen sterben zu lassen, ehe man hundert wird – das wäre schlecht fürs Geschäft.«

»Das sagt gar nicht viel«, meinte sie mürrisch, »wenn der Kunde ein leichtsinniger Desperado auf der Jagd nach angeblichen Hitschi ist! Egal«, fügte sie fröhlicher hinzu. »Da ist der Wagen von der Flohkiste – steig ein!«

Drinnen beugte ich mich zu ihr hinüber und küsste sie auf den Nacken – das war leicht, weil sie ihre langen Haare geflochten und vorn wie ein Halsband verknotet trug. (Sie hatte sich schon für den Start bereitgemacht, müssen Sie wissen.) Sie lehnte sich gegen meinen Mund. »Chuligan«, flüsterte sie. »Aber nicht schlimmer Chuligan!«

Das Hotel war nicht unbedingt eine Flohkiste. Man hatte uns eine gut ausgestattete Suite im obersten Stock gegeben, von der aus man auf den See und die Schlaufe blicken konnte. Außerdem würden wir nur ein paar Stunden hier bleiben. Ich ließ Essie ihre Programme in das PV-Gerät eingeben und schlenderte zum Fenster. Dabei redete ich mir ein, nicht wirklich ein Halbstarker zu sein. Aber das stimmte nicht. Schließlich gehörte es sich für einen verantwortungsbewussten erwachsenen Bürger mit Geld und Einfluss nicht, nur zum Spaß und Nervenkitzel ins All zu flitzen.

Mir kam der Gedanke, dass Essie meine Motive vielleicht anders sehen könnte. In ihren Augen war ich vielleicht hinter etwas ganz anderem her.

Dann kam mir zum Bewusstsein, dass ich die Sache vielleicht auch falsch sah. Suchte ich wirklich nach den Hitschi? Sicher, zumindest könnte es das sein. Jeder wollte irrsinnig gern mehr über die Hitschi wissen. Aber nicht jeder hatte da draußen im interstellaren Raum etwas zurückgelassen. War es möglich, dass mich in einem tief verborgenen Teil meines Gehirns die Hoffnung hinaus- und immer weitertrieb, irgendwie und irgendwo das Verlorene wieder zu finden? Ich wusste, worum es sich handelte. Ich wusste, wo ich es zurückgelassen hatte. Was ich nicht wusste, war, was ich tun würde, wenn ich es – oder besser gesagt, sie – wieder finden würde.

In dem Augenblick spürte ich eine Art Flattern, keinen richtigen Schmerz, in meinem Inneren. Das hatte nichts mit den zwei Komma drei Metern neuer Eingeweide zu tun. Es hatte mit der Hoffnung – oder der Angst – zu tun, dass Gelle-Klara Moynlin irgendwie in meinem Leben wieder auftauchen könnte. Da waren doch noch viel mehr Gefühle übrig, als ich gedacht hatte. Sie ließen meine Augen nass werden, sodass sich die spinnwebartige Schlaufe vor meinen Augen zu kräuseln schien.

Aber in meinen Augen standen keine Tränen.

Es war auch keine optische Täuschung. »Mein Gott!«, rief ich. »Essie!« Sie rannte an meine Seite. Wir sahen, wie eine kleine Flamme aus einer Kapsel auf der Startrampe hochschoss und wie die ganze hauchzarte Konstruktion zitterte. Dann gab es ein Geräusch – einen einzigen schwachen Knall wie einen Kanonenschuss, dann das tiefere, lang anhaltende Donnern, als die riesige Schlaufe zerriss. »Mein Gott!«, wiederholte Essie leise und umklammerte meinen Arm. »Terroristen?«

Sie beantwortete ihre Frage selbst. »Natürlich Terroristen«, stellte sie bitter fest. »Wer sonst könnte so gemein sein?«


Ich hatte das Fenster geöffnet, um einen besseren Blick auf den See und die Schlaufe zu haben. Wie gut! Dadurch wurde es nicht eingedrückt. Andere im Hotel hatten nicht so viel Glück. Der Flughafen selbst war verschont geblieben, nicht jedoch das zufällig dort startbereit stehende Flugzeug, da es nicht verankert war. Aber die Flughafenbeamten zeigten sich verschreckt und hatten Angst. Sie wussten nicht, ob die Zerstörung der Startschlaufe nur eine Einzelaktion der Terroristen war oder der Anfang einer Revolution – keiner schien aber anzunehmen, dass es sich lediglich um einen Unfall handeln könnte. Es war Furcht einflößend, allerdings. In einer Lofstromschlaufe ist verdammt viel Energie gespeichert. Mehr als zwanzig Kilometer Eisenband, mit einem Gewicht von etwa fünftausend Tonnen, bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von zwölf Kilometern pro Sekunde. Aus Neugier wandte ich mich später an Albert. Er sagte mir, dass man 3,6 mal 1014 Joules benötigte, um es hochzupumpen. Wenn es zusammenbricht, werden alle diese Joules auf die eine oder andere Art zur selben Zeit freigesetzt.

Ich fragte Albert später; denn damals konnte ich ihn nicht fragen. Selbstverständlich rief ich ihn und jedes andere Datenbeschaffungs- oder Informationsprogramm, das mir erklären konnte, was los war. Aber die Kommunikationssysteme waren blockiert. Wir waren abgeschnitten. Nur das Nachrichten-PV funktionierte noch. Wir standen da und sahen zu, wie die Pilzwolke größer wurde, und hörten die Schadensmeldungen. Eine Raumfähre hatte gerade auf der Schlaufe beschleunigt, als sie in die Luft ging – das war die erste Explosion gewesen. Vielleicht hatte sie die Bombe an Bord. Drei andere waren auf der Ladespur gewesen. Über zweihundert Menschen waren jetzt Hackfleisch, dabei waren noch nicht die mitgezählt, die an der Startrampe gearbeitet hatten oder sich in den Dutyfreeshops und Bars darunter befanden oder nur einen Spaziergang in der Nähe gemacht hatten. »Ich wünschte, ich könnte Albert erreichen«, murmelte ich zu Essie.

»Was das betrifft, lieber Robin«, sagte sie zögernd, führte aber den Satz nicht zu Ende, weil es klopfte. Würden der Señor und die Señora bitte sofort in den Bolivar-Raum kommen, por favor, weil es sich um einen äußerst dringlichen Notfall handelt.

Dieser dringliche Notfall war eine Polizeikontrolle. So eine Passkontrolle hatte ich noch nie erlebt. Der Bolivar-Raum war einer dieser Säle, die man für Konferenzen unterteilen und für Bankette erweitern konnte. Jetzt war ein abgetrennter Teil voll von Turistas wie wir, von denen viele auf ihrem Gepäck hockten. Alle blickten verärgert und verängstigt drein. Man ließ sie warten. Uns nicht. Der Page, der uns geholt hatte, trug eine Armbinde mit den Initialen »S.E.R.« über seiner Uniform. Er führte uns zu dem Podium, wo ein Polizeileutnant saß. Dieser warf einen Blick in unsere Pässe und gab sie zurück. »Señor Broadhead«, begann er auf Englisch. Sein fehlerfreier Akzent trug Spuren des amerikanischen Mittelwestens. »Ist Ihnen schon der Gedanke gekommen, dass dieser Gewaltakt der Terroristen in Wirklichkeit gegen Sie persönlich gerichtet war?«

Ich machte ein dummes Gesicht. »Nicht bis jetzt«, brachte ich mühsam hervor. Er nickte.

»Wie dem auch sei«, fuhr er fort und legte seine kleine, anmutige Hand auf die vom PV ausgedruckten Kopien vor ihm. »Wir haben von Interpol einen Bericht über ein Attentat auf Ihr Leben, das die Terroristen erst vor zwei Monaten durchgeführt haben. Und ausgezeichnet organisiert. Der Commissaire in Rotterdam hebt eigens hervor, dass es sich offensichtlich nicht um einen Zufall handelte und dass weitere Versuche wahrscheinlich sind.«

Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. Essie beugte sich vor. »Sagen Sie, Teniente«, fragte sie und schaute ihn an, »ist das Ihre Theorie?«

»Ah, meine Theorie! Ich wünschte, ich hätte eine Theorie«, rief er wütend. »Terroristen? Zweifellos. Gegen Sie gerichtet? Möglich. Gegen die Stabilität unserer Regierung gerichtet? Noch wahrscheinlicher, meiner Meinung nach, da es in ländlichen Gegenden zu weit verbreiteter Unzufriedenheit gekommen ist. Es gibt sogar Meldungen. Ich verrate Ihnen ganz im Vertrauen, dass gewisse militärische Einheiten vielleicht einen Putsch planen. Woher man das weiß? Ich bin es, der hier die Fragen stellt. Also, haben Sie jemanden hier gesehen, dessen Anwesenheit Ihnen verdächtig vorgekommen ist? Nein? Haben Sie einen Verdacht, wer versucht haben könnte, Sie in Rotterdam zu ermorden? Können Sie irgendetwas zur Klärung dieser schrecklichen Tat beitragen?«

Die Fragen kamen so schnell, dass er offensichtlich keine Antworten erwartete oder wollte. Das quälte mich fast so wie die Zerstörung der Schlaufe. Hier zeigte sich ganz deutlich, was ich auf der ganzen Welt gesehen und gespürt hatte: eine Art verzweifelter Resignation, als ob sich die Dinge zwangsläufig zum Schlechteren entwickeln müssten und es keinen Weg gab, sie zu verbessern. Es vermittelte mir ein ungutes Gefühl. »Wir möchten gern gehen und Sie Ihrer Arbeit überlassen«, sagte ich. »Wenn Sie also keine weiteren Fragen haben …«

Er machte eine Pause, ehe er antwortete. Jetzt sah er aus wie jemand, der seine Arbeit verstand, dies auch schon bewiesen hatte. »Ich wollte Sie um einen Gefallen bitten, Señor Broadhead. Ist es möglich, dass Sie uns gestatten, Ihr Flugzeug für ein oder zwei Tage auszuleihen? Es ist für die Verwundeten«, erklärte er. »Da unser Krankenhaus hier unglücklicherweise direkt unter den Kabeln für die Schlaufe lag.«

Ich schäme mich, es zuzugeben; aber ich zögerte. Essie nicht. »Ganz gewiss, ja, Teniente«, antwortete sie spontan. »Wir müssen ja erst eine Reservierung für eine andere Schlaufe machen, ehe wir wissen, wohin wir fliegen.«

Er strahlte. »Aber, teuerste Señora, das können wir doch durch das militärische Nachrichtensystem erledigen. Und meinen tiefsten Dank für Ihre Großzügigkeit.«

In der Stadt brach die Versorgung zusammen; aber, als wir zurück ins Hotel kamen, standen in unserer Suite frische Blumen auf den Tischen und ein Obstkörbchen und Wein. Die Sachen waren vorher nicht da gewesen. Die Fenster waren geschlossen. Als ich sie öffnete, wusste ich, warum. Der Tehigualpa-See war kein See mehr. Er war der Hitzefänger für die Schlaufe, falls es zu dem katastrophalen Versagen käme, von dem niemand geglaubt hatte, dass es je einträfe. Jetzt war es eingetroffen. Der See war zu einer Schlammgrube verkocht. Die Schlaufe wurde von Nebel verhüllt. Der Gestank des gesottenen Schlamms ließ mich das Fenster sehr schnell wieder schließen.

Wir versuchten es mit dem Zimmerservice. Es klappte. Man brachte uns ein ausgezeichnetes Abendessen und entschuldigte sich, dass der Weinkellner nicht heraufkommen konnte, um unseren roten Bordeaux zu dekantieren – er gehörte zum »Los Servicios emergencias de la Republica« und musste zum Dienst antreten, wie auch die regulären Zimmermädchen. Obwohl man uns versprochen hatte, dass sich eine von ihnen um unser Gepäck kümmern würde, stand es noch immer im Foyer an der Wand.

Ich bin reich, aber nicht verwöhnt. Jedenfalls glaube ich nicht, dass ich es bin. Aber ich mag Service, vor allem den der guten Computerprogramme, die Essie im Laufe der Jahre für mich geschrieben hat. »Mir fehlt Albert«, sagte ich und schaute hinaus in den nächtlichen Nebel.

»Weißt nichts anzufangen ohne Spielzeug, hm?«, neckte mich Essie. Sie schien aber gewisse Vorstellungen zu haben. Na schön. Ich bin darin auch nicht verwöhnt. Wenn Essie etwas im Sinn hat, glaube ich oft, dass sie Lust auf Liebe verspürt, und von da aus ist es für mich auch nur ein kleiner Schritt, ebenfalls Lust zu haben. Ab und zu halte ich mir vor, dass während des größten Teils der menschlichen Geschichte Leute in unserem Alter sehr viel weniger sinnlich und überschwänglich waren – aber das ist deren Pech! Solche Gedanken halten mich nicht zurück. Besonders nicht bei einer Frau wie Essie. Außer ihrem Nobelpreis hat Essie auch noch andere Auszeichnungen erhalten. Sie erschien mehrmals auf der Liste der bestangezogenen Frauen. Der Nobelpreis war verdient. Der Preis für »bestangezogen« – meiner Meinung nach – war Betrug. Das Aussehen von S. Ya. Broadhead hatte nichts damit zu tun, was sie anhatte, sondern mit dem, was darunter war. Im Augenblick trug sie einen hautengen Freizeitanzug, blassblau und ohne alle Verzierungen. Man konnte ihn in jedem Warenhaus kaufen. Trotzdem hätte sie auch darin gewonnen. »Warum kommst du nicht mal einen Moment rüber?«, fragte ich von der großen, langen Couch aus.

»Sittenstrolch! Ha!«

Aber das »Ha« klang ziemlich nachsichtig. »Ich hab’ nur gedacht«, erklärte ich. »Da ich Albert nicht erreichen kann und wir nichts anderes zu tun haben …«

»O Robin«, seufzte sie und schüttelte den Kopf. Aber sie lächelte. Dann spitzte sie die Lippen und dachte nach. Schließlich fuhr sie fort: »Ich sage dir etwas. Du holst die kleine Reisetasche aus dem Foyer. Ich habe ein kleines Geschenk für dich. Dann sehen wir weiter.«

Aus der Tasche holte sie eine in Silberpapier gewickelte Schachtel. Darin war ein Hitschi-Gebetsfächer. Natürlich stammte er nicht wirklich von den Hitschi. Die Größe stimmte nicht. Es war die Sorte, die Essie für den eigenen Gebrauch entwickelt hatte. »Du erinnerst dich an die Toten Menschen und Jetzt-und-Später?«, fragte sie. »Sehr gute Hitschi-Software, die ich gestohlen habe. Ich habe das alte Datenbeschaffungsprogramm verändert. Jetzt ist es der garantiert echte Albert Einstein.«

Ich drehte den Fächer in der Hand. »Der echte Albert Einstein?«

»Ach, Robin, nicht so wörtlich! Nicht echt-echt. Ich kann nicht Tote aufwecken, besonders, wenn sie schon lange tot sind. Aber echt in Persönlichkeit, Erinnerungen, Gedanken, jedenfalls beinahe. Ich habe ihn programmiert, nach jedem Fetzen Einstein-Information zu suchen. Bücher. Zeitungen. Korrespondenz. Biographien. Interviews. Bilder. Alles. Sogar brüchige Schnitte von dem, was du ›Wochenschau‹ nennst, wo ein Schiff in New York ankommt. 1932 von Pathé News. Alles hier drin. Wenn du jetzt mit Albert Einstein redest, ist es auch Albert Einstein, der antwortet!« Sie beugte sich vor und küsste mich auf die Stirn. »Dann, um sicher zu sein«, brüstete sie sich, »habe ich noch ein paar Dinge hinzugetan, die der echte Albert Einstein nie hatte. Vollständige Steuerung von Hitschi-Schiffen. Alle neuen Daten aus Wissenschaft und Technik seit 1955, als die Zeit des echten Einstein abgelaufen war. Auch ein paar einfache Funktionen von Koch-, Sekretär-, Anwalt- und Medizinprogrammen. Leider war kein Platz für Sigfrid Seelenklempner«, entschuldigte sie sich. »Aber du brauchst keinen Seelenklempner, Robin, oder? Außer für eine unerklärliche Lücke in deinem Gedächtnis.«

Sie schaute mich mit einem Ausdruck an, den ich während der letzten beiden Jahrzehnte zu verstehen gelernt hatte. Ich streckte die Arme aus und zog sie an mich. »Na schön, Essie. Raus mit der Sprache!«

Sie kuschelte sich in meinen Schoß und fragte unschuldig: »Raus womit, Robin? Du sprichst schon wieder von Sex?«

»Nun mach schon!«

»Ach … ist nichts, bestimmt! Ich habe dir schon dein Silbergeschenk gegeben.«

»Was? Das Programm?« Stimmt, sie hatte es in Silber gewickelt – die Erleuchtung explodierte. »O mein Gott! Ich habe unseren silbernen Hochzeitstag vergessen! Wann …« Ich musste scharf nachdenken, ehe ich die Frage formulieren konnte.

»Wann der war?«, beendete sie meinen angefangenen Satz. »Heute, Robin. Alles Gute und noch viele schöne Jahre, Liebes.«

Ich gab ihr einen Kuss, wobei ich zugeben muss, dass ich Zeit schinden wollte. Sie küsste mich auch, ganz ernst. Mit schlechtem Gewissen entschuldigte ich mich: »Essie, Liebste, es tut mir so Leid! Wenn wir zurückkommen, werde ich dir etwas schenken, das dir die Sinne raubt. Das verspreche ich.«

Sie aber drückte ihre Nase gegen meinen Mund, um mich am Sprechen zu hindern. »Du brauchst mir nichts zu versprechen, Robin«, sagte sie etwa in der Höhe meines Adamsapfels. »Du hast mir reichlich Geschenke gegeben, jeden Tag, fünfundzwanzig Jahre lang. Ich zähle dabei nicht die Jahre, in denen wir uns herumgetrieben haben. Natürlich«, fügte sie hinzu und hob den Kopf, um mich anzusehen, »sind wir allein im Augenblick, nur du und ich und das Bett im nächsten Zimmer. Das wird auch mehrere Stunden so bleiben. Wenn du mir wirklich die Sinne rauben willst mit einem Geschenk, nehme ich es gern an. Ich bin sicher, du hast was für mich, sogar in meiner Größe.«


Die Tatsache, dass ich kein Frühstück wollte, ließ bei Essie sämtliche Alarmsysteme aufheulen. Ich erklärte es ihr damit, dass ich mit meinem neuen Spielzeug spielen wollte. Das stimmte. Es war auch wahr, dass ich nicht immer frühstückte. Mit diesen beiden Wahrheiten schickte ich Essie allein in den Speisesaal. Die entscheidende Wahrheit, die, welche zählte, war aber, dass mein Bauch Schwierigkeiten machte.

Ich steckte also den neuen Albert in den Prozessor. Ein schnelles rosa Aufflackern – und da war er und strahlte mich an. »Hallo, Robin«, begrüßte er mich. »Alles Gute zum Hochzeitstag.«

»Der war gestern«, korrigierte ich ihn etwas enttäuscht. Ich hatte nicht erwartet, den neuen Albert bei so lächerlichen Fehlern zu ertappen.

Er fuhr sich mit dem Pfeifenstiel über die Nase und zwinkerte mir unter den buschigen, weißen Augenbrauen zu. »Nach der Ortszeit von Hawaii«, verteidigte er sich, »ist es, warte mal …« Er tat so, als schaue er auf seine Digital-Armbanduhr, die anachronistisch unter dem Ärmel seiner Schlafanzugjacke hervorlugte. »Zweiundvierzig Minuten nach elf Uhr abends, Robin. Dein fünfundzwanzigster Hochzeitstag dauert noch fast zwanzig Minuten.« Er beugte sich vor und kratzte sich am Knöchel. »Ich habe eine ganze Reihe neuer Eigenschaften«, erklärte er stolz. »Darunter auch Schaltkreise für Zeit und Ortung, die immer laufen, auch wenn ich nicht sichtbar bin. Deine Frau ist darin wirklich ausgezeichnet.«

Auch wenn ich mir bewusst bin, dass Albert Einstein nur ein Computerprogramm ist, war es trotzdem, als ob ich einen alten Freund begrüßte. »Du siehst außergewöhnlich gut aus«, schmeichelte ich ihm. »Ich bin mir aber nicht sicher, ob du eine Digitaluhr tragen solltest. Ich glaube kaum, dass du so ein Ding vor deinem Tode hattest, weil es sie damals noch gar nicht gab.«

Er sah etwas beleidigt aus, erwiderte aber mein Kompliment. »Du hast wirklich außergewöhnlich gute Kenntnisse in Geschichte und technischer Entwicklung, Robin. Aber, auch wenn ich Albert Einstein bin, so nahe, wie man eben an die Realität herankommen kann, so bin ich doch nicht auf die Fähigkeiten des echten Albert Einstein begrenzt. Mrs. Broadhead hat zum Beispiel für mein Programm alle bekannten Hitschi-Aufzeichnungen ausgewertet und eingebaut. Dabei wusste mein Fleisch-und-Blut-Selbst nicht einmal, dass Hitschi existierten. Ferner habe ich in mich die Programme der meisten unserer Kollegen aufgenommen, ferner Schaltkreise, die im Augenblick dabei sind, mit dem Gigabit-Netz Verbindung aufzunehmen. Dabei habe ich jedoch noch keinen Erfolg gehabt«, gab er kleinlaut zu. »Aber ich habe mich in die örtlichen Militärleitungen eingeklinkt. Dein Start von Lagos, Nigeria, ist für morgen Mittag bestätigt worden. Dein Flugzeug wird rechtzeitig zurückgebracht.« Er runzelte die Stirn. »Stimmt irgendetwas nicht?«

Ich hatte Albert nicht genau zugehört, sondern ihn mehr angesehen. Essie hatte phantastische Arbeit geleistet. Es gab nicht mehr diese kleinen Pannen, bei denen er einen Satz mit der Pfeife in der Hand angefangen und mit einem Stück Kreide in der Hand beendet hatte. »Du kommst mir noch echter vor, Albert.«

»Danke«, sagte er und öffnete aus reiner Angabe eine Schreibtischschublade, um ein Streichholz zum Anzünden der Pfeife herauszuholen. In früheren Zeiten wäre einfach eine Streichholzschachtel in seiner Hand materialisiert. »Vielleicht möchtest du gern mehr über dein Schiff hören?«

Ich wurde munter.

»Irgendein Fortschritt seit unserer Landung?«

»Wenn ja«, entschuldigte er sich, »kann ich darüber nichts wissen, weil ich, wie ich schon erwähnte, noch keinen Kontakt mit dem Netz herstellen konnte. Ich habe aber eine Kopie des Auftragsformulars der Gateway AG. Es ist als Zwölfer eingestuft – das heißt, es könnte zwölf Passagiere befördern, wenn man es für einen einfachen Forschungsauftrag ausrüstet …«

»Ich weiß, was ein Zwölfer ist, Albert.«

»Nur, um sicherzugehen! Auf alle Fälle ist es für vier Personen ausgestattet, obwohl man noch zwei weitere unterbringen könnte. Der Testflug ging nach Gateway Zwei und zurück. Die Leistung war die ganze Zeit optimal. Guten Morgen, Mrs. Broadhead.«

Ich blickte über die Schulter. Essie war mit dem Frühstück fertig und gesellte sich zu uns. Sie beugte sich über mich, um ihre Schöpfung genauer betrachten zu können. »Gutes Programm!«, beglückwünschte sie sich selbst. »Albert! Woher hast du das Popeln?«

Albert nahm nachsichtig den Finger aus einem Nasenloch. »Aus unveröffentlichten Briefen Enrico Fermis an Verwandte in Italien. Sie sind authentisch, das kann ich Ihnen versichern. Haben Sie sonst noch Fragen? Nein? Dann, Robin und Mrs. Broadhead, schlage ich vor, dass Sie packen. Ich habe nämlich gerade über Polizeiverbindung die Nachricht erhalten, dass Ihr Flugzeug gelandet ist und gewartet wird. Sie können in zwei Stunden starten.«


So war es auch. Wir waren heilfroh und glücklich – oder beinahe glücklich. Das letzte Stück weniger glücklich. Wir gingen gerade an Bord unseres Flugzeuges, als aus der Passagierhalle hinter uns Lärm kam. Wir drehten uns um, um zu sehen, was es gäbe.

»Aber das klingt ja wie Gewehrfeuer«, stellte Essie erstaunt fest. »Und was sind das für große Dinger auf dem Parkplatz? Scheinen Autos wegzuschieben? Eines hat den Hydranten zerstört, jetzt schießt Wasser raus. Kann es das sein, was ich denke?«

Ich schob sie ins Flugzeug. »Kann es«, bestätigte ich. »Falls du es für Panzer hältst. Nichts wie weg von hier!«

Das taten wir auch. Keine Probleme. Jedenfalls nicht für uns. Albert hörte im Gigabit-Netz mit, das wieder offen war, und berichtete, dass sich die schlimmsten Befürchtungen des Teniente bewahrheitet hatten. Eine Revolution kam gerade richtig ins Rollen. Wir waren wenigstens nicht mit von der Partie. Aber an anderen Stellen im großen Universum geschahen Dinge, die uns vor große und äußerst schmerzhafte Probleme stellen sollten.

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