66

Als sie die nördliche Seite der Basilika erreicht hatten, wo der Küster gerade den Dreck und die Asche für den Müllmann auskippte, packte Rhapsody Grunthor am Ellbogen.

»Ich muss dir etwas sagen, Grunthor.«

Der Sergeant sah auf das kleine Gesicht herab und lächelte breit. Am Ausdruck ihrer Augen erkannte er, was sie ihm sagen wollte. Rhapsody war für ihn so durchsichtig wie ein canderischer Kristall.

»Nee«, meinte er barsch und zog seinen Arm fort. »Du hattest die Gelegenheit, jetzt musst du bis danach warten.«

»Das kann ich nicht«, sagte sie besorgt. »Es ist wichtig, Grunthor.«

Er grinste. »Ich fürchte, du musst erst das hier hinter dich bringen. Kannst es mir sagen, wenn du fertig bist, klar, Herzchen?« Er achtete nicht darauf, dass sie ihn am Ärmel zupfte, blieb aber lange genug stehen, sodass Achmed sich zwischen die beiden stellen konnte. Wie immer ging ihre Unterhaltung über das gesprochene Wort hinaus. Dann trat er wieder in die Schatten, die den Haufen aus Sand und Asche umgaben.

Rhapsody sah ihm bestürzt nach. Einen Moment lang erkannte sie ihn noch, wie er vor dem gewaltigen Berg aus Abfall von den Feuern der Basilika stand. Dann war sie nicht mehr sicher, was in der Dunkelheit Grunthor und was Erde war. Sie kniff die Augen zusammen, und auch der letzte Rest seines Schattens war verschwunden. Er war so leicht mit der Asche und dem Dreck verschmolzen wie mit der Dunkelheit einen Moment zuvor.

Grunthors Füße berührten die Grenzlinie des verseuchten Bodens. Er wartete, bis er sicher auf dem Teil des Bodens stand, der von dem Dämon nicht entweiht worden war, und wurde dann eins damit. Er atmete langsam und bewusst, bis sich auch sein Körper so weit abgekühlt hatte, dass er die Temperatur der Straße erreichte. Er spürte den Herzschlag der Erde durch ihn pulsieren und zu seinem eigenen werden.

Augenblicke später eilten zwei Männer vorbei und stritten miteinander. Sie gingen dicht an dem Firbolg-Riese n vor dem Abfallhaufen vorüber, schenkten ihm aber keinen Blick. Rhapsody und Achmed sahen sich an und lächelten. Das war der erste Streich, schien ihr gemeinsames Grinsen sagen zu wollen. Dann streckte Achmed die Hand aus, und sie ergriff sie. Gemeinsam umrundeten sie das westliche Ende des Bauwerks und gingen an der Linie der Verseuchung entlang, die Grunthor ihnen gezeigt hatte.

Als sie die südwestliche Ecke der Basilika erreichten, zerrte Rhapsody an Achmed und blieb stehen.

»Weigerst du dich auch, mir zuzuhören?«

Eine behandschuhte Hand legte sich an ihr Gesicht und bewegte sich zu den Lippen, um sie zum Schweigen zu bringen. Rhapsody wunderte sich über die Zartheit seiner Berührung durch das dünne Leder. Kein Wunder, dass er die Schwingungen des Windes spüren und sich in ihnen verbergen kann, dachte sie lächelnd. Seine Antwort war leise.

»Die Zeit für Worte ist vorbei. Wir dürfen den Bastard nicht warten lassen.«

»Na gut, dann gehe ich nicht weiter.« Sie ergriff seine Hand. Er schaute sie an, ihre Blicke trafen sich. Schließlich trafen sich auch ganz sanft ihre Lippen. Es war das erste Mal, und Rhapsody betete, dass es nicht das letzte Mal sein würde.

Ihr Mund hing noch einen weiteren Moment an seinem; sie teilten einen letzten Atemzug, dann trat sie zurück. Achmed zog bereits die Kapuze auf; es war das Zeichen für sie, die Ecke zu umrunden.

Sie hingegen streifte ihre Kapuze ab und schaute die Straße hinunter. Sie war verlassen. Der Nachtwind war zu einer steifen Brise erstarkt und blies Fetzen aus Schnee und Abfall in Schwallen eisiger Luft durch die düstere Stadt. Rhapsody umrundete die Ecke und ging rasch die Straße entlang bis zum südlichen Ende der Basilika. Dabei kam sie am Fenster der Sakristei vorbei. Sie wandte sich zur südöstlichen Ecke und ging auf den Haupteingang in der östlichen Vorhalle zu.

Gittelson sah aus dem kleinen Sakristeifenster. Hinter dem schweren Vorhang war er unsichtbar. Seine bleichen Hände waren nass von Angstschweiß und wirkten weißlich im Dämmerschein der nur schwach brennenden Kerzen.

»Sie kommt, Euer Gnaden.«

Der Seligpreiser stand im Mittelschiff, dem zentralen Teil der Basilika, inmitten der Bänke für die Gläubigen. Seine alten Hände liebkosten den Rücken eines glänzenden hölzernen Kirchenstuhls. Sein Lächeln glimmerte im Schattenspiel der Kerzen, die in den Lüstern über ihm brannten.

»Gut«, sagte er leise. »Ich bin bereit.«

Er ging das Seitenschiff entlang bis zu den polierten Marmorstufen, die hoch zum Allerheiligsten führten, wo der steinerne Altar stand, und stieg die Treppe hoch. Auf halbem Weg drehte er sich um und schaute zurück zur Sakristei und der Gestalt im Türrahmen, die sich vor dem Licht des kleinen Umkleidezimmers abhob.

»Schließ die Tür, Gittelson, du lässt das Licht herein.«

Eine behandschuhte Hand wurde ausgestreckt und schloss die Tür.

Der Seligpreiser drehte sich wieder um und erkletterte die restlichen Stufen. Er lächelte in sich hinein.

Rhapsody zog an dem Griff der Haupttür der Basilika. Sie leistete hartnäckigen Widerstand, denn sie war aus schwerem, geschmiedetem Eisen gefertigt und geschmückt mit den heiligen Symbolen, die sie in Sepulvarta gesehen hatte. Panik, die von den Haarspitzen ausging, durchströmte sie. Sie hatte die Möglichkeit nicht bedacht, dass die Basilika abgeschlossen sein könnte.

Sie zog ein zweites Mal an der Tür; diesmal öffnete sie sich so leicht, als würde sie von einem unsichtbaren Diener aufgezogen. Sie sah sich in der Vorhalle um, erkannte aber nichts außer den ärmlichen Ständern mit Bittkerzen, von denen einige im Wind flackerten, als die Tür geöffnet wurde. Rhapsody trat nach drinnen.

Die Luft in der Basilika war schwer und bedrohlich, als ob sie sich gegen Rhapsodys Gegenwart wehrte. Sie machte einen weiteren Schritt und spürte in ihren Zehen ein brennendes Gefühl. Der entweihte Boden wollte sie genauso wenig, wie sie selbst hier sein wollte. Sogar jede Bewegung durch die Luft war ein Kampf. Rhapsody riss sich zusammen und ging weiter auf die Türen zu, die in den Hauptteil der Basilika führten. Das zentrale Heiligtum war am Rande ihres Blickfeldes durch die Türen sichtbar. Sie ging schweigend bis zum Ende der Vorhalle und blieb stehen, bevor sie das Mittelschiff betrat.

Die Gestalt in der dunkelroten Robe am Altar drehte sich nicht um. »Kommt herein, Euer Majestät«, sagte der Mann mit einem leichten Kichern in der Stimme.

Die Luft um Rhapsody veränderte sich leicht, während der Dämon seine Einladung aussprach. Es war, als lockerten sich die unsichtbaren Fesseln, die sie zurückhielten, und der verseuchte Boden hieße ihre Schritte nun willkommen. Rhapsody zögerte, denn sie wusste nicht, ob sie den entweihten Boden, der zum Herrschaftsgebiet des Dämons gehörte, betreten sollte, doch es blieb ihr nichts anderes übrig. Sie betrat den Hauptteil der Basilika.

Sie war gewaltig und dunkel. Kerzenleuchter aus Eichenholz mit Messingbeschlägen hingen von der hohen Decke und verströmten das Licht tausender kleiner, kraftloser Kerzen. Die Basilika war nüchtern eingerichtet. Bänke aus unverziertem Holz standen im Mittelschiff. Sie war auch fensterlos; unter den mächtigen Glocken befand sich die einzige Öffnung in der Decke, durch die der Wind den hoch über dem Mittelaltar in die Dunkelheit ragenden Turm umspielen konnte.

Eine lange Galerie zog sich an allen vier Seiten des erhöhten Teils entlang; eine Wendeltreppe führte in jeder Ecke hinauf.

Dort waren die Bänke mit dunklen Stoffkissen ausgepolstert, vermutlich zur Bequemlichkeit der reicheren Gläubigen von Bethe Corbair.

Rhapsody stand nun mitten im Gang und schaute nach vorn auf das Allerheiligste, vor dem der Seligpreiser wartete und ihr immer noch den Rücken zudrehte. Der Steinboden der Basilika führte zu den polierten Marmorstufen, die ähnlich wie in Sepulvarta, aber dunkel waren. Adern aus Weiß und Silber verliefen durch den Stein. Die Stufen endeten in einer halbrunden Apsis; die Rückenwand war aus uraltem Mahagoni geschnitzt, deren aufsteigende Säulen mit sorgfältig eingesetzten Löchern eine natürliche Orgel bildeten. Rhapsody wusste, dass der Wind schon seit vielen Jahren nicht mehr die Rückseite des Heiligtums erreicht hatte. Schließlich wandte sich der Seligpreiser von dem schlichten Steinaltar ab und sah Rhapsody an. Sie erkannte seine Augen, obwohl sie so weit von ihm entfernt war. Sie funkelten im Dämmerschein.

»Willkommen, meine Liebe. Bitte bestehe nicht auf einer Zeremonie. Komm einfach her. Hier auf dem Altar steht Tee für dich. Wenn deine beiden Freunde kommen, können sie mittrinken.« Er lachte leise, als er ihren Gesichtsausdruck sah. »Natürlich habe ich dich erwartet. Ich habe schon seit einigen Jahrzehnten keine Schülerin Oelendras mehr gesehen; daher ist es für mich ein seltenes Vergnügen.« Er wandte sich kurz ab und drehte sich dann wieder mit einer Teetasse in der Hand um. Er streckte sie Rhapsody entgegen, so wie er es in ihrem Traum von dem Patriarchen getan hatte.

Zur Antwort zog sie ihr Schwert. Die Klinge blitzte in der Dunkelheit der Kirche auf; die Flammen loderten wütend über die ganze Länge der Tagessternfanfare.

Der Seligpreiser lachte. »Ach ja, die Tagessternfanfare. Ich bin gebührend beeindruckt. Ich muss zugeben, dass ich ein wenig entsetzt war, als ich dich damals in Sepulvarta damit gesehen habe. Keiner anderen von Oelendras jungen Kriegern ist sie je anvertraut worden. Wie hast du sie ihr nur entreißen können? Niemand sonst wusste, wer oder wo ich war, bis es zu spät war. Ist das der Grund? Hat sie dir das Schwert anvertraut, weil du meine Identität herausfinden konntest?« Er richtete den Blick auf sie. Das Weiß in seinen Augen verdunkelte sich an den Rändern zu Rot. »Nun, es ist gleichgültig. Ich vermute, du weißt, dass keine der etwa vier Dutzend Kriegerinnen je zu ihr zurückgekehrt ist. Sie gehören zum Wertvollsten, was ich je besessen habe, wenn du mir dieses Wortspiel erlaubst.«

Rhapsody schüttelte den hypnotischen Effekt der weichen Stimme ab und schritt langsam den Mittelgang entlang. Kalte Wut bildete sich in ihrer Seele, die sie ebenfalls auszublenden versuchte, denn sie störte ihre Konzentration. Nun befand sie sich unmittelbar unter der Öffnung in der Decke, als die Worte sie erneut innehalten ließen.

»Aber du bist sehr gut mit dem Letzten bekannt, der es versucht hat, nicht wahr, meine Liebe? Gwydion muss den Sternen für dich gedankt haben. Wer hätte geglaubt, dass einer der Drei Mitleid mit ihm hat und ihn sogar ins Herz schließt, wo er doch solch ein menschliches Wrack war? Und ihn sogar ins Bett lässt?« Der Seligpreiser schüttelte den Kopf und kicherte leise; dann schaute er sie wieder an. Selbst auf die große Entfernung konnte Rhapsody sehen, wie er ihr böse zuzwinkerte. Hass blitzte in seinen alten Augen auf. »Nun, meine Liebe, ich danke dir dafür, dass wir jetzt einiges gemeinsam haben. Wenn du nicht gewesen wärest, hätte ich nie erfahren, dass er noch lebt. Ich hätte ihn niemals gefunden.«

Rhapsody schloss auch die andere Hand um den Schwertgriff und hob es, bis die Spitze auf den Seligpreiser wies. Lanacan Orlando lachte laut auf.

»Bitte, meine Liebe, versuch es und komm her. Kämpfe gegen mich auf meinem eigenen Boden. Es wird lustig werden, auch wenn es ungerecht dir gegenüber ist. Aber sicherlich bist du kein so großer Dummkopf, oder? Wir haben schließlich schon einmal gemeinsam an diesem Ort gestanden einer von uns am Altar, der andere hinten in der Basilika und völlig hilflos. Aber diesmal sind die Rollen umgekehrt, nicht wahr, Euer Majestät? Diesmal stehst du auf meinem Grund und Boden.«

»Das hier ist göttlicher Boden, Euer Ungnaden.«

Rhapsody hob das Schwert über den Kopf und sprach seinen Namen aus.

Blendendes Licht erhellte den Glockenturm und ergoss sich von oben in das Kirchenschiff. Das war das Vermächtnis des Tagessterns, nach dem die Waffe benannt war. Einen Moment später erschütterte ein Fanfarenstoß die Basilika und den Turm. Die Glocken dröhnten in einer Ohrenzerfetzenden Kakophonie.

Der Seligpreiser lächelte bloß. »Oh, wie beeindruckend.«

»Das war nur ein Zeichen.«

Der Seligpreiser zuckte die Achseln. »Zu spät. Wenn die Leute aus der Stadt hier eintreffen, gehörst du schon mir und wirst dich bei ihnen dafür entschuldigen, dass du ihre Ruhe so harsch gestört hast. Jetzt bin ich an der Reihe. Komm zu mir.«

Die statische Luft in der Basilika schlug gegen Rhapsodys Haut. Große, uranfängliche Hitze hüllte sie ein, leckte durch ihre Kleidung bis in die Knochen, ließ ihr Herz schneller schlagen und ihr Blut heiß kreisen. Die Bannworte des Dämons, die er sanft mit der beruhigenden Stimme des Seligpreisers aussprach, liebkosten sie und streichelten ihre Seele, wie eine Mutter ihr Kind streichelt.

Rhapsody schüttelte wieder den Kopf und biss die Zähne zusammen, bis es ihr in den Ohren brauste. Die einschmeichelnde Stimme prickelte in ihrem Trommelfell, die warmen Worte wickelten sich besänftigend um ihren Hals und schickten ihr ein Schauern, ein silbernes Zittern den Rücken entlang. Sie schloss die Augen und versuchte, die Auswirkungen der dämonischen Worte abzuschütteln.

Nein, beim All-Gott, dachte sie, während sie immer wütender wurde. Ich ergebe mich deinem Bann nicht. Ich bin stärker als du, du Stück Unrat. Sie nahm all ihre Willenskraft zusammen, schüttelte noch einmal heftig den Kopf, und die Wärme des dämonischen Banns zerfiel wie Zucker und löste sich in der knisternden Luft auf. Zorn brandete durch sie.

»Ich komme zu meinen eigenen Bedingungen«, sagte sie gelassen und versuchte, ihre Stimme ruhig zu halten. »Und wenn ich bei dir bin, werde ich mein Schwert durch dein elendes Herz stoßen, es dir aus dem Körper reißen, es verbrennen und zusehen, wie es zu Asche zerfällt. Ich werde dein verworrenes Innerstes auslöschen und deine böse Seele in den Flammen des Elementarfeuers verbrennen, so wie es war, bevor deine Art es geschwärzt hat.«

Der Seligpreiser kicherte.

»Wirklich? Das ist allerdings eine tapfere Behauptung, auch wenn sie aus dem Mund einer Königin ein wenig unfreundlich und krass klingt. Ihr enttäuscht mich, Euer Majestät, ja, wirklich. Du bedienst dich einer alten Waffe eigentlich kaum mehr als ein brennender Zahnstocher und glaubst deshalb, du verstündest etwas vom Elementarfeuer?« Er lachte wieder. Der Ausdruck ehrlicher Belustigung wandelte sich einen Moment später zu Nachdenklichkeit, die seine Miene vor Rhapsodys Augen immer dunkler machte.

Er sagte matt: »Erlaube mir, dir etwas über das Feuer beizubringen, was du noch nicht weißt.«

Mit einer Hand machte er eine beiläufige Geste. Eine Kugel aus schwarzem Feuer erschien in seiner Handfläche. Er warf den Ball in ihre Richtung. Als er sich ihr näherte, wurde er immer größer und zischte bedrohlich, während er rasch an Geschwindigkeit zunahm und Kraft aus der vom Bösen geschwängerten Luft zog. Die Flammen breiteten sich wie ein Netz aus Schwarz und Orange aus und tasteten mit gierigen, zuckenden Feuerfingern nach ihr. Anstatt zur Seite zu springen, öffnete Rhapsody den Mund und sang leise die Note ela, die letzte der uralten Tonleiter ihre eigene Namensnote. Ihre Stimme blieb fest, als die kleinste der Glocken im Turm den Ton aufnahm und zu summen begann, was die anderen Glocken, die sich noch von der Kakophonie erholten, zunächst nicht bemerkten.

Die Luft in ihrer Umgebung knisterte und zischte unter dem Ton, als wollte sie ihn bekämpfen. Rhapsody beschrieb in der Luft über ihr mit dem Schwert rasch einen Kreis um sich und versuchte damit den Ton und den Wind, für den der Klang bestimmt war, zu schützen. Sie hatte keine Angst vor dem Feuer; es würde ihr nichts antun.

Kurz bevor das schwarze Feuer sie traf, spürte Rhapsody, wie sich etwas in ihr regte. Das Feuer war von dem Zeitpunkt an ihr Freund gewesen, als sie im Mittelpunkt der Erde durch es hindurchgeschritten war. Es hatte sich in ihre Seele gebrannt, war mit ihrem Innersten verschmolzen und hatte sie unauflöslich mit diesem Element verbunden. Von dieser Zeit an hatte ihr zweites Ich kein Feuer gefürchtet, weil dieses Rhapsody niemals hatte verletzen wollen. Es war ihr möglich gewesen, unversehrt durch die heißesten Brände zu schreiten. Doch in dem Bruchteil einer Sekunde vor dem Aufprall des schwarzen Feuers spürte Rhapsody, wie ihre Seele zusammenzuckte. Das war kein Feuer, zumindest kein wirkliches Feuer, wie sie es kannte. Es roch anders und wirkte anders auf die Luft. Es war dünn, beißend, böse, voller Übel und Gemeinheit. Es war die blendende, zerfressende Essenz des Hasses. Und in diesem letzten Augenblick wusste sie, dass sie gegen seine Auswirkungen nicht gefeit war.

Slypka, flüsterte sie.

Das schwarze Feuer verblasste ein wenig, aber es verlosch nicht.

Ihr blieb gerade noch genug Zeit, um den Kopf abzuwenden und die Augen zu beschirmen, bevor der schwarze Feuerball explodierte, den Schutzkreis zerschmetterte und ihre Kleidung in Brand setzte. Mit einem Keuchen des Schmerzes geriet Rhapsody ins Taumeln und schlug rasend auf ihre rauchende Kleidung ein, um die Flammen zu ersticken. Die Haut an Armen und Beinen stach unter der Berührung mit den sengenden Flammen.

Lanacan Orlando schloss langsam die Faust, hielt aber den Arm ausgestreckt. Plötzlich verdrehte er ihn. Die Säure in dem schwarzen Feuer quoll wütend auf, die Hitze wurde stärker, und Rhapsody keuchte erneut.

Schmerzen durchschossen sie und wurden von kaltem Entsetzen gefolgt. Es war so lange her, dass sie in der Gegenwart von Feuer ein Zaudern oder gar Angst empfunden hatte. Daher erwischten sie die Verheerungen, welche die schwarze Kugel angerichtete hatte, völlig unerwartet. Doch wenigstens war ihr noch ein letzter Rest von Immunität verblieben. Auf ihrer Haut stach es, aber weder verbrannte sie, noch wurde sie schwarz. Rauch stieg aus ihren Kleidern auf, doch ihr Körper entzündete sich nicht.

Der Dämon am Altar starrte sie verwundert an. Wut überflutete sein Gesicht. Er verdrehte noch einmal die Hand. Seine Augen verfinsterten sich an den Rändern zu einem blutigen Rot. Die ältliche Stirn des menschlichen Kopfes legte sich in tiefe Falten. Der Seligpreiser ballte die Faust noch fester, sodass die Muskeln des schwachen Armes zitterten, und drehte diesen erneut.

Ein Schmerzensschrei entwand sich Rhapsodys Kehle, während sie auf die Knie sank und mit letzter Kraft das Schwert hielt. Nein, dachte sie verzweifelt, Nein! Ich versage! In den Tiefen ihres Geistes hörte sie die Stimme des Drachen aus ihrem Traum.

Was ist, wenn ich versage?

Das wäre möglich.

Sie versuchte auf die Beine zu kommen und stützte sich mit einer Hand auf dem Boden ab. Sofort gab der ebene Boden unter ihr nach. Eine Ranke, glatt wie Glas, schwarz wie die Nacht, mit weißen Adern, schoss mit der Macht einer Peitsche hervor, wickelte sich um ihren Unterarm und zog sich immer fester zusammen.

In der Gasse vor der Basilika spürte Grunthor durch die Erde, wie Rhapsody niederfiel.

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