Kapitel 81 Der eifersüchtige Mond

An diesem Abend schoss Marten drei dicke Kaninchen. Ich hatte Wurzeln ausgegraben und einige Kräuter gesammelt, und noch vor Sonnenuntergang versammelten wir uns zu einem köstlichen Nachtmahl aus Fleisch, zwei frischen Brotlaiben, Butter und einem krümeligen Käse, der aus der Gegend kam und keinen eigenen Namen besaß.

Es war ein sonniger Tag gewesen. Entsprechend gut war die Stimmung, und beim Essen wurden wieder Geschichten erzählt.

Hespe erzählte eine überraschend romantische Begebenheit von einer Königin, die sich in einen Diener verliebt. Sie sprach mit großer innerer Anteilnahme und warf Dedan dabei zärtliche Blicke zu.

Dedan jedoch bemerkte nichts davon. Mit einer Begriffsstutzigkeit, wie ich sie nur selten erlebt habe, begann er seinerseits eine Geschichte zu erzählen, die er im Wirthaus ZUM GÜLDENEN PENNY aufgeschnappt hatte. Sie handelte von Felurian.

»Der Junge, von dem ich sie habe, war höchstens so alt wie unser Kvothe«, sagte er. »Und wenn ihr ihn gehört hättet, wüsstet ihr, dass er sie nicht erfunden hat.« Er klopfte sich vielsagend an die Schläfe. »Aber hört selbst und entscheidet, ob ihr ihm glauben wollt.«

Dedan konnte wie gesagt gut reden und hatte mehr Verstand, als man annehmen könnte, vorausgesetzt er gebrauchte ihn. Leider war das an diesem Abend nicht der Fall.

»Die Menschen haben seit undenklichen Zeiten Angst vor diesem Wald. Doch nicht weil sie fürchten, sich darin zu verirren oder ausgeraubt zu werden, nein.« Dedan schüttelte den Kopf. »Sie behaupten vielmehr, hier wohne das Volk der Fae. Kobolde mit Hufen, die bei

Tempi atmete ein, kaum hörbar zwar, aber umso auffälliger, als er den Geschichten des Abends ansonsten vollkommen bewegungslos lauschte.

»Felurian, dem Tod der Männer«, wiederholte er jetzt. »Ist sie …« Er brach ab. »Ist sie eine sentin?« Er hob die Hände, machte eine Bewegung, als wollte er damit zupacken, und sah uns fragend an. Als er merkte, dass wir ihn nicht verstanden, berührte er sein Schwert, das neben ihm lag.

Jetzt meinte ich ihn zu verstehen. »Nein«, sagte ich. »Sie ist keine Adem.«

Tempi schüttelte den Kopf und zeigte auf Martens Bogen.

Ich schüttelte ebenfalls den Kopf. »Nein, sie kämpft nicht. Sie …« Ich verstummte. Wie sollte ich ihm mit Zeichensprache erklären, auf welche Weise Felurian die Männer tötete? Hilfesuchend sah ich Dedan an.

Dedan zeigte keine Hemmungen. »Sex«, sagte er sofort. »Weißt du, was das ist?«

Tempi sah ihn überrascht an, dann legte er den Kopf zurück und lachte. Dedan schien nicht zu wissen, ob er gekränkt sein sollte oder nicht. Tempi beruhigte sich wieder. »Ja«, sagte er einfach. »Ja, ich weiß.«

Dedan lächelte. »Damit tötet sie die Männer.«

Tempi schien einen Augenblick vollkommen verwirrt, dann breitete sich langsam Entsetzen auf seinem Gesicht aus oder eigentlich eher Abscheu und Ekel, der angesichts seiner sonst so reglosen Miene umso schlimmer wirkte. Er öffnete und schloss die Hand und

Dedan wollte antworten und hielt inne. Dann setzte er zu einer Handbewegung an, hielt aber wieder inne und sah verlegen Hespe an.

Hespe kicherte heiser und wandte sich an Tempi. Sie überlegte kurz und tat dann, als halte sie jemanden im Arm und küsse ihn. Dann begann sie sich im Rhythmus eines schlagenden Herzens an die Brust zu klopfen. Sie klopfte immer schneller, brach plötzlich ab, ballte die Hand zu Faust und riss die Augen auf. Dann erstarrte sie am ganzen Körper, erschlaffte wieder und ließ den Kopf zur Seite fallen.

Dedan lachte und klatschte Beifall. »Genau so. Aber manchmal …« Er klopfte sich an die Schläfe, schnippte mit den Fingern, verdrehte die Augen und streckte die Zunge heraus. »Wahnsinn.«

Tempi entspannte sich wieder. »Aha«, sagte er sichtlich erleichtert. »Ja. Gut.«

Dedan nickte und fuhr mit seiner Geschichte fort. »Also, Felurian ist die geheime Sehnsucht aller Männer und eine sagenhafte Schönheit.« Um Tempi zu verdeutlichen, was er meinte, tat er, als bürste er sich lange Haare aus.

»Vor zwanzig Jahren gingen der Vater und der Onkel des Jungen, von dem ich die Geschichte habe, bei Sonnenuntergang in diesem Wald jagen. Sie blieben länger, als ratsam war, und beschlossen dann, auf dem Rückweg eine Abkürzung durch den Wald zu nehmen, statt wie vernünftige Leute die Straße zu benützen. Sie waren noch nicht lange gegangen, da hörten sie in einiger Entfernung eine Stimme singen. Sie folgten ihr, in der Annahme, sie befänden sich in der Nähe der Straße. Stattdessen gelangten sie zum Rand einer kleinen Lichtung. Auf der Lichtung stand Felurian und sang leise vor sich hin:

Cae-Lanion Luhial

di mari Felanua

Kreata Tu ciar

tu alaran di

Dirella. Amauen.

Loesi an delan

tu nia vor ruhlan

Felurian thae.

Obwohl Dedan mehr recht als schlecht sang, überlief mich ein Schauer. Die Melodie klang gespenstisch und zugleich zwingend und war mir vollkommen fremd. Auch die Sprache kannte ich nicht.

Dedan bemerkte meine Verwirrung und nickte. »Vor allem wegen dieses Liedes klingt die Geschichte des Jungen wahr. Ich verstehe zwar kein einziges Wort, aber der Wortlaut hat sich mir eingeprägt, obwohl ich das Lied nur einmal gehört habe. Die beiden Brüder blieben also neugierig am Rand der Lichtung stehen. Dank des Mondes konnten sie so gut sehen, als sei es helllichter Tag und nicht Nacht. Die Frau trug nichts am Leibe. Man sah trotz der langen Haare, die ihr bis zur Hüfte reichten, dass sie nackt wie der Mond war.«

Ich höre sehr gerne Geschichten über Felurian, doch jetzt wanderte mein Blick zu Hespe, und meine Begeisterung kühlte ab. Hespe musterte Dedan, und als er fortfuhr, kniff sie die Augen ein wenig zusammen.

Dedan bemerkte es nicht. »Die Frau war hoch gewachsen und hatte lange, schlanke Beine. Auch ihre Taille war schlank, und ihre runden Hüften luden förmlich dazu ein, sie mit der Hand zu berühren. Ihr Bauch war so vollkommen und glatt wie ein makelloses Stück Birkenrinde, der Nabel zum Küssen gemacht.«

Hespes Augen hatten sich inzwischen zu schmalen Schlitzen verengt. Noch vielsagender war ihr Mund, ein dünner, gerader Strich. Ich gebe euch einen guten Rat. Solltet ihr auf dem Gesicht einer Frau je einen solchen Blick sehen, hört sofort auf zu sprechen und setzt euch auf eure Hände. Es hilft vielleicht nichts mehr, aber ihr macht die Situation wenigstens nicht noch schlimmer.

Hespe schnaubte angewidert und stand auf. »Ich gehe«, sagte sie so eisig, dass selbst Dedan es bemerkte.

»Was ist denn?« Er sah sie an. Die Hände hielt er immer noch vor sich hin, als umfasse er damit die Brüste Felurians.

Hespe knurrte wütend etwas vor sich hin und verschwand.

Dedan ließ die Hände in den Schoß fallen. Auf seinem Gesicht folgten aufeinander in kürzester Zeit Verwirrung, Kränkung und Wut. Er stand ebenfalls auf, wischte ungeduldig einige Blätter und Zweige von seiner Hose ab und brummte etwas. Dann nahm er seine Decke und wollte zur anderen Seite der Lichtung gehen, auf der wir lagerten.

»Endet die Geschichte damit, dass die beiden Brüder ihr nachlaufen und der Vater des Jungen dann zurückbleibt?«, fragte ich.

Dedan drehte sich um. »Offenbar kennst du sie. Du hättest mich auch unterbrechen können, wenn …«

»Ich rate nur«, erklärte ich hastig. »Ich möchte immer auch das Ende einer Geschichte hören.«

»Der Vater ist mit dem Fuß in ein Kaninchenloch getreten und hat sich den Knöchel verstaucht«, sagte Dedan kurz angebunden. »Der Onkel verschwand spurlos.« Er trat mit grimmigem Gesicht aus dem Schein des Feuers.

Ich sah Marten beschwörend an, doch der schüttelte den Kopf. »Nein«, sagte er leise, »um nichts auf der Welt mische ich mich da ein. Ihm jetzt zu helfen wäre, als wollte man ein Feuer mit bloßen Händen löschen. Schmerzhaft und vergeblich.«

Tempi machte sein Nachtlager zurecht. Und Marten sah mich mit fragend erhobenem Finger an. Ob ich die erste Wache übernehmen wolle? Ich nickte, und er nahm seine Decke. »So verlockend manches erscheint, muss man doch das Risiko abwägen«, sagte er. »Wie dringend ist der Wunsch, und will man sich dafür wirklich die Finger verbrennen?«

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