Achmed bemerkte, dass es hier sogar im tiefsten Winter Vögel gab.
Er hatte sein Pferd auf einer Lichtung außerhalb des Gebietes zurückgelassen, das bereits bei seinem letzten Besuch verseucht gewesen war. Es war nicht schwierig gewesen, die Grenzen der Fäulnis zu finden. Dieser alte Hain, dessen dunkle Bäume sich meilenweit über die sanften Hügel Navarnes erstreckten, war in der Mitte mit neuen weißen Birken, Pappeln und blassstämmigen Föhren bewachsen. Es handelte sich um junge Bäume, deren fahle Strünke der Gegend ein käsiges und blässliches Aussehen verliehen, als wäre sie krank. Einige Zeit war vergangen, seit der Rakshas hier vertrieben worden war und Achmed zusammen mit seinen Gefährten den auf Befehl des F’dor verübten Blutopfern von Kindern ein Ende gemacht hatte. Doch immer noch hing eine schwere Stille in der Luft, ein greifbares Fehlen von Leben.
Wenigstens gab es inzwischen Vögel hier, unverwüstliche kleine Wintervögel, die durch den Schnee hüpften oder auf den Ästen spärliche Rufe ausstießen und nach Nahrung suchten. Wenn die Vögel bereit waren, die getrockneten Beeren und gefrorenen Samen dieses Ortes zu fressen, mussten die Fäulnis und der Makel des Bösen, die in den Waldboden eingesickert waren, wirklich verschwunden sein. Vorher war keinerlei wildes Leben hier gewesen. Er hörte, wie in westlicher Richtung die Schneedecke brach. Die Zweige raschelten. Diese Störung wurde nicht von einem Vogel, sondern von einem Menschen verursacht.
Rhapsody würde im Hof des Hauses warten, dachte er, als die Geräusche näher kamen. Er spürte den Herzschlag der Sängerin weiter vorn; sie war dort, wo sie sein sollte. Achmed sah nach seiner Cwellan.
Er zwang sich, ganz langsam zu atmen, und stand so still und reglos da wie ein Schatten, der von der untergehenden Sonne geworfen wird. Er fluchte schweigend; in der alten Welt, wo er noch seine Blutgabe besessen hatte, wäre es ihm möglich gewesen, auch den Herzschlag dieses Fremden zu spüren und sofort zu wissen, wo er sich befand und an welcher Stelle er verwundbar war. Doch seit er in dieses neue Land gekommen war, war er blind und konnte sich zum Überleben nur auf sein Kampfgeschick verlassen.
Und auf das von Rhapsody.
In einiger Entfernung links von ihm bemerkte er, wie sich etwas langsam zwischen den blassen Bäumen bewegte. Der Puls in seinem behandschuhten Finger klopfte gegen das Gewicht des Cwellan-Abzuges.
Plötzlich teilte sich einen Steinwurf entfernt zu seiner Rechten das Gebüsch.
Achmed wirbelte herum und legte die Cwellan mit einer Schnelligkeit an, die jahrhundertelanger Erfahrung entsprang.
Der Hirsch in der Brombeerhecke vor ihm gefror.
Einen Augenblick erstarrte auch Achmed. Dann senkte er langsam die Waffe und atmete tief durch.
Das Tier starrte ihn einen Moment lang an, drehte sich dann um und sprang zurück in die Tiefen des Waldes, wobei es wütend schnaubte. Im Westen hörte er die Geräusche seiner Partnerin, die durch die Schneekruste brach und Zweige knickte, während sie gemeinsam mit dem Hirsch floh.
Achmed sog die Luft wieder ein, ließ sie langsam entweichen und eilte dann zu dem Haus in der Ferne vor ihm.
Hundert Schritte, bevor er die Stelle erreichte, wo das Haus gestanden hatte, erkannte Achmed die Schäden, die der Feuerball angerichtet hatte, der an diesem Ort niedergegangen war. Schnee hatte die Asche und Schlacke bedeckt, sodass bei jedem Schritt seine Abdrücke unter dem weißen Grund schwarz wurden. Die Bäume in dieser Gegend waren verkohlt, die Rinde verbrannt oder von Ruß geschwärzt; es war umso schlimmer, je näher sie dem Haus gestanden hatten. Der äußere Ahornring war eine Ansammlung von geschwärzten Strünken, während die Birken in der Nähe des äußeren Hofes nur noch feiner, rußiger Staub waren. Von dem Haus selbst waren nicht mehr als ein Turmgerippe und Berge verkohlten Schutts übrig geblieben.
Die weiße Eiche in der Mitte aber hatte überlebt. Es war ein Ableger der Sagia, des Weltenbaumes, den Rhapsody mit dem endlosen Spiel ihrer Harfe gerettet hatte, die sie bei ihrer Abreise zwischen die Zweige gesteckt hatte. Selbst das Inferno des Elementarfeuers ein halbes Jahr später, das den Baum von seiner verseuchten Wurzel gereinigt und auch das Haus angezündet hatte, hatte nicht ein einziges Blatt versengt. Der Baum stand immer noch da wie in ewigem Sommer; weiße Blüten schaukelten im Wind, der durch die Zweige pfiff. Rhapsody kauerte unter dem Baum und warf etwas auf die verschneiten Ziegel des Hofbodens, in dem eine kleine Gruppe Wintervögel sich versammelt hatte. Sie zerstreuten sich, als Achmed durch die Bäume brach. Rhapsody schaute auf, erhob sich und wischte sich dabei die Hände an ihrer Hose ab.
In Achmeds Haut stach es heftig, als er sie ansah. Es hatte eindringlich in ihm gesummt, seit er vor einer Woche eine Nachricht von ihr erhalten hatte die Nachricht, auf die er seit dem Moment gewartet hatte, als sie sich auf den Krevensfeldern getrennt hatten. Der BolgSoldat, der ihm das Stück Ölpapier gebracht hatte, war vor seiner Reaktion zurückgeschreckt, obwohl sich der König während des Lesens überhaupt nicht gerührt hatte. Anscheinend hatte der Blick in seinen Augen ausgereicht, den Wächter doppelt so schnell zur Voliere zurückzuscheuchen.
Achmed hatte das Papier stundenlang angeschaut; es war ein einfaches, zerknittertes Stück Ölpapier gewesen, auf dem nur ein einziges Wort gestanden hatte: Ja. Dieses Wort war der Schlüssel zum Anfang des Endes.
Von diesem Zeitpunkt an war es ein Krieg des Willens gewesen. Der tiefe, ihm eingeborene Drang nach Vernichtung hatte ihm endlos ins Ohr geflüstert und ihn zur Jagd getrieben. Alles, was Achmed tun konnte, war, dem Blutdrang nicht nachzugeben. Es war ein Zwang, den jeder von dhrakischem Geblüt in sich spürte: den alles verzehrenden Drang, die F’dor zu vernichten. Er hatte beizeiten gelernt, dass die angeborenen Instinkte seines dhrakischen Blutes sowohl gegen als auch für ihn arbeiteten. Nun kontrollierte er seine Atmung und bemühte sich, ruhig zu bleiben.
Rhapsody sah ihn genauso durchdringend an und stemmte die Hände in die Hüften. Es war nur wenige Wochen her, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte, doch es schienen Welten dazwischen zu liegen. Ihr Gesicht hatte einen ruhigen Ausdruck angenommen, ihre Augen aber brannten in einer stillen Eindringlichkeit. Das Haar, das sie wie immer mit einem schwarzen Samtband zusammengebunden hatte, reichte ihr bis auf die Knie. Als sie sich getrennt hatten, war es ihr nur bis auf den Rücken gefallen. Sie betrachtete sein Gesicht; schließlich winkte sie ihn hinüber in die Mitte des Hofes und unter die dünnen Zweige des jungen Baumes, der aus ihrer Heimat auf der anderen Seite der Welt stammte.
Er spürte, wie der Herzschlag der Welt in seinen Ohren dröhnte, während er zu ihr ging. Er wusste, was sie ihm mitgebracht hatte.
»Brombeeren«, sagte sie, als er unter den Zweigen des Baumes stehen blieb.
»Was?«
Sie deutete auf den Boden. Einige der Vögel waren zurückgekehrt und pickten vorsichtig herum.
»Brombeeren. Aus dem Gebüsch auf der Lichtung. Als wir zum letzten Mal hier waren, waren die Hecken verseucht und zerrissen. Ich hätte nie geglaubt, dass sie noch einmal Früchte tragen würden. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen.«
Achmed nickte. »Davon können wir nicht genug haben. Wo ist es?« Seine Frage klang barscher, als er es vorgehabt hatte.
Zur Antwort nahm sie die Tagessternfanfare ab und hielt sie mit der Spitze nach oben. Langsam glitt die Waffe aus der schwarzen Elfenbeinscheide. Ein ruhiger, silbriger Klang wie von einem unterdrückten Trompetenruf wisperte durch den leeren Hof. Der Korkboden des kleinen, dreieckigen Behälters ruhte auf der Schwertspitze. Er war von den Flammen angesengt. Rhapsody packte beherzt in die Flammen und zog ihn von der Spitze der Waffe.
»Hier«, sagte sie und hielt ihn Achmed entgegen. »Mach etwas Gutes daraus.«
Er hielt es vor seine Augen. »Das ist alles? Von den Dämonenkindern?«
»Ja. Es ist bis zur reinen Essenz destilliert. Ansonsten ist nichts mehr darin, kein mütterliches Blut und auch nicht das des Rakshas. Es ist rein. Es wird kein Irrtum möglich sein, wenn du den Wirt findest.« Ihre smaragdenen Augen loderten auf. Es wirkte wie Erregung, aber Achmed vermutete, es war eher Angst. »Was wirst du jetzt damit machen?«
Achmed betrachtete weiterhin den Hämatitbehälter. Der Stein fühlte sich warm an. Vielleicht kam das von dem Feuer des Schwertes, doch es war wahrscheinlicher, dass der Inhalt des Gefäßes die Wärme selbst erzeugte. Es war zwar versiegelt, aber trotzdem schwang etwas darin; sanfte Stimmen sangen dunkle Hymnen in den knisternden Feuern der Unterwelt. Er spürte die Kraft und das Böse durch den Stein. Sie riefen ihn schmeichelnd, befehlend, und spotteten seiner dhrakischen Seele. Das Blut hinter seinen Augen brannte.
Öffne es. Lass und heraus. Lass uns aus der Gruft.
Achmed steckte den Hämatitbehälter in sein Hemd. »Nichts.«
Die grünen Augen ihm gegenüber weiteten sich bedenklich.
»Nichts? Nach all dem? Was willst du damit sagen?«
»Du hast gefragt, was ich jetzt damit machen werde. Ich habe gesagt: Nichts. Grunthor ist nicht hier, und wir können den Dämon noch nicht jagen. Wir müssen zusammen sein, wie ich vermute. Ansonsten hätte diese schwachhirnige Seherin nicht von den Drei geplappert.« Er warf einen Blick in den Hof, durch den der Wind pfiff, welcher den jüngst gefallenen Schnee zu gewundenen Laken aus eisigem Weiß aufwirbelte.
»Bevor ich etwas unternehme, werde ich warten, bis du wieder in Ylorc bist. Ich muss mich vorbereiten.«
»Bis ich wieder in Ylorc bin?« Auch Rhapsody schaute sich in dem Hof um. »Gehe ich nicht mit dir?«
»Vielleicht. Aber ich war der Meinung, du brauchst ein paar Tage Ruhe.« Achmed griff in eine Falte seiner Robe, holte eine cremefarbene Leinenkarte mit einem erbrochenen Goldsiegel hervor und reichte sie ihr.
»Was ist das?«, fragte Rhapsody und drehte sie in der Hand.
»Tristan Stewards Hochzeit ist offenbar angesetzt worden. Die Zeremonie wird in drei Tagen in Bethania stattfinden.«
Rhapsody betrachtete die Einladung. »Ja. Oelendra hat mir bei meiner Rückkehr vom Schleier des Hoen davon erzählt. Rial will auch teilnehmen. Aber was hat das mit unserer Suche zu tun? Die Hochzeit ist im Vergleich zu dem, was wir vorhaben, völlig bedeutungslos. Es gibt doch wohl nichts Wichtigeres als die Jagd nach dem Dämon, auf die wir so lange gewartet haben.«
»Das stimmt«, pflichtete Achmed ihr bei. »Aber ich habe so etwas noch nie getan. Es erfordert Vorbereitung und Konzentration. Und das gelingt am besten in der Abgeschiedenheit, Ruhe und Sicherheit des Berges. Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauern oder was es mich kosten wird. Es ist der Kampf gegen eine Bestie, die noch gar nicht da ist. Ich weiß es nicht.
Ich weiß aber, dass Tristan jede Gelegenheit ergreifen wird, um gegen die Bolg zu hetzen. Wir müssen bei der Hochzeit anwesend sein; das ist eine Staatsangelegenheit.«
»Du willst, dass ich zu dieser Hochzeit gehe?«
»Ja.«
»Nach all dem?«
»Ja.«
»Du willst, dass ich zu der Hochzeit gehe?«
»Glaubst du, es ist besser, wenn ich gehe?«, knurrte Achmed.
Rhapsody starrte ihn an. »Natürlich nicht. Ich hatte angenommen, wir senden ihnen unser Bedauern. Das habe ich schon getan, als der Bote die Einladung zum ersten Mal bei mir abgegeben hat.«
Achmed seufzte. »Seit deiner Abreise hat sich vieles verändert, Rhapsody. Es droht Krieg, und die Feinde sind innen wie außen. Der Angriff könnte aus jeder Richtung erfolgen. Ich begreife allmählich deine Vision, als du sie von allen Seiten hast kommen sehen. Das Einzige, was mich jetzt aus der Bergfestung herauslocken könnte, ist diese Einladung, obwohl Grunthor sicherlich schon plant, diese Gelegenheit beim Schopf zu packen.« Rhapsody sagte nichts darauf, sah ihn aber fragend an. Der Fir-Bolg-König blickte finster drein. »Wir hatten einige Schwierigkeiten mit Verrat und dem ungesetzlichen Verkauf von Bolg-Waffen nach Sorbold. Sie sind zum ersten Mal aufgetreten, als ich mit dir die Dämonenbrut gejagt habe.«
»Gute Götter!«
»Ja, gute Götter. Mögen sie all jenen Bolg helfen, die dumm genug sind, es noch einmal zu versuchen, während ich weg bin. Grunthor liegt auf der Lauer. Falls du bei deiner Rückkehr Körperteile als Wandschmuck im Griwen sehen solltest, weißt du warum.
Aber vorher wirst du Ylorc auf Tristans Hochzeit vertreten. Damit kannst du uns wenigstens etwas Zeit verschaffen. Vielleicht hörst du etwas über ihre Kriegsvorbereitungen. Verhalte dich weiterhin so, als wäre nichts Außergewöhnliches geschehen. Ich werde dir eine Nachricht schicken, wenn ich bereit bin, falls du bis dahin noch nicht zurückgekehrt sein solltest.«
Rhapsody erwiderte nichts darauf. Obwohl das Summen der Harfe in den Zweigen des jungen Baumes ihre Worte überlagern würde, konnte sie ihren Gefühlen noch keinen Ausdruck verleihen, denn sie wusste, dass fremde Ohren im Winterwind mithörten. Vor allem wollte sie ihrem Freund vom Schleier des Hoen berichten; sie wollte ihm sagen, was sie dort gesehen und über die Bedrohung des Lebens und Nachlebens erfahren hatte und wie lange sie fort gewesen war, aber sie wagte es nicht, nicht hier, nicht unter dem offenen Himmel. Wie er gesagt hatte, war es besser, zu warten, bis sie sich in der Dunkelheit des Berges befanden, verborgen vor allen neugierigen Blicken und abgeschirmt vom Wind.
Sie sah zu den Ruinen des Hauses der Erinnerung, in dem ihr Weg zum ersten Mal deutlich geworden war. Dieser Aufbewahrungsort der Geschichte, dieser Außenposten der ersten cymrischen Welle war vor vierzehn Jahrhunderten mit so großen Hoffnungen erbaut worden, die so brutal enttäuscht worden waren. Der Rakshas hatte sogar versucht, die Wurzel des Sagia-Schösslings dazu zu benutzen, in den Firbolg-Berg einzudringen und das Schlafende Kind zu entführen. Es war die schreckliche Wendung einer Lage, die als so großes Versprechen begonnen hatte.
Sie hatten diesen Ort für ihr heutiges Treffen ausgesucht, um einen Neuanfang zu machen, zum Guten oder Schlechten. Es war eine kaum zu ertragende Ironie des Schicksals, dass Rhapsody gerade hier, wo der F’dor das Blut der Kinder zu seinen Zwecken benutzt hatte, dem Dhrakier das Blut des Dämons aus den Adern der Kinder gab, um ihn aufzuspüren. Rhapsody sah Achmed an. Er stand jetzt vor ihr, der widerwillige Retter, der Schlüssel zum Aufspüren des Dämons und dessen endgültiger Vernichtung, und gab ihren Blick fest zurück. Plötzlich drehte sich ihr der Magen um, und die Welt schwankte. Er musste es bemerkt haben, denn er streckte die Hand aus, packte sie am Arm und brachte sie wieder ins Gleichgewicht.
»Ich weiß nicht, ob ich das tun kann«, flüsterte sie. Sie wollte ihn jetzt, da das Blut in seiner Hand war und bald die Entscheidung fallen würde, nicht allein lassen. »Ich will es endlich hinter mich bringen. Ich will nach Hause gehen.«
Der Fir-Bolg-König zuckte die Achseln. »Unmöglich. Du musst erst an der Hochzeit teilnehmen. Das ist Teil des Plans.« Er beugte sich vor und sprach ihr ins Ohr: »Es ist deine Bestimmung, dein Schicksal.«
Die Windgepeitschte Stille des Hofes wurde noch tiefer. Bestimmung allein der Klang dieses Wortes machte sie schwach. Wie oft habe ich das schon gehört, seit ich an diesen Ort gekommen bin, in dieses neue Land der Dämonen und Nachtmahre?, dachte sie verbittert und schluckte ihre Wut herunter. Die Worte der Großmutter, der verstorbenen Wächterin des Erdenkindes, kamen ihr in den Sinn.
Es ist deine Bestimmung, dein Schicksal. Verleugne es, und es wäre besser, dich sofort in den Abgrund zu stürzen.
Schicksal. Es war ein Wort, das erfunden worden war, um zu bedrohen. Auch Oelendra hatte es gebraucht.
Dein Schicksal ist vorherbestimmt. Du kannst darüber die Achseln zucken, aber du wirst den F’dor töten oder bei dem Versuch sterben. Du hast keine Wahl.
Ryle hira, sagten die Liringlas. So ist das Leben.
»Mist«, schnaubte Rhapsody. »Gewäsch. Wir können unser Schicksal selbst bestimmen.«
Achmed lächelte. Rhapsody lachte.
»Das hast du nur gesagt, um mich wütend zu machen, nicht wahr?«
»Ja.«
»Es ist dir gelungen.«
»Ich weiß. Gehst du also zur Hochzeit?«
Rhapsody warf die Hände in gespielter Verzweiflung hoch. »Ich habe nichts Passendes zum Anziehen, Achmed. Soweit ich weiß, handelt es sich um ein förmliches Ereignis.«
»Du hast meine Schatztruhen bereits um unanständige Summen erleichtert, nur um dir tausende von sinnlosen Kleidern zu kaufen, die du in Elysian stapelst, und du sagst, du hast nichts anzuziehen? Verschone mich damit.«
»Wenn die Hochzeit schon in drei Tagen ist, muss ich von hier aus dorthin reiten. Ich habe leider keines dieser angeblich sinnlosen Kleider bei mir.«
Der Bolg-König seufzte. Er griff wieder in seine Robe und zog ein gefaltetes Stück Leder hervor, das er ihr gab.
»Hier sind ein paar orlandische Münzen und ein wenig Papiergeld. Damit kannst du dir etwas zum Anziehen kaufen. Halte auf der Hochzeit Augen und Ohren offen; vielleicht erfährst du etwas über die Bolg oder Bolg-Waffen.«
»Irgendwie bezweifle ich, dass eines dieser Themen zur Sprache kommen wird.«
»Vielleicht nicht. Doch möglicherweise lenkt deine Anwesenheit Tristan so sehr ab, dass er sich verspätet, wenn er derjenige ist, der den Angriff plant. Versuche, den Botschafter von Sorbold zu finden; ich befürchte eher, die Gefahr kommt von dort. Tu, was du für richtig hältst, und komm dann nach Hause.«
»In Ordnung.«
»Gut.« Er drehte sich um und wollte gehen, doch vorher warf er einen Blick zurück über die Schulter. »Es dauert nicht mehr lange. Alles zu seiner Zeit.«
Sie lächelte; ihre Augen glitzerten im dämmernden Licht. »Ich weiß.«
»Ich wünsche dir eine gute Reise«, sagte er. Sie nickte. Er schaute ihr nach, wie sie im Wald verschwand.
Mit dem Verlust ihrer angeborenen musikalischen Schwingungen kehrten die wispernden Stimmen zurück, kratzten in seinen Ohren und kreischten in seinen Adern.
Achmed holt das hermetisch verschlossene Behältnis aus der Hemdtasche unter seinem Umhang. Er hielt sich die glatte, silberne Flasche vor die Augen und fuhr geistesabwesend mit dem Finger über den schlüpfrigen Stein.
»Alles zu seiner Zeit«, sagte er.