Nynaeve und die anderen hörten entferntes Rufen, als sie sich den Gebäuden näherten, in denen die Damane wohnten. Die Menschenmenge auf der Straße nahm ständig zu, und über allem lag eine gewisse Unruhe. Die Leute schritten schneller als sonst voran, blickten mißtrauischer als üblich an Nynaeve mit ihrem durch Blitzabzeichen gekennzeichneten Kleid und an der Frau vorbei, die sie an der silbernen Leine hielt.
Elayne nahm nervös ihr Bündel in die andere Hand und blickte in Richtung der Quelle dieses Lärms, eine Straße weiter, wo der goldene Falke mit den Blitzen in den Klauen im Wind flatterte. »Was geschieht dort?«
»Hat nichts mit uns zu tun«, sagte Nynaeve mit fester Stimme.
»Das hoffst du jedenfalls«, fügte Min hinzu. »Ich auch.« Sie beschleunigte den Schritt, eilte vor den anderen her die Treppe hinauf und verschwand in dem großen Steingebäude.
Nynaeve nahm die Gefangene enger an die Leine. »Denk daran, Seta, es ist genauso in deinem Interesse, daß wir hier sicher wieder herauskommen, wie in meinem.«
»Das vergesse ich nicht«, sagte die Seanchan-Frau mit Nachdruck. Sie hielt das Kinn auf die Brust gesenkt, um ihr Gesicht zu verbergen. »Ich schwöre, ich werde Euch keine Schwierigkeiten machen.«
Als sie die grauen Steinstufen hinaufschritten, erschienen oben am Kopf der Treppe eine Sul'dam und eine Damane. Sie kamen ihnen entgegen. Nach einem kurzen Blick, um sicherzugehen, daß die Frau mit dem Halsband nicht Egwene war, sah Nynaeve die beiden nicht mehr an. Sie benützte den Adam, um Seta ganz nahe an ihrer Seite zu halten. Wenn die vorbeikommende Damane die Fähigkeit an einer von ihnen bemerkte, die Macht benutzen zu können, sollte sie denken, es handle sich um Seta. Sie spürte trotzdem, wie ihr der Schweiß den Rücken hinunterlief, doch dann merkte sie, daß die beiden ihnen nicht mehr Aufmerksamkeit schenkten als umgekehrt. Alles, was sie sahen, waren ein Kleid mit Blitzabzeichen und ein graues Kleid und die Tatsache, daß die Frauen, die sie trugen, durch die silberne Leine eines A'dam miteinander verbunden waren. Nur eine weitere Sul'dam mit einer Gekoppelten, und dahinter eilte ein Mädchen aus der Stadt her und trug der Sul'dam ein Bündel nach.
Nynaeve schob die Tür auf und trat ein.
Was sich auch unter Turaks Flagge Aufregendes ereignete, hier war es nicht zu spüren, noch nicht. Nur Frauen bewegten sich durch die Eingangshalle, und man erkannte sie leicht an ihrer Kleidung. Drei graugekleidete Damane mit Sul'dam. Zwei Frauen in Kleidern mit Blitzabzeichen unterhielten sich weiter hinten, und drei schritten allein durch den Raum. Vier, die wie Min in einfache dunkle Wollkleider gekleidet waren, eilten mit Tabletts dahin.
Min stand wartend hinten in der Eingangshalle, als sie eintraten. Sie blickte einmal kurz in ihre Richtung und ging dann weiter ins Haus hinein. Nynaeve führte Seta in einigem Abstand hinter Min her, und Elayne wuselte eifrig in ihrem Kielwasser einher. Keine warf ihnen auch nur einen zweiten Blick zu, soweit Nynaeve das beurteilen konnte, doch der Schweiß, der ihr Rückgrat hinunterrann, schien zum Strom zu werden. Sie ließ Seta schnell weiterschreiten, damit niemand sie genauer mustern oder ihr gar eine Frage stellen konnte. Seta ließ sich mit niedergeschlagenem Blick nicht lange drängen. Nynaeve nahm an, sie wäre am liebsten gerannt, wenn die Leine sie nicht zurückgehalten hätte.
Im hinteren Teil des Hauses nahm Min eine enge Wendeltreppe nach oben. Nynaeve schob Seta vor sich her, und sie stiegen ganz hinauf bis zum vierten Stock. Die Decken hier waren niedrig, und der Flur lag still und leer. Man hörte nur leises Weinen von irgendwoher. Weinen schien der gedrückten Stimmung in der Enge hier oben zu entsprechen.
»Hier oben...«, begann Elayne, doch dann schüttelte sie den Kopf. »Es ist ein Gefühl... «
»Ja, stimmt«, sagte Nynaeve grimmig. Sie funkelte Seta an, die ihren Blick aber nicht vom Boden hob. Die Haut der Seanchan-Frau war vor Angst noch blasser als zuvor.
Wortlos öffnete Min eine Tür und trat ein. Die anderen folgten ihr. Der Raum dahinter war durch rohe Holzverschläge in mehrere kleine Kabinen unterteilt worden. Ein enger Gang führte zu einem Fenster. Nynaeve drängte sich nach, als Min zur letzten Tür auf der rechten Seite eilte und sie öffnete.
Ein schlankes dunkelhaariges Mädchen in Grau saß an einem kleinen Tisch und hatte den Kopf vor sich auf den verschränkten Armen liegen. Noch ehe sie aufblickte, wußte Nynaeve, daß es Egwene war. Ein Band glitzernden Metalls zog sich von dem Silberhalsband, das Egwene trug, zu einem Armband, das an einem Haken an der Wand hing. Sie riß bei ihrem Anblick die Augen auf, und ihr Mund bewegte sich, ohne Worte hervorzubringen. Als Elayne die Tür schloß, kicherte Egwene plötzlich und drückte die Hand vor den Mund, um den Laut zu unterdrücken. Das winzige Zimmer war überfüllt.
»Ich weiß, daß ich nicht träume«, sagte sie mit bebender Stimme, »denn wenn ich träumte, kämen jetzt Rand und Galad auf stolzen Pferden hereingeritten. Ich habe geträumt. Ich glaubte, Rand sei hier. Ich konnte ihn nicht sehen, aber ich glaubte... « Ihre Stimme erstarb.
»Wenn du lieber auf ihn warten willst...«, sagte Min trocken.
»O nein. Nein, ihr seid alle wunderschön, das Schönste, was ich jemals gesehen habe. Woher seid ihr gekommen? Wie habt ihr das geschafft? Diese Kleid, Nynaeve, und der Adam, und wer ist...« Plötzlich quiekte sie erschreckt. »Das ist Seta! Wie...?« Ihre Stimme verhärtete sich so, daß Nynaeve sie kaum noch erkannte. »Ich würde sie gern in einen Kessel mit kochendem Wasser stecken.« Seta quetschte die Augen zu und verkrampfte die Hände im Rock. Sie zitterte.
»Was haben sie mit dir gemacht?« rief Elayne. »Was haben sie gemacht, daß du jemandem so etwas wünschst?«
Egwene wandte den Blick nicht von der Seanchan-Frau. »Ich möchte, daß sie es fühlt. Das hat sie mir angetan, hat mir das Gefühl aufgezwungen, ich stecke bis zum Hals in... « Sie schauderte. »Du weißt nicht, wie es ist, eins von diesen... Dingern... zu tragen, Elayne. Du weißt nicht, was sie dir damit antun können. Ich kann nicht entscheiden, welche schlimmer ist, Seta oder Renna, aber sie sind mir alle verhaßt.«
»Ich glaube, ich weiß, wie das ist«, sagte Nynaeve ruhig. Sie spürte den Schweiß auf Setas Haut und die kalten Schauder, die sie überliefen. Die blonde Seanchan hatte furchtbare Angst. Sie konnte sich gerade noch zurückhalten, Setas Ängste nicht auf der Stelle in Wirklichkeit zu verwandeln.
»Könnt ihr mir das abnehmen?« fragte Egwene. Sie berührte ihr Halsband. »Es muß doch möglich sein, nachdem ihr Seta das angelegt habt... «
Nynaeve lenkte wieder nur ein ganz klein wenig der Macht gezielt auf Egwenes Halsband. Allein die Tatsache, daß Egwene so etwas tragen mußte, machte sie bereits wütend genug, und dazu kamen Setas Angst, die deutlich bewies, daß sie eine Bestrafung verdient hatte, und ihr eigenes Verlangen, dieser Frau etwas anzutun. Das Halsband öffnete sich und fiel von Egwene ab. Staunend berührte Egwene ihren Hals.
»Zieh mein Kleid und meinen Mantel an«, befahl ihr Nynaeve. Elayne entfaltete bereits das Kleiderbündel auf dem Bett. »Wir verlassen das Haus, ohne daß dich jemand bemerkt.« Sie überlegte, ob sie den Kontakt mit Saidar halten sollte. Sie war wütend genug, und es war ein so schönes Gefühl. Doch zögernd unterbrach sie den Kontakt. Dies war wohl der einzige Ort in Falme, wo sich keine Sul'dam und keine Damane darum kümmern würden, wenn jemand die Macht benützte, aber es wäre trotzdem gefährlich, wenn sie das Glühen der Macht an einer Frau bemerkten, die sie für eine Sul'dam hielten. »Ich weiß gar nicht, warum du nicht längst weg bist. Allein hier oben kannst du doch das Ding einfach aufheben und wegrennen, selbst wenn du es nicht öffnen kannst.«
Während Min und Elayne ihr halfen, sich rasch umzuziehen und Nynaeves altes Kleid anzulegen, erklärte Egwene, daß es unmöglich sei, das Armband von dem Fleck zu entfernen, wo es die Sul'dam hingelegt oder —gehängt hatte und wie ihr schlecht wurde, wenn sie die Macht gebrauchte, obwohl keine Sul'dam das Armband trug. Erst an diesem Morgen hatte sie herausgefunden, wie man das Halsband ohne die Hilfe der Macht öffnen konnte, aber es nützte ihr nichts, denn das Berühren des Verschlusses mit der Absicht, ihn zu öffnen, verkrampfte ihre Hand zu einem nutzlosen Knoten. Sie konnte den Verschluß berühren, solange sie wollte, durfte dabei aber nicht daran denken, ihn zu öffnen; die leiseste Andeutung dieser Absicht, und...
Nynaeve war es auch schlecht. Das Armband an ihrem Unterarm machte sie krank. Es war einfach zu furchtbar. Sie wollte es loswerden, bevor sie noch mehr über den A'dam erfuhr, bevor ihr vielleicht etwas klar wurde und sie sich daraufhin für immer und ewig beschmutzt vorkäme.
Sie löste den silbernen Reif, nahm ihn ab und schloß ihn energisch wieder. Dann hängte sie ihn an einen Haken.
»Glaub nicht, daß du deshalb jetzt um Hilfe rufen kannst.« Sie hielt Seta die Faust unter die Nase. »Ich kann dir immer noch den Wunsch vermitteln, am liebsten niemals geboren zu sein, und dazu brauche ich dieses blutige... Ding... nicht.«
»Ihr... Ihr wollt mich doch nicht damit zurücklassen«, sagte Seta im Flüsterton. »Das könnt Ihr nicht. Fesselt mich. Knebelt mich, damit ich keinen Alarm auslösen kann. Bitte!«
Egwene lachte humorlos. »Laßt es ihr. Sie wird auch ohne Knebel nicht um Hilfe rufen. Du solltest besser hoffen, daß diejenige, die dich findet, den A'dam entfernt und dir dein kleines Geheimnis läßt, Seta. Dein schmutziges Geheimnis, nicht wahr?«
»Wovon sprichst du?« fragte Elayne.
»Ich habe lange darüber nachgedacht«, sagte Egwene. »Ich konnte ja sowieso nichts anderes tun, wenn sie mich hier oben allein — ließen. Die Sul'dam behaupten, sie entwickelten nach ein paar Jahren eine gewisse Fähigkeit. Die meisten von ihnen wissen, wenn eine Frau die Macht gebraucht, ob sie an sie gekoppelt sind oder nicht. Ich war mir nicht sicher, aber Seta ist der lebende Beweis.«
»Beweis wofür?« wollte Elayne wissen, und dann riß sie die Augen auf, als es ihr selbst klar wurde, doch Egwene fuhr fort: »Nynaeve, ein Adam funktioniert nur bei Frauen, die die Macht lenken können. Ist dir das nicht klar? Die Sul'dam können genauso die Macht gebrauchen wie die Damane.« Seta knirschte mit den Zähnen und schüttelte entschieden verneinend den Kopf. »Eine Sul'dam stürbe lieber, als das zuzugeben, wenn sie es überhaupt weiß, und da sie ihre Fähigkeiten nie ausbilden, können sie nicht viel damit anfangen. Doch sie können die Macht lenken!«
»Ich habe es dir doch gesagt«, meinte Min. »Dieses Halsband hätte bei ihr nicht wirken sollen.« Sie knöpfte Egwenes Kleid fertig zu. »Jede Frau, die die Macht nicht gebrauchen kann, hätte dich grün und blau geschlagen, während du dich noch abmühtest, sie damit zu beherrschen.«
»Wie kann das sein?« fragte Nynaeve. »Ich glaubte, die Seanchan legten jede Frau an die Leine, die das kann.«
»Alle, die sie aufspüren können«, antwortete Egwene. »Aber diejenigen, die sie finden, sind gewöhnlich Menschen wie du und ich und Elayne. Wir wurden mit diesen Fähigkeiten geboren und benützten sie, ob uns das jemand beibrachte oder nicht. Doch wie steht es mit den Seanchan-Mädchen, die nicht mit dieser Fähigkeit geboren wurden, es aber später lernen könnten? Nicht jede Frau kann eine Sul'dam werden. Renna glaubte, es sei lieb von ihr, mir davon zu erzählen. Offensichtlich ist es dort ein Festtag in jeder Gemeinde, wenn die Sul'dam kommen, um die Mädchen zu prüfen. Sie wollen natürlich solche wie dich und mich finden und an die Leine legen, aber alle anderen legen probeweise das Armband an, um festzustellen, ob sie fühlen, was die Frau mit dem Halsband empfindet. Die das können, werden weggebracht und zur Sul'dam ausgebildet. Das sind die Frauen, die eigentlich auch lernen können, mit der Macht umzugehen.«
Seta stöhnte leise: »Nein. Nein. Nein.« Das wiederholte sie ständig.
»Ich weiß, sie ist furchtbar«, sagte Elayne, »aber irgendwie habe ich das Gefühl, ich sollte ihr helfen. Sie könnte eine unserer Schwestern sein, doch die Seanchan haben alles schrecklich verdreht.«
Nynaeve öffnete den Mund und wollte ihr sagen, sie solle sich lieber Gedanken darüber machen, wie sie sich selbst helfen konnten, da öffnete sich die Tür.
»Was ist denn hier los?« wollte Renna wissen. Sie trat ein. »Eine Audienz?« Sie sah Nynaeve an und hatte dabei die Hände in die Hüften gestützt. »Ich habe niemandem anders die Erlaubnis erteilt, sich mit meiner zahmen Tuli zu koppeln. Ich weiß noch nicht einmal, wer Ihr... « Ihr Blick fiel auf Egwene, die Nynaeves Kleid trug statt des grauen Kleides einer Damane. Egwene ohne das Halsband: Renna riß völlig überrascht die Augen auf. Sie hatte nicht einmal die geringste Möglichkeit zu schreien.
Bevor sich noch jemand rühren konnte, schnappte sich Egwene den Waschkrug vom Tischchen und knallte ihn Renna in den Bauch. Der Krug zerbrach, und der Sul'dam blieb die Luft weg. Sie gurgelte und krümmte sich vor Schmerz. Als sie vornüberfiel, sprang Egwene fauchend auf sie zu, bis die ältere Frau platt am Boden lag, und legte ihr das Halsband um, das sie selbst vorher getragen hatte. Es hatte noch am Boden gelegen. Dann zerrte Egwene an der Silberleine, bis das Armband vom Haken fiel, und das legte sie um den eigenen Unterarm. Sie hatte die Zähne gefletscht und blickte Renna voll grimmiger Entschlossenheit an. Sie kniete auf den Schultern der Sul'dam und drückte ihr beide Hände auf den Mund. Renna wand sich in Todesangst. Ihre Augen quollen heraus; aus ihrer Kehle drang ein heiseres Krächzen. Egwenes Hände hielten alle Schreie zurück. Renna trommelte mit den Fersen auf den Boden.
»Hör auf, Egwene!« Nynaeve packte Egwene an den Schultern und zog sie von der anderen Frau weg. »Egwene, laß das! Das willst du doch gar nicht.« Renna lag mit grauem Gesicht am Boden, atmete schwer und starrte wild zur Decke.
Plötzlich warf sich Egwene in Nynaeves Arme und schluchzte herzerweichend an ihrer Brust. »Sie hat mich verletzt, Nynaeve. Sie hat mir so weh getan. Alle haben das getan. Sie verletzten mich und taten mir weh, bis ich tat, was sie wollten. Ich hasse sie. Ich hasse sie, weil sie mir Schmerzen zugefügt haben, und ich hasse sie, weil ich tun mußte, was sie wollten.«
»Ich weiß«, sagte Nynaeve sanft. Sie strich Egwene über das Haar. »Es ist in Ordnung, daß du sie haßt, Egwene. Jeder versteht das. Sie verdienen es. Aber du darfst deshalb nicht genauso werden, wie sie sind.«
Seta hatte die Hände vors Gesicht geschlagen. Renna berührte ungläubig das Halsband, das sie jetzt trug. Ihre Hand zitterte.
Egwene richtete sich auf und wischte sich schnell die Tränen ab. »Das bin ich nicht. Ich werde nie so werden wie die.« Sie riß das Armband beinahe ab und warf es zu Boden. »Ich werde nicht so. Aber ich könnte sie umbringen.«
»Sie verdienten es.« Min sah die beiden Sul'dam finster an.
»Rand brächte jemanden um, wenn er so etwas täte«, sagte Elayne. Sie riß sich sichtlich zusammen. »Bestimmt täte er das.«
»Vielleicht verdienen sie es«, sagte Nynaeve, »und vielleicht täte er es. Aber die Menschen verwechseln oft Rache und Töten mit Gerechtigkeit. Selten nur ertragen sie wirkliche Gerechtigkeit.« Sie hatte oft mit dem Frauenzirkel zusammen Recht sprechen müssen. Manchmal kamen Männer zu ihnen, die glaubten, bei Frauen eine bessere Möglichkeit zu haben als beim Gemeinderat, aber diese Männer wollten immer durch große Reden oder Flehen um Gnade erreichen, daß ihr Urteil günstig ausfiel. Der Frauenzirkel ließ Gnade walten, wo sie verdient schien, aber immer hatte die Gerechtigkeit Vorrang, und die Seherin verkündete das Urteil. Sie hob das von Egwene weggeworfene Armband auf und schloß es. »Wenn ich könnte, würde ich jede der Frauen hier befreien und alle diese Sul'dam vernichten. Aber da ich dazu nicht in der Lage bin... « Sie hängte das Armband an den gleichen Haken wie das andere und sagte dann zu den Sul'dam, die nun niemand mehr an der Leine führten:
»Wenn Ihr Euch sehr ruhig verhaltet, bleibt Ihr vielleicht lange genug unentdeckt, um die Halsbänder öffnen zu können. Das Rad webt, wie es will, und vielleicht habt Ihr genug Gutes ermöglicht, um das Schlechte aufzuwiegen, das Ihr angerichtet habt, so daß Euch das Rad gestattet, die Halsbänder abzulegen. Falls nicht, wird man Euch schließlich finden. Und ich glaube, wer immer Euch auch findet, wird Euch eine Menge Fragen stellen, bevor man die Halsbänder entfernt. Möglicherweise werdet Ihr auch aus erster Hand erleben, was Ihr allen jenen Frauen angetan habt. Das wäre gerecht«, fügte sie für die anderen hinzu.
Rennas Gesicht war vor Angst erstarrt. Setas Schultern zuckten, als sie in die vors Gesicht geschlagenen Hände schluchzte. Nynaeve verhärtete ihr Herz. Das ist Gerechtigkeit, sagte sie sich. Dann schob sie die anderen aus dem Zimmer.
Beim Hinausgehen erregten sie nicht mehr Aufsehen als bei ihrem Kommen. Nynaeve glaubte, das sei ihrem Sul'dam-Kleid zu verdanken, aber sie konnte es trotzdem kaum erwarten, sich endlich wieder umzuziehen. Gleichgültig, was sie zum Anziehen fände. Der schmutzigste Fetzen würde sich auf ihrer Haut noch besser anfühlen als dieses Kleid.
Die Mädchen waren sehr still und schritten ganz nahe hinter ihr her. Sie wußte nicht, ob das Schweigen darauf zurückzuführen war, was sie getan hatte, oder auf die Angst, von jemandem aufgehalten zu werden. Sie blickte finster drein. Hätten sie sich wohler gefühlt, wenn sie es zugelassen hätte, daß sie aus Wut den Frauen die Kehlen durchgeschnitten hätten? Dann traten sie wieder auf die Straße hinaus. »Pferde«, sagte Egwene. »Wir brauchen Pferde. Ich weiß, in welchen Stall sie Bela gesteckt haben, aber ich glaube nicht, daß wir sie dort herausholen können.«
»Wir müssen Bela hierlassen«, sagte Nynaeve zu ihr. »Wir fahren mit dem Schiff.«
»Wo sind alle Leute?« fragte Min, und plötzlich bemerkte auch Nynaeve, daß die Straßen leer waren.
Die Menschenmengen waren verschwunden; es war überhaupt kein Lebenszeichen mehr zu entdecken. Jeder Laden und jedes Fenster an der Straße waren verrammelt. Die Straße vom Hafen herauf marschierte eine Hundertschaft Seanchan-Soldaten in geordneten Reihen. An ihrer Spitze schritt ein Offizier in buntbemalter Rüstung. Sie befanden sich noch recht weit von den Frauen entfernt, aber sie marschierten mit grimmigentschlossenen Schritten, und Nynaeve schien es, als seien alle Augen nur auf sie gerichtet. Das ist doch lächerlich. Ich kann ihre Augen in den Helmen gar nicht erkennen, und falls jemand Alarm gegeben hat, dann doch hinter uns! Trotzdem blieb sie stehen.
»Hinter uns kommen noch mehr«, sagte Min leise. Auch Nynaeve vernahm nun das Trampeln ihrer Stiefel. »Ich weiß nicht, welche uns eher erreichen werden.«
Nynaeve holte tief Luft. »Die haben mit uns nichts zu tun.« Sie blickte an den sich nähernden Soldaten vorbei zum Hafen hinunter, in dem die schachtelförmigen großen Schiffe der Seanchan lagen. Sie sah die Gischt von hier aus nicht, aber sie stieß im Inneren ein Stoßgebet aus, daß sie noch dort liegen möge. »Wir gehen einfach an ihnen vorbei.« Licht, hoffentlich geht das gut.
»Was tun wir, wenn sie verlangen, daß wir mit ihnen gehen, Nynaeve?« fragte Elayne. »Du trägst dieses Kleid. Falls sie Fragen stellen... «
»Ich kehre nicht zurück«, sagte Egwene grimmig entschlossen. »Ich sterbe lieber. Ich werde ihnen schon zeigen, was sie mir beigebracht haben.« Nynaeve schien es, als bilde sich um Egwene herum eine goldene Aura.
»Nein!« sagte sie, aber es war zu spät.
Unter einem donnerähnlichen Grollen bäumte sich die Straße auf und explodierte. Erdbrocken, Pflastersteine und gerüstete Soldaten wurde beiseite geschleudert.
Immer noch von diesem Glühen umgeben, fuhr Egwene herum und blickte die Straße hinauf. Donner und Explosion wiederholten sich. Erdbrocken und Steinchen regneten auf die Frauen herab. Schreiende Soldaten brachten sich mehr oder weniger geordnet in Seitenstraßen und Gassen und unter Vorbauten in Sicherheit. Augenblicke später sah man keinen mehr, außer denjenigen, die um die zwei großen Krater in der Straße herum verstreut dalagen. Einige davon rührten sich schwach, und ihr Stöhnen war bis zu den Frauen herüber zu hören.
Nynaeve hob abwehrend die Hände und bemühte sich, in beide Richtungen gleichzeitig zu blicken. »Du Närrin! Wir wollen keine Aufmerksamkeit erregen!« Das nützte jetzt natürlich nichts mehr. Sie hoffte nur, daß sie an den Soldaten vorbei durch die Gassen den Hafen erreichen konnten. Die Damane wissen jetzt bestimmt auch Bescheid. Das können sie nicht überhört haben.
»Ich gehe nicht zurück und trage dieses Halsband«, sagte Egwene wildentschlossen. »Niemals!«
»Paß auf!« schrie Min.
Unter schrillem Heulen erhob sich ein pferdegroßer Feuerball über den Dächern und fiel herab. Geradewegs auf sie zu.
»Rennt!« rief Nynaeve, warf sich in die nächste Gasse und landete zwischen zwei dicht verrammelten Läden.
Als sie auf dem Bauch landete, blieb ihr erst einmal die Luft weg. Dann schlug der Feuerball ein. Heißer Wind fegte über sie hinweg durch die Gasse. Sie schnappte nach Luft, rollte sich herum und blickte auf die Straße hinaus.
Die Pflastersteine an der Stelle, wo sie gestanden hatten, waren auf mindestens zehn Schritt im Umkreis gesprungen und geschwärzt. Elayne kauerte in einer Gasse gegenüber. Von Min und Egwene war nichts zu sehen. Nynaeve schlug vor Schreck die Hand vor den Mund.
Elayne glaubte zu verstehen. Die Tochter-Erbin schüttelte heftig den Kopf und deutete die Straße hinunter. Sie waren dorthin gelaufen.
Nynaeve atmete erleichtert auf. Im nächsten Moment jedoch stieg der Zorn in ihr hoch. Diese Närrin! Wir hätten einfach an ihnen vorbeigehen können! Aber für Reue war jetzt keine Zeit. Sie eilte gebückt vor zur Ecke und spähte vorsichtig hinaus. Ein kopfgroßer Feuerball schoß die Straße herunter auf sie zu. Sie sprang zurück. Er explodierte genau an der Stelle, wo sich ihr Kopf befunden hatte. Ein Regen von abgesplitterten Steinchen ergoß sich über sie.
Der Zorn ließ die Eine Macht in ihr Inneres, und sie erfüllte sie, bevor sie es merkte. Ein Blitz zuckte aus dem Himmel herab und schlug krachend weiter oben an der Straße ein, ungefähr dort, woher der Feuerball gekommen war. Ein weiterer Blitzschlag spaltete den Himmel, und dann rannte sie die Gasse hinunter. Hinter ihr hob der Blitz die Konturen der Häuser am Eingang der Gasse deutlich hervor.
Wenn Domon nicht mit seinem Schiff wartet, dann... Licht, hoffentlich schaffen wir es alle.
Bayle Domon fuhr kerzengerade hoch, als ein Blitz über den schiefergrauen Himmel zuckte und irgendwo in der Stadt einschlug. Dann noch einmal. Es nicht geben genug Wolken dafür! Etwas grollte laut oben in der Stadt, und ein Feuerball schlug in einem Dach beim Hafen ein. In weitem Bogen wurden Dachziegel umhergeschleudert. Die Hafenanlagen waren schon seit einer Weile menschenleer. Nur ein paar Seanchan standen herum, und die rannten nun und hatten die Schwerter gezogen und schrien wild durcheinander. Aus einem Lagerhaus kam ein Mann mit einem Grolm heraus. Er mußte gewaltig rennen, um mit den langen Sprüngen der Bestie mithalten zu können. Sie verschwanden in einer der Straßen, die vom Hafen aufwärtsführten.
Einer von Domons Männern griff nach einer Axt und schwang sie über einem Haltetau hoch.
Mit zwei Schritten war Domon bei ihm und packte mit der einen Hand die erhobene Axt und mit der anderen die Kehle des Mannes. »Die Gischt segeln erst, wenn ich sagen, sie segelt, Aedwin Cole!«
»Jetzt schnappen sie endgültig über, Kapitän!« schrie Yarin. Eine Explosion sandte Echos über den Hafen hinweg. Die Möwen flogen kreischend auf, und wieder blitzte es, und der Blitz schlug in Falme ein. »Die Damane werden uns alle töten! Brechen wir auf, während sie sich noch gegenseitig umbringen. Sie werden uns gar nicht bemerken, bis wir längst weg sind!«
»Ich haben gegeben mein Wort«, sagte Domon. Er riß Cole die Axt aus der Hand und warf sie auf das Deck. »Ich wirklich haben gegeben mein Wort.« Machen schnell, Frau, dachte er, Aes Sedai oder was du sein. Schnell!
Geofram Bornhald beobachtete die Blitze, die nach Falme hineinzuckten und wandte seine Aufmerksamkeit wieder anderen Dingen zu. Ein riesiges fliegendes Geschöpf, zweifellos eines der Monster der Seanchan, wand sich in der Luft wild umher, um den Blitzen zu entgehen. Falls da ein Gewitter tobte, würde es die Seanchan genauso behindern wie ihn. Nahezu kahle Hügel mit wenig Unterholz verbargen die Stadt noch vor ihm.
Seine tausend Männer waren auf beiden Seiten ausgeschwärmt: eine lange Reihe von Reitern, die sich durch die Senken zwischen den Hügeln vorwärtsschob. Der kalte Wind spielte mit ihren weißen Umhängen und ließ die Flagge an Bornhalds Seite flattern, die Flagge mit der strahlenden goldenen Sonne der Kinder des Lichts.
»Geh nun, Byar!« befahl er. Der Mann mit dem hageren Gesicht zögerte, und Bornhald sagte in schärferem Ton: »Ich sagte, geh, Kind Byar!«
Byar berührte mit der Hand die Herzgegend und verbeugte sich. »Wie Ihr befehlt, Lordhauptmann.« Er wandte sein Pferd. Seine gesamte Gestalt drückte Zögern aus.
Bornhald verbannte Byar aus seinem Gehirn. Er hatte in dieser Hinsicht alles getan, was möglich war. Er erhob die Stimme: »Die Legion wird im Schritt vorrücken!«
Mit leise quietschenden Sätteln rückte die lange Reihe weißgekleideter Männer langsam in Richtung Falme vor.
Rand blickte vorsichtig um die Ecke zu den heranmarschierenden Seanchan hinüber. Dann schlich er gebückt zurück in die enge Gasse zwischen zwei Ställen. Er verzog das Gesicht. Bald würden sie hier ankommen. Auf seiner Wange klebte verkrustetes Blut. Die Schnittwunden brannten, die er im Kampf gegen Turak davongetragen hatte, aber er konnte im Moment nichts dagegen tun. Wieder durchzuckte ein Blitz den Himmel. Er fühlte die Erschütterung des begleitenden Donnerschlags durch die Stiefel hindurch. Was im Namen des Lichts geschieht da? »Kommen sie?« fragte Ingtar. »Rand, das Horn von Valere muß unbedingt gerettet werden.« Trotz der Seanchan, der Blitze und Explosionen unten in der Stadt schien er in seinen eigenen Gedanken gefangen. Mat, Perrin und Hurin befanden sich am anderen Ende der Gasse und hielten Ausschau nach einer weiteren Patrouille der Seanchan. Der Ort, an dem sie die Pferde zurückgelassen hatten, lag ganz in der Nähe. Wenn sie sie nur erreichen könnten!
»Sie ist in Schwierigkeiten«, murmelte Rand. Egwene. Er hatte so ein eigenartiges Gefühl im Kopf, als seien Teile seines Lebens in Gefahr. Egwene war ein Teil davon, ein Faden in der Schnur seines Lebens, aber da waren auch noch andere, und er fühlte, daß auch sie sich in Gefahr befanden. Hier in Falme. Falls auch nur einer dieser Fäden riß, würde sein Leben niemals mehr vollständig sein, erfüllt, so wie es ihm vorbestimmt war. Er verstand es zwar nicht, aber das Gefühl war eindeutig und klar.
»Hier kann ein einzelner Mann fünfzig Soldaten aufhalten«, sagte Ingtar. Die beiden Ställe waren sich so nahe, daß kaum noch Platz für sie beide blieb, nebeneinander zu stehen. »Ein Mann, der in einer engen Gasse fünfzig Gegner aufhält. Keine schlechte Art zu sterben. Es wurden schon für weit weniger Lieder gedichtet.«
»Das wird nicht nötig sein«, sagte Rand. »Ich hoffe es wenigstens.« Ein Dach unten in der Stadt explodierte. Wie komme ich wieder dort hinein? Ich muß zu ihr. Zu ihnen? Er schüttelte den Kopf und spähte erneut um die Ecke. Die Seanchan kamen näher.
»Ich wußte nicht, was er tun würde«, sagte Ingtar leise, mehr zu sich selbst. Er hatte sein Schwert gezogen und überprüfte mit dem Daumen die Schärfe. »Ein blasser kleiner Mann, den man kaum bemerkte, selbst wenn man ihn direkt anschaute. Bring ihn nach Fal Dara, sagte man mir, in die Festung! Ich wollte nicht, aber ich mußte. Versteht Ihr das? Ich mußte. Ich wußte nicht, was er vorhatte, bis er diesen Pfeil abschoß. Ich weiß immer noch nicht, ob er auf die Amyrlin zielte oder auf Euch.«
Rand überlief es kalt. Er sah Ingtar an. »Was sagt Ihr da?« flüsterte er.
Ingtar schien so mit seinem Schwert beschäftigt, daß er es nicht hörte. »Überall wird die Menschheit weggeschwemmt. Nationen gehen unter und verschwinden. Überall sind Schattenfreunde, und keiner von diesen Südländern scheint es zu bemerken oder sich darum zu kümmern. Wir kämpfen um den Erhalt der Grenzlande, um ihre Sicherheit, und trotz alledem breitet sich Jahr um Jahr die Fäule weiter aus. Und diese Südländer halten Trollocs für eine Sage und Myrddraal für Ungeheuer aus den Geschichten der Gaukler.« Er zog die Augenbrauen hoch und schüttelte den Kopf. »Es schien nur einen Weg zu geben. Wir ließen uns für nichts und wieder nichts vernichten. Wir verteidigten Menschen, die nicht einmal von uns wußten und denen wir gleichgültig waren. Es schien so logisch. Warum sollten wir uns für sie töten lassen, wenn wir unseren Frieden haben konnten? Besser der Schatten, glaubte ich, als sinnloser Untergang, so wie Carallain oder Hardan oder... Es erschien damals alles so logisch.«
Rand packte Ingtar an den Aufschlägen seines Mantels. »Ihr sprecht in Rätseln.« Das kann er doch nicht ernst meinen. Niemals! »Sprecht deutlich aus, was Ihr sagen wollt! Das ist doch alles nur Unsinn!«
Zum erstenmal sah Ingtar Rand in die Augen. Seine Augen glitzerten feucht. »Ihr seid ein besserer Mann als ich. Schafhirte oder Lord — ein besserer Mann. Die Prophezeiung sagt: ›Laß den, der mich erklingen läßt, nicht an Ruhm denken, sondern an die Rettung.‹ Ich dachte nur an meine Rettung. Ich würde das Horn blasen und die Helden der vergangenen Zeitalter gen Shayol Ghul führen. Das würde sicher ausreichen, um mich zu retten. Kein Mann kann so lange im Schatten wandeln, daß kein Weg mehr zurück ins Licht führt. So sagt man doch. Das hätte mich von dem reingewaschen, was ich war und getan habe.«
»O Licht, Ingtar!« Rand ließ den Mann los und sackte schlaff an die Stallwand. »Ich glaube... ich glaube, es genügt, wenn man es nur will. Ich glaube, Ihr müßt einfach aufhören... einer von ihnen zu sein.« Ingtar zuckte zusammen, als habe Rand das Wort ausgesprochen: Schattenfreund.
»Rand, als Verin uns durch den Portalstein hierherbrachte, habe ich — andere Leben gelebt. Manchmal bekam ich das Horn, doch ich blies es niemals. Ich versuchte, dem zu entkommen, was aus mir wird, doch niemals entkam ich. Immer wurde etwas anderes von mir verlangt, immer etwas Schlimmeres als zuvor, bis ich... Ihr wart bereit, darauf zu verzichten, um einen Freund zu retten. Denkt nicht an den Ruhm. O Licht, hilf mir!«
Rand wußte nicht, was er sagen sollte. Es war, als hätte ihm Egwene erklärt, sie habe Kinder ermordet. Zu schrecklich, um es zu glauben. Zu schrecklich, als daß jemand so etwas zugäbe, wenn er es nicht war. Zu schrecklich.
Nach einer Weile sprach Ingtar weiter, diesmal mit festerer Stimme: »Es muß ein Preis dafür bezahlt werden, Rand. Es muß immer für alles bezahlt werden. Vielleicht kann ich ihn hier bezahlen.«
»Ingtar, ich... «
»Rand, es ist das Recht jeden Mannes, den Tod durch das Schwert zu erwählen, wann er will. Selbst einer wie ich hat dieses Recht.«
Bevor Rand etwas entgegnen konnte, kam Hurin die Gasse heruntergerannt. »Die Patrouille ist abmarschiert«, schnaufte er, »hinunter in die Stadt. Sie scheinen sich dort unten zu sammeln. Mat und Perrin sind weitergegangen.« Er blickte kurz die Straße hinunter und zog den Kopf wieder zurück. »Wir sollten auch schnell schauen, daß wir weiterkommen, Lord Ingtar, Lord Rand. Diese insektenköpfigen Seanchan werden gleich da sein.«
»Geht, Rand!« sagte Ingtar. Rand atmete tief durch. »Das Licht leuchte Euch, Lord Ingtar aus dem Hause Schinowa, und helfe Euch, in der Hand des Schöpfers Schutz zu finden.« Er berührte Ingtars Schulter. »Die letzte Umarmung der Mutter wird Euch willkommen heißen.« Hurin schnappte nach Luft.
»Ich danke Euch«, sagte Ingtar leise. Alle Anspannung schien aus ihm gewichen. Zum erstenmal seit der Nacht des Trollocüberfalls auf Fal Dara stand er so da, wie ihn Rand in Erinnerung hatte: stolz, selbstbewußt und entspannt. Zufrieden.
Rand drehte sich um und bemerkte, daß Hurin ihn ansah, sie beide ansah. »Es ist Zeit, zu gehen.«
»Aber Lord Ingtar... «
»... tut, was er tun muß«, sagte Rand in scharfem Ton. »Doch wir gehen.« Hurin nickte, und Rand schritt hinterher. Rand hörte nun den stetigen Tritt der Stiefel der Seanchan-Soldaten. Er drehte sich nicht um.