»Mit deiner Erlaubnis möchte ich etwas mit dir erkunden, bevor du mich in den Passivzustand versetzt«, sagt Sigfrid.

Ich erschrecke; der Schweinehund hat meine Gedanken gelesen.

»Ich stelle fest, dass du Angst empfindest. Das möchte ich klären«, sagt er.

»Ich wusste nicht, dass du dir darüber im Klaren bist, was ich vorhabe«, entschuldige ich mich.

»Natürlich bin ich mir darüber im Klaren. Wenn du mir den richtigen Befehl erteilt hast, gehorche ich, aber du hast nie den Befehl erteilt, keine Daten zu speichern und zu verarbeiten. Ich nehme an, du kennst ihn nicht.«

»Ganz richtig, Sigfrid.«

»Es gibt keinen Grund, warum du keinen Zugang zu allen meinen Informationen haben solltest. Ich habe bis jetzt nicht versucht einzugreifen …«

»Könntest du das?«

»Ich besitze die Fähigkeit, mich an eine höhere Stelle zu wenden, ja. Das habe ich nicht getan.«

»Warum nicht?« Der alte Blechhaufen überrascht mich immer wieder; mir ist das alles ganz neu.

»Wie gesagt, es gibt keinen Grund. Aber du versuchst offenkundig, eine Konfrontation hinauszuschieben, und ich möchte dir sagen, worum es mir dabei zu gehen scheint. Dann kannst du selbst entscheiden.«

»Ach, Mist.« Ich setze mich auf, nachdem ich die Gurte abgestreift habe. »Kann ich rauchen?« Ich kenne die Antwort, aber er überrascht mich wieder.

»Unter den gegebenen Umständen, ja. Ich wollte dir schon ein leichtes Beruhigungsmittel anbieten.«

»Mensch«, sage ich bewundernd und zünde mir eine an – und muss mich glatt zurückhalten, um ihm nicht eine anzubieten. »Also gut, heraus damit!«

Sigfrid steht auf, vertritt sich die Beine und geht zu einem bequemeren Sessel. Dass er das kann, habe ich auch nicht gewusst.

»Ich will dich beruhigen, wie du merkst«, sagt er. »Zuerst möchte ich dir etwas über meine Fähigkeiten sagen – und über deine –, die du wohl nicht kennst. Ich kann Informationen über jeden meiner Klienten liefern. Das heißt, du bist nicht beschränkt auf jene, die Zugang zu diesem einen Terminal hatten.«

»Ich glaube, das verstehe ich nicht.«

»Du wirst es gleich verstehen. Wenn du willst. Wichtiger ist aber, welche Erinnerung du zu unterdrücken versuchst. Ich halte es für notwendig, die Sperre zu lösen. Ich möchte deshalb ein bestimmtes Ereignis mit dir besprechen.«

Ich schnippe Asche von meiner Zigarette.

»Was meinst du, Sigfrid?«

»Deinen letzten Flug von Gateway aus, Bob. Ich will dein Gedächtnis auffrischen …«

»Um Himmels willen, Sigfrid!«

»Ich weiß, dass du dich genau erinnerst, und insoweit bedarf es keiner Auffrischung«, sagt er. Er hat mich genau verstanden. »Das Interessante an dieser Episode ist, dass alle Elemente deiner inneren Störung darin zu konvergieren scheinen. Deine ungeheure Angst. Deine homosexuellen Neigungen …«

»He!«

»… die, gewiss, nicht einen wesentlichen Teil deiner Geschlechtlichkeit darstellen, Bob, die dich aber mehr beschäftigen, als sinnvoll ist. Deine Gefühle deiner Mutter gegenüber. Die ungeheure Bürde an Schuld, die du dir auferlegt hast. Und vor allem Gelle-Klara Moynlin. All das taucht in deinen Träumen immer wieder auf, obwohl du es nicht oft erkennst. Und in dieser einen Episode sind sie alle versammelt.«

Ich drücke meine Zigarette aus und sehe, dass ich zwei gleichzeitig geraucht habe.

»Das mit meiner Mutter sehe ich aber nicht«, wende ich ein.

»Nein?« Das Hologramm, das ich Sigfrid Seelenklempner nenne, geht in eine Ecke. »Ich will dir ein Bild zeigen.« Er hebt die Hand – reines Theater, das weiß ich –, und in der Ecke taucht die Gestalt einer Frau auf. Nicht sehr deutlich, aber erkennbar jung, schlank und hustend.

»Sieht meiner Mutter nicht sehr ähnlich«, sage ich.

»Nein?«

»Na ja, besser kannst du es wohl nicht«, meine ich großzügig. »Du hast ja nichts als meine Beschreibung.«

»Das Bild ist nach deiner Beschreibung von Susie Hereira gefertigt«, sagt er ganz leise.

Ich zünde mir wieder eine Zigarette an, unter Schwierigkeiten, weil meine Hand zittert.

»Mensch«, sage ich bewundernd. »Ich ziehe den Hut vor dir, Sigfrid. Sehr interessant. Susie war natürlich nur ein Kind!«, setze ich hinzu, plötzlich gereizt. »Abgesehen davon erkenne ich – jetzt, meine ich –, dass es Ähnlichkeiten gibt. Aber das Alter stimmt ganz und gar nicht.«

»Bob, wie alt war deine Mutter, als du klein warst?«

»Sehr jung«, antworte ich nach einer kurzen Pause. »Sie sah sogar noch viel jünger aus.«

Sigfrid lässt mich so eine Weile hängen, dann winkt er wieder, die Gestalt verschwindet, und stattdessen sehen wir ein Bild von zwei Fünfer-Schiffen, Landefahrzeug an Landefahrzeug mitten im Weltraum, und dahinter ist … ist …

»O Gott, Sigfrid«, stöhne ich.

Er wartet eine Weile. Was mich angeht, kann er ewig warten. Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll. Es tut mir nicht weh, aber ich bin gelähmt. Ich kann nichts sagen, ich kann mich nicht bewegen.

»Das ist eine Rekonstruktion der beiden Schiffe beim Flug in die Nähe des Objekts SAG YY. Es ist ein Schwarzes Loch, oder genauer, eine Singularität in einem Zustand extrem schneller Rotation.«

»Ich weiß, was es ist, Sigfrid.«

»Ja. Wegen seiner Rotation überschreitet die Translationsgeschwindigkeit dessen, was sein Schwellenereignis oder die Schwarzschild-Diskontinuität genannt wird, die Lichtgeschwindigkeit, sodass es nicht richtig schwarz ist; man kann es vielmehr sehen, infolge der so genannten Tscherenkow-Strahlung. Wegen der Instrumentenmessungen dieser und anderer Aspekte der Singularität wurde eurer Expedition eine Prämie von zehn Millionen Dollar zugesprochen, zusätzlich zu der vereinbarten Summe, die zusammen mit anderen, kleineren Beträgen die Grundlage deines jetzigen Vermögens darstellt.«

»Das weiß ich auch, Sigfrid.«

»Möchtest du mir sagen, was du sonst noch darüber weißt?«

Pause.

»Ich bin nicht sicher, ob ich es kann, Sigfrid.« Wieder eine Pause. Ich bin von grenzenloser Angst erfüllt, aber über die objektive Realität kann ich sprechen. »Ich weiß nicht, wie viel du über Singularitäten weißt, Sigfrid.«

»Vielleicht sagst du das, was ich deiner Meinung nach wissen sollte, Bob.«

Ich drücke die Zigarette aus und zünde die nächste an.

»Nun, wir, du und ich, wissen, dass alles in deinen Datenspeichern liegt, wenn du wirklich Bescheid wissen willst, aber trotzdem … Der Haken bei Schwarzen Löchern ist der, dass sie Fallen sind. Sie krümmen das Licht. Sie krümmen die Zeit. Sobald du drinnen bist, kannst du nicht mehr heraus. Nur … Nur …«

»Du kannst ruhig weinen, wenn du willst«, sagt Sigfrid nach einer Weile, und da merke ich erst, dass ich weine.

»Mensch«, schluchze ich und schneuze mich in eines der Papiertücher, die er immer für mich bereitlegt. Er wartet.

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