Als sich die Hitschi in ihre Schwarzschildschale im Kern der Galaxis verkrochen, wussten sie, dass es zwischen ihrem verängstigten Selbst und dem unendlichen Universum da draußen keine leichte Kommunikation geben würde. Dennoch wagten sie es nicht, ohne Nachrichten zu bleiben.
Sie errichteten außerhalb des Schwarzen Loches ein Gespinst aus Sternchen. Sie waren weit genug entfernt, dass die donnernde Strahlung, die in das Loch fiel, nicht ihre Schaltkreise lahm legte. Sie hatten genug davon, sodass, wenn einer ausfiel oder zerstört würde – ja selbst wenn es hundert wären –, die übrigen immer noch die Daten aus den Frühwarnstationen, die über die ganze Galaxis verstreut waren, auffangen und aufzeichnen konnten. Die Hitschi waren zwar weggelaufen, um sich zu verstecken, hatten aber Augen und Ohren zurückgelassen.
Von Zeit zu Zeit stahlen sich einige tapfere Seelen aus dem Kern heraus, um festzustellen, was die Augen gesehen und die Ohren gehört hatten. Als der Kapitän und seine Mannschaft hinausgeschickt wurden, um das All nach dem wandernden Stern abzusuchen, war das Überprüfen der Monitore eine zusätzliche Aufgabe. An Bord dieses Schiffes befanden sich fünf von ihnen – zumindest fünf lebende. Davon interessierte den Kapitän am meisten das schlanke, blasse, weibliche Wesen mit strahlender Haut, das Twice hieß. Nach Meinung des Kapitäns war sie eine hinreißende Schönheit. Und auch sexy – zweifellos jedes Jahr –, und diese spezielle Jahreszeit musste seiner Berechnung nach nahe sein!
Aber nicht gerade jetzt, betete er. Auch Twice betete darum. Das Durchdringen der Schwarzschildperipherie war eine brutal harte Aufgabe, auch wenn das Schiff zu diesem Zweck gebaut worden war. Es schwirrten noch andere Büchsenöffner herum – Wan hatte einen gestohlen –, aber die waren für diesen Job nur begrenzt geeignet. Wans Schiff konnte in den Ereignishorizont nicht eintreten und überleben. Es konnte nur einen Teil dorthin ausstrecken.
Das Schiff des Kapitäns war größer und stärker. Trotzdem wurden sie beim Durchgang durch den Ereignishorizont mit aller Gewalt schmerzhaft in die Gurte gepresst. Der diamantenhelle Korkenzieher blitzte. Große, dicke schweigende Funken sprühten durch die Kabine. Das Licht tat ihren Augen weh. Die heftige Bewegung marterte ihre Körper. Und das ging immer weiter. Der Mannschaft kam es nach ihrer Zeitrechnung länger als eine Stunde vor, allerdings war ihr subjektives Zeitempfinden eine merkwürdige Mischung aus dem normalen Tempo des Universums und dem verlangsamten Ablauf innerhalb des Schwarzen Loches.
Schließlich waren sie hindurch und draußen im freien All. Das schreckliche Taumeln hörte auf. Die blendende Helligkeit ging zurück. Vor ihnen erstrahlte die Galaxis, eine Samtkuppel, übersät von hellen, verwegenen Sternen. Sie waren noch zu tief innerhalb des Zentrums, um mehr als die gelegentlichen schwarzen Flecken sehen zu können.
»Allen Verstandeskräften sei Dank!«, rief der Kapitän aus, als er grinsend aus seinen Gurten stieg; er sah aus wie ein Totenkopf im Anatomischen Institut, wenn er grinste. »Ich glaube, wir haben es geschafft!« Die Mannschaft folgte seinem Beispiel und kletterte aus den Gurten. Sie plauderten fröhlich miteinander. Als sie aufstanden, um mit dem Sammeln der Daten zu beginnen, ergriff die knochige Hand des Kapitäns die von Twice und hielt sie fest. Es war ein Augenblick der Freude – so wie damals die Kapitäne der Walfänger sich gefreut hatten, wenn sie Kap Hoorn umfahren hatten, so wie die Pioniere mit ihren Planwagen aufatmeten, sobald sie die Ebenen von Oregon oder Kalifornien erreicht hatten. Die Gefahren und der Kampf waren aber nicht endgültig vorbei. Sie mussten alles noch einmal auf dem Weg zurück ins Innere durchstehen. Aber zunächst – für eine Woche oder länger – konnten sie sich ausruhen und ihre Daten sammeln. Das war der angenehme Teil der Expedition.
Oder hätte es sein sollen.
War es aber nicht. Als der Kapitän nämlich das Schiff sicherte und der Offizier, der Shoe hieß, die Kommunikationskanäle öffnete, flammten alle Sensoren an Bord violett auf. Die tausend automatischen Orbitstationen hatten alle große Neuigkeiten zu melden! Wichtige Neuigkeiten – schlechte Nachrichten! Alle Datenspeicher ratterten gleichzeitig los, um ihre schlechten Meldungen loszuwerden.
Bei den Hitschi herrschte betroffenes Schweigen. Dann gewann die Routine über den entsetzlichen Schock die Oberhand. Die Kabine des Hitschi-Schiffes füllte sich mit wirbelnder Aktivität. Empfangen und kollationieren, analysieren und vergleichen. Die Nachrichten häuften sich. Langsam entwickelte sich ein klares Bild.
Die letzte Datensammelexpedition hatte vor nur wenigen Wochen stattgefunden. Aber innerhalb des großen, zentralen Schwarzen Loches kroch die Zeit – es waren Dekaden, wenn man die Zeit im dahinrasenden Universum draußen maß! Aber dennoch, nicht viel Zeit! Nicht nach dem Maßstab der Sterne!
Und dennoch hatte sich die ganze Welt verändert.
F.: Was ist schlimmer als eine Voraussage, die nicht eintrifft?
A.: Eine Voraussage, die sich schneller als erwartet erfüllt.
Die Hitschi waren überzeugt, dass sich intelligentes und technologisches Leben in der Galaxis entwickeln würde. Sie hatten über ein Dutzend bewohnte Welten identifiziert – und nicht nur bewohnte, sondern auch in Bezug auf Intelligenz viel versprechende. Sie hatten für jede einzelne einen Plan entworfen.
Manche dieser Pläne waren fehlgeschlagen. Da gab es eine Spezies behaarter Vierfüßer auf einem feuchten und kalten Planeten so nahe am Orion-Nebel, dass dessen Aurora den Himmel füllte. Die kleinen und flinken Geschöpfe mit zierlichen Pfoten wie die eines Waschbären und Augen wie Lemuren würden eines Tages Werkzeuge entdecken. So dachten die Hitschi. Und dann auch Feuer und Farmen, Städte, Technologie und Raumfahrt. Das taten diese Wesen auch. Sie verwendeten alles, um ihren Planeten zu vergiften und ihre Arten zu dezimieren.
Es gab noch eine andere Rasse, mit sechs Gliedmaßen und Segmenten, die Ammoniak ein- und ausatmeten. Sehr viel versprechend, aber leider zu nahe an einem Stern, der zu einer Supernova wurde. Ende der Ammoniak-Atmer. Dann waren da noch die kalten, trägen, matschigen Wesen, die in der Hitschi-Geschichte einen besonderen Platz einnahmen. Sie hatten die schrecklichen Nachrichten verbreitet, welche die Hitschi in ihr Versteck gejagt hatten. Das allein reichte, um sie einzigartig zu machen. Und diese zeigten nicht nur viel versprechende Anlagen, sondern waren bereits intelligent. Und nicht nur intelligent, sondern auch zivilisiert! Technologie lag bereits in ihrer Reichweite. Aber sie stellten trotzdem krasse Außenseiter im galaktischen Rennen dar; denn ihr matschiger Stoffwechsel war einfach zu träge, um mit wärmeren, schnelleren Arten mithalten zu können.
Aber eines Tages würde eine Rasse ins All vordringen und überleben. Das hofften jedenfalls die Hitschi.
Sie fürchteten sich aber auch davor, da sie schon bei ihrem Rückzug wussten, dass eine Rasse, die sie erreichte, auch fähig war, sie zu überflügeln. Aber wie konnte diese Möglichkeit so nahe bevorstehen? Es waren doch erst sechzig Erdenjahre seit der letzten Überprüfung vergangen!
Dann hatten die weit entfernten Monitore, die um die Venus kreisten, den zweifüßigen Sapiens gezeigt. Seine Artgenossen gruben die verlassenen Hitschi-Tunnel aus und erforschten ihr kleines Sonnensystem mit Raumschiffen, die von chemischem Feuer angetrieben wurden. Entsetzlich primitiv, natürlich! Aber nicht ohne Zukunft! In ein oder zwei Jahrhunderten – höchstens vier oder fünf nach Meinung der Hitschi – würden sie den Gateway-Asteroiden entdecken. Und wieder ein oder zwei Jahrhunderte später würden sie anfangen, die Technologie zu verstehen …
Aber die Ereignisse hatten sich überstürzt! Die menschlichen Wesen hatten die Gateway-Schiffe gefunden, die Nahrungsfabrik – die riesige, weit entfernte Wohnanlage, in der die Hitschi die Exemplare der vielversprechendsten Rasse der Erde eingesperrt hielten, die Australopithekus-Gruppe. Alles war den Menschen zugefallen, und das war noch nicht das Ende.
Die Mannschaft des Kapitäns war gut ausgebildet. Nachdem die Daten gesammelt und durch die Geballten Gehirne gefiltert, dann tabellisiert und zusammengefasst worden waren, bereiteten die Spezialisten ihre Berichte vor. White-Noise war der Navigator. Es war seine Aufgabe, die Positionen aller aufgefangenen Quellen festzustellen und die Ortsdatenbank des Schiffes auf dem Laufenden zu halten. Shoe war der Kommunikationsoffizier, der am meisten zu tun hatte – mit Ausnahme vielleicht von Mongrel, dem weiblichen Integrator, die von Terminal zu Terminal flog und den Geballten Gehirnen Gegenkontrollen und Korrelationen zuflüsterte. Weder Burst, der Schwarze-Loch-Durchbruchsspezialist, noch Twice, deren Aufgabe die Fernsteuerung von Arbeitsgeräten war, waren im Augenblick mit ihren Spezialaufgaben beschäftigt. Sie halfen daher den anderen, ebenso der Kapitän. Seine Gesichtsmuskeln traten hervor und wanden sich wie Schlangen, als er auf die fertigen Berichte wartete.
Mongrel mochte ihren Kapitän. Deshalb gab sie ihm die harmloseren zuerst.
Erstens, dass die Gateway-Schiffe gefunden worden waren und benutzt wurden. Nun, das war in Ordnung! Das gehörte zu dem Plan, wenn es auch beunruhigend wirkte, dass es so früh geschehen war.
Zweitens war die Nahrungsfabrik gefunden worden und das Artefakt, das die Menschen Hitschi-Himmel nannten. Diese Nachrichten waren alt, jetzt schon Jahrzehnte alt. Auch nicht ernst. Trotzdem beunruhigend – eigentlich sogar sehr beunruhigend, weil der Hitschi-Himmel dazu dienen sollte, jedes Schiff, das dort anlegte, festzuhalten. Die Herstellung eines Zweiweg-Kontakts bedeutete eine höchst unerwartete Entwicklung bei diesen zweifüßigen Emporkömmlingen.
Drittens war da eine Nachricht von den Segelschiffleuten. Das brachte die Muskeln im Gesicht Kapitäns noch mehr in Bewegung. Es war eine Sache, ein Schiff in einem Sonnensystem zu finden – aber es im interstellaren Raum aufzuspüren, war doch ungemütlich beeindruckend.
Und viertens …
Viertens war da White-Noises Darstellung der gegenwärtigen Standorte aller bekannten Hitschi-Schiffe, die von Menschen bedient wurden. Als der Kapitän sie sah, schrie er vor Wut und Schock laut auf. »Vergleich das mit den verbotenen Zonen!«, befahl er. Sobald die Datenfächer eingelegt und die Bilder zusammen projiziert waren, bebten die Muskelstränge an seinen Wangen wie gezupfte Harfensaiten. »Sie erforschen Schwarze Löcher«, stellte er mit schwacher Stimme fest.
White-Noise nickte. »Das ist noch nicht alles«, sagte er. »Einige dieser Fahrzeuge tragen Unterbrecher. Sie können eindringen.« Mongrel fügte hinzu: »Es sieht nicht so aus, als würden sie die Gefahrenzeichen erkennen.«
Nachdem sie ihre Berichte vorgetragen hatten, warteten die Besatzungsmitglieder höflich. Jetzt war es das Problem des Kapitäns. Sie hofften stark, dass er auch in der Lage war, damit fertig zu werden.
Möglicherweise herrscht an dieser Stelle eine leichte Verwirrung, die ich beseitigen sollte. Robinette (und der gesamte Rest der menschlichen Rasse) nannte diese Leute Hitschi. Natürlich benutzten sie diesen Namen selbst ebenso wenig wie die eingeborenen Amerikaner sich als Indianer oder die afrikanischen Khoi-San Stämme sich als Hottentotten oder Buschmänner bezeichnen. In Wirklichkeit nannten sich die Hitschi die »Intelligenten«. Allerdings beweist das sehr wenig, wie man am Beispiel des Homo sapiens sieht.
Twice war eigentlich nicht wirklich in den Kapitän verliebt, weil es dafür auch noch zu früh war, wie sie als weibliches Wesen wusste. Aber bald. Wahrscheinlich schon innerhalb der nächsten Tage. Zusätzlich zu diesen erschreckenden und unerwarteten Neuigkeiten kam für sie auch noch die Sorge um den Kapitän. Er steckte bis über beide Ohren in Schwierigkeiten. Und obwohl es noch nicht Zeit war, streckte sie ihre schmale Hand aus und legte sie über die seine. Der Kapitän war so in Gedanken versunken, dass er es gar nicht bemerkte, sondern sie nur geistesabwesend streichelte.
Shoe schnüffelte, was für Hitschi so viel wie räuspern bedeutete, ehe er fragte: »Wollen Sie mit den Geballten Gehirnen Kontakt aufnehmen?«
»Nicht jetzt«, zischte der Kapitän und rieb sich mit der freien Faust die Rippen, was ein kratzendes Geräusch verursachte, das in der Stille der Kabine deutlich hörbar war. Ihm wäre es jetzt viel lieber gewesen, zurück in sein Schwarzes Loch im Kern der Galaxis zu kriechen und sich die Sterne über den Kopf zu ziehen. Das war aber nicht möglich. Das Nächstbeste wäre es, in denselben sicheren, friedlichen Kern zu fliehen und seinen Vorgesetzten Meldung zu erstatten. Dann konnten die Autoritäten die Entscheidungen fällen. Sie konnten sich dann mit den Geballten Gehirnen der Vorfahren, die sich begierig einmischen würden, befassen. Sie konnten beschließen, was zu tun war – wenn möglich mit einem anderen Hitschi-Kapitän samt Mannschaft, die man in diesen grauenvoll schnellen Raum hinausschicken konnte, um die Befehle auszuführen. Das war ein möglicher Ausweg, aber der Kapitän war zu gut ausgebildet, um sich einen leichten Ausweg zu gestatten. Er war am Schauplatz; deshalb musste er auch reagieren. Wenn er sich irrte – dann, gute Nacht, armer Kapitän! Das würde Konsequenzen nach sich ziehen. Er würde gemieden werden. Das war das Mindeste und eigentlich nur die Strafe für kleinere Vergehen. Für gröbere wurde man sozusagen die Treppe hinaufgestoßen – und der Kapitän war keineswegs begierig, der mächtigen Masse gespeicherter Gehirne anzugehören, die alle von seinen Vorfahren stammten.
Er zischte sorgenvoll und fällte seine Entscheidung. »Informiere die Geballten Gehirne«, befahl er.
»Nur informieren? Keine Empfehlungen anfordern?«, fragte Shoe.
»Nur informieren! Bereite ein Fernlenkflugzeug vor und schicke es mit einem Doppel aller Daten zurück zur Basis.« Das richtete sich an Twice, die seine Hand losließ und begann, ein kleines Nachrichtenfahrzeug zu programmieren. Schließlich wandte er sich an White-Noise. »Nimm Kurs auf den Abfangpunkt für das Segelschiff!«
Es war bei den Hitschi nicht üblich, beim Empfangen eines Befehls zu salutieren. Es war auch nicht üblich, darüber zu diskutieren. Man konnte das Ausmaß der Verwirrung an Bord dieses Schiffes nur daran ablesen, dass White-Noise fragte: »Sind Sie sicher, dass wir das tun sollen?«
»Mach’s!«, schnaubte der Kapitän und zuckte verärgert zusammen.
Es war eigentlich nicht ein Zucken, sondern eine schnelle Kontraktion seines harten, kugelförmigen Abdomens. Twice starrte bewundernd auf die niedliche Ausbuchtung und sah, wie die zähen, langen Sehnen und Muskelstränge sich von den Schultern zu den Handgelenken hinabzogen. Man hätte sie fast mit den Fingern ganz umschließen können!
Zu ihrem Schreck erkannte Twice, dass ihre Zeit für die Liebe näher war, als sie gedacht hatte. Wie unpraktisch! Der Kapitän würde ebenso ärgerlich sein wie sie, da sie eigens für anderthalb Tage Pläne geschmiedet hatten. Twice öffnete den Mund, um es ihm zu sagen, machte ihn aber wieder zu. Jetzt war nicht der Augenblick, ihn damit zu belasten. Er schloss gerade die Gedankenvorgänge ab, die seine Wangenmuskeln arbeiten ließen. Finster dreinblickend bereitete er sich darauf vor, seine Befehle zu erteilen.
Der Kapitän hatte dabei jede Menge Unterstützung. In der Galaxis gab es mehr als tausend geschickt getarnte Hitschi-Artefakte. Sie waren – anders als auf Gateway – nicht dazu bestimmt, früher oder später entdeckt zu werden. Sie waren auf nicht viel versprechend aussehenden Asteroiden versteckt, die sich auf unzugänglichen Umlaufbahnen, zwischen den Sternen oder zwischen Anhäufungen anderer Objekte in Staub- oder Gaswolken befanden. »Twice«, befahl er, ohne sie anzusehen. »Aktiviere ein Befehlsschiff! Wir werden uns mit ihm am Segelschiffpunkt treffen.«
Sie war durcheinander, wie er bemerkte. Das tat ihm Leid, überraschte ihn aber nicht – um ehrlich zu sein, auch er war durcheinander! Er ging zurück zum Kommandoplatz und ließ seine Beckenknochen auf die vorstehenden Y-Flansche sinken. Der Beutel mit dem Lebenserhaltungssystem passte genau in den freien Winkel dazwischen.
Da bemerkte er, dass sein Kommunikationsoffizier sich mit besorgtem Gesicht zu ihm herunterbeugte. »Ja, Shoe? Was ist los?«
Shoes Bizeps bog sich ehrerbietig. »Die …«, stammelte er. »Die … die Meuchelmörder …«
Dem Kapitän schoss die Angst wie ein Elektroschock durch und durch. »Die Assassinen?«
»Ich glaube, es besteht die Gefahr, dass sie aufgescheucht werden«, vermutete Shoe bedrückt. »Die Eingeborenen unterhalten sich über Nullgeschwindigkeitsfunk.«
»Unterhalten? Willst du damit sagen, sie senden Nachrichten? Wen meinst du überhaupt? – Geballte Gehirne!«, schrie der Kapitän und sprang aus seinem Sitz hoch. »Du glaubst, dass die Eingeborenen Nachrichten über galaktische Entfernungen senden?«
Shoe ließ den Kopf hängen. »Ich befürchte, ja, Kapitän. Ich weiß natürlich noch nicht, was sie sagen … aber die Kommunikation ist sehr rege.«
Der Kapitän schüttelte kraftlos die Fäuste, um zu zeigen, dass er nichts mehr hören wollte. Nachrichten senden! Quer durch die Galaxis! Wo jeder zuhören konnte! Wo besonders gewisse Leute, von denen die Hitschi hofften, dass sie nicht aufgescheucht würden, zuhören konnten. Und darauf reagierten! »Stelle sofort Übersetzungsmatrizen mit den Gehirnen her!«, befahl er. Dann ließ er sich trübsinnig wieder in den Sitz sinken.
Diese Mission war verhext. Der Kapitän machte sich keine Hoffnungen mehr auf eine Vergnügungsreise, ja nicht einmal mehr auf die Genugtuung, eine kleinere Aufgabe gut zu lösen. Für ihn gab es jetzt nur die eine große Frage: Wie komme ich durch die nächsten Tage?
Aber bald würden sie in das haifischförmige Befehlsschiff einlaufen, das schnellste der Hitschi-Flotte, mit sehr viel Technik ausgestattet. Dann würden seine Aussichten steigen. Es war nicht nur größer und schneller, es trug auch eine Reihe von Geräten, die es auf seinem jetzigen Durchbrecher nicht gab. Ein TPSE. Lochschneider wie die, welche seine Vorfahren benutzt hatten, um den Gateway-Asteroiden und die Gänge in der Venus auszuhöhlen. Ferner eine Vorrichtung, mit deren Hilfe man in die Schwarzen Löcher eindringen konnte, um zu sehen, was es dort zu holen gab – es lief ihm kalt über den Rücken. Möge es den Geballten Gehirnen der Vorfahren nicht einfallen, das einzusetzen! Aber es würde zu seiner Verfügung stehen. Und er würde noch tausend andere nützliche Ausrüstungsgegenstände haben …
Allerdings nur, wenn man davon ausging, dass das Schiff noch einsatzfähig war und sie am Rendezvous-Punkt treffen würde.
Die Artefakte, die die Hitschi zurückgelassen hatten, waren wirksam, stark und langlebig. Sie waren so gebaut, dass sie, von Unfällen abgesehen, wenigstens zehn Millionen Jahre überdauerten.
Aber Unfälle ließen sich nicht vermeiden. Eine nahe Supernova, ein kaputtes Teil, sogar ein zufälliger Zusammenstoß mit einem anderen Objekt – man konnte die Artefakte zwar gegen fast alle Risiken panzern, aber nach unendlicher, astronomischer Zeitrechnung ist »fast alles« kaum mehr als »nichts«.
Wenn das Befehlsschiff nun versagte? Und wenn es kein anderes gab, das Twice erreichen und zum Rendezvous führen konnte?
Die Hitschi lernten schon recht früh in ihrer technischen Entwicklung, die Intelligenzen von toten oder sterbenden Hitschi in nichtorganischen Systemen zu speichern. Auf diese Weise wurden auch die Toten Menschen gelagert, die dem Knaben Wan Gesellschaft leisteten. Es war eine Anwendung dieser Technologie, die zu Robins Jetzt-und-Später-Firma führte. Für die Hitschi mag das ein Fehler gewesen sein (wenn ich hier eine möglicherweise nicht unvoreingenommene Meinung äußern darf). Da sie in der Lage waren, sich der toten Gehirne ihrer Hitschi-Vorfahren zu bedienen, um Daten zu speichern und auszuwerten, waren sie auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz-Systeme nicht sehr gut, die weit mehr ausrichten können und auch flexibler sind. Wie – nun ja – wie ich.
Der Kapitän ließ sich tief in diese deprimierenden Vorstellungen fallen. Es gab einfach zu viele Wenns. Und die Konsequenzen aus jedem dieser Wenns waren einfach zu unangenehm, um sie sich vor Augen zu führen.
Es war nicht ungewöhnlich für den Kapitän oder andere Hitschi, deprimiert zu sein. Sie hatten es sich auch ehrlich verdient.
Als Napoleons Große Armee aus Moskau zurückkroch, waren ihre Feinde kleine, angriffslustige Kavallerietrupps, der russische Winter – und Verzweiflung.
Als Hitlers Wehrmacht sich hundertdreißig Jahre später ebenfalls geschlagen aus Russland zurückziehen musste, waren die Hauptschrecken die sowjetischen Panzer und die Artillerie, der russische Winter – und wieder Verzweiflung. Sie wich geordneter und mit größeren Verlusten für den Feind zurück, nicht aber mit größerer oder geringerer Verzweiflung. Jeder Rückzug ist eine Art Leichenzug, und der Verstorbene ist die Zuversicht. Die Hitschi hatten zuversichtlich erwartet, eine Galaxis zu erobern. Als sie sich ihr Versagen eingestehen mussten und mit dem riesigen, interstellaren Rückzug begannen, war das Ausmaß ihrer Niederlage gewaltiger als irgendetwas, das die Menschheit je gekannt hatte. Und die Verzweiflung schlich sich in alle Hitschi-Seelen.
Die Hitschi spielten ein äußerst kompliziertes Spiel. Man hätte es einen Mannschaftssport nennen können. Allerdings waren sich nur einige der Spieler bewusst, zur Mannschaft zu gehören. Die Strategie war begrenzt. Nur das Ziel des Spiels stand fest: Wenn sie als Rasse überleben konnten, würden sie gewinnen.
Aber auf dem Spielfeld bewegten sich so viele Figuren! Und die Hitschi hatten so wenig Kontrolle. Sie konnten das Spiel eröffnen. Griffen sie aber danach direkt ins Spielgeschehen ein, stellten sie sich bloß. Und damit wurde das Spiel gefährlich.
Jetzt war der Kapitän am Zug. Er kannte das Risiko, auf das er sich einließ. Er konnte der Spieler sein, der für die Hitschi das Spiel ein für alle Mal verlor.
Seine erste Aufgabe war es, das Versteck der Hitschi so lange wie möglich geheim zu halten. Das bedeutete, etwas gegen die Segelschiffleute zu unternehmen.
Das bereitete ihm am wenigsten Sorgen. Die zweite Aufgabe war es, die wirklich zählte. Das gestohlene Schiff hatte Geräte an Bord, mit denen es die Hülle um das Hitschi-Versteck durchdringen konnte. Es konnte zwar nicht hinein, aber es konnte hineinschauen. Und das war schlimm genug. Noch schlimmer war es, dass dieselben Geräte beinahe jede Ereignisdiskontinuität durchdringen konnten, selbst die, in welche nicht einmal die Hitschi selbst einzudringen wagten. Die, deren Durchbruch sie mit Gebeten abzuwenden versuchten, da sich dahinter das Ding befand, das sie am meisten fürchteten.
Der Kapitän saß nun am Steuer seines Schiffes, während die leuchtende Silikatwolke, die den Kern einhüllte, hinter ihm immer kleiner wurde. Unterdessen zeigten sich bei Twice die Anzeichen der Anspannung, die sie bald bis an die Grenzen fordern sollte. Unterdessen krochen die kalten, matschigen Segelschiffleute durch ihr langes und langsames Leben dahin. Und unterdessen näherte sich das einzige von Menschen bemannte Raumschiff im Universum, das etwas hätte unternehmen können, wieder mal einem neuen Schwarzen Loch …
Und unterdessen sahen die anderen Spieler auf diesem großen Brett, Audee Walthers und Janie Yee-xing, wie die Stapel ihrer Chips immer kleiner wurden, während sie darauf warteten, ihr eigenes privates Spielchen zu spielen.