Oelendra war gerade damit beschäftigt, einen Schild zu reparieren, als sich die Tür ihres Hauses öffnete. Überraschung, Freude und Entsetzen flogen über ihr Gesucht, als Rhapsody hereinkam und Mantel und Waffen neben der Tür aufhing.
Oelendra stand auf und umarmte die Königin. Erleichterung erfüllte ihre Seele und erlaubte ihr, zum ersten Mal seit vielen Wochen freier zu atmen.
»Den Sternen sei Dank«, murmelte sie, vergrub das Gesicht in Rhapsodys schimmerndem Haar und zog sie noch fester an sich. »Es geht dir gut. Danke den Sternen dafür.«
»Das habe ich wie üblich zweimal am Tag getan«, antwortete Rhapsody und machte keine Anstalten, sich aus der Umarmung zu lösen. »Der F’dor ist tot.«
»Ich weiß«, sagte Oelendra, zog sie zum Herd hinüber und setzte sie in den Schaukelstuhl aus Weidengeflecht, den sie so mochte. »Die Nachricht hat sich rasch verbreitet. Rial kam gestern aus Roland über Bethania mit der Neuigkeit hierher. Aber niemand wusste etwas über dich zu berichten.«
Rhapsody nickte und nahm den Becher an, den Oelendra ihr entgegenhielt. »Gut. Wir haben versucht, uns so weit wie möglich im Hintergrund zu halten. Was hat man sich erzählt?«
»Dass Lanacan Orlando gerade mitten in seinen Riten steckte, als der Glockenturm der Basilika vom Blitz getroffen wurde. Arme Seele, er verbrannte sofort, gemeinsam mit dem Allerheiligsten der Basilika.«
Ein schiefes Lächeln legte sich über das Gesicht der Königin. »Welch ein überaus großes Glück, dass der Glockenturm unbeschädigt blieb, nicht wahr?«
Oelendra lachte. »Stimmt. Und was ist wirklich geschehen?« Rhapsody berichtete die Einzelheiten über den Kampf. Oelendra hörte gebannt zu, nickte hin und wieder oder zuckte zusammen, wenn die Geschichte es erforderte. Als sie fertig war, setzte Oelendra ihren Becher ab und schlang die Arme um die Knie.
»Ich bin sehr froh, dich zu sehen, aber warum bist du nicht nach Elysian gegangen, sondern hierher zurückgekommen?«
Rhapsody erschauerte innerlich bei dem Gedanken. »Warum sollte ich dorthin gehen? Der Ort ist von alten Erinnerungen heimgesucht.«
»Nun ja«, meinte Oelendra unbeholfen, »eine dieser alten Erinnerungen wartet in großer Sorge dort auf dich.« Als Rhapsody ihr einen verwirrten Blick zuwarf, seufzte Oelendra.
»Gwydion.«
»Ashe ist in Elysian? Woher weißt du das?«
»Ich habe ihn vor kurzem gesehen in der Nacht, als du in den Kampf gegen den Dämon gezogen bist.«
»Was macht er in Elysian?«
»Ich würde sagen, inzwischen pflegt er seine Angst«, antwortete Oelendra. »Er wartet auf dich und will sich vergewissern, dass du den Kampf überlebt hast.«
»Ich bezweifle, dass er noch immer Angst hat«, sagte Rhapsody und nahm einen Schluck dolmwl. »Ich habe Achmed gebeten, auf dem Rückweg in Elysian vorbeizuschauen und sich zu vergewissern, dass mit dem Haus und den Gärten alles in Ordnung ist. Er wird Ashe mitteilen, dass ich überlebt habe.«
»Ich glaube, er würde es gern von dir selbst hören«, meinte Oelendra. »Du solltest mit ihm reden, Rhapsody.«
Rhapsody verschluckte sich an ihrem Getränk und hustete. »Nein, vielen Dank, Oelendra, das ist das Letzte, was ich jetzt brauche. Ich habe Ashe gesagt, dass ich ihn auf dem cymrischen Konzil sehe. Das ist übrigens der Grund, warum ich hier bin.«
»Das cymrische Konzil?«
»Ja. Es ist so weit. Ich bin hier in Tyrian, um Vorbereitungen für eine längere Abwesenheit zu treffen. Wenn ich die alten Manuskripte Gwylliams richtig verstanden habe, dann muss derjenige, der das Konzil einberuft, von dem Zeitpunkt an im Land bleiben, wo das Konzilhorn bläst, bis die ganze Versammlung vollständig ist; ansonsten könnten die Cymrer den zwingenden Wunsch herzukommen möglicherweise nicht länger verspüren.«
»Ja, das ist der richtige Weg.«
»Es kann mehrere Monate dauern, bis sie versammelt sind; daher muss ich hier zunächst alles in Ordnung bringen. Ich möchte mich heute noch mit dir und Rial treffen, wenn es passt.«
»Wie du willst. Du willst also die Cymrer zusammenrufen?«
»Ich will es wenigstens versuchen«, sagte Rhapsody und stellte ihren leeren Becher ab. Sie schüttelte den Kopf, als Oelendra auf den Kessel deutete. »Nein, danke. Ich habe nur etwas gebraucht, um meine Nerven zu beruhigen.« Sie bemerkte, dass Oelendra sie eindringlich anschaute. Sie stand rasch auf, wandte sich ab, ging zum Fenster und sah hinaus in das Licht des Vorfrühlings.
Es war zu spät gewesen. Oelendra hatte alles gesehen, was sie sehen musste. Sie entschied, es leicht zu nehmen. »Du solltest zuerst nach Elysian gehen, meine Liebste. Geh zu Gwydion. Dann kann wenigstens er sich beruhigen.«
Der Königin entfuhr ein hässliches Lachen. »Nein. Er muss sich damit zufrieden geben, es von Achmed zu erfahren, Oelendra. Er ist nicht mehr Teil meines Lebens, und ehrlich gesagt habe ich im Augenblick Wichtigeres zu tun. Ich finde es übrigens abscheulich, dass er seine neue Frau allein lässt, um in Elysian auf mich zu warten.«
Oelendra musste husten. »Dieser Bemerkung stimme ich aus ganzem Herzen zu«, sagte sie.
»Aber du solltest ihn aufsuchen, Liebes. Er wartet darauf, dir deine Erinnerungen zurückzugeben.«
Rhapsody schaute sie in gelinder Überraschung an. »Hat er dir das gesagt?«
»Jawohl. Sei nicht wütend auf ihn, Rhapsody. Er war sehr aufgeregt, als ich ihn zuletzt gesehen habe.«
Rhapsody blickte wieder aus dem Fenster. »Ich will diese Erinnerungen nicht zurückhaben, Oelendra. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, hat er mir ein wenig davon erzählt. Ich glaube, ich kann keine weiteren Täuschungen und Lügen mehr ertragen. Wusstest du, dass Llauron gar nicht tot ist?«
»Ja, Gwydion hat es mir gesagt. Ich kann nicht behaupten, dass mich das überrascht hat.«
»Mich hat es überrascht, das kannst du mir glauben. Weißt du, wie es ist, wenn man als Verteidigerin des Patriarchen das Sternenfeuer auf den Fürbitter herabruft auf das Oberhaupt der Religion, mit der das Volk von Tyrian und ich so eng verbunden sind und ihn bei lebendigem Leibe verbrennt? Wie es ist, wenn die beiden Männer, für die ich am meisten getan habe, seit ich in dieses Land gekommen bin, mich auf unerträgliche Weise für ihre eigenen Ziele missbrauchen?« Rhapsody drehte sich wieder zu ihrer Lehrerin um, und Oelendras Herz gefror beim Blick in die Augen der Königin. Sie glühten in grünem Feuer und funkelten vor Tränen der Wut. »Du hast keine Ahnung, was diese kleine Dämonenjagd mich gekostet hat, Oelendra.«
Oelendra stand auf. »Ich glaube doch.«
»Nein, du weißt es nicht«, spuckte Rhapsody aus. Sie umfasste das Fensterbrett und versuchte, die Kontrolle über sich zu behalten. Sie musste noch vieles erledigen, bevor sie ihren Ängsten freien Lauf lassen konnte.
Oelendra trat hinter sie und packte sie bei den Schultern. »Ich weißt sehr wohl, wie es ist, jemanden, den man aus ganzem Herzen liebt, an einen F’dor zu verlieren, Rhapsody. Ich weiß, dass du Jo vermisst, aber Gwydion ist noch da. Du musst ihm erlauben, dir deine Erinnerungen zurückzugeben, wie schmerzhaft sie auch sein mögen, denn ohne sie fehlt dir etwas.«
Rhapsody schüttelte Oelendras Hände ab und drehte sich langsam um. Die Seele der Kriegerin erzitterte unter dem Blick der verheerenden Verzweiflung.
»Mir wird immer etwas fehlen, Oelendra. Ich kann Ashe jetzt nicht sehen. Bitte hör auf damit. Ich habe ihm gesagt, dass ich mich mit ihm erst auf dem cymrischen Konzil treffe, und ich habe nicht vor, mein Wort zu brechen. Lass mich in Ruhe.« Sie wandte sich ab und ging zur Tür. »Kann ich dich heute Nachmittag bei mir erwarten?«
»Sag es mir«, bat Oelendra mit ruhiger Stimme. »Sag es mir, Rhapsody.«
Rhapsody wusste, dass Ausflüchte ihr nichts nutzten. »Ich kann nicht.«
»Kannst du nicht, oder hast du Angst davor?«
»Beides.«
Oelendra streckte schweigend die Arme aus. Rhapsody stand eine Weile vor der Tür und hatte bereits die Hand auf die Klinke gelegt. Dann schüttelte sie den Kopf. »Bitte nicht, Oelendra. Wenn du mich jetzt tröstest, werde ich es nicht durchstehen. Ich brauche räumlichen Abstand.«
»Dann sag es mir von dort drüben aus.« Oelendra ging zurück zum Feuer, setzte sich in den Schaukelstuhl und deutete auf einen kleinen hölzernen Schreibtischstuhl neben dem Fenster.
»Berichte es mir so, als gäbest du mir einen Lagebericht. Oder als plantest du das Frühlingsfest oder teiltest mir neue Pläne für die Kinder mit.« Die Königin wurde bleich.
»Setz dich, Rhapsody«, sagte Oelendra sanft, aber bestimmt. Benommen gehorchte Rhapsody. Oelendra wartete geduldig und schweigend.
Schließlich schaute Rhapsody auf ihren Schoß und presste die Hände zusammen, bis das Blut aus den Knöcheln wich. »Es besteht die Möglichkeit, dass ich schwanger bin«, sagte sie mit hohler Stimme, die sich kaum über ein Wispern erhob.
Oelendra atmete langsam aus. Sie verbarg ein Lächeln, denn sie wusste, welche Freude diese Nachricht für Gwydion bedeuten und wie begeistert Rhapsody sein würde, sobald sie die Wahrheit erfuhr.
Sie musste bloß die falsche Auffassung überwinden, dass ihr Mann mit einer anderen verheiratet war. »Grund genug, es ihm sofort zu sagen, meine Liebe«, sagte sie mitfühlend. »Er hat ein Recht, es zu wissen.«
»Es ist nicht sein Kind.«
Oelendra war wie vom Donner gerührt, doch nach außen hin ließ sie sich kaum etwas anmerken; sie kniff nur die Augen zusammen. »Oh. Wer ist dann der Vater?«
Rhapsody hob langsam den Blick und sah Oelendra starr an. »Der F’dor.« Jetzt war es an ihr zu beobachten, wie ihre Freundin unkontrolliert zu zittern begann. »Es tut mir Leid, Oelendra, aber du wolltest es ja unbedingt wissen.«
Oelendra stand aus ihrem Stuhl auf und lief vor dem Kamin auf und ab. Sie versuchte, ihr Gesicht vor Rhapsody zu verbergen. Als sie ein wenig von ihrer Selbstsicherheit wiedergewonnen hatte, ging sie hinüber zu der Königin, hockte sich vor sie und ergriff ihre Hände.
»Erkläre mir das, Rhapsody. Was ist geschehen?«
Rhapsody schaute fort. »Ich wünschte, ich könnte es mit Gewissheit sagen. Der Dämon konnte in meinem Inneren sprechen; Achmed und Grunthor haben ihn nicht gehört. Er sagte mir, dass der Rakshas Ashes Platz eingenommen und ... und ... seinen Samen in mich gepflanzt habe. Der F’dor wusste über die Nacht Bescheid, in der es ... es passiert sein könnte. Er wusste vieles, was er eigentlich nicht hätte wissen dürfen, Oelendra, und als er das Wort aussprach, unter dem die Saat wächst, habe ich es in mir gespürt. Er sagte, der Same sei mit seinem Blut durchtränkt und nun nicht mehr menschlich wie die anderen, sondern dämonisch.«
»Glaubst du ihm das alles?«
»Nicht unbedingt«, antwortete Rhapsody ruhig. »Aber es ist schwer, es beiseite zu wischen, weil er Dinge gewusst hat, die er kaum je hätte erraten können.«
»Aber es wäre nicht unmöglich?«
Sie dachte nach. »Nein, vermutlich nicht. Seitdem ist mir andauernd übel, und ich habe Schmerzen.«
»Das könnten die Nerven oder die Angst sein oder beides. Ich habe mich selbst schon einmal so gefühlt.«
Rhapsody verlor beinahe die Geduld. »Ja, Oelendra, es könnte sein. Es könnte aber auch sein, dass ich das Medium bin, durch das der F’dor auf die Erde zurückkehrt.« Sie stand auf, ging zum Kleiderständer und nahm ihren Mantel ab. Oelendra gelang es nicht, ihr zuzusehen. »Ist es wirklich möglich, Rhapsody? Dämonen sind vollendete Lügner. Ein F’dor kann das kleinste Stückchen Wahrheit nehmen und daraus etwas Schreckliches bauen, indem er mit deinen dunkelsten Ängsten spielt. Könnte er dich vielleicht einfach davon überzeugt haben, obwohl es unmöglich ist?«
Rhapsody gürtete ihr Schwert und kam zu Oelendra zurück, die noch immer am Boden hockte. Sie kniete sich neben die Meisterin und legte ihr eine Hand auf die Wange. Oelendra drehte sich kurz darauf um und schaute ihr in die Augen. Sie zuckte unter dem zusammen, was sie sah.
»Ich weiß, dass du es nicht glauben willst, aber es ist durchaus möglich«, sagte Rhapsody leise. »Je mehr ich darüber nachdenke, desto wahrscheinlicher wird es für mich. Aber es spielt keine Rolle, Oelendra. Jetzt kann ich die Antwort noch nicht erfahren. Wenn ich sie wüsste, könnte ich nicht weitermachen. Also hilf mir bitte, wie du es immer getan hast. Ich muss das Konzil hinter mich bringen und die Wiedervereinigung der Cymrer zu einem glücklichen Ende führen. Und vorher muss ich mich vergewissern, dass Tyrian in guten Händen ist. Dabei kannst du mir helfen. Wenn diese beiden Dinge erledigt sind, werde ich nach der Wahrheit suchen. Aber eines kann ich dir versichern, Oelendra, und ich gebe dir mein Wort und meine Seele dafür: Wenn es stimmt und ich dieses dämonische Kind in mir trage, wird es nicht zur Welt kommen. Es wird dieses Land nicht wieder sehen. Vorher sterbe ich. Ich habe schon alles vorbereitet. Nachher treffen wir uns mit Rial. Vielen Dank für den dol mwl.« Sie küsste die ältere Frau, stand auf und ging zur Tür.
»Rhapsody?«
Sie drehte sich um und sah, dass die alte Kriegerin aus dem Fenster schaute. »Ja?«
Oelendra hatte den Blick starr in die Ferne gerichtet. »Ich liebe dich, als wärest du meine eigene Tochter. Ich wünsche mir mehr, als du dir vorstellen kannst, du wärest es wirklich. Pass auf dich auf.«
Rhapsody sah sie einen Moment lang an, dann ging sie so leise, wie sie gekommen war.