Kapitel 1 Apfel und Holunder

Bast lehnte gelangweilt an dem langen Mahagonitresen. Er sah sich in dem leeren Schankraum um, seufzte und kramte ein sauberes Leinentuch hervor. Dann begann er mit resignierter Miene einen Abschnitt des Tresens zu polieren.

Bald darauf beugte er sich vor und beäugte einen bis dahin übersehenen Fleck. Er schabte mit einem Fingernagel daran herum und runzelte angesichts des Schmierfilms, den sein Finger hinterließ, die Stirn. Sich noch weiter vorbeugend, hauchte er auf die Stelle, so dass sie beschlug, und polierte energisch nach. Dann hielt er inne, hauchte noch einmal aufs Holz und schrieb mit dem Finger ein obszönes Wort in den Dunst.

Dann warf er das Tuch beiseite und ging zwischen den leeren Tischen hindurch zu den breiten Wirtshausfenstern. Dort blieb er einen Moment lang stehen und sah auf die unbefestigte Straße hinaus, die durch die Mitte des Orts verlief.

Er seufzte erneut und fing an, im Raum auf und ab zu gehen. Er bewegte sich mit der beiläufigen Anmut eines Tänzers und der vollkommenen Nonchalance einer Katze. Doch wenn er sich mit den Händen durchs dunkle Haar fuhr, wirkte diese Geste rastlos. Seine blauen Augen blickten unablässig im Raum hin und her, als suchte er nach einem Ausgang. Als suchte er nach etwas, das er nicht schon hunderte Male gesehen hatte. Doch da war nichts Neues. Leere Tische und Stühle. Leere Hocker vor dem Tresen. Auf dem Büfett dahinter ragten zwei mächtige Fässer empor, eines für Whiskey, eines für Bier. Zwischen den Fässern stand ein buntes und vielgestaltiges Flaschensortiment. Und über den Flaschen hing ein Schwert.

Er atmete tief ein und wies mit dem Zeigefinger auf die erste Flasche der unteren Reihe. Während er mit dem Finger an der Flaschenreihe entlang fuhr, sang er leise vor sich hin:

Maid und Maibaum.

Zwist zu zwein.

Esche. Asche.

Holderwein.

Beim letzten Ton zeigte er auf eine gedrungene, grüne Flasche. Er entkorkte sie, probierte ein Schlückchen und verzog schaudernd das Gesicht. Schnell stellte er die Flasche zurück und nahm stattdessen eine bauchige, rote zur Hand. Auch von deren Inhalt kostete er, bewegte nachdenklich die befeuchteten Lippen aneinander, nickte und goss sich ein ordentliches Quantum ein.

Dann deutete er auf die nächste Flasche und setzte seinen Singsang fort:

Frau am Feuer.

Mondgesicht.

Fichte. Fenster.

Kerzenlicht.

Diesmal war es eine klare Flasche mit einer hellgelben Flüssigkeit darin. Bast zog den Korken heraus und kippte sich, ohne zu probieren, einen Schuss in den Krug. Dann stellte er die Flasche beiseite, schwenkte den Krug dramatisch und trank einen tiefen Schluck. Ein Strahlen zeigte sich auf seinem Gesicht, und er schnippte mit dem Finger an die Flasche und ließ sie hell erklingen, eh er seinen Singsang wieder aufnahm:

Bierfass. Barfuß.

Stein und Stock.

Wind und Wasser –

Eine Diele knarrte, und Bast hob den Blick und lächelte freudig. »Guten Morgen, Reshi.«

Der rothaarige Wirt stand am Fuß der Treppe. Er strich sich mit den feingliedrigen Händen über die saubere Schürze und die langen Hemdsärmel. »Ist unser Gast schon wach?«

Bast schüttelte den Kopf. »Hab keinen Mucks gehört.«

»Er hat ein paar harte Tage hinter sich«, sagte Kote. »Das hat ihn jetzt wahrscheinlich eingeholt.« Er stutzte, hob den Kopf und schnupperte. »Hast du getrunken?« Die Frage klang eher neugierig als vorwurfsvoll.

»Nein«, sagte Bast.

Der Wirt hob eine Augenbraue.

»Ich habe probiert«, sagte Bast. »Das Probieren geht dem Trinken voraus.«

»Ah«, sagte der Wirt. »Dann hast du dich also bereit gemacht zu trinken?«

»Aber ja«, sagte Bast. »Und zwar bis zum Exzess. Was gibt’s denn hier auch sonst zu tun?« Bast zog seinen Krug unterm Tresen hervor und sah hinein. »Ich hatte auf Holunder gehofft, aber das ist irgendeine Melonenart.« Er schwenkte den Krug und überlegte. »Und irgendwas Würziges.« Er trank noch einen Schluck und kniff nachdenklich die Augen zusammen. »Zimt?«, fragte er und sah sich zu den Flaschenreihen um. »Haben wir überhaupt noch Holunder?«

»Steht da irgendwo«, sagte der Wirt, ohne hinzublicken. »Warte mal kurz, und hör mir zu, Bast. Wir müssen reden. Über das, was du gestern Abend getan hast.«

Bast erstarrte. »Was hab ich denn getan, Reshi?«

»Du hast dieses Mael-Wesen aufgehalten«, sagte Kote.

»Ach so, das.« Bast entspannte sich wieder und machte eine wegwerfende Geste. »Ich hab es nur ein wenig gebremst, Reshi. Weiter nichts.«

Bast runzelte die Stirn. »Nicht schnell genug, Reshi. Es hat Shep erwischt.« Er blickte auf den gründlich geschrubbten Dielenboden vor dem Tresen. »Ich mochte Shep.«

»Alle anderen werden glauben, dass uns der Schmiedelehrling gerettet hat«, sagte Kote. »Und das ist wahrscheinlich auch besser so. Ich aber weiß, wie es wirklich war. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte dieses Wesen alle hier niedergemetzelt.«

»Ach, Reshi, das stimmt doch nicht«, sagte Bast. »Du hättest es auch im Handumdrehen erledigt. Ich bin dir nur zuvorgekommen.«

Der Wirt tat die Bemerkung mit einem Achselzucken ab. »Der gestrige Abend hat mich nachdenklich gemacht«, sagte er. »Ich überlege, was wir tun könnten, um hier für ein bisschen mehr Sicherheit zu sorgen. Hast du mal ›Die weißen Reiter‹ gehört?«

Bast lächelte. »Das war schon unser Lied, bevor es eures wurde, Reshi.« Er holte Luft und sang mit schöner Tenorstimme:

Sie ritten Pferde wie Schnee so weiß,

Die Schwerter und Bögen silbern wie Eis.

Sie trugen frische Kränze ums Haupt

Mit roten Beeren und grün belaubt.

Mit roten Beeren und grün belaubt. Der Wirt nickte. »Genau an diese Strophe habe ich gedacht. Meinst du, du könntest dich darum kümmern, während ich hier alles vorbereite?«

Bast nickte begeistert und stürmte förmlich hinaus, hielt nur an der Küchentür noch einmal inne. »Ihr fangt aber nicht ohne mich an, ja?«, fragte er besorgt.

»Wir fangen an, sobald unser Gast gefrühstückt hat und bereit ist«, sagte Kote. Als er den Ausdruck auf dem Gesicht seines Schülers sah, ließ er sich ein wenig erweichen. »Du hast also noch ein oder zwei Stunden Zeit, nehme ich an.«

Bast blickte zur Tür hinaus und sah sich dann noch einmal um.

Der Mann, der sich Kote nannte, ging im Wirtshaus zum WEGSTEIN seiner üblichen Morgenroutine nach. Er bewegte sich wie ein Uhrwerk, wie ein Wagen, der in ausgefurchten Fahrspuren den Weg hinabrollt.

Als Erstes kam das Brot. Er mischte mit den Händen, ohne abzumessen, Mehl, Zucker und Salz. Dann fügte er aus einem Tontopf in der Vorratskammer Sauerteig hinzu, knetete alles gründlich durch, formte die Laibe und stellte sie zum Aufgehen beiseite. Er schaufelte die Asche aus dem Küchenofen und feuerte ihn an.

Als Nächstes ging er in den Schankraum und machte auch in dem schwarzen Kamin Feuer, nachdem er die Asche aus der großen Kaminsohle an der Nordwand gekehrt hatte. Er pumpte Wasser, wusch sich die Hände und holte ein Stück Lammfleisch aus dem Keller. Er hackte frisches Anzündholz, trug Brennholz herein, gab den aufgehenden Broten einen Klaps und stellte sie näher an den nun warmen Ofen.

Und dann gab es mit einem Mal nichts mehr zu tun. Alles war bereit. Alles war sauber und geordnet. Der rothaarige Mann stand hinter dem Tresen, und sein Blick kehrte langsam aus der Ferne zurück und richtete sich auf das Hier und Jetzt, auf das Wirtshaus.

Schließlich verharrte sein Blick bei dem Schwert, das über den Flaschen an der Wand hing. Es war kein sonderlich schönes Schwert, weder reich verziert noch sonst irgendwie auffällig. In gewisser Weise aber wirkte es bedrohlich, wie auch eine hohe Felsklippe bedrohlich wirkt. Es war grau und unbeschädigt und fühlte sich kalt an. Es war so scharf wie zersprungenes Glas. Und in das schwarze Holz der Wandhalterung war ein Wort graviert: Torheit.

Der Wirt hörte schwere Schritte auf dem hölzernen Absatz vor der Eingangstür. Der Türriegel klapperte, gefolgt von lautem »Hallo!« und Pochen.

Graham stand vor ihm, die kräftige Hand zum Anklopfen erhoben. Als er den Wirt erblickte, zeigte sich auf seinem wettergegerbten Gesicht ein Lächeln. »War Bast heute wieder vor dir im Dienst?«, fragte er.

Kote gab ihm ein nachsichtiges Lächeln zur Antwort.

»Er ist ein guter Junge«, sagte Graham. »Bloß ein bisschen wirr im Kopf. Ich dachte, ihr hättet heute vielleicht geschlossen.« Er räusperte sich und blickte zu Boden. »Wäre ja kein Wunder, wenn man bedenkt …«

Kote steckte den Schlüssel in seine Hosentasche. »Wir haben geöffnet – wie jeden Tag. Was kann ich für dich tun?«

Graham trat einen Schritt beiseite und wies mit einer Kopfbewegung auf die Straße, wo auf einem Karren drei Fässer standen. Sie waren nagelneu, aus hellem, poliertem Holz und blanken Metallreifen. »Mir war klar, dass ich heute Nacht kein Auge zukriegen würde, und da hab ich das Letzte schnell für dich zusammengezimmert. Außerdem hab ich gehört, dass die Bentons heute ihre ersten Spätäpfel ausliefern.«

»Danke, das ist sehr freundlich von dir.«

»Schön dicht, darin halten sie den ganzen Winter.« Graham ging hinüber und klopfte stolz an ein Fass. »Es gibt doch nichts besseres als einen Winterapfel, um den Hunger in Schach zu halten«, sagte er und fuhr mit einer Hand über einen blanken Fassreifen. »Ich hab noch nie ein Fass mit Messingreifen gemacht, aber die hier sind mir wirklich gut gelungen. Sag Bescheid, falls sie sich lösen sollten. Dann kümmere ich mich drum.«

»Freut mich, dass es kein allzu großer Umstand war«, sagte der Wirt. »Der Keller ist feucht, und ich fürchte, Eisen würde in ein paar Jahren glatt durchrosten.«

Graham nickte. »Sehr vernünftig«, sagte er. »Nur wenige Leute denken so vorausschauend.« Er rieb sich die Hände. »Hilfst du mir reintragen? Nicht dass ich versehentlich eins fallenlasse und dein Boden eine Schramme abkriegt.«

Sie machten sich an die Arbeit. Zwei Fässer kamen in den Keller,

Anschließend kamen die Männer zurück in den Schankraum, jeder auf seine Seite des Tresens. Einen Moment lang herrschte Schweigen, indes sich Graham in dem leeren Raum umsah. Am Tresen standen zwei Hocker weniger als sonst, und an einer Stelle fehlte ein Tisch. In dem sonst so ordentlichen Schankraum fiel so etwas sofort auf, wie fehlende Zähne in einem Gebiss.

Graham löste den Blick von einem gründlich geschrubbten Bodenabschnitt vor dem Tresen. Er griff in seine Hosentasche und zog zwei stumpfe Eisen-Scherflein hervor, und seine Hand zitterte kaum dabei. »Machst du mir bitte ein kleines Bier, Kote?«, sagte er mit rauher Stimme. »Ich weiß, es ist noch früh, aber ich hab einen langen Tag vor mir. Ich helfe den Murrions bei der Weizenernte.«

Der Wirt zapfte das Bier und stellte es Graham wortlos hin. Der trank es in einem tiefen Zug halb aus. Seine Augen waren gerötet. »Schlimme Sache gestern Abend«, sagte er, ohne Blickkontakt zu suchen, und trank noch einen Schluck.

Kote nickte. Schlimme Sache gestern Abend. Das war wahrscheinlich das Einzige, was Graham über den Tod eines Mannes zu sagen hatte, den er von Kindesbeinen an gekannt hatte. Diese Leute waren vertraut mit dem Tod. Sie schlachteten ihr Vieh selbst. Sie starben an Fieber, an Stürzen oder an nicht heilenden Knochenbrüchen. Der Tod war wie ein unangenehmer Nachbar. Man sprach nicht über ihn, aus Furcht, er könnte davon erfahren und sich zu einem Besuch aufgefordert fühlen.

Außer in Geschichten natürlich. Geschichten über vergiftete Könige oder Duelle oder lang zurückliegende Kriege waren in Ordnung. Sie kleideten den Tod in fremde Gewänder und schickten ihn weit von der eigenen Haustür fort. Ein Kaminbrand oder Krupphusten: Das war beängstigend. Gibeas Gerichtsverfahren aber oder die Belagerung von Enfast: Das war etwas anderes. Das war wie die Gebete oder wie die Beschwörungsformeln, die man vor sich hin murmelte, wenn man nachts allein durch die Dunkelheit ging. Diese Geschichten waren wie die billigen Amulette, die man, nur für alle Fälle, einem Hausierer abkaufte.

»Wenn’s nur um dein Hab und Gut geht, bezeichnet man das als ›letztwillige Verfügung‹«, sagte der Wirt in sachlichem Ton. »Ansonsten gibt es da auch noch den sogenannten ›Erbvertrag‹.«

Graham hob eine Augenbraue und sah den Wirt an.

»Hab ich jedenfalls so gehört«, sagte der, senkte den Blick und wischte mit einem sauberen weißen Tuch über den Tresen. »Der Schreiber hat so was in der Richtung erwähnt.«

»Erbvertrag …«, murmelte Graham in seinen Krug hinein. »Ich schätze mal, ich werd ihn einfach nur um ein paar Niederlegungen bitten, und er soll dann dafür sorgen, dass das alles seine amtliche Richtigkeit hat.« Er sah zu dem Wirt hinüber. »Andere Leute werden wahrscheinlich auch so was wollen – da die Zeiten nun einmal sind, wie sie sind.«

Einen Moment lang sah es aus, als würde der Wirt gereizt die Stirn in Falten ziehen. Aber nein, er tat nichts dergleichen. Wie er dort hinter dem Tresen stand, sah er genau so aus wie immer und trug seine übliche gelassene, liebenswürdige Miene zur Schau. Er nickte. »Er hat erwähnt, dass er um die Mittagszeit hier seinem Gewerbe nachgehen wird. Die Ereignisse gestern Abend haben ihn ein bisschen mitgenommen. Wenn jemand noch vor der Mittagszeit bei ihm vorstellig werden möchte, wird er wahrscheinlich noch nicht zu sprechen sein.«

Graham zuckte die Achseln. »Das ist egal. Bis zum Mittag wird der Ort ohnehin fast ausgestorben sein.« Er trank noch einen Schluck Bier und sah aus dem Fenster. »Heute ist ein Feldtag, so viel ist mal gewiss.«

Der Wirt schien sich ein wenig zu entspannen. »Er ist übrigens morgen auch noch da. Die Leute müssen sich also nicht alle heute auf ihn stürzen. Man hat ihm in der Nähe von Abbot’s Ford das Pferd geklaut, und jetzt will er sich ein neues beschaffen.«

Graham hielt inne. »Ach du meine Güte, ich hör mich ja schon an wie mein alter Herr.« Er zog das Kinn ein wenig ein und gab seiner Stimme einen barscheren Klang. »Als ich ein kleiner Junge war, hatten wir noch richtiges Wetter. Der Müller hat den Daumen von der Waage gelassen, und jeder hat sich um seine eigenen Angelegenheiten gekümmert

Der Wirt lächelte wehmütig. »Mein Vater hat immer gesagt, das Bier wäre besser gewesen und die Straßen nicht so ausgefahren.«

Graham lächelte kurz, senkte dann aber den Blick, als sei es ihm unangenehm, was er nun sagen würde. »Ich weiß, du bist nicht hier aus der Gegend, Kote. Und das ist schwierig. Manche Leute hier meinen, einer von außerhalb hätte prinzipiell von Tuten und Blasen keine Ahnung.«

Er atmete tief durch und sah den Wirt immer noch nicht wieder an. »Aber ich denke mal, du weißt Sachen, die andere nicht wissen. Du guckst gewissermaßen über den Tellerrand.« Nun sah er wieder hoch, mit ernstem und müdem Blick, die Augen von Schlafmangel umschattet. »Stehen die Dinge wirklich so schlimm, wie’s in letzter Zeit aussieht? Die Straßen so schlecht … Die ewigen Überfälle …«

Graham hatte sichtlich Mühe, nicht schon wieder auf die bewusste Stelle des Fußbodens hinabzusehen. »Die ganzen neuen Steuern rauben einem die letzten Reserven. Die Grayden-Jungs stehen kurz davor, ihren Hof zu verlieren. Und dann dieses Spinnenvieh.« Er trank noch einen Schluck Bier. »Stehen die Dinge wirklich so schlimm, wie’s aussieht? Oder bin ich einfach nur alt geworden, so wie mein alter Herr, und jetzt schmeckt alles ein bisschen bitterer als damals, als ich ein kleiner Junge war?«

Graham begann zu nicken und runzelte dann die Stirn. »Bloß dass du noch gar nicht alt bist, nicht wahr? Ich vergesse das meist.« Er musterte ihn. »Ich meine: Du bewegst dich wie ein Alter, und du redest wie ein Alter, aber du bist gar kein Alter, nicht wahr? Ich wette, du bist höchstens halb so alt wie ich.« Er sah ihn prüfend an. »Also, wie alt bist du?«

Der Wirt schenkte ihm ein müdes Lächeln. »Alt genug, um mich alt zu fühlen.«

Graham schnaubte. »Aber zu jung, um dich wie ein Alter aufzuführen. Du solltest doch eigentlich draußen rumtollen, den Weibern nachjagen und dich in Schwierigkeiten bringen. Aber darüber zu jammern, dass die Welt auch nicht mehr das ist, was sie mal war – das solltest du uns wirklich alten Leuten überlassen.«

Der alte Zimmermann stand vom Tresen auf und wandte sich zum Gehen. »Wenn wir Mittagspause machen, komm ich wieder und sprech mal mit euerm Schreiber. Und ich werd da nicht der Einzige sein. Viele Leute werden irgendwelche Sachen haben, die sie auf amtliche Weise niedergelegt haben wollen, wenn sich schon mal die Gelegenheit dazu bietet.«

Der Wirt atmete tief ein und langsam wieder aus. »Graham?«

Der wandte sich noch einmal um, die Hand schon an der Tür.

»Das siehst nicht nur du so«, sagte Kote. »Die Dinge stehen schlimm, und ich habe so das Gefühl, dass sie noch schlimmer werden. Es kann auf keinen Fall schaden, sich auf einen harten Winter einzustellen. Und darüber hinaus eventuell dafür zu sorgen, dass man sich nötigenfalls verteidigen kann.« Der Wirt zuckte die Achseln. »Das sagt mir jedenfalls mein Gefühl.«

Graham kniff den Mund zu einem Strich zusammen und nickte knapp. »Tja, dann bin ich froh, dass ich mit diesem Gefühl nicht alleine bin.«

Dann rang er sich ein Lächeln ab und begann sich die Ärmel aufzukrempeln. »

Bald darauf kamen die Bentons mit einer Wagenladung Spätäpfel. Der Wirt kaufte ihnen die Hälfte ab und war anschließend eine Stunde lang damit beschäftigt, die Äpfel zu sortieren und einzulagern.

Die noch ganz grün und fest waren, kamen in die Fässer im Keller. Er schichtete die Äpfel vorsichtig auf, füllte die Hohlräume mit Sägemehl und nagelte zum Schluss die Fassdeckel drauf. Die reiferen Äpfel wanderten in die Speisekammer, und alle, die irgendwie angeschlagen waren oder braune Stellen hatten, waren verurteilt, zu Apfelmost verarbeitet zu werden. Sie wurden geviertelt und in einen großen, blechernen Waschbottich geworfen.

Während er sortierte und einlagerte, wirkte der rothaarige Mann zufrieden. Doch hätte man genauer hingesehen, so hätte man vielleicht bemerkt, dass sein Blick, während seine Hände beschäftigt waren, in weite Fernen schweifte, und dass aus seinem Gesichtsausdruck, wiewohl er gelassen war, keinerlei Freude sprach. Er summte oder pfiff nicht bei der Arbeit. Und er sang auch nicht dabei.

Als er die Äpfel fertig sortiert hatte, trug er den Bottich zur Hintertür hinaus. Es war ein kühler Herbstmorgen, und hinter dem Wirtshaus befand sich, von einigen Bäumen umschirmt, ein kleiner, privater Garten. Kote kippte eine Ladung geviertelte Äpfel in die hölzerne Presse, die dort stand, und schraubte den Deckel drauf.

Dann krempelte er sich die Ärmel hoch, packte mit seinen langen, anmutigen Händen die Griffe der Presse und zog. Die Presse drückte die Apfelstücke enger zusammen und zerquetschte sie dann. Drehen und neu zupacken. Drehen und neu zupacken.

Wenn jemand zugesehen hätte, hätte der bemerkt, dass Kote nicht die teigigen Arme eines Gastwirts hatte. Während er an den Holzgriffen zog, traten seine Unterarmmuskeln wie Seilstränge hervor. Alte Narben zogen sich kreuz und quer darüber. Die meisten waren blass und dünn wie Risse im Eis. Andere aber waren rot und traten auf der hellen Haut deutlich hervor.

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