In der Großen Halle von Tyrian oberhalb von Tomingorllo und unter dem frohen Schall silberner Trompeten trug eine feierliche Prozession das erkorene Brautgeschenk zu dem Schaukasten, in dem das Diadem gelegen hatte. Es wurde vorsichtig abgesetzt und mit größter Hochachtung enthüllt.
Von allen wertvollen Staatsgeschenken, die der lirinischen Königin zur Begutachtung vorgelegt worden waren und die den Reichtum und die Kunstfertigkeit einer jeden Nation widerspiegelten, deren Herrscher um ihre Hand angehalten hatte, hatte sie eine einfache Schriftrolle ausgewählt, die von einem schwarzen Samtband zusammengehalten wurde. Sie war mit einem seltsamen, dreizehneckigen Siegel versehen, das angeblich eines von nur zweien auf der ganzen Welt war.
Es hieß, die Rolle enthalte ein Lied, das keinem anderen gleiche. Da die Königin eine unerreichte Musiker in war, hatte man es als geradezu magisch angesehen, dass sie diese Gabe allen anderen vorgezogen hatte. Die Plakette darunter trug die Inschrift: Gwydion von Manosse, Herr der Cymrer.
Während dieser bedeutungsvollen und fröhlichen Zeremonie war die Königin dem Brauch gemäß abwesend. Zumindest wurde sie nicht bemerkt. Sie lag jedoch bäuchlings auf dem Balkon des Großen Balkons und beobachtete alles zusammen mit Gwydion unter dessen Nebelumhang. Es war für beide ein Kampf, nicht wie Verrückte zu kichern. Genau so war es gewesen, als Rhapsody ihre Wahl Rial kundgetan und sein Amtszimmer fluchtartig verlassen hatte, bevor sie die Fassung verlor.
Das Lied war ein Geschenk, das nur für die Augen der Braut bestimmt war. Gwydion hatte damit gedroht, dass die Rolle eines von Grunthors unzüchtigen Marschliedern enthalte. Doch als sie das Lied entrollt hatte, hatte sie erkannt, dass er ihre musikalischen Anweisungen ausgezeichnet umgesetzt hatte. Das sorgfältig beschriebene Papier trug die Noten von Sam und Emily für immer ohne einen einzigen Fehler. Der Blumenstrauß, den er ihr gleichzeitig überreicht hatte, blieb in Elysian. Er öffnete sich jeden Tag ein wenig mehr und enthüllte mit jeder neuen Lage Blütenblätter ein tieferes Rot. Der Strauß wurde durch die Magie des Ortes frisch gehalten und blieb in dauernder, prachtvoller Blüte. Es war ein wirkliches Wunder, aber es war eines, das die Königin mit niemandem teilen wollte. Wieder ein Beweis, wie selbstsüchtig ich bin, hatte sie zu ihrem Erwählten gesagt, der darüber nur gelächelt hatte.
»Aber wer wird uns öffentlich verheiraten?«, fragte Rhapsody Gwydion, als sie durch den Garten von Tomingorllo schlenderten. »Du hast die Ämter des Fürbitters und Patriarchen inne. In der religiösen Rangfolge gibt es niemanden mehr über dir.«
Gwydion lächelte. »Deine Informationen sind nicht vollständig«, sagte er und küsste im Gehen ihre Hand. »Während der Zeit, in der du mich nicht sehen wolltest, musste ich etwas tun, um nicht verrückt zu werden. Also habe ich einige meiner Verantwortlichkeiten verteilt.«
Rhapsody lachte. »Du bist ganz schön selbstsicher. Ich dachte, du wusstest nicht, ob du als Herr der Cymrer bestätigt werden würdest.«
»Das wusste ich auch nicht. Ich war aber der Meinung, dass andere die religiösen Gruppen unmittelbar anführen sollten. Und wenn du Anborn oder Achmed geheiratet hättest, wäre ich sowieso ins Wasser gegangen, also wäre es egal gewesen.«
»Aber du hast vor, das nominelle Oberhaupt des Ordens zu bleiben?«
»Ja. Ich benenne jedoch Führer aus beiden Gruppen, von denen ich glaube, dass sie in der Lage sind, im Hinblick auf das Ziel der vollständigen Wiedervereinigung zusammenzuarbeiten. Selbst wenn sie nicht eintritt, werden die Orden in Eintracht miteinander leben.«
»Ausgezeichnet. Und wen hast du als Fürbitter vorgesehen?«
Ashe blieb stehen und schaute in die Ferne. »Gavin. Und dort ist mein Favorit für das Amt des Patriarchen, auch wenn ihn die Waage von Jierna Tal noch wiegen und für würdig befinden muss. Er scheint sich über diese Aussicht milde zu amüsieren. Ich hatte ihn gebeten, nach dem cymrischen Konzil nach Tyrian zu reisen, damit du ihn kennen lernen kannst. Er ist neu im Glauben, aber sehr weise. Komm mit, ich möchte ihn dir vorstellen.«
Rhapsody ergriff seine Hand und folgte ihm durch den Garten auf einen alten Mann zu. Sein Bart war so lang, dass er sich an den Enden aufrollte, und Streifen aus Silber und Weiß gewannen allmählich den Kampf gegen das hartnäckige Hellblond. Trotz des fortgeschrittenen Alters war er groß und breitschultrig und hatte ein Lächeln, von dem Rhapsody schwören konnte, dass es ihr schon einmal begegnet war. Aber aus der Entfernung erkannte sie ihn nicht.
»War er auf dem Konzil?«, fragte sie, als Gwydion schneller wurde.
»Ja, er war Teil der Diaspora. Ich habe ihn ein paar Tage vor der Ankunft der Zweiten Flotte im Gerichtshof getroffen. Ich hatte ihn gefragt, woher er kommt, doch er konnte mir bloß sagen, dass dieser Ort sowohl näher als auch weiter entfernt liege als jeder andere in der bekannten Welt. Wir haben einige Nächte draußen zusammen gezeltet, und ich war erstaunt über seine Weisheit und visionäre Kraft sowie über seine außergewöhnliche Heilkunst. Er kümmerte sich nämlich mit bewundernswertem Geschick um einige Leute, die sehr krank waren oder große Schmerzen litten. Er strahlt einen großen Frieden aus. Ich hatte mich entschlossen, ihm das Amt anzubieten, falls ich je dazu in der Lage sein sollte. Er scheint dich zu kennen, denn er hat mich nach dir gefragt, aber natürlich konnte ich ihm nur wenig berichten. Ich glaube, du wirst angenehm überrascht sein.«
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Rhapsody hielt auf dem Gartenpfad inne und starrte den Mann in der Robe an. Sein gefurchtes Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. Die Erinnerung überlief sie heiß und kalt zugleich.
»Constantin!«
Er streckte ihr die Hände entgegen, die von der Zeit und dem Leben, das er geführt hatte, gezeichnet waren. Sie eilte auf ihn zu, umarmte ihn und küsste ihn auf den Hals. Röte überzog ihr Gesicht, als sie an ihre zahllosen gemeinsamen Erinnerungen dachte, die manchmal angenehm, manchmal auch schlimm waren. Aber sein Blick war heiter. Er schaute sie wissend an und lächelte.
»Hallo, meine Dame«, sagte er mit der tiefen Stimme, an die sie sich gut erinnerte. »Es ehrt mich, dass Ihr mich nicht vergessen habt.«
Rhapsody streckte mechanisch die Hand aus, als ob sie nicht mehr Herrin ihrer Handlungen wäre, und berührte seine Wange. Ich war sieben Jahre hinter dem Schleier des Hoen, und als ich wieder herauskam, hatte der Schnee kaum den Schwertgriff bedeckt, dachte sie bitter. Ich bin seit einem halben Jahr zurück. Gute Götter, ich bin überrascht, dass er noch lebt.
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich nie vergessen werde«, meinte sie sanft. »Und das habe ich auch nicht.«
Constantin küsste ihre Hand. »Auch ich habe Euch nicht vergessen. Herzlichen Glückwunsch zu Eurer Verlobung. Der Herr der Cymrer ist ein glücklicher Mann.«
»Vielen Dank«, sagten Rhapsody und Gwydion gleichzeitig. Der cymrische Herr zog sie näher an sich.
»Constantin ist einverstanden, das Amt des Patriarchen in der Mittsommernacht anzunehmen, falls die Waage ihn bestätigt«, sagte Ashe. »Er wird derjenige sein, der uns in einer gemeinsamen Zeremonie mit Gavin traut, falls du einverstanden bist, Aria.«
Rhapsody lächelte. »Natürlich bin ich das. Vielen Dank, Constantin.« Sie betrachtete sein Gesicht eingehend. »Warum bist du fortgegangen?«
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Seine Augen verdüsterten sich, und er schaute sie noch tiefer an. »Es war Zeit«, sagte er nur. Rhapsody erinnerte sich an das, was Anborn über die Weisheit gesagt hatte, nicht mehr zu erfragen, als man unbedingt wissen muss. Sie wandte sich an den Herrn der Cymrer, der die beiden erstaunt beobachtete. »Ich bin über deine Wahl des Patriarchen entzückt, Liebling. Er ist von den besten Lehrern unterwiesen worden, und ich weiß mit Sicherheit, dass kein einziger Tropfen Bosheit in ihm steckt.« Ihre Augen funkelten schelmisch, und Constantin lachte. Gwydion wirkte verwirrt.
»Komm mit, Sam«, sagte Rhapsody und zog ihren Bräutigam an der Hand. »Wir sollten Seiner Gnaden einen Ruheplatz suchen. Er kommt von weiter her, als du dir vorstellen kannst. Wir werden dir irgendwann die ganze Geschichte erzählen. Du wirst überrascht sein, dass der neue Patriarch bei der Tötung des F’dor mitgeholfen hat.«
Gwydion starrte sie verwundert an, dann folgte er ihr und Constantin den Pfad entlang.
»Rhapsody, du weißt wirklich, wie man eine Überraschung verderben kann.«
Rhapsody hielt sich an ihr Wort und hatte ein einfaches Kleid bestellt, wie sie es Gwydion nach der königlichen Hochzeit in Bethania versprochen hatte. Die Schleppe schleifte nicht mehr als etwa zwei Fuß hinter ihr her, und das Kleid ließ die Schultern unbedeckt; schließlich fand die Hochzeit am ersten Tag nach dem Sommer statt.
Trotz der scheinbaren Schlichtheit des Kleides hatten die Näherinnen von Tyrian endlos daran gearbeitet. Miresylle hatte einen Ballen gebürstete canderianische Seide gefunden, die weiß war und einen rötlichen Unterton hatte, der die Sonnenaufgangsfarbe von Rhapsodys rosiggoldener Haut vollkommen traf. Es war wohl überlegt und sparsam zugeschnitten, was ein Anzeichen wahrer Handwerkskunst war, wie Rhapsody ihrem ungläubigen Bräutigam erklärte, der sich vernehmlich darüber wunderte, als sie die siebte Anprobe für dieses scheinbar so einfache Kleid hatte.
»Es ist weder von Perlen noch von Spitze verdeckt. Viele Näherinnen greifen auf diese Mittel zurück, um Unvollkommenheiten im Stoff oder der Verarbeitung zu verdecken. Miresylle ist eine Perfektionistin.«
Gwydion hatte seine Braut in den Arm genommen und geküsst. »Dessen bin ich mir sicher. Und ich bin mir sicher, dass ich das Kleid mögen werde, auch wenn es dafür verantwortlich ist, dass du mich so oft allein lässt.«
»Du bist zu gierig nach mir«, zog sie ihn auf. »Vielleicht sollte ich gar nichts tragen.«
»Wie Recht du hast.«
Gwydion selbst sah sich einem Kleiderdilemma gegenüber. Zwar war das Schnittmuster für seinen Hochzeitsanzug recht einfach, aber die verschiedenen Zweige der Familie, etliche Kampfeinheiten und politische Gruppen, denen er angehörte, hatten ihm ein Symbol seines Standes oder ein Ehrenabzeichen geschenkt und erwarteten natürlich, dass er dies während der Hochzeit trug. Rhapsody bekam einen Kicheranfall, als er all die Abzeichen peinlich berührt vor ihr auf dem riesigen Tisch in der Großen Halle von Tyrian ausbreitete. Der Tisch maß über zwanzig Fuß in der Länge und war vollständig mit Abzeichen bedeckt, die Gwydion irgendwo an seinem Körper tragen musste.
»Du solltest mehr essen, um deinen Umfang um das Zehnfache zu vergrößern«, lachte sie, während ihre Blicke über hunderte Hüte, Dolche, Stäbe, Zeremonieschwerter, Kronen und anderen Krimskrams schweiften, der über den ganzen Tisch verstreut lag. Sie nahm einen der einundzwanzig Siegelringe von einem Haufen in der Mitte. »Mal sehen. Einen an jedem Finger, einen an jedem Zeh und einen an deinem ...«
»Sprich es nicht aus«, drohte er scherzhaft. »Das könnte für dich später in der Nacht noch unangenehm werden, meine Liebe. Ich könnte den mit den größten Zacken wählen.«
»Dieses Geschenk hier ist mein Favorit«, sagte Rhapsody und hielt eine scheußliche Kriegsmaske der Nain hoch. »Tragen sie diese Dinger wirklich in der Schlacht?«
»Ja, die und noch schlimmere.« Er ließ den Blick über den Tisch schweifen und seufzte entsetzt auf. »Ich sehe lächerlich aus, wenn ich irgendetwas davon trage, Aria. Und wenn ich nur einige anlege, beleidige ich alle, deren Geschenke ich nicht ausgewählt habe. Und wann ich gar keine trage, beleidige ich alle. Was soll ich nur tun? Ist es schon zu spät zur Flucht?«
»Das haben wir doch bereits getan; erinnerst du dich? Das hier ist nur die offizielle Zeremonie; die wichtige haben wir schon allein gehabt.« Sie lächelte ihn an und hoffte, damit seine Qualen zu lindern. »Ich will mich darum kümmern. Wir sollten uns die Geschenke gemeinsam ansehen, und du sagst mir, von wem sie stammen und was sie bedeuten.«
Einen Monat später, am Morgen der Hochzeitsprobe, schenkte sie ihm ein Samtbezogenes Kästchen.
»Das ist für deine Geduld mit meinen endlosen Anproben«, sagte sie und küsste ihn. »Mach sie auf und schau, ob es dein Dilemma beseitigt.«
In dem Kästchen befand sich ein Staatshalsband, dessen Kettenglieder aus regelmäßigen rotgoldenen Sechsecken bestanden. Es war so lang, dass es Nacken und Schultern schmückte, und war mit Symbolen aller Gruppen versehen, die ihm ihre Abzeichen geschickt hatten. Selbst die scheußliche Kriegsmaske der Nain des Sardonyx-Berges war auf einem der kleinen Glieder peinlich genau als winzige Gemme abgebildet. Gwydion brach bei dem Gedanken in Lachen aus, dass der Goldschmied viele Stunden nach einem farbigen Stein gesucht hatte, der dieselbe Tönung aufwies wie der Schleim, der aus den Nüstern der Miniatur-Kriegsmaske troff.
»Es ist wunderbar, wie immer bei dir«, sagte er und zog sie an sich.
»Gut. Bedeutet das, dass ich von diesen großen Zacken verschont bleibe?«
»Von allen bis auf einen.«
Gwydion schleppte den Kübel zur Tür des Geheimraums hinter dem Wasserfall und schüttete das Putzwasser draußen ins Gras. Wie macht sie das nur, fragte er sich ungläubig, als er mit einem Seufzer in seinen alten, bequemen Sessel sank. Er hatte ihr geholfen, das Haus in Elysian zu säubern, aber irgendwie war es ein Vergnügen gewesen. Gwydion schüttelte den Kopf und lachte. Sogar mit einem heißen Eisen gebrandmarkt zu werden wäre ein Vergnügen, so lange sie ihm dabei die Hand hielt.
Die Erinnerung an schläfrige Sommermorgen vor einem Jahr kam in ihm auf, der Geruch von kochendem Kaffee und Gewürzen, begleitet vom Duft der Seife und süßem Gesang. Sie war immer vor Sonnenaufgang aus dem Bett gestiegen und hatte in Elysian geputzt, Kleider gebügelt, sich um die Gärten gekümmert, lange bevor gewöhnliche Leute die Augen aufschlugen. Das sei das Bauernmädchen in ihr, hatte sie gesagt, als er dagegen protestiert und sie wieder ins Bett gezogen hatte. Diese Erinnerungen an die einfache Häuslichkeit mochte er am liebsten. Es waren Bilder voller Normalität und Gesundheit inmitten einer verrückt gewordenen Welt. Er seufzte und sehnte sich die Rückkehr dieser Tage freudig herbei.
Als er sich in dem Raum umsah, verspürte er ein Gefühl der Befriedigung. Das unordentliche Männer-Haus war sauber geworden, das neue Doppelbett glänzte unter der frischen Satindecke, die er für Rhapsody in Navarne gekauft hatte. Er hatte alle neuen Möbel bei Nacht selbst hereingeschleppt, um die Sicherheit des Geheimraums nicht zu gefährden. Dies war so etwas wie ein westliches Elysian ein Ort, an dem sie allein sein konnten, wenn sie sich in diesen Provinzen aufhielten.
Dieser Ort benötigt die Hand einer Frau oder einer Magd, hatte sie gesagt. Daraufhin hatte er etliche Gegenstände und Schmucksachen aufgestellt, die sie auch bei der Einrichtung Elysians verwendet hatte. Das Haus war trotzdem noch gemütlich und schön. Und er hatte vier Stunden am Tag vor seiner Hochzeit damit verbracht, den Ort zu putzen. Rhapsody hatte vor anderthalb Jahren in einer halben Stunde bessere Ergebnisse erzielt, doch er wusste, dass sie seine Bemühungen schätzen würde.
Gwydion stand auf und schaute sich ein letztes Mal um. Der Wein stand im Kühler, die Kristallgläser befanden sich auf dem Tisch, das Feuer war mit süß riechenden Gewürzen bestreut und wartete darauf, entfacht zu werden. Er würde ein 964
Zimmer mit einer Badewanne anbauen müssen, falls sie diesen Ort auch im Winter bewohnen sollten, obwohl der Gedanke, dass allein Rhapsodys Körperwärme den Teich unter dem Wasserfall im Schnee erwärmte, höchst erregend war. Er holte die Krönung seiner Bemühungen hervor: einen Sack voller rosafarbener und weißer Rosenblätter, über die sie seinem Wunsch gemäß ihre Magie gelegt hatte, ohne zu wissen warum. Sie hatte die Worte gesprochen, die ihre Frische bewahrten, und Ashe dabei seltsam angesehen Er stellte sich ihren Gesichtsausdruck in der nächsten Nacht vor, wenn er sie über das Bett und den Boden verteilt und eine Spur bis zur Tür gelegt hatte.
Ein romantischer Drache ist das nicht ein Widerspruch in sich?
Ja. Liebst du mich trotzdem?
Immer.
Als das Bett schließlich mit Blütenblättern bedeckt war, sah er sich ein letztes Mal um. Dann verließ er die Hütte und verschloss sorgfältig die Tür. Auf dem Weg zurück zu dem versteckten Pferd und Wagen pfiff er ein Lied.
Die Lirin hatten die Wälder von Tyrian und Gwynwald in der traditionellen Hochzeitsart mit Glocken, Schilfflöten und Windspielen geschmückt, die von den Bäumen hingen.
Papierschlangen wanden sich überall durch den Forst, in dem überdies von Lirin-Stadt bis zum Großen Baum Maibäume mit Bändern daran aufgestellt worden waren, auf denen man unzählige Kristalle befestigt hatte. Hierbei handelte es sich um ein Geschenk der cymrischen Nain. Der Wald war in farbigem Licht gebadet und warf einen Regenbogenglanz auf die Szene und die Gäste.
Das Unmögliche geschah. Am Morgen der Hochzeit erblühten die Gärten des Hauses der Erinnerung in einem gewaltigen scharlachroten Teppich aus Winterblumen. Sie waren ein Geschenk des Schlafenden Kindes, das nun sicher in den Armen seiner Mutter, der Erde, lag.
Zusätzlich zu den traditionellen Dekorationen hatte Ashe die Hilfe einiger Palastdiener in Anspruch genommen, um Liebesknoten aus Musselinstoff im Schlafzimmer der cymrischen Herrin und in allen Sälen der Festung von Stephen Navarne zu verteilen, in der Rhapsody sich befand. Mithilfe seiner Drachenerinnerung erschuf er peinlich genau die Szene, in der sie sich zum ersten Mal in jener schönen Sommernacht beim Vorerntetanz getroffen hatten. Am Morgen ihrer Hochzeit erwachte Rhapsody in einem Raum voller frisch geschnittener Kiefern und Tannenzweige und später Sommerblumen, von denen viele von derselben Art waren wie jene, die damals die Tische und Fässer geschmückt hatten. Sie richtete sich im Bett auf und war erstaunt über die Genauigkeit, mit der die Verzierungen nachgebildet waren, welche die Leute aus ihrem Bauerndorf im alten Land aufgestellt hatten. Dann lachte sie laut auf. Er musste sich in der Nacht in ihr Zimmer gestohlen haben. Sein Mantel bedeckte sie, und auf ihrem Bett waren Weidenzweige verstreut. Auf dem Umhang lag ein dünnes Band aus schwarzem Samt, an das ein silberner Knopf in Herzform genäht war.
Oelendra saß auf einem Stuhl im Schlafzimmer der Braut und beobachtete die hektischen Vorbereitungen mit gelinder Belustigung. Rhapsody saß in Unterkleidern auf dem Boden und befestigte geduldig den Saum von Melisandes Kleid, während die lirinischen Kammermädchen hinter ihr auf dem Bett hockten, ihr Perlen ins Haar flochten und bei jeder ihrer Bewegungen verstimmt dreinblickten. Sylvia hatte sich bei der Tür aufgestellt, da andauernd Dinge abgegeben wurden, und schimpfte nebenbei mit den Firbolg-Enkeln der Königin, die eifrig von Sofa zu Sofa hüpften und ihre Habseligkeiten durch das ganze Zimmer verstreuten.
»Sie fressen die Blumen aus den Haarreifen, Herrin«, sagte die Kammerfrau.
Rhapsody nickte. »Ich weiß. Bitte versuch zu vermeiden, dass ihnen die Bänder zwischen den Zähnen stecken bleiben.« Als die älteste Brautjungfer schließlich herausgeputzt war, stand Rhapsody auf. Ihr Haar war in kleinen, verwickelten Mustern geflochten und aus dem Gesicht zurückgekämmt, doch im Rücken hing es lang herab und wurde von winzigen weißen Blumen und Rosmarinzweigen durchbrochen, die Weisheit symbolisierten. Sie schenkte Oelendra ein verwirrtes Grinsen und folgte den schwatzenden Kammermädchen dorthin, wo das Hochzeitskleid hing. Miresylle, die Näherin, half ihr mit einem Blick hinein, der dem einer Hebamme glich, die ein königliches Kind zur Welt bringt. Nach vielem Herumgezupfe stand die Königin schließlich aufrecht da und drehte sich, und die lirinischen Dienerinnen traten ehrfürchtig zurück. Oelendras belustigtes Lächeln wurde wärmer. Sie hatte nicht geglaubt, dass es ein Kleid gäbe, welches Rhapsody noch schöner machte, als sie schon war. Doch jetzt sah sie, dass sie sich geirrt hatte. Sie fragte sich, ob dies von dem Kleid herrührte, das in Weiß und einem Schimmer von Rosa erstrahlte, oder von dem Licht, das in den Augen der Braut leuchtete.
Sylvia klatschte entschieden in die Hände. »In Ordnung, jetzt hinaus mit euch. Alle!«, sagte sie zu den Kindern und Kammerdienerinnen. Die darauf folgende Hektik verschaffte Oelendra die Gelegenheit, auf die sie gewartet hatte. Sie stellte sich hinter Rhapsody, die vor dem Spiegel gerade ihre Ohrringe anlegte, trat dann zum Toilettentisch und legte einen Schlüssel darauf. Rhapsody sah sie mit einem verwirrten Lächeln an.
»Was ist das?«
»Der Schlüssel zu meinem Haus«, sagte Oelendra und richtete den Kragen ihres eigenen Kleides. »Ich habe dir gesagt, dass es jetzt auch dein Haus ist.«
Rhapsody nickte. »Aber warum brauche ich einen Schlüssel? Ich komme doch nur, wenn du da bist.«
Oelendra küsste sie auf die Wange und ging zur Tür. »Nur falls du einmal fern vom Palast einige Zeit allein mit deinem Mann verbringen möchtest. Du siehst wunderschön aus, meine Liebe, und so glücklich. Ich werde mich immer an diesen Anblick erinnern und ihn wie einen Schatz in mir bewahren. Beeil dich, dein Bräutigam wartet.« Sie lächelte und reihte sich in die Prozession ein. Rhapsody bürstete ihr Kleid ein letztes Mal ab und schaute sich um. Sie war umgeben von Leuten, die sie liebte, und es würden bald noch mehr werden. Ihre Enkel die Navarnes, die Kindern des Hoen und die Firbolg waren allesamt in weiße Seide gekleidet und mit Blumen geschmückt. Rial befand sich in der Prozession, genau wie Oelendra, die als Trauzeugin diente. Achmed und Grunthor standen in vollem Ornat bereit, um sie den Hauptgang hindurch zu eskortieren. Anborn lag auf seiner Bahre, die von zwei Nain-Soldaten getragen wurde, und wartete darauf, hineingebracht zu werden. Und glimmernd im Äther hingen von allen außer Rhapsody unbemerkt zwei große Drachenumrisse, deren vielfarbige Augen sie liebevoll ansahen. Sie dachte daran, wie Jo bei diesem Anblick gelacht hätte, und warf ihrer Schwester eine Kusshand zu, denn die Sängerin wusste, dass auch sie unsichtbar anwesend war.
»In Ordnung«, sagte sie zu der seltsamen Versammlung. »Lasst uns anfangen.«
»Das ist widernatürlich.«
Madeleine Steward, die Frau des Herrschers von Roland, trat der Hochzeitsprozession rasch aus dem Weg, damit sie keinen Kontakt mehr mit dem grinsenden Jungen hatte, der im Vorübergehen ihr Juwelenbesetztes Kleid angefasst hatte. Das haarige kleine Gesicht wirkte unpassend unter dem Blumenreifen. Nach der Meinung Madeleines lag etwas Obszönes darin, Firbolg-Bälger in Hochzeitskleider zu stecken, um ihre Teilnahme an einer königlichen Zeremonie erst gar nicht zu erwähnen.
Die Herrin von Roland war in den letzten drei Monaten nicht sehr glücklich gewesen, seit ihr Mann sie vom cymrischen Konzil nach Hause begleitet hatte. Dabei hatte er darüber schwadroniert, seine Herrschaftsgewalt an die neuen Herrscher der Cymrer abzutreten. Für Madeleine war es eine Frage des Stolzes gewesen, in das mächtigste Haus des Landes einzuheiraten, und nun unterstand sie einem zugegebenermaßen schönen Mann mit kupfernen Haaren und einer Frau, die gerade den Mittelgang an den Armen eines Ungeheuers und der gröbsten Kreatur entlang schritt, die sie je gesehen hatte. Ihre Welt drohte zu versinken. Madeleine konnte nichts anderes tun, als hilflos da zu sitzen und den Albtraum zu beobachten.
Tristan Steward schaute seine Frau finster an. »Psst«, flüsterte er grimmig und drehte sich wieder um. Er schaute zu, wie das Gesicht der cymrischen Herrin dasselbe Strahlen annahm wie das ihres Gemahls, als sie sich die Ehe versprachen.
Gemessen an königlichen Standards war die Hochzeit klein. Obwohl es seltsam war, dass man an der frischen Luft unter der sagischen Eiche stand, wo einst der Hof des Hauses der Erinnerung gewesen war, anstatt in der Basilika in Bethania oder Sepulvarta zu feiern, lag etwas Bezauberndes in der Zeremonie. Er lächelte traurig, während er zusah, wie der neue Patriarch die Ehe zusammen mit dem Fürbitter der Filiden segnete.
Es war ihm unmöglich, länger Madeleines Gesicht anzusehen, das vor Ekel und Abscheu verzerrt war. Lieber betrachtete er Rhapsody. Was es ihm trotz der Missbilligung seiner Frau unmöglich machte, den Blick von ihr abzuwenden, waren nicht ihre ebenmäßigen, schönen Gesichtszüge, sondern die Blicke, die sie dem Herrn der Cymrer zuwarf. Sie war sich ihres Ausdrucks nicht bewusst und sah aus wie eine Frau, die hoffnungslos verliebt und unendlich glücklich war.
Tristan seufzte. Er wünschte, jemand würde ihn auf diese Weise anschauen, auch wenn es nur ein einziges Mal wäre. Da Prudence fort war, würde es wohl nie geschehen. Dieser Gedanke verdunkelte ihm den Tag, obwohl die Glocken in den Bäumen und im neu errichteten Turm läuteten, als das Paar sich in einem Kuss vereinte.
Rhapsody redete gerade mit Constantin im Schatten der großen Bäume, als sie einen eindringlichen Blick im Rücken spürte. Aus den Augenwinkeln sah sie eine reglose vertikale Linie, die auf sie ausgerichtet war. Rhapsody drehte sich um und schenkte der Erscheinung ihre Aufmerksamkeit. Sie brach in warmes Lächeln aus; es war Oelendra. Die lirinische Kriegerin hatte das Kleid abgelegt, das sie vorhin bei der Hochzeit getragen hatte, und steckte nun in einer weißen Robe aus ungefärbter Wolle, wie sie die Priester des Baumes trugen. Oelendra erwiderte ihr Lächeln, doch in ihren Augen lag ein bedeutungsvoller Blick, der alle anderen Gedanken Rhapsodys beiseite schob.
»Entschuldigst du mich bitte?«, sagte sie zu Constantin.
Die hellen blauen Augen in dem runzeligen Gesicht lächelten. »Natürlich, meine Dame.«
Rhapsody hob den Saum ihres Hochzeitskleides und trat auf die Felsen neben dem Waldpfad. Dabei schüttelte die Gestalt in der Ferne den Kopf und hob die Hand, um Rhapsody aufzuhalten. Oelendra winkte und ging langsam in den Wald, auf den Schleier des Hoen zu. Sie drehte sich noch einmal um, lächelte der Braut zu und schenkte ihr einen liebevollen Blick unendlicher Wärme. Dann betrat sie den Wald und verschwand.
»Rhapsody? Was ist los, meine Liebe?«, fragte Ashe sanft und nah an ihrem Ohr.
Rhapsody drehte sich nach ihrem Mann um und lächelte ihn an. Sie bemerkte nicht, dass ihr dabei Tränen die Wangen herunterrannen. »Nichts, Sam. Nichts ist los.«
Gwydion schaute in die Ferne und schloss kurz die Augen. »War das Oelendra? Ich habe sie kaum wieder erkannt.«
»Ja. Schau genau hin, Sam. Du wirst sie nie mehr sehen, zumindest nicht in dieser Welt.«
Gwydion wischte ihr die Tränen von den Wangen. »Geht es dir gut?«
Rhapsody nickte. »Natürlich. Ich freue mich für sie. Heute Nacht wird sie wieder neben Pendaris schlafen.«
Achmed stand unter den dichten Zweigen einer alten Eiche oberhalb der Tanzfläche, die man im Garten des Hauses der Erinnerung freigeräumt hatte. Die Mitglieder eines kleinen, aber fähigen Orchesters aus Navarne hatten sich ihm gegenüber aufgestellt und erfüllten die Luft mit fröhlicher Musik. Für die Musiker aus Tyrian war es eine willkommene und angenehme Unterbrechung. Der Herr und die Herrin der Cymrer waren fast sofort auf die Tanzfläche gestürmt, und hunderte Gäste hatten sich zu ihnen gesellt. Stunden später hallte der Wald immer noch von der Freude der Feiernden wider, die sich anmutig zum Rhythmus der Musik drehten.
Grunthor kam herbei. Er hatte soeben mit der Braut getanzt und grinste. »Pass auf, beim Walzer ist sie’n Dämon«, sagte er und wischte sich die riesige Stirn trocken. »Hab aber jetzt den Bogen raus. Du lässt sie auf deinen Füßen stehn. Tut nich weh, sie wiegt nicht mehr als ’ne Feder. So kannst du vermeiden, ihr aufs Kleid zu trampeln. Sie sieht nämlich ziemlich sauer aus, wenn du das tust.«
Achmed nahm einen Schluck Branntwein und lächelte. »Vielen Dank für den Hinweis.«
Grunthor steckte das Taschentuch in seine Paradeuniform und rieb sich den Halsrücken, als sie sich beide umdrehten und den Tanzenden zuschauten. Es war schwer, Rhapsody zu übersehen, obwohl sie so klein war und in der gewaltigen Menge fast unterging. Ihr Gesicht leuchtete in einem ätherischen Licht, und ihr Lachen hallte wie die Glocken durch den Forst des Weißen Baumes. Diejenigen, die ganz in ihrer Nähe tanzten, hielten immer wieder an und betrachteten sie bezaubert. Jetzt wurde sie beim Walzer von Rial geführt, doch wann immer es ihrem Gemahl gelang, sie zu entführen, strahlte ihr Gesicht heller als die Sonne.
»Sie sieht glücklich aus, was?«
«Ja, allerdings.«
Grunthor sah herab auf seinen Freund. »Wie erträgst du das?«
»Was willst du damit sagen?«
»Also«, meinte der Bolg, »ich hatt immer den Eindruck, du hast ’n Auge auf sie geworfen, wenn du weißt, was ich meine.«
Achmed nahm noch einen Schluck, sagte aber nichts. »Geht mich ja nichts an, aber was hast du jetzt vor? Ich mein, warum hast du sie gehen lassen?«
Achmed lächelte, als der Walzer endete und Rhapsody eine tiefe Verbeugung vor ihrem Partner machte, der verblüfft aussah und dann in ihr herzliches Lachen einstimmte. Edwyn Griffyth nahm seinen Enkel Gwydion scherzhaft beiseite und ergriff Rhapsodys Arm für den nächsten Tanz, als das Orchester einen lirinischen Pennafar spielte, einen traditionellen Hochzeitstanz. »Wer hat denn gesagt, dass ich sie gehen lasse?«
Grunthor runzelte die Stirn, während er auf den Fir-Bolg-König herunterschaute. »Könntest ’n bisschen spät dran sein, oder?«
»Nein, in Wirklichkeit bin ich zu früh.«
»Wie geht’n das?«
Achmed lehnte sich gegen den Baum, unter dem er stand. »Alles ist zeitlich begrenzt. Ashe ist ein Drache und von cymrischem Blut, also ist er sehr langlebig, aber nicht unsterblich wie wir drei. Und da seine Langlebigkeit von seinem Drachenblut herrührt, steht er früher oder später vor demselben Problem wie Llauron. Er wird immer wyrmähnlicher, bis er schließlich der Menschlichkeit einschließlich seiner geliebten Frau den Rücken kehrt und fortgeht, um eins mit den Elementen zu werden.«
Verstehen zeichnete sich auf Grunthors Gesicht ab. »Und dann gehört sie dir?«
Achmed sah zu ihm auf. »Was keiner von euch versteht, ist der Umstand, dass sie das auf gewisse Weise schon tut. Außer mir ist sie die Einzige, die das weiß.«
»Wirklich?«
»Ja.« Er leerte den Becher mit Branntwein. »Jetzt entschuldige mich bitte. Ich glaube, ich bin an der Reihe, mit der Braut zu tanzen.«
Grunthor schüttelte den Kopf, als Achmed den Hügel hinabstieg. Er stand neben Rhapsody, als der Tanz gerade endete, und der Sergeant schaute belustigt zu, wie sie den Fir-Bolg-König ansah und breit lächelte. Sie nickte freudig und ergriff seine Hand. Er wusste nicht, was lustiger war: der Anblick Achmeds bei der Mazurka oder der Blick Gwydions, als Achmed seine Braut gewandt an ihm vorbeiführte und mit ihr forttanzte.
Als der erste Stern erschien, wurde er von einem Lirin-Chor begrüßt; dann erhellte ein Feuerwerkssturm den Himmel. Gwydion saß unter einer Weide auf dem Kamm eines Hügels und schaute zu. Seine wunderschöne, endlich offiziell zu ihm gehörende Frau lehnte an seiner Schulter und betrachtete den Himmel gemeinsam mit ihm. Sie seufzte tief und schaute ihn an. In ihren Augen leuchtete die Erinnerung an eine andere Sternennacht unter einer anderen Weide.
»Ich habe mich entschieden, Herrin«, sagte er, während er sich über sie beugte und sie küsste.
»Ja, Herr?«
»Von jetzt an will ich die Sterne nur noch als Widerspiegelung in deinen Augen sehen.« Er küsste sie erneut, als ein frischer Funkenschwarm hochstieg, ihr Gesicht erhellte und in ihrem Haar leuchtete.
»Wie du willst.« Der Lärm am Fuß des Hügels schwoll an. Die Hochzeitsgäste wurden ungeduldig; sie warteten auf die nächste Runde Trinksprüche und neue Musik. Rhapsody seufzte wieder. »Wie lange soll das denn noch so weitergehen? Wir haben doch schon den ganzen Tag gefeiert.«
Gwydion zog sie mit sich. »Das Schöne an der Rolle des Gastgebers ist, dass du jederzeit die Feier beenden kannst«, sagte er, lächelte sie an und erinnerte sich an das mit Rosenblättern bestreute Bett, das auf sie in dem Raum hinter dem Wasserfall wartete. »Trinken wir uns allen Glück zu, dann gehen wir und feiern allein weiter. Wie klingt das in deinen Ohren?«
»Sehr gut.«
Über ihnen entzündeten sich goldene Funken, erhellten die Dunkelheit und trieben auf dem warmen Wind langsam zur Erde. Rhapsody streckte die Hand in kindlichem Entzücken aus und versuchte einige zu fangen. Winzige sternähnliche Glutstückchen ruhten auf ihrer Handfläche und glitzerten zwischen ihren Fingern wie in dem Traum, den sie vor so langer Zeit auf der anderen Seite der Welt und der Zeit gehabt hatte. Das Licht brach sich funkelnd in den Diamanten ihres Hochzeitsringes. Die Bedeutung dieses Augenblicks erkannte nur noch der, der damals bei ihr gewesen war, unter jenen Sternen, eine halbe Welt entfernt, und der jetzt gemeinsam mit ihr wartete und lächelte, als die kleinen Lichter in ihrer Hand hell aufleuchteten, bevor sie ausbrannten.
Sie wandte sich ihm zu und sah, wie die letzten Funken in den tiefen Abgründen seiner vertikalen Pupillen verschwanden. Dann streckte sie sich und küsste ihn, was donnernden Beifall am Fuß des Hügels zur Folge hatte. »Ryle hira«, flüsterte sie ihm zu. So ist das Leben.
»Nol hira viendrax«, antwortete er grinsend. Und ich bin dankbar für das, was es ist.
Sie eilten Hand in Hand durch die Sternerhellte Dunkelheit den Hügel hinab und liefen erregt in den Rest ihres Lebens hinein.