Kapitel 5 Das EOLIAN

Die Tage schleppten sich dahin. Ich arbeitete mir im Handwerkszentrum buchstäblich die Finger wund und las anschließend in der Bibliothek, bis mir die Buchstaben vor den Augen verschwammen.

Am fünften Tag der Zulassungsprüfungen stellte ich schließlich meine Decksleuchten fertig und lieferte sie im Lager ab, in der Hoffnung, dass sie sich schnell verkaufen würden. Ich überlegte, zwei weitere zu beginnen, machte mir aber klar, dass ich sie nicht fertig bekommen konnte, bevor die Studiengebühren fällig wurden.

Daher machte ich mich daran, auf andere Weise Geld zu beschaffen. Ich schob einen zusätzlichen Abendauftritt im ANKER’S ein und bekam von dankbaren Zuhörern dafür einige Getränke spendiert und eine Hand voll Kleingeld. Außerdem leistete ich auch etwas Akkordarbeit im Handwerkszentrum: Ich stellte einfache, nützliche Dinge her, wie Messingzahnräder und gehärtete Glasscheiben. So etwas kaufte das Handwerkszentrum sofort, und man erzielte dabei einen kleinen Gewinn.

Da kleine Gewinne aber nicht ausreichen würden, fertigte ich anschließend zwei Chargen gelbe Emitter. In Sympathielampen eingesetzt, gaben sie ein angenehmes, gelbliches Licht von sich, das dem Sonnenschein ähnelte. Sie waren einiges Geld wert, denn während man sie dotierte, musste man mit gefährlichen Stoffen hantieren.

Die Schwermetalle und dampfenden Säuren waren dabei noch das geringste Problem. Wirklich beängstigend waren die bizarren alchemischen Verbindungen. Es gab da Substanzen, die einem, ohne

Obwohl ich mit äußerster Sorgfalt zu Werke ging, zerbrach bei der zweiten Emitter-Charge mein Tenten-Glas, und winzige Tröpfchen eines Leitmittels spritzten auf das Glas der Abzughaube, an der ich arbeitete. Nichts davon berührte meine Haut, doch ein Tröpfchen landete auf meinem Hemd, oberhalb der fast armlangen Lederhandschuhe, die ich trug.

Ganz langsam zog ich mit einem Greifzirkel den Hemdstoff an dieser Stelle von meinem Körper fort. Dann schnitt ich das Stück Stoff heraus, so dass es meine Haut nicht mehr berühren konnte. Dieser Zwischenfall ließ mich schlotternd und schweißgebadet zurück, und ich befand, dass es bessere Möglichkeiten gab, Geld zu verdienen.

Ich übernahm die Wachschicht eines Kommilitonen in der Mediho, wofür ich einen Jot bekam. Dann half ich einem Händler dabei, drei Wagenladungen Kalk abzuladen, und bekam pro Wagen einen Halbpenny dafür. Später an diesem Abend stieß ich auf eine Kartenrunde, die mich zum Mitspielen einlud. Binnen zweier Stunden brachte ich es fertig, achtzehn Pennys und ein paar Zerquetschte zu verlieren. Das ärgerte mich fürchterlich, doch ich zwang mich, vom Spieltisch aufzustehen, bevor es womöglich noch schlimmer kam.

Nach all diesen Bemühungen war mein Geldbeutel leerer als zuvor.

Doch zum Glück hatte ich noch einen letzten Trick auf Lager.

Ich vertrat mir ein wenig die Beine – auf der breiten Steinstraße, die nach Imre führte.

Simmon und Wilem begleiteten mich. Wil hatte seinen späten

Mein Geldbeutel enthielt ein Talent und drei Jots. Ein wenig verheißungsvoller Betrag.

Der Vierte in unserer Runde war Manet. Sein struppiges graues Haar und die gewohnheitsmäßig zerknitterten Kleider ließen ihn ein wenig verwirrt wirken, so als wäre er gerade erst aufgewacht und wüsste nicht recht, wo er sei. Wir nahmen ihn mit, weil wir einen vierten Mann fürs Corners-Spielen brauchten, aber auch, weil wir uns verpflichtet fühlten, dafür zu sorgen, dass der arme Kerl wenigstens ab und zu mal aus der Universität herauskam.

Wir vier überquerten den hohen Bogen der Steinbrücke über den Omethi und gelangten dann nach Imre. Der Herbst lag in den letzten Zügen, und weil es kühl zu werden drohte, trug ich meinen Umhang. Den Lautenkasten hatte ich mir auf den Rücken geschnallt.

Im Herzen von Imre gingen wir über den mit Kopfstein gepflasterten Platz, vorbei an dem großen Springbrunnen mit den Nymphen- und Satyr-Statuen darin. Ein leichter Wind trug ein wenig von dem Sprühwasser des Springbrunnens mit sich, und wir stellten uns an der Schlange vor dem EOLIAN an.

Am Eingang angelangt, sah ich zu meinem Erstaunen, dass Deoch nicht da war. An seiner Stelle stand dort ein kleiner, stiernackiger Mann mit grimmigem Blick. »Das macht einen Jot, junger Herr.«

»Oh, Entschuldigung«, sagte ich, schob den Gurt des Lautenkastens beiseite und zeigte ihm das Abzeichen in Gestalt einer kleinen, silbernen Panflöte, das an meinem Umhang befestigt war. Ich wies auf Wil, Sim und Manet. »Die drei gehören zu mir.«

Der Türsteher beäugte das Abzeichen argwöhnisch. »Du siehst aber sehr jung aus«, sagte er und sah mir wieder ins Gesicht.

»Ich bin sehr jung«, erwiderte ich leichthin. »Das macht zu einem gewissen Teil meinen Charme aus.«

Ich zögerte. Ich sah zwar älter aus als ich war, also ein paar Jahre älter als fünfzehn, war damit aber, soweit ich wusste, der jüngste ausgezeichnete Musiker des EOLIAN. Normalerweise wirkte sich das zu meinen Gunsten aus. Nun jedoch …

Noch ehe mir eine Erwiderung einfiel, meldete sich jemand aus der Schlange hinter uns zu Wort. »Das geht in Ordnung, Kett.« Eine große Frau, die einen Geigenkasten trug, nickte mir zu. »Er hat sich sein Abzeichen verdient, während du nicht da warst. Das hat schon seine Richtigkeit.«

»Danke, Marie«, sagte ich, und der Türsteher ließ uns ein.

Wir vier fanden einen freien Tisch hinten im Saal, von dem aus man einen guten Blick auf die Bühne hatte. Ich sah mich unter den Leuten um und wehrte einen nur allzu vertrauten Anflug von Enttäuschung ab, als ich Denna nirgends entdecken konnte.

»Was sollte denn das am Eingang?«, fragte Manet, der sich ebenfalls umsah und besonders die Bühne und das hohe Deckengewölbe betrachtete. »Zahlt man hier etwa normalerweise Eintritt?«

Ich sah ihn an. »Du studierst seit dreißig Jahren, warst aber noch nie im EOLIAN?«

»Na ja, weißt du …«, sagte er und machte eine vage Handbewegung. »Ich hab halt immer viel zu tun. Ich komme nicht allzu oft auf diese Seite des Omethi.«

Sim lachte und setzte sich. »Dann werde ich es mal so erklären, dass auch du es verstehst, Manet. Wenn es eine Universität für Musik gäbe, dann wäre sie das hier, und Kvothe wäre an dieser Uni ein allseits anerkannter Arkanist.«

»Der Vergleich hinkt aber mächtig«, sagte Wil. »Das hier ist eher ein Fürstenhof der Musik, und Kvothe gehört zum Hofstaat. Wir sind sein Gefolge und dürfen daher mit rein. Das ist übrigens der Grund, weshalb wir es schon so lange mit ihm aushalten, obwohl er eigentlich so eine unglaubliche Nervensäge ist.«

»Ein ganzer Jot, bloß um hier reinzukommen?«, fragte Manet.

Ich nickte.

Manet sah sich weiter um und betrachtete die fein gekleideten

Das EOLIAN begann sich gerade erst zu füllen, und daher vertrieben wir uns die Zeit damit, Corners zu spielen. Die Einsätze waren ganz harmlos, es ging nur um einen Deut pro Runde, und das Doppelte wurde fällig, wenn man sich beim Mogeln erwischen ließ, aber so bitterarm, wie ich war, war jeder Einsatz hoch für mich. Zum Glück spielte Manet so verlässlich wie eine Zahnraduhr: keine auch nur versuchten Tricks, keine riskanten Manöver, kein Spiel aus dem Bauch heraus.

Simmon zahlte die erste Runde Getränke und Manet die zweite. Als dann schließlich die Lichter im EOLIAN gedämpft wurden, führten Manet und ich mit zehn Punkten Vorsprung, was größtenteils Simmons Hang zum halsbrecherischen Überreizen zu verdanken war. Ich steckte den gewonnenen Kupfer-Jot mit grimmiger Genugtuung ein. Ein Talent, vier Jots.

Ein älterer Herr betrat die Bühne. Nachdem Stanchion ihn kurz vorgestellt hatte, spielte er auf einer Mandoline eine schmerzlich schöne Version von Taetns letzte Stunde. Seine Finger bewegten sich leicht, schnell und sicher über die Saiten. Aber seine Stimme …

Die meisten Dinge lassen mit dem Alter nach. Die Hände und der Rücken werden steif, die Sehkraft verringert sich, die Haut wird rauh, und die Schönheit schwindet. Die einzige Ausnahme dieser Regel ist die Stimme. Bei guter Pflege und stetem Gebrauch wird die menschliche Stimme mit dem Alter immer noch schöner. Seine Stimme war wie lieblichster Honigwein. Er wurde für sein Lied mit innigem Beifall bedacht, und dann wurde es wieder hell im Saal, und das Stimmengewirr schwoll wieder an.

»Es gibt Pausen zwischen den einzelnen Auftritten«, erklärte ich Manet. »Damit die Leute sich unterhalten und umhergehen und sich was zu trinken besorgen können. Wenn du aber während eines Auftritts zu schwatzen anfängst, können selbst Tehlu und die Schar seiner Engel dich nicht beschützen.«

»Ich wollte dich nur fairerweise warnen«, sagte ich. »Du sagst mir ja immer, was im Handwerkszentrum gefährlich ist, und jetzt sage ich dir, was hier gefährlich ist.«

»Seine Laute war irgendwie anders als deine«, sagte Wilem. »Sie klang anders. Und kleiner war sie auch.«

Ich zwang mich, ganz ernst zu bleiben. »Diese Art von Laute nennt man ›Mandoline‹«, sagte ich.

»Du wirst doch auch was spielen, nicht wahr?«, fragte Simmon und rutschte wie ein aufgeregter junger Hund auf seinem Sitz hin und her. »Du solltest das Lied spielen, das du über Ambrose geschrieben hast.« Er begann die Melodie zu summen und sang dann:

Ein Muli kann zaubern lernen, der hat dafür ein Näsel,

Denn anders als Rosey etwa ist er nur halb ein Esel.

Manet kicherte in seinen Krug. Selbst Wilem ließ sich zu einem seltenen Lächeln hinreißen.

»Nein«, sagte ich mit Bestimmtheit. »Mit Ambrose bin ich fertig. Und was mich angeht, sind wir quitt.«

»Ja, klar«, entgegnete Wil trocken.

»Das ist mein Ernst«, sagte ich. »Es hat doch keiner was davon. Dieser ewige Hickhack führt doch nur zu Gereiztheit bei den Meistern.«

»›Gereiztheit‹ ist sehr milde ausgedrückt«, erwiderte Manet. »Ich hätte da ein ganz anderes Wort gewählt.«

»Du schuldest ihm noch eine Revanche«, sagte Sim, und seine Augen funkelten vor Wut. »Und außerdem werden sie dich ja wohl kaum des für ein Mitglied des Arkanums ungebührlichen Verhaltens beschuldigen, nur weil du ein Lied gesungen hast.«

»Nein, das nicht«, erwiderte Manet. »Sie werden einfach seine Studiengebühren erhöhen.«

»Wie bitte?«, sagte Simmon. »Das können sie nicht machen. Die Studiengebühren beruhen auf dem Prüfungsgespräch.«

»Zweimal«, sagte ich. »Aber beim zweiten Mal war es wirklich nicht meine Schuld.«

»Natürlich nicht«, sagte Manet und sah mich freimütig an. »Deshalb haben sie dich ja auch auspeitschen lassen, nicht wahr? Weil es nicht deine Schuld war.«

Ich regte mich unbehaglich auf meinem Sitz und spürte dabei die halb verheilten Narben auf meinem Rücken. »Es war größtenteils nicht meine Schuld«, präzisierte ich.

Manet tat das mit einem Achselzucken ab. »Um Schuld geht’s nicht. Ein Baum ist nicht schuld am Gewitter, aber jeder Schwachkopf weiß, wo der Blitz am ehesten einschlagen wird.«

Wilem nickte ernst. »Bei uns daheim sagt man: Der längste Nagel wird als Erster eingehämmert.« Er runzelte die Stirn. »Auf Siaru klingt das irgendwie besser.«

Sim machte ein besorgtes Gesicht. »Aber das Prüfungsgespräch hat doch immer noch den allergrößten Anteil an der Bemessung der Gebühren, nicht wahr?« Es klang, als sei er bisher nie auf die Idee gekommen, dass persönliche Animositäten und irgendwelche Winkelzüge dabei auch eine Rolle spielen könnten.

»Den größten Anteil«, bestätigte Manet. »Aber die Meister entscheiden selbst über ihre Fragen, und jeder von ihnen hat bei den Gebühren ein Wörtchen mitzureden.« Er begann es an den Fingern abzuzählen: »Hemme kann dich nicht ausstehen, und er kann unglaublich nachtragend sein. Bei Lorren hast du dich schon sehr früh unbeliebt gemacht und bist es auch geblieben. Du bist einfach ein Tunichtgut. Gegen Ende des letzten Trimesters hast du fast eine ganze Spanne gefehlt. Und du hast dich vorher nicht abgemeldet und dich hinterher nicht entschuldigt.« Er bedachte mich mit einem vielsagenden Blick.

Nach kurzem Schweigen zuckte Manet die Achseln und fuhr fort: »Darüber hinaus werden sie dich diesmal als Re’lar prüfen. Und je weiter man aufsteigt, desto höher die Gebühren. Das ist einer der Gründe, warum ich so lange E’lir geblieben bin.« Er sah mich streng an. »Willst du wissen, was ich schätze? Du kannst von Glück reden, wenn sie dir weniger als zehn Talente abverlangen.«

»Zehn Talente.« Sim sog Luft zwischen den Zähnen durch und schüttelte mitfühlend den Kopf. »Ein Glück, dass du gerade so gut bei Kasse bist.«

»So gut bei Kasse nun auch wieder nicht«, sagte ich.

»Wie das?«, fragte Sim. »Die Meister haben Ambrose doch zu fast zwanzig Talenten Geldstrafe verurteilt, nachdem er deine Laute kaputtgemacht hatte. Was hast du denn mit dem ganzen Geld gemacht?«

Ich senkte den Blick und stupste mit dem Fuß vorsichtig an meinen Lautenkasten.

»Du hast es alles für eine neue Laute ausgegeben?«, fragte Simmon entsetzt. »Zwanzig Talente? Weißt du überhaupt, was man für so viel Geld kaufen könnte?«

»Eine Laute?«, fragte Wilem.

»Ich wusste nicht mal, dass man überhaupt so viel Geld für ein Musikinstrument ausgeben kann«, sagte Simmon.

»Man kann noch viel mehr dafür ausgeben«, sagte Manet. »Das ist wie bei Pferden.«

Da geriet das Gespräch ein wenig ins Stocken. Wil und Sim sahen ihn verwirrt an.

Ich lachte. »Ja, das ist tatsächlich ein guter Vergleich.«

Manet nickte den beiden zu. »Bei Pferden gibt es auch eine immense Preisspanne. Einen altersschwachen Ackergaul kriegt man schon für weniger als ein Talent. Für einen hochtrabenden Vaulder aber muss man vierzig Talente hinlegen.«

»Das reicht wohl kaum«, grunzte Wil. »Nicht, wenn es ein echter Vaulder ist.«

Simmon guckte verblüfft. »Aber mein Vater hat mal zweihundertfünfzig Talente für einen großen Kaepcaen hingelegt«, sagte er.

Ich lehnte mich zur Seite und zeigte in den Saal. »Siehst du den blonden Mann da? Seine Mandoline ist doppelt so viel wert.«

»Aber«, sagte Simmon. »Bei Pferden geht’s doch um die Abstammung. Pferde kann man züchten, um sie zu verkaufen.«

»Bei der Mandoline geht es auch um die Abstammung«, sagte ich. »Sie wurde von Antressor höchstpersönlich gebaut. Sie ist hundertfünfzig Jahre alt.«

Ich sah zu, wie Simmon diese Informationen verdaute und sich dabei nach all den anderen Instrumenten im Raum umsah. »Trotzdem«, sagte er. »Zwanzig Talente …« Er schüttelte den Kopf. »Wieso hast du damit nicht wenigstens bis nach der Zulassungsprüfung gewartet? Dann hättest du das Geld, das dir noch geblieben wäre, für eine Laute ausgeben können.«

»Ich habe sie für meine Auftritte im ANKER’S gebraucht«, erklärte ich. »Als Hausmusiker habe ich da freie Kost und Logis. Wenn ich nicht spielen würde, müsste ich da raus.«

Das war die Wahrheit – aber nicht die ganze Wahrheit. Anker hätte Nachsicht walten lassen, wenn ich ihm meine Lage geschildert hätte. Doch wenn ich so lange abgewartet hätte, hätte ich fast zwei Spannen lang keine Laute gehabt. Das hätte sich angefühlt, als fehlte mir ein Arm oder Bein. Als hätte ich zwei Spannen mit zugenähtem Mund überstehen müssen. Undenkbar.

»Ich hab das auch nicht alles nur für die Laute ausgegeben«, sagte ich. »Ich hatte auch noch andere Unkosten.« Genauer gesagt, hatte ich den Gaelet ausbezahlt, von dem ich mir Geld geliehen hatte. Das hatte mich sechs Talente gekostet, doch von meinen Schulden bei Devi befreit zu sein hatte sich angefühlt, als wäre eine ungeheure Last von mir genommen.

Nun aber spürte ich, wie mir eben diese Last wieder aufgeladen wurde. Wenn Manets Schätzung auch nur halbwegs zutraf, war ich sogar noch schlimmer dran, als ich angenommen hatte.

Ich mochte Marie. Sie war größer als die meisten Männer, stolz wie eine Katze und sprach mindestens vier Sprachen. Viele Musiker in Imre gaben sich alle Mühe, der neusten Mode zu folgen, um sich so zumindest äußerlich dem Adel anzugleichen, Marie aber trug Straßenkleidung. Hosen, die einen langen Arbeitstag vertrugen, und Stiefel, die auch für einen Zwanzig-Meilen-Marsch getaugt hätten.

Ich will damit nicht sagen, dass sie schlicht gekleidet war, das wirklich nicht. Sie machte sich bloß nichts aus Mode und Flitterkram. Ihre Kleidung war offenkundig maßgeschneidert – sie saß perfekt und wirkte sehr vorteilhaft. An diesem Abend trug sie Burgunderrot und Braun, die Farben ihrer Schirmherrin Lady Jhale.

Wir vier sahen gebannt auf die Bühne. »Ich gebe zu«, sagte Wilem leise, »dass ich Marie durchaus schon in Erwägung gezogen habe.«

Manet lachte leise auf. »Diese Frau ist eine Wucht, eine Naturgewalt. Mit der wäre jeder von uns gleich mehrfach überfordert.« So eine Aussage hätte uns drei bei anderer Gelegenheit wahrscheinlich zu großspurigem Widerspruch angestachelt. Doch Manet konstatierte das einfach nur, ohne den mindesten Hohn, und daher ließen wir es durchgehen. Zumal er wohl recht damit hatte.

»Nichts für mich«, sagte Simmon. »Sie sieht doch immer so aus, als würde sie sich gerade für einen Ringkampf bereit machen. Oder dafür, ein wildes Pferd zuzureiten.«

»Stimmt«, sagte Manet und lachte erneut leise. »Wenn wir in besseren Zeiten lebten, hätte man einer Frau wie ihr längst einen Tempel errichtet.«

Wir verstummten, denn Marie hatte ihre Geige fertig gestimmt und begann mit einem lieblichen Rundtanz, so sacht wie eine sanfte Frühlingsbrise.

Ich hatte jetzt keine Zeit, es ihm zu sagen, aber Simmon hatte recht: Im ZÜNDSTEIN hatte ich Marie einmal einen Mann verprügeln

Marie zog das Tempo ganz allmählich an, und die Melodie wurde so zu einer Weise, zu der man nur tanzen würde, wenn man außergewöhnlich leichtfüßig oder sehr betrunken war.

Sie zog das Tempo weiter an, bis kein Mensch mehr dazu hätte tanzen können. Nun raste das Lied dahin, wie schnellste Kinderfüße. Ich staunte, wie sauber sie trotz der fieberhaften Schnelligkeit spielte.

Sie wurde noch schneller. So schnell wie ein von einem Hund gehetztes Reh. Ich begann nervös zu werden, denn mir war klar, dass es nur eine Frage der Zeit sein konnte, bis sie sich verspielte. Doch irgendwie gelang es ihr weiterzumachen und jeden einzelnen Ton perfekt zu treffen. In hohen Bögen flogen ihre Finger über die Saiten, und ihre Bogenhand blieb trotz der aberwitzigen Geschwindigkeit ganz locker.

Immer noch schneller. Ihr Gesicht wirkte konzentriert. Ihren Arm, der den Bogen führte, sah man nur noch verschwommen. Noch einmal schneller. Sie hatte ihre langen Beine fest auf der Bühne aufgepflanzt und hielt die Geige unverwandt ruhig am Kinn. Jeder einzelne Ton erklang so klar wie frühmorgendlicher Vogelgesang. Schneller, immer schneller.

Sie schloss stürmisch und verneigte sich schnell, und das alles ohne einen einzigen Fehler. Ich war so nassgeschwitzt wie ein forsch gerittenes Pferd, und mein Herz raste.

Und es ging nicht nur mir so. Wil und Sim stand ebenfalls der Schweiß auf der Stirn.

Manet hatte die Tischkante gepackt, und seine Fingerknöchel waren weiß. »Grundgütiger Tehlu«, sagte er atemlos. »Gibt es hier jeden Abend solche Musik?«

Ich lächelte ihm zu. »Es ist noch früh«, sagte ich. »Und du hast mich noch nicht spielen gehört.«

Dann spielte ein graubärtiger Lautenist eine sehr zu Herzen gehende Version von En Faeant Morie. Anschließend sangen zwei schöne Frauen, eine in den Vierzigern und die andere jung genug, um ihre Tochter sein zu können, ein Duett über Laniel Wiederjung, das ich noch nie gehört hatte.

Nun wurde wieder Marie auf die Bühne gerufen, und sie spielte eine schlichte Jig, einen Volkstanz, aber mit solcher Begeisterung, dass einige Leute aufsprangen und zwischen den Tischen tanzten. Beim letzten Refrain hielt es auch Manet nicht mehr auf dem Stuhl, und er verblüffte uns, indem er eine bemerkenswerte Leichtfüßigkeit an den Tag legte. Wir jubelten ihm zu, und als er sich schließlich wieder setzte, war er rot im Gesicht und ganz außer Atem.

Wil beschaffte ihm etwas zu trinken, und Simmon wandte sich mit aufgekratztem Blick zu mir um.

»Nein«, sagte ich. »Das spiele ich nicht. Das hab ich dir doch schon gesagt.«

Sim sank so tief enttäuscht in sich zusammen, dass ich einfach lachen musste. »Ich sag dir was: Ich mache jetzt mal eine Runde durch den Saal, und falls ich Threpe treffe, schlage ich ihm vor, dass er es singen soll.«

Langsam bahnte ich mir einen Weg durch die Menschenmenge, und während ich nach Threpe Ausschau hielt, suchte ich doch in Wirklichkeit nach Denna. Ich hatte sie nicht durch den Haupteingang hereinkommen sehen, doch bei all der Musik, dem Kartenspiel und dem allgemeinen Gedränge konnte es durchaus sein, dass ich sie schlicht und einfach übersehen hatte.

Ich brauchte eine Viertelstunde, mich durchs Erdgeschoss hindurchzuarbeiten, allen Anwesenden ins Gesicht zu sehen und zwischendurch kurz zu verweilen und mit ein paar Musikern zu plaudern.

Ich stieg gerade zum ersten Rang hinauf, als die Lichter wieder gedämpft wurden. So blieb ich am Treppengeländer stehen und

Als die Lichter wieder angingen, suchte ich das erste Obergeschoss des EOLIAN ab: ein breiter, halbmondförmiger Rang. Meine Suche hatte etwas von einem sinnlosen Ritual, denn nach Denna zu suchen war per se ein ebenso aussichtsloses Unterfangen, als würde man um gutes Wetter beten.

Doch dieser Abend erwies sich als Ausnahme von der Regel. Während ich über den ersten Rang schlenderte, entdeckte ich sie, wie sie neben einem großen, dunkelhaarigen Mann einherging. Ich änderte meinen Kurs zwischen den Tischen hindurch so, dass ich den beiden wie zufällig begegnen würde.

Denna entdeckte mich eine halbe Minute, nachdem ich sie entdeckt hatte. Sie lächelte, nahm die Hand vom Arm des Mannes und winkte mich herbei.

Der Mann an ihrer Seite wirkte stolz wie ein Falke, sah blendend aus und hatte einen ausgesprochen kantigen Kiefer. Er trug ein Hemd aus blendend weißer Seide und eine blutrot gefärbte Wildlederjacke. Silberstickereien. Silberne Gürtelschnalle und Manschettenknöpfe. Er sah von Kopf bis Fuß aus wie ein modeganischer Adliger. Von dem, was seine Kleidung gekostet hatte, von seinen Ringen ganz zu schweigen, hätte ich ein ganzes Jahr lang meine Studiengebühren bestreiten können.

Denna spielte die Rolle seiner reizenden, attraktiven Begleiterin. Wenn ich sie zuvor gesehen hatte, war sie meist so ähnlich gekleidet gewesen wie ich selbst: Schlichte Sachen, die etwas aushalten konnten und sich als Reisekleidung eigneten. An diesem Abend jedoch trug sie ein langes Kleid aus grüner Seide. Das dunkle Haar war ihr in kunstvollen Locken ums Gesicht frisiert und fiel sanft über ihre Schultern. An einer Halskette trug sie einen tränenförmigen Smaragd-Anhänger, dessen Farbe so vollkommen der ihres Kleides entsprach, dass es kein Zufall sein konnte.

Ich kam mir dagegen ein bisschen schäbig vor. Mehr als nur ein bisschen. Meine gesamte Garderobe bestand aus vier Hemden, zwei Hosen und diversem Kleinkram. Alles war aus zweiter Hand und mindestens halbwegs abgetragen. Ich hatte an diesem Abend meine

Die einzige Ausnahme war der Umhang, den Fela mir geschenkt hatte. Er war warm und wunderbar, eigens für mich aus grünem und schwarzem Stoff geschneidert und mit vielen kleinen Innentaschen versehen. Er war zwar keineswegs elegant, aber das Beste, was ich besaß.

Als ich näher kam, trat Denna einen Schritt vor und hielt mir in einer selbstsicheren, fast schon arroganten Geste eine Hand zum Kuss entgegen. Ihr Gesichtsausdruck war gefasst, ihr Lächeln höflich. Einem flüchtigen Betrachter wäre sie wie eine vornehme Dame erschienen, die einem armen, jungen Musiker huldvoll gegenübertritt.

Wären da nicht ihre Augen gewesen. Sie waren dunkel und tief, kaffee- oder schokoladenfarben. Ihre Augen irrlichterten vor Belustigung, vor Gelächter. Ihr Begleiter, der nun hinter ihr stand, runzelte kaum merklich die Stirn, als sie mir ihre Hand darbot. Ich wusste nicht, was für ein Spiel Denna hier spielte, ahnte aber, worin meine Rolle darin bestehen sollte.

Und so beugte ich mich über ihre Hand und küsste sie, derweil ich mich tief verneigte. Ich war schon in jungen Jahren in höfischen Umgangsformen unterwiesen worden und wusste also, was ich tat. Sich von der Hüfte ab verbeugen, das kann jeder, eine schöne Verneigung aber erfordert Können.

Und so verneigte ich mich elegant, und als meine Lippen ihren Handrücken berührten, raffte ich mit einer Bewegung quasi aus dem Handgelenk meinen Umhang auf einer Seite. Das war das Schwierigste dabei, und ich hatte stundenlang vor einem Badehausspiegel üben müssen, bis ich diese Bewegung mit der nötigen Beiläufigkeit hinbekam.

Denna machte einen Knicks, so anmutig wie ein fallendes Blatt, und trat dann wieder einen Schritt zurück, neben den Adligen. »Kvothe, darf ich vorstellen? Lord Kellin Vantenier. Kellin – Kvothe.«

Kellin musterte mich von Kopf bis Fuß und hatte sich schneller eine abschließende Meinung über mich gebildet, als man hätte scharf einatmen können. Er setzte eine abweisende Miene auf und nickte

»Zu Diensten, Mylord.« Ich verneigte mich höflich und verlagerte dabei mein Gewicht so, dass mir der Umhang von der Schulter rutschte und mein Abzeichen darunter zum Vorschein kam.

Er war schon dabei, den Blick mit geübtem Desinteresse abzuwenden, als er das kleine Silberding bemerkte. Als Schmuckstück war es nichts Besonderes, doch an diesem Ort hatte es eine einzigartige Bedeutung. Wilem hatte recht: Im EOLIAN gehörte ich zum Hofstaat.

Und Kellin war das augenblicklich klar. Er stutzte und erwiderte meine Verneigung. Es war kaum mehr als ein Nicken, gerade tief genug, um noch höflich zu sein. »Euch und den Euren«, sagte er in perfektem Aturisch. Seine Stimme war tiefer als meine, ein warmer Bass, dem sein leicht modeganischer Akzent etwas Melodisches verlieh.

Denna neigte den Kopf in seine Richtung. »Kellin hat mir das Harfenspiel nähergebracht.«

»Ich bin hier, um mein Abzeichen zu erringen«, sagte er voller Bestimmtheit.

Und sobald er den Mund aufgetan hatte, fassten ihn die Frauen an den Tischen ringsumher mit Schlafzimmerblicken ins Auge. Auf mich hatte seine Stimme eine gegensätzliche Wirkung. Sowohl reich als auch gut aussehend zu sein, war schon schlimm genug. Dass er darüber hinaus auch noch eine Stimme wie Honig auf ofenwarmem Brot besaß, war schlicht und einfach unverzeihlich. Bei ihrem Klang fühlte ich mich wie eine Katze, die am Schwanz gepackt und mit nasser Hand gegen den Strich gerieben wurde.

Ich sah mir seine Hände an. »Dann seid Ihr also Harfenspieler?«

»Harfenist«, korrigierte er steiflippig. »Ich spiele die Pendenhale. Die Königin der Instrumente.«

Ich wollte schon etwas sagen, hielt dann aber doch lieber die Klappe. Die große modeganische Harfe war fünfhundert Jahre zuvor die Königin der Instrumente gewesen. Heutzutage war sie weiter nichts als eine antike Kuriosität. Um Dennas willen sagte ich nichts

Kellin kniff ein wenig die Augen zusammen. »Mit Glück wird es nichts zu tun haben, wenn ich hier auftrete. Aber nein. Heute Abend genieße ich die Gesellschaft meiner lieben Dinael.« Er hob Dennas Hand an seinen Mund und küsste sie ganz beiläufig. Dann sah er sich auf besitzergreifende Weise im Publikum um, als wären alle diese Leute seine Leibeigenen.

Ich sah kurz zu Denna hinüber, aber sie wich meinem Blick aus. Sie neigte den Kopf zur Seite und nestelte an einem Ohrring, der bis dahin unter ihrem Haar verborgen gewesen war, einem kleinen, tränenförmigen Smaragd, passend zu dem an ihrem Hals.

Kellin musterte mich erneut. Meine schlecht sitzenden Kleider. Mein Haar – zu kurz geschnitten, um der Mode zu entsprechen, und zu lang, um irgendetwas anderes als eine wilde Mähne zu sein. »Und du bist … ein Flötenspieler?«

Das kostengünstigste Instrument. »Flötist«, berichtigte ich ihn leichthin. »Aber nein. Mir ist die Laute lieber.«

Seine Augenbrauen hoben sich. »Du spielst Hoflaute?«

Mein Lächeln erstarrte ein wenig, obwohl ich mir alle Mühe gab. »Nein, die normale, siebensaitige.«

»Ah!«, sagte er und lachte, als wäre ihm mit einem Mal alles klar. »Volksmusik!«

Ich ging auch darauf nicht ein, obwohl es mir noch schwerer fiel als zuvor. »Habt Ihr schon Sitzplätze?«, fragte ich frohgemut. »Ein paar Freunde und ich haben unten einen Tisch mit gutem Blick auf die Bühne. Ihr seid herzlich eingeladen, dort Platz zu nehmen.«

»Die Dame und ich haben einen Tisch auf dem zweiten Rang.« Kellin wies mit einer Kopfbewegung auf Denna. »Und ich ziehe die Gesellschaft dort oben entschieden vor.«

Denna verdrehte die Augen, ohne dass er es sehen konnte.

Ich ließ mir nichts anmerken und verneigte mich noch einmal höflich vor ihm. »Dann werde ich Euch nicht weiter aufhalten.«

Ich wandte mich an Denna. »Mylady, dürfte ich Euch gelegentlich einmal besuchen kommen?«

»Zu liebenswürdig!«, sagte ich und verneigte mich viel tiefer vor ihr als vor Kellin. Nun verdrehte sie meinetwegen die Augen.

Kellin bot ihr seinen Arm an und wandte mir mit der gleichen Bewegung die Schulter zu, und dann gingen die beiden davon. Wenn man sie so sah, wie sie sich anmutig durch die Menschenmenge bewegten, hätte man glauben können, dass ihnen dieses Lokal gehörte oder sie mit dem Gedanken spielten, es zu kaufen, um es zu einer Sommerresidenz umbauen zu lassen. Nur alter Adel bewegt sich mit dieser Arroganz, die sich aus dem tief verinnerlichten Wissen speist, dass alles auf der Welt ausschließlich dazu da ist, dem eigenen Wohlergehen zu dienen. Denna täuschte dies mit fabelhaftem Können vor, für Lord Kellin Kantkiefer aber war es so selbstverständlich wie das Atmen.

Ich sah ihnen nach, bis sie die Treppe zum zweiten Rang halb erklommen hatten. Dort blieb Denna stehen, hob eine Hand an den Kopf und sah sich mit besorgter Miene auf dem Boden um. Die beiden wechselten ein paar Worte, und sie deutete die Treppe hinauf. Kellin nickte, ging weiter nach oben und verschwand außer Sicht.

Einer plötzlichen Eingebung folgend, sah ich zu Boden und entdeckte dort, wo Denna in der Nähe des Geländers gestanden hatte, ein silbernes Schimmern. Ich ging hin und stellte mich darüber, wodurch ich zwei kealdische Kaufleute nötigte, einen Bogen um mich zu machen.

Ich tat, als betrachtete ich die Menschenmenge unten im Saal, bis Denna mir von hinten auf die Schulter tippte. »Kvothe«, sagte sie nervös. »Tut mir leid, dich zu stören, aber ich habe offenbar einen Ohrring verloren. Bist du so lieb und hilfst mir suchen? Ich bin sicher, dass ich ihn gerade noch hatte.«

»Mein Gott«, murmelte ich. »Wo hast du den denn aufgegabelt?«

Denna kicherte leise. »Pscht. Du hast doch gesagt, ich soll Harfe lernen. Und Kellin ist ein ziemlich guter Lehrer.«

»Eine modeganische Pedal-Harfe wiegt fünfmal so viel wie du«, sagte ich. »Das ist ein Salon-Instrument. So was könntest du doch niemals mit auf Reisen nehmen.«

Sie hörte auf, so zu tun, als suchte sie nach ihrem Ohrring, und bedachte mich mit einem strengen Blick. »Wer sagt denn, dass ich ab jetzt nicht immer einen Salon haben werde, in dem ich Harfe spielen kann?«

Ich sah wieder zu Boden und rang mir ein Achselzucken ab. »Als Lerninstrument ist es sicherlich ganz tauglich. Wie gefällt es dir denn bislang?«

»Es ist besser als eine Leier«, sagte sie. »Das ist mir nun klar. Aber bisher kann ich gerade mal Eichhorn im Stroh spielen.«

»Und er? Ist er gut?«, fragte ich mit verschmitztem Lächeln. »Hat er geschickte Finger?«

Denna errötete ein wenig und guckte, als würde sie mir gleich eine Ohrfeige verpassen. Gerade noch rechtzeitig besann sie sich darauf, dass es galt, Haltung zu wahren, und begnügte sich damit, die Augen zusammenzukneifen. »Du bist wirklich schrecklich«, sagte sie. »Kellin hat sich mir gegenüber stets wie ein vollkommener Edelmann benommen.«

»Tehlu bewahre uns vor solchen Edelmännern«, erwiderte ich.

Sie schüttelte den Kopf. »Ich meinte: Wie ein vollkommener Kavalier. Er ist bloß nie aus Modeg herausgekommen, und deshalb wirkt er wie ein Kätzchen in einem Hühnerstall.«

»Dann heißt du jetzt also Dinael?«, fragte ich.

»Vorläufig. Und für ihn«, sagte sie und sah mich mit einem belustigten

»Das ist gut zu wissen«, sagte ich und hob meine Hand vom Fußboden. Darunter kam ein kleiner, tränenförmiger Smaragd-Ohrring zum Vorschein. Denna machte ein großes Spektakel daraus, als sie ihn entdeckte, und hielt ihn ans Licht empor. »Ah! Da ist er ja!«

Ich erhob mich und half ihr beim Aufstehen. Sie strich sich das Haar nach hinten und kam mir näher. »Ich hab zwei linke Hände bei so was«, sagte sie. »Wärst du so nett?«

Ich war ihr nun ganz nah. Sie gab mir den Ohrring. Sie duftete ein wenig nach Wildblumen. Darunter aber roch sie nach Herbstlaub, nach dem Dunkel ihres Haars, nach Straßenstaub und der Luft kurz vor einem Sommergewitter.

»Und was ist er?«, fragte ich leise. »Der zweitälteste Sohn von jemandem?«

Sie schüttelte kaum merklich den Kopf, und eine Haarsträhne fiel nach vorn und strich mir über den Handrücken. »Er ist als Lord sein eigener Herr.«

»Skethe te retaa van«, fluchte ich. »Schließt eure Söhne und Töchter weg.«

Denna lachte wieder leise. Sie bebte am ganzen Leib vor zurückgehaltenem Gelächter.

»Halt still«, sagte ich und ergriff sacht ihr Ohr.

Denna atmete tief durch und nahm sich zusammen. Ich fädelte ihr den Ring durchs Ohrloch und trat einen Schritt zurück. Sie hob eine Hand und prüfte den Sitz, trat dann ebenfalls zurück und machte einen Knicks. »Herzlichen Dank für deine Hilfe.«

Ich verneigte mich erneut vor ihr. Diese Verneigung war nicht so formvollendet wie die vorherige, aber aufrichtiger. »Stets zu Diensten, Mylady.«

Denna lächelte und wandte sich zum Gehen, und in ihren Augen irrlichterte es wieder.

Sim wirkte so angeregt wie stets nach der fünften Runde. Manet hing auf seinem Stuhl, die Augen halb geschlossen, und ließ seinen Krug auf der Wölbung seiner Plauze ruhen. Wil sah aus wie eh und je, und seine dunklen Augen blickten unergründlich.

»Threpe ist nicht aufzutreiben«, sagte ich und setzte mich wieder. »Tut mir leid.«

»Sehr schade«, sagte Sim. »Hat er eigentlich schon einen Schirmherrn für dich gefunden?«

Ich schüttelte mit bitterer Miene den Kopf. »Ambrose hat sämtliche Adligen im Umkreis von hundert Meilen bedroht oder bestochen. Von denen will keiner mehr was mit mir zu tun haben.«

»Und wieso nimmt Threpe dich nicht selbst unter seine Fittiche?«, fragte Wilem. »Er schätzt dich doch sehr.«

Ich schüttelte den Kopf. »Threpe unterstützt schon vier andere Musiker. Zwei davon sind ein Ehepaar.«

»Vier?«, sagte Sim entgeistert. »Da ist es ja ein Wunder, dass er sich noch was zu essen leisten kann.«

Wil neigte neugierig den Kopf, und Sim beugte sich vor und erläuterte: »Threpe ist ein Graf, aber seine Besitzungen sind wirklich nicht sehr umfangreich. Mit solchen Einkünften vier Musiker zu unterstützen, ist schon ein bisschen … extravagant.«

Wil runzelte die Stirn. »Ein paar Getränke und ein paar neue Saiten, so teuer kann das doch wohl nicht sein.«

»Ein Schirmherr ist für mehr als nur das verantwortlich.« Sim begann es an den Fingern abzuzählen. »Da ist zum einen die Schirmherrschaftsurkunde selbst. Dann hat er für Kost und Logis zu sorgen. Darüber hinaus zahlt er eine jährliche Apanage. Er stellt jedem eine Kleidergarnitur in den Familienfarben zur Verfügung …«

»Zwei Garnituren – traditionellerweise«, schaltete ich mich ein. »Und zwar jedes Jahr neu.« Als Kind hatte ich die Livreen, die Lord Greyfallow unserer Truppe zur Verfügung stellte, nie zu schätzen gewusst. Heutzutage jedoch kam ich um den Gedanken, wie enorm

Simmon grinste, als ein Kellner an unseren Tisch kam, und ließ damit keinen Zweifel aufkommen, wem die vier Gläser Brombeerbrand zu verdanken waren, die nun vor uns abgestellt wurden. Sim erhob sein Glas und trank einen ordentlichen Schluck. Ich erhob mein Glas ebenfalls, Wilem ebenso, auch wenn es ihm offensichtlich widerstrebte. Manet verharrte reglos, und mir kam der Verdacht, dass er eingeschlafen war.

»Das lohnt sich doch alles nicht«, sagte Wilem und stellte sein Glas wieder hin. »Das Einzige, was der Schirmherr davon hat, sind leere Taschen.«

»Der Schirmherr tut damit was für sein Renommee«, erklärte ich. »Deshalb tragen die Musiker seine Livreen. Darüber hinaus steht ihm ständig ein Musikensemble zur Verfügung – für Gesellschaften, Tanzvergnügen, Festumzüge. Und bei Bedarf schreiben sie ihm manchmal sogar eigene Lieder oder Singspiele.«

Wil blieb skeptisch. »Es kommt mir aber immer noch so vor, als würde der Schirmherr dabei viel schlechter wegkommen als die Musiker.«

»Weil du eben nur die eine Seite der Medaille siehst«, sagte Manet und richtete sich auf seinem Stuhl auf. »Du bist ein Großstadtkind. Du hast keine Ahnung, wie es ist, in einem kleinen Ort aufzuwachsen, wo alles Land ringsherum nur einem einzigen Mann gehört.«

Manet malte mit etwas vergossenem Bier einen Kreis auf die Tischmitte. »Das hier sind Lord Poncingtons Ländereien«, sagte er. »Und darin lebst du wie der brave kleine Bürger, der du bist.« Manet nahm Simmons leeres Glas und stellte es in den Kreis.

»Eines Tages kommt ein Mann, der Lord Poncingtons Farben trägt, durch den Ort.« Manet nahm sein volles Schnapsglas, tat so, als trabte das Glas über den Tisch, und stellte es schließlich neben Sims leeres Glas in den Kreis. »Dieser Mann spielt in dem Wirtshaus dort unentgeltlich Musik für jedermann.« Manet goss ein wenig von dem Brombeerbrand in Sims Glas.

Sim ließ sich nicht zweimal bitten, grinste und trank.

Jetzt nahm Manet seinen Holzkrug und polterte damit über den Tisch und in den Kreis hinein. »Dann kommt der Steuereintreiber, und auch der trägt die gleichen Farben.« Manet pochte mit seinem leeren Krug ungeduldig auf den Tisch.

Sim guckte verdutzt und goss Manet aus seinem eigenen Krug etwas Bier hinein.

Manet starrte ihn an und pochte noch einmal nachdrücklich mit dem Krug.

Sim goss auch sein restliches Bier in Manets Krug und lachte. »Brombeerbrand mag ich sowieso lieber.«

»Und Lord Poncington mag seine Steuern lieber«, sagte Manet. »Und die Leute mögen es, wenn sie unterhalten werden. Und der Steuereintreiber mag nicht vergiftet und hinter der alten Mühle verscharrt werden.« Er trank einen Schluck Bier. »Und so haben alle was davon.«

Wil hatte das Ganze mit ernstem Blick verfolgt. »Das ergibt schon eher einen Sinn.«

»Es geht dabei aber nicht immer nur ums Geld«, sagte ich. »Threpe will den Musikern wirklich helfen, ihr Können zu vervollkommnen. Andere Adlige hingegen behandeln ihre Musiker nicht groß anders als die Pferde in ihren Stallungen«, seufzte ich. »Doch selbst das wäre besser als das, was ich gegenwärtig habe – nämlich nichts.«

»Du solltest dich aber auch nicht unter Wert verkaufen«, sagte Sim. »Hab Geduld, es wird sich schon ein guter Schirmherr für dich finden. Du hast es verdient. Du bist so gut wie die besten Musiker hier.«

Ich schwieg, zu stolz, um ihnen die Wahrheit zu sagen. Ich war auf eine Art und Weise arm, wie sie es kaum verstehen konnten. Sim war ein aturischer Adliger, und Wils Familie waren Wollhändler aus

Angesichts der dräuenden Studiengebühren wagte ich nicht, auch nur einen Penny auszugeben. Ich konnte mir weder Kerzen noch Tinte noch Papier kaufen. Ich besaß keinen Schmuck, den ich hätte verpfänden können, bekam keinen Unterhalt und hatte keine Eltern mehr, die ich brieflich um Geld hätte bitten können. Kein auch nur halbwegs seriöser Geldverleiher gab mir auch nur ein müdes Scherflein. Und das war auch nicht weiter verwunderlich, denn schließlich war ich ein entwurzelter und verwaister Edema Ruh, dessen gesamte Habe in einen Leinensack gepasst hätte. Und zwar in einen eher kleinen.

Bevor das Gespräch eine noch unangenehmere Wendung nehmen konnte, stand ich auf. »Jetzt wird’s aber Zeit, dass ich ein bisschen Musik mache.«

Ich nahm meinen Lautenkasten und ging zu Stanchion, der am Bogen des Tresens saß. »Was hast du denn heute Abend Schönes für uns?«, fragte er und strich sich über den Bart.

»Eine Überraschung.«

Stanchion hielt beim Absteigen vom Hocker inne. »Die Art von Überraschung, die einen Tumult auslöst oder die Leute dazu bringt, mir den Laden in Brand zu setzen?«, fragte er.

Ich lächelte und schüttelte den Kopf.

»Gut.« Er lächelte ebenfalls und brach mit mir zur Bühne auf. »Wenn dem so ist, weiß ich Überraschungen durchaus zu schätzen.«

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