Kapitel 17 Zwischenspiel: Rollen
Kvothe hob eine Hand, und der Chronist nahm die Feder vom Blatt.
»Lasst uns eine kurze Pause einlegen«, sagte Kvothe und nickte zum Fenster hinüber. »Wie ich sehe, ist Cob schon im Anmarsch.«
Kvothe stand vom Tisch auf und strich sich die Schürze glatt. »Darf ich vorschlagen, dass ihr beide euch um ein wenig Haltung bemüht?« Er nickte dem Chronisten zu. »Ihr seht aus, als hättet Ihr gerade etwas Verwerfliches getan.«
Er ging in aller Ruhe hinter den Tresen. »Und dem ist natürlich ganz und gar nicht so. Chronist, Ihr langweilt Euch und wartet auf Arbeit. Deshalb habt Ihr Euer Schreibzeug griffbereit. Ihr wünscht, Ihr würdet nicht ohne Pferd in dieser entlegenen Ortschaft feststecken. Aber dem ist nun einmal so, und Ihr seid bestrebt, das Beste daraus zu machen.«
Bast grinste. »Für mich bitte auch ein paar Regieanweisungen!«
»Sei ganz du selbst, Bast«, sagte Kvothe. »Du trinkst etwas mit unserem einzigen Gast, weil du ein unbeholfener Faulpelz bist, den keiner auch nur im Traum als Erntehelfer anheuern würde.«
Bast grinste weiter. »Bin ich auch gelangweilt?«
»Natürlich bist du das. Was solltest du denn sonst sein?« Kvothe faltete ein Leinentuch zusammen und legte es auf dem Tresen ab. »Ich hingegen bin viel zu beschäftigt, um mich zu langweilen. Ich eile hin und her und kümmere mich um all die kleinen Dinge, die den reibungslosen Betrieb des Wirtshauses sicherstellen.«
Er sah zu den beiden anderen hinüber. »Chronist, Ihr lehnt Euch auf dem Stuhl zurück. Und Bast, wenn du dir das Grinsen schon
Basts Grinsen wurde breiter. »Aber gerne doch.«
»Sind sich alle über ihre Rolle im Klaren?« Kvothe nahm das Tuch vom Tresen und ging in Richtung Küche, und dabei sagte er: »Der alte Cob tritt auf. Bühne links.«
Man hörte Schritte auf dem hölzernen Absatz vor dem Eingang, und dann stapfte der alte Cob in den Schankraum. Sein Blick schweifte über den Tisch hinweg, an dem der grinsende Bast eine Geschichte erzählte und sie mit Gesten begleitete, und dann ging er schnurstracks zum Tresen. »Kote! Hallo! Bist du da?«
Der Wirt kam aus der Küche herein und trocknete sich die Hände an der Schürze ab. »Hallo, Cob. Was kann ich für dich tun?«
»Graham hat mich von dem kleinen Owens holen lassen«, sagte Cob verärgert. »Hast du ’ne Ahnung, was ich hier soll, statt Hafer zu ernten?«
Kote schüttelte den Kopf. »Ich dachte, er hilft heute den Murrions bei der Weizenernte.«
»So ein verdammter Blödsinn«, murmelte Cob. »Heute Abend soll’s Regen geben, und ich stehe hier, obwohl auf meinem Feld der trockene Hafer auf mich wartet.«
»Wo du schon mal da bist«, sagte der Wirt, »darf ich dir einen Apfelwein anbieten? Ganz frisch.«
Die Verärgerung wich ein wenig aus dem wettergegerbten Gesicht des alten Mannes. »Wo ich eh schon warten muss«, sagte er, »wäre ein kleiner Krug davon natürlich nett.«
Kote ging wieder hinaus und kam mit einer Keramikkanne zurück. Man hörte weitere Schritte auf dem hölzernen Absatz vor dem Eingang, und dann kam Graham herein, mit Jake, Carter und dem Schmiedelehrling im Schlepptau.
Cob wandte sich um und funkelte sie an. »Was ist denn verdammt noch mal so wichtig, dass ihr mich zu dieser Tageszeit in den Ort holen lasst?«, fragte er wütend. »Die Sonne scheint, und –«
Plötzlich brandete Gelächter an dem Tisch auf, an dem Bast und der Chronist saßen. Alle schauten in die Richtung und sahen, wie der
Graham führte die anderen an den Tresen. »Ich hab erfahren, dass Carter und der Junge den Orrisons helfen, ihre Schafe auf den Markt zu treiben«, sagte er. »Nach Baedn, nicht wahr?«
Carter und der Schmiedelehrling nickten.
»Aha«, sagte der alte Cob und blickte auf seine Hände hinab. »Dann seid ihr also zur Totenfeier nicht da.«
Carter nickte mit ernster Miene, Aaron aber wirkte geradezu verzweifelt. Er sah die anderen nacheinander an, doch die standen reglos da und achteten nur auf den alten Mann am Tresen.
»Gut«, sagte der schließlich in Richtung Graham. »Es war eine gute Idee, dass du uns zusammengeholt hast.« Als er Aarons Gesichtsausdruck sah, schnaubte er. »Junge, du guckst ja, als wäre gerade deine Katze verreckt. Die Schafe müssen auf den Markt. Shep wusste das. Er würde keinen Deut schlechter von dir denken, weil du tust, was getan werden muss.«
Er hob den Arm und klopfte dem Schmiedelehrling auf den Rücken. »Und jetzt trinken wir was Schönes, um Abschied von ihm zu nehmen. Darauf kommt es an. Was da heute Abend in der Kirche stattfindet, das ist doch nur Priestergefasel. Wir wissen besser, wie man sich von ihm verabschieden sollte.« Er blickte hinter den Tresen. »Bring mal was von seinem Leib- und Magentrank, Kote.«
Der Wirt holte Holzkrüge herbei und schenkte aus einem kleineren Fass ein dunkles Bier aus.
Der alte Cob reckte seinen Krug in die Höhe, und die anderen taten es ihm nach. »Auf unseren Shep!«
Als Erster ergriff Graham das Wort. »Als wir klein waren, hab ich mir mal ein Bein gebrochen, als ich mit ihm auf der Jagd war«, sagte er. »Ich hab ihm gesagt, er soll loslaufen und Hilfe holen, aber er wollte mich nicht allein lassen. Er hat sich stur gestellt und hat kurzerhand einen Schlitten zusammengeflochten, und darauf hat er mich die ganze Strecke in den Ort zurückgezogen.«
Alle tranken.
»Er war’s, der mich mit meiner besseren Hälfte bekannt gemacht
Alle tranken.
»Als ich mit diesem üblen Husten darniederlag, hat er mich jeden Tag besucht«, sagte Carter. »Da war er fast der Einzige. Er brachte mir Suppe mit, die seine Frau gekocht hatte.«
Alle tranken.
»Er war sehr nett zu mir, als ich hierher gezogen bin«, sagte der Schmiedelehrling. »Er hat mir immer Witze erzählt. Und als ich mal eine Wagenkupplung kaputt gemacht hab, die er uns zur Reparatur gebracht hatte, hat er Meister Caleb nichts davon gesagt.« Er schluckte und sah sich nervös um. »Ich hab ihn wirklich gern gemocht.«
Alle tranken.
»Er war der Tapferste von uns allen«, sagte Cob. »Er war der Erste, der gestern Abend diesem Kerl ein Messer reingerammt hat. Wenn das ein normaler Mensch gewesen wäre, wäre er damit erledigt gewesen.«
Cobs Stimme bebte ein wenig, und einen Moment lang sah er ganz klein und erschöpft aus und genauso alt, wie er war. »Aber dem war ja nicht so. Es sind keine guten Zeiten für einen tapferen Mann. Aber er war’s dennoch. Ich wünschte, ich wäre so tapfer gewesen und wäre jetzt an seiner Stelle tot, und er wäre daheim bei seiner jungen Frau.«
Die anderen murmelten etwas, und dann tranken sie alle ihre Krüge leer. Graham hustete, ehe er seinen Krug auf dem Tresen abstellte.
»Ich wusste nicht, was ich sagen sollte«, sagte der Schmiedelehrling leise.
Graham klopfte ihm lächelnd auf den Rücken. »Du hast das gut gemacht, Junge.«
Der Wirt räusperte sich, und alle sahen ihn an. »Ich hoffe, ihr haltet mich nicht für dreist«, sagte er. »Ich kannte ihn nicht so gut wie ihr. Nicht gut genug für einen Trinkspruch bei dieser ersten Runde, aber vielleicht gut genug für einen bei der zweiten.« Er nestelte an den Bändern seiner Schürze herum, als wäre es ihm peinlich, dass er
Dafür erntete er beifälliges Gemurmel. Er holte Whiskeygläser unterm Tresen hervor und begann sie zu füllen – und zwar nicht aus einer Flasche, sondern aus dem großen Whiskeyfass. Whiskey vom Fass kostete einen ganzen Penny pro Schluck, und so hoben sie die Gläser mit größerer Herzlichkeit, als es sonst der Fall gewesen wäre.
»Also, worauf trinken wir?«, fragte Graham.
»Darauf, dass dieses Scheißjahr endlich zu Ende geht?«, sagte Jake.
»Das ist kein anständiger Trinkspruch«, grummelte der alte Cob. »Auf den König?«, schlug Aaron vor.
»Nein«, sagte der Wirt mit erstaunlich fester Stimme. »Auf alte Freunde, die Besseres verdient hätten, als ihnen widerfahren ist.«
Die Männer auf der anderen Seite des Tresens nickten ernst und kippten ihren Whiskey.
»Meine Güte, was für schöne Gläser«, sagte der alte Cob respektvoll und bekam feuchte Augen. »Du bist wirklich ein Gentleman, Kote. Und ich bin froh, dass ich dich kenne.«
Als der Schmiedelehrling seinen Whiskey-Tumbler auf den Tresen stellte, kippte das Glas um und kullerte übers Holz. Er fing es auf, bevor es zu Boden fallen konnte, und beäugte argwöhnisch die gerundete Glasunterseite.
Jake lachte lauthals über Aaron. Der Schmiedelehrling blickte beschämt, drehte sein Glas um und stellte es, wie die anderen es mit ihren Gläsern bereits getan hatten, verkehrt herum auf dem Tresen ab. Der Wirt schenkte ihm ein begütigendes Lächeln, sammelte die Gläser ein und verschwand mit ihnen in der Küche.
»Also gut«, sagte der alte Cob und rieb sich die Hände. »So werden wir es einen ganzen Abend lang machen, wenn ihr aus Baedn zurück seid. Aber das Wetter wartet nicht auf mich, und die Orrisons wollen sicher längst los.«
Nachdem sie alle den Schankraum verlassen hatten, kam Kvothe wieder aus der Küche und kehrte an den Tisch zurück, an dem Bast und der Chronist immer noch saßen.
»Cob weiß nicht mal halb so viel, wie er sich einbildet«, sagte Kvothe. »Du warst es, der gestern Abend alle gerettet hat. Wenn du nicht gewesen wärst, hätte dieses Wesen alle im Raum niedergemacht.«
»Das stimmt doch überhaupt nicht, Reshi«, erwiderte Bast aufgebracht. »Du hättest ihm schon Einhalt geboten. Wie du das immer machst.«
Der Wirt tat die Bemerkung mit einem Achselzucken ab, wollte offenkundig nicht darüber diskutieren. Bast kniff den Mund und die Augen zusammen.
»Aber dennoch …«, sagte der Chronist leise und durchbrach damit die in der Luft liegende Anspannung. »Cob hat recht mit dem, was er sagt. Es war sehr tapfer von Shep. Das muss man respektieren.«
»Nein, muss man nicht«, sagte Kvothe. »Cob hat mit etwas anderem recht: Es sind keine guten Zeiten für tapfere Männer.« Dann wies er den Chronisten mit einem Wink an, die Feder wieder zur Hand zu nehmen. »Trotzdem wünschte auch ich, ich wäre tapferer gewesen, und Shep wäre jetzt daheim bei seiner jungen Frau.«