»Ich komme mir ziemlich albern vor, Sigfrid«, sage ich.
»Kann ich irgendetwas tun, damit du dich wohler fühlst?«
»Du kannst tot umfallen.« Er hat den ganzen Raum wie eine Kinderkrippe gestaltet, Menschenskind. Und das Schlimmste ist Sigfrid selbst. Diesmal versucht er es als Mutter-Surrogat. Er liegt mit mir auf der Matte, eine große, ausgestopfte Puppe, menschengroß, warm, weich, wie ein mit Schaumgummi gefülltes Handtuch. Es fühlt sich gut an, aber … »Ich will nicht, dass du mich wie ein Baby behandelst«, sage ich mit gedämpfter Stimme, weil ich mein Gesicht an den Stoff presse.
»Enspann dich, Robbie. Alles ist gut.«
»Dass ich nicht lache!«
Er macht eine Pause, dann sagt er: »Du wolltest mir von deinem Traum erzählen.«
»Uah.«
»Wie bitte, Robbie?«
»Ich meine, ich will nicht darüber reden. Aber ich kann ja tun, was du willst«, sage ich. »Es ging um Sylvia, sozusagen.«
»Sozusagen, Robbie?«
»Nun, sie sah nicht aus wie Sylvia. Eher wie … ich weiß nicht, eine ältere Frau, glaube ich. Ich habe seit Jahren eigentlich nicht mehr an Sylvia gedacht. Wir waren beide Halbwüchsige …«
»Bitte, sprich weiter, Robbie.«
Ich lege die Arme um ihn und blicke ganz zufrieden auf die Wand mit den Zirkustieren und Clowns.
»Der Traum, Robbie?«
»Ich habe geträumt, wir arbeiteten in den Gruben. Es waren eigentlich nicht die Nahrungsgruben, eher wie in einem Fünfer – einem Gateway-Schiff, verstehst du? Sylvia war in einer Art Tunnel, der von dort ausging.«
»Der Tunnel ging von dort aus?«
»Dräng mich jetzt nicht ins Symbolische ab, Sigfrid. Ich weiß Bescheid über Vaginalsymbole und dergleichen. Ich meine, der Tunnel begann da, wo ich war, und führte in eine andere Richtung weiter. Dann stürzte ihr Tunnel ein. Sylvia saß in der Falle.«
Ich setzte mich auf.
»Was dabei nicht stimmt, ist, dass das gar nicht sein kann«, erkläre ich. »Man bohrt Tunnels nur, um Sprengladungen anzubringen, die den Schiefer lockern. Der eigentliche Abbau wird mit Baggern gemacht. Sylvia hätte nie in eine solche Lage geraten können.«
»Ich glaube nicht, dass es eine Rolle spielt, ob das wirklich hätte geschehen können, Robbie.«
»Mag sein. Jedenfalls lag Sylvia im eingestürzten Tunnel. Ich konnte sehen, wie der Schiefer sich bewegte. Es war nicht wirklich Schiefer. Es war dünnes Zeug, eher wie Papierabfall. Sie hatte eine Schaufel und grub sich aus. Ich dachte, es geht gut. Ich wartete auf sie … aber sie kam nicht heraus.«
In den Löchern dort, wo die Hitschi versteckt,
dort in den Höhlen der Sterne,
durch die Tunnels gleitend, die wir entdeckt,
heilen die Wunden gerne.
Wir machen den Stich!
Kleiner, verlor’ner Hitschi, wir suchen dich.
Sigfrid liegt in seiner Inkarnation als Teddybär warm und wartend in meinen Armen. Es tut gut, ihn zu spüren. Natürlich ist er nicht richtig da. Er ist eigentlich nirgends, außer vielleicht in den zentralen Datenspeichern in Washington Heights, wo die großen Maschinen stehen.
»Sonst noch etwas, Robbie?«
»Eigentlich nicht. Zumindest gehört es nicht zum Traum. Oder doch … nun, ich habe ein Gefühl. Es kommt mir vor, als hätte ich Klara einen Fußtritt an den Kopf versetzt, damit sie nicht herauskommt. So, als hätte ich Angst, der Rest des Tunnels könnte auf mich stürzen.«
»Was meinst du mit ›Gefühl‹, Robbie?«
»Was ich gesagt habe. Es gehört nicht zum Traum. Es war nur so, dass ich fühlte … ich weiß nicht.«
Er wartet, dann versucht er es auf andere Weise.
»Bob. Ist dir klar, dass du eben ›Klara‹ und nicht ›Sylvia‹ gesagt hast?«
»Wirklich? Komisch. Möchte wissen, warum.«
Er wartet, gibt einen kleinen Anstoß.
»Was geschah dann?«
»Dann wachte ich auf. Das war alles. Du langweilst mich, Sigfrid. Wirklich. Ich werde wütend. Woran kann das liegen?«
»Was glaubst du wohl, Rob?«
»Wenn ich es wüsste, brauchte ich dich nicht zu fragen.«
»Sag mir nur, was du fühlst.«
»Schuld«, antworte ich sofort.
»Weshalb?«
»Ich … ich weiß nicht genau. Hör zu, ich glaube, ich sollte heute früher gehen, Sigfrid.«
»Schuld wofür?«
»Ich erinnere mich nicht genau.«
»Schuld wofür, Rob?«
»Dass ich sie ermordet habe, du Saukerl!«, schreie ich.
»In deinem Traum, meinst du?«
»Nein! Wirklich! Zweimal!«
Ich weiß, dass ich schwer atme und Sigfrids Sensoren das aufzeichnen. Ich bemühe mich um Fassung.
»Ich habe Sylvia nicht wirklich ermordet, meine ich. Aber ich habe es versucht! Ich bin mit dem Messer auf sie losgegangen!«
»In deiner Fallgeschichte steht, du hättest ein Messer in der Hand gehabt, als du mit deiner Freundin einen Streit hattest, ja«, sagt Sigfrid ruhig. »Nichts von ›losgegangen‹.«
»Warum, glaubst du, haben die mich eingesperrt? Es war nur Glück, dass ich ihr nicht die Kehle durchgeschnitten habe.«
»Hast du das Messer überhaupt gegen sie eingesetzt?«
»Eingesetzt? Nein. Ich war zu wütend. Ich warf es auf den Boden, stand auf und schlug zu.«
»Hättest du, wenn du sie wirklich ermorden wolltest, nicht das Messer genommen?«
»A-ach! Wenn du nur dabei gewesen wärst, Sigfrid. Vielleicht hättest du ihnen ausreden können, dass sie mich einsperren.« Ich atme tief ein. »Sigfrid«, sage ich, »für einen Computer bist du ganz nett, und die Sitzungen mit dir machen mir vom Verstand her Spaß. Aber ich weiß nicht, ob wir nicht schon alles ausgeschöpft haben, was wir miteinander erreichen können. Du bringst nur alten, unnötigen Schmerz an die Oberfläche, und ich weiß einfach nicht, warum ich mir das gefallen lasse.«
»Deine Träume sind voll von Schmerz, Bob.«
»Dann lass ihn in meinen Träumen. Ich will nicht mehr den alten Quatsch vom Institut hören. Vielleicht möchte ich mit meiner Mutter schlafen, vielleicht hasse ich meinen Vater, weil er gestorben ist und mich verlassen hat. Na und?«
»Ich weiß, Bob, aber mit diesen Dingen wird man nur fertig, wenn man sie an die Oberfläche bringt.«
»Wozu? Damit es mir wehtut?«
»Damit der innere Schmerz heraufkommt und man mit ihm fertig werden kann.«
»Vielleicht wäre es einfacher, wenn ich mich damit abfände, dass es mir innerlich immer ein wenig wehtut. Ich kompensiere gut, hast du gesagt, nicht? Ich bestreite nicht, dass ich von den Sitzungen hier etwas gehabt habe. Manchmal merke ich das. Aber nicht in letzter Zeit. In letzter Zeit finde ich alles ganz langweilig und unproduktiv. Was würdest du sagen, wenn ich dir erkläre, dass ich aufhören will?«
»Ich würde sagen, dass die Entscheidung bei dir liegt, Bob, wie immer.«
»Nun, vielleicht höre ich wirklich auf.« Der alte Teufel wartet wieder. Er weiß, dass ich das nicht tun werde, und er lässt mir Zeit, das zu begreifen. Dann sagt er: »Bob? Warum hast du gesagt, du hättest sie zweimal ermordet?«
Ich schaue auf die Uhr, bevor ich antworte, dann sage ich: »Das war wohl nur ein Versprecher. Ich muss jetzt wirklich gehen, Sigfrid.«
Ich verzichte auf die Zeit im Erholungsraum, weil es nichts gibt, wovon ich mich eigentlich erholen müsste. Außerdem will ich einfach weg von dort. Er mit seinen blöden Fragen. Er tut so weise und überlegen, aber was weiß schon ein Teddybär?