Kapitel 33 Feuer

Am nächsten Abend packte ich mit großer Sorgfalt meinen Reisesack, ängstlich darauf bedacht, keinen wichtigen Ausrüstungsgegenstand zu vergessen. Ich prüfte gerade alles zum dritten Mal, als es an der Tür klopfte.

Als ich aufmachte, stand ein etwa zehnjähriger, schwer atmender Junge vor mir. Sein Blick schoss zu meinem Haupthaar hinauf, und dann wirkte er erleichtert. »Bist du Koath?«

»Kvothe«, erwiderte ich. »Ja, der bin ich.«

»Ich habe einen Brief für dich.« Er griff in seine Hosentasche und zog ein schmutziges Stück Papier hervor.

Ich streckte eine Hand danach aus, doch der Junge wich einen Schritt zurück und schüttelte den Kopf. »Die Dame hat gesagt, du gibst mir einen Jot, wenn ich dir den Brief bringe.«

»Das bezweifle ich«, sagte ich und hielt ihm weiterhin meine Hand entgegen. »Lass mal sehen. Wenn der wirklich für mich ist, gebe ich dir einen Halbpenny.«

Der Junge blickte finster und händigte mir widerwillig den Schrieb aus.

Der Brief war nicht einmal versiegelt, nur zweimal gefaltet. Er war auch ein wenig feucht, vermutlich vom Schweiß des Boten.

Ich las:

Lieber Kvothe,

ich würde mich sehr freuen, wenn Du heute mit mir zu Abend essen würdest. Du fehlst mir, und ich habe aufregende Neuigkeiten. Komm bitte um fünf in den KEILER.

Herzliche Grüße

Denna

PS: Ich habe dem Boten einen Halbpenny versprochen.

»Fünf Uhr?«, rief ich aus. »Bei Gottes geschwärzten Händen! Wie lange hast du denn hierher gebraucht? Es ist doch schon nach sechs!«

»Das ist nicht meine Schuld«, sagte der Junge und blickte weiter finster. »Ich habe stundenlang überall gesucht. Anker hat sie gesagt. Bring das zu Koath im Anker, auf der anderen Seite vom Fluss. Aber das ist hier überhaupt nicht in der Hafengegend. Und auf dem Schild draußen ist auch gar kein Anker. Wie sollte ich das denn finden?«

»Indem du jemanden gefragt hättest! Irgendwen!«, schrie ich. »Verdammt noch mal, Junge, wie dumm kann ein Mensch denn sein?« Ich musste mich sehr beherrschen, ihm nicht an die Gurgel zu gehen, und atmete tief durch.

Dann sah ich aus dem Fenster. Es wurde schon dunkel. In nicht mal einer halben Stunde würden sich meine Freunde um die Feuergrube im Wald versammeln. Ich hatte keine Zeit, nach Imre zu gehen.

»Also gut«, sagte ich, so ruhig ich nur konnte. Ich zog einen Bleistiftstummel hervor und schrieb auf die Rückseite des Briefs eine Antwort:

Liebe Denna,

es tut mir furchtbar leid, aber Dein Bote hat mich erst nach sechs Uhr gefunden. Er ist offenbar brunzdumm.

Du fehlst mir auch, und ich stehe Dir morgen zu jeder beliebigen Tages- oder Nachtzeit zur Verfügung. Schick den Boten mit Deiner Antwort zurück, damit ich weiß, wann ich wo zur Stelle sein soll.

Alles Liebe

Kvothe

PS: Falls der Junge versucht, Dir Geld abzuknöpfen, solltest Du ihm eine saftige Ohrfeige verpassen. Er bekommt sein Geld, wenn er Deinen Brief im ANKER’S abgibt, vorausgesetzt, er kriegt nicht wieder irgendwas durcheinander und isst ihn womöglich unterwegs auf.

Ich faltete das Blatt wieder zusammen und versiegelte den Brief mit einem Klecks Kerzenwachs.

Dann griff ich nach meinem Geldbeutel. Ich hatte die zusätzlichen zwei Talente, die ich mir von Devi geliehen hatte, im Laufe des vergangenen Monats nach und nach ausgegeben. Ich hatte dieses Geld für Luxusgüter wie Verbandszeug, Kaffee und Materialien für das Vorhaben dieses Abends verprasst.

Die Folge war, dass ich noch ganze vier Penny und ein verstreutes Scherflein besaß. Ich schulterte meinen Reisesack und winkte dem Jungen, mir die Treppe hinab zu folgen.

Unten im Schankraum nickte ich Anker zu, der hinter dem Tresen stand, und wandte mich dann wieder an den Boten. »Hör zu«, sagte ich. »Du hast auf dem Weg hierher Bockmist gebaut, aber ich gebe dir die Chance, das wieder gutzumachen.« Ich zog drei Penny hervor und hielt sie so, dass er sie sehen konnte. »Du gehst jetzt zurück zum KEILER, findest die junge Frau, die dich hergeschickt hat, und gibst ihr das hier.« Ich hielt den Brief empor. »Sie wird dir eine Antwort mitgeben. Die bringst du hierher und gibst sie diesem Mann.« Ich zeigte auf Anker. »Und er gibt dir dann das Geld.«

»Ich bin doch nicht blöd«, sagte der Junge. »Erst mal kriege ich meinen Halbpenny.«

»Ich bin auch nicht blöd«, sagte ich. »Du kriegst drei ganze Penny, wenn du ihre Antwort bringst.«

Er funkelte mich an, nickte dann aber mürrisch. Ich gab ihm den Brief, und er lief hinaus.

»Der Junge wirkte ein wenig verwirrt, als er hier reinkam«, sagte Anker.

Ich schüttelte den Kopf. »Er ist einfach nur dumm wie Brot«, sagte ich. »Ich würde ihn gar nicht mit so was beauftragen, aber er weiß immerhin, wie sie aussieht.« Ich seufzte und legte die drei Penny auf den Tresen. »Du könntest mir einen Gefallen tun: Lies bitte die

Anker sah mich ein wenig verlegen an. »Und wenn der Inhalt, äh, eher privater Natur ist?«

»Dann wirst du mich einen Freudentanz aufführen sehen«, erwiderte ich. »Aber unter uns gesagt, halte ich das nicht für sehr wahrscheinlich.«

Die Sonne war schon untergegangen, als ich schließlich an unserem Treffpunkt im Wald ankam. Wilem war bereits zur Stelle und hatte in der Grube ein Feuer entfacht. Gemeinsam sammelten wir gut eine Viertelstunde lang genug Holz, um ein großes Feuer einige Stunden lang am Leben zu halten.

Bald darauf kam auch Simmon. Er schleifte einen toten Ast hinter sich her. Zu dritt zerteilten wir das Holz, so gut es ging, und machten nervös ein wenig Konversation, bis Fela schließlich zwischen den Bäumen auftauchte.

Sie hatte ihr langes Haar hochgesteckt, was ihren eleganten Hals und ihre schönen Schultern bestens zur Geltung brachte. Ihre Augen waren dunkel geschminkt, der Mund noch ein wenig röter als sonst. Das lange schwarze Kleid, das sie trug, lief an ihrer Wespentaille eng zusammen und betonte die prachtvollen Rundungen ihrer Hüften. Und aus ihrem tiefen Ausschnitt lugten die atemberaubendsten Brüste hervor, die ich in meinem jungen Leben bis dahin gesehen hatte.

Wir drei starrten sie an, Simmon aber gaffte unverhohlen. »Wow«, sagte er. »Du warst ja bisher schon die schönste Frau, die ich je gesehen habe. Ich hätte nicht gedacht, dass du das noch steigern könntest.« Er lachte auf seine jungenhafte Art und wies mit beiden Händen auf sie. »Schau dich an! Einfach umwerfend!«

Fela errötete und wandte, offensichtlich geschmeichelt, den Blick ab.

»Du hast heute Abend die schwierigste Aufgabe übernommen«, sagte ich zu ihr. »Ich bitte dich nur äußerst ungern darum, aber …«

Wilem nickte. »Genau.«

»Ich mache das nur für dich«, sagte Fela, und ihr Mund verzog sich zu einem ironischen Lächeln. »Als ich damals sagte, dass ich dir einen Gefallen schulde, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass du mich bitten würdest, mit einem anderen Mann auszugehen.« Ihr Lächeln wurde ein wenig säuerlich. »Und schon gar nicht mit Ambrose.«

»Du musst ihn höchstens ein oder zwei Stunden lang ertragen. Versuch bitte, ihn nach Imre zu locken, aber es würde notfalls auch genügen, wenn er sich mindestens hundert Meter weit vom GOLDENEN PONY entfernt.«

Fela seufzte. »Na, immerhin springt für mich ein Abendessen dabei raus.« Sie sah zu Simmon hinüber. »Hey, schicke Stiefel.«

Er grinste. »Nagelneu.«

Ich hörte Schritte und wandte mich um. Mola war die Einzige, die noch fehlte, aber aus der Richtung der Schritte hörte ich auch leise Stimmen. Ich biss die Zähne zusammen. Es war wahrscheinlich ein junges Liebespaar, das an diesem für die Jahreszeit ungewöhnlich warmen Abend einen Spaziergang unternahm.

Unsere Gruppe durfte dort nicht zusammen gesehen werden, nicht an diesem Abend. Das hätte zu viele Fragen aufgeworfen. Ich wollte eben loslaufen und diejenigen, die sich da aufhielten, abfangen, als ich Molas Stimme erkannte. »Warte bitte hier, bis ich es ihm erklärt habe«, sagte sie.

»Soll er doch einen Wutanfall kriegen, mir doch egal«, drang eine Stimme, die mir bekannt vorkam, aus der Dunkelheit hervor.

Ich hielt abrupt inne. Ich kannte diese zweite Stimme, kam aber einfach nicht drauf, wer das war.

Dann tauchte Mola zwischen den dunklen Bäumen auf. Und neben ihr erschien eine kleine Gestalt mit kurzem, rotblondem Haar. Devi.

Ich stand sprachlos da, während Mola näher kam, mit den Händen eine beschwichtigende Geste machte und sich beeilte zu sagen:

»Rausgeschmissen wurde«, sagte Devi in stolzem Ton. »Ich schäme mich nicht dafür.«

Mola fuhr hastig fort: »Nach dem, was du gestern erzählt hast, schien mir da ein Missverständnis vorzuliegen. Und als ich sie besucht habe, um sie danach zu fragen …« Sie zuckte die Achseln. »Ist mir die ganze Geschichte so rausgerutscht. Und jetzt will sie helfen.«

»Ich will Ambrose ans Leder«, sagte Devi. Kalter Zorn schwang mit, als sie seinen Namen aussprach. »Wenn ich euch dabei helfe, ist das eher ein Nebeneffekt.«

Wilem räusperte sich. »Gehe ich recht in der Annahme, dass –«

»Er schlägt Huren«, schnitt Devi ihm das Wort ab. »Und wenn ich diesen überheblichen Dreckskerl ungestraft umbringen könnte, hätte ich das schon vor Jahren getan.« Sie sah Wilem mit nüchterner Miene an. »Ja, es gibt eine Vorgeschichte zwischen ihm und mir. Und nein: Die geht dich nichts an. Reicht dir das als Begründung?«

Angespanntes Schweigen. Wilem nickte, sein Blick betont neutral.

Darauf wandte sich Devi mir zu.

»Devi«, sagte ich und verbeugte mich knapp vor ihr. »Es tut mir leid.«

Sie guckte verblüfft. »Na sieh mal einer an«, sagte sie sarkastisch. »Vielleicht bist du ja doch nicht vollkommen hirnverbrannt.«

»Ich glaubte, ich könnte dir nicht vertrauen«, sagte ich. »Das war ein Irrtum, den ich sehr bereue. Ich konnte damals einfach nicht klar denken.«

Sie beäugte mich einen Moment lang. »Wir sind keine Freunde«, sagte sie schließlich, und ihr Blick war immer noch eiskalt. »Aber falls du diese Sache hier überleben solltest, werden wir mal miteinander reden.«

Dann sah Devi an mir vorbei, und ihr Blick wurde milder. »Die kleine Fela!«, sagte sie, ging hinüber und schloss sie in die Arme. »Du bist ja richtig erwachsen geworden!« Sie trat wieder einen Schritt zurück und musterte sie anerkennend. »Mein Gott, du siehst wirklich

Fela lächelte und schwang den Rock ihres Kleids ein wenig hin und her. »Es ist doch ab und zu ganz nett, einen Vorwand zu haben, sich ein bisschen herauszuputzen.«

»Das solltest du auch ohne Vorwand tun«, sagte Devi. »Und für bessere Männer als Ambrose.«

»Ich hatte in letzter Zeit schrecklich viel zu tun. Und ich bin ein bisschen aus der Übung. Eine Stunde habe ich gebraucht, um meine Haare richtig hinzubekommen. Hast du noch irgendwelche Verbesserungsvorschläge?«, fragte sie, streckte die Arme aus und drehte sich einmal langsam im Kreis.

Devi betrachtete sie von Kopf bis Fuß. »Das ist schon viel besser, als er es verdient hat. Aber wieso trägst du denn gar keinen Schmuck?«

Fela sah auf ihre Hände. »Ringe vertragen sich nicht mit den Handschuhen«, sagte sie. »Und zu diesem Kleid hatte ich einfach nichts Passendes parat.«

»Dann nimm die hier«, sagte Devi und griff sich links und rechts unters Haar. Sie stellte sich vor Fela hin. »Mann, bist du groß. Bück dich mal.«

Als sich Fela wieder aufrichtete, trug sie ein Paar Ohrringe, die den Lichtschein des Lagerfeuers einfingen.

Devi trat wieder einen Schritt zurück und seufzte. »An dir sehen die natürlich viel besser aus als an mir.« Sie schüttelte leicht gereizt den Kopf. »Meine Güte. Wenn ich solche Möpse hätte wie du, würde mir mittlerweile die halbe Welt gehören.«

»Ja, die sind toll, nicht wahr?«, sagte Sim begeistert.

Wilem brach in Gelächter aus, hielt sich dann die Hände vors Gesicht und ging kopfschüttelnd ein paar Schritte von Sim fort, um so zu tun, als hätte er überhaupt nichts mit ihm am Hut.

Devi sah sich Sims jungenhaftes Grinsen an, das kein bisschen beschämt wirkte, und wandte sich dann wieder an Fela. »Wer ist der Idiot?«, fragte sie.

Ich nahm Mola auf ein Wort beiseite. »Das wäre nicht nötig gewesen«, sagte ich. »Aber dennoch: Danke. Es ist eine Erleichterung

»Nicht so voreilig«, erwiderte Mola grimmig. »Ich hab sie noch nie so wütend gesehen. Ich fand es bloß schade, dass ihr beide über Kreuz miteinander liegt. Ihr seid euch nämlich im Grunde sehr ähnlich.«

Ich sah zur anderen Seite der Feuergrube hinüber, wo Wil und Sim sich vorsichtig Devi und Fela näherten. »Ich habe schon viel von dir gehört«, sagte Wilem zu Devi. »Ich dachte, du wärst größer.«

»Dachtest du, ja?«, erwiderte Devi trocken. »Und wie klappt es sonst bei dir so mit dem Denken?«

Ich winkte ihnen zu, um die allgemeine Aufmerksamkeit zu erlangen. »Es wird Zeit«, sagte ich. »Wir müssen in Stellung gehen.«

Fela nickte. »Ich will mich auf keinen Fall verspäten.« Sie zupfte nervös an ihren Handschuhen herum. »Wünscht mir Glück.«

Mola ging zu ihr und umarmte sie. »Es wird schon gut gehen. Bleib mit ihm in der Öffentlichkeit. Er wird sich besser benehmen, wenn andere Leute zusehen.«

»Und frag ihn nach seinen Gedichten«, riet Devi. »Dann wird er dich damit vollquatschen, und die Zeit vergeht wie im Flug.«

»Wenn er ungeduldig wird, solltest du den Wein loben«, fügte Mola hinzu. »Du solltest sagen: ›Ah, ich hätte liebend gern noch ein Glas, aber ich fürchte, das würde mir zu Kopf steigen.‹ Dann wird er gleich eine ganze Flasche bestellen und versuchen, sie dir einzuflößen.«

Devi nickte. »Damit kannst du mindestens eine weitere halbe Stunde dafür sorgen, dass er die Finger von dir lässt.« Sie zog Felas Ausschnitt so zurecht, dass er nicht mehr ganz so einladend wirkte. »Fang ganz züchtig an und bring die Dinger erst gegen Ende des Essens ein bisschen besser zur Geltung. Beug dich ganz leicht vor, aus den Schultern heraus. Wenn er immer ein klein bisschen mehr zu sehen bekommt, nach und nach, wird er glauben, er sei auf dem richtigen Weg. Das wird ihn davon abhalten, handgreiflich zu werden.«

»Das ist echt das Beängstigendste, was ich je erlebt habe«, sagte Wilem leise.

»Kennen sich eigentlich alle Frauen auf der Welt insgeheim?«, fragte Sim. »Das würde nämlich vieles erklären.«

nicht kennen?«

Ich ging zu Fela und gab ihr einen zarten, kleinen Eichenzweig. »Ich werde dir signalisieren, wenn wir fertig sind. Und du signalisiert mir, falls er dich sitzen lässt.« Sie nickte und steckte sich den kleinen Zweig in einen ihrer langen schwarzen Handschuhe. Ihre Ohrringe schwangen hin und her und fingen wieder das Licht des Lagerfeuers ein. Es waren Smaragde. Glatte, tränenförmige Smaragde.

»Das sind schöne Ohrringe«, sagte ich zu Devi. »Wo hast du die her?«

Sie kniff die Augen zusammen, als überlegte sie, ob sie mir die Frage übelnehmen sollte oder nicht. »Ein hübscher Junge hat damit seine Schulden bei mir beglichen«, sagte sie. »Nicht dass dich das was anginge.«

Ich zuckte die Achseln. »Bin bloß neugierig.«

Fela winkte noch einmal und brach dann auf, doch sie kam nur ein paar Meter weit, dann holte Simmon sie ein. Er lächelte beklommen, sagte etwas und machte ein paar nachdrückliche Gesten, und dann gab er ihr einen kleinen Gegenstand. Sie lächelte und ließ diesen ebenfalls in einem ihrer Handschuhe verschwinden.

Ich wandte mich an Devi. »Ich nehme an, du bist mit unserem Plan vertraut?«

Sie nickte. »Wie weit ist es von hier bis zu seinem Zimmer?«

»Etwas über eine halbe Meile«, sagte ich. »Der Schlupf –«

Devi schnitt mir mit einer Handbewegung das Wort ab. »Ich stelle meine eigenen Berechnungen an«, sagte sie in scharfem Ton.

»Selbstverständlich.« Ich zeigte auf meinen Reisesack, der in der Nähe des Lagerfeuers lag. »Da drin sind Wachs und Ton.« Dann gab ich ihr einen kleinen Birkenzweig. »Ich werde dir damit signalisieren, sobald wir in Stellung gegangen sind. Fang mit dem Wachs an. Versuch es eine halbe Stunde lang, gib mir dann ein Signal, und mach anschließend mit dem Ton weiter. Mindestens eine Stunde lang.«

Devi schnaubte. »Mit einem großen Feuer dahinter? Da brauche ich höchstens eine Viertelstunde.«

Devi winkte ab. »Ich weiß, was ich tu.«

Ich verbeugte mich. »Dann überlasse ich das jetzt deinen fähigen Händen.«

»Das war alles?«, fragte Mola entrüstet. »Mir hast du stundenlang Vorträge gehalten! Mich hast du abgefragt

»Dafür ist jetzt keine Zeit«, erwiderte ich. »Du bleibst ja auch hier, um ihr notfalls beizustehen. Und außerdem zählt Devi zu der Handvoll Menschen, von denen ich annehme, dass sie bessere Sympathiker sind als ich.«

Devi blickte mich finster an. »Annehme? Ich hab dir doch gerade erst gezeigt, wo der Hammer hängt. Du warst meine kleine Sympathiehandpuppe.«

»Das ist zwei Spannen her«, sagte ich. »Seitdem habe ich viel dazugelernt.«

»Handpuppe?«, sagte Sim zu Wilem. Wil machte eine erklärende Geste, und die beiden brachen in Gelächter aus.

Ich winkte Wilem zu. »Gehn wir.«

Ehe wir aufbrachen, gab Sim mir noch einen kleinen Tiegel.

Ich sah ihn fragend an. Ich hatte seine alchemische Mixtur bereits in einer Tasche meines Umhangs verstaut. »Was ist das?«

»Das ist nur eine Salbe, falls du dich verbrennen solltest«, erklärte er. »Aber wenn sie mit Pisse in Berührung kommt, verwandelt sie sich in eine Süßigkeit.« Sim verzog keine Miene. »Und zwar eine köstliche.«

Ich nickte ganz ernst. »Sehr gut, danke.«

Mola guckte verwirrt. Devi hingegen beachtete uns gar nicht mehr und schichtete stattdessen Holz ins Feuer.

Eine Stunde später saßen Wilem und ich im GOLDENEN PONY und spielten Karten. Der Gastraum war gut gefüllt, und eine Harfenistin gab eine ganz passable Version von Süßer Winterroggen zum Besten.

Das GOLDENE PONY war kein Lokal nach meinem Geschmack. Das Publikum war mir zu vornehm, die Getränke zu teuer, und die Musiker boten mehr was fürs Auge als fürs Ohr. Dennoch war ich seit fast zwei Spannen regelmäßig hierher gekommen und hatte so getan, als wollte ich mich der Oberschicht anbiedern. So konnte niemand behaupten, dass es sonderbar sei, dass ich mich ausgerechnet an diesem Abend dort aufhielt.

Wilem trank einen Schluck und mischte wieder die Karten. Mein Glas stand schon eine ganze Weile halb geleert und bei Zimmertemperatur vor mir. Es war nur ein ganz einfaches, kleines Bier, doch angesichts der Getränkepreise hier im GOLDENEN PONY war ich damit schon buchstäblich pleite.

Wil teilte neu aus. Ich nahm die Karten sehr vorsichtig auf die Hand, denn Simmons alchemische Mixtur machte meine Finger ein wenig klebrig. Wir hätten genauso gut auch mit Blankokarten spielen können: Ich nahm vollkommen willkürlich Karten auf, spielte sie ebenso willkürlich wieder aus und tat, als würde ich mich auf das Spiel konzentrieren, während ich in Wirklichkeit nur wartete und lauschte.

Als ich ein leichtes Kribbeln im Augenwinkel spürte, hob ich schon die Hand, um mir das Auge zu reiben, konnte mich im letzten Moment aber gerade noch bremsen. Wilem sah mich besorgt an und schüttelte unauffällig den Kopf. Ich verharrte einen Moment lang wie versteinert und ließ die Hand dann langsam wieder sinken.

Ich war so damit beschäftigt, den Anschein der Unbekümmertheit zu erwecken, dass ich, als dann der Schrei von draußen kam, tatsächlich zusammenzuckte. Er durchschnitt das gedämpfte Stimmengewirr im Raum, wie es nur eine Stimme in Panik vermag. »Feuer! Feuer!«

Jedermann im Saal erstarrte einen Moment lang. So ist es immer, wenn Menschen erschreckt und verwirrt sind. Sie nehmen sich eine Sekunde Zeit, um sich umzusehen, nach einem ungewöhnlichen Geruch

Ich zögerte nicht. Vielmehr sprang ich auf und sah mich hektisch und gut sichtbar um, wollte offensichtlich erkennen, wo es brannte. Als sich dann alle anderen im Gastraum in Bewegung setzten, rannte ich bereits die Treppe hinauf.

»Feuer!«, drangen weiter die Schreie von draußen herein. »Oh Gott, es brennt!«

Ich lächelte, als ich hörte, wie Basil seinen kleinen Part ein wenig übertrieb. Ich kannte ihn nicht gut genug, um ihn in den ganzen Plan einzuweihen, aber es war von entscheidender Bedeutung, dass jemand den Brand frühzeitig bemerkte, damit ich sogleich in Aktion treten konnte. Ich wollte nun wirklich nicht versehentlich das halbe Gasthaus niederbrennen.

Am oberen Treppenabsatz angelangt, sah ich mich auf dem Korridor um. Hinter mir hörte ich bereits weitere Leute die Treppe herauflaufen. Einige Hotelgäste öffneten ihre Türen und spähten heraus.

Unter der Tür zu Ambroses Gemächern waberte ein wenig Rauch hervor. Perfekt!

»Da brennt es!«, rief ich, lief zu der Tür und griff in meinen Umhang.

Während der langen Suche in der Bibliothek war ich auf Erwähnungen zahlreicher interessanter Stücke magischer Handwerkskunst gestoßen. Eins davon war der sogenannte Belagerungsstein.

Er funktioniert nach den grundlegenden Prinzipien der Sympathie. Eine Armbrust speichert Energie und nutzt sie, um einen Bolzen mit hoher Geschwindigkeit über große Entfernungen zu verschießen. Ein Belagerungsstein ist ein mit Sygaldrie versehener Bleigegenstand, der ebenfalls Energie speichert und sie dazu nutzt, um sich selbst mit der Wucht eines Rammbocks fortzubewegen, und zwar gut zwei Handbreit weit.

Nun in der Mitte des Korridors, warf ich mich mit der Schulter gegen Ambroses Tür. Ich schlug dabei auch mit dem Belagerungsstein dagegen, den ich auf der flachen Hand unter dem Umhang verborgen hielt.

In Ambroses Wohnzimmer war es dunkel, auch aufgrund des Rauchschleiers, der dort in der Luft hing. Links sah ich flackernden Feuerschein. Von meinem vorherigen Besuch wusste ich, dass es dort zu seinem Schlafzimmer ging.

»Hallo?«, rief ich. »Ist jemand verletzt?« Ich ließ meine Stimme entschlossen, aber auch besorgt klingen. Keine Panik. Natürlich nicht. Ich war ja schließlich in dieser ganzen Szene der Held.

Im Schlafzimmer stand dichter Rauch, der die Flammen fast verbarg und mir in den Augen brannte. Eine riesige Kommode stand an der Wand, so groß wie eine Werkbank im Handwerkszentrum. Aus einigen der geschlossenen Schubladen züngelten Flammen hervor. Offenbar verwahrte Ambrose seine Puppe von mir tatsächlich zwischen seinen Socken.

Ich schnappte mir einen Stuhl und schlug damit das Fenster ein, durch das ich etliche Nächte zuvor in dieses Zimmer eingestiegen war. »Vorsicht da unten!«, schrie ich hinaus.

Die Schublade ganz links unten schien am heißesten zu brennen, und als ich sie aufriss, gingen die darin vor sich hin schwelenden Kleidungsstücke durch den Zustrom frischer Luft in Flammen auf. Ich roch versengtes Haar und hoffte, dass ich mir nicht etwa die Augenbrauen abgefackelt hatte. Schließlich wollte ich nicht den ganzen nächsten Monat lang mit einem entstellten Gesichtsausdruck herumlaufen.

Nach diesem ersten Auflodern nahm ich meinen Mut zusammen und riss die schwere Schublade mit bloßen Händen aus der Kommode heraus. Sie war voller schwelender, geschwärzter Kleidungsstücke, doch als ich damit zum Fenster lief, hörte ich darin auch etwas Schweres gegen den hölzernen Schubladenboden poltern. Es fiel heraus, als ich die ganze Schublade aus dem Fenster schmiss, und als der Wind die Kleidungsstücke erfasste, wurden sie endgültig ein Raub der Flammen.

Als Nächstes riss ich die Schublade ganz rechts oben heraus. Dichter

Drunten auf der Straße taten die Leute, die von dem Spektakel angelockt worden waren, ihr Möglichstes, um die brennenden Trümmer zu löschen. Inmitten dieses Menschenpulks sprang Simmon in seinen neuen Nagelstiefeln herum und trampelte alles kurz und klein, wie ein Junge, der nach dem ersten warmen Frühlingsregen in den Pfützen herumplatscht. Selbst wenn die Puppe den Sturz auf die Straße überstanden hatte – Simmons Stiefel würde sie nicht überstehen.

Und das war keine Kleinigkeit. Devi hatte mir zwanzig Minuten zuvor signalisiert, dass sie es nun bereits mit der Wachspuppe probiert hatte. Da das keinerlei Folgen gezeitigt hatte, hatte Ambrose zweifellos Blut von mir dazu genutzt, eine Tonpuppe herzustellen. Mit einem schlichten Feuer ließ sich so etwas nicht zerstören.

Nacheinander riss ich nun auch die übrigen Schubladen aus der Kommode und schleuderte sie auf die Straße hinab. Ich hielt dabei nur kurz inne, um den dicken Samtvorhang von Ambroses Himmelbett herunterzureißen, mit dem ich meine Hände vor der Hitze des Feuers schützen konnte. Das mag kleinlich erscheinen, war es aber nicht. Ich hatte schreckliche Angst, mir die Hände zu verbrennen. Alle Begabungen, die ich besaß, hatten etwas mit meinen Händen zu tun.

Kleinlich war es, dass ich auf dem Rückweg vom Fenster dem Nachttopf einen Tritt verpasste. Es war ein teures Stück aus glasierter Keramik. Er kippte um, kullerte über den Boden, knallte schließlich an die Kaminsohle und zersprang. Und alles andere als eine köstliche Süßigkeit ergoss sich dabei über die teuren Teppiche.

Flammen loderten aus den nun leeren Schubfächern. Sie erhellten den Raum, und durch das zerschlagene Fenster drang ein wenig frische Luft herein. Schließlich war eine weitere Person tapfer genug,

Das ganze war innerhalb von nicht mal drei Minuten vorüber. Einige Gäste schleppten aus dem Schankraum große Wasserkrüge herbei und löschten damit den immer noch brennenden Korpus der Kommode. Ich warf den schwelenden Samtvorhang aus dem Fenster und schrie: »Vorsicht da unten!«, damit Simmon Bescheid wusste, dass er aus dem verschlungenen Stoffhaufen meinen Belagerungsstein bergen sollte.

Lampen wurden angesteckt, und der Rauch lichtete sich allmählich, während durch das zerschlagene Fenster die kühle Nachtluft hereinzog. Leute kamen herein, um zu helfen oder nur zu gaffen und zu schwatzen. Vor der eingeschlagenen Zimmertür sammelte sich ein Pulk verblüffter Schaulustiger, und ich fragte mich nebenbei, was nach den Ereignissen dieses Abends wohl für Gerüchte die Runde machen würden.

Als das Schlafzimmer hell erleuchtet war, staunte ich über den Schaden, den der Brand angerichtet hatte. Der Korpus der Kommode war kaum mehr als eine Ansammlung verkohlter Bretter und Leisten, und an der nackten Wand dahinter war stellenweise der Putz von der Hitze aufgeplatzt. Auf der weißen Zimmerdecke hatte sich ein großer, schwarzer Rußfächer gebildet.

Vor dem Spiegel im Ankleidezimmer stellte ich erleichtert fest, dass meine Augenbrauen kaum etwas abbekommen hatten. Ansonsten sah ich aber ziemlich mitgenommen aus, und mein Gesicht war mit einer Schmiere aus Schweiß und Ruß bedeckt, in der das Weiß meiner Augen geradezu grell hervorstach.

Wilem kam herein und half mir, meine linke Hand zu verbinden. Nicht dass ich sie mir tatsächlich verbrannt hatte. Mir war nur klar, dass es sehr seltsam aussehen würde, wenn ich diesen Ort vollkommen unversehrt verließ. Davon abgesehen, dass ich mir ein wenig die Haare versengt hatte, bestanden meine schlimmsten Schäden aus den Löchern, die ich mir in die langen Ärmel meines Hemds gebrannt

Ich ließ mich auf der Bettkante nieder und sah zu, wie die Leute noch mehr Wasser hereinschleppten und auf die verkohlte Kommode kippten. Dann machte ich sie auf einen angekohlten Deckenbalken aufmerksam, und sie spritzten Wasser hoch, und es zischte, und eine Dampf- und Rauchwolke quoll hervor. Die Leute gingen weiter im Zimmer ein und aus, betrachteten den Schaden, sprachen leise miteinander und schüttelte die Köpfe.

Gerade als Wilem mit meinem Handverband fertig war, erklang drunten auf der Straße Hufgetrappel.

Keine Minute später hörte ich Ambrose auf dem Korridor. »Was in Gottes Namen geht hier vor? Raus hier! Raus

Fluchend und Leute beiseite schiebend kam er herein. Als er mich auf seinem Bett sitzen sah, blieb er wie angewurzelt stehen. »Was machst du in meinen Gemächern?«, herrschte er mich an.

»Wie bitte?«, sagte ich und sah mich um. »Das sind deine Gemächer?« Das richtige Maß an Bestürzung in meinen Tonfall zu legen, war nicht ganz einfach, denn meine Stimme war von dem Rauch ganz rauh. »Ich habe mich gerade dabei verbrannt, dass ich deine Sachen gerettet habe?«

Ambrose kniff die Augen zusammen und ging zu dem verkohlten Kommodenwrack. Sein Blick huschte zu mir zurück, und dann ging ihm sichtlich ein Licht auf. Ich musste mich sehr zusammenreißen, nicht zu grinsen.

»Raus hier, du dreckiger, diebischer Ruh!«, spie er. »Ich schwöre dir, wenn irgendwas fehlt, hetze ich dir die Polizei auf den Hals. Dann bringe ich dich vors Eiserne Gesetz und sorge dafür, dass du aufgeknüpft wirst!«

Ich holte Luft, um etwas zu erwidern, doch dann bekam ich einen Hustenanfall und musste mich damit begnügen, ihn wütend anzustarren.

»Gut gemacht, Ambrose«, sagte Wilem. »Du hast ihn erwischt. Er hat dein Feuer gestohlen.«

Einer der Umstehenden schaltete sich ein. »Ja, er soll’s dir wiedergeben!«

Ich bedachte ihn mit einem stolzen Blick und kostete die Szene nach Kräften aus. »Gern geschehen«, sagte ich voller verletzter Würde und schob mich unsanft an ihm vorbei aus dem Zimmer.

Als ich ging, kam gerade ein dicker, rotgesichtiger Mann herein. Ich erkannte in ihm den Eigentümer des Gasthauses.

»Was zum Teufel geht hier vor?«, fragte er.

»Kerzen sind gefährlich«, sagte ich. Ich blickte mich noch einmal um und sah Ambrose in die Augen. »Also wirklich!«, sagte ich. »Was hast du dir bloß dabei gedacht. Von einem Mitglied des Arkanums dürfte man doch eigentlich ein bisschen mehr Vernunft erwarten.«

Wil, Mola, Devi und ich saßen rings um das, was von unserem großen Lagerfeuer noch übrig war, als wir Schritte im Wald hörten. Fela war immer noch so elegant gekleidet, trug aber mittlerweile ihr Haar offen. Sim ging vorsichtig neben ihr her und hielt ihr Zweige aus dem Weg.

»Wo habt ihr denn so lange gesteckt?«, fragte Devi.

»Ich musste zu Fuß aus Imre zurück«, erklärte Fela. »Sim kam mir auf halber Strecke entgegen. Mach dir bitte keine Sorgen, Mutter. Er hat sich wie ein vollkommener Gentleman verhalten.«

»Ich hoffe, es war nicht allzu schlimm für dich«, sagte ich.

»Das Abendessen war ungefähr so, wie man es erwarten konnte«, sagte Fela. »Aber der zweite Teil des Abends hat mich für alles entschädigt.«

»Der zweite Teil?«, fragte Mola.

»Auf dem Rückweg hat mir Sim die Schäden im GOLDENEN PONY gezeigt. Ich habe auch kurz mit Ambrose gesprochen. So viel Spaß hatte ich noch nie.« Fela lächelte ausgesprochen boshaft. »Ich war schwer beleidigt.«

»Das hättet ihr sehen müssen«, sagte Simmon. »Sie war brillant.«

Sim machte einen übertrieben finsteren Gesichtsausdruck und gestikulierte hektisch. »Hör mir doch mal zu, du dumme Schlunze!«, tönte er und ahmte Ambroses vintischen Akzent ganz ordentlich nach. »In meinen Gemächern hat es gebrannt! Deshalb musste ich fort!«

Fela wandte sich ab und warf die Hände hoch. »Lüg mich nicht an! Du bist zu irgendeiner Nutte gelaufen, ich weiß es genau! Nie im Leben bin ich so erniedrigt worden! Ich will dich nie wiedersehen

Wir klatschten Beifall. Fela und Sim hakten sich unter und verbeugten sich.

»Der Genauigkeit halber sei gesagt«, bemerkte Fela nebenbei, »dass Ambrose mich nicht als ›dumme Schlunze‹ bezeichnet hat.« Sims Arm ließ sie jedoch nicht los.

Simmon blickte ein bisschen betreten. »Ja, gut. Es gibt Sachen, die man einfach nicht zu einer Dame sagt, nicht mal im Spaß.« Widerstrebend löste er sich von Fela und ließ sich auf den umgestürzten Baumstamm nieder. Sie setzte sich zu ihm.

Dann beugte sie sich zu ihm hinüber und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Er lachte und schüttelte den Kopf. »Bitte!«, sagte Fela und legte ihm eine Hand auf den Arm. »Kvothe hat seine Laute nicht dabei. Jemand muss uns doch unterhalten.«

»Also gut«, sagte Simmon, offensichtlich ein wenig nervös. Er schloss einen Moment lang die Augen und sprach dann mit sonorer Stimme:

Flink kam unsere Fela,

Schritt sie entschlossen

Asche um Ambrose,

Böse sein Blick,

Doch furchtlos blieb Fela,

blitzenden Blickes

die steinige Straße.

als sie trat durch die Tür,

das Gesicht entsetzlich.

nicht bebte ihr Bu-

Kurz bevor er das Wort »Bu-« aussprechen konnte, hielt Simmon unvermittelt inne und lief knallrot an. Devi, die auf der anderen Seite des Feuers saß, ließ ein derbes Lachen hören.

»Ja, das hab ich ihn auch schon gefragt«, sagte Fela und lächelte.

»Das ist etwas, das in vielen alt-vintischen Gedichten vorkommt«, erklärte Sim. »Eine sogenannte Zäsur.«

»Du bist gefährlich gut beschlagen, was Lyrik angeht, Sim«, sagte ich. »Es fehlt nicht mehr viel, und ich verliere den Respekt vor dir.«

»Sei still«, sagte Fela. »Ich finde es wunderschön. Du bist doch bloß neidisch, dass er aus dem Stegreif dichten kann.«

»Gedichte sind lediglich Lieder ohne Musik«, sagte ich hochmütig. »Und ein Lied ohne Musik ist wie ein Körper ohne Seele.«

Noch bevor Simmon etwas darauf erwidern konnte, hob Wilem eine Hand. »Ehe wir uns hier in eine philosophische Debatte verbeißen, muss ich euch etwas gestehen«, sagte er. »Ich hab auf dem Korridor vor Ambroses Gemächern ein Gedicht fallen lassen. Es war ein Akrostichon, das von seiner grenzenlosen Zuneigung zu Meister Hemme handelte.«

Wir alle lachten, aber Simmon schien das besonders lustig zu finden. Er brauchte eine ganze Weile, bis er wieder bei Atem war. »Es hätte nicht besser laufen können – selbst wenn wir es so geplant hätten«, sagte er. »Ich hab ein bisschen Frauenunterwäsche gekauft und unter den Trümmern auf der Straße verteilt. Roter Satin, Spitzenhöschen und ein Fischbeinkorsett.«

Das gab wieder Gelächter. Dann richteten sich aller Augen auf mich.

»Und was hast du gemacht?«, fragte mich Devi.

»Nur das, was ich mir vorgenommen hatte«, sagte ich in ernstem Ton. »Nur das, was nötig war, um die Puppe zu zerstören, damit ich nachts wieder in Sicherheit schlafen kann.«

»Du hast seinen Nachttopf zerdeppert«, sagte Wilem.

»Stimmt. Und ich hab das hier entdeckt«, sagte ich und hielt einen kleinen Zettel empor.

»Wenn das eins seiner Gedichte ist«, sagte Devi, »schlage ich vor, dass du es ganz schnell verbrennst und dir die Hände wäschst.«

Sim setzte sich aufrecht. »Ist das ein Pfandschein für den Ring deiner Dame?«

»Es ist eine Auftragsbestätigung von einem Juwelier, wenn mich nicht alles täuscht. Ja, für einen Ring«, sagte ich. »Und sie ist übrigens nicht meine Dame.«

»Ich komme gerade nicht mehr mit«, sagte Devi.

»So hat das alles angefangen«, sagte Wilem. »Kvothe wollte etwas wiederbeschaffen, das einem Mädchen gehört, für das er schwärmt.«

»Könnte mich bitte mal jemand ins Bild setzen?«, sagte Devi. »Ich hab ja offenbar die erste Hälfte der Geschichte verpasst.«

Ich lehnte mich an einen Feldstein und ließ meine Freunde die Geschichte erzählen.

Der kleine Zettel hatte sich nicht in Ambroses Kommode befunden. Er hatte auch weder auf dem Kaminsims noch auf dem Nachttisch gelegen, nicht im Schmuckkasten und auch nicht auf dem Schreibtisch.

Nein, der Zettel hatte in Ambroses Geldbeutel gesteckt. Und den hatte ich ihm in einer Zornesaufwallung abgenommen – eine halbe Minute, nachdem er mich einen dreckigen, diebischen Ruh genannt hatte. Es war beinahe reflexhaft geschehen, als ich mich an ihm vorbei aus dem Zimmer drängte.

Und wie es der Zufall wollte, enthielt sein Geldbeutel auch Geld. Fast sechs Talente. Für Ambrose war das nicht viel – gerade mal genug für einen Abend in Saus und Braus mit einer Dame in der Stadt. Für mich aber war es ein kleines Vermögen. Es war so viel, dass ich beinahe Schuldgefühle bekam, dass ich es ihm abgeknöpft hatte. Aber auch nur beinahe.

Загрузка...