10

»Wer hätte so etwas schon einmal gehört? Ein blinder Mann und ein einarmiger! Warum soll nicht gleich ein Stummer unsere Lieder singen?«

Aus Sarns Stimme troff der Hohn wie zäher Honig aus einem aufgebrochenen Bienenkorb, und aus den Reihen der Zuschauer, die nicht nur hinter und neben ihm Aufstellung genommen hatten, sondern einen mehrfach gestaffelten, nahezu undurchdringlichen Drei-viertel-Kreis um die heruntergekommene Hütte am Rand des Dorfes bildeten, erhob sich ein zustimmendes Gemurmel. Zwei oder drei Männer lachten, aber Arri gewahrte auch das eine oder andere finstere Gesicht, das mit unverhohlenem Zorn in ihre Richtung blickte. Nahezu das ganze Dorf war zusammengekommen, und auch, wenn es bisher niemand gewagt hatte, es laut auszusprechen, so war Arri doch klar, dass vermutlich die Hälfte von ihnen darauf wartete, dass das Vorhaben ihrer Mutter scheiterte.

Wenn sie ehrlich war, erging es ihr nicht sehr viel anders.

Natürlich wartete sie nicht darauf, dass ihre Mutter scheiterte, und sie hätte gewiss auch andere Worte gewählt als der Dorfälteste - aber ein bisschen verrückt war das, was Lea ihr erklärt hatte, schon. Ein blinder Verrückter und ein einarmiger Krüppel, die gemeinsam die Arbeit eines Schmieds tun sollten? Das war zumindest... gewagt.

Als hätte sie ihre Gedanken erraten - was im Augenblick wahrscheinlich nicht einmal besonders schwer war -, drehte Lea den Kopf und warf ihr einen raschen, aufmunternden Blick zu, bevor sie sich wieder auf das Geschehen in der Hütte konzentrierte. Um die Sache zu vereinfachen, hatte Rahn auf Sarns Geheiß hin kurzerhand die vordere Wand der Schmiede abgerissen, was bei dem bejammernswerten Zustand des ohnehin baufälligen Gebäudes keinen großen Unterschied mehr machte, sodass zumindest sie und die Zuschauer in der vordersten Reihe freie Sicht auf das hatten, was sich im Innern des Hauses abspielte.

Arri bezweifelte, dass ihrer Mutter das recht war, und auch Kron hatte die eine oder andere entsprechende Bemerkung gemacht, doch der Schamane war in diesem Punkt unnachgiebig geblieben und hatte eingewendet, dass die Gefahr eines Brandes bestünde, wenn sich ein Blinder und ein Krüppel von Krons Größe die enge Hütte teilten und noch dazu mit Feuer hantierten. Damit hatte er vermutlich sogar Recht, aber Arri war natürlich auch klar, warum er wirklich darauf bestanden hatte: aus demselben Grund, aus dem er praktisch das ganze Dorf zusammengerufen hatte, um bei Achks und Krons erster gemeinsamer Arbeit zuzusehen. Er wollte, dass möglichst viele miterlebten, wie ihre Mutter scheiterte.

Dabei gab es im Augenblick nicht einmal viel zu sehen. Achk saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Boden, betätigte den Blasebalg und gab Kron mit schriller, misstönender Stimme, die immer gerade eine Winzigkeit davon entfernt schien, wirklich zu schreien, keifende Anweisungen, von denen der größte Teil unverständlich war; und wie Arri aus dem immer besorgter werdenden Gesicht ihrer Mutter schloss, zu einem gut Teil vermutlich auch einfach unsinnig. Kron nahm das Gezeter des Alten scheinbar gleichmütig hin und tat darüber hinaus das, was sie in den zurückliegenden Tagen immer und immer wieder geübt hatten; jedenfalls nahm Arri das an. Zu sehen war kaum etwas, denn der ehemalige Jäger und zukünftige neue (halbe) Schmied des Dorfes hatte sich gewiss nicht durch Zufall so postiert, dass sein breiter Rücken den Blick auf nahezu alles versperrte, was im Innern der aufgebrochenen Hütte geschah.

Seit dem nächtlichen Gespräch in Leas Hütte waren zehn Tage vergangen. Rahn hatte sich zur allgemeinen Überraschung nicht nur nicht verirrt, sondern war bereits am Abend des dritten Tages zurückgekommen, und seither hatte Arri ihre Mutter kaum noch gesehen, denn sie hatte praktisch ihre gesamte Zeit mit Kron und dem blinden Mann verbracht und war nur zu den Mahlzeiten und zum Schlafen nach Hause gekommen. Arri war ein bisschen beleidigt gewesen, dass sie ihr trotz ihrer hartnäckigen Nachfrage (und Arri konnte sehr hartnäckig sein) bis zum Schluss nicht gesagt hatte, was sie eigentlich plante.

Selbstverständlich hatte sie es trotzdem erfahren. Sarn hatte schon dafür gesorgt, dass sich die Verrücktheit, die sich ihre Mutter hatte einfallen lassen, in Windeseile im Dorf herumsprach, und Arri konnte beinahe verstehen, dass Lea ihr nichts hatte sagen wollen. Der Plan war verrückt. Aber vielleicht würde er ja gerade deshalb funktionieren.

»Also?«, drang Sarns Stimme kaum weniger schrill und misstönend als die des blinden Schmiedes in ihre Gedanken. »Worauf wartet ihr noch?«

Lea schenkte ihm einen giftigen Blick, sagte aber nichts, sondern wandte sich nur mit einem auffordernden Nicken an Kron. Der einarmige Riese packte den klobigen Schmiedehammer, schwang ihn aber noch nicht, sondern stupste Achk nur leicht mit dem Fuß an, woraufhin der Blinde noch hektischer mit seinem Blasebalg zu hantieren begann. Eine Zeit lang war nichts zu hören außer dem Zischen der entweichenden Luft und dem etwas leiseren, aber irgendwie bösartigen Geräusch, mit dem die Schmelze aus Kupfer und Zinn und einigen anderen Zutaten, die Achk eifersüchtig geheim hielt, aus dem Schmelztiegel in die tönerne Gussform floss. Weder Arri noch irgendeiner der anderen konnte wirklich sehen, wie sich das heißflüssige Metall in der vorbereiteten Gussform verteilte, denn Kron schirmte weiter alles mit seinem breiten Rücken ab, doch sie wusste aus dem Wenigen, das sie aufgeschnappt hatte, dass nun der kritische Moment kam, auf den Sarn und ihre Mutter - wenn auch aus völlig unterschiedlichen Gründen - gleichermaßen gespannt warteten. Kron versetzte dem Schmied einen weiteren, sanften Stups mit dem Fuß, den dieser mit einer halblaut gekeiften Beschimpfung quittierte, seinen Blasebalg jedoch trotzdem rasch sinken ließ und nach der schweren bronzenen Zange tastete, die Kron griffbereit neben ihn gelegt hatte.

»Gut so«, murmelte Kron. »Ein bisschen mehr nach links... gut.« Seine Stimme klang flach, aber angespannt, und Arri konnte die Unruhe der beiden Männer regelrecht spüren. In den zurückliegenden Tagen hatten sie jeden Handgriff hundertfach geübt und abgesprochen, aber es war dennoch das erste Mal, dass sie es wirklich taten. Die Materialien, die Rahn gebracht hatte, waren zu kostbar, um sie bei einem leichtsinnigen Versuch zu verschwenden, und einmal in eine bestimmte Form gegossen, war die Bronze entweder zu gebrauchen oder konnte nur noch neu eingeschmolzen oder weggeworfen werden - von den tausend anderen Dingen, die schief gehen konnten, gar nicht zu reden.

Eines davon geschah genau in diesem Moment. Funken stoben auf, als Achk mit seiner Zange nach dem Gussstück stocherte, und mehr als einer davon traf die rückwärtige Wand der Hütte. Holz und trockenes Blattwerk begannen zu qualmen, doch Lea hatte dies vorausgesehen und Rahn mit einem gefüllten Wassereimer unmittelbar neben dem gewaltsam erweiterten Eingang postiert. Hastig und ohne dass es einer Aufforderung bedurfte, drängte er sich an Kron vorbei und löschte das halbe Dutzend winziger Brandherde, bevor wirklich ein Feuer ausbrechen konnte. Sarn verzog verächtlich die Lippen, ersparte sich aber zu Arris Erstaunen jeden Kommentar.

Mit dem zweiten Versuch löste Achk den noch glühenden Rohling aus der Gussform, sodass man nun zumindest erkennen konnte, dass es sich um einen schmalen Dolch mit einer handlangen, ungewöhnlich spitz zulaufenden Klinge handelte, die anstelle eines Griffes nur einen dünnen Stab hatte. Die Klinge glühte noch in einem fleckigen, ebenso rasch wie unregelmäßig verblassenden Rot, als Achk aufstand und unsicher und mit weit vorgestreckten Armen auf den kniehohen, plan geschliffenen Stein zuwankte, der ihm als Amboss diente. Obwohl Kron ihn am Oberarm ergriff und behutsam führte, wäre er um ein Haar ins Feuer getreten, und wieder stoben Funken auf, auch wenn Rahn diesmal nicht löschen musste. Erst beim zweiten Versuch gelang es dem blinden Schmied, das Werkstück so zu platzieren, dass Kron mit seinem wuchtigen Fäustling zwei, drei kräftige Schläge ausführen konnte, die die Klinge deutlich breiter und flacher werden ließen.

Sein vierter Hieb war schlecht gezielt, möglicherweise hielt Achk die Zange auch nicht fest genug. Der Rohling wurde ihm jedenfalls aus den Händen geprellt und fiel zu Boden. Kron legte hastig den Hammer ab und nahm dem schon wieder lautstark keifenden Alten die Zange aus der Hand, um die Klinge aufzuheben. Arri warf einen raschen Blick über die Schulter zu ihrer Mutter zurück. Auf Leas Gesicht zeigte sich nicht die mindeste Regung, aber Arri sah ihr trotzdem an, wie besorgt sie war. Aus den Reihen der Zuschauer erhob sich ein besorgtes Murmeln, in dem Arri aber den einen oder anderen schadenfrohen Unterton zu hören glaubte. Auch Sarn schwieg, aber seine Augen funkelten tückisch.

Mittlerweile hatte Kron Achk die Zange wieder in die Hand gedrückt und versuchte seine Arme so zu dirigieren, dass die Messerklinge diesmal flach auf dem Stein auflag. Achk machte es ihm nicht unbedingt leicht, sondern bewegte sich ebenso ungeschickt, wie er Kron mit einer wahren Flut von Beschimpfungen überschüttete. Kron schlug noch zwei- oder dreimal mit seinem Hammer zu, und jedes Mal veränderte sich der Klang, mit dem Metall auf Metall schlug. Das Gussstück kühlte offensichtlich rasch ab.

»Nicht so fest, Dummkopfs«, keifte Achk. »Willst du, dass die Klinge zerbricht?«

»Halt sie einfach nur still, und es wird nichts passieren«, knurrte Kron. Er schwang den Hammer trotzig um so heftiger. Die Klinge zerbrach nicht, aber als er den Hammer wieder zurückzog, war sie deutlich verbogen. Kron fluchte, legte den Hammer beiseite und versuchte die Zange in Achks Händen umzudrehen, vermutlich, um die Klinge mit ein paar Hieben in die andere Richtung wieder gerade zu biegen. Achk konnte weder sehen, was er genau tat, noch warum, doch er schien zu spüren, was geschehen war, denn er stieß Kron mit einer groben Bewegung zur Seite und griff mit der bloßen Hand nach dem Messer. Es zischte hörbar, als seine Fingerspitzen über das immer noch glühend heiße Metall strichen, aber er schien keinen Schmerz zu spüren. Seine Fingerkuppen waren schon seit einem halben Menschenleben schwarz und verkohlt und mittlerweile wohl vollkommen gefühllos.

»Dummkopf!«, keifte er. »Ich habe es dir gesagt! Jetzt hast du es verdorben! Muskeln allein reichen eben nicht, du grober Kerl!«

»Gib Acht, was du sagst, alter Mann«, grollte Kron.

»Was willst du sonst tun?«, erkundigte sich Achk höhnisch.

»Kron! Achk!«, sagte Lea scharf. Sie schob Arri mit sanfter Gewalt zur Seite, war mit einem raschen Schritt bei Kron und dem Blinden und begutachtete den Schaden. »Ist es nicht zu reparieren?«, fragte sie stirnrunzelnd.

Achk strich weiter mit den Fingerspitzen und schließlich mit der Handfläche über die verbogene Messerklinge. Es zischte abermals, und lauter. »Es ist verdorben«, nörgelte er. »Ich selbst könnte es vielleicht noch retten, wenn du mir nicht mein Augenlicht geraubt hättest, aber dieser Dummkopf doch nicht! Er hat alles zunichte gemacht!«

»Ich glaube, wir haben genug gesehen«, mischte sich Sarn ein. Er schnaubte abfällig. »Ich war von Anfang an dagegen, aber diesen einen Versuch musste ich dir geben, Lea, schon um Krons und Achks willen.« Er hob unmerklich, aber wirkungsvoll die Stimme. »Aber nun ist es genug. Hör mit diesem grausamen Spiel auf, bevor am Ende noch ein Unglück geschieht.«

Lea achtete nicht weiter auf ihn. Sie tastete mit den Fingerspitzen nach dem Messer, zog die Hand aber sofort und mit einem schmerzhaften Verziehen der Lippen wieder zurück. Trotzdem sagte sie: »So schlecht finde ich es gar nicht.« Sie wandte sich mit einem fragenden Blick an Achk, den der Blinde zwar nicht sehen konnte, aber irgendwie zu spüren schien, denn er drehte das verbrannte Gesicht in ihre Richtung und sah sie aus seinen erloschenen Augen an.

»Wie lange hast du gebraucht, um dein erstes Messer zu schmieden?«

Achk antwortete nicht darauf, aber Lea schien damit auch nicht wirklich gerechnet zu haben, denn sie drehte sich fast augenblicklich zu Sarn um und fuhr fort: »Bestimmt länger als ein paar Tage, nehme ich an.«

Sarn machte ein abfälliges Geräusch. »Du bist verrückt. Bereitet es dir Freude, diese armen Menschen zu quälen?«

»Es bereitet mir Freude, ihnen eine Gelegenheit zu geben«, antwortete Lea mit einem dünnen Lächeln. »Und eurem Dorf auch. Ihr braucht doch einen neuen Schmied, oder?«

»Nachdem du uns den alten genommen hast, ja.« Sarn wurde plötzlich zornig. Mit einer wütenden Geste stocherte er nach Achks verbranntem Gesicht. »Reicht dir nicht, was du ihm angetan hast? Musst du ihn auch noch zum Gespött des ganzen Dorfes machen? Oder wartest du auf seinen Tod?«

Er machte eine weitere, wütende Handbewegung, die diesmal aber nicht Lea oder dem blinden Mann galt, sondern den Umstehenden. »Genug, sage ich. Lasst diese armen Menschen in Ruhe!«

»Warum fragst du sie nicht, ob sie in Ruhe gelassen werden wollen?«, entgegnete Lea. »Kron, glaubst du, dass ihr es schafft?«

Kron zog ein missmutiges Gesicht und warf einen noch missmutigeren Blick auf das kümmerliche Ergebnis seines ersten Versuchs, die Schmiedekunst zu erlernen, aber schließlich nickte er - und zu Arris Überraschung grunzte nach einem weiteren Moment auch Achk eine widerwillige Zustimmung.

»Dann ist es wohl entschieden«, sagte Lea. »Achk ist ein guter Schmied. Sein Wissen ist unersetzlich für euch alle. Ihr könnt es euch nicht leisten, es verloren gehen zu lassen. Blind ist er euch nicht mehr von Nutzen, aber Kron kann für ihn sehen. Er wird Achks Augen sein, und Achks Hände werden seinen verlorenen Arm ersetzen.«

»Das ist verrückt«, beharrte der Schamane. »Und es ist nicht der Wille der Götter.«

»Das haben sie dir gesagt, nehme ich an?«, fragte Lea.

Sarn presste die rissigen Lippen aufeinander und funkelte sie an, und auch Lea selbst schien zu spüren, dass sie damit vielleicht ein bisschen zu weit gegangen war, denn sie beeilte sich, sich wieder zu Achk umzudrehen und zu fragen: »Du hast jetzt fünf Tage mit Kron gearbeitet. Glaubst du, dass du ihn deine Kunst lehren kannst?«

»Wenn er lernt, seine Kraft im Zaum zu halten«, nörgelte Achk. Er drehte das Gesicht in die Richtung, in der er Kron vermutete. »Er ist ein grober Klotz, aber er wird es schon lernen.«

»Und du bist verrückt, alter Mann«, sagte Sarn, was Arri einigermaßen komisch vorkam, denn schließlich war er ein gutes Stück älter als Achk. »Vielleicht kannst du ihn ja lehren, den Hammer zu schwingen und deine Werkstücke krumm zu schlagen, aber wer wird deine Formen herstellen? Wer wird die Feinarbeiten vornehmen? Du, ohne etwas zu sehen, oder er, mit nur einer Hand? Mach dich nicht lächerlich!«

Kron wollte auffahren, aber Lea brachte ihn mit einem mahnenden Blick zum Verstummen und legte dem blinden Schmied zugleich beruhigend die Hand auf die Schulter. Achk fuhr sichtlich zusammen. Seit er blind war, hasste er es, ohne Vorankündigung angefasst zu werden.

»Du wolltest einen Beweis, dass es möglich ist«, fuhr Lea fort, noch immer erstaunlich ruhig und nun wieder direkt an den Schamanen gewandt. Das Bronzemesser war inzwischen offenbar weit genug abgekühlt, dass sie es in der Hand halten konnte, ohne sich zu verbrennen, denn sie nahm die krumm gebogene Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger der rechten Hand und hielt sie fast triumphierend in die Höhe.

»Ihr seht es«, rief sie mit leicht erhobener Stimme. »Es ist nicht vollkommen, aber ein Anfang ist gemacht. Warum es also nicht weiter versuchen?«

»Unsinn!« Sarn stampfte wütend mit seinem Stock auf. »Ich werde nicht tatenlos zusehen, wie du unser Dorf zum Gespött des ganzen Landes machst!«

Es fiel Arris Mutter jetzt sichtlich immer schwerer, ruhig zu bleiben. Vielleicht gelang es ihr tatsächlich nur, weil sie ebenso deutlich wie Arri und alle anderen hier spürte, dass Sarn sie um jeden Preis zum Äußersten treiben wollte.

»Ich habe nichts dergleichen vor«, sagte sie ruhig. Ihre Finger begannen mit dem Messer zu spielen; vielleicht weil die Klinge doch noch zu heiß war, um sie länger als ein paar Augenblicke ruhig zu halten, vielleicht auch aus einem ganz anderen Grund.

»Es ist doch ganz einfach, Sarn. Ihr habt keinen Schmied. Von den drei Jägern, die es im Dorf gab, ist einer tot und der andere verkrüppelt. Ihr habt drei wichtige Mitglieder eurer Gemeinschaft verloren und dafür zwei zusätzliche Mäuler zu stopfen. Was habt ihr zu verlieren, wenn ihr bis zum nächsten Frühjahr wartet und seht, ob sie lernen zusammenzuarbeiten? Vor dem nächsten Frühling werdet ihr ohnehin niemanden finden, der hierher kommt, um Achks Platz einzunehmen. Wenn überhaupt«, fügte sie nach einer winzigen und - Arri war sicher, genau berechneten - Pause hinzu. »Ein halbes Jahr, Sarn, ein Winter, in dem nach der reichen Ernte dieses Jahres wohl kaum jemand Hunger leiden wird. Ist das zu viel verlangt für zwei Männer, die ihr Leben für euch alle eingesetzt haben?«

Der Schamane machte eine Bewegung, wie um abermals mit seinem Stock aufzustampfen, aber dann beließ er es bei einem letzten, verächtlichen Blick und stapfte davon. Ein gut Teil der Neugierigen, die gekommen waren, um Leas Niederlage mit anzusehen, folgte ihm, aber etliche blieben auch; vielleicht die, die gekommen waren, um Zeuge von Sarns Niederlage zu werden. Seltsamerweise stimmte dieser Gedanke Arri nicht froh, obwohl er es eigentlich sollte.

»Es wird nicht funktionieren«, sagte Kron plötzlich; allerdings erst, nachdem der Schamane und seine Begleiter sich ein gutes Stück entfernt hatten, und auch dann so leise, dass niemand außer Arri, ihrer Mutter und dem Blinden die Worte hören konnte. Er klang auf eine Weise niedergeschlagen und zornig zugleich, die Arri bei einem Mann wie ihm niemals erwartet hätte.

Auch ihre Mutter wirkte überrascht. Sie sagte jedoch nichts, sondern musterte den einarmigen Jäger nur einen Moment lang abschätzend und drehte sich dann mit einer abrupten Bewegung zu dem knappen Dutzend Männer und Frauen um, die vor der Hütte zurückgeblieben waren.

»Es gibt hier nichts mehr zu sehen«, sagte sie scharf. »Ihr könnt gehen. Es sei denn, ihr wollt bleiben und Achk helfen, seine Hütte wieder herzurichten.«

Die Hälfte der Neugierigen entfernte sich sofort und die andere Hälfte, nachdem Lea sie nacheinander scharf angesehen hatte. Auch dann blickte sie ihnen noch einen Moment lang aufmerksam hinterher, bis sie sicher war, dass sie auch tatsächlich gingen, und wandte sich schließlich mit einem flüchtigen Lächeln wieder zu Kron um.

»Das wirkt immer. Du musst den Menschen nur sagen, dass du Freiwillige für eine unliebsame Arbeit suchst, und schon haben sie alle plötzlich etwas furchtbar Wichtiges zu tun.« Sie wurde übergangslos wieder ernst, und ihre Stimme gewann ebenso an Schärfe wie ihr Blick an Härte. »Ich will einen solchen Unsinn nicht noch einmal hören. Wenigstens nicht, solange Sarn oder einer der anderen in der Nähe ist.«

»Aber er hat Recht«, sagte Kron düster. »Ich kann das nicht. Ich werde es nie können.« Er streckte den Arm aus, nahm Lea den grifflosen Bronzedolch aus der Hand und drückte ihn dann in seiner gewaltigen Pranke zusammen, ohne sich dabei übermäßig anstrengen zu müssen. Lea zog erstaunt die Augenbrauen hoch.

»Die Legierung ist zu weich«, sagte sie.

»Zu weich?« Achks Hände tasteten mit erstaunlicher Zielsicherheit in Krons Richtung, wanderten wie dürre, knochenbeinige Spinnen an seinem Arm hinauf und rissen ihm den Dolch regelrecht aus den Fingern. »Zeig her!«

»Achk«, sagte Lea. »Das ist doch nicht weiter...«

»Sie hat Recht«, keifte Achk. »Es ist zu weich! Du hast zu viel Zinn in die Mischung getan! Du Dummkopf! Ich habe es dir hundertmal gesagt, aber du hast nicht zugehört! Die Legierung war falsch! Kannst du Dummkopf denn gar nichts richtig machen?«

Lea warf ihm einen scharfen Blick zu, den Achk natürlich nicht sehen konnte - und hätte er ihn gesehen, vermutete Arri, so wäre er ihm herzlich egal gewesen -, aber Krons Miene wurde noch mürrischer.

»Du tölpelhafter, grober Kerl!«, schimpfte er weiter. »Warum hast du nicht einfach getan, was ich dir aufgetragen habe?«

»Achk!«, sagte Lea scharf. »Das reicht jetzt!«

»Aber er hat doch Recht«, sagte Kron niedergeschlagen. »Ich kann das nicht. Ich bin Jäger, kein Schmied. Ich werde das nie lernen.«

»Willst du den Rest deines Lebens auf die Mildtätigkeit anderer angewiesen sein?«, fragte Lea. »Oder - schlimmer noch - in der Angst leben, dass die Ernte einmal nicht so reich ausfällt wie in diesem Jahr, die Jäger das Jagdglück verlässt und man so mit euch verfährt, wie das früher hier üblich war, und euch als Hungerleider mit Schimpf und Schande aus dem Dorf jagt?«

»Aber er hat Recht!«, sagte Kron noch einmal. »Wir haben es versucht, doch ich kann es nicht. Und ich werde es auch nie lernen. Solche Dinge sind nichts für mich. Ich kann Spuren lesen. Ich kann mich an einen Hirsch heranpirschen, ohne dass er mich bemerkt, und ich kann einen Eber in vollem Lauf mit dem Pfeil treffen...« Er brach ab, biss sich auf die Unterlippe und starrte mit leerem Blick auf seinen Armstumpf hinab, bevor er mit leiserer, zitternder Stimme fortfuhr: »... oder konnte es einmal. Das ist nichts für mich. Sarn hat Recht. Ich werde es nie lernen. Am Ende werden alle über mich lachen, und dann werden sie mich eines Tages sowieso aus dem Dorf jagen.«

Arri bemerkte aus den Augenwinkeln, wie ihre Mutter zu einer scharfen Entgegnung ansetzte - Geduld hatte niemals zu ihren Tugenden gehört -, aber sie kam ihr zuvor. »Du warst der beste Jäger, den dieser Stamm je hatte, nicht wahr?«, fragte sie.

Krons Blicke wurde noch mürrischer. »Du sagst es, Mädchen. Ich war es. Und dass ich nicht mehr jagen kann, ist nicht nur für mich schlimm, sondern für uns alle. Es bedeutet, dass das Dorf weniger frisches Fleisch auf den Tisch bekommen wird.«

»Du hast deinen Arm verloren, nicht dein Wissen«, antwortete Arri. »Du könntest es mir beibringen. Zeig mir alles, was du weißt. In ein paar Tagen kann ich sicher auf die Jagd gehen und ebenso erfolgreich sein wie du.«

Kron starrte sie fassungslos an. »Du weißt ja nicht, was du redest, du dummes Kind. In ein paar Tagen? Nicht einmal in einem Jahr könnte ich dich auch nur einen Bruchteil von dem lehren, was du wissen musst, um erfolgreich auf die Jagd zu gehen.«

»Und wieso glaubst du dann, du müsstest in wenigen Tagen alles verstehen, was Achk dir beibringen kann?«, fragte Lea sanft.

Kron starrte sie an, dann Arri und schließlich wieder sie. Dann schüttelte er erneut den Kopf. »Weibergewäsch. Sarn hat Recht. Ihr redet und redet, bis einem schon vom Zuhören der Kopf schwirrt und man euch am Ende alles verspricht, nur damit ihr Ruhe gebt!«

»Oh, so funktioniert das«, sagte Lea belustigt. »Warum hast du mir das nicht schon längst verraten?«

Kron blieb ernst. »Sarn hat Recht«, sagte er noch einmal. »Man kann euch nicht trauen. Ihr treibt ein grausames Spiel mit mir.«

Und damit wandte er sich um und ging mit hängenden Schultern davon.

»Wo geht er hin?«, krächzte Achk. Seine blinden Augen bewegten sich unruhig hin und her. »Was tut er? Wohin geht er?«

»Fort«, antwortete Lea. »Aber mach dir keine Sorgen. Er kommt zurück. Spätestens in zwei Tagen.«

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