Kapitel 50 Dem Wind nachjagen

Meinen Termin für die Zulassungsprüfung gab ich an Fela weiter und wünschte ihr dafür viel Glück. Und damit war das Wintertrimester für mich zu Ende.

Mit einem Mal lösten sich drei Viertel meines Alltags in Luft auf. Ich hatte keine Seminare mehr zu besuchen und keine Schichten in der Mediho mehr abzuleisten. Ich durfte die Werkzeuge und Materialien im Handwerkszentrum nicht mehr benutzen und die Bibliothek nicht mehr betreten.

Zunächst war das gar nicht so schlimm. Das Mittwinterfest war eine fabelhafte Ablenkung, und von den Sorgen um meine Arbeit und mein Studium befreit, konnte ich mich ungestört amüsieren und viel Zeit mit meinen Freunden verbringen.

Dann begann das Frühjahrstrimester. Meine Freunde waren immer noch da, aber sie waren nun mit ihren Studien beschäftigt. Ich ertappte mich dabei, dass ich immer öfter nach Imre ging. Denna war immer noch nicht wieder aufgetaucht, aber Deoch und Stanchion tranken stets gern ein Gläschen mit mir und erzählten mir den neusten Tratsch.

Threpe traf ich dort ebenfalls. Er versuchte zwar immer noch, mich zum Abendessen bei sich einzuladen, aber ich merkte, dass es ihm keine Herzensangelegenheit mehr war. Mein Gerichtsverfahren hatte auch den Leuten auf dieser Seite des Flusses nicht behagt, und man erzählte sich immer noch alle möglichen Geschichten darüber. Ich würde nun für lange Zeit, vielleicht gar für immer, in den angesehenen gesellschaftlichen Zirkeln nicht mehr willkommen sein.

Da ich kein Geld für Studiengebühren ausgeben musste, ging ich zu Devi, um meine Schulden abzuzahlen. Doch zum ersten Mal traf ich sie nicht an und konnte sie nirgends entdecken. Das ging so einige Tage lang, und ich wurde immer nervöser und schob ihr sogar Entschuldigungsbriefe unter der Tür durch, bis ich schließlich von Mola erfuhr, dass sie verreist war, bald aber wieder zurücksein würde.

Die Tage gingen dahin, und ich saß weiter untätig herum, während der Winter die Universität allmählich wieder freigab. Der Rauhreif verschwand von den Fensterscheiben, die Schneewehen sanken ins sich zusammen, und an den Bäumen zeigten sich die ersten frischen Triebe. Als Simmon schließlich zum ersten Mal wieder ein nacktes Bein unter dem Saum eines wehenden Rocks erblickte, erklärte er den Frühling für offiziell eröffnet.

Eines Nachmittags, als ich mit Stanchion bei einem Gläschen Metheglin zusammensaß, kam Threpe ins Lokal, und er platzte geradezu vor Aufregung. Er wechselte mit mir an einen abseits stehenden Tisch auf dem ersten Rang und konnte es offenbar kaum erwarten, mir von seinen Neuigkeiten zu berichten.

Wir setzten uns, und Threpe faltete die Hände auf der Tischplatte. »Da es uns ja nicht gelungen ist, hier vor Ort einen Schirmherrn für dich zu finden, habe ich in letzter Zeit meine Netze etwas weiter ausgeworfen. Es ist zwar schön, wenn der Schirmherr in der Nähe lebt, aber wenn man von einem einigermaßen einflussreichen Lord unterstützt wird, kommt es nicht so sehr darauf an, wo er lebt.«

Ich nickte. Meine Truppe war unter der Schirmherrschaft von Lord Greyfallow durch die ganze Welt gereist.

Threpe grinste. »Warst du schon mal in Vintas?«

Er nickte. »Weißt du, wer Maer Alveron ist?«

Ja, das wusste ich, aber ich sah, dass Threpe darauf brannte, es mir zu erzählen. »Der Name sagt mir irgendwas …«, antwortete ich.

Threpe grinste. »Kennst du die Redewendung ›So reich wie der König von Vint‹?«

Ich nickte.

»Also, das ist er. Sein Ururgroßvater war noch König von Vint, bis das Aturische Reich dann einmarschierte und jedermann zum Eisernen Gesetz und zum Buch des Weges bekehrte. Wenn vor einem Dutzend Generationen einige Dinge anders gelaufen wären, wären die Alverons heute immer noch die königliche Familie von Vintas, und nicht die Calanthis, und mein Freund, der Maer, wäre der König.«

»Dein Freund?«, sagte ich voller Bewunderung. »Du bist mit Maer Alveron befreundet?«

Threpe machte eine vage Geste. »Freund ist vielleicht ein bisschen übertrieben«, gestand er. »Wir korrespondieren seit einigen Jahren, berichten einander Neuigkeiten aus unserem jeweiligen Winkel der Welt und haben einander auch schon den einen oder anderen Gefallen erwiesen. Sagen wir also, er ist ein Bekannter von mir.«

»Eine beeindruckende Bekanntschaft. Wie ist er denn so?«

»Seine Briefe sind sehr höflich und nie auch nur ein bisschen snobistisch, obwohl er ja rangmäßig ein gutes Stück über mir steht«, sagte Threpe bescheiden. »Er ist wirklich vom Scheitel bis zur Sohle ein König, ihm fehlen nur der Titel und die Krone. Als der Staat Vintas gegründet wurde, hat sich seine Familie geweigert, ihre umfassenden Machtbefugnisse aufzugeben. Daher ist der Maer auch heute noch befugt, so ziemlich alles zu tun, wozu sonst nur König Roderic das Recht hat: Titel verleihen, Armeen aufstellen, Steuern erheben …«

Threpe schüttelte den Kopf. »Aber ich habe ganz vergessen, was ich eigentlich wollte«, sagte er und begann in seinen Taschen zu suchen. »Ich habe nämlich gestern einen Brief von ihm bekommen.« Er zog ein Blatt Papier hervor, faltete es auseinander, räusperte sich und las vor:

Ich weiß ja, dass es bei euch Dichter und Musiker in Hülle und Fülle gibt. Ich bräuchte nämlich dringend einen jungen Mann, der redegewandt ist. Hier in Severen finde ich niemanden, der meinen Anforderungen genügt. Und ich gebe mich natürlich nur mit dem Besten zufrieden.

Er sollte vor allem redegewandt sein, vielleicht auch ein Musiker. Außerdem hätte ich gern, dass er klug, höflich, wohlerzogen, gebildet und diskret ist. Wenn Ihr diese Aufzählung lest, werdet Ihr verstehen, weshalb es mir bisher nicht gelungen ist, so jemanden zu finden. Falls Ihr einen jungen Mann kennt, auf den das zutrifft, so ermuntert ihn bitte, mich aufzusuchen.

Ich würde Euch auch verraten, wozu ich ihn einzusetzen gedenke, doch die Angelegenheit ist vertraulich …

Threpe überflog den Brief. »Das geht noch ein bisschen so weiter. Und dann schreibt er: ›Was die oben erwähnte Sache angeht, so bin ich ein wenig in Zeitnot. Falls es in Imre keinen passenden Kandidaten gibt, so schreibt es mir bitte möglichst bald. Und falls Ihr mir jemanden schickt, so haltet ihn bitte zur Eile an.‹« Threpe überflog den Brief weiter und bewegte dabei stumm die Lippen. »Das ist alles«, sagte er schließlich und steckte das Schreiben wieder ein. »Was hältst du davon?«

»Also, damit tust mir wirklich einen großen …«

»Ja, ja«, sagte er und winkte ungeduldig ab. »Und du fühlst dich geschmeichelt und so weiter. Überspringen wir das.« Er beugte sich mit ernster Miene zu mir. »Ist das was für dich? Ließe es sich mit deinem Studium vereinbaren«, sagte er und machte eine wegwerfende Geste in Richtung Universität, »dass du mal für ein, zwei Trimester von hier verschwindest?«

Ich räusperte mich. »Ich hatte sowieso überlegt, mal eine Zeit lang zu verreisen.«

Da grinste der Graf breit und klopfte auf die Armlehne seines Stuhls. »Gut!«, sagte er und lachte. »Und ich dachte schon, ich müsste dich aus deiner geliebten Universität heraushebeln wie eine Münze aus der Faust eines Toten! Das ist eine wunderbare Gelegenheit. So was kriegt man nur einmal im Leben.« Er blinzelte mir zu. »Und außerdem findet ein Junge wie du ja wohl kaum einen besseren Schirmherrn als einen Mann, der reicher ist als der König von Vint.«

Wer könnte mir eine bessere Hilfe sein bei meiner Suche nach den Amyr?

»Das ist sehr viel dran«, sagte Threpe und lachte. »Wann kannst du abreisen?«

Ich zuckte die Achseln. »Morgen?«

Er hob eine Augenbraue. »Du bist aber wirklich von der schnellen Truppe, was?«

»Er schreibt ja, er sei in Zeitnot, und da möchte ich mich lieber beeilen.«

»Wohl wahr.« Er zog eine silberne Taschenuhr hervor, sah hinein und klappte sie mit einem Seufzer wieder zu. »Dann werde ich heute Nacht einiges an Schlaf versäumen, weil ich ja noch ein Empfehlungsschreiben für dich aufsetzen muss.«

Ich sah zum Fenster. »Es ist doch noch nicht mal dunkel«, sagte ich. »Wie lange brauchst du denn für so was?«

»Also bitte«, erwiderte er gereizt. »Ich schreibe nun einmal sehr langsam, zumal, wenn ich einen Brief an eine so bedeutende Persönlichkeit wie den Maer verfasse. Und außerdem muss ich dich beschreiben, was allein schon keine leichte Aufgabe ist.«

»Dann helfe ich dir dabei«, sagte ich. »Ich lasse nicht zu, dass jemand meinetwegen zu wenig Schlaf bekommt.« Ich lächelte. »Und außerdem: Wenn es eines gibt, wovon ich wirklich was verstehe, dann sind es meine persönlichen Vorzüge.«

Am nächsten Tag verabschiedete ich mich in aller Eile von allen Leuten, die ich an der Universität kannte. Wilem und Simmon schüttelten mir innig die Hand, und Auri winkte mir fröhlich zu.

Kilvin ächzte nur, ohne von seiner Gravurarbeit aufzusehen, und trug mir auf, alles, was mir auf meiner Reise zum Thema ewige Lampe einfiel, schriftlich festzuhalten. Arwyl bedachte mich mit einem langen, durchdringenden Blick durch seine Brillengläser und sagte, dass bei meiner Rückkehr ein Platz an der Mediho auf mich warten würde.

Nach den Reaktionen der anderen Meister war es erfrischend, wie

Elodin war nicht aufzutreiben, und ich schob ihm schließlich einen Brief unter seiner Bürotür hindurch. Da er diesen Raum jedoch kaum zu nutzen schien, konnten Monate ins Land gehen, bis er ihn fand.

Dann kaufte ich mir einen neuen Reisesack und ein paar Dinge, die ein Sympathiker immer bei sich haben sollte: Wachs, Schnur, Draht, Nadel und Faden. Meine wenigen Kleider waren schnell gepackt.

Doch dann dämmerte mir, dass ich nicht alles mitnehmen konnte, was ich besaß. Das war ein kleiner Schock, denn viele Jahre lang hatte ich stets meine gesamte Habe mit mir herumtragen können und dabei meist noch eine Hand frei gehabt.

Doch seit ich in die Dachkammer gezogen war, hatten sich bei mir alle möglichen Dinge und halb fertiggestellte Projekte angesammelt. Luxuriöserweise besaß ich nun zwei Decken. Ich hatte Papierbögen voller Notizen, ein Stück Blech aus dem Handwerkszentrum mit halb fertiggestellten Gravuren darauf und eine defekte Harmonie-Uhr, die ich auseinandergenommen hatte, um zu sehen, ob sie sich noch reparieren ließ.

Ich packte schließlich meinen Reisesack fertig und verstaute alles andere in der Truhe, die am Fußende meines Bettes stand. Da hinein kamen auch ein paar schon recht abgenutzte Werkzeuge, das Bruchstück einer Schiefertafel, das ich für das Erlernen von Geheimschriften genutzt hatte, und eine Holzkiste mit all den kleinen Kostbarkeiten, die ich von Auri bekommen hatte …

Dann ging ich nach unten und fragte Anker, ob er so lieb wäre, diese Dinge bis zu meiner Rückkehr in seinem Keller zu verwahren. Er gestand mir leicht schuldbewusst, dass das Zimmer unterm Dach bis zu meinem Einzug jahrelang leergestanden hatte und nur als Abstellkammer genutzt worden war. Er schlug vor, es nicht wieder zu vermieten, wenn ich verspräche, nach meiner Rückkehr wieder

Ich war nicht allzu sehr erstaunt, Elodin auf der großen Steinbrücke anzutreffen. Bei dem Meister der Namenskunde wunderte mich ohnehin fast gar nichts mehr. Er saß auf der hüfthohen Brüstung und ließ über dem dreißig Meter tiefer dahinfließenden Omethi die Füße baumeln.

»Hallo, Kvothe«, sagte er, ohne den Blick von dem wallenden Wasser abzuwenden.

»Hallo, Meister Elodin«, sagte ich. »Ich fürchte, ich werde die Universität für ein oder zwei Trimester verlassen.«

»Fürchtest du das wirklich?«, fragte er, und ich nahm in seiner ruhigen, volltönenden Stimme einen Anflug von Belustigung wahr.

Ich brauchte einen Moment, bis ich verstand, wie er das meinte. »Das ist doch nur eine Redewendung.«

»Die Wendungen unserer Rede gleichen Bildern von Namen: Sie sind nur ein Abklatsch, aber nichtsdestoweniger sind es Namen. Gehe achtsam mit ihnen um.« Er sah mich an. »Setz dich einen Augenblick zu mir.«

Ich wollte mich schon herausreden, zögerte aber. Er war immerhin mein Bürge. Ich stellte den Lautenkasten und den Reisesack auf der Brücke ab. Auf Elodins jungenhaftem Gesicht zeigte sich ein liebevolles Lächeln, und er klopfte mit der flachen Hand neben sich auf die Brüstung.

Ich blickte ängstlich darüber hinweg in die Tiefe. »Lieber nicht, Meister Elodin.«

Er sah mich tadelnd an. »Vorsicht ziemt sich für den Arkanisten, Selbstsicherheit aber für den Namenskundler. Und Furcht ziemt sich für beide nicht. Und schon gar nicht für dich.« Er klopfte noch einmal, diesmal nachdrücklicher.

Ich stieg vorsichtig hinauf und schwang die Beine über die Brüstung. Der Blick war atemberaubend.

Ich versuchte es. Einen Moment lang schien es mir, als … Aber nein. Ich schüttelte den Kopf.

Elodin zuckte unbekümmert die Achseln, aber ich meinte, eine leichte Enttäuschung wahrzunehmen. »Das hier ist ein guter Ort für einen Namenskundler. Sag mir, warum.«

Ich sah mich um. »Weiter Wind, starkes Wasser, alter Stein.«

»Gute Antwort«, sagte er, und es klang sehr zufrieden. »Aber es gibt dafür noch einen weiteren Grund. Stein, Wasser und Wind gibt es auch anderswo. Was macht diesen Ort besonders?«

Ich dachte nach und sah mich um, schüttelte dann aber den Kopf. »Ich weiß es nicht.«

»Auch das war eine gute Antwort. Präge sie dir ein.«

Ich wartete darauf, dass er noch etwas sagen würde. Als er es nicht tat, fragte ich: »Also, was macht das hier zu einem guten Ort?«

Er sah lange aufs Wasser hinab, ehe er antwortete. »Es ist ein Abgrund«, sagte er. »Ein hoch gelegener Ort, von dem man hinabstürzen kann. An einem Abgrund sieht man manches besser. Die Gefahr weckt den schlummernden Geist. Manches wird deutlicher. Und diese Dinge zu sehen gehört auch dazu, wenn man ein Namenskundler ist.«

»Und wenn man abstürzt?«, fragte ich.

»Wenn man abstürzt, stürzt man ab«, sagte Elodin mit einem Achselzucken. »Auch ein Absturz kann lehrreich sein. Und im Traum stürzt man ja oft ab, bevor man aufwacht.«

Dann schwiegen wir eine Zeit lang und hingen unseren jeweiligen Gedanken nach. Ich schloss die Augen und versuchte den Namen des Windes zu erlauschen. Ich hörte das Wasser in der Tiefe und spürte den Stein der Brücke unter meinen Handflächen. Aber … nichts.

»Weiß du, wie man früher dazu sagte, wenn ein Student für ein Trimester die Universität verließ?«, fragte Elodin.

Ich schüttelte den Kopf.

»Man sagte: Er jagt dem Wind nach«, antwortete er und lachte.

»Ja, diesen Ausdruck habe ich schon mal gehört.«

»Und was schien er für dich zu bedeuten?«

Elodin nickte. »Die meisten Studenten tun das ja auch aus nichtswürdigen Motiven oder um nichtswürdige Ziele zu verfolgen.« Er beugte sich ein wenig vor und sah nun senkrecht auf den Fluss hinab. »Aber das hat es nicht immer bedeutet.«

»Nein?«

»Nein«, sagte er und setzte sich wieder richtig hin. »Vor langer Zeit, als noch alle Studenten anstrebten, Namenskundler zu werden, lagen die Dinge anders.« Er leckte sich einen Finger und hielt ihn in die Luft. »Die meisten dieser angehenden Namenskundler ermunterte man, den Name des Windes zu finden. Und wenn sie diesen Namen einmal gefunden hatten, war ihr schlummernder Geist geweckt, und es fiel ihnen leichter, weitere Namen zu finden.

Manche Studenten aber hatten schon Schwierigkeiten mit dem Namen des Windes. Dafür gab es hier zu wenige Abgründe, zu wenige Gefahren. Daher zogen sie hinaus in die Wildnis. Sie versuchten ihr Glück, erlebten Abenteuer, jagten Geheimnissen und Schätzen hinterher …« Er sah mich an. »Aber in Wirklichkeit suchten sie den Namen des Windes.«

Unser Gespräch stockte, weil jemand über die Brücke ging. Es war ein dunkelhaariger Mann mit verhärmtem Gesicht. Er sah aus dem Augenwinkel zu uns herüber, ohne den Kopf in unsere Richtung zu wenden, und als er direkt hinter uns vorüberging, versuchte ich nicht daran zu denken, dass es für ihn ein Leichtes war, mich von der Brücke zu stoßen.

Als er vorüber war, seufzte Elodin und fuhr fort: »Aber die Zeiten haben sich geändert. Heute gibt es sogar noch weniger Abgründe als damals. Und die Welt ist längst nicht mehr so wild. Es gibt weniger Magie und mehr Geheimnisse und nur noch eine Handvoll Menschen, die den Namen des Windes kennen.«

»Ihr kennt ihn, nicht wahr?«, fragte ich.

Elodin nickte. »Er ändert sich von Ort zu Ort, aber ich weiß, wie ich seine stets sich wandelnde Gestalt erlauschen kann.« Dann lachte er und klopfte mir auf die Schulter. »Geh jetzt. Jage dem Wind nach.

Ich schwang meine Beine wieder über die dicke Brüstung und schulterte meinen Lautenkasten und Reisesack. Doch als ich nach Imre aufbrach, hielt Elodins Stimme mich noch einmal zurück. »Kvothe.«

Ich wandte mich um und sah, dass er sich nach vorne beugte, über den Rand der Brücke hinaus. Er grinste wie ein Schuljunge. »Spuck in den Fluss. Das bringt Glück.«

Devi öffnete mir die Tür und riss entsetzt die Augen auf. »Ach du liebe Güte!«, sagte sie und hielt sich mit dramatischer Geste ein Blatt Papier vor die Brust. Ich erkannte es als einen der Briefe, die ich ihr unter der Tür hindurchgeschoben hatte. »Mein heimlicher Verehrer!«

»Ich wollte einfach nur meine Schulden abzahlen«, sagte ich. »Ich war schon viermal hier.«

»Das Wandern tut dir gut«, sagte sie fröhlich und ohne einen Funken Mitleid und verriegelte die Tür hinter mir. Im Raum roch es nach …

Ich schnupperte. »Was ist das?«

Sie schaute schuldbewusst. »Sollte eigentlich Birnenduft werden.«

Ich legte Lautenkasten und Reisesack ab und nahm vor ihrem Schreibtisch Platz. Trotz bester Vorsätze wurde mein Blick zu dem schwarzen Ring hingezogen.

Devi warf mit einem Ruck ihr rotblondes Haar nach hinten und sah mir in die Augen. »Willst du eine Revanche?«, fragte sie, und um ihre Lippen spielte ein Lächeln. »Ich nehm’s immer noch mit dir auf, ob mit oder ohne Gram. Dich besiege ich selbst im Schlaf.«

»Das hätte ich dann vielleicht doch gerne gesehen«, sagte ich. »Aber nein: Ich möchte lieber Geschäftliches mit dir besprechen.«

»Gern«, sagte sie. »Willst du wirklich alles zurückzahlen? Hast du etwa endlich einen Schirmherrn gefunden?«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aber mir bietet sich gerade eine

Sie hob eine Augenbraue. »Das ist weit weg«, sagte sie. »Da bin ich doch froh, dass du vorbeikommst, um deine Schulden zu begleichen, bevor du ans andere Ende der Welt aufbrichst. Wer weiß, wann du wiederkommst.«

»In der Tat«, sagte ich. »Allerdings befinde ich mich finanziell in einer etwas unguten Situation.«

Devi schüttelte bereits den Kopf, als ich den Satz noch gar nicht beendet hatte. »Kommt nicht in Frage. Du stehst bei mir schon mit neun Talenten in der Kreide. Ich leihe dir doch nicht noch mehr Geld – an dem Tag, an dem du aus der Stadt abhaust.«

Ich hob abwehrend die Hände. »Du verstehst mich falsch«, sagte ich. Dann schnürte ich meinen Geldbeutel auf und schüttete vor ihr allerhand Münzen auf den Schreibtisch. Dennas Ring fiel auch mit heraus, und ich fing ihn gerade noch auf, ehe er von der Tischplatte kullern konnte.

Ich zeigte auf den Münzhaufen. Es waren insgesamt etwas mehr als dreizehn Talente. »Das ist alles Geld, das ich auf dieser Welt besitze«, sagte ich. »Damit muss ich eine schnelle Reise nach Severen bezahlen. Mindestens tausend Meilen. Das heißt eine oder auch mehrere Schiffspassagen, Unterkunft und Verpflegung, Geld für Kutschen et cetera.«

Während ich das alles aufzählte, schob ich einen entsprechenden Geldbetrag von einer Seite des Schreibtischs zur anderen. »Und wenn ich dann in Severen angekommen bin, muss ich mir Kleider kaufen, die es mir erlauben, am Hofleben teilzunehmen, ohne dass ich wie der mittellose Musiker aussehe, der ich im Grunde bin.« Ich schob weitere Münzen über den Tisch. Dann zeigte ich auf das wenige verbliebene Geld. »Und deshalb bleibt mir nun nicht mehr genug, um meine Schulden bei dir zu begleichen.«

Devi sah mich über ihre verschränkten Finger hinweg an. »Ich verstehe«, sagte sie. »Wir müssen einen anderen Weg finden, wie du deine Schulden begleichen könntest.«

»Ich dachte mir«, sagte ich, »dass ich dir bis zu meiner Rückkehr einige Sicherheiten dalassen könnte.«

»Nicht meine Laute«, beeilte ich mich zu sagen. »Die brauche ich.«

»Was denn sonst?«, fragte sie. »Du hast doch immer behauptet, du hättest gar keine Sicherheiten.«

»Ich besitze einige Dinge«, sagte ich und zog ein Buch aus meinem Reisesack hervor.

Devis Augen leuchteten auf. Dann las sie das Rückenschild. »Rhetorik und Logik?« Sie verzog das Gesicht.

»Ja, ich weiß«, sagte ich. »Aber es hat einen gewissen Wert. Vor allem für mich. Außerdem …« Ich griff in meinen Umhang und zog meine Handlampe hervor. »… habe ich das hier. Eine Sympathielampe, die ich selbst konstruiert habe. Der Lichtstrahl lässt sich fokussieren, und mit diesem Schalter kann man die Leuchtkraft regeln.«

Devi nahm sie und nickte. »Ich erinnere mich an diese Lampe«, sagte sie. »Das letzte Mal hast du gesagt, du könntest sie nicht hergeben, weil du Kilvin irgendwas versprochen hast. Hat sich daran etwas geändert?«

Ich setzte ein strahlendes Lächeln auf, das zu zwei Dritteln geheuchelt war. »Dieses Versprechen ist es ja gerade, was diese Lampe zu der perfekten Sicherheit macht«, sagte ich. »Wenn du Kilvin diese Lampe bringst, bin ich mir absolut sicher, dass er dir eine üppige Summe zahlt, nur um das gute Stück aus deinen …« Ich räusperte mich. »… verrufenen Händen zu befreien.«

Devi knipste die Lampe an und regelte mit einer Daumenbewegung die Leuchtkraft. »Und ich nehme an, das würdest du zur Bedingung machen? Dass ich sie Kilvin bringe?«

»Du kennst mich so gut«, sagte ich. »Es ist mir schon fast peinlich.«

Devi legte die Lampe neben mein Buch auf den Tisch und atmete langsam durch die Nase ein. »Ein Buch, das nur für dich wertvoll ist«, sagte sie. »Und eine Lampe, die nur für Kilvin einen Gegenwert besitzt.« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist kein interessantes Angebot.«

Nun griff ich mir an die Schulter, löste mit großem Bedauern das Panflöten-Abzeichen und legte es auf den Tisch. »Das ist aus Silber«, sagte ich. »Und schwierig zu bekommen. Außerdem hast du damit immer freien Eintritt im EOLIAN.«

Ich erstarrte. »Den darf ich nicht hergeben.«

Sie lachte. »Er steckt in deiner Tasche, nicht wahr?« Sie schnippte mit den Fingern. »Komm. Zeig mal her.«

Ich zog den Ring hervor, gab ihn aber nicht aus der Hand. »Ich hab viel durchgemacht für diesen Ring«, sagte ich. »Das ist der Ring, den Ambrose meiner Freundin abgenommen hat. Ich warte nur noch auf eine Gelegenheit, ihn ihr zurückzugeben.«

Devi saß schweigend da und streckte eine Hand aus. Schließlich legte ich ihr den Ring hinein.

Sie hielt ihn ans Licht, beugte sich vor und kniff beim Betrachten das andere Auge zu. »Ein schöner Stein«, sagte sie.

»Die Fassung ist neu«, sagte ich in jämmerlichem Ton.

Devi legte den Ring behutsam auf das Buch, neben mein Abzeichen und die Lampe. »Wir machen Folgendes«, sagte sie. »Ich behalte diese Gegenstände als Sicherheit für dein Darlehen in Höhe von neun Talenten. Diese Abmachung gilt für ein Jahr.«

»Für ein Jahr und einen Tag«, sagte ich.

Da musste sie ein wenig lächeln. »Ja, wie es im Märchen immer so schön heißt. Also gut. Damit verlängern wir die Laufzeit um ein Jahr und einen Tag. Falls du bis dahin deine Schulden nicht bezahlt hast, gehen diese Dinge in meinen Besitz über, und deine Schulden gelten damit als beglichen.« Nun wurde ihr Lächeln bissiger. »Ich könnte mich in diesem Fall allerdings dazu überreden lassen, sie wieder herauszugeben – im Austausch für gewisse Informationen.«

Ich hörte den Glockenturm in der Ferne die Stunde schlagen und seufzte. Mir blieb keine Zeit, noch weiter zu feilschen, denn ich war schon spät dran für mein Treffen mit Threpe. »Also gut«, sagte ich gereizt. »Aber den Ring bewahrst du an einem sicheren Ort auf. Du darfst ihn nicht tragen, solange ich nicht in Verzug bin.«

Devi runzelte die Stirn. »Aber …«

»Dieser Punkt ist nicht verhandelbar«, sagte ich in ernstem Ton. »Der Ring gehört einer Freundin. Und er bedeutet ihr sehr viel. Ich will nicht, dass sie ihn an der Hand einer Anderen sieht. Nicht nach

Devi sagte nichts darauf, ihr feenhaftes Gesicht blickte aber grimmig. Ich setzte ebenfalls einen grimmigen Gesichtsausdruck auf und sah ihr in die Augen. Ich bin übrigens gut in so was, wenn es darauf ankommt.

Einen Moment lang herrschte Schweigen.

»Also gut«, sagte sie schließlich.

Wir schüttelten einander die Hand. »Für ein Jahr und einen Tag«, sagte ich.

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