Kapitel 27 Druck
Wil und Sim warteten hinten im Schankraum des ANKER’S auf mich. Ich brachte ihnen zwei Krüge Bier, dann ein Tablett, das hoch beladen war mit frischem Brot und Butter, Käse und Obst, und schließlich zwei große Teller Rübeneintopf mit ordentlich Rindfleisch drin.
Wilem rieb sich mit dem Handballen ein Auge. Unter seinem dunklen kealdischen Teint sah er ein bisschen kränklich aus, aber sonst schienen ihm die drei Nächte, in denen er nicht allzu viel Schlaf bekommen hatte, nicht sonderlich zuzusetzen. »Was gibt’s denn zu feiern?«, fragte er.
»Ich will bloß, dass ihr bei Kräften bleibt«, sagte ich.
»Ich bin euch weit voraus«, sagte Sim. »Ich hab in der Sublimations-Vorlesung ein erquickendes Nickerchen eingelegt.« Er hatte zwar dunkle Ringe unter den Augen, wirkte ansonsten aber auch nicht allzu mitgenommen.
Wilem begann seinen Teller zu beladen. »Du sagtest, du hättest Neuigkeiten. Was denn für Neuigkeiten?«
»Gute und schlechte«, erwiderte ich. »Welche wollt ihr zuerst hören?«
»Zuerst die schlechten«, sagte Simmon.
»Kilvin weigert sich, mir den Konstruktionsplan zu geben, den ich bräuchte, um mir ein eigenes Gram zu bauen. Es geht um die Sygaldrie, die dabei eine Rolle spielt. Runen für Blut und Knochen und so. Er meint, das wäre zu gefährlich, um es einem Re’lar anzuvertrauen.«
Simmon sah mich neugierig an. »Hat er auch gesagt, weshalb?«
»Gott, ist das scheußlich«, sagte Sim und setzte den Löffel ab. »Hast du eigentlich auch mal irgendwelche netten Ideen?«
»Jedes Mitglied des Arkanums könnte das Gleiche mit ganz grundlegender Sympathie bewirken«, bemerkte Wilem.
»Mit einem großen Unterschied«, erwiderte ich. »Wenn ich dieses Gerät erst einmal gebaut hätte, könnte jeder es benutzen. Und zwar immer wieder.«
»Das wäre doch Wahnsinn«, sagte Simmon. »Warum sollte irgendjemand so was bauen wollen?«
»Geld«, erwiderte Wilem grimmig. »Die Leute machen doch ständig wegen Geld irgendwelchen Blödsinn.« Er sah mich vielsagend an. »Wie beispielsweise sich was bei blutgierigen Gattesors zu leihen.«
»Womit wir bei meiner zweiten Neuigkeit wären«, sagte ich beklommen. »Ich war bei Devi und habe sie zur Rede gestellt.«
»Ganz allein?«, sagte Simmon. »Bist du jetzt komplett bescheuert?«
»Ja, bin ich«, erwiderte ich. »Aber nicht so, wie du denkst. Es hat eine unschöne Szene gegeben, aber ich weiß jetzt, dass sie nicht für die Angriffe verantwortlich ist.«
Wilem runzelte die Stirn. »Wenn nicht sie, wer dann?«
»Da bleibt nur eine Möglichkeit«, sagte ich. »Ambrose.«
Wil schüttelte den Kopf. »Das haben wir doch schon durchdekliniert. Ambrose würde so was niemals riskieren. Er –«
Ich hob eine Hand, und er verstummte. »Er würde es niemals riskieren, ein Sympathievergehen gegen mich zu begehen«, sagte ich. »Aber ich glaube, er weiß gar nicht, wen er da angreift.«
Wilem machte den Mund wieder zu und blickte nachdenklich.
Ich fuhr fort: »Überlegt doch mal. Wenn Ambrose mich verdächtigen würde, würde er mich bei den Meistern anzeigen. Das hat er schließlich schon mal gemacht.« Ich rieb mir vorsichtig den verwundeten
Wil sah auf die Tischplatte hinab. »Kraem«, sagte er. »Das stimmt. Er verdächtigt dich vielleicht, einen Einbrecher angeheuert zu haben, aber nicht, dass du selbst bei ihm eingestiegen bist. Er würde ja so was niemals selber tun.«
Ich nickte. »Er versucht damit wahrscheinlich denjenigen zu finden, der in seine Gemächer eingebrochen ist. Oder er will sich bloß ein bisschen rächen. Das würde auch erklären, weshalb die Angriffe immer stärker geworden sind. Er glaubt wahrscheinlich, der Einbrecher wäre nach Imre oder Tarbean abgehauen.«
»Wir müssen damit zu den Meistern gehen«, sagte Simmon. »Man könnte heute Abend noch seine Gemächer durchsuchen. Dafür würden sie ihn rausschmeißen und zusätzlich noch auspeitschen lassen.« Auf seinem Gesicht machte sich ein gemeines Lächeln breit. »Gott, ich würde zehn Talente dafür geben, wenn ich dabei nur ein einziges Mal die Peitsche schwingen dürfte.«
Ich lachte über seinen blutrünstigen Tonfall. Es musste schon einiges zusammenkommen, bis man bei Sim unten durch war, doch wenn es mal so weit kam, war es eine Reise ohne Wiederkehr. »Das können wir nicht machen, Sim.«
Sim sah mich ungläubig an. »Das ist doch wohl nicht dein Ernst. Damit darf er nicht durchkommen.«
»Sie würden erst mal mich rausschmeißen, weil ich in seine Gemächer eingebrochen bin. Ungebührliches Verhalten.«
»Deshalb würden sie dich nicht rausschmeißen«, sagte Sim, aber er klang alles andere als überzeugt.
»Dieses Risiko würde ich nicht eingehen«, sagte ich. »Hemme hasst mich. Brandeur hält zu Hemme. Und bei Lorren bin ich immer noch schlecht angeschrieben. Das wären also schon mal drei Stimmen gegen mich.«
»Ich glaube, du schätzt Lorren falsch ein«, sagte Wilem. »Aber ansonsten hast du recht. Sie würden dich rausschmeißen. Und sei es auch nur, um bei Baron Jakis für gutes Wetter zu sorgen.«
Sim sah Wilem an. »Meinst du wirklich?«
Wil nickte. »Und es ist gut möglich, dass sie Ambrose nicht rausschmeißen
Simmon stieß einen gedehnten Seufzer aus. »Na toll«, sagte er. Dann sah er mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Ich hab’s dir gesagt«, sagte er. »Ich hab dir von Anfang an gesagt, du sollst Ambrose in Ruhe lassen. Sich mit dem anzulegen, das ist wie in eine Bärenfalle reinzutreten.«
»Eine Bärenfalle?«, sagte ich nachdenklich.
Er nickte. »Reintreten ist ganz leicht. Aber wenn du erst mal drin bist, kriegst du den Fuß nie wieder raus.«
»Eine Bärenfalle«, sagte ich noch einmal. »Das ist genau das, was ich brauche.«
Wilem lachte leise.
»Das meine ich ernst«, sagte ich. »Wo kriege ich eine Bärenfalle her?«
Wil und Sim sahen mich mit einem seltsamen Blick an, und ich beschloss, mein Glück nicht überzustrapazieren. »War nur ’n Scherz«, log ich, da ich die Dinge nicht noch weiter komplizieren wollte. Eine Bärenfalle konnte ich mir auch alleine besorgen.
»Wir müssen sicher sein, dass Ambrose dahinter steckt«, sagte Wilem.
Ich nickte. »Wenn er sich während der nächsten Attacken in seinen Gemächern befindet, müsste das ja wohl Beweis genug sein.«
Dann widmeten wir uns ein paar Minuten lang schweigend unserem Essen, und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
»Also gut«, sagte Simmon schließlich. »Im Grunde hat sich ja nichts geändert. Du brauchst immer noch ein Gram. Nicht wahr?« Er sah zu Wil hinüber, der nickte, und dann sah er wieder zu mir. »Und jetzt beeil dich mit den guten Neuigkeiten, sonst nehme ich mir noch ’n Strick.«
Da musste ich lächeln. »Fela hat sich bereit erklärt, mir dabei zu helfen, in der Bibliothek nach einem Bauplan zu suchen.« Ich machte
»Könnte sein, dass ich ein bisschen Zeit übrig habe«, sagte Wilem beiläufig.
Simmon grinste nur.
Und so begann unsere Suche in der Bibliothek.
Erstaunlicherweise machte es anfangs sogar Spaß, glich fast einem Spiel. Wir vier schwärmten in unterschiedliche Abteilungen aus, kamen dann wieder zusammen und durchforsteten gemeinsam die erbeuteten Bücher. Wir verbrachten Stunden damit, nebenbei zu plaudern und zu scherzen, genossen die Herausforderung und die Gemeinschaft.
Doch als aus den Stunden vergeblichen Suchens Tage vergeblichen Suchens wurden, verflog das Aufregende daran, und zurück blieb nur finstere Entschlossenheit. Wil und Sim wachten auch weiterhin nachts über mich und beschützten mich mit ihrem Alar. Nacht um Nacht bekamen sie kaum Schlaf und wurden immer mürrischer und reizbarer. Um es ihnen ein wenig zu erleichtern, begnügte ich mich mit fünf Stunden Schlaf pro Nacht.
Unter normalen Umständen wäre ich damit bestens ausgekommen, aber ich war ja immer noch nicht von meinen Verletzungen genesen. Hinzu kam, dass ich ununterbrochen mein Alar aufrechterhalten musste, um mich zu schützen. Das stellte eine enorme geistige Anstrengung dar.
Am dritten Tag unserer Suche nickte ich ein, während ich gerade für mein Studium über einem Metallurgiebuch brütete. Ich döste nur etwa eine halbe Minute lang vor mich hin, ehe ich davon wieder wach wurde, dass mir der Kopf auf die Brust fiel. Doch die eiskalte Furcht, die mich dabei durchfuhr, ließ mich anschließend den ganzen Tag lang nicht mehr los. Wenn Ambrose mich in diesem Augenblick angegriffen hätte, hätte das meinen Tod bedeuten können.
Zwischen den einzelnen Sucheinsätzen machten wir uns daran, meinen Verdacht zu bestätigen, dass Ambrose hinter den Angriffen steckte. Wil beobachtete, wie Ambrose sich nach einer Rhetorik-Vorlesung in seine Gemächer zurückzog, und gleich anschließend musste ich einen Binderfrostanfall abwehren. Fela sah ihn, wie er spät zu Mittag aß und anschließend heimging, und eine Viertelstunde später verspürte ich ein prickelndes Hitzegefühl auf meinem Rücken und meinen Armen.
Später an diesem Abend sah ich ihn nach seiner Schicht in der Bibliothek zum GOLDENEN PONY gehen. Kurz darauf spürte ich einen schwachen Druck in beiden Schultern, was mir zeigte, dass er versuchte, mir Stichwunden zuzufügen. Nach den Schultern folgten noch etliche weitere Knüffe in einer intimeren Körperregion.
Wil und Sim stimmten mit mir überein, dass das kein Zufall sein konnte: Ambrose war’s. Und darüber hinaus erfuhren wir auf diese Weise, dass Ambrose das, was er gegen mich einsetzte, offenbar in seinen Gemächern aufbewahrte.