Kapitel 88 Zuhören

Bei unserer Rückkehr ins Lager waren die anderen zu unserer Überraschung bestens gestimmt. Dedan und Hespe lächelten sich fortwährend an, und Marten hatte einen wilden Truthahn zum Abendessen geschossen.

Das Abendessen verlief in heiterer Stimmung. Nachdem das Geschirr abgespült war, erzählte Hespe die Geschichte von dem Jungen, der sich in Frau Luna verliebt hatte, noch einmal von Anfang an. Dedan hielt wunderbarerweise den Mund, und ich begann zu hoffen, wir könnten endlich zu einer richtigen Gruppe zusammenwachsen.

Jax hatte keine Schwierigkeiten, dem Mond zu folgen, denn der Mond war damals immer voll. Rund wie eine Tasse hing er am Himmel und leuchtete so hell wie eine Kerze.

Jax ging tagelang, bis ihn die Füße schmerzten und sein Rücken unter dem schweren Ranzen müde wurde. Er ging Monate und Jahre, und er wuchs heran und wurde groß und hager und hatte ständig Hunger.

Wenn er etwas zu essen brauchte, tauschte er etwas aus seinem Ranzen ein. Auf dieselbe Weise beschaffte er sich neue Schuhe, wenn die alten abgelaufen waren. Er war geschickt und einfallsreich und kam gut allein zurecht.

Die ganze Zeit über dachte er an Luna. Wenn er glaubte, keinen Schritt mehr gehen zu können, setzte er die Brille auf und betrachtete sie. Und wenn er sie sah, verspürte er ein leises Ziehen in der Brust, und ihm war, als habe er sich verliebt.

Die Straße führte immer höher. Er aß sein letztes Brot und seinen letzten Käse und trank das letzte Wasser und den letzten Wein. Tagelang ging er, ohne etwas zu essen oder zu trinken. Der Mond am nächtlichen Himmel über ihm wurde immer größer.

Am Ende seiner Kräfte angelangt, stieg Jax über eine Kuppe und sah einen alten Mann am Eingang einer Höhle sitzen. Der Alte hatte einen langen grauen Bart und trug ein langes graues Gewand. Auf dem Kopf hatte er keine Haare, an den Füßen keine Schuhe. Seine Augen waren geöffnet, sein Mund geschlossen.

Beim Anblick des Jungen hellte sich seine Miene auf. Lächelnd erhob er sich. »Sei mir gegrüßt«, sagte er mit einer hellen, volltönenden Stimme. »Du kommst einen weiten Weg. Wie ist die Straße nach Tinuë?«

»Lang«, antwortete Jax. »Und steinig und anstrengend.«

Der Alte bedeutete Jax, sich zu setzen. Er brachte ihm Wasser und Ziegenmilch und Obst. Jax aß hungrig und bot dem Alten zum Tausch ein Paar Schuhe aus seinem Ranzen an.

»Die brauche ich nicht«, sagte der Alte kichernd und wackelte mit den Zehen. »Aber trotzdem danke für das Angebot.«

Jax zuckte mit den Schultern. »Wie du willst. Aber was tust du hier, so weit weg von allem?«

»Ich habe diese Höhle entdeckt, als ich dem Wind nachgejagt bin«, sagte der Alte. »Dann bin ich geblieben, denn dieser Ort ist für das, was ich tue, hervorragend geeignet.«

»Und was tust du?«

»Ich bin Zuhörer. Ich höre zu, was die Dinge zu sagen haben.«

»Aha«, sagte Jax ein wenig misstrauisch. »Und das kann man hier gut?«

»Sehr gut, sogar ganz außergewöhnlich gut«, antwortete der Alte. »Man muss sich sehr weit von den anderen Menschen entfernen, bevor man richtig hören kann.« Er lächelte. »Und was hat dich in diesen Winkel verschlagen?«

»Ich suche Luna.«

»Nein, ich will sie einfangen. Wenn ich bei ihr sein könnte, wäre ich glaube ich glücklich.«

Der Alte betrachtete ihn ernst. »Du willst sie einfangen, ja? Wie lange versuchst du das schon?«

»Seit mehr Jahren und Meilen, als ich zählen kann.«

Der Alte schloss die Augen und nickte dann entschlossen. »Ich höre an deiner Stimme, dass dies keine vorübergehende Laune ist.« Er beugte sich vor und hielt das Ohr an Jax’ Brust, schloss die Augen und verharrte eine Weile regungslos. »Oh nein«, sagte er schließlich leise, »wie traurig. Dein Herz ist gebrochen, noch ehe du es gebrauchen konntest.«

Jax rutschte ein wenig unbehaglich auf seinem Platz hin und her. »Wenn du mir die Frage erlaubst, wie heißt du?«

»Ich erlaube dir die Frage, wenn du mir erlaubst, sie nicht zu beantworten. Wenn du meinen Namen wüsstest, hättest du Macht über mich.«

»Wirklich?«

»Natürlich.« Der Alte runzelte die Stirn. »So ist das nun mal. Ich muss aufpassen, obwohl du kein guter Zuhörer zu sein scheinst. Wenn du auch nur einen Teil meines Namens wüsstest, hättest du mich in vieler Hinsicht in deiner Gewalt.«

Jax überlegte, ob der Mann ihm vielleicht helfen konnte. Er schien kein normaler Mensch zu sein, aber seine eigene Suche war ebenfalls kein normales Unternehmen. Wenn er eine Kuh hätte einfangen wollen, hätte er einen Bauern zu Hilfe gerufen. Doch um Luna einzufangen brauchte er vielleicht die Hilfe eines absonderlichen Alten. »Du meintest, du seist dem Wind nachgejagt«, sagte er. »Hast du ihn gefangen?«

»In gewisser Hinsicht ja«, antwortete der Alte. »In anderer Hinsicht nein. Man kann diese Frage nämlich verschieden verstehen.«

»Kannst du mir helfen, Frau Luna zu fangen?«

»Ich könnte dir vielleicht einen Rat geben«, sagte der Alte zögernd. »Aber du solltest es dir zuerst gut überlegen, mein Junge. Wer sich verliebt, sollte sich vergewissern, dass seine Liebe erwidert wird,

Hespe sah Dedan nicht an, als sie das sagte. Sie sah überall hin, nur nicht zu ihm. Deshalb bemerkte sie auch den verwirrten, hilflosen Blick auf seinem Gesicht nicht.

»Wie kann ich herausfinden, ob Luna mich auch liebt?«, fragte Jax.

»Du könntest es mit Zuhören versuchen«, sagte der Alte fast ein wenig scheu. »Das wirkt nämlich Wunder. Ich könnte es dir beibringen.«

»Wie lange würde das dauern?«

»Ein paar Jahre«, sagte der Alte. »Mehr oder weniger. Es hängt davon ab, wie begabt du bist. Richtiges Zuhören hat seine Tücken. Aber wenn du es erst beherrschst, lernst du Luna in- und auswendig kennen.«

Jax schüttelte den Kopf. »Das dauert mir zu lange. Wenn ich sie fange, kann ich mit ihr reden und …«

»Aber da wird es schon schwierig«, erwiderte der Alte. »Eigentlich willst du sie doch nicht fangen. Willst du ihr etwa am Himmel hinterherlaufen? Natürlich nicht. Du willst ihr begegnen. Aber das bedeutet, sie muss zu dir kommen.«

»Wie soll ich das erreichen?«

Der Alte lächelte. »Das ist die Frage, nicht wahr? Womit könntest du sie locken? Was hast du ihr anzubieten?«

»Nur das, was ich in meinem Ranzen habe.«

»Das habe ich nicht gemeint«, brummte der Alte. »Aber sehen wir uns ruhig an, was in deinem Ranzen ist.«

Der Einsiedler sah sich das erste Fach an und entdeckte darin viele praktische Dinge. Das zweite Fach enthielt Dinge, die wertvoller und seltener waren, aber nicht nützlicher.

Der Blick des Alten fiel auf das dritte Fach. »Und was ist da drin?«

»Ich konnte es nie öffnen«, sagte Jax. »Ich habe den Knoten nicht aufbekommen.«

Der Einsiedler schloss einen Moment die Augen und lauschte. Dann öffnete er sie wieder und sah Jax stirnrunzelnd an. »Der Knoten meint, du hättest an ihm gerissen, mit einem Messer in ihm herumgestochert und mit den Zähnen in ihn hineingebissen.«

»Bestimmt nicht alles«, erwiderte der Einsiedler abschätzig. Er hob den Ranzen hoch, bis der Knoten sich auf der Höhe seines Gesichts befand. »Es tut mir schrecklich leid«, murmelte er, »aber willst du nicht bitte aufgehen?« Er schwieg. »Ja, ich entschuldige mich dafür. Er wird es nicht mehr tun.«

Der Knoten löste sich, und der Einsiedler öffnete das Fach und blickte hinein. Erstaunt riss er die Augen auf und pfiff leise.

Doch als er den Inhalt auf dem Boden ausbreitete, ließ Jax enttäuscht die Schultern hängen. Er hatte auf Geld oder Edelsteine gehofft, irgendeinen Schatz, den er Luna schenken konnte. Doch das Fach enthielt lediglich ein gebogenes Stück Holz, eine steinerne Flöte und ein kleines, eisernes Kästchen.

Nur die aus hellgrünem Stein gefertigte Flöte erregte seine Neugier. »Ich hatte als Kind eine Flöte«, sagte er. »Aber sie ging kaputt, und ich konnte sie nicht reparieren.«

»Das sind drei sehr schöne Dinge«, sagte der Alte.

»Die Flöte schon«, sagte Jax mit einem Achselzucken. »Aber was nützt mir ein Stück Holz? Und das Kästchen ist viel zu klein.«

Der Alte schüttelte den Kopf. »Hörst du nicht, was diese Dinge zu sagen haben? Die meisten Dinge flüstern, diese aber rufen laut.« Er zeigte auf das Holzstück. »Das ist ein Falthaus, wenn mich nicht alles täuscht. Ein sehr schönes übrigens.«

»Was ist ein Falthaus?«

»Du weißt, dass Papier, wenn man es zusammenfaltet, immer kleiner wird.« Der Alte zeigte auf das gebogene Stück Holz. »Genau so funktioniert ein Falthaus. Nur dass es eben ein Haus ist.«

Jax nahm das Holstück und versuchte es geradezubiegen. Plötzlich hielt er zwei Holzstücke in der Hand, die entfernt an einen Türrahmen erinnerten.

»Falte es nicht hier auf!«, rief der Alte. »Ich will nicht, dass ein Haus vor meiner Höhle steht und die Sonne verdeckt!«

Jax wollte die beiden Stücke wieder zusammendrücken. »Warum kann ich es nicht wieder zusammenfalten?«

»Wahrscheinlich weil du nicht weißt, wie es geht«, erwiderte der

Jax legte das Holz behutsam auf den Boden und hob die Flöte auf. »Ist die Flöte auch etwas Besonderes?« Er setzte sie an die Lippen und spielte einen einfachen Triller.

Hespe lächelte verschmitzt, hob eine mir bekannte Holzpfeife an die Lippen und blies hinein. Ta-ta diiiie, ta-ta diiiie.

Die Nachtschwalbe schläft zwar, wenn die Sonne scheint, aber trotzdem flogen auf Jax’ Triller hin ein Dutzend Nachtschwalben herbei, landeten auf dem Boden und betrachteten Jax, von der Sonne geblendet, neugierig.

»Das ist offenbar keine gewöhnliche Flöte«, sagte der Alte.

»Und das Kästchen?« Jax hob es hoch. Es war schwarz und kalt und so klein, dass er es mit der Hand umschließen konnte.

Der Alte erschauerte und wandte den Blick ab. »Es ist leer.«

»Woher weißt du das, wenn du nicht hineinsehen kannst?«

»Weil ich es höre. Mich wundert, dass du es nicht hörst. Ich habe noch nie eine solche Leere gehört. Voller Echos! Das Kästchen ist dazu da, Dinge aufzubewahren.«

»Dazu sind alle Kästchen da.«

»Und alle Flöten sollen schöne Musik spielen«, erwiderte der Alte. »Aber diese Flöte spielt besonders schön. Genau so ist es mit dem Kästchen.«

Jax betrachtete das Kästchen noch einen Moment, dann packte er es zusammen mit den anderen Dingen wieder ein. »Ich denke, ich werde weiterziehen«, sagte er.

»Willst du nicht ein, zwei Monate bleiben?«, fragte der Alte. »Du könntest lernen, ein wenig genauer zuzuhören. Es ist sehr nützlich, das zu können.«

»Du hast einiges gesagt, worüber ich nachdenken muss. Und ich glaube, du hast recht, ich sollte nicht Luna nachstellen, sondern dafür sorgen, dass sie zu mir kommt.«

»Ich habe das nicht so gesagt«, murmelte der Alte, aber er klang resigniert. Als erfahrener Hörer wusste er, dass Jax ihm nicht zugehört hatte.

Am nächsten Morgen brach Jax wieder auf. Er folgte Luna immer

Dort holte er das gebogene Stück Holz aus seinem Ranzen und begann das Haus aufzufalten. Er hatte die ganze Nacht vor sich und wollte fertig sein, bevor Luna aufging.

Doch das Haus was viel größer, als er gedacht hatte, eher ein Schloss als ein Haus. Außerdem bereitete ihm das Auffalten mehr Schwierigkeiten als erwartet. Jedenfalls war er noch keineswegs fertig, als Luna bereits hoch am Himmel stand.

Vielleicht nahm er sich deshalb nicht genügend Zeit oder er arbeitete nicht sorgfältig genug. Vielleicht hatte er auch nur wie immer Pech.

Das Ergebnis war jedenfalls dasselbe: So groß und prächtig das Haus war, nichts passte richtig zusammen. Treppen führten zur Seite statt nach oben, einige Zimmer hatten zu wenige Wände, andere zu viele. Viele hatten keine Decke und man blickte stattdessen in einen sonderbaren Himmel voller unbekannter Sterne.

Alles war irgendwie durcheinander gekommen. Durch das Fenster des einen Zimmers sah man Frühlingsblumen, die Fenster auf der anderen Seite des Flurs waren von winterlichem Frost vereist. Und während es im Ballsaal Zeit zum Frühstück war, dämmerte in einem nahen Schlafzimmer gerade der Abend.

Weil in dem Haus nichts stimmte, passten auch Türen und Fenster nicht. Man konnte sie zwar zumachen und sogar abschließen, aber sie gingen trotzdem wieder auf. Und aufgrund seiner Größe hatte das Haus viele Türen und Fenster und entsprechend viele Ein- und Ausgänge.

Jax interessierte das alles nicht. Stattdessen eilte er sofort auf den höchsten Turm und setzte die Flöte an die Lippen.

Lieblich tönte sein Spiel durch die klare Nacht. Er zwitscherte nicht nur wie ein Vogel, sondern spielte aus der Tiefe seines gebrochenen Herzens. Die Melodie war eindringlich und traurig zugleich. Sie flatterte wie ein Vogel mit einem gebrochenen Flügel.

Luna hörte sie und kam zum Turm herunter. Bleich und rund hing sie in ihrer ganzen Pracht über Jax, und Jax spürte zum ersten Mal in seinem Leben so etwas wie Freude.

Doch nach einer Weile blickte sie sehnsüchtig zum Himmel auf.

Jax wusste, was das bedeutete. »Bleibe bei mir«, bat er. »Ich bin nur glücklich, wenn du mir gehörst.«

»Ich muss gehen«, erwiderte Luna. »Mein Zuhause ist der Himmel.«

»Aber ich habe ein Haus für dich gebaut.« Jax zeigte auf das große Haus unter ihnen. »Hier hast du doch genug Himmel, der dir ganz allein gehört.«

»Ich muss gehen«, beharrte Luna. »Ich bin schon zu lange weg.«

Jax hob die Hand, als wollte er sie festhalten, doch dann hielt er inne. »Wir können hier selbst über die Jahreszeit bestimmen«, sagte er. »In deinem Schlafzimmer kann Winter oder Frühling sein, ganz wie du willst.«

»Ich muss gehen«, wiederholte Luna und blickte erneut zum Himmel auf. »Aber ich komme wieder, wie ich es immer tue. Und wenn du Flöte für mich spielst, besuche ich dich.«

»Ich habe dir drei Dinge geschenkt«, sagte Jax. »Ein Lied, ein Zuhause und mein Herz. Willst du mir nicht auch drei Dinge schenken, wenn du schon gehen musst?«

Luna lachte und streckte die Hände seitlich aus. Sie war splitterfasernackt. »Was habe ich denn, das ich dir geben könnte? Aber wenn ich dir etwas schenken soll, dann frage, und du bekommst es.«

Jax’ Mund war auf einmal wie ausgetrocknet. »Zuerst bitte ich dich um die Berührung deiner Hand.«

»Eine Hand berührt die andere. Deine Bitte sei dir gewährt.« Luna streckte den Arm aus. Ihre Hand war glatt und kräftig. Zuerst fühlte sie sich kühl an, dann wunderbar warm. Über Jax’ Arme lief eine Gänsehaut.

»Zweitens bitte ich dich um einen Kuss«, sagte er.

»Ein Mund berührt den anderen. Deine Bitte sei dir gewährt.« Luna beugte sich vor. Ihr Atem duftete, ihre Lippen waren fest wie eine Frucht. Der Kuss nahm Jax den Atem, und zum ersten Mal in seinem Leben spielte der Anflug eines Lächelns um seine Lippen.

»Dein Name«, flüsterte Jax. »Damit ich dich rufen kann.«

»Ein Leib …«, setzte Luna an und kam eifrig näher. Dann hielt sie inne. »Nur meinen Namen?« Sie legte Jax die Hand um die Hüften.

Jax nickte.

Sie beugte sich dicht über sein Ohr, und Jax spürte ihren warmen Atem. »Ludis.«

Da zog Jax das kleine, eiserne Kästchen heraus, fing den Namen ein und schloss den Deckel.

»Jetzt habe ich deinen Namen«, rief er. »Deshalb kann ich dir befehlen. Und ich befehle dir, für immer bei mir zu bleiben, damit ich glücklich bin.«

So kam es denn auch. Das Kästchen in seiner Hand war nicht mehr kalt, sondern warm, und Jax spürte den Namen darin wie eine Motte, die gegen eine Fensterscheibe flattert.

Aber vielleicht hatte er den Deckel ja zu langsam geschlossen. Vielleicht hatte er auch zu lange mit dem Haken des Verschlusses hantiert. Oder er hatte einfach wie immer Pech gehabt. Jedenfalls hatte er nur einen Teil des Namens eingefangen, nicht den ganzen.

Er konnte Luna zwar eine Weile für sich behalten, aber sie entschlüpft ihm immer wieder und kehrt aus seinem kaputten Haus in unsere Welt zurück. Doch weil Jax einen Teil ihres Namens besitzt, muss sie immer wieder zu ihm zurückkehren.

Hespe sah uns lächelnd an. »Deshalb verändert die Scheibe des Mondes sich ständig. Und wenn wir sie nicht am Himmel sehen, ist sie bei Jax. Er hat sie eingefangen und besitzt sie heute noch. Ob ihn das allerdings glücklich macht, weiß nur er selbst.«

Es folgte ein langes Schweigen.

»Das ist ja mal eine tolle Geschichte«, sagte Dedan schließlich.

Hespe senkte den Blick, und ich hätte einen Penny darauf gewettet, dass sie rot wurde, obwohl man das im Licht des Feuers nur

»Ich habe lange gebraucht, bis ich sie auswendig konnte«, sagte sie. »Meine Mutter hat sie mir erzählt, als ich noch ein Kind war. Jeden Abend und immer genau gleich. Sie sagte, sie hätte die Geschichte von ihrer Mutter.«

»Du musst sie auf jeden Fall an deine Töchter weitergeben«, sagte Dedan. »Eine so gute Geschichte darf nicht in Vergessenheit geraten.«

Hespe lächelte.

Leider war jener friedliche Abend wie die Ruhe im Auge des Sturms. Am folgenden Tag machte Hespe eine Bemerkung, die Dedan zutiefst kränkte, und die beiden konnten sich zwei Stunden lang nicht ansehen, ohne sofort wie wütende Katzen loszufauchen.

Dedan wollte uns dazu überreden, die Suche aufzugeben. Wir sollten uns stattdessen als Karawanenwächter verdingen und dadurch einen Überfall der Banditen provozieren. Marten meinte, das sei in etwa so sinnvoll wie eine Bärenfalle zu suchen, indem man mit dem Fuß hineintritt. Er hatte recht, aber das verhinderte nicht, dass die beiden sich in den folgenden Tagen immer wieder stritten.

Zwei Tage später entfuhr Hespe beim Baden ein überraschter, mädchenhafter Schrei. Wir eilten ihr in Erwartung der Banditen zu Hilfe. Stattdessen stand ein nackter Tempi bis zu den Knien im Bach. Hespe stand halb angezogen und tropfnass am Ufer. Marten wollte sich ausschütten vor Lachen, Hespe war durchaus nicht nach Lachen zumute. Dedan wiederum hätte sich vor Wut und Empörung am liebsten auf Tempi gestürzt, doch wusste er nicht, wie er einen nackten Mann angreifen sollte, ohne ihn anzusehen oder zu berühren.

Am Tag danach wurde es feucht und neblig. Entsprechend sank unsere Stimmung, und wir kamen mit unserer Suche noch langsamer voran.

Dann begann es zu regnen.

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