Kapitel 31 Der Schmelztiegel

Als ich meine Laute wiederhatte, kam auch mein übriges Leben wieder einigermaßen ins Lot. Die Arbeit im Handwerkszentrum fiel mir leichter und die Seminare erschienen mir wie ein Kinderspiel. Selbst Elodin wirkte mit einem Mal vernünftiger.

Ich befand mich also in gelöster Stimmung, als ich Simmon im Alchemie-Komplex besuchte. Er öffnete auf mein Klopfen hin die Tür und bat mich herein. »Es hat funktioniert«, sagte er aufgeregt.

Er führte mich an einen Tisch, auf dem eine ganze Reihe von Glasgefäßen, Röhren und Gasbrennern aufgebaut waren. Dann lächelte er stolz und hielt einen kleinen Tiegel empor, von der Art, in der man sonst Rouge oder Schminke aufbewahrte.

»Kannst Du’s mir zeigen?«, fragte ich.

Sim setzte einen kleinen Gasbrenner in Betrieb, dessen Flamme die Unterseite einer flachen Eisenpfanne erhitzte. Wir standen einen Moment lang schweigend davor und lauschten dem Zischen des Brenners.

»Ich hab übrigens neue Stiefel«, sagte Sim und hob einen Fuß, um sie zu zeigen.

»Schick«, erwiderte ich, stutzte dann und sah genauer hin. »Sind das etwa Nagelstiefel?«, fragte ich ungläubig.

Er grinste wie ein richtiger Bösewicht. Ich lachte.

Die Eisenpfanne wurde allmählich heiß, und Sim schraubte den Tiegel auf und fuhr mit einem Zeigefinger in die beinahe durchsichtige Substanz darin. Dann hob er die Hand mit einer schwungvollen Geste, ließ sie niedersinken und drückte die Spitze seines Zeigefingers auf die Bratfläche der Pfanne.

»Unglaublich«, sagte ich. »Ihr erschafft hier wirklich die verrücktesten Dinge. Ein Hitzeschild.«

»Nein«, erwiderte Sim ganz ernst, »es wäre völlig falsch, es so zu aufzufassen. Es ist kein Schild, kein Isolator. Es ist eher wie eine zusätzliche Hautschicht, die wegbrennt, und deine eigentliche Haut wird währenddessen darunter nicht einmal warm.«

»Als hätte man eine Schicht Wasser um die Hand«, sagte ich.

Sim schüttelte erneut den Kopf. »Nein, Wasser ist ein Wärmeleiter. Das hier nicht.«

»Dann ist es also doch ein Isolator.«

»Also gut«, sagte Sim entnervt. »Du hältst jetzt mal die Klappe und hörst mir zu. Das hier ist Alchemie. Und du hast nicht die geringste Ahnung von Alchemie.«

Ich machte eine beschwichtigende Geste. »Ich weiß, ich weiß.«

»Dann sag’s. Sag ›Ich weiß, ich habe nicht die geringste Ahnung von Alchemie.‹«

Ich sah ihn finster an.

»Alchemie ist nicht einfach nur Chemie mit ein paar Extras«, sagte er. »Und das bedeutet: Wenn du mir jetzt nicht zuhörst, wirst du womöglich zu voreiligen Schlüssen gelangen, und das kann dich ganz schnell das Leben kosten.«

Ich atmete tief ein und langsam wieder aus. »Also gut. Erklär’s mir.«

»Du musst die Substanz schnell auftragen. Dir bleiben nur etwa zehn Sekunden, um sie gleichmäßig auf Händen und Unterarmen zu verteilen«, sagte er und unterstrich das Gesagte zugleich mit Gesten.

»Es lässt sich nicht wieder wegreiben, aber du wirst ein wenig davon verlieren, falls du deine Hände allzu großer Reibung aussetzt. Und du darfst auf keinen Fall dein Gesicht damit berühren. Reib dir nicht die Augen, bohr nicht in der Nase, kau nicht auf den Fingernägeln rum. Das Zeug ist in gewisser Weise giftig.«

»In gewisser Weise?«

Statt darauf einzugehen, hielt er mir den Finger hin, den er gerade

»Entsteht denn dabei irgendein Geruch?«, fragte ich. »Irgendwas, das einen verraten könnte?«

»Nein. Es brennt nicht im strengen Sinne. Es zerfällt nur.«

»Und in was zerfällt es?«

»In bestimmte Dinge«, erwiderte Simmon gereizt. »Es zerfällt in bestimmte komplizierte Dinge, die du ohnehin nicht verstehen würdest, da du ja, wie gesagt, nicht die geringste Ahnung von Alchemie hast.«

»Kann man es denn gefahrlos einatmen?«, fragte ich.

»Ja. Sonst würde ich es dir nicht geben. Es ist eine altbewährte Rezeptur, vielfach erprobt. Also: Da es die Hitze nicht weiterleitet, werden sich deine Hände im einen Moment noch kühl anfühlen, im nächsten aber schon, als würden sie gegen etwas glühend Heißes gepresst.« Er sah mich eindringlich an. »Ich rate dir, die Hände von irgendwelchen heißen Dingen zu nehmen, bevor die Substanz aufgebraucht ist.«

»Und woran erkenne ich, dass sie bald aufgebraucht sein wird?«

»Das kann man nicht erkennen«, sagte er einfach so. »Und deshalb rate ich dir, etwas anderes als deine bloßen Hände zu verwenden.«

»Na toll.«

»Wenn die Substanz mit Alkohol in Berührung kommt, wird sie sauer. Aber nur ein wenig, keine richtig scharfe Säure. Du hättest in diesem Fall genug Zeit, sie abzuwaschen. Wenn sie mit geringen Mengen Wasser in Berührung kommt, wie zum Beispiel dem Wasser in deinem Schweiß, ist das kein Problem. Wenn es aber sehr viel Wasser ist, sagen wir mal, im Verhältnis hundert zu eins, wird sie feuergefährlich.«

»Und wenn sie mit Pisse in Berührung kommt, verwandelt sie sich in eine köstliche Süßigkeit, nicht wahr?« Ich lachte. »Hast du mit Wilem gewettet, wie viel von diesem Quatsch ich dir abkaufe? Es gibt doch keinen Stoff, der feuergefährlich wird, wenn er mit Wasser in Berührung kommt.«

Sim kniff die Augen zusammen und nahm einen leeren Schmelztiegel zur Hand. »Dann füll da mal welches rein«, sagte er.

Ich goss ein wenig Wasser in den Tiegel und brachte ihn an den Tisch zurück. Sim tunkte seine benetzte Fingerkuppe hinein, quirlte mit dem Finger ein wenig darin herum und kippte das Wasser dann in die heiße Eisenpfanne.

Stichflammen schossen empor, mindestens einen Meter hoch, und verloschen dann langsam wieder. Sim stellte den leeren Schmelztiegel beiseite und sah mich mit ernster Miene an. »Sag es.«

Ich sah betreten auf meine Füße. »Ich habe nicht die geringste Ahnung von Alchemie.«

Sim nickte und wirkte erfreut. »Genau«, sagte er und wandte sich wieder dem Arbeitstisch zu. »Komm, wir gehen das noch mal durch.«

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