Das Hohe Pentagon ist nicht nur ein Satellit in geostationärer Umlaufbahn, sondern besteht aus fünf Satelliten. Ihre Orbits sind nicht identisch, sodass alle fünf dieser gepanzerten, stoßfesten Metallklumpen umeinander Walzer tanzen. Befindet Alpha sich auf der Außenbahn, ist Delta der Erde am nächsten. Dann kommt ein Wechselschritt, und Epsilon dreht sich ganz außen und Gamma vielleicht gerade innenbords. Dann – kurze Drehung, Wechselschritt eins, zwei, drei – eins, zwei drei, und so geht es weiter. Man könnte nun fragen, warum man es so gemacht hatte und nicht stattdessen einen einzigen großen Klotz in die Umlaufbahn setzte.

Nun, die Antwort lautet: Fünf Satelliten sind fünfmal schwerer zu treffen als einer. Meiner Meinung nach kam es daher, dass der sowjetische Orbit-Tyuratam und der chinesische Kommandoposten Einzelstrukturen waren. Natürlich wollten die Vereinigten Staaten von Amerika zeigen, dass sie es besser konnten – zumindest anders. All das stammte noch aus der Zeit der Kriege. Man sagt, dass die Amerikaner damals das Neueste auf dem Gebiet der Verteidigung gehabt hätten. Ihre riesigen Laser waren angeblich imstande, feindliche Raketen aus fünfzigtausend Meilen Entfernung abzuschießen. Wahrscheinlich konnten sie das auch – als sie gebaut wurden – und vielleicht auch noch drei Monate länger, bis die anderen Herrschaften begannen, die gleichen Radarabwehrtricks anzuwenden. Dann hieß es für alle: Zurück zum Ausgangspunkt. Unglücklicherweise »gingen« auch alle hin, aber das ist eine andere Geschichte.

Man wies uns in den Teil ein, in dem die Mannschaftsquartiere, die Verwaltung – und der Knast untergebracht wurden. Das war Gamma: Sechzigtausend Tonnen Metall und andere Materialien, etwa die Ausmaße der Großen Pyramide und auch ähnlich gebaut. Wir mussten sehr bald feststellen, dass wir trotz der Großzügigkeit General Manzbergens hier etwa so willkommen waren wie ein Furunkel. Zuerst ließen sie uns auf die Erlaubnis zum Entsiegeln warten. »Ich nehme an, dass sie in der Minute des Wahnsinns voll erwischt wurden«, spekulierte Essie und betrachtete den Bildschirm mit finsteren Blicken. Dort sah man nur die Metallflanke von Gamma.

»Das ist keine Entschuldigung«, urteilte ich. Auch Albert gab seinen Senf dazu:

»Sie wurden nicht so hart getroffen, wie es möglich gewesen wäre. Ich fürchte, ich habe zu viel vom Krieg gesehen. Ich mag solche Sachen nicht.« Er spielte mit seinem Zwei-Prozent-Knopf und benahm sich für ein Hologramm ziemlich nervös. Es stimmte voll und ganz, was er sagte. Als von den Terroristen vor einigen Wochen mit ihrem TPSE aus dem Weltraum allen ein Ding verpasst worden war, hatte die gesamte Station eine Minute lang verrückt gespielt. Buchstäblich eine Minute lang, nicht länger. Es war auch gut, dass es nicht länger gedauert hatte, weil in dieser einen Minute acht von elf Posten bemannt waren. Und diese Posten wurden nur besetzt, wenn man von ihnen aus einen Protonenstrahl auf Städte auf der Erde richten wollte. Und die Leute warteten nur darauf loszuballern.

Aber das beunruhigte Essie gar nicht so sehr. »Albert«, bat sie. »Hör mit dem Blödsinn auf! Es macht mich nervös. In Wirklichkeit hast du nie einen Krieg gesehen. Du bist nur ein Programm!«

Er verneigte sich. »Wie Sie wünschen, Mrs. Broadhead. Ich habe gerade die Nachricht bekommen, dass wir Erlaubnis haben, zu entsiegeln und den Satelliten zu betreten.«

Wir betraten also den Satelliten. Essie warf noch einen forschenden Blick zurück auf das Programm, das wir zurückließen. Der Leutnant, der auf uns wartete, schien nicht sehr begeistert zu sein. Er fuhr mit dem Daumen über unseren Datenchip, als wollte er sicherstellen, dass der Magnetstreifen nicht abging. »Ja«, sagte er, »wir haben Nachricht erhalten, dass Sie kommen. Aber ich bin nicht sicher, ob der Brigadegeneral Sie jetzt empfangen kann, Sir.«

»Wir wollten ja auch nicht den General sehen«, erklärte Essie liebenswürdig, »lediglich eine Mrs. Dolly Walthers, die Sie hier festhalten.«

»Jawohl, Madam. Aber Brigadegeneral Cassata muss Ihren Pass unterschreiben, und im Augenblick sind wir hier alle sehr beschäftigt.« Er entschuldigte sich und flüsterte ins Telefon. Dann sah er zufriedener aus. »Würden Sie mit mir kommen, Sir und Madam?«, forderte er uns auf und führte uns freundlich aus dem Hafen.

Ohne Übung verliert man die Fähigkeit, sich mühelos in niedriger oder gar keiner Gravitation zu bewegen. Und ich war völlig aus der Übung. Außerdem verrenkte ich mir aus Neugierde fast den Hals. Alles hier war neu für mich. Gateway ist ein Asteroid, in den die Hitschi vor langer Zeit Tunnels gegraben hatten. Alle Innenflächen waren mit ihrem blau schimmernden Lieblingsmetall ausgekleidet. Die Nahrungsfabrik, der Hitschi-Himmel und alle anderen großen Bauten, die ich im All besucht hatte, waren ebenfalls von den Hitschi errichtet worden. Es war verwirrend, zum ersten Mal in einem sehr großen Weltraumartefakt zu sein, das von Menschenhand stammte. Es kam mir fremder vor als irgendein Hitschi-Erzeugnis. Nicht der vertraute Blauschimmer, nur gestrichener Stahl. Keine spindelförmige Kammer im Kern. Keine krank oder triumphierend aussehenden Prospektoren. Kein Museum mit Sammlungen aller möglichen Stücke der Hitschi-Technologie aus der betreffenden Gegend der Galaxis. Dafür gab es aber jede Menge Militär in hautengen Kombinationen – und aus irgendeinem Grund mit Sturzhelmen. Am merkwürdigsten war, dass sie zwar alle Pistolentaschen trugen, diese aber leer waren.

Ich ging etwas langsamer, um Essie auf diesen Umstand hinzuweisen. »Sieht so aus, als trauten sie ihren eigenen Leuten nicht«, bemerkte ich.

Sie packte mich am Kragen und zeigte nach vorne, wo der Leutnant wartete. »Sag nichts gegen unsere Gastgeber, jedenfalls nicht, solange sie mithören können. Hier. Das muss es sein.«

Es war auch keine Minute zu früh. Ich bekam kaum noch Luft durch die Anstrengung, mich in einem Korridor mit Null-g entlangzuziehen. »Hier rechts hinein, Sir und Madam«, bat der Leutnant einladend, und wir taten natürlich, wozu er uns aufforderte.

Aber hinter der Tür lag nur ein kahler Raum mit einigen Sitzschlaufen an den Wänden. Sonst nichts. »Wo ist der General?«, wollte ich wissen.

»Aber, Sir, ich habe Ihnen doch erklärt, dass wir sehr beschäftigt sind. Er wird Sie sehen, sobald er kann.« Mit dem Lächeln eines Haifischs schloss er die Tür hinter uns. Wir stellten gleichzeitig fest, dass diese Tür interessanterweise innen keinen Griff hatte.

Wie jeder hatte auch ich schon Albträume gehabt, festgenommen zu werden. Man ist gerade mit seiner Lebensaufgabe beschäftigt – Fische zu züchten oder für jemand eine Bilanz anzufertigen oder die bedeutende neue Symphonie zu schreiben –, da klopft es plötzlich an die Tür. »Kommen Sie mit! Jeder Widerstand ist zwecklos!«, sagen sie und legen einem Handschellen an. Dann wird man über seine Rechte belehrt, und ehe man es sich versieht, ist man an einem Ort wie diesem hier. Essie fröstelte. Sie musste die gleichen Vorstellungen wie ich gehabt haben, obwohl es kein untadeligeres Leben als das ihre geben konnte. »Ist doch albern«, meinte sie, mehr zu sich als zu mir. »Wie schade, dass es hier kein Bett gibt. Dann könnten wir zwei die Zeit nutzen.«

Ich streichelte ihr die Hand. Ich wusste, dass sie versuchte, mich auf fröhlichere Gedanken zu bringen. »Sie haben gesagt, dass sie sehr beschäftigt sind«, erinnerte ich sie.

Also warteten wir.

Eine halbe Stunde später spürte ich, wie Essie ohne Vorwarnung plötzlich steif wurde. Ich hatte den Arm um ihre Schulter gelegt. Ihr Gesichtsausdruck war wütend, und sie schien dem Wahnsinn nahe. Auch ich fühlte einen schnellen, heftigen Ruck in meinem eigenen Gehirn …

Dann war es vorbei. Wir schauten einander an. Es hatte nur wenige Sekunden gedauert. Lange genug, um uns klar werden zu lassen, warum alle so beschäftigt waren und warum sie keine Waffen in den Pistolentaschen trugen.

Die Terroristen hatten wieder zugeschlagen – aber es war nur ein flüchtiger Schlag.


Als der Leutnant zurückkam, war er besser gelaunt. Das hieß aber nicht, dass er freundlich war. Er konnte Zivilisten nicht ausstehen. Er war uns wohlgesinnt genug, um uns ein breites Lächeln zu schenken, und so feindselig, dass er uns den Grund dafür nicht nannte. Es war viel Zeit verstrichen. Er entschuldigte sich nicht, sondern führte uns in das Büro des Kommandanten, wobei er dauernd lächelte. Als wir ankamen, lächelte auch Brigadegeneral Cassata in seinem Büro mit den pastellfarbenen Stahlwänden, der Abbildung von West Point und den Rauchverzehrern aus Sterling-Silber, die vergeblich gegen seine Zigarre ankämpften.

Es gab nicht viele plausible Erklärungen für die plötzlich ausgebrochene Heiterkeit. Ich stürzte mich kopfüber ins Dunkel und griff eine heraus. »Herzlichen Glückwunsch, General!«, sagte ich höflich. »Dass Sie die Terroristen gefangen haben.«

Das Lächeln zuckte, kam aber wieder. Cassata war ein kleiner Mann und korpulenter, als es den Militärärzten recht sein konnte. Aus den olivfarbenen kurzen Hosen quollen seine Oberschenkel hervor, als er vor uns auf der Kante des Schreibtischs saß und uns begrüßte. »Wenn ich recht verstehe, Mr. Broadhead«, begann er, »ist der Zweck Ihres Besuches ein Gespräch mit Mrs. Dolly Walthers. In Anbetracht der Anweisungen, die ich erhalten habe, können Sie das selbstverständlich tun. Aber zu Sicherheitsangelegenheiten kann ich Ihnen keine Frage beantworten.«

»Ich habe gar keine gestellt«, meinte ich. Dann spürte ich Essies Warum-verärgerst-du-diesen-Typ-Blick sich in meinen Nacken brennen. Schnell fügte ich hinzu: »Auf alle Fälle ist es sehr freundlich von Ihnen, uns empfangen zu haben.«

Er nickte und stimmte mir offensichtlich bei, dass es sehr freundlich von ihm war. »Ich möchte Ihnen aber doch eine Frage stellen. Macht es Ihnen etwas aus, mir zu sagen, warum Sie sie sehen wollen?«

Essies Blick brannte immer noch und hielt mich davon ab, ihm zu eröffnen, dass es mir durchaus etwas ausmachte. »Aber keineswegs«, log ich. »Mrs. Walthers verbrachte einige Zeit mit einer Person, die mir sehr nahe steht und die ich gern wieder sehen würde. Wir hoffen, dass sie uns einen Tipp geben kann, wie wir uns mit – hm – dieser Person in Verbindung setzen können.« Es half nichts, wenn ich von einer neutralen Person sprach. Sie hatten bestimmt die arme Dolly völlig ausgequetscht und wussten, dass ich nur zwei Leute meinen konnte und es höchst unwahrscheinlich war, dass ich Wan als eine mir nahe stehende Person bezeichnen würde. General Cassata sah erst mich, dann Essie verwundert an, bevor er sagte: »Walthers ist wirklich eine sehr beliebte junge Dame. Ich will Sie nicht länger aufhalten.« Damit übergab er uns dem Leutnant für die Besichtigungstour.

Als Fremdenführer war der Leutnant eine totale Pleite. Er beantwortete keine Fragen und rückte auch keine Informationen freiwillig heraus. Dabei erregte so viel unsere Neugier. Überall waren deutliche Anzeichen einer kürzlichen Störung zu sehen. Kein Personenschaden. Aber als die Station in der ersten Minute des Wahnsinns durchgedreht war, wurde der Arresttrakt schwer beschädigt. Die Wachposten hatten das Schließsystem demoliert, glücklicherweise in einem Moment, als die Türen geöffnet waren. Ansonsten hätten in den Zellen einige arme Teufel verhungern müssen und als Skelette herumgelegen.

Das fand ich heraus, als wir an einer Reihe von Zellen vorbeikamen, bei denen die Türen offen standen. Davor hockten gelangweilt bewaffnete MPs auf den Gängen und passten auf, dass die Insassen drin blieben. Der Leutnant blieb stehen, um mit dem Wachoffizier zu sprechen. Während wir warteten, flüsterte Essie: »Wenn er die Terroristen nicht erwischt hat, warum ist der General dann so freundlich zu dir?«

»Gute Frage«, antwortete ich. »Hier ist eine für dich: Was hat er damit gemeint, dass Dolly eine so beliebte junge Dame ist?«

Der Leutnant war empört, dass wir es wagten, ohne Aufforderung zu sprechen. Er brach die Unterhaltung mit dem Kollegen ab und trieb uns weiter. Dann blieb er vor einer Zelle stehen, bei der wie bei den anderen auch die Tür offen stand. Er deutete hinein. »Da ist die Gefangene«, sagte er. »Sie können sich mit ihr unterhalten, so lange Sie wollen; aber sie weiß nicht viel.«

»Das ist mir klar«, sagte ich. »Denn andernfalls würden Sie uns sicher nicht zu ihr lassen, oder?« Dafür bekam ich wieder einen von Essies heißen Blicken zu spüren. Sie hatte Recht. Wenn ich den Leutnant nicht so dumm angeredet hätte, wäre er vielleicht anständig genug gewesen, etwas zurückzutreten, damit wir allein mit Dolly Walthers sprechen konnten. So aber postierte er sich ungeniert im Türrahmen.

Vielleicht auch nicht. Ich stimme für die zweite Annahme.


Dolly Walthers war eine Frau mit kindlicher Figur, kindlich hoher Stimme und schlechten Zähnen. Sie war nicht in bester Verfassung. Sie war verängstigt, erschöpft, wütend und verstockt.

Mir ging es nicht viel besser. Ich war vollkommen durcheinander und aufgewühlt von dem Bewusstsein, dass diese junge Frau vor mir einige Wochen in Gesellschaft der Liebe meines Lebens – oder einer der Lieben meines Lebens – verbracht hatte. Ich sage das so leichthin. Aber es war ganz und gar nicht leicht. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, und ich wusste auch nicht, was ich sagen sollte.

»Sag ›Hallo‹, Robin!«, belehrte mich Essie.

»Mrs. Walthers«, brachte ich gehorsam hervor. »Hallo. Ich bin Robin Broadhead.«

Sie hatte noch Manieren. Wie ein gutes Kind streckte sie mir die Hand entgegen. »Ich weiß, wer Sie sind, Mr. Broadhead. Außerdem habe ich ja Ihre Frau neulich getroffen.« Höflich schüttelten wir uns die Hände. Sie lächelte sogar ganz flüchtig. Erst viel später, als ich ihre Robinette-Broadhead-Handpuppe sah, wusste ich, warum sie gelächelt hatte. Sie schien aber auch verwundert zu sein. »Ich dachte, dass mich vier Leute sehen wollten. Das hat man mir angekündigt«, meinte sie und suchte mit den Augen den Gang hinter dem sturen Leutnant ab.

»Nur wir beide«, sagte Essie und wartete darauf, dass ich mich dazu äußerte.

Aber ich brachte kein Wort heraus. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wusste nicht, was ich fragen sollte. Vielleicht hätte ich es fertig gebracht, Dolly Walthers zu erklären, was Klara mir bedeutet hatte, und sie um Hilfe zu bitten – jede Art von Hilfe, wenn Essie allein dabei gewesen wäre. Oder wäre es nur der Leutnant gewesen, dann hätte ich ihn wie ein Möbelstück übersehen können. Jedenfalls bildete ich mir ein, es gekonnt zu haben. Aber sie waren beide anwesend, und ich stand still und stumm da, während Dolly Walthers mich neugierig und Essie erwartungsvoll anschauten. Selbst der Leutnant drehte sich um und starrte mich an.

Essie seufzte. Es klang verzweifelt und mitfühlend. Dann fällte sie ihre Entscheidung. Sie nahm die Sache in die Hand und sprach Dolly Walthers an. »Dolly«, sagte sie lebhaft, »Sie müssen meinen Mann entschuldigen. Es ist für ihn ein traumatisches Erlebnis. Die Gründe sind so kompliziert, dass ich sie Ihnen jetzt nicht erklären kann. Sie müssen mir auch verzeihen, dass ich nicht verhindert habe, dass die MPs Sie verhaftet haben. Ich habe ebenfalls ein Trauma, aus Gründen, die mit denen meines Mannes zusammenhängen. Wichtig ist, was wir jetzt machen! Ich schlage Folgendes vor: Zuerst erwirken wir Ihre Freilassung von hier. Dann laden wir Sie ein, uns zu begleiten und uns zu helfen, Wan und Gelle-Klara Moynlin aufzufinden. Ist Ihnen das recht?«

Das ging alles zu schnell, auch für Dolly Walthers. »Nun«, sagte sie, »ich …«

»Also schön!«, unterbrach sie Essie und nickte. »Wir werden das in die Wege leiten. Leutnant! Bringen Sie uns zurück auf unser Schiff, die Wahre Liebe! Sofort, bitte!«

Der Leutnant machte schockiert den Mund auf. Ich kam ihm aber zuvor. »Essie, sollten wir nicht zuerst mit dem General sprechen?«

Sie drückte meine Hand und sah mich an. Der Blick war mitfühlend. Der Handdruck war eine Halt-die-Klappe-Robin-Warnung, die mir fast die Knöchel brach. »Mein armes Schäfchen«, erklärte sie schüchtern dem Leutnant, »hat gerade eine größere Operation hinter sich. Er ist verwirrt. Wir müssen zum Schiff wegen seiner Arznei, und zwar schnell!«


Wenn meine Frau Essie entschlossen ist, etwas zu tun, kann man nur mit ihr auskommen, indem man sie gewähren lässt. Ich wusste nicht, was sie vorhatte, wohl aber welche Rolle ich zu spielen hatte. Ich nahm die Haltung eines älteren Mannes an, der durch eine kürzliche Operation noch ganz benommen ist, und ließ mich von ihr hinter dem Leutnant durch die Korridore des Pentagons führen.

Wir kamen nicht schnell genug vorwärts, weil die Gänge des Pentagons ziemlich belebt waren. Der Leutnant blieb mit uns an einer Kreuzung stehen, als eine Abteilung Gefangener vorbeimarschierte. Aus irgendeinem Grund räumte man einen ganzen Zellenblock. Essie stieß mich an und zeigte auf die Monitore an den Wänden. Auf einem Teil sah man nur Wegweiser: Verpflegungsamt 7, Mannschaftslatrinen, Andockbereich V und so weiter. Aber auf dem anderen …

Auf dem anderen war der Andockbereich zu sehen. Etwas Riesiges lief dort ein. Groß, schwerfällig und von Menschen gebaut. Man konnte auf den ersten Blick erkennen, dass es auf der Erde und nicht von den Hitschi konstruiert worden war. Das lag nicht so sehr an dem Design oder daran, dass es aus grauem Stahl statt aus dem blauen Hitschi-Metall gefertigt war. Der Beweis waren die bösartig aussehenden Schusswaffen, die ihre Mäuler aus dem glatten Bauch herausstreckten.

Das Pentagon hatte, wie ich wusste, sechs solcher Schiffe hintereinander bei dem Versuch verloren, den Hitschi Überlichtgeschwindigkeitsantrieb auf von Menschen gebaute Schiffe zu übertragen. Ich konnte mich darüber nicht aufregen. Durch diese Fehler hatte ich beim Bau der Wahren Liebe profitiert. Trotzdem war es nicht schön, die Waffen zu sehen. Auf einem Hitschi-Schiff sah man sie niemals.

»Weiter«, schnauzte uns der Leutnant an. »Sie sind nicht befugt, hier zu verweilen. Gehen Sie bitte weiter!« Er bog in einen relativ leeren Korridor ein, aber Essie hielt ihn zurück.

»Hier entlang geht es schneller«, schlug sie vor und zeigte auf das Schild.

»Betreten verboten!«, schnarrte er.

»Aber doch nicht für einen guten Freund des Pentagons, dem es schlecht geht«, sagte sie nur und nahm meinen Arm. Wir steuerten auf die dichteste und lärmendste Menschenansammlung geradewegs zu. Essie steckt voll von Geheimnissen. Aber dies klärte sich einen Augenblick später auf. Der Wirbel wurde durch die gefangenen Terroristen verursacht, die man vom Kreuzer brachte. Essie wollte sie sich nur mal aus der Nähe ansehen.

Der Kreuzer hatte das gestohlene Schiff abgefangen, als es aus der ÜLG kam, und abgeschossen. Anscheinend waren acht Terroristen an Bord gewesen – acht! Auf einem Hitschi-Schiff, das kaum fünf Personen Raum bot. Drei hatten überlebt und waren gefangen genommen worden. Einer lag im Koma. Einer hatte ein Bein verloren, war aber bei Bewusstsein. Der Dritte war wahnsinnig.

Diese wahnsinnige Person zog die Aufmerksamkeit auf sich. Es handelte sich um eine junge Negerin – aus Sierra Leone, sagte man –, die unaufhörlich schrie. Sie trug eine Zwangsjacke, in der sie schon länger steckte, wie es den Anschein hatte. Die Jacke stank und wies Flecken auf. Die Haare der jungen Frau waren verfilzt, ihr Gesicht leichenblass. Jemand rief meinen Namen; aber ich schob mich mit Essie nach vorn, um besser sehen zu können. »Sie spricht Russisch«, stellte Essie fest, »aber nicht sehr gut. Georgischer Akzent, sehr stark. Sagt, sie hasst uns.«

»Das hätte ich auch so mitbekommen«, sagte ich. Ich hatte genug gesehen. Als sich der Leutnant einen Weg durch die Menge gebahnt hatte, indem er die Leute mit wütenden Befehlen wegscheuchte, ließ ich mich von ihm zurückziehen. Da hörte ich wieder meinen Namen.

Dann war es nicht der Leutnant gewesen, der mich gerufen hatte. Nein, es war eine Frauenstimme. Sie kam aus dem Haufen der Gefangenen, die aus ihren Zellen geführt wurden. Jetzt sah ich, wer es war. Das Chinesenmädchen, Janie. »Du lieber Himmel«, wandte ich mich an den Leutnant. »Warum haben Sie sie festgenommen?«

Er wurde wütend. »Das ist eine militärische Angelegenheit und geht Sie gar nichts an, Broadhead. Kommen Sie! Sie haben hier nichts zu suchen!«

Es hatte keinen Sinn, mit jemandem auf einem Gespräch zu bestehen, der fest entschlossen war, keines zu führen. Ich fragte nichts mehr, sondern ging hinüber zu der Menschenschlange und fragte Janie selbst. Die anderen Gefangenen waren alle weibliche Militärangehörige, wahrscheinlich festgenommen, weil sie ihren Ausgang überzogen oder jemanden wie den Leutnant auf die Schnauze geschlagen hatten – alles liebe, gute Menschen; da war ich sicher. Sie waren still und hörten zu. »Audee wollte hier heraufkommen, weil sie seine Frau festhielten«, sagte sie mit einem Ausdruck auf dem Gesicht, als meinte sie ›seinen Fall von Syphilis im dritten Stadium‹. »Wir nahmen also eine Fähre. Sobald wir ankamen, haben sie uns in den Bau gesteckt.«

»Broadhead«, brüllte der Leutnant, »jetzt reicht’s aber! Kommen Sie sofort her, oder Sie sind selbst verhaftet!« Seine Hand lag am Holster, in dem jetzt wieder eine Waffe steckte. Höflich lächelnd schwebte Essie heran.

»Sie brauchen sich jetzt keine Sorgen mehr zu machen, Leutnant«, sagte sie. »Da liegt die Wahre Liebe und wartet schon auf uns. Jetzt sind Sie uns los. Sie müssen nur noch den General herschicken, damit wir die übrigen Fragen erledigen können.«

Dem Leutnant trieb es die Augen heraus. »Madam«, stotterte er, »Madam, Sie können den General nicht herholen lassen.«

»Natürlich kann ich! Mein Mann braucht medizinische Hilfe, also muss er herkommen. Brigadegeneral Cassata ist ein höflicher Mann, nicht wahr? West Point? Viele Kurse in Zwangsverschickung, Höflichkeit und Verhütung von Husten und Schnupfen. Und richten Sie bitte dem General aus, dass wir hervorragenden Bourbon haben, bei dem mein kranker Mann dringend Hilfe braucht, um ihn zu vernichten.«

Der Leutnant stolperte fassungslos davon. Essie sah mich an und ich sie. »Und was nun?«, fragte ich.

Sie lächelte und streichelte meinen Kopf. »Zuerst gebe ich Albert Bescheid wegen des Bourbon – und anderer Sachen«, vertröstete sie mich und gab einige schnelle Sätze auf Russisch von sich. »Und dann warten wir, dass der General sich zeigt.«


Es dauerte nicht lange, bis der General eintraf. Aber inzwischen hatte ich ihn schon beinahe vergessen. Essie unterhielt sich lebhaft mit dem Wachposten, den der Leutnant zurückgelassen hatte. Ich war tief in Gedanken versunken. Worüber dachte ich nach? Diesmal zur Abwechslung nicht über Klara, sondern über diese wahnsinnige Afrikanerin und ihre beinahe wahnsinnigen Gefährten. Sie machten mir Angst. Terroristen machten mir Angst. In früheren Zeiten hatte es eine PLO, eine IRA und Nationalisten in Puerto Rico, serbische Sezessionisten und deutsche, italienische und amerikanische reiche Kinder gegeben, die ihre Verachtung für Papi ausdrücken wollten, aber sie agierten alle gesondert. Jetzt hatten sie sich verbündet. Diese Tatsache machte mir Angst. Die Armen und die Wütenden hatten gelernt, ihre Wut und ihren Nachschub zu vereinigen. Da war es keine Frage: Sie würden es schaffen, dass die Welt auf sie hörte. Das Kapern eines Schiffes würde sie nicht aufhalten. Es würde lediglich ihre Umtriebe eine Zeit lang erträglich machen – oder beinahe erträglich.

Aber um ihr Problem zu lösen – ihre Wut zu besänftigen und ihre Bedürfnisse zu stillen –, war sehr viel mehr erforderlich. Die Kolonisierung anderer Welten wie Peggys Planet war vielleicht die einzige Lösung, aber das ging so langsam. Der Transporter konnte dreitausendachthundert Leute jeden Monat dorthin schaffen. Aber jeden Monat wurde etwa eine Viertelmillion neuer, armer Leute geboren. Die unheilvolle Rechnung sah so aus:

Eine neue Armee, um die man sich jeden Monat kümmern musste. Die einzige Hoffnung bestand in neuen und größeren Transportschiffen. Hunderte und tausende. Hundert würden den gegenwärtigen Stand des Elends lediglich halten. Tausend würden ein für alle Mal Abhilfe schaffen – aber woher sollten tausend große Schiffe kommen? Der Bau der Wahren Liebe hatte schon acht Monate gedauert und viel mehr Geld verschlungen, als ich geplant hatte. Was würde es kosten, etwas tausendmal Größeres zu bauen?

Die Stimme des Generals riss mich aus diesen Betrachtungen. »Es ist vollkommen unmöglich!«, hörte ich Cassata sagen. »Ich habe Ihnen die Besuchserlaubnis erteilt, weil man mich darum gebeten hat. Mitnehmen kommt überhaupt nicht infrage!« Er warf mir einen finsteren Blick zu, als ich zu ihnen trat und Essies Hand ergriff.

»Es geht auch um den männlichen Walthers und die Chinesin«, bohrte sie weiter. »Wir wollen die auch mitnehmen.«

»Wir wollen?«, fragte ich Essie. Der General überhörte meine Frage.

»Aber sonst wollen Sie nichts mehr? Du lieber Himmel!«, entrüstete er sich. »Sie wollen nicht vielleicht auch noch meine Abteilung im Pentagon übernehmen? Oder, dass ich Ihnen einen oder zwei Kreuzer überlasse?«

Essie schüttelte höflich den Kopf. »Unser Schiff ist bequemer, danke!«

»Jesus!« Cassata wischte sich die Stirn. Dann ließ er sich von Essie für den versprochenen Bourbon in den Aufenthaltsraum führen. »Na ja«, meinte er, »gegen Walthers und Yee-xing liegt eigentlich nichts vor. Sie hatten kein Recht, ohne Erlaubnis herzukommen. Aber wenn Sie sie mitnehmen wollen, können wir das vergessen.«

»Großartig«, rief Essie. »Dann bleibt nur noch die andere Walthers!«

»Ich kann unmöglich die Verantwortung übernehmen«, begann er, aber Essie ließ ihn nicht ausreden.

»Selbstverständlich nicht! Das verstehen wir natürlich! Wir müssen uns eben an eine höhere Stelle wenden, nicht wahr, Robin? Ruf General Manzbergen an! Mach es hier, dann gibt es kein ärgerliches Protokoll über mögliche Verlegenheit.«

Es hat keinen Sinn, mit Essie zu streiten, wenn sie in dieser Stimmung ist. Außerdem war ich neugierig, was sie vorhatte. »Albert«, rief ich. »Bitte, übernimm du das!«

»Gern, Robin«, erwiderte er zuvorkommend, nur als Stimme. Einen Augenblick später leuchtete der Bildschirm auf, und da saß General Manzbergen hinter seinem Schreibtisch. »Morgen, Robin, Essie«, meldete er sich freundlich. »Ich sehe, ihr habt Perry Cassata bei euch – herzlichen Glückwunsch an alle!«

»Danke, Jimmy«, sagte Essie und betrachtete General Cassata von der Seite. »Aber deshalb haben wir Sie nicht angerufen.«

»Ach ja?« Er runzelte die Stirn. »Was es auch ist, macht schnell. Ich habe eine Sitzung auf höchster Ebene in neunzig Sekunden.«

»Ich brauche nicht so lange, lieber General. Geben Sie nur Brigadegeneral Cassata Anweisung, uns Dolly Walthers zu übergeben.«

Manzbergen überlegte. »Wozu?«

»Damit wir mit ihrer Hilfe Wan finden, lieber General. Er hat einen TPSE, wie Sie wissen. Ist doch von allgemeinem Interesse, ihn zu zwingen, das zurückzugeben.«

Er lächelte ihr wohlwollend zu. »Moment, Teuerste«, entschuldigte er sich und beugte sich über das Geheimfon.

General Cassata war zwar überrumpelt. Trotzdem blieb er wachsam. »Da ist eine Verzögerung«, stellte er fest. »Ist das kein Nullzeit-Funk?«

»Stoßübertragung«, erklärte Essie mit der lauten Stimme eines Lügners. »Wir haben nur ein kleines Schiff, nicht viel Strom.« Noch eine Lüge. »Wir müssen Energie für die Kommunikation reservieren – ah! Das ist der General wieder.«

Manzbergen wandte sich an Cassata. »Ist genehmigt«, bellte er schroff. »Die beiden sind zuverlässig, wir schulden ihnen noch einen Gefallen – und sie können uns vielleicht einen Haufen Ärger in der Zukunft ersparen. Geben Sie ihnen, wen immer sie wollen! Auf meine Verantwortung. Und jetzt lasst mich, um Gottes willen, zu meiner Sitzung – ruft mich nicht mehr an, außer es bricht der Vierte Weltkrieg aus!«


Brigadegeneral Cassata ging kopfschüttelnd weg. MPs brachten uns sehr bald Janie Yee-xing und eine Minute später Audee Walthers. Dolly Walthers traf erst nach einer ganzen Weile ein. »Wie schön, euch alle wieder zu sehen!«, sagte Essie bei der Begrüßung. »Ich bin sicher, ihr habt viel zu besprechen. Aber zuerst wollen wir diesen scheußlichen Ort verlassen. Albert! Starte, bitte!«

»Verstanden, Mrs. Broadhead«, ertönte Alberts Stimme. Er machte sich nicht die Mühe, im Pilotensitz Gestalt anzunehmen. Er tauchte nur in der Tür auf und lehnte sich gegen den Rahmen. Er lächelte allen Anwesenden zu.

»Ich werde ihn später vorstellen«, versprach Essie. »Er ist ein guter Freund, ein Computerprogramm. Albert? Sind wir jetzt weit genug vom Pentagon weg?«

Er nickte und zwinkerte ihr zu. Dann verwandelte er sich vor meinen Augen von einem ältlichen Mann in ausgebeulter Strickjacke in den hageren, größeren Generalstabschef General James P. Manzbergen, in voller Uniform mit Orden. »Allerdings, Teuerste!«, rief er. »Und jetzt wollen wir unsere Ärsche mal mit ÜLG bewegen, ehe sie herausfinden, dass wir sie gelinkt haben!«

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