Ich habe einen Hitschi gefunden … ich habe ein Stück vom Kreuz Jesu gefunden … ich habe mit Gott gesprochen, direkt mit ihm – diese Behauptungen gehören alle in dieselbe Kategorie. Man glaubt sie zwar nicht, aber sie jagen einem doch Angst ein. Und wenn man dann feststellt, dass sie stimmen, oder dass man nicht sicher sein kann, dass sie nicht stimmen – dann ist es Zeit für Wunder und Zeit, sich zu Tode zu fürchten. Gott und die Hitschi. Als ich ein Kind war, konnte ich die beiden nicht genau unterscheiden. Selbst als Erwachsener blieb noch Verwirrung.

Es war nach Mitternacht, als ich die beiden endlich gehen ließ. Bis dahin hatte ich sie leer gepumpt. Ich besaß den Datenfächer, den sie auf der S. Ya. hatten mitgehen lassen. Ich hatte Albert mit in die Diskussion gebracht, damit er alle Fragen stellen konnte, die sein fruchtbares digitales Gehirn erfinden konnte. Ich fühlte mich ziemlich elend und kaputt. Die Wirkung der Analgetica hatte längst nachgelassen. Trotzdem wollte ich nicht schlafen gehen. Essie verkündete mit fester Stimme, dass sie nicht aufbleiben würde, um sich das Schauspiel meines Todes anzusehen, da ich offensichtlich entschlossen sei, mich durch Überanstrengung umzubringen. Sobald sie ruhig auf der Couch dahinschnarchte, rief ich wieder Albert. »Ein finanzieller Punkt noch«, sagte ich. »Walthers behauptet, er habe den Bonus von einer Million Dollar ausgeschlagen, um seinen Fund mir zu geben. Transferiere, hm, sofort zwei Millionen auf sein Konto.«

»Selbstverständlich, Robin.« Albert Einstein wird niemals schläfrig. Wenn er aber andeuten will, dass es für mich längst Zeit ist, ins Bett zu gehen, ist er durchaus in der Lage, sich zu recken und zu gähnen. »Ich sollte dich aber darauf hinweisen, dass bei deinem Gesundheitszustand …«

Ich sagte ihm, wohin er sich meinen Gesundheitszustand stecken könne. Dann sagte ich ihm noch, was er mit seinem Vorschlag tun könne, mich morgen in ein Krankenhaus zu stecken. Liebenswürdig spreizte er die Hände. »Du bist der Boss, Robin«, bemerkte er bescheiden. »Trotzdem, ich hab’ mir so meine Gedanken gemacht.«

Es stimmt nicht, dass Albert Einstein keine Zeit mit Denken verbringt. Da sich seine Gedanken aber mit nuklearer Geschwindigkeit bewegen, ist diese Zeit für menschliche Wesen aus Fleisch und Blut, wie mich, nicht wahrnehmbar. Es sei denn, er möchte es, meist um eine dramatische Wirkung zu erzielen. »Spuck’s aus, Albert!«

Er zuckte mit den Schultern. »Es ist nur so, dass ich dich bei deinem bedenklichen Gesundheitszustand nicht grundlos aufregen will.«

»Grundlos! Mein Gott, Albert! Manchmal benimmst du dich wirklich wie eine dämliche Maschine. Gibt es einen triftigeren Grund als den, einen lebendigen Hitschi zu finden?«

»Ja«, sagte er und zog genüsslich an seiner Pfeife. Dann wechselte er das Thema. »Aus den Sonarmeldungen, die ich empfange, Robin, schließe ich, dass du starke Schmerzen hast.«

»Nein, was bist du doch für ein schlaues Kerlchen, Albert.« Tatsache war, dass die Rührmaschine in meinem Bauch einen anderen Gang eingelegt hatte. Jetzt machte ein Mixer aus meinen Eingeweiden Püree. Jede Drehung war ein eigener Schmerz.

»Soll ich Mrs. Broadhead wecken und ihr Bescheid geben?«

Wenn wir Essie aufweckten und ihr das erzählten, würde sie mich sofort ins Bett stecken, die chirurgischen Programme aufrufen und mich allem ausliefern, was der medizinische Vollschutz zu bieten hatte. Um ehrlich zu sein, schien diese Aussicht immer verlockender. Schmerzen machten mir mehr Angst als der Tod. Sterben war etwas, das man hinter sich bringen konnte, während die Schmerzen niemals zu enden schienen.

Aber nicht gerade jetzt! »Da führt kein Weg hin, Albert«, lehnte ich ab. »Wenigstens nicht so lange, bis du mit dem rausgerückt bist, was du so schamhaft verbirgst. Willst du behaupten, dass ich irgendwo einen falschen Schluss gezogen habe? Wenn ja, dann bitte, wo!«

»Nur bei der Bezeichnung von Audee Walthers’ Wahrnehmung als Hitschi, Robin«, sagte er und kratzte sich mit dem Pfeifenstiel am Kinn.

Ich setzte mich gerade auf und hielt mir den Bauch. Die plötzliche Bewegung war keine sehr gute Idee gewesen. »Was, zum Teufel, könnte es sonst sein, Albert?«

»Lass uns die Aussagen noch einmal durchgehen«, schlug er ernst vor. »Walthers berichtete, dass die Intelligenz, die er wahrnahm, langsam zu werden schien, ja anhielt. Das deckt sich mit der Hypothese, dass es ein Hitschi ist, weil man annimmt, dass sie in einem Schwarzen Loch stecken, wo die Zeit verlangsamt ist.«

»Stimmt. Dann aber …«

»Zweitens«, fuhr er fort. »Die Entdeckung erfolgte im interstellaren Raum. Auch das ist richtig, da man weiß, dass die Hitschi die Fähigkeit besitzen, sich dort aufzuhalten.«

»Albert!«

»Schließlich«, führte er ruhig weiter aus, ohne sich um meinen Tonfall zu kümmern. »Entdeckt wurde eine intelligente Form des Lebens, die sich von der unseren unterscheidet.« Er zwinkerte mir zu. »Oder sollte ich sagen, von der menschlichen Rasse unterscheidet? Die Hitschi sind die einzige Lebensform, von denen das bekannt ist. Andererseits«, gab er freundlich zu bedenken, »wirft die Kopie des Schiffslogs, die Captain Walthers mitgebracht hat, einige ernste Fragen auf.«

»Nun mach schon, verdammt noch mal!«

»Selbstverständlich, Robin. Ich werde dir mal die Daten vorführen.« Er bewegte sich in seinem holographischen Rahmen zur Seite. Eine Schiffskarte tauchte auf. Darauf konnte man einen weit entfernten, blassen Klumpen erkennen. Die Symbole und Ziffern am Rand rechts daneben tanzten. »Beachte die Geschwindigkeit, Robin. Achtzehnhundert Kilometer pro Sekunde. Das ist für ein natürliches Objekt keine unmögliche Geschwindigkeit – sagen wir, für die Kondensation einer Wellenfront einer Supernova. Aber für ein Hitschi-Fahrzeug? Warum sollte es sich so langsam bewegen? Und sieht das wirklich wie ein Hitschi-Schiff aus?«

»Es sieht überhaupt nicht wie irgendetwas aus! Du meine Güte! Es ist nur ein verschwommener Fleck in extremer Entfernung. Man kann überhaupt nichts unterscheiden.«

Die kleine Figur Alberts auf der einen Seite der Karte nickte. »Nicht so, wie es jetzt ist«, gab er zu. »Aber es ist mir gelungen, das Bild zu vergrößern. Es gibt natürlich auch noch einen anderen negativen Gesichtspunkt. Wenn der Ursprung tatsächlich ein Schwarzes Loch ist …«

»Was?«

Er tat so, als habe er mich missverstanden. »Ich sagte gerade, die Hypothese, dass der Ursprung in einem Schwarzen Loch liegt, stimmt nicht mit dem völligen Fehlen von Gamma- oder Röntgenstrahlung in dieser Gegend überein, die durch das Ansaugen von Staub und Gas auftreten müsste.«

»Albert«, hielt ich ihm vor. »Manchmal gehst du zu weit.«

Er blickte mich mit sorgenvoll halb geschlossenen Augen an. Ich kenne diese ruhigen Blicke Alberts und sein Vortäuschen, Dinge vergessen zu haben. Alles nur Effekthascherei! Die entsprechen keineswegs der Realität – besonders nicht, wenn er mir direkt in die Augen blickt. Die abgebildeten Augen Alberts in den Holobildern sehen nicht mehr als die auf einer Fotografie. Wenn er mich fühlt – und er fühlte mich tatsächlich gut –, geschieht das durch die Kameralinsen und Ultraschallimpulse, sowie durch Sonden und Thermalabbilder. Keines dieser Geräte ist in der Nähe der Augen von Alberts Bild untergebracht. Trotzdem gibt es Momente, in denen diese Augen direkt in meine Seele zu sehen scheinen. »Du willst glauben, dass es sich um Hitschi handelt, nicht wahr, Robin?«, fragte er mich leise.

»Das geht dich gar nichts an! Zeig mir die Vergrößerung!«

»Na schön!«

Das Bild verschwamm … wurde gesprenkelt … und dann klar. Ich schaute auf eine riesige Libelle. Sie ging noch über den Rahmen des Schirms von Alberts kleiner Peepshow hinaus. Man konnte den größten Teil der Netzflügel erkennen, weil sie die Sterne dahinter verdunkelten. Wo alle Flügel zusammentrafen, war ein zylinderförmiges Gebilde mit funkelnden Lichtpunkten auf der Oberfläche. Auch auf den Flügeln glitzerte etwas.

»Es ist ein Segelschiff!« Ich staunte.

»Ja. Ein Segelschiff«, stimmte mir Albert zu. »Ein Photonen-Raumschiff. Der einzige Antrieb ist der Lichtdruck auf die verschiedenen Segel.«

»Aber Albert … das muss ja ewig dauern.«

Er nickte. »Nach menschlicher Rechnung – ja. Das ist eine gute Beschreibung. Bei der geschätzten Geschwindigkeit würde eine Fahrt von, nehmen wir mal an, der Erde bis zum nächsten Stern, Alpha Centauri, etwa sechshundert Jahre dauern.«

»Mein Gott! Sechshundert Jahre in dem kleinen Ding.«

»Es ist nicht klein, Robin«, verbesserte er mich. »Es ist weiter weg, als du denkst. Meine Entfernungsdaten sind nur Näherungswerte, aber meiner Schätzung nach ist die Entfernung von Segelspitze zu Segelspitze nicht weniger als hunderttausend Kilometer.«

Auf der Damastcouch schnarchte Essie. Dann wechselte sie die Lage, schaute mich an und sagte vorwurfsvoll: »Immer noch auf, hm?« Dann schloss sie die Augen wieder – alles ohne aufzuwachen.

Ich lehnte mich zurück. Erschöpfung und Schmerzen übermannten mich beinahe. »Ich wünschte, ich wäre schläfrig«, sagte ich. »Ich muss das alles erst mal eine Zeit lang schmoren lassen, ehe ich es verdauen kann.«

»Natürlich, Robin. Darf ich dir einen Vorschlag machen?«, fragte Albert hinterlistig. »Du hast nicht viel zu Abend gegessen. Lass mich dir eine schöne Erbsensuppe oder Fischcremesuppe zubereiten …«

»Du weißt, was mich einschlafen lässt, nicht wahr?«, lobte ich ihn, beinahe lachend. Ich war froh, dass er meine Gedanken wieder auf die Erde gebracht hatte. »Warum nicht!«

Ich ging wieder zurück in die Essecke, ließ Alberts Barkeeper-Subprogramm mir einen schönen heißen Grog bringen. Albert selbst erschien auf dem PV-Schirm über der Anrichte, um mir Gesellschaft zu leisten. »Sehr gut«, bemerkte ich anerkennend und trank aus. »Lass uns noch einen heben, ehe ich esse!«

»Selbstverständlich, Robin«, sagte er und spielte mit dem Pfeifenstiel. »Robin?«

»Ja?« Dabei griff ich nach einem frischen Drink.

»Robin«, sagte er verlegen, »ich hab’ da so eine Idee.«

Ich war gerade in der richtigen Stimmung für neue Ideen. Deshalb zog ich eine Braue hoch als Zeichen der Zustimmung weiterzusprechen. »Walthers hat mich auf den Gedanken gebracht: Institutionalisiere, was du für ihn getan hast! Setze jährliche Preise aus! Vergleichbar den Nobelpreisen oder den Gateway-Wissenschaftsprämien. Sechs Preise pro Jahr zu je hunderttausend Dollar. Jeden für Leistungen auf einem ganz bestimmten Gebiet in Wissenschaft und Forschung. Ich habe mal einen Etat aufgestellt …« Er ging zur Seite und schaute auf eine Ecke des Bildschirms. Eine saubere Aufstellung erschien. »Daraus geht hervor, dass für nominelle Anfangsausgaben von sechshundert Dollar pro Jahr, die man fast ganz durch Steuerersparnisse und Finanzierung durch Dritte decken kann …«

»Halt mal die Luft an, Albert! Spiel nicht meinen Buchhalter! Du bist mein wissenschaftlicher Berater. Preise – wofür?«

Er sagte nur: »Um die Rätsel des Universums lösen zu helfen.«

Ich lehnte mich zurück und streckte mich. Jetzt fühlte ich mich entspannt, und mir war warm. Und ich empfand Wohlwollen, sogar einem Computerprogramm gegenüber. »Ach, zum Teufel, Albert! Was soll’s? Nur zu! Ist die Suppe noch nicht fertig?«

»Genau auf die Minute«, meldete er zuvorkommend. So war es auch. Ich nahm einen Löffel voll. Es war Fischcremesuppe. Dick. Weiß, mit viel Sahne.

»Mir ist nur der Sinn noch nicht klar«, warf ich ein.

»Information, Robin«, erklärte er.

»Aber ich dachte, du hast all diese Informationen sowieso.«

»Natürlich – sobald sie veröffentlicht sind. Ich habe ein auf Ideen ausgerichtetes Suchprogramm die ganze Zeit laufen, mit über dreiundvierzigtausend Stichpunkten. Sobald irgendetwas über – sagen wir – Hitschi-Sprachtranskription erscheint, wandert es automatisch in meinen Speicher. Aber ich will es, ehe es erscheint, und auch, wenn es nicht veröffentlicht wird. Wie Audees Entdeckung, verstehst du? Jedes Jahr werden von einer Jury die Gewinner ausgewählt. Ich wäre gern bereit«, er zwinkerte mir zu, »dir bei der Auswahl der Juroren zu helfen. Ich schlage sechs Forschungsgebiete vor.« Er nickte in Richtung Aufstellung. Der Etat verschwand und wurde von einer bildschönen Liste abgelöst:

Übersetzung der Hitschi-Kommunikation

Beobachtung und Interpretation der fehlenden Masse

Analysen der Hitschi-Technologie

Verbesserungen in Bezug auf Terrorismus-Bekämpfung

Abbau der internationalen Spannungen

Nichtausbeuterische Lebensverlängerung

»Sie klingen alle sehr lobenswert«, bemerkte ich beifällig. »Die Suppe ist auch sehr gut.«

»Ja«, meinte er. »Die Köche sind auch sehr gut im Befolgen von Instruktionen.« Ich schaute ihn schläfrig an. Seine Stimme schien milder – nein, süßer klingt besser – als zuvor. Ich gähnte und versuchte, meine Augen zu fokussieren.

»Weißt du was, Albert«, begann ich von neuem. »Mir ist bis jetzt noch nie aufgefallen, dass du meiner Mutter ein bisschen ähnlich siehst.«

Er legte seine Pfeife weg und betrachtete mich mitleidig. »Du musst dir deshalb keine Sorgen machen«, beruhigte er mich. »Du musst dir überhaupt keine Sorgen machen.«

Ich betrachtete mein treues Hologramm mit schläfriger Freude. »Ich nehme an, du hast Recht«, gab ich zu. »Vielleicht ist es doch nicht meine Mutter, der du ähnlich siehst. Diese buschigen Augenbrauen …«

»Das spielt doch keine Rolle«, warf er liebevoll ein.

»Tut es auch nicht«, stimmte ich ihm zu.

»Du kannst jetzt ruhig schlafen«, sagte er.

Das schien mir ein solch guter Vorschlag zu sein, dass ich ihn befolgte. Nicht sofort. Nicht so plötzlich. Ganz ruhig, sanft. Ich trödelte noch halbwach herum. Mir war vollkommen wohl, und ich war ganz entspannt. Ich wusste deshalb auch nicht genau, wo der halbwache Zustand aufhörte und der richtige Schlaf begann. Ich gab mich meinen Träumereien hin, versunken in diesem Zwischenzustand, wo man sich zwar einbildet, schon zu schlafen, es aber egal ist, und in welchem der Geist wandert. O ja, mein Geist wanderte. Sehr weit. Ich jagte durch das Universum mit Wan und griff immer wieder nach einem neuen Schwarzen Loch, immer auf der Suche nach etwas, das für ihn sehr wichtig war und damit auch für mich. Aber ich wusste nicht, warum. Da tauchte auch ein Gesicht auf, nicht Albert, nicht das meiner Mutter, nicht einmal Essies – ein Frauengesicht mit buschigen, dunklen Augenbrauen …

Na so was, dachte ich, der Mistkerl hat mich gedopt!

Und unterdessen drehte sich die große Galaxis, und winzige Teilchen organischer Materie schoben noch kleinere Teilchen aus Metall und Kristall durch die Räume zwischen den Sternen. Und die organischen Teilchen erlebten – jedes auf seine Weise – Schmerz, Verlassenheit, Schrecken und Freude. Aber ich schlief die ganze Zeit. Es kümmerte mich kein bisschen. Damals.

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