Kapitel 26 Vertrauen

Zwar war ich mir ziemlich sicher, dass Devi nicht hinter dem Sympathievergehen steckte, aber andererseits wäre es äußerst dumm von mir gewesen, den Umstand zu ignorieren, dass sie Blut von mir besaß. Als klar war, dass der Bau eines Gram einen immensen Aufwand bedeuten würde, fand ich es an der Zeit, ihr einen Besuch abzustatten und mich zu vergewissern, dass sie tatsächlich nichts damit zu tun hatte.

Es war scheußliches Wetter an diesem Tag: nasskalt, und der Wind fuhr mir durch alle Kleider. Da ich weder Handschuhe noch eine Mütze besaß, musste ich mich damit begnügen, mir die Kapuze aufzusetzen und den Umhang fest um die Schultern zu ziehen.

Während ich über die Steinbrücke ging, kam mir eine neue Idee in den Sinn: Vielleicht war Devi mein Blut gestohlen worden. Das war die schlüssigste Erklärung, die mir bisher eingefallen war. Ich musste mich vergewissern, dass das Fläschchen mit meinem Blut in Sicherheit war. Wenn sie es noch hatte und der Verschluss unversehrt war, konnte ich davon ausgehen, dass sie nichts mit dieser Sache zu tun hatte.

Am westlichen Stadtrand von Imre kehrte ich in einem Wirtshaus ein, trank ein kleines Bier und wärmte mich am Kaminfeuer. Dann ging ich die mir schon allzu bekannte Gasse hinab und die Treppe hinter der Metzgerei hinauf. Trotz der Kälte und des kürzlichen Regens lag hier der übliche ranzige Fettgestank in der Luft.

Ich atmete tief durch und klopfte an die Tür.

Sie öffnete sich nach einer Weile, und Devi spähte durch die Ritze. »Hallo!«, sagte sie. »Kommst du geschäftlich oder privat?«

»Schade.« Sie öffnete mir die Tür.

Beim Eintreten stolperte ich über die Schwelle, fiel ihr entgegen und berührte sie kurz an der Schulter, bevor ich das Gleichgewicht wiedergewann. »Entschuldige«, sagte ich verlegen.

»Du siehst schlimm aus«, sagte sie und verriegelte die Tür hinter mir. »Du kommst hoffentlich nicht, weil du mehr Geld brauchst. Ich verleihe nämlich kein Geld an Leute, die aussehen, als hätten sie gerade eine dreitägige Sauftour hinter sich.«

Erschöpft ließ ich mich auf einem Stuhl nieder. »Ich bringe dir dein Buch zurück«, sagte ich, zog es unter dem Umhang hervor und legte es auf ihren Schreibtisch.

Sie nickte und lächelte. »Und? Wie fandest du den guten alten Malcaf?«

»Trocken. Wortreich. Langweilig.«

»Da sind ja auch keine Bilder drin«, neckte sie mich.

»Seine Theorien über die Wahrnehmung als Einflussfaktor waren ganz interessant«, erwiderte ich. »Aber er schreibt einen Stil, als wollte er unbedingt verhindern, dass ihn jemand versteht.«

Devi nickte. »So ungefähr habe ich das auch empfunden.« Sie griff über den Tisch und zog das Buch näher zu sich heran. »Und wie fandest du das Kapitel über Propriorezeption?«

»Da schien er mir vollkommen inkompetent«, sagte ich. »Ich bin in der Mediho Leuten begegnet, denen man Gliedmaßen amputiert hatte. Und ich hatte nicht den Eindruck, dass Malcaf jemals mit einem Amputierten gesprochen hat.«

Ich beobachtete sie, ob sich bei ihr irgendwelche Anzeichen von Schuldgefühlen zeigten. Doch da war nichts. Sie kam mir vollkommen normal vor, war so vergnügt und scharfzüngig wie eh und je. Aber ich bin ja schließlich unter Schauspielern aufgewachsen: Ich weiß, wie viele Möglichkeiten es gibt, seine wirklichen Gefühle zu verbergen.

Devi runzelte übertrieben die Stirn. »Du guckst so ernst. Was denkst du denn gerade?«

»Ich wollte dir ein paar Fragen stellen«, wich ich aus. Ich sah dem nicht gerade voller Freude entgegen. »Es geht nicht um Malcaf.«

Ich gab ihr ein mattes Lächeln zur Antwort. »Mir gehen gerade so viele Dinge im Kopf herum. Ich kann dir heute glaube ich nicht Paroli bieten.«

»Paroli bieten konntest du mir nie. Aber wenigstens ein kleiner Schlagabtausch war doch ab und zu mal drin.« Sie beugte sich vor und faltete die Hände auf der Tischplatte. »Was sind es denn für Fragen?«

»Hast du dich damals an der Uni viel mit Sygaldrie beschäftigt?«

»Ach so, persönliche Fragen …« Sie hob eine Augenbraue. »Nein. Das hat mich nicht interessiert. Für meinen Geschmack viel zu viel Fummelei.«

»Du scheinst mir aber eine Frau zu sein, die ansonsten fürs Fummeln durchaus was übrig hat«, erwiderte ich und rang mir ein mattes Lächeln ab.

»So schon eher«, sagte sie anerkennend. »Wusste ich’s doch, dass du’s nicht verlernt hast.«

»Ich nehme nicht an, dass du irgendwelche Bücher über Fortgeschrittene Sygaldrie besitzt, oder?«, fragte ich. »Von der Art, an die sie einen Re’lar nicht ranlassen?«

Devi schüttelte den Kopf. »Nein. Aber ich besitze ein paar nette Werke über Alchemie. Sachen, die du niemals finden würdest in deiner ach so kostbaren Unibibliothek.« Beim letzten Wort mischte sich Bitterkeit in ihre Stimme.

Da wurde mir plötzlich einiges klar. Devi wäre nie so nachlässig gewesen, dass man ihr mein Blut hätte entwenden können. Und sie hätte es auch niemals verkauft, um einen schnellen Gewinn einzustreichen. Sie brauchte dieses Geld nicht. Und sie hegte auch keinen Groll gegen mich.

Sie hätte aber alles dafür gegeben, Zugang zur Bibliothek zu erlangen.

»Ja, davon habe ich gehört«, sagte sie unbekümmert. »Eine fiese Sache. Und ich glaube, ich habe auch die Formel dafür.« Sie blickte zum Bücherregal hinüber. »Willst du sie sehen?«

Ihr Gesicht verriet sie nicht, aber mit genug Übung kann jeder Mensch sein Gesicht beherrschen. Auch ihre Körpersprache verriet sie nicht. Ich bemerkte nur eine minimale Anspannung im Schulterbereich und nur ein ganz kurzes Zögern.

Es waren ihre Augen. Als ich die Droge erwähnt hatte, hatte ich dort ein leichtes Zucken wahrgenommen. Und dieses Zucken zeigte nicht nur Wiedererkennen, sondern auch Schuldgefühle an. Natürlich. Sie hatte Ambrose die Formel verkauft.

Und wieso auch nicht? Ambrose war ein hochrangiger Mitarbeiter der Bibliothek. Er konnte ihr insgeheim Zugang zu dem Gebäude verschaffen. Ach was, angesichts der Mittel, die ihm zu Verfügung standen, war das wahrscheinlich nicht einmal nötig. Es war ja allgemein bekannt, dass Lorren gelegentlich Gelehrten, die nicht dem Arkanum angehörten, Zutritt zur Bibliothek gewährte, zumal wenn ein Förderer bereit war, ihnen diesen Weg mit einer großzügigen Spende zu ebnen. Ambrose hatte einmal nur meinetwegen ein ganzes Gasthaus gekauft. Wie viel mehr würde er zahlen, um an mein Blut zu gelangen?

Nein. Wil und Sim hatten recht. Es war nicht seine Art, sich die Hände schmutzig zu machen, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Viel einfacher für ihn wäre es doch gewesen, Devi zu engagieren, auf dass sie die Drecksarbeit für ihn erledigte. Sie war längst von der Universität verwiesen. Sie hatte nichts zu verlieren und konnte auf diese Weise Zugang zu allen Schätzen der Bibliothek erlangen.

»Nein, danke«, sagte ich. »Ich interessiere mich nicht besonders für Alchemie.« Dann atmete ich tief durch und beschloss, zum Punkt zu kommen. »Aber ich möchte gerne mein Blut sehen.«

Devis fröhlicher Gesichtsausdruck erstarrte. Ihr Mund lächelte weiter, ihre Augen aber blickten kalt. »Wie bitte?«

»Das geht leider nicht.« Nun fiel das Lächeln vollends von ihr ab. »Das wäre ein Verstoß gegen meine Geschäftsbedingungen. Und außerdem: Glaubst du wirklich, ich bin so dumm, so etwas hier aufzubewahren?«

Ich bekam ein flaues Gefühl im Magen, wollte es aber immer noch nicht glauben. »Wir können gern dahin gehen, wo du es aufbewahrst«, sagte ich ganz ruhig. »Jemand hat ein Sympathievergehen gegen mich begangen. Ich muss mich nur vergewissern, dass die Blutprobe nicht angerührt wurde.«

»Als ob ich dir einfach so zeigen würde, wo ich so etwas aufbewahre«, sagte Devi mit beißendem Sarkasmus. »Hast du nicht mehr alle Tassen im Schrank?«

»Ich fürchte, ich muss darauf bestehen.«

»Dann fürchte dich mal schön«, sagte Devi und funkelte mich an. »Und viel Spaß beim Bestehen.«

Sie war’s. Anders ließ sich nicht erklären, dass sie es mir nicht zeigen wollte. »Wenn du dich weigerst, es mir zu zeigen«, fuhr ich fort und bemühte mich, meine Stimme ganz ruhig klingen zu lassen, »muss ich davon ausgehen, dass du mein Blut entweder verkauft hast oder es aus irgendeinem Grund dazu verwendet hast, eine Wachspuppe von mir herzustellen.«

Devi lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück und verschränkte betont lässig die Arme vor der Brust. »Du kannst von so viel Blödsinn ausgehen, wie du willst, aber dein Blut siehst du erst wieder, wenn du deine Schulden bei mir beglichen hast – keinen Augenblick früher.«

Ich zog eine Wachspuppe unter meinem Umhang hervor und legte meine Hand auf den Schreibtisch, so dass Devi die Puppe sehen konnte.

»Soll ich das sein?«, sagte sie. »Mit so breiten Hüften?« Doch diese Worte waren nur ein verhüllender Scherz, ein reiner Reflex. Ihr Tonfall war wütend, ihre Augen blickten steinhart.

Mit der anderen Hand zog ich ein rotblondes Haar hervor und befestigte es am Kopf der Puppe. Devi griff sich unwillkürlich an den eigenen Haarschopf und schaute schockiert.

Als ich diesmal mein Blut erwähnte, huschte ihr Blick kurz zu einer bestimmen Schreibtischschublade. Auch ihre Finger zuckten ein wenig.

Ich sah ihr in die Augen. »Tu’s nicht«, sagte ich.

Devis Hand schoss zu der Schublade.

Ich zweifelte keine Sekunde, dass sich in dieser Schublade eine Wachspuppe befand, die sie von mir angefertigt hatte. Ich durfte auf keinen Fall zulassen, dass sie die Puppe in die Hand nahm. Ich konzentrierte mich und murmelte eine Bindung.

Devis Hand, die schon dabei war, die Schublade zu öffnen, hielt auf halbem Wege abrupt inne.

Ich hatte ihr nichts getan. Ich hatte ihr keine Schmerzen zugefügt, nichts, was dem auch nur nahekam, was sie in den vergangenen Tagen mit mir gemacht hatte. Es war einfach nur eine Bindung, die eine Lähmung verursachte. Als ich unterwegs in dem Wirtshaus eingekehrt war, um mich ein wenig aufzuwärmen, hatte ich mir ein Quentchen Asche aus dem Kamin mitgenommen. Das war keine allzu tolle Quelle, und sie war viel weiter entfernt, als mir lieb war, aber es war besser als nichts.

Dennoch konnte ich sie wahrscheinlich nur ein paar Minuten lang so erstarrt halten, ehe ich so viel Energie aus dem Kaminfeuer abgezogen hatte, dass es davon erlosch. Das musste genügen, um ihr die Wahrheit zu entlocken und die von ihr angefertigte Puppe an mich zu nehmen.

Devi blickte hektisch hin und her und versuchte verzweifelt, sich zu bewegen. »Was fällt dir ein!«, schrie sie.

»Was fällt dir ein!«, spie ich wütend zurück. »Ich fass es nicht, dass ich dir vertraut habe! Und dann hab ich dich auch noch vor meinen Freunden verteidigt, obwohl –« Ich verstummte, denn das Unvorstellbare geschah. Devi begann sich trotz meiner Bindung zu bewegen: Ihre Hand schob sich ganz langsam in die halb geöffnete Schublade hinein.

Ich konzentrierte mich stärker, und Devis Hand verharrte. Dann begann sie sich ganz langsam wieder zu bewegen, bis sie in

»Du bildest dir ein, du könntest hier herkommen und mir drohen?«, zischte Devi, ihr Gesicht verzerrt vor Zorn. »Du glaubst, ich könnte mich nicht verteidigen? Ich hab’s zum Re’lar gebracht, bevor sie mich rausgeschmissen haben, du Armleuchter. Und ich habe mir das verdient. Mein Alar ist so stark wie der stürmische Ozean.« Ihre Hand befand sich nun fast ganz innerhalb der Schublade.

Der Schweiß brach mir aus. Schnell teilte ich meinen Geist in drei weitere Teile auf. Ich murmelte etwas, und jeder dieser Teile stellte eine eigene Bindung her, die allesamt dazu bestimmt waren, Devi stillzustellen. Ich speiste meine Körperwärme hinein und spürte, wie mir Kälte die Arme hinaufkroch. Es waren jetzt insgesamt fünf Bindungen. Mein absolutes Limit.

Devi verharrte reglos wie ein Stein, aber tief in der Kehle kicherte sie, und sie grinste. »Oh, nicht schlecht. Fast könnte ich die ganzen Geschichten glauben, die man sich über dich erzählt. Aber wie kommst du darauf, dass du etwas zustande bringen könntest, das nicht einmal Elxa Dal vermochte? Was glaubst du denn, warum sie mich rausgeschmissen haben? Sie hatten einfach Angst vor einer Frau, die schon im zweiten Studienjahr mit einem Meister mithalten konnte.« Das Haar klebte ihr schweißnass auf der Stirn. Sie biss die Zähne zusammen, und ihr elfenhaftes Gesicht sah ganz wild aus vor Entschlossenheit. Erneut begann sich ihre Hand zu bewegen.

Dann, mit einem Ruck, riss sie die Hand aus der Schublade, als hätte sie sie aus zähem Schlamm befreit. Sie knallte einen runden Metallgegenstand so heftig auf die Schreibtischplatte, dass die Lampenflamme flackerte. Es war keine Wachspuppe. Und es war auch nicht das Fläschchen mit meinem Blut.

»Du kleiner Dreckskerl«, sagte sie, und es klang fast wie ein Singsang. »Glaubst du wirklich, ich wäre auf so was nicht vorbereitet? Glaubst du wirklich, du wärst der Erste, der hier versucht, mir dumm zu kommen?« Sie drehte die Oberseite des grauen, kugelförmigen Metallgegenstands. Es klickte vernehmlich, und dann zog sie langsam die Hand zurück. Obwohl ich alles versuchte, gelang es mir einfach nicht, sie stillzustellen.

Diese Geräte enthielten Kerosin, Naphtha oder Zucker. Wenn man sie in Betrieb nahm, erzeugten sie mit der Verbrennung dieses Stoffs gut fünf Minuten lang eine enorme Hitze. Anschließend mussten sie zerlegt, gereinigt und neu befüllt werden. Der Umgang mit ihnen war schmutzig und riskant, und aufgrund der schnellen Erhitzung und Abkühlung gingen diese Geräte leicht kaputt. Doch eine kurze Zeit lang spendeten sie einem Sympathiker eine immense Menge Energie.

Ich versenkte mich in das Steinerne Herz, spaltete einen weiteren Teil meines Geistes ab und murmelte eine Bindung. Dann versuchte ich es mit einer siebten Bindung, scheiterte aber daran. Ich war erschöpft und litt Schmerzen. Kälte kroch mir die Arme hinauf, und ich hatte in den vergangenen Tagen viel durchgemacht. Dennoch biss ich die Zähne zusammen und murmelte die Worte vor mich hin.

Devi schien diese sechste Bindung nicht einmal zu bemerken. Sie bewegte sich so langsam wie der Zeiger einer Uhr und riss einen losen Faden von ihrem Ärmel. Der Taschenofen ächzte und knackte und begann Hitze abzustrahlen.

»Ich habe im Moment nicht mal eine anständige Verbindung zu dir«, sagte Devi, und ihre Hand, die den Faden hielt, bewegte sich langsam auf den Taschenofen zu. »Aber wenn du deine Bindungen nicht aufhebst, werde ich das hier dazu nutzen, jeden Fetzen, den du am Leib trägst, in Brand zu setzen, und werde lächelnd zusehen, wie du schreist.«

Schon seltsam, was einem in so einer Situation durch den Kopf geht. Das Erste, woran ich dachte, waren nicht die schrecklichen Verbrennungen, die ich dabei erleiden würde. Nein, ich dachte daran, dass der Umhang, den Fela mir geschenkt hatte, dabei draufgehen würde, und mir anschließend nur noch zwei Hemden übrig blieben.

Ich weiß, wann ich mich geschlagen geben muss. Ich hob die Bindungen auf, und einen Moment lang drehte sich mir alles vor Augen, während sich die Teile meines Geistes wieder zusammenfügten.

Devi ließ ihre Schultern kreisen. »Lass sie los«, sagte sie.

Ich öffnete meine Hand, und die Wachspuppe fiel auf den Schreibtisch. Dann saß ich da, die Hände auf dem Schoß, und hielt mich ganz still, um Devi keinesfalls zu erschrecken.

Sie stand auf und beugte sich über den Schreibtisch. Dann fuhr sie mir mit einer Hand durch die Haare und riss mir eine ganze Anzahl aus. Unwillkürlich schrie ich auf.

Sie setzte sich wieder, nahm die Puppe, entfernte ihr eigenes Haar und ersetzte es durch etliche von meinen. Schließlich murmelte sie eine Bindung.

»Devi, du verstehst das falsch«, sagte ich. »Ich wollte einfach nur –«

Als ich Devi mit meinen Bindungen gefesselt hatte, hatte ich mich auf ihre Arme und Beine konzentriert. Das ist die effektivste Weise, die Bewegungsfreiheit eines Menschen einzuschränken. Mir stand nur eine begrenzte Menge Hitze zur Verfügung, und ich durfte keine Energie vergeuden.

Devi aber verfügte in diesem Moment über Energie in Hülle und Fülle, und ihre Bindung fühlte sich an, als wäre ich in einen Schraubstock eingeklemmt. Ich konnte meine Arme und Beine nicht mehr bewegen, ja, nicht einmal mehr den Unterkiefer oder die Zunge. Ich konnte kaum mehr atmen, brachte nur flache Atemzüge zustande, die keine Bewegung meiner Brust erforderten. Es war ein entsetzliches Gefühl, als hätte jemand mein Herz fest im Griff.

»Ich habe dir vertraut«, sagte Devi, und ihre Stimme klang ein wenig wie die Säge eines Chirurgen, mit der er ein Bein amputiert. »Ich habe dir vertraut.« Nun sprach aus ihrem Blick nur noch Zorn und Abscheu. »Es war tatsächlich jemand hier, der dein Blut kaufen wollte. Er hat mir fünfundfünzig Talente dafür geboten. Ich habe abgelehnt. Ich habe bestritten, dich überhaupt zu kennen, weil wir

Wer?, wollte ich schreien. Aber ich brachte nur ein unverständliches Äähh heraus.

Devi sah die Wachspuppe an, die sie in der Hand hielt, und dann zu dem Taschenofen hinüber, der ihr gerade einen dunklen Ring in die Schreibtischplatte brannte. »Unsere Geschäftsbeziehung ist hiermit beendet«, sagte sie. »Deine Schulden bei mir stelle ich fällig. Du hast bis zum Ende des Trimesters Zeit, mir mein Geld zurückzuzahlen. Neun Talente. Wenn du dich auch nur einen Augenblick verspätest, verkaufe ich dein Blut, um meine Kosten zu decken, und wasche meine Hände in Unschuld.«

Sie musterte mich kühl. »Du hättest weit Schlimmeres verdient. Denk dran: Ich habe immer noch dein Blut. Wenn du dich an die Meister der Universität oder an die Polizei von Imre wendest, wird das böse Folgen für dich haben.«

Nun stiegen Rauchkringel von der Schreibtischplatte auf, und Devi hielt die Wachspuppe über den knackenden Taschenofen. Sie murmelte etwas, und Hitze schoss mir durch den ganzen Leib. Es fühlte sich genauso an wie die plötzlichen Hitzezustände, die mich seit Tagen plagten.

»Wenn ich diese Bindung aufhebe, wirst du sagen: ›Ich habe verstanden, Devi.‹ Und dann wirst du gehen. Und am Ende des Trimesters wirst du jemanden herschicken, der mir mein Geld bringt. Du wirst nicht selber kommen. Ich will dich nie wiedersehen.«

Devi blickte mich so voller Verachtung an, dass mir jetzt noch davon schaudert, wenn ich daran denke. Dann spuckte sie mich an, und kleine Speichelspritzer landeten auch auf dem Taschenofen und lösten sich zischend in Dampf auf. »Wenn ich dich jemals wiedersehe, und sei’s auch nur im Augenwinkel, wird es ein schlimmes Ende mit dir nehmen.«

Sie hob die Wachspuppe hoch empor und schlug dann damit auf die Schreibtischplatte, die flache Hand obendrauf. Wenn ich in der Lage gewesen wäre, zusammenzuzucken oder panisch aufschreien, hätte ich es getan.

Die Puppe zerbarst, Arme und Beine brachen ab, und der Kopf

Die Bindung, die mich gefesselt hatte, fiel von mir ab, und ich holte tief Luft. »Ich habe verstanden, Devi«, sagte ich. »Aber darf ich –«

»RAUS!«, schrie sie.

Ich ging. Gern würde ich behaupten, dass es ein würdevoller Abgang war, doch das entspräche nicht der Wahrheit.

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