Bemerkungen über Explosionen
Dr. Asmenion: Wenn Sie gute Messungen einer Nova oder noch besser einer Supernova mitbringen, ist das natürlich viel wert. Während des Ablaufs, meine ich. Später nützt es nicht viel. Und suchen Sie immer Ihre eigene Sonne, und wenn Sie sie identifizieren können, nehmen Sie auf, so viel Sie können, auf allen Frequenzen, in der unmittelbaren Umgebung – bis zu, na, ungefähr fünf Grad jeweils. Mit größtmöglicher Vergrößerung.
Frage: Weshalb das, Danny?
Dr. Asmenion: Nun, vielleicht befinden Sie sich auf der anderen Seite der Sonne bei Tychos Stern oder dem Crabnebel, den Überresten der Supernova 1054 im Stier. Und vielleicht bekommen Sie ein Bild davon, wie der Stern aussah, bevor er explodierte. Das müsste, tja, ich weiß nicht, auf Anhieb fünfzig- oder hunderttausend wert sein.
Ich scheuchte sie mit einer Hand weg, die andere an der Nase, um das Blut zurückzuhalten.
»Was? Ich meine, wie hieß er?«
Sie schob meine Hand weg und betupfte meine Nase.
»Ich weiß nicht – ach, warten Sie mal. Sie waren im gleichen, vom Pech verfolgten Schiff, nicht?«
»Das versuche ich herauszubekommen. War es Sam Kahane?«
Sie wurde plötzlich menschlicher. »Tut mir Leid, mein Lieber«, sagte sie. »Ich glaube, so hieß er. Sie wollten ihm eine Beruhigungsspritze geben, und er nahm dem Arzt die Spritze weg und – nun, er erstach sich damit.«
Wirklich ein verkorkster Tag.
Sie konnte mich endlich kauterisieren.
»Ich stopfe nur wenig hinein«, sagte sie. »Morgen können Sie das Zeug selbst herausziehen. Aber langsam, und wenn es eine Blutung gibt, kommen Sie sofort her.«
Ich schlich hinauf zu Klara, um mich umzuziehen, und der Tag blieb weiter mies.
»Scheiß-Zwilling«, fauchte sie mich an. »Das nächste Mal fliege ich mit einem Stier wie diesem Metschnikow.«
»Was ist denn, Klara?«
»Sie haben uns eine Prämie gegeben. Zwölf fünf! Mensch! Ich gebe meinem Hausmädchen mehr Trinkgeld.«
»Woher weißt du das?« Ich hatte $ 12 500 schon durch fünf geteilt und mich in dem selben Sekundenbruchteil gefragt, ob sie nicht unter den jetzigen Umständen durch vier geteilt werden mussten.
»Vor zehn Minuten haben sie angerufen. Du lieber Gott. Der übelste Flug, an dem ich je teilgenommen habe, und ich bekomme den Gegenwert eines grünen Jetons im Kasino.« Dann betrachtete sie mein Hemd und wurde ein wenig weicher. »Na, du kannst nichts dafür, Bob, aber Zwillinge können sich nie entschließen. Das hätte ich wissen müssen. Mal sehen, ob ich was Sauberes für dich finde.«
Ich blieb trotzdem nicht, nahm mein Zeug, benützte einen Fallschacht, brachte meine Sachen im Registerbüro unter, wo ich mein Zimmer zurückbekam, und telefonierte dort.
Metschnikow murrte, war aber schließlich bereit, sich mit mir im Klassenzimmer zu treffen. Ich war natürlich vor ihm da. Er blieb stehen, schaute sich um und fragte: »Wo ist Wie-heißt-sie-gleich?«
»Klara Moynlin. In ihrem Zimmer.«
»Hm.« Er rieb sich das Kinn. »Na, kommen Sie mit.« Über die Schulter sagte er: »Sie hätte übrigens wohl mehr davon als Sie.«
»Kann sein, Dane.«
»Hm.« Er zögerte an der Bodenwölbung, dem Eingang zu einem der Übungsschiffe, dann zuckte er die Achseln, öffnete die Luke und kletterte hinunter.
Als ich nachkam, kauerte er schon vor dem Kurssetzer und stellte Zahlen ein. Er hatte ein tragbares Terminal des Hauptcomputers der Gesellschaft in der Hand; ich wusste, dass er einen der bekannten Kurse eingab, und wunderte mich nicht, als er fast augenblicklich Farbe bekam. Er drückte auf die Feineinstellung und wartete, bis die ganze Konsole rosarot aufleuchtete.
»Gut«, sagte er. »Klare Einstellung. Jetzt sehen Sie sich den unteren Teil des Spektrums an.«
Das war der kleinere Streifen Regenbogenfarben an der rechten Seite, Rot bis Violett. Die Farben gingen ohne Unterbrechung ineinander über, bis auf vereinzelte grellbunte oder schwarze Linien. Sie sahen genauso aus wie das, was die Astronomen ›Fraunhofersche Linien‹ nennen, wenn sie einen Planeten oder Stern nur durch ein Spektroskop studieren können. Es waren aber keine. Fraunhofer-Linien zeigen, welche Elemente in einer Strahlungsquelle (oder in etwas, das sich zwischen Strahlungsquelle und Beobachter befindet) vorhanden sind. Die hier zeigten … weiß Gott was.
Gott und vielleicht Metschnikow wussten es. Er lächelte beinahe und war überraschend gesprächig.
»Das Band von drei dunklen Linien im Blau«, sagte er. »Sie scheinen mit der Gefährlichkeit der Mission zusammenzuhängen. Jedenfalls zeigen das die Computerausdrucke. Wenn sechs oder mehr Bänder da sind, kommen die Schiffe nicht zurück.«
Er hatte meine volle Aufmerksamkeit.
»Menschenskind! Warum bringt man uns das denn nicht im Lehrgang bei?«, fragte ich.
»Broadhead, machen Sie sich nicht lächerlich. Das ist alles ganz neu. Und vieles beruht auf Vermutungen. Die Beziehung zwischen der Linienzahl und der Gefahr ist bei weniger als sechs nicht so eindeutig. Ich meine, wenn man unterstellen wollte, dass eine Linie für jeden zusätzlichen Gefahrengrad hinzugefügt wird, ist das falsch. Die besten Aussichten scheinen bei einem oder zwei Bändern zu bestehen. Drei ist auch noch gut – aber es hat ein paar Verluste gegeben. Bei Null hatten wir ebenso viel wie bei drei.«
»Warum fliegen wir dann nicht einfach Ziele an, die sicherer sind?«
»Wir wissen eben nicht genau, ob sie es sind. Mit einem gepanzerten Schiff sollte man außerdem mehr Risiken eingehen können als mit einem einfachen. Sehen Sie da, im gelben Bereich.« Er wies auf fünf grelle Bänder. »Diese Merkmale scheinen mit dem Erfolg der Missionen zusammenzuhängen. Weiß Gott, was wir – oder die Hitschi – da messen, aber was den finanziellen Ertrag für die Besatzungen betrifft, besteht eine enge Beziehung zwischen der Anzahl der Linien in dieser Frequenz und der Summe, die an die Besatzungen ausbezahlt wird.«
»Mensch!«
»Die Hitschi haben natürlich keine Skala dafür eingebaut, wie viel Tantiemen Sie oder ich verdienen könnten. Damit muss etwas anderes gemessen werden. Vielleicht die Bevölkerungsdichte oder die technologische Entwicklung. Vielleicht ist es ein Guide Michelin, und sie wollen nur sagen, dass es hier ein Vier-Sterne-Restaurant gibt. Aber so steht es. Expeditionen mit fünf gelben Linien bringen im Durchschnitt fünfzigmal so viel Geld wie solche mit zwei Linien, und zehnmal so viel wie die meisten anderen ein.«
Ich stand auf.
»Eine Frage, Dane. Sie haben vermutlich einen Grund, warum Sie mir das alles sagen, bevor es allgemein bekannt wird. Also?«
»Ich möchte Wie-heißt-sie-gleich in der Besatzung, wenn ich einen Dreier oder Fünfer fliege.«
»Klara Moynlin.«
»Ist ja egal. Sie findet sich gut zurecht, braucht nicht viel Platz, kommt mit den Leuten besser aus als ich. Aber nur, wenn ich einen Dreier oder Fünfer nehme. Wenn ich einen Einer finde, fliege ich mit dem. Sonst muss jemand dabei sein, der sich auskennt, mir nicht in die Quere kommt, mit einem Schiff umgehen kann. Sie können auch mitfliegen, wenn Sie wollen.«
Als ich in mein Zimmer zurückkam, tauchte Shicky auf, bevor ich noch richtig ausgepackt hatte. Er drückte mir sein Mitgefühl aus, auch für Sam Kahane.
Ich erzählte ihm alles, was Dane Metschnikow mir anvertraut hatte.
Er lauschte mit funkelnden Augen.
»Wie interessant!«, sagte er. »Ich habe Gerüchte vernommen, dass neue Unterweisungen vorbereitet werden. Stellen Sie sich nur vor, wenn wir ohne Todesangst oder …«
»So gewiss ist das nicht, Shicky.«
»Nein, sicher nicht. Aber eine Verbesserung, oder?« Er sah mir zu, wie ich seinen Tee trank. »Bob, wenn Sie so eine Reise machen und noch jemanden brauchen … Nun, in einem Landefahrzeug würde ich nicht viel taugen, aber in der Umlaufbahn bin ich so gut wie jeder andere.«
»Das weiß ich, Shicky.« Ich bemühte mich um Takt. »Weiß es die Gesellschaft auch?«
»Man würde mich mitfliegen lassen, wenn sonst keiner mitmöchte.«
»Verstehe.«
Er machte mir Platz, während ich einräumte, und wir sprachen über gemeinsame Freunde. Sheris Schiff war bisher nicht zurückgekommen. Natürlich noch kein Grund zur Besorgnis. Ein kongolesisches Paar hatte eine große Menge Gebetsfächer von einem bislang unbekannten Hitschi-Tunnel auf einem Planeten um einen F 2-Stern im Orion-Spiralarm mitgebracht. Es hatte eine Million Dollar durch drei Personen geteilt und war nach Afrika zurückgegangen. Die Forehands …
Louise Forehand kam in diesem Augenblick ins Zimmer.
»Hab’ eure Stimmen gehört«, sagte sie und küsste mich. »Sschlimm, euer Flug!«
»So geht das eben.«
»Trotzdem willkommen. Ich hatte nicht mehr Glück. Soll ich eine Begrüßungsfeier machen? Oder …«
»Gern«, nickte ich. Das Gerücht über Klara und mich hatte sich wohl schon herumgesprochen. Sie verschwand nach ein paar Minuten wieder. »Nette Frau«, sagte ich zu Shicky. »Nette Familie. Hat sie Sorgen?«
»Das fürchte ich, Robinette, ja. Ihre Tochter Lois ist überfällig. Die Familie hat viel mitgemacht. Nein, nein, nicht Willa oder der Vater. Sie sind unterwegs, aber nicht überfällig. Sie hatten auch einen Sohn.«
»Ich weiß. Henry, glaube ich. Sie nannten ihn Hat.«
»Er starb, kurz bevor sie herkamen. Und jetzt Lois. Bob, ich muss wieder an die Arbeit.«
»Was machen die Efeupflanzen?«
»Die betreue ich nicht mehr. Emma war nicht zufrieden.«
»So? Was machen Sie denn nun?«
»Ich halte Gateway sauber«, erwiderte er. »Sie würden es ›Müllmann‹ nennen.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Schon gut, Bob. Es macht mir wirklich Spaß. Aber – bitte, wenn Sie ein Besatzungsmitglied brauchen, denken Sie an mich.«
Ich holte meine Prämie ab und bezahlte meine Kopfsteuer für drei Wochen im Voraus. Ich kaufte ein paar Sachen, die ich brauchte – neue Kleidung und Musikbänder, um Mozart und Palestrina aus den Ohren zu bekommen. Danach hatte ich noch ungefähr zweihundert Dollar.
Das war so viel wie gar nichts. Zwanzig Drinks in der ›Blauen Hölle‹ oder ein Jeton am Blackjack-Tisch, oder ein halbes Dutzend ordentliche Mahlzeiten außerhalb der Kantinen.
Ich rief Klara an. Sie wirkte wachsam, aber freundlich. Ich sprach nicht von der Party, und sie sagte nichts davon, dass sie mich an diesem Abend sehen wollte. Das war mir recht. Ich brauchte Klara nicht. Auf der Party lernte ich eine Neue kennen, die Doreen Mackenzie hieß, mindestens zwölf Jahre älter als ich und schon fünfmal draußen. Das Aufregende an ihr war, dass sie einen großen Erfolg gehabt hatte. Eineinhalb Millionen. Sie war nach Atlanta zurückgegangen und hatte alles ausgegeben, um eine Karriere als PV-Sängerin zu finanzieren. Als es nicht geklappt hatte, war sie nach Gateway zurückgekommen, um es noch einmal zu versuchen. Außerdem war sie sehr, sehr hübsch.
Aber zwei Tage später rief ich Klara wieder an. Sie sagte: »Komm herunter«, und es klang besorgt. Ich war in zehn Minuten bei ihr, fünf Minuten später lagen wir im Bett. Ich hatte zwar Doreen kennen gelernt, aber sie war keine Klara.
Hinterher gähnte Klara, fuhr mit den Fingern durch meine Haare und starrte mich an.
»Ach, Scheiße«, sagte sie schläfrig. »Das nennt man wohl verliebt sein.«
Ich war galant. »Du bist eben das Zentrum meines Lebens.«
Sie schüttelte den Kopf. »Manchmal kann ich dich nicht ausstehen. Schützen und Zwillinge vertragen sich nie.«
»Wenn du nur den Quatsch lassen könntest.«
Sie war nicht beleidigt. »Gehen wir essen?«
Ich stand auf. »Liebe Klara«, sagte ich, »schau, ich kann mich von dir nicht aushalten lassen, weil du mir das früher oder später vorwirfst – oder, wenn nicht, dann rechne ich immer damit und bin ekelhaft zu dir. Und ich habe einfach das Geld nicht. Wenn du nicht in der Kantine essen willst, geh allein. Ich kann auch deine Zigaretten, deinen Schnaps und deine Jetons im Kasino nicht annehmen. Wenn du etwas essen willst, gut, dann treffen wir uns später. Vielleicht können wir spazieren gehen.«
Sie seufzte.
»Zwillinge können nie mit Geld umgehen, aber im Bett sind sie prima«, sagte sie.
Wir zogen uns an und gingen essen, aber in der Kantine, wo man sich ein Tablett holt und im Stehen isst. Das Essen ist nicht schlecht, wenn man nicht daran denkt, woraus es besteht. Und es kostet nichts. Man muss nur eben alles essen, damit man alle Nährstoffe bekommt. Und es gibt furchtbare Blähungen.
Danach schwebten wir zu den unteren Etagen hinunter, ohne viel zu reden. Wir fragten uns wohl beide, wie es weitergehen sollte.
Nachdem wir eine Weile ziellos herumgewandert waren, beschlossen wir, wieder einmal ins Museum zu gehen. Wir besuchten den Kugelraum, wo wir uns in einem kompletten Universum befanden. Wir waren umgeben von einer Art Globorama dessen, was die Schiffe gefunden hatten: Sterne, Nebel, Planeten, Satelliten. Alles drehte sich, flackerte, verschwand, tauchte wieder auf.
Wir waren begeistert. Außer uns war niemand da, was ich nicht verstehen konnte. Es war herrlich. Auf einer Seite wurden Bilder von Hitschi-Objekten präsentiert: Gebetsfächer in allen Farben, Wandverkleidungsmaschinen, das Innere von Hitschi-Schiffen, ein paar Tunnels, von denen Klara diesen oder jenen sogar wieder erkannte, von der Venus her. Danach erneut Bilder aus dem Weltraum. Ich erkannte die Plejaden, dann verschwanden sie und machten Gateway II Platz, von außen, mit dem Widerschein von Sternenglanz. Ich sah den Pferdekopf-Nebel und den Ringnebel in der Lyra.