FLUGBERICHT

Fahrzeug 5–2, Flug 08D33. Besatzung L. Konieczny, E. Konieczny, F. Ito, F. Lounsbury, A. Akaga.

Transitzeit hinaus 27 Tage, 16 Stunden. Primärstern nicht identifiziert, Wahrscheinlichkeit für Stern in Haufen 47 Tucanae jedoch hoch.

ZUSAMMENFASSUNG. ›Traten im freien Fall heraus. Kein Planet in der Nähe. Primärstern A 6, sehr hell und heiß, Entfernung etwa 3,3 AE.

Als wir den Primärstern abdeckten, bot sich uns ein herrlicher Blick auf, wie es schien, zwei- oder dreihundert nahe grelle Sterne, scheinbare Größe zwischen 2 und – 7. Artefakte, Signale, Planeten oder landefähige Asteroiden waren jedoch nicht festzustellen. Wegen der intensiven Strahlung des A 6-Sterns konnten wir nur drei Stunden auf Station bleiben. Larry und Evelyn Konieczny wurden auf dem Rückflug infolge mutmaßlicher Strahlenverseuchung ernsthaft krank, erholten sich aber wieder. Keine Artefakte oder Proben gesichert.‹

Mehrmals besuchten wir das Museum. So besonders gefiel es mir gar nicht. Es wirkte … nun, vorwurfsvoll.

Das erste Mal gingen wir hin, gleich nachdem ich die Arbeit geschwänzt hatte, an dem Tag, als Willa Forehand ihre Reise antrat. Gewöhnlich war das Museum voller Besucher, Besatzungsmitglieder von den Kreuzern, Schiffsbesatzungen von den Frachtern oder Touristen. Diesmal waren aus irgendeinem Grund nur ein paar Leute da, und wir hatten Gelegenheit, uns alles anzusehen. Gebetsfächer zu hunderten, diese dünnen, kleinen Kristallgegenstände, die häufigsten Hitschi-Artefakte; niemand wusste, wozu sie dienten, außer, dass sie hübsch waren, aber die Hitschi hatten sie überall zurückgelassen. Da war die anisokinetische Originalpunze, die einem glücklichen Prospektor schon an die zwanzig Millionen Dollar an Tantiemen eingebracht hatte. Ein Ding, das man in die Tasche stecken konnte. Pelze. Pflanzen in Formalin. Das Original-Piezophon, das drei Schiffsbesatzungen so viel eingebracht hatte, dass jeder Einzelne davon stinkreich geworden war.

Was man als diebstahlgefährdet ansah, die Gebetsfächer, die Blutdiamanten und die Feuerperlen, befand sich hinter Panzerglas. Ich glaube, sie waren sogar an Alarmanlagen angeschlossen. Auf Gateway eigentlich überraschend. Es gibt dort kein Gesetz, außer dem, was die Gesellschaft festlegt. Es gibt eine Polizei, und es gibt Regeln – man soll nicht stehlen oder einen Mord begehen –, aber keine Gerichte. Wenn man gegen eine Regel verstößt, wird man von den Sicherheitskräften der Gesellschaft festgenommen und zu einem der Kreuzer in den Umlaufbahnen gebracht. Auf den der eigenen Nation, falls man einer Nation angehört, die einen der Kreuzer stellt, im anderen Fall auf irgendeinen beliebigen. Aber wenn man nicht aufgenommen wird oder nicht auf das Schiff der eigenen Nation will und ein anderes Schiff dazu bewegen kann, einen aufzunehmen, ist das der Gesellschaft gleichgültig. Auf den Kreuzern wird einem der Prozess gemacht. Da von Anfang an feststeht, dass man schuldig ist, hat man drei Möglichkeiten. Man kann seinen Rückflug bezahlen. Man kann als Besatzungsmitglied anheuern, wenn sie einen nehmen. Und man kann ohne Druckanzug zur Schleuse hinausgehen. Man sieht also, dass es zwar wenig Gesetz auf Gateway gibt, aber auch wenige Verbrechen.

Der Grund dafür, dass die kostbaren Gegenstände im Museum weggeschlossen wurden, war der, dass Durchreisende in Versuchung kommen konnten, das eine oder andere Souvenir mitzunehmen.

So standen Klara und ich sinnend vor den Schätzen, die irgendjemand gefunden hatte … und sprachen nicht darüber, dass wir eigentlich selbst hinausgehen und mehr davon finden sollten.

Es waren nicht nur die Ausstellungsstücke. Sie waren faszinierend – Gegenstände, die Hitschi-Hände (Tentakel? Klauen?) hergestellt und berührt hatten –, und sie stammten von unvorstellbaren Orten, unfassbar weit entfernten. Was mich noch mehr in Bann schlug, waren die Bildschirmprogramme. Zusammenfassungen von allen je gestarteten Expeditionen, eine nach der anderen. Eine laufende Gegenüberstellung von Starts und zurückgekehrten Schiffen; die Liste der Pechvögel, Name um Name an einer ganzen Wand des Saales, über den Vitrinen. Die Zahlen sagten genug: 2355 Starts (vor unseren Augen wurden daraus 2356, dann 2357; wir spürten die Vibration), 841 erfolgreiche Rückflüge.

Die Bezeichnung ›erfolgreich‹ war allerdings ziemlich vage. Es hieß, dass das Schiff zurückgekommen war. Es wurde nicht erwähnt, wie viele Besatzungsmitglieder noch lebten und gesund waren.

Klara und ich sagten kein Wort, als wir davor standen; wir sahen uns nicht an, aber ich spürte, wie sie meine Hand drückte.

Danach verließen wir das Museum und sagten auch auf dem Rückweg zum Aufwärts-Schacht nicht viel.

In meinem Inneren wusste ich, dass Emma Fother Recht gehabt hatte: Die Menschheit brauchte, was wir Prospektoren ihr geben konnten. Brauchte es dringend. Es gab hungernde Menschen, und die Hitschi-Technologie konnte ihr Leben erträglicher gestalten, wenn Prospektoren hinausflogen und Proben zurückbrachten.

Selbst wenn das ein paar Menschenleben kostete.

Selbst wenn Klara und ich unter den Opfern waren. Wünschte ich, so fragte ich mich, dass mein Sohn – falls ich jemals einen Sohn haben sollte – seine Kindheit so zubringen muss, wie ich die meine?

Wir sprangen in Etage Babe vom Aufwärts-Kabel ab und hörten Stimmen. Ich achtete nicht darauf. Ich gelangte innerlich zu einem Entschluss.

»Klara«, sagte ich, »hör zu. Wir …«

Aber Klara blickte über meine Schulter.

»Um Himmels willen!«, sagte sie. »Schau, wer da kommt!«

Ich drehte mich um, und da flatterte Shicky in der Luft und sprach mit einem Mädchen. Ich stellte verblüfft fest, dass es Willa Forehand war. Sie begrüßte uns, halb verlegen, halb belustigt.

»Was soll denn das?«, sagte ich. »Sind Sie nicht eben abgeflogen – vor acht Stunden vielleicht?«

»Vor zehn«, sagte sie.

»Ist mit dem Schiff etwas passiert? Musstet ihr umkehren?«, meinte Klara.

Willa lächelte schief.

»Keine Spur. Ich war dort und bin wieder da. Bis jetzt der kürzeste Flug überhaupt: Ich war auf dem Mond.«

»Auf dem Erdmond?«

»Genau.« Sie schien sich zusammenzunehmen, um nicht lachen zu müssen. Oder weinen.

Shicky sagte tröstend: »Sie bekommen bestimmt eine Prämie, Willa. Ein Schiff flog einmal zum Ganymed, und die Gesellschaft hat eine halbe Million unter der Besatzung aufgeteilt.«

Sie schüttelte den Kopf.

»Da mache ich mir wenig Hoffnungen, lieber Shicky. Oh, sie werden uns etwas geben, aber nicht so viel, dass es ins Gewicht fällt. Wir brauchen mehr.« Das war das Ungewöhnliche und ein wenig Überraschende an den Forehands; es hieß immer ›wir‹. Sie hielten wirklich zusammen wie Pech und Schwefel, auch wenn sie mit anderen nicht gern darüber sprachen.

Ich berührte sie, halb aus Zuneigung, halb aus Mitgefühl.

»Was wollen Sie machen?«

Sie sah mich erstaunt an.

»Na, ich habe mich schon für einen neuen Start eingetragen, für übermorgen.«

»Oh!«, sagte Klara. »Wir müssen zwei Feiern gleichzeitig für Sie geben! Fangen wir lieber sofort an …«

Und Stunden später, kurz bevor wir an diesem Abend einschliefen, sagte sie zu mir: »Hast du mir nicht etwas sagen wollen, bevor wir Willa bemerkt haben?«

»Weiß nicht mehr«, antwortete ich schläfrig. Ich hatte es aber nicht vergessen. Ich wusste, was es gewesen war. Doch ich wollte es nicht mehr aussprechen.


Es gab Tage, an denen ich mich beinahe dazu aufgerafft hätte, Klara zu bitten, mit mir hinauszufliegen. Und es gab Tage, an denen ein Schiff mit zwei halb verhungerten, ausgedörrten Überlebenden zurückkam – oder ohne Überlebende – oder ein paar Starts vom vergangenen Jahr als vermisst eingestuft wurden. An solchen Tagen war ich beinahe so weit, Gateway für immer zu verlassen.

An den meisten Tagen zogen wir es vor, die Entscheidung einfach zu verschieben. So schwer war das nicht. Es war eine recht angenehme Art zu leben, Gateway und einander zu erforschen. Klara stellte ein Dienstmädchen ein, eine stämmige, junge blonde Frau aus den Nahrungsgruben von Carmarthen, die Hywa hieß. Abgesehen davon, dass der Grundstoff für die walisischen Einzeller-Proteinfabriken Kohle statt Ölschiefer war, hatte ihre Welt große Ähnlichkeit mit der meinen gehabt. Ihr Ausweg war kein Lotterieschein gewesen, sondern zwei Jahre Dienst auf einem Handelsraumschiff. Sie konnte nicht einmal nach Hause. Sie war auf Gateway von Bord gegangen und hatte ihre Kaution verloren. Und Prospektor konnte sie auch nicht werden, weil sie sich bei einem Raumschiffstart eine Herzarrhythmie zugezogen hatte, die sich manchmal zu bessern schien und sie dann wieder eine ganze Woche ins Hospital brachte. Hywas Aufgabe bestand darin, für mich und Klara sauber zu machen und zu kochen sowie auf die kleine Kathy Francis aufzupassen, wenn ihr Vater Dienst hatte und Klara ihre Ruhe haben wollte. Klara hatte im Kasino ziemlich viel verloren, sodass sie sich Hywa eigentlich gar nicht leisten konnte, aber mich konnte sie sich auch nicht leisten.

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