Kapitel 20 Der schalkhafte Wind
Am nächsten Abend fand ich mich im GOLDENEN PONY wieder, dem wohl besten Gasthaus auf der Universitätsseite des Flusses. Es hatte eine ausgezeichnete Küche, erstklassige Stallungen und ebenso fähiges wie dienstbeflissenes Personal. Es war ein Edel-Etablissement, das sich nur die wohlhabendsten Studenten leisten konnten.
Ich befand mich natürlich nicht im Hause. Nein, ich hockte knapp unterm First im dunklen Schatten seines Dachs und gab mir alle Mühe, nicht daran zu denken, dass das, was ich vorhatte, weit über ungebührliches Verhalten hinausging. Wenn man mich dabei erwischte, wie ich in Ambroses Gemächer einbrach, würde man mich zweifellos von der Uni verweisen.
Es war ein klarer Herbstabend, aber trotzdem sehr windig. Das hatte Vor- und Nachteile. Das Rascheln des Laubs würde etwelche leiseren Geräusche, die ich machte, übertönen, ich fürchtete aber, das Flattern meines Umhangs könnte Aufmerksamkeit erregen.
Unser Plan war ganz einfach. Ich hatte einen versiegelten Brief unter Ambroses Zimmertür hindurchgeschoben. Es war eine nicht unterschriebene, kokett klingende Einladung zu einem Treffen in Imre. Sie stammte von Wil, da Sim und ich fanden, dass er die femininste Handschrift von uns hatte.
Es war ein Versuch auf gut Glück, aber ich ging davon aus, dass Ambrose den Köder schlucken würde. Lieber hätte ich jemanden gehabt, der ihn persönlich abgelenkt hätte, aber je weniger Leute an dieser Sache beteiligt waren, desto besser. Ich hätte Denna um Unterstützung
Wil und Sim standen für mich Schmiere, Wil im großen Gastraum und Sim auf der Gasse, in der sich der Hintereingang des Hauses befand. Sie sollten mir signalisieren, sobald Ambrose das Gebäude verließ. Vor allem aber sollten sie mich warnen, falls er vorzeitig wiederkam.
Ich spürte ein Zucken in meiner rechten Hosentasche, als sich das Eichenzweigstück darin zweimal bewegte. Das Signal wurde wiederholt. Wilem ließ mich damit wissen, dass Ambrose das Gasthaus verlassen hatte.
In der linken Hosentasche hatte ich ein Stück Birkenholz. Simmon hielt auf seinem Posten am Hintereingang ein ganz ähnliches in der Hand. Es war ein einfaches und wirksames Verfahren der Nachrichtenübermittlung. Man musste nur genug von Sympathie verstehen, um es ins Werk zu setzen.
Ich schlich die Dachschräge entlang und bewegte mich dabei vorsichtig über die schweren Tonziegel. Aus meiner Zeit in Tarbean wusste ich, dass sie leicht brachen und man dann plötzlich den Halt verlor.
Ohne Zwischenfälle schaffte ich es bis an die Dachkante, die sich in fünf Meter Höhe über dem Erdboden befand. Das war keine Höhe, bei der mich der Schwindel gepackt hätte, aber durchaus genug, dass ich mir bei einem Sturz ein Bein oder auch das Genick gebrochen hätte. Ein schmaler Dachsaum verlief unterhalb der langen Reihe der Fenster des ersten Obergeschosses. Es waren insgesamt zehn, und die mittleren vier gehörten zu Ambroses Gemächern.
Ich spannte die Finger ein paarmal an, um sie zu lockern, und schlich dann seitwärts auf diesem schmalen Saum.
Das Geheimnis bei so etwas besteht darin, sich nur auf das zu konzentrieren, was man macht. Man darf nicht zu Boden schauen und sich nicht umsehen. Man darf bei so etwas die restliche Welt gar nicht beachten und sollte darauf vertrauen, dass sie es umgekehrt ebenso hält. Deshalb trug ich an diesem Abend meinen Umhang. Wenn mich jemand sah, war ich weiter nichts als eine dunkle Gestalt
Das erste Fenster war dunkel, und beim zweiten waren die Vorhänge zugezogen. Aus dem dritten aber drang schummriges Licht. Ich zögerte. Wenn man so hellhäutig ist wie ich, sollte man nachts lieber nicht in irgendwelche Fenster spähen – es sei denn, man will, dass das eigene Gesicht darin aufscheint wie der Vollmond. Statt dieses Risiko einzugehen, suchte ich in meinen Umhangtaschen, bis ich ein Stück Zinnblech aus dem Handwerkszentrum fand, das ich so lange poliert hatte, bis es als provisorischer Spiegel dienen konnte. Damit linste ich vorsichtig um die Ecke, in das Zimmer hinein.
Dort sah ich ein Himmelbett, das so groß war wie meine ganze Kammer im ANKER’S. Das Bett war belegt. Und zwar im aktiven Sinne. Als ich näher hinsah, erblickte ich darin mehr nackte Gliedmaßen, als bei zwei Personen zu erwarten gewesen wären. Doch leider war mein Blechspiegel zu klein, um die Szene im ganzen Umfang zu überblicken, sonst hätte ich womöglich allerhand Interessantes gelernt.
Ich überlegte kurz, umzukehren und mich Ambroses Gemächern von der anderen Seite aus zu nähern, doch da frischte mit einem Mal der Wind auf, jagte Laub übers Kopfsteinpflaster und versuchte mich vom Dach zu wehen. Mit pochendem Herzen beschloss ich, es zu wagen. Ich wollte versuchen, an diesem Fenster vorbeizuschleichen. Die Leute in dem Zimmer, nahm ich an, hatten Besseres zu tun, als nach den Sternen zu gucken.
Ich zog mir die Kapuze tief ins Gesicht und hielt sie mit den Zähnen fest. Damit war mein Gesicht vermummt, und ich hatte die Hände frei. Derart blind, schob ich mich langsam an dem Fenster vorbei und spitzte die Ohren, ob sich irgendwie erkennen ließ, dass ich entdeckt worden war. Einige erstaunte Laute drangen zu mir, aber die hatten offenbar nichts mit mir zu tun.
Das erste von Ambroses Fenstern war aus kunstvoll bemaltem Buntglas. Sehr hübsch, aber nicht dazu gedacht, geöffnet zu werden. Das Nächste war genau richtig: ein breites Doppelfenster. Ich zog ein Stück Kupferdraht aus einer Umhangtasche und knackte damit die schlichte Verriegelung.
Nachdem ich auch den Fallriegel geknackt hatte, ließ sich das Fenster aber immer noch nicht bewegen. Ich fluchte auf Ambroses Verfolgungswahn und suchte fast zehn Minuten lang nach einem dritten Schließmechanismus, bis mir schließlich klar wurde, dass das Fenster einfach nur klemmte.
Ich zerrte noch ein paarmal dran, was längst nicht so einfach war, wie es jetzt vielleicht klingt. Es hatte außen schließlich keine Griffe. Dann übertrieb ich es und riss zu fest. Das Fenster sprang auf, und mein Körper wurde nach hinten gedrückt, über die Dachkante hinaus. Ich kämpfte gegen den Reflex an, einen Fuß rückwärts zu setzen, um das Gleichgewicht wiederzuerlangen, da ich wusste, dass sich hinter mir nichts als ein fünf Meter tiefer Abgrund befand.
Kennt ihr das Gefühl, wenn man es beim Kippeln mit einem Stuhl übertreibt und nach hinten umzukippen beginnt? So ähnlich fühlte ich mich in diesem Moment, und dazu kamen noch Selbstvorwürfe und Todesangst. Ich ruderte mit den Armen, obschon mir klar war, dass das nichts half, und mein Gehirn war vor Panik wie gelähmt.
Dann rettete mich der Wind. Eine kräftige Bö erwischte mich von hinten und gab mir gerade genug Schwung, dass ich das Gleichgewicht wiederfinden konnte. Mit einer Hand gelang es mir, das nun offenstehende Fenster zu ergreifen, und ich kletterte schnell hinein, ohne mich darum zu kümmern, ob ich dabei Lärm machte oder nicht.
Drinnen im Zimmer hockte ich mich erst mal schwer atmend auf den Boden. Mein Herzschlag begann sich gerade wieder ein wenig zu beruhigen, als der Wind das Fenster über mir erfasste, es zuknallte und mich damit aufs Neue erschreckte.
Ich holte meine kleine Sympathielampe hervor, stellte sie auf die geringste Leuchtstärke und schwenkte mit dem schmalen Lichtbogen
Es waren etliche Meilen nach Imre und wieder zurück, und ich baute darauf, dass Ambrose so neugierig war, mindestens eine halbe Stunde lang auf seine geheimnisvolle Verehrerin zu warten. Normalerweise hätte es einen ganzen Tag lang dauern können, nach etwas so Kleinem wie einem Ring zu suchen. Doch ich nahm an, dass Ambrose gar nicht auf die Idee gekommen war, ihn zu verstecken. Seiner Auffassung nach hatte er diesen Ring ja gar nicht gestohlen. Er sah darin entweder ein wertloses Schmuckstück oder eine Trophäe.
Also begann ich mit der systematischen Durchsuchung. Der Ring lag weder auf der Schlafzimmerkommode noch auf dem Nachttisch. Er befand sich in keiner Schublade seines Schreibtischs und lag auch nicht in dem Schmuckkasten in seinem Ankleidezimmer. Ambrose hatte keine verschließbare Schmuckschatulle, nein, von wegen, nur eine Art Tablett, auf dem alle möglichen Anstecknadeln, Ringe und Ketten achtlos hingeworfen durcheinander lagen.
Ich ließ alles, wo es war, was aber nicht heißen soll, dass ich nicht mit dem Gedanken spielte, den Scheißkerl auszurauben. Nur ein paar seiner Schmuckstücke hätten ausgereicht, und ich hätte mir ein ganzes Jahr lang keine Sorgen mehr um meine Studiengebühren machen müssen. Das aber hätte gegen meinen Plan verstoßen: Rein, Ring finden, raus. Solange ich keine Spuren meines Besuchs hinterließ, würde Ambrose, so nahm ich an, davon ausgehen, dass er den Ring irgendwo verloren hatte – falls er sein Fehlen überhaupt bemerkte. Es war das vollkommene Verbrechen: kein Verdacht, keine Verfolgung, keine Konsequenzen.
Außerdem ist es in einer so kleinen Stadt wie Imre natürlich ausgesprochen schwierig, gestohlenen Schmuck zu verkaufen. Die Diebesbeute hätte leicht zu mir zurückverfolgt werden können.
Ich habe aber auch nie behauptet, ein Priester zu sein, und in Ambroses Gemächern gab es Möglichkeiten genug, allerhand Schabernack zu treiben, und ich gönnte mir diesen Spaß. Während ich seine Hosentaschen absuchte, löste ich einige Nähte, so dass er sich wahrscheinlich den Hosenboden aufreißen würde, wenn er sich das nächste Mal darin setzte oder ein Pferd bestieg. Ich lockerte
Ich überlegte gerade krampfhaft, was ich mit dem verdammten Hut mit der großen Feder anstellen könnte, als das Eichenstück in meiner Hosentasche hektisch zuckte, so dass ich zusammenfuhr. Es zuckte noch einmal und brach dabei entzwei. Ich fluchte leise vor mich hin. Ambrose war doch seit höchstens zwanzig Minuten fort. Warum kam er schon wieder zurück?
Ich knipste meine Lampe aus und steckte sie wieder ein. Dann huschte ich ins Nebenzimmer, um dort aus dem Fenster zu steigen. Es war ärgerlich, dass ich solche Mühen auf mich genommen hatte, um hier hereinzukommen, nur um so bald und unverrichteter Dinge wieder verschwinden zu müssen, doch solange Ambrose nicht wusste, dass jemand bei ihm eingestiegen war, konnte ich auch einfach ein andermal wiederkommen.
Das Fenster ließ sich nicht mehr öffnen. Ich drückte fester, da ich annahm, dass es sich, als der Wind es zuschlug, irgendwie verkantet hatte.
Dann entdeckte ich einen schmalen Messingstreifen, der innen am Fensterbrett entlanglief. In dem schummrigen Licht konnte ich die Sygaldrie nicht entziffern, aber ich erkenne ein Wehr, wenn ich eins sehe. Deshalb also war Ambrose so bald zurückgekehrt. Er wusste, dass bei ihm eingebrochen worden war. Und was noch schlimmer war: Ein gutes Wehr hielt nicht nur mögliche Eindringlinge fern, sondern konnte Fenster und Türen auch so fest verschließen, dass der Einbrecher dahinter eingesperrt blieb.
Ich rannte zur Tür und suchte hektisch in meinen Umhangtaschen nach etwas, womit ich das Türschloss außer Betrieb setzen konnte. Da ich nichts Passendes fand, schnappte ich mir einen Stift vom Schreibtisch, rammte ihn ins Schlüsselloch, riss ihn herum und brach damit innerhalb des Schließmechanismus’ die Metallspitze ab. Nur wenige Augenblicke später hörte ich von draußen ein schabendes, metallisches Geräusch, als Ambrose versuchte, die Tür aufzuschließen. Er fluchte, als er den Schlüssel nicht ins Schloss bekam.
Ich flitzte zurück ins Wohnzimmer und nahm mir den auf dem Schreibtisch liegenden Brieföffner, wobei ich in meiner Hast das verschlossene Tintenfass umstieß. Ich wollte eben beginnen, einzelne Runen zu tilgen, als mir klar wurde, wie dumm das wäre. Jeder miese kleine Dieb konnte in Ambroses Gemächer einbrechen, doch der Kreis der Personen, die genug von Sygaldrie verstanden, um ein solches Wehr außer Gefecht zu setzen, war schon erheblich kleiner. Ebenso gut hätte ich auf dem Fensterrahmen meine Unterschrift hinterlassen können.
Ich hielt einen Moment lang inne, um meine Gedanken zu ordnen. Dann legte ich den Brieföffner auf den Schreibtisch zurück und stellte das Tintenfass wieder hin. Ich ging zum Fenster und sah mir den Messingstreifen noch einmal genauer an. Etwas zu zerstören ist meist viel einfacher, als es zu verstehen.
Das gilt erst recht, wenn dabei im Hintergrund gedämpfte Flüche durch eine Tür dringen und jemand lärmend versucht, ein blockiertes Türschloss zu öffnen.
Dann war es mit einem Mal still draußen auf dem Korridor, und das war eine geradezu zermürbende Stille. Als es mir schließlich gelungen war, die Abfolge der einzelnen Binnenwehre zu entschlüsseln, hörte ich, wie draußen auf dem Flur mehrere Personen näherkamen. Ich spaltete meinen Geist in drei Teile auf, konzentrierte meinen Alar und stemmte mich gegen das Fenster. Meine Hände und Füße wurden kalt, als ich meine Körperwärme dazu nutzte, gegen die Wirkung des Wehrs anzukämpfen. Als etwas Schweres mit dumpfem Schlag gegen die Tür prallte, gab ich mir alle Mühe, nicht in Panik zu geraten.
Das Fenster flog auf, und ich schob mich rückwärts durch den Rahmen und aufs Dach hinaus, als erneut etwas Schweres an die Tür knallte und ich Holz splittern hörte. Ich hätte immer noch problemlos entkommen können, doch als ich den rechten Fuß auf dem Dach
Dann kam wieder ein plötzlicher Windstoß, erfasste das offen stehende Fenster und wirbelte es auf meinen Kopf zu. Ich riss einen Arm hoch, um mein Gesicht zu schützen, das Fenster knallte mir an den Ellenbogen, und eine der kleinen Glasscheiben zersprang. Die Wucht dieses Aufpralls stieß mich seitwärts, so dass ich mein Gewicht auf meinen rechten Fuß verlagern musste, der dabei endgültig unter mir wegrutschte.
Instinktiv griffen meine Hände nach allem, was sich bot. Dabei riss ich einige weitere Ziegeln los und bekam schließlich die Dachkante in den Griff. Es war kein sonderlich sicherer Griff, er bremste mich aber, und ich drehte mich, damit ich unten nicht auf dem Kopf oder dem Rücken landete. Stattdessen fiel ich bäuchlings, wie eine Katze.
Bloß dass die Gliedmaßen einer Katze gleich lang sind. Ich aber landete auf Händen und Knien. Und während mir die Hände nur brannten, durchfuhren mich, als ich mit den Knien auf dem Kopfsteinpflaster aufkam, die schlimmsten Schmerzen, die ich je im Leben gespürt hatte. Es war fürchterlich, und ich hörte mich aufjaulen wie einen getretenen Hund.
Sofort hagelten Ziegelsplitter auf mich herab. Die meisten landeten auf dem Pflaster, aber einer traf mich am Hinterkopf und ein weiterer am Ellenbogen, und ich konnte meinen Unterarm nicht mehr spüren.
Ich hielt keinen Moment inne, um darüber nachzudenken. Ein gebrochener Arm würde wieder heilen, ein Ausschluss aus der Universität aber galt lebenslang. Ich zog mir die Kapuze über den Kopf und kämpfte mich wieder auf die Beine. Dann strauchelte ich ein paar Schritte weiter, bis ich mich unter dem Dachvorsprung des GOLDENEN PONY befand und von dem Fenster im Obergeschoss aus nicht mehr zu sehen war.
Dann lief ich und lief und lief …
Nachdem ich mich ein wenig verschnauft und für mein Vollidiotentum ausführlich beschimpft hatte, machte ich mich an eine Bestandsaufnahme meiner Verletzungen. Die gute Nachricht war, dass ich mir nichts gebrochen hatte. Ich hatte mir aber beide Knie schwer geprellt, und darunter bildeten sich schon prachtvolle Blutergüsse. Der Ziegelbrocken, der mich am Kopf getroffen hatte, hatte eine Beule hinterlassen, aber keine offene Wunde. Und obwohl mein Ellenbogen immer noch vor Schmerzen pochte, hatte ich doch wieder Gefühl in der Hand.
Es klopfte an der Tür. Ich erstarrte. Dann zog ich das Birkenholzstück aus der Tasche, murmelte eine schnelle Bindung und fuchtelte energisch damit hin und her.
Vom Flur her hörte ich Laute des Erstaunens, gefolgt von Wilems Gelächter. »Das ist nicht witzig«, hörte ich Sim sagen. »Mach auf!«
Ich ließ sie herein. Simmon ließ sich auf der Bettkante nieder, und Wilem setzte sich auf meinen Schreibtischstuhl. Ich schloss die Tür wieder und nahm auf der anderen Seite des Bettes Platz. Obwohl wir nun alle saßen, wirkte der kleine Raum überfüllt.
Wir sahen einander einen Moment lang an, und dann ergriff Simmon das Wort. »Ambrose hat heute Abend offenbar mitbekommen, dass in seine Gemächer eingebrochen wurde. Der Einbrecher sprang allerdings lieber aus dem Fenster, als sich festnehmen zu lassen.«
Ich lachte bitter auf. »Von wegen. Ich war schon fast raus, aber da ist das Fenster vom Wind zugeknallt.« Ich demonstrierte es mit unbeholfenen Gesten. »Und deshalb bin ich vom Dach gefallen.«
Wilem seufzte erleichtert. »Und ich dachte schon, ich hätte die Bindung verpfuscht.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich hab die Warnung bekommen. Ich war bloß nicht so vorsichtig, wie ich hätte sein sollen.«
»Ihm ist wahrscheinlich klar geworden, dass meine Handschrift doch nicht so feminin ist«, sagte Wilem.
»Er hatte Wehre an den Fenstern«, sagte ich. »Und die waren wahrscheinlich mit irgendeinem Gegenstand verbunden, den er bei sich trug. Das muss ihn alarmiert haben, sobald ich sein Fenster geöffnet hatte.«
»Hast du den Ring?«, fragte Wilem.
Ich schüttelte den Kopf.
Simmon reckte den Hals, um meinen Arm besser sehen zu können. Ich folgte seinem Blick, sah aber nichts. Als ich aber an meinem Hemd zupfte, stellte ich fest, dass es mir hinten am Arm klebte. Bei all meinen anderen Schmerzen hatte ich das gar nicht bemerkt.
Vorsichtig zog ich mir das Hemd über den Kopf. Am Ellenbogen war es zerrissen und blutgetränkt. Ich fluchte. Auch das noch. Ich besaß nur vier Hemden, und jetzt war dieses hier hinüber.
Ich versuchte mir meine Verletzung anzusehen, doch mir wurde schnell klar, dass man, wie sehr man sich auch verrenken mag, keinen guten Blick auf seinen eigenen Ellenbogen bekommen kann. Schließlich hielt ich ihn Sim zur Begutachtung hin.
»Es ist nicht allzu schlimm«, sagte er. »Nur eine Schnittwunde, die kaum noch blutet. Und rundherum hast du dir die Haut aufgeschürft.«
»Ziegel sind vom Dach auf mich draufgefallen«, sagte ich.
»Du hast echt Glück gehabt«, sagte Wilem. »Wer fällt schon vom Dach und holt sich dabei nur ein paar Kratzer?«
»Ich hab große Blutergüsse an den Knien«, sagte ich. »Ich kann von Glück sagen, wenn ich morgen überhaupt wieder gehen kann.« Im Grunde wusste ich aber, dass er recht hatte. Der Ziegelbrocken, der mir auf den Ellenbogen geknallt war, hätte mir leicht auch den Arm brechen können. Die Bruchkanten dieser Ziegel konnten messerscharf sein, und wenn mich der Brocken anders getroffen hätte, hätte er mir leicht tiefe Schnittwunden, bis auf den Knochen, zufügen können. Ich hasse Dachziegel.
»Kraem! Nein!«, sagte Wilem. »Er kann nicht in die Mediho. »Sie werden doch überall herumfragen, ob ein Verletzter gesehen wurde.«
Simmon setzte sich wieder. »Natürlich«, sagte er und klang dabei leicht empört über sich selbst. »Das ist ja klar.« Er musterte mich von oben bis unten. »Wenigstens bist du nirgendwo verletzt, wo man es auf den ersten Blick erkennen würde.«
Ich sah zu Wilem hinüber. »Du kannst kein Blut sehen, nicht wahr?«
Er guckte leicht gekränkt. »Das würde ich so nicht sagen …« Sein Blick huschte zu meinem Ellenbogen, und unter seinem dunklen kealdischen Teint wurde er ein bisschen blass im Gesicht. Er kniff den Mund zusammen. »Ja.«
»Kein Problem«, sagte ich und begann, aus meinem ruinierten Hemd Stoffstreifen herauszuschneiden. »Glückwunsch, Sim. Du wurdest soeben zum Feldsanitäter befördert.« Ich öffnete eine Schublade und nahm Nadel und Faden, Jod und ein Döschen Gänsefett heraus.
Sim sah die Nadel an, dann wieder mich, und machte große Augen.
Ich schenkte ihm mein schönstes Lächeln. »Es ist ganz einfach. Ich erkläre es dir Schritt für Schritt.«
Dann setzte ich mich auf den Fußboden und hielt mir den Arm über den Kopf, und Sim reinigte, nähte und verband mir den Ellenbogen. Er überraschte mich damit, dass er längst nicht so zimperlich zu Werke ging, wie ich erwartet hatte. Er griff vorsichtiger, aber auch selbstsicherer zu als viele Studenten in der Mediho, die so etwas ständig machten.
»Wir drei waren also den ganzen Abend hier und haben Karten gespielt?«, fragte Wil und vermied es dabei, in meine Richtung zu blicken.
»Nein«, sagte ich. »Wil wurde doch bestimmt im PONY gesehen. Wenn wir in diesem Punkt lügen, fliege ich todsicher auf.«
»Oh«, sagte Sim. »Und was sagen wir stattdessen?«
»Die Wahrheit.« Ich zeigte auf Wil. »Du warst gerade im PONY, als der Einbruch stattfand, und kamst dann hierher, um mir davon zu erzählen.« Ich deutete mit einer Kopfbewegung auf den kleinen Tisch, auf dem alle möglichen Zahnräder, Federn und Schrauben durcheinander lagen. »Dann habe ich euch die Harmonie-Uhr gezeigt, die ich gefunden habe, und ihr beide habt mir Tipps gegeben, wie ich sie wieder reparieren könnte.«
Sim wirkte enttäuscht. »Das ist aber nicht sonderlich aufregend.«
»Einfache Lügen sind die besten«, sagte ich und stand auf. »Ich möchte mich noch mal bei euch beiden bedanken. Diese Sache hätte fürchterlich schiefgehen können, wenn ihr nicht auf mich aufgepasst hättet.«
Simmon erhob sich ebenfalls und öffnete die Tür. Wil stand auch auf, machte aber keine Anstalten zu gehen. »Ich habe neulich abends was Seltsames gehört«, sagte er.
»Was Interessantes?«, fragte ich.
Er nickte. »Hochinteressant. Ich meine, von dir gehört zu haben, dass du einen bestimmten, sehr einflussreichen Adligen nicht mehr weiter gegen dich aufbringen willst. Ich habe zu meinem Erstaunen gehört, dass du endlich beschlossen hattest, schlafende Hunde nicht noch einmal zu wecken.«
»Also bitte«, sagte Simmon. »Ambrose ist doch kein schlafender Hund. Er ist ein tollwütiger Kläffer, der’s verdient hat, dass man ihm den Gnadenstoß gibt.«
»Mir kommt er eher wie ein wütender Bär vor«, sagte Wilem. »Und du scheinst entschlossen zu sein, diesen Bär mit einem brennenden Stock weiter zu triezen.«
»Wie kannst du so was sagen?«, entgegnete Sim. »Seit zwei Jahren ist er jetzt in der Bibliothek tätig, und hat er dich in dieser Zeit jemals anders behandelt als wie ein Stück Dreck? Und was war, als ich um ein Haar erblindet wäre, weil er ganz bewusst meine Salze
Wil hob eine Hand und nickte. »Ich weiß, das ist alles wahr, und nur deshalb habe ich mich in diesen Schwachsinn mit hineinziehen lassen. Ich möchte lediglich auf einen Punkt hinweisen.« Er sah mich an. »Dir ist doch wohl klar, dass das mit dir und dieser Denna mittlerweile völlig aus dem Ruder gelaufen ist, oder?«