Kapitel 64 Flucht

Keine Familie kann sich einer ungetrübt friedlichen Vergangenheit rühmen, doch die Lackless wurden in besonderem Maße von Missgeschicken heimgesucht. Einige befielen sie von außen, darunter Mord, Diebstahl, Krieg und ein Bauernaufstand. Aufschlussreicher sind allerdings die Missgeschicke, die von innen kommen. Wie kann eine Familie gedeihen, wenn der älteste Sohn und Erbe sich seinen Pflichten ihr gegenüber vollkommen entzieht? Kein Wunder, dass die Familie von ihren Gegnern oft »Glücklos« statt »Lackless« genannt wurde.

Dass sie bis heute überlebt hat, scheint ihre Kraft zu bezeugen. Und wenn Caluptena nicht niedergebrannt wäre, könnten wir sie anhand der Quellen womöglich so weit zurückverfolgen, dass sie an Alter dem modeganischen Königshaus ebenbürtig wäre …

Ich ließ das Buch so achtlos auf den Tisch fallen, dass Meister Lorren das Herz geblutet hätte. Wenn der Maer meinte, solche Informationen würden reichen, dass er um eine Frau werben könnte, brauchte er meine Hilfe dringender, als er glaubte.

Doch nach Lage der Dinge hatte ich so meine Zweifel, ob der Maer mich überhaupt noch einmal um Rat bitten würde, von einer so heiklen Angelegenheit wie dem Werben um eine Frau ganz zu schweigen. Am Tag zuvor hatte er mich jedenfalls überhaupt nicht zu sich gerufen.

Ich war ganz offensichtlich in Ungnade gefallen, und das verdankte ich vermutlich Stapes. Aus dem, was ich vor zwei Tagen in Caudicus’ Turmzimmer gesehen hatte, ging deutlich hervor, dass er an dem Komplott gegen den Maer beteiligt war.

Ich blieb in meinem Zimmer, obwohl es mir wie ein Gefängnis

Eine Stunde vor Mittag besuchte mich der Viscount Guermen mit einigen Klatschgeschichten, die er persönlich zu Papier gebracht hatte. Außerdem hatte er, offenbar vom Vorbild Bredons inspiriert, ein Kartenspiel dabei. Er bot an, mir das »Drossel« genannte Spiel beizubringen, und erklärte sich bereit, nachdem ich die Grundzüge begriffen hatte, für den geringen Betrag eines silbernen Bit pro Partie gegen mich zu spielen.

Er beging den Fehler, mich austeilen zu lassen. Nachdem ich achtzehn Spiele in Folge gewonnen hatte, ging er sichtlich verschnupft. Dabei hätte ich es noch geschickter anstellen können. Ich hätte ihn nach Herzenslust schröpfen und ihm sein halbes Vermögen abnehmen können, aber ich war nicht in der Stimmung. Ich hing trüben Gedanken nach und wollte lieber allein sein.

Eine Stunde nach dem Mittagessen beschloss ich, mich nicht länger um den Maer zu bemühen. Wenn Alveron seinem falschen Kammerdiener unbedingt vertrauen wollte, war das seine Sache. Ich jedenfalls wollte keine Minute länger untätig bleiben und wie ein geprügelter Hund in meinem Zimmer warten.

Also warf ich meinen Mantel um und nahm den Lautenkasten. Ich würde einen Spaziergang zur Spenglerstraße machen. Wenn der Maer mich in meiner Abwesenheit brauchte, musste er mir eben eine Nachricht hinterlassen.

Ich wäre fast mit dem Wächter zusammengestoßen, der vor meiner Tür strammstand. Er trug das Saphirblau und Elfenbeinweiß von Alverons Leibwache.

Wir verharrten einen Augenblick bewegungslos. Ich brauchte gar nicht zu fragen, ob er meinetwegen hier war. Meine Tür war in weitem Umkreis die einzige. Ich sah ihn an. »Ihr seid?«

»Jayes, Herr.«

Wenigstens wurde ich noch mit »Herr« angesprochen. Das war immerhin etwas wert. »Und Ihr wartet hier, weil …?«

»Gut.« Ich kehrte in mein Zimmer zurück und machte die Tür hinter mir zu.

Wer hatte ihn geschickt? Alveron oder Stapes? Im Grunde spielte es keine Rolle.

Ich stieg durch das Fenster in den Garten, sprang über den Bach, rannte hinter einer Hecke entlang und kletterte eine steinerne Mauer hinauf. Mein leuchtend roter Mantel war nicht unbedingt für heimliche Ausflüge im Garten geeignet, passte dafür aber um so besser zum Rot der Dachziegel.

Ich kletterte über das Dach der Stallungen, durchquerte einen Heuboden und trat durch die Hintertür eines leeren Stalls. Von dort musste ich nur noch über einen Zaun springen und schon hatte ich die Burg verlassen. Ein Kinderspiel.

In der Spenglerstraße wurde ich erst in der zwölften Herberge fündig. Denna war allerdings nicht da, weshalb ich einfach die Straße weiterging, die Augen offen hielt und auf mein Glück vertraute.

Ich entdeckte sie eine Stunde später. Sie stand am Rand einer Menge, die der Aufführung einer fahrenden Schauspieltruppe zusah. Gespielt wurde, so unglaublich es klingt, das Stück Drei Wünsche frei.

Dennas Haut war vom Reisen gebräunt und dunkler als bei unserer letzten Begegnung an der Universität und sie trug nach Art der Frauen hierzulande ein hochgeschlossenes Kleid. Die schwarzen Haare fielen ihr mit Ausnahme eines einzelnen, schmalen Zopfes gerade über den Rücken.

Unsere Blicke begegneten sich, als Taubnessel gerade die ersten Verse des Stücks deklamierte:

Ich heil jedes Leiden!

Das kann ich beeiden!

Alle Mittel zum Spottpreis, der Erfolg verbürgt!

Plagt euch drum die Schwachherzigkeit,

Oder sie macht die Beine nicht breit,

Was ihr braucht, ich halt es bereit,

Seid sicher: es wirkt!

Stunden später aßen Denna und ich im Schatten der Bastion süße vintische Trauben. Ein übermütiger Steinmetz hatte eine flache Nische mit einigen Sitzgelegenheiten in den weißen Felsen gehauen, und wir hatten das lauschige Plätzchen auf unserem Spaziergang durch die Stadt entdeckt. Hier waren wir allein, und ich hielt mich für den glücklichsten Menschen der Welt.

Ich bedauerte nur, dass ich Dennas Ring nicht dabei hatte. Als Überraschungsgeschenk hätte er hervorragend zu unserem unverhofften Wiedersehen gepasst. Schlimmer noch, ich durfte nicht einmal verraten, dass ich ihn zurückgekauft hatte. Ich hätte sonst zugleich zugeben müssen, dass ich ihn als Pfand für meine Schulden bei Devi versetzt hatte.

»Es scheint dir gut zu gehen«, sagte Denna und befühlte den Stoff meines Mantels. »Hast du das Gelehrtendasein aufgegeben?«

»Ich mache nur Urlaub«, erwiderte ich ausweichend. »Im Augenblick helfe ich dem Maer bei verschiedenen Dingen.«

Denna sah mich mit großen Augen an. »Erzähl!«

Ich sah verlegen zur Seite. »Das kann ich leider nicht. Die Sache ist heikel.« Ich räusperte mich und wechselte das Thema. »Und du? Dir scheint es auch nicht schlecht zu gehen.« Ich strich mit zwei Fingern über den Spitzenbesatz ihres hochgeschlossenen Kragens.

»Ich bin zwar nicht mit dem Maer befreundet«, sagte Denna und deutete eine spöttische Verbeugung an. »Aber ich habe dir ja in meinen Briefen geschrieben, dass ich …«

»Briefen?«, unterbrach ich. »Du hast mir mehr als einen Brief geschrieben?«

Denna nickte. »Drei seit meiner Abreise. Und ich wollte gerade einen vierten schreiben, aber du hast mir die Mühe abgenommen.«

»Ich habe nur einen bekommen.«

Denna zuckte mit den Schultern. »Ich sage es dir sowieso lieber

»Wirklich?«, rief ich begeistert. »Wie mich das für dich freut!«

Denna lächelte stolz, und ihre Zähne strahlten weiß aus ihrem braun gebrannten Gesicht. Ihre Lippen waren wie immer rot, obwohl Denna sie nicht schminkte.

»Gehört er zum Hof von Severen?«, fragte ich. »Wie heißt er?«

Dennas Grinsen verschwand, und sie sah mich ernst und mit einem unsicheren Lächeln an. »Du weißt doch, dass ich dir das nicht sagen kann. Dass er größten Wert darauf legt, unerkannt zu bleiben.«

Meine Begeisterung war wie weggeblasen. »Oh nein, Denna! Es ist doch nicht etwa derselbe Kerl wie damals? Der, in dessen Auftrag du auf der Hochzeit in Trebon gespielt hast?«

Denna schien verwirrt. »Doch, natürlich. Aber ich darf dir seinen richtigen Namen nicht verraten. Wie hast du ihn noch gleich genannt? Lord Ulme?«

»Lord Esche.« Mir war, als hätte ich den Mund voller Asche. »Kennst wenigstens du seinen Namen? Hat er ihn dir gesagt, bevor du dich ihm verpflichtet hast?«

»Ich glaube, dass ich seinen richtigen Namen kenne.« Denna zuckte mit den Schultern und fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Dabei berührte sie den Zopf. Sie schien überrascht, zupfte ihn hastig auf und strich die Haare glatt. »Und selbst wenn nicht, was schadet es? Jeder hat Geheimnisse, Kvothe. Seine sind mir egal, solange er mich anständig behandelt. Bisher war er sehr großzügig.«

»Er ist nicht nur ein Geheimniskrämer, Denna«, widersprach ich. »So wie du ihn beschreibst, würde ich sagen, er leidet entweder an Verfolgungswahn oder steckt bis zum Hals in finsteren Machenschaften.«

»Ich weiß nicht, warum du ihn so wenig leiden kannst.«

Ich traute meinen Ohren nicht. »Er hat dich bewusstlos geschlagen, Denna.«

Denna schwieg. »Nein.« Sie hob die Hand an den abklingenden Bluterguss auf ihrer Wange. »Das stimmt nicht. Ich habe dir doch gesagt, ich bin beim Reiten gestürzt. Das dumme Pferd konnte einen Stock nicht von einer Schlange unterscheiden.«

Denna ließ die Hand in den Schoß sinken und griff nach ihrem Finger, wie um an einem Ring zu drehen, der nicht da war. Sie sah mich starr an. »Woher weißt du das?«

»Du hast es mir selbst erzählt. In jener Nacht, als wir auf dem Hügel auf den Draccus gewartet haben.«

Sie schlug verwirrt die Augen nieder. »Daran … daran kann ich mich nicht erinnern.«

»Du warst ein wenig durcheinander«, sagte ich voller Mitgefühl. »Aber du hast es mir erzählt. Du darfst dich nicht an einen solchen Menschen binden, Denna. Wer imstande ist, dir so etwas anzutun …«

»Aber er hat es für mich getan.« Dennas schwarze Augen funkelten auf einmal wütend. »Habe ich das nicht erwähnt? Ich hatte damals keinen einzigen Kratzer abbekommen, und alle anderen Hochzeitsgäste waren mausetot. Du weißt, wie das in einer kleinen Stadt wirkt. Selbst als sie mich bewusstlos auffanden, glaubten sie noch, ich könnte mit dem Massaker zu tun haben. Du erinnerst dich bestimmt.«

Ich senkte den Kopf und schüttelte ihn wie ein Ochse unter dem Joch. »Das glaube ich nicht. Es hätte bestimmt eine andere Lösung gegeben. Ich hätte eine gefunden.«

»Wir können nicht alle so schlau sein wie du.«

»Das hat mit Schlausein nichts zu tun!« Ich hatte die Stimme erhoben. »Er hätte dich mitnehmen können, als er verschwand! Oder er hätte sich zeigen und für dich bürgen können!«

»Niemand durfte wissen, dass er da war«, erwiderte Denna. »Er meinte …«

»Er hat dich geschlagen.« Noch während ich es sagte, erfüllte mich ein schrecklicher Zorn. Ich schäumte nicht vor Wut, wie ich es bei anderen Gelegenheiten aufgrund meines Temperaments schon getan hatte. Nein, was ich diesmal in mir spürte, war kalt und berechnend. Ich begriff außerdem, dass diese Kälte schon lange in mir schlummerte und sich ganz allmählich gebildet hatte wie die Eisdecke eines Teiches, der im Laufe einer langen Winternacht zufriert.

Denna blickte zu mir auf und das Funkeln in ihren Augen verging. Ihr Blick war zärtlich und zugleich mitleidig, so wie man einen Welpen ansieht, der knurrt und sich dabei furchtbar wild gebärdet. Sie legte mir sanft eine Hand an die Wange und ich spürte, wie ich knallrot anlief und meine Empörung mir auf einmal unendlich peinlich war.

»Lass uns bitte nicht streiten«, sagte sie. »Wenigstens heute nicht. Ich habe dich so lange nicht gesehen …«

Also beschloss ich, unseren Streit um Dennas willen auf sich beruhen zu lassen. Schließlich wusste ich, was geschah, wenn man sie zu sehr bedrängte. »Du hast recht«, sagte ich. »Wenigstens für heute. Verrätst du mir zumindest, in welchem Auftrag dein Schirmherr dich hierher geschickt hat?«

Denna lehnte sich zurück und lächelte schelmisch. »Tut mir leid, heikle Sache und so weiter.«

»Mach dich ruhig über mich lustig«, rief ich entrüstet. »Ich würde es dir ja sagen, aber der Maer hat um strengste Vertraulichkeit gebeten.«

Denna beugte sich vor und legte ihre Hand auf meine. »Armer Kvothe, ich will dich doch nicht ärgern. Aber mein Schirmherr legt mindestens ebenso viel Wert auf Diskretion. Er hat mir mit allem Nachdruck zu verstehen gegeben, dass wir geschiedene Leute wären, wenn ich je öffentlich über unsere Beziehung sprechen würde.« Sie war wieder sehr ernst. »Er ist sehr mächtig.« Sie schien noch etwas hinzufügen zu wollen, schwieg aber.

Gegen meinen Willen verstand ich sie. Meine jüngste Erfahrung mit dem Zorn des Maer hatte mich vorsichtig gemacht. »Was darfst du mir denn über ihn verraten?«

Denna klopfte sich nachdenklich mit dem Finger an die Lippen. »Er tanzt erstaunlich gut. Ich glaube, damit verrate ich nichts. Und er ist charmant.« Sie lachte über meinen Gesichtsausdruck. »Ich stelle in seinem Auftrag bestimmte Nachforschungen an und lese alte

»Bekomme ich die Lieder zu hören, wenn sie fertig sind?«

Denna lächelte ein wenig verlegen. »Das ließe sich wohl einrichten.« Sie sprang auf, fasste mich am Arm und zog mich ebenfalls auf die Füße. »Aber genug geredet. Begleite mich noch ein Stück!«

Ihre Begeisterung war ansteckend wie die eines Kindes, und ich lächelte. Doch als sie an meiner Hand zog, zuckte sie unwillkürlich zusammen. Ein leiser Schrei entfuhr ihr, und sie hielt sich mit einer Hand die Seite.

Augenblicklich stand ich neben ihr. »Was hast du?«

Denna zuckte mit den Schultern, lächelte angestrengt und hielt den Arm an die Rippen gepresst. »Ich bin doch von diesem dummen Pferd gefallen. Manchmal vergesse ich es und mache eine unbedachte Bewegung, und dann fährt mir der Schmerz hinein wie ein Blitz.«

»Hat sich jemand die Verletzung angesehen?«

»Es ist nur eine Prellung. Und die Sorte von Arzt, die ich mir leisten könnte, würde ich nicht an mich heranlassen.«

»Aber dein Schirmherr könnte doch sicher danach sehen lassen.«

Denna richtete sich langsam wieder auf. »Es ist wirklich nichts.« Sie hob die Arme über den Kopf, machte rasch einige trippelnde Tanzschritte und lachte über mein ernstes Gesicht. »Lass uns nicht mehr über Geheimnisse reden. Begleite mich ein Stück. Erzähl mir ein paar spannende Klatschgeschichten vom Hof des Maer.«

»Also gut.« Wir setzten uns in Bewegung. »Ich habe gehört, dass der Maer auf wunderbare Weise von einer langen Krankheit genesen ist.«

»Schöner Klatsch«, sagte Denna spöttisch. »Das weiß doch jeder.«

»Der Baronet Bramston hat gestern Abend beim Faro furchtbar verloren.«

Denna verdrehte die Augen. »Langweilig.«

»Die Comtesse DeFerre hat während einer Aufführung von Daeonica ihre Unschuld verloren.«

»Oh.« Denna hob die Hand an den Mund und unterdrückte ein Lachen. »Stimmt das wirklich?«

Denna sah mich empört an. »Dass ich dir jemals etwas geglaubt habe!« Sie schlug nach mir, presste die Lippen zusammen und sog scharf die Luft zwischen den Zähnen ein.

»Übrigens«, sagte ich leiser, »habe ich an der Universität studiert. Ich bin zwar kein Physikus, verstehe mich aber ein wenig auf die Heilkunst. Ich könnte mir deine Prellung ansehen.«

Denna musterte mich, als wüsste sie nicht, was sie von meinem Angebot halten sollte. »Das«, sagte sie schließlich, »ist womöglich der raffinierteste Versuch, mich auszuziehen, den ich je erlebt habe.«

»Ich …« Ich spürte, wie ich feuerrot wurde. »Ich wollte überhaupt nicht …«

Denna lachte. »Wenn ich jemanden mit mir Doktor spielen lassen würde, dann wärst du das, Kvothe. Aber noch halte ich die Schmerzen aus.« Sie hakte sich bei mir unter, und wir setzten unseren Spaziergang fort. »Ich kann gut selber auf mich aufpassen.«

Einige Stunden später kehrte ich zurück in die Burg des Maer. Statt über die Dächer zu klettern, nahm ich den direkten Weg. Als ich in den Gang einbog, der zu meiner Unterkunft führte, sah ich, dass inzwischen zwei Wächter vor der Tür standen. Offenbar war meine Flucht entdeckt worden.

Doch nicht einmal das konnte meine Hochstimmung trüben. Ich ging nach den Stunden mit Denna wie auf Wolken. Außerdem hatte ich mich für den nächsten Tag mit ihr zum Reiten verabredet. Dass Denna sich überhaupt auf eine feste Zeit und einen Treffpunkt eingelassen hatte, erfüllte mich mit Freude.

»Guten Abend, meine Herren«, sagte ich, als ich näher kam. »Ist während meiner Abwesenheit etwas Wissenswertes vorgefallen?«

Ich blieb mit der Hand auf dem Türgriff stehen. »Wie bitte?«

»Ihr sollt bis auf weitere Anweisung in Euren Räumen bleiben«, wiederholte er. »Und einer von uns soll ständig in Eurer Nähe bleiben.«

Zorn stieg in mir auf. »Weiß Alveron davon?«, fragte ich scharf.

Die beiden wechselten einen unsicheren Blick.

Also handelten sie auf Anweisung Stapes’. Ihre Verunsicherung würde sie davon abhalten, handgreiflich zu werden. »Dann sollten wir das jetzt sofort klären«, sagte ich und ging mit forschen Schritten voraus. Die beiden Wächter eilten mir mit klappernden Rüstungen hinterher.

Auf dem Weg durch die Gänge geriet ich immer mehr in Wallung. Wenn der Maer mir endgültig nicht mehr vertraute, dann sollte er es mir jetzt sagen. Dann hatte ich wenigstens wieder meine Freiheit und konnte mich nach Belieben mit Denna treffen.

Ich bog im selben Moment um die Ecke, in dem der Maer gerade aus seinen Gemächern trat. Er sah gesünder aus denn je und trug einen Stapel Papier unter dem Arm.

Verärgert blickte er mir entgegen, und ich fürchtete schon, er könnte den Wachen befehlen, mich fortzuschaffen. Trotzdem trat ich mutig auf ihn zu, als hätte ich eine schriftliche Einladung erhalten. »Euer Gnaden«, sagte ich mit gekünstelter Munterkeit, »kann ich Euch kurz sprechen?«

»Gewiss«, antwortete er im selben Ton und öffnete die Tür, die er gerade hatte schließen wollen. »Komm herein.« Seinem Blick entnahm ich, dass er nicht weniger wütend war als ich. Ein kleiner, vernünftiger Teil in mir mahnte mich verzagt zur Zurückhaltung, aber mein Zorn ging mit mir durch, und ich preschte blindlings weiter.

Wir ließen die verwirrten Wächter im Vorzimmer stehen, und Alveron führte mich durch die zweite Tür in seine privaten Räume. Ein bedrohliches Schweigen wie die Stille vor einem Sommergewitter lag in der Luft.

»Deine Unverschämtheit ist nicht zu fassen«, fauchte der Maer, sobald er die Tür hinter uns geschlossen hatte. »Deine haltlosen Anklagen

»Euer Gnaden …«

Er straffte sich, und ich begriff, dass er kurz davor stand, die Wachen zu rufen. »Ich will nichts hören«, sagte er nur.

Erst jetzt sah er mich an. Sein Blick war hart wie Stein, und ich merkte auf einmal, wie heftig sein Zorn tatsächlich war. Das war nicht der Zorn eines Gönners oder Auftraggebers, den ich durch mangelnden Respekt vor seinem Rang gekränkt hatte. Nein, vor mir stand ein Mann, der seit dem sechzehnten Lebensjahr absolut über seine Umgebung herrschte. Jemand, der sich nichts dabei dachte, einen anderen Menschen in einem eisernen Käfig an einem Galgen zur Schau zu stellen. Jemand, der um ein Haar König von Vintas geworden wäre.

Mein Zorn erlosch wie eine Kerze, deren Docht man ausdrückt, und mir wurde kalt. Ich hatte meine Situation völlig falsch eingeschätzt.

Als Straßenkind in Tarbean hatte ich gelernt, mit gefährlichen Menschen umzugehen: Betrunkenen, Hafenarbeitern, Wachen oder auch anderen Kindern, die einen mit aus Glasscherben hergestellten Messern töten konnten.

Der Schlüssel zur eigenen Sicherheit war immer gewesen, die Spielregeln einer Situation zu kennen. Eine Wache schlug einen nicht auf offener Straße. Ein Hafenarbeiter folgte einem nicht, wenn man vor ihm wegrannte.

Ich begriff plötzlich, was ich falsch gemacht hatte. Für den Maer galten keine Regeln. Er konnte mich töten lassen und meine Leiche über dem Stadttor aufhängen. Er konnte mich in den Kerker werfen lassen und dann vergessen. Er konnte mich dort verhungern und sterben lassen, ohne dass ich das Geringste dagegen tun konnte. Ich hatte keine Freunde, niemanden, der sich für mich eingesetzt hätte. Ich war so hilflos wie ein Kind mit einer Weidenrute als Schwert.

All das wurde mir blitzartig klar, und ich bekam es mit der Angst zu tun. Ich hätte in der Stadt bleiben sollen, solange noch Gelegenheit

In diesem Augenblick trat Stapes geschäftig aus dem Ankleidezimmer des Maer. Als er uns sah, malten sich auf seiner sonst so unbewegten Miene für einen kurzen Moment Überraschung und Panik. Er fasste sich sofort wieder. »Ich bitte Euch um Verzeihung«, sagte er und wollte sich rasch wieder in das Ankleidezimmer zurückziehen.

»Stapes«, rief der Maer, bevor er verschwinden konnte. »Kommt her.«

Stapes kehrte mit hängenden Schultern zurück und rang nervös die Hände. Er wirkte schuldbewusst, wie jemand, der soeben auf frischer Tat ertappt worden ist.

»Was habt Ihr da, Stapes?«, fragte Alveron streng. Ich sah genauer hin. Der Kammerdiener bewegte die Hände nicht, sondern hielt etwas in ihnen.

»Ach, nichts …«

»Stapes!«, rief der Maer zornig. »Wie könnt Ihr es wagen, mich anzulügen! Zeigt es sofort her!«

Der Diener öffnete wie betäubt die Hände. Auf seinem Handteller lag leblos ein kleiner, leuchtend bunter Vogel. Aus Stapes’ Gesicht war alle Farbe gewichen.

Nie in der Geschichte der Menschheit hat der Tod eines so schönen Vogels eine solche Freude und Erleichterung ausgelöst wie bei mir. Ich glaubte seit Tagen fest, dass Stapes den Maer betrog, und hier lag der unstrittige Beweis.

Trotzdem schwieg ich. Der Maer sollte seine eigenen Schlüsse ziehen.

»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Alveron langsam.

»Der Vogel soll Euch nicht die Laune verderben, Herr«, sagte der Diener hastig. »Ich hole nur rasch einen anderen. Der wird genauso schön singen.«

Eine lange Pause folgte. Ich sah, wie Alveron die Wut niederkämpfte, die mir gegolten hatte. Und immer noch dauerte das Schweigen an.

Stapes sah mich empört an.

Bevor er den Mund aufmachen konnte, brach der Maer das Schweigen. »Antwortet ihm, Stapes.« Seine Stimme klang erstickt. »Mehr als diesen einen?«

Stapes sah den Maer bekümmert an. »Ich wollte Euch diesen Anblick ersparen, Lerand. Es ging Euch doch so schlecht. Ich sollte Euch die Vögel bringen, und anschließend hattet Ihr diese schreckliche Nacht. Am nächsten Tag lag ein Vogel tot im Käfig.«

Er blickte auf den kleinen Vogel in seiner Hand und die Worte sprudelten auf einmal nur so aus ihm heraus und überschlugen sich fast. Wer so redete, sagte die Wahrheit. »Ihr solltet nicht an den Tod denken müssen. Deshalb entfernte ich den Vogel heimlich und ersetzte ihn durch einen anderen. Dann ging es Euch immer besser, während täglich vier bis fünf Vögel starben. Jedes Mal wenn ich nachsah, lag wieder einer auf dem Boden des Käfigs wie eine kleine abgeschnittene Blume. Aber euch ging es so gut, deshalb wollte ich es Euch nicht sagen.«

Stapes bedeckte den toten Vogel mit der hohlen Hand. »Es war geradezu, als hätten sie ihre kleinen Seelen aufgegeben, damit Ihr gesund werden könnt.« Etwas in ihm brach zusammen und er begann zu weinen. Ich hörte das herzzerreißende, hoffnungslose Schluchzen eines ehrlichen Mannes, der das langsame Sterben eines ihm teuren Freundes mit ansehen musste und seinem Kummer lange Zeit hilflos ausgeliefert war.

Alveron rührte sich einen atemlosen Moment lang nicht, und aller Zorn fiel von ihm ab. Dann trat er zu seinem Kammerdiener und nahm ihn zärtlich in die Arme. »Ach Stapes«, sagte er leise, »die Vögel haben sich in gewisser Weise ja auch tatsächlich für mich geopfert. Ihr habt Euch nichts zuschulden kommen lassen.«

Ich ging leise aus dem Zimmer und entfernte die Futterspender von dem goldenen Käfig.

Ich selbst war erleichtert, nach einigen Tagen der Ungnade so plötzlich wieder in Alverons Gunst zu stehen. Doch zitterte ich immer noch bei dem Gedanken, wie nahe ich am Abgrund gestanden hatte.

Ich gestand dem Maer offen meinen falschen Verdacht gegen Stapes und bat den Diener von Herzen um Verzeihung. Stapes seinerseits gestand seine Vorbehalte gegen mich. Zuletzt reichten wir uns versöhnt die Hand.

Gegen Ende des Mahls plauderten wir noch über dies und das, da hob Stapes plötzlich den Kopf, entschuldigte sich und eilte aus dem Zimmer.

»Es steht jemand vor der äußeren Tür«, erklärte der Maer. »Stapes hat Ohren wie ein Luchs, es ist fast unheimlich.«

Stapes öffnete die Tür und ließ Dagon herein – der hoch gewachsene Offizier mit dem kahlrasierten Schädel, der damals bei meiner Ankunft zusammen mit Alveron über den Landkarten gesessen hatte.

Dagons Blick huschte in alle vier Ecken des Zimmers. Dann sah er zum Fenster, zur anderen Tür, kurz zu mir und wieder zum Maer zurück. In dem Moment, als sein Blick mich streifte, erwachten in mir sämtliche Instinkte, mit deren Hilfe ich auf den Straßen von Tarbean überlebt hatte, und drängten mich wegzulaufen, mich zu verstecken, kurz alles zu tun, um mich möglichst weit von diesem Menschen zu entfernen.

»Ah, Dagon!«, rief Maer aufgeräumt. »Ich hoffe doch, es geht Euch an diesem schönen Tag gut?«

»Jawohl, Euer Gnaden.« Dagon hatte sich dem Maer zugewandt, jedoch ohne seinen Blick zu erwidern.

»Ich befehle Euch, Caudicus wegen Hochverrats zu verhaften.«

Dagon zögerte kaum merklich. »Jawohl, Euer Gnaden.«

»Acht Männer müssten genügen, vorausgesetzt sie bewahren angesichts der schwierigen Situation die Ruhe.«

»Lebend«, sagte Alveron wie zur Antwort auf eine Frage. »Ansonsten keine Rücksichtnahme.«

»Jawohl, Euer Gnaden.« Dagon wandte sich zum Gehen.

»Euer Gnaden«, warf ich hastig ein, »wenn Caudicus tatsächlich Arkanist ist, solltet Ihr bestimmte Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.« Ich bereute das Wort »sollte«, kaum dass ich es ausgesprochen hatte. Es klang sehr anmaßend. Stattdessen hätte ich sagen müssen: Vielleicht wünscht Ihr gewisse Vorsichtsmaßnahmen in Betracht zu ziehen.

Alveron schien das aber nicht zu bemerken. »Ja, natürlich, sonst entwischt er uns noch. Bevor Ihr ihn abführt, Dagon, fesselt ihn mit eisernen Ketten an Händen und Füßen. Ketten aus reinem Eisen, wohlgemerkt. Knebelt ihn und verbindet ihm die Augen …« Er überlegte kurz und klopfte mit dem Finger an die Lippen. »Und schneidet ihm die Daumen ab.«

»Jawohl, Euer Gnaden.«

Alveron sah mich an. »Glaubst du, das reicht?«

Ich schluckte die Übelkeit, die in mir aufwallte, hinunter und zwang mich, die Hände in meinem Schoß ruhig zu halten. Ich wusste nicht, was mich mehr entsetzte: der unbekümmerte Ton, in dem Alveron seine Anweisungen erteilte, oder die Art, wie Dagon sie entgegennahm. Mit einem voll ausgebildeten Arkanisten war nicht zu spaßen, aber die Vorstellung, ihm die Hände zu verstümmeln, kam mir schrecklicher vor, als ihn auf der Stelle zu töten.

Dagon ging. Kaum hatte er die Tür geschlossen, schien Stapes zu frösteln. »Gütiger Himmel, Lerand, bei dem Gedanken an diesen Mann läuft es mir kalt über den Rücken. Ich wünschte, Ihr könntet ihn fortschicken.«

Der Maer lachte. »Dass jemand anderes ihn in seine Dienste nimmt? Nein, Stapes, ich brauche ihn hier, wo ich ihn überwachen kann.«

Stapes runzelte die Stirn. Doch noch bevor er über die Worte des Maer nachdenken konnte, wanderte sein Blick hinüber ins Ankleidezimmer. »Oh, wieder einer.« Er ging hin. Bei seiner Rückkehr hielt er behutsam den kleinen Körper eines weiteren toten Flittichs in der

»Die wer?«, fragte ich.

»Unser Stapes drückt sich ein wenig altmodisch aus«, erklärte Alveron lächelnd. »Und er ist gebildeter, als er zugibt. Calanthis ist der altvintische Name der Vögel.«

»Ich könnte schwören, ich habe ihn schon irgendwo gehört.«

»Außerdem heißt so die königliche Familie von Vintas«, sagte Alveron vorwurfsvoll. »Für jemand mit deiner Bildung hast du seltsame Wissenslücken.«

Stapes reckte den Hals und sah wieder zum Käfig hinüber. »Ich weiß, dass Ihr es tun musstet. Aber warum habt Ihr nicht Mäuse genommen oder den garstigen kleinen Köter der Comtesse DeFerre?«

Bevor ich antworten konnte, ertönte von draußen ein dumpfer Schlag. Stapes war noch nicht aufgesprungen, da stürzte ein Wachmann durch die innere Tür.

»Euer Gnaden«, keuchte er, eilte zum einzigen Fenster des Zimmers und schloss eilig die Läden. Dann rannte er ins Wohnzimmer und tat dort dasselbe. Es folgten ähnliche Geräusche aus weiter hinten gelegenen, mir unbekannten Zimmern. Man hörte, wie Möbel verrückt wurden.

Stapes wollte in seiner Verwirrung aufstehen, doch der Maer schüttelte den Kopf und bedeutete ihm, sich wieder zu setzen. »Wache?«, rief er ungeduldig.

»Verzeiht, Euer Gnaden.« Der Wächter kehrte schweratmend zurück. »Befehl von Dagon. Ich sollte Eure Gemächer schnellstmöglich sichern.«

»Offenbar ist etwas schief gegangen«, bemerkte der Maer trocken.

Der Wächter nickte. »Als wir am Turmzimmer klopften, öffnete niemand. Dagon befahl, die Tür aufzubrechen. Im Zimmer war … ich weiß nicht was, Euer Gnaden, ein böser Geist. Einer von uns wurde getötet. Caudicus haben wir nicht angetroffen, aber Dagon hat die Verfolgung aufgenommen.«

Alverons Miene verfinsterte sich. »Verdammt!«, rief er und schlug mit der Faust auf die Armlehne seines Sessels. Er runzelte die Stirn

Der Mann blieb verlegen stehen. »Herr, Dagon befahl mir, Euch nicht allein zu lassen.«

Alveron musterte ihn finster. »Also gut, aber stell dich dort hin.« Er zeigte in eine Ecke.

Der Mann zog sich erleichtert zurück. Alveron beugte sich vor und drückte die Fingerspitzen an die Stirn. »Wie in Gottes Namen konnte er Verdacht schöpfen?«

Die Frage schien an niemanden gerichtet, trotzdem überlegte ich fieberhaft. »Habt Ihr gestern Eure Arznei holen lassen, Euer Gnaden?«

»Ja, ja, alles war genau wie in den Tagen davor.«

Nur dass Ihr nicht mich danach geschickt habt, dachte ich. »Habt Ihr das Fläschchen noch?«, fragte ich laut.

Das Fläschchen war noch da. Stapes brachte es mir. Ich entkorkte es und fuhr mit dem Finger an der Innenseite entlang. »Wie schmeckt Eure Arznei?«

»Das habe ich dir doch schon gesagt. Bitter, ein wenig salzig.« Ich hob den Finger an meinen Mund und berührte damit ganz leicht meine Zungenspitze. Der Maer riss die Augen auf. »Bist du wahnsinnig?«, fragte er.

»Süß«, sagte ich nur. Ich spülte meinen Mund mit Wasser und spuckte es so leise wie möglich in ein leeres Glas. Dann holte ich ein kleines, zusammengefaltetes Papiertütchen aus einer Tasche meiner Weste, schüttete mir ein wenig von dem Inhalt in die Hand und aß es, wobei ich das Gesicht verzog.

»Was ist das?«, fragte Stapes.

»Lignosellen«, erfand ich rasch, weil ich wusste, dass die richtige Antwort, Holzkohle, nur weitere Fragen nach sich gezogen hätte. Ich nahm einen Mund voll Wasser und spuckte ihn ebenfalls aus. Diesmal war das Wasser schwarz. Alveron und Stapes schauten erschrocken zu.

Ich ließ sie nicht zu Wort kommen. »Caudicus muss Verdacht geschöpft haben, dass Ihr Eure Arznei nicht einnehmt, Euer Gnaden. Denn sie schmeckte diesmal anders. Wenn Ihr sie genommen hättet, hättet Ihr ihn danach gefragt.«

Ich überlegte, ob ich den Maer daran erinnern sollte, dass das alles nicht passiert wäre, wenn er mir von Anfang an geglaubt hätte, unterließ es aber lieber. »Ich würde Euren Leuten raten, den Turm nicht zu betreten, Euer Gnaden. Bestimmt hat er dort alle möglichen Fallen und anderen Unfug eingerichtet.«

Der Maer nickte und fuhr sich mit der Hand über die Augen. »Ja, natürlich. Kümmert Euch darum, Stapes. Ich denke, ich werde mich jetzt ein wenig ausruhen. Caudicus wird uns wohl noch eine Weile beschäftigen.«

Ich schickte mich an zu gehen, doch der Maer bedeutete mir, mich wieder zu setzen. »Bleib noch kurz und koche mir eine Kanne Tee, Kvothe.«

Stapes klingelte nach den Dienern. Sie räumten die Reste unserer Mahlzeit weg und warfen mir dabei neugierige Blicke zu. Ich saß nicht nur in Gegenwart des Maer, sondern hatte überdies in seinen privaten Gemächern mit ihm gespeist. Spätestens in zehn Minuten würde die ganze Burg davon wissen.

Nachdem die Diener gegangen waren, bereitete ich dem Maer Tee. Anschließend wollte ich gehen, doch da sprach er mich über den Rand seiner Tasse an. Er redete so leise, dass der Wächter, der immer noch in der Ecke stand, ihn nicht hören konnte.

»Kvothe, du hast dich als vollkommen vertrauenswürdig erwiesen, und es tut mir leid, dass ich vorübergehend an dir gezweifelt habe.« Er nahm einen kleinen Schluck. »Leider kann ich nicht zulassen, dass andere von dem Anschlag erfahren, zumal wenn der Giftmischer entkommen ist.« Er sah mich vielsagend an. »Es würde meine Bemühungen in jener anderen Angelegenheit stören, über die wir bereits gesprochen haben.«

Ich nickte. Wenn überall bekannt würde, dass er fast einem Anschlag seines eigenen Arkanisten erlegen wäre, würde ihm das nicht helfen, die Hand der Frau zu gewinnen, die er zu heiraten hoffte.

»Leider kann ich dir aus demselben Grund nicht die Belohnung

Mir schwirrte der Kopf angesichts der Möglichkeiten, die sich vor mir auftaten. »Aber wenn ich das tun würde«, fuhr er fort, »müsste ich es erklären. Und eben das will ich nicht.«

Er hielt mir die Hand hin, und ich begriff erst mit einiger Verspätung, dass ich sie schütteln sollte. Man schüttelt nicht einfach so die Hand von Maer Alveron. Wie schade, dass nur der Wächter Zeuge dieses denkwürdigen Moments wurde. Hoffentlich war er eine Klatschbase. Ich ergriff die Hand feierlich.

»Ich stehe tief in deiner Schuld«, sprach Alveron weiter. »Wenn du je Hilfe brauchst, stehe ich dir mit allem zur Verfügung, das ein dankbarer Herr geben kann.«

Ich nickte gerührt und versuchte trotz meiner Erregung die Ruhe zu bewahren. Genau darauf hatte ich gehofft. Mit der Hilfe des Maer konnte ich gezielt nach den Amyr suchen. Er konnte mir Zugang zu klösterlichen Archiven und privaten Bibliotheken verschaffen, zu Orten, wo wichtige Dokumente lagen, die nicht wie an der Universität zensiert und bearbeitet worden waren.

Ich wusste allerdings auch, dass jetzt nicht der richtige Zeitpunkt war, darum zu bitten. Alveron hatte mir seine Hilfe versprochen. Ich konnte in aller Ruhe abwarten und überlegen, welche Art von Hilfe ich am dringendsten brauchte.

Beim Hinausgehen überraschte Stapes mich mit einer stummen Umarmung. Seinem Gesicht nach zu schließen hätte er nicht dankbarer sein können, wenn ich seine gesamte Familie aus einem brennenden Haus gerettet hätte. »Ihr könnt Euch gewiss nicht vorstellen, wie tief ich in Eurer Schuld stehe. Wenn Ihr je etwas braucht, lasst es mich wissen.«

Er ergriff meine Hand und schüttelte sie überschwenglich. Zugleich spürte ich, wie er mir etwas Hartes hineindrückte.

Draußen auf dem Gang blieb ich stehen und öffnete sie. In ihr lag ein silberner Ring mit Stapes’ Namen. Daneben lag ein zweiter Ring, der nicht aus Metall bestand. Er war glatt und weiß, und in seine

Wie betäubt von dieser plötzlichen Wendung zum Guten kehrte ich in meine Unterkunft zurück.

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