Llauron warf ein weiteres Scheit ins Feuer und beobachtete, wie es aufloderte. Sie würde gleich herunterkommen, und es war immer bemerkenswert zu beobachten, wie das Feuer sich in ihrer Nähe veränderte und sich ihrer Stimmung anpasste. Es war eine angeborene Fähigkeit, die Llauron gern selbst gehabt hätte, wenn auch vielleicht in einem größeren Rahmen.
In der Dunkelheit seines Studierzimmers spürte Llauron ein Gefühl des Friedens herabsteigen, ein seltenes Gefühl in diesen letzten Tagen. Er lehnte sich gegen den Türrahmen. Die Zeit nahte, und bald wären das Warten und all die mit der Unsicherheit verbundenen Unannehmlichkeiten vorbei.
Rhapsody erschien am oberen Rand der Treppe. Sie trug nicht mehr ihre staubige Reisekleidung, sondern eine zarte weiße Bluse aus canderischem Leinen, eingefasst mit weißen Spitzenmustern, und einen langen Rock aus weinfarbener Wolle. Sie hatte sich das Haar gebürstet und zu einem fülligen Knoten hochgesteckt.
Llaurons Augen funkelten in liebevoller Wärme, als sie herunterkam und ihn begrüßte. Er ergriff beide Hände, die sie ihm entgegenstreckte, und küsste sie auf die Wange. Dann hakte er sich bei ihr ein und führte sie in sein Studierzimmer.
»Du siehst bezaubernd aus, meine Liebe«, sagte er galant und hielt ihr die Tür auf.
»Vielen Dank«, erwiderte sie lächelnd. »Es ist erstaunlich, wie zivilisiert man sich nach einem Bad und einem Kleiderwechsel fühlt.«
»Ja, allerdings. Vera hat uns ein schönes Tablett mit unserem Abendessen gebracht, und irgendwo habe ich noch eine gute Flasche Branntwein, mit der wir feiern sollten.«
Rhapsody lehnte sich gegen das Pferdehaarsofa vor dem Feuer und warf einen hungrigen Blick hinüber zu dem Tablett. »Feiern? Was haben wir zu feiern?«
»Also, mir ist immer nach Feiern zumute, wenn du da bist, meine Liebe, selbst wenn es sich um weniger angenehme Geschäfte handelt, und besonders, wenn du ohne deine ... äh ... Gefährten gekommen bist.« Er holte aus seiner Kiste eine Flasche hervor, stöberte herum und fand schließlich zwei staubig aussehende Branntweingläser. »Ich frage mich, was deine Abwesenheit für Gwydion bedeutet. Glaubst du, er kommt ohne dich zurecht?«
Rhapsody war von seiner freimütigen Erwähnung Ashes überrascht. »Ich bin sicher, es geht ihm gut«, sagte sie. Unbehagen über dieses Thema kroch in ihre Miene. »Eigentlich habe ich ihn schon lange nicht mehr gesehen.«
»Das ist gut zu wissen«, sagte Llauron, zog den Korken aus der Flasche und stellte die Gläser auf den niedrigen Schrank. »Vielleicht kann er jetzt wirklich etwas von seiner Arbeit erledigen und sich um seine Verpflichtungen kümmern.« Er goss eine großzügige Menge der dunkelgoldenen Flüssigkeit in jedes Glas.
Rhapsody spürte, wie ihr warm im Gesicht wurde, während sie ihm zuhörte. »Ich hoffe, du glaubst nicht, ich wollte Ashe von seinen Pflichten abhalten«, meinte sie mit Unbehagen in der Stimme und wünschte sich sofort, sie hätte nichts gesagt. »Wenigstens sollten die Schritte, die Achmed, Grunthor und ich unternommen haben, ihn in eine weitaus bessere Lage versetzen, seinen Verpflichtungen nachzukommen.«
Der verehrungswürdige Herr hob die Gläser vom Schrank. »Diese Schritte ... nun, was können das für Schritte sein? Beziehst du dich damit auf die zweifellos angenehme Ablenkung, für die du während des Sommers gesorgt hast, während du ihn in irgendeinem Liebesnest versteckt und ihn von den Pflichten abgehalten hast, die ich ihm aufgetragen hatte? Ich hege keinen Zweifel daran, dass er die Aufgaben, die du ihm gestellt hast, viel mehr genossen hat als meine.«
»Ich fürchte, du verstehst nicht, was ich mit Ashe getan habe, Llauron«, antwortete Rhapsody und versuchte die Beleidigung herunterzuschlucken. »Ich habe ihn nicht irgendwo weggeschlossen. Ich habe sehr hart gearbeitet, um seine Lage zu verbessern.«
Llauron schenkte die Gläser ein und durchquerte dann den Raum.
»Ich verstehe, meine Liebe, dass mein Sohn dich sehr mag. Und ich bin froh darüber, denn er hat einen ausgezeichneten Geschmack. Mir ist durchaus klar, dass er körperliche Bedürfnisse hat, die befriedigt werden müssen.«
Rhapsody spürte, wie sich ihr die Kehle unter dem zwinkernden Blick ihres Lehrers zusammenzog; bei seinen Worten drehte sich ihr der Magen um. Sie bemühte sich darum, dass kein beleidigender Unterton in ihrer Antwort lag.
»Dann weißt du auch, Llauron, dass das dringendste körperliche Bedürfnis deines Sohnes die Heilung seiner verwundeten Brust war. Und der körperliche Aspekt dieses Bedürfnisses war im Vergleich zu den anderen Faktoren unbedeutend.« »Ja, ja, natürlich«, sagte der alte Mann lächelnd. Er gab ihr ein Glas und setzte sich in seinen Sessel. »Ich bin dir und den anderen unendlich dankbar für die Rolle, die ihr bei der Rettung aus dieser Lage gespielt habt. Er schuldet dir viel, wenn er einmal den Thron des cymrischen Fürsten besteigt.«
»Er schuldet mir gar nichts, und ich will nichts von ihm. Auch Achmeds und Grunthors Hilfe waren kostenlos. Ashe steht nicht in unserer Schuld, weil das, was wir getan haben, einfach richtig war.«
»Das ist sehr großzügig von dir, meine Liebe. So weit es dich angeht, überrascht es mich allerdings nicht. Du bist ein liebenswürdiges Mädchen, und vom ersten Augenblick an habe ich gewusst, dass du ein edles Herz hast. Aber glaubst du wirklich, du kannst für deine Firbolg-Gefährten sprechen? Woher willst du das wissen?« Rhapsody schwieg, schaute in das Branntweinglas und atmete den Duft des Getränks ein. »So lautet die Abmachung. Das habe ich von Beginn an sichergestellt.«
»Und was sind die Garantien dafür?«
Nun verlor sie allmählich die Geduld. »Meine Freundschaft mit ihnen. Wenn all das vorbei ist, wird Achmed sein Wort nicht brechen. Außerdem glaube ich, dass Ashe durchaus in der Lage ist, auf sich selbst aufzupassen, selbst wenn Achmed sich alter Vorteile bedienen sollte. Unsere Hilfe war ohne Bedingungen, Llauron. Ich weiß, dass so etwas fremd für dich ist, aber du musst mir einfach vertrauen.«
Sie trat ans Fenster und sah hinaus in die Dunkelheit des Waldes; dabei kam sie am Kamin vorbei. Die Flammen grollten wütend, als sie vorüberging, und beruhigten sich kurz darauf wieder.
Llaurons Gesicht nahm einen aufmerksamen Ausdruck an. »Das tue ich, meine Liebe mehr, als du weißt. Vielleicht wärest du so freundlich, mir eine weitere Frage zu beantworten, bevor wir uns den Dingen widmen, die dich heute Abend hergebracht haben.«
Sie drehte sich nicht um. »Was könnte das sein?«
»Ich möchte wissen, welche Rolle du im Leben meines Sohnes spielen willst, wenn das hier vorbei ist. Ich weiß, dass du ehrlich antworten wirst, und ich möchte Einzelheiten erfahren.«
Rhapsody sah hinunter auf den Fenstersims und beobachtete, wie sich der Schein des Feuers im Glas spiegelte. Wieder blickte sie in die Dunkelheit.
»Ashe wird immer auf mich als Freundin und Verbündete zählen können.«
»Mehr nicht?«
Schließlich drehte sie sich doch um und sah ihm in die Augen. »Ist das nicht genug?«
»Für mich schon«, antwortete Llauron ernst. »Für dich auch?«
Das Blut pochte in Rhapsodys Ohren und kroch ihr ins Gesicht, das schon rosig von der Flammenhitze war. »Was willst du, Llauron? Was willst du wirklich von mir?«
Llauron stand langsam auf und durchquerte das Zimmer. Er blieb dicht vor ihr stehen und sah hinunter in ihr Gesicht.
»Ich will sicher sein, dass du dich nicht zwischen meinen Sohn und die Frau stellst, die er als Gemahlin wählen wird. Obwohl du von niedriger Geburt bist, weiß ich, dass du Ashes Bestimmung verstehst. Gwydion muss seinen Pflichten als Führer der vereinigten cymrischen Völker gerecht werden und darf sie nicht seines Herzens wegen aufs Spiel setzen.«
Rhapsody stellte ihr Glas ab; sie hatte es so fest umschlossen gehalten, dass sie schon befürchtete, es könne zerbrechen.
»Du hast mich gebeten, ehrlich zu sein. Nun gut, hier ist meine Antwort. Erstens glaube ich nicht, dass dich das etwas angeht. Dein Sohn ist ein erwachsener und weiser Mann, und ich glaube, er hat dein Vertrauen verdient, soweit es um die Erfüllung seiner Pflichten geht. Zweitens habe ich mich nie in meinem Leben zwischen einen Mann und seine Frau gestellt, und das habe ich auch in Zukunft nicht vor. Was immer du von mir halten magst, Llauron, so solltest du doch wissen, dass eine niedrige Geburt nicht zwangsläufig Unehrenhaftigkeit bedeutet. Von königlichem Geblüt zu sein gibt einem genauso wenig eine Garantie, dass man ehrenhaft ist.
Drittens: Falls du befürchten solltest, dass ich in irgendeiner Weise versuchen werde, mich in deine königliche Familie einzuschleichen, kannst du ganz beruhigt sein. Ich sorge mich um deinen Sohn nicht wegen, sondern trotz seines Erbes. Ich habe gesehen, wie unglücklich Erbschaften machen können, und bin froh, keine zu bekommen.
Und schließlich glaube ich, dass ich mich als Freund deiner Sache erwiesen habe deines Ziels, welches du unter Ausschluss alles anderen erreichen möchtest. Es hat mich schon mehr gekostet, als du je wissen wirst, und vielleicht werde ich mir das nie vergeben. Mögen jene, die dich lieben, dir wegen dem vergeben, das es sie ebenfalls gekostet hat.« Sie wandte sich ab und sah wieder durch das Fenster. Sie zitterte vor Wut und Angst.
Llauron beobachtete sie kurz, dann hob er sein Glas an die Lippen und leerte es. Er ging zurück zum Kamin und stellte es auf dem Sims ab; dann schaute er Rhapsody wieder an.
»Vielen Dank für deine Ehrlichkeit, meine Liebe«, sagte er freundlich, »und für deine weisen Entscheidungen, was immer sie dich auch gekostet haben mögen. Weißt du, mein Sohn ist nicht der Einzige in dieser Familie, der dich liebt. In vieler Hinsicht bist du für mich wie eine Tochter. Du würdest einem glücklichen Mann eine wunderbare Frau sein und eine ausgezeichnete Mutter abgeben.«
Rhapsody sah ihn nicht an. »Anscheinend bedeutet das nicht viel.«
Llauron seufzte. »Nein, im großen Plan der Dinge wohl nicht. Ich werde nach Gwen sehen; sie sollte die Verkleidung inzwischen bereit haben. Warum isst du nicht etwas? Dabei können wir unsere Reise zu diesem Gladiator planen. Ich bin gleich zurück.«
Rhapsody wartete, bis sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, dann lehnte sie sich gegen das Fenster und stieß einen tiefen, schmerzerfüllten Seufzer aus. Sie legte die brennende Stirn gegen die Kühle der Glasscheibe. Sie vermisste Ashe schrecklich und fühlte sich schuldig deswegen. Ihre Augen suchten den Trost des dunklen Himmels, doch durch die trübe Scheibe waren keine Sterne zu sehen.
Sie ergriff noch einmal ihr Glas und trank den Rest des Branntweins. Dann ging sie zum Kamin und stellte das Glas neben das von Llauron auf den Sims. Die geschwungenen Gefäße fingen das dunkle Licht ein wie ein grimmiger Trinkspruch auf eine Zukunft, von der sie wünschte, sie würde nie eintreten.