3 Neues von der Ebene

Ein Teil des Risses war in Dunkelheit gehüllt, denn an einer Stelle hatten die Erschütterungen hoch oben einen Teil der Felswand gelöst, und er hatte sich zwischen den beiden Steilwänden verklemmt. Er blickte mißtrauisch nach oben in die Schwärze hinein, doch die Steinplatte schien ganz festgeklemmt zu sein. Das Jucken in seinem Hinterkopf war wieder da, aber stärker als zuvor. Nein, seng mich! Nein! Es verging wieder.

Als er über dem Lager heraustrat, war die Mulde von eigenartigen Schattengebilden bedeckt, die von der untergehenden Sonne geworfen wurden. Moiraine stand vor ihrer Hütte und blickte zu dem Riß hinauf. Er blieb abrupt stehen. Sie war eine schlanke, dunkelhaarige Frau, die ihm kaum bis zur Schulter reichte, und sie war hübsch auf diese alterslose Weise aller Aes Sedai, die lange Zeit über mit der Macht gearbeitet hatten. Er hätte nicht sagen können, wie alt sie sei, denn ihre Gesichtshaut war zu straff, um sehr alt zu sein, und ihre dunklen Augen blickten zu weise drein für eine junge Frau. Ihr tief dunkelblaues Seidenkleid war verrutscht und staubbedeckt, und aus ihrem normalerweise wohlgeordneten Haar standen einzelne Strähnen hervor. Auf ihrem Gesicht bemerkte er einen Hauch von Staub.

Er senkte den Blick. Sie wußte alles über ihn — von allen im Lager wußten nur sie und Lan Bescheid —, und ihm gefiel das Wissen in ihrem Blick nicht, wenn sie ihm in die Augen sah. In seine gelben Augen. Eines Tages würde er es vielleicht fertigbringen, sie zu fragen, was sie alles wußte. Die Aes Sedai wußte sicher einiges mehr als er selbst. Aber dies war nicht der richtige Zeitpunkt. Irgendwie schien nie Zeit dafür zu sein. »Er... er wollte es nicht. Es war ein... Unfall.«

»Ein Unfall, so«, sagte sie mit ausdrucksloser Stimme. Dann schüttelte sie den Kopf und verschwand wieder in der Hütte. Die Tür schlug ein wenig lauter als üblich zu.

Perrin atmete tief durch und ging weiter hinunter zu den Lagerfeuern. Am Morgen, wenn nicht schon während der Nacht, würde es wieder Krach zwischen Rand und der Aes Sedai geben. An den Hängen der Mulde lagen ein halbes Dutzend umgestürzte Bäume, deren Wurzeln mitsamt der an ihnen festhängenden Erde aus dem Boden gerissen worden waren. Eine Schleifspur führte hinunter zum Bach und einem Felsblock, der sich vorher nicht dort befunden hatte. Eine der Hütten am gegenüberliegenden Hang war im Beben eingestürzt, und dort befanden sich die meisten der Schienarer. Sie bauten sie wieder auf. Der Ogier war in der Lage, einen Baumstamm aufzuheben, den vier Männer kaum tragen konnten. Gelegentlich hörte man von oben einen Fluch Unos.

Min stand an einem der Feuer und rührte mit aufgebrachter Miene in einem Topf herum. Auf ihrer Wange war ein kleiner Kratzer zu sehen, und in der Luft hing der schwache Geruch nach angebranntem Eintopf. »Ich hasse Kochen«, verkündete sie und spähte mit zweifelndem Blick in den Topf. »Wenn etwas damit nicht stimmt, dann ist es nicht meine Schuld. Rand hat die Hälfte davon über das Feuer gekippt mit seinem... Mit welchem Recht wirft er uns wie die Getreidesäcke durch die Gegend?« Sie rieb sich über die Sitzfläche und verzog das Gesicht vor Schmerz. »Wenn ich ihn in die Finger kriege, dann brate ich ihm eins über, daß ihm Hören und Sehen vergeht.« Sie schwenkte den Holzlöffel in Richtung Perrins, als wolle sie gleich mit ihm beginnen. »Wurde jemand verletzt?«

»Nur, wenn du Schrammen als Verletzungen betrachtest«, sagte Min zornig. »Natürlich waren alle zuerst ganz schön aufgeregt. Dann sahen sie, wie Moiraine hoch zu Rands Unterschlupf ging, und da waren sie sicher, daß er es angerichtet hatte. Wenn der Drache den Berg über unseren Köpfen zusammenbrechen lassen will, dann muß der Drache einen guten Grund dafür haben. Falls er sich entschließt, ihnen die Haut abzuziehen, und sie dann tanzen läßt, würden sie es auch in Ordnung finden.« Sie schnaubte und klopfte mit dem Löffel an die Kante des Topfes.

Er sah hoch zu Moiraines Hütte. Falls Leya verletzt oder gar getötet worden wäre, wäre die Aes Sedai nicht einfach wieder hineingegangen. Das Gefühl, abwarten zu müssen, war immer noch da. Was es auch sei, es ist jedenfalls noch nicht geschehen. »Min, vielleicht solltest du weggehen. Als erstes gleich am Morgen. Ich habe ein wenig Silber, das ich dir geben kann, und ich bin sicher, Moiraine würde dir genug geben, daß du die Fahrt auf einem Händlerwagen aus Ghealdan heraus bezahlen kannst. Du könntest im Nu wieder in Baerlon sein.«

Sie sah ihn so lange an, bis er sich schon fragte, ob er etwas Falsches gesagt habe. Schließlich antwortete sie: »Das ist sehr nett von dir, Perrin. Aber — nein, danke.«

»Ich dachte, du wolltest weg. Du beklagst dich doch immer so darüber, daß wir hier herumhocken.«

»Ich kannte einst eine alte Frau aus Illian«, sagte sie bedächtig. »Als sie jung war, arrangierte ihre Mutter für sie eine Heirat mit einem Mann, den sie noch nie gesehen hatte. Das machen sie unten in Illian manchmal. Sie sagte, sie habe die ersten fünf Jahre damit verbracht, sich gegen ihn aufzulehnen, und die nächsten fünf damit, zu planen, wie sie ihm das Leben schwer machen könne. Erst Jahre später, als er starb, wurde ihr klar, daß er in Wirklichkeit die große Liebe ihres Lebens gewesen war.«

»Ich weiß nicht, was das mit dem allen hier zu tun haben soll.«

Ihr Blick sagte aus, daß er sie offensichtlich nicht verstehen wolle, und ihre stimme klang nun aufreizend geduldig. »Nur, weil das Schicksal etwas für dich bestimmt hat und nicht du selbst, muß es nicht schlecht sein. Auch wenn es etwas ist, von dem du weißt, daß du es niemals von selbst angestrebt hättest. ›Besser zehn Tage Liebe als Jahre voller Reue‹«, zitierte sie.

»Das verstehe ich noch weniger«, sagte er. »Du mußt doch nicht bleiben, wenn du nicht willst.«

Sie hängte den Löffel an eine Astgabel, die in den Boden gesteckt worden war, und überraschte ihn damit, daß sie sich neben ihm auf die Zehenspitzen stellte und ihm einen Kuß auf die Wange gab. »Du bist ein sehr netter Mann, Perrin Aybara. Auch wenn du überhaupt nichts verstehst.«

Perrin blinzelte sie unsicher an. Er wünschte sich einen Rand bei vollem Verstand oder wenigstens Mat herbei. Er kannte sich bei Mädchen einfach nicht aus, aber Rand schien sich da sehr sicher zu sein. Genau wie Mat. Die meisten Mädchen zu Hause in Emondsfeld hatten gejammert, Mat werde nie erwachsen, aber er schien ganz gut mit ihnen klarzukommen.

»Wie steht es mit dir, Perrin? Möchtest du nicht nach Hause kommen?«

»Die ganze Zeit über will ich das«, sagte er leidenschaftlich. »Aber... ich glaube nicht, daß ich kann. Noch nicht.« Er blickte hinauf zu Rands Tal. Es scheint, wir sind aneinander gebunden, nicht wahr, Rand? »Vielleicht nie.« Er glaubte, das zu leise für ihre Ohren gesagt zu haben, aber ihr Blick war voller Sympathie. Und Zustimmung.

Er hörte hinter sich leise Schritte und blickte noch einmal hoch zu Moiraines Hütte. Zwei Gestalten schritten durch die sich vertiefende Dämmerung. Eine war eine schlanke Frau, die selbst beim Marsch über diesen geneigten, unebenen Boden noch graziös wirkte. Der Mann, der seine Begleiterin an Größe weit überragte, bog ab und ging hinüber zu den arbeitenden Schienarern. Selbst für Perrins scharfe Augen war er nur undeutlich zu sehen. Manchmal schien er ganz zu verschwinden und dann mit einem Mal wieder aufzutauchen, dann verschwammen Teile seiner Gestalt mit der Nacht dahinter und traten wiederum klarer hervor, wenn der Wind auffrischte. Das konnte nur der Umhang eines Behüters fertigbringen. Also mußte die größere Gestalt die Lans sein, und die kleinere war ganz sicher die Moiraines.

Ein ganzes Stück hinter ihnen schlüpfte eine noch verschwommenere Gestalt zwischen die Bäume. Rand, dachte Perrin. Er geht zu seiner Hütte zurück. Wieder ein Abend, an dem er nichts ißt, weil er es nicht ertragen kann, wie ihn alle ansehen. »Du mußt hinten auch Augen haben«, sagte Min und runzelte die Stirn mit einer Kopfbewegung in Richtung der sich nähernden Frau. »Oder das beste Gehör, das ich jemals erlebt habe. Ist das Moiraine?«

Unvorsichtig. Er hatte sich so daran gewöhnt, daß die Schienarer wußten, wie gut er zumindest bei Tageslicht sehen konnte — sie wußten nicht, daß er auch bei Nacht gut sah —, daß er in bezug auf andere Dinge unvorsichtig geworden war. Diese Unvorsichtigkeit kann mich noch ins Grab bringen.

»Geht es der Tuatha'an-Frau gut?« fragte Min, als Moiraine zum Feuer kam.

»Sie ruht sich aus.« Die leise Stimme der Aes Sedai klang melodiös wie immer, als sei das Sprechen eine Vorstufe des Singens, und ihr Haar und die Kleider hatte sie wieder in Ordnung gebracht. Sie rieb sich die Hände über dem Feuer. An ihrer linken Hand glänzte ein goldener Ring in Form einer Schlange, die sich in den eigenen Schwanz biß. Die Große Schlange, ein noch älteres Symbol der Ewigkeit als selbst das Rad der Zeit. Jede in Tar Valon ausgebildete Frau trug einen solchen Ring.

Einen Augenblick Sang ruhte Moiraines Blick auf Perrin und schien ihm etwas zu durchdringend. »Sie stürzte und hat sich die Kopfhaut aufgerissen, als Rand... « Ihre Mundpartie straffte sich, doch im nächsten Moment waren ihre Züge wieder ganz ruhig. »Ich habe sie geheilt, und nun schläft sie. Bei einer Kopfwunde gibt es immer eine Menge Blut, aber es war nichts Ernstes. Hast du bei ihr irgend etwas gesehen, Min?«

Min blickte unsicher drein. »Ich sah... ich sah etwas, das ich für ihren Tod hielt. Ihr Gesicht, und total blutüberströmt. Ich war sicher, was es bedeuten mußte, aber wenn sie sich die Kopfhaut aufgerissen hat... Seid Ihr wirklich sicher, daß es ihr gutgeht?« Es war ein Zeichen für ihre Unsicherheit, daß sie nachfragte. Eine Aes Sedai heilte nicht jemand und ließ dann etwas ungeheilt zurück, was sie mit ihren Kräften behandeln konnte. Und auf diesem Gebiet besaß Moiraine besonders großes Talent.

Min klang so besorgt, daß Perrin einen Augenblick lang wirklich überrascht war. Dann nickte er in sich hinein. Es gefiel ihr selbst nicht, was sie tat, doch es war ein Teil von ihr, und sie glaubte zu wissen, wie es funktionierte, zumindest teilweise. Wenn sie sich irrte, war das beinahe so, als fände sie heraus, daß sie ihre eigenen Hände nicht mehr benutzen konnte.

Moiraine überlegte kurz. Sie wirkte dabei würdevoll und leidenschaftslos. »Du hast dich noch niemals geirrt, wenn du mir etwas voraussagtest, jedenfalls nach meinem besten Wissen. Vielleicht ist dies das erste Mal.«

»Wenn ich etwas weiß, weiß ich es«, flüsterte Min starrköpfig. »Licht, hilf mir, aber es ist wirklich so.«

»Oder vielleicht kommt es noch? Sie hat noch eine lange Reise vor sich, bis sie zu ihren Wagen zurückkehrt, und sie muß durch unbesiedeltes Land reiten.«

Die Stimme der Aes Sedai klang unbeteiligt, wie ein kühles Lied. Perrin gab unfreiwillig einen undefinierbaren Ton von sich. Licht, hat es bei mir auch so geklungen? Ich will nicht, daß ein Tod für mich eine solch geringe Rolle spielt. Als habe er das laut ausgesprochen, sah ihn Moiraine prompt an. »Das Rad webt, wie es will, Perrin. Ich habe dir vor langer Zeit gesagt, daß wir uns in einem Krieg befinden. Wir können nicht aufgeben, nur weil einige von uns möglicherweise sterben werden. Jeden von uns könnte der Tod ereilen, bevor es vollbracht ist. Leyas Waffen sind vielleicht nicht deine, aber das war ihr klar, als sie den Kampf aufnahm.«

Perrin senkte den Blick. Das ist alles schön und gut, Aes Sedai, aber ich werde es niemals so ruhig hinnehmen wie du. Lan kam mit Uno und Loial herüber und setzte sich ihnen gegenüber ans Feuer. Die Flammen warfen flackernde Schatten auf das Gesicht des Behüters. So schien es noch mehr als sonst aus Stein gehauen, kantig und eckig. Auch im Feuerschein fiel es nicht leicht, seinen Umhang anzusehen. Manchmal schien es einfach ein dunkelgrauer oder schwarzer und ganz normaler Umhang zu sein, sah man aber genauer hin, dann begann das Grau und Schwarz zu verschwimmen und sich zu verändern. Schatten glitten darüber und drangen hinein. Und dann manchmal wieder wirkte es, als sei Lan ein Loch in der Nacht und ziehe die Dunkelheit um seine Schultern zusammen. Also wirklich nicht leicht, das zu beobachten, und der Mann, der den Umhang trug, machte es niemandem leichter.

Lan war hochgewachsen, breitschultrig und wirkte hart. Er hatte Augen, so blau wie ein zugefrorener Bergsee. Er bewegte sich mit einer tödlichen Eleganz, die das Schwert an seiner Seite wie einen Teil seines Körpers wirken ließ. Nicht nur, daß er fähig schien, Gewalt und Tod zu verursachen: dieser Mann hatte Tod und Gewalt gezähmt und in seine Tasche gesteckt, bereit, jeden Moment losgelassen zu werden, wenn Moiraine dies wünschte. Neben Lan wirkte sogar Uno weniger gefährlich. Im langen Haar des Behüters war etwas Grau zu sehen. Das Haar wurde von einer Lederkordel aus der Stirn gehalten. Jüngere Männer mieden jeden Streit mit Lan — wenn sie klug waren.

»Frau Leya brachte die üblichen Neuigkeiten von der Ebene von Almoth«, sagte Moiraine. »Jeder kämpft gegen jeden. Dörfer werden niedergebrannt. Menschen fliehen in alle Richtungen. Und Jäger sind auf der Ebene erschienen. Sie suchen das Horn von Valere.« Perrin bewegte sich unruhig. Das Horn befand sich dort, wo kein Jäger auf der Ebene von Almoth es finden konnte. Er hoffte, daß überhaupt kein Jäger es je finden würde. Sie warf ihm einen kühlen Blick zu, bevor sie fortfuhr. Sie wollte nicht, daß einer von ihnen das Horn erwähnte. Außer natürlich, sie hielt es gerade für richtig.

»Sie hat auch noch andere Neuigkeiten gebracht. Die Weißmäntel haben nun mindestens fünftausend Mann auf der Ebene von Almoth.«

Uno grunzte. »Das ist verdammt... oh, Entschuldigung, Aes Sedai. Das muß fast die Hälfte ihrer Streitmacht sein. Sie haben noch nie so viele an einen einzigen Ort geschickt.«

»Dann schätze ich, daß all jene, die sich für Rand erklärt haben, entweder tot oder überallhin versprengt sind«, murmelte Perrin. »Oder es bald sein werden. Ihr hattet recht, Moiraine.« Ihm gefiel der Gedanke an Weißmäntel überhaupt nicht. Er mochte aus gutem Grund die Kinder des Lichts nicht.

»Das ist auch eigenartig«, sagte Moiraine. »Oder zumindest der zweite Teil der Geschichte. Die Kinder haben verkündet, sie befänden sich dort, um den Frieden zu bringen, und das ist bei ihnen nichts Ungewöhnliches. Was aber ungewöhnlich ist, das ist die Tatsache, daß sie wohl die Taraboner und die Domani über ihre jeweiligen Grenzen zurückzudrängen versuchen, aber gleichzeitig nicht mit Gewalt gegen die Anhänger des Drachens vorgehen.«

Min gab einen Laut der Überraschung von sich. »Ist sie da sicher? Das klingt nicht nach dem, was ich bisher von den Weißmänteln gehört habe.«

»Es können sich nicht mehr viele verd... oh... viele Kesselflicker auf der Ebene befinden«, sagte Uno. Seine Stimme krächzte ein wenig, da er sich so vor der Aes Sedai zusammennehmen mußte, um nicht ständig zu fluchen. Sein echtes Auge blickte genauso finster drein wie das aufgemalte auf der anderen Seite. »Sie halten sich nicht gern auf, wo es irgendwelche Auseinandersetzungen gibt, besonders gewaltsame. Es können nicht genug sein, um alles herauszufinden.«

»Für meine Zwecke sind es genug«, sagte Moiraine bestimmt. »Die meisten sind fort, aber einige blieben, weil ich sie darum bat. Und Leya ist sich ganz sicher. O ja, die Kinder haben einige der Drachenanhänger geschnappt, wo es eben nur eine Handvoll davon gab. Aber obwohl sie erklären, daß sie diesen falschen Drachen stürzen werden, obwohl sie angeblich tausend Mann auf ihn angesetzt haben, vermeiden sie jeden Kontakt mit seinen Anhängern, sobald mehr als fünfzig davon auf einem Haufen zu finden sind. Nicht offen, versteht sich, aber es gibt immer irgendeine Verzögerung, die den Gejagten die Flucht gestattet.«

»Dann kann sich Rand doch zu ihnen hinunter begeben, wie er das möchte.« Loial blinzelte die Aes Sedai unsicher an. Das ganze Lager wußte von ihren Auseinandersetzungen mit Rand. »Das Rad webt einen Weg für ihn.«

Uno und Lan öffneten gleichzeitig den Mund, doch der Schienarer gab Lan durch eine leichte Verbeugung das Zeichen, das Wort zu ergreifen. »Wahrscheinlicher«, sagte der Behüter, »ist eine List der Weißmäntel, obwohl ich mir, Licht noch mal, nicht vorstellen kann, um was es geht. Aber wenn mir die Weißmäntel ein Geschenk geben, suche ich zuerst nach einer darin verborgenen Giftnadel.« Uno nickte grimmig. »Außerdem«, fügte Lan hinzu, »geben die Domani und die Taraboner immer noch ihr Bestes, die Anhänger des Drachens genauso umzubringen wie sich gegenseitig.«

»Und da ist noch etwas«, sagte Moiraine. »Drei junge Männer sind in Dörfern gestorben, als Frau Leyas Wagen dort vorbeikam.« Perrin bemerkte, daß Lans Augenlid zuckte. Bei dem Behüter war dies ein ebenso großes Zeichen der Überraschung wie ein Aufschrei bei einem anderen Mann. Lan hatte nicht erwartet, daß sie das erzählen würde. Moiraine fuhr fort: »Der eine starb durch Gift, die beiden anderen durch das Messer. Jeder starb unter Umständen, als sich niemand in der Nähe zu befinden schien. So war es tatsächlich.« Sie blickte in die Flammen. »Alle drei jungen Männer waren größer als üblich und hatten helle Augen. Helle Augenfarben sind auf der Ebene von Almoth etwas Ungewöhnliches. Ich glaube, es bringt im Moment Unglück, als junger Mann mit heller Augenfarbe dort zu leben.«

»Wie?« fragte Perrin. »Wie konnte man sie töten, wenn niemand in der Nähe war?«

»Der Dunkle König hat Attentäter, die du nicht bemerkst, bis es zu spät ist«, sagte Lan ruhig.

Uno schauderte. »Die Seelenlosen. Ich habe aber noch nie davon gehört, daß einer südlich der Grenzlande auftauchte.«

»Genug solcher Reden«, sagte Moiraine streng.

Perrin hatte Fragen auf der Zunge — Was zum Licht sind die Seelenlosen? Sind sie etwas wie ein Trolloc oder ein Blasser? Was? —, aber er schluckte sie herunter. Wenn Moiraine entschied, daß man genug über ein Thema geredet hatte, dann sprach sie auch nicht mehr davon. Und wenn sie den Mund hielt, konnte man auch Lans Mund nicht mit der Brechstange öffnen. Auch die Schienarer folgten ihrem Beispiel. Keiner wollte sich mit einer Aes Sedai anlegen.

»Licht!« knurrte Min. Sie spähte unruhig in die sie umgebende Dunkelheit. »Man bemerkt sie nicht? Licht!«

»Also hat sich nichts geändert«, sagte Perrin trübsinnig. »Nichts Wesentliches. Wir können nicht hinunter auf die Ebene, und der Dunkle König will uns töten.«

»Alles verändert sich«, sagte Moiraine gelassen, »und wird in das Muster eingewebt. Wir müssen auf dem Muster reiten und nicht auf den Veränderungen des Augenblicks.« Sie sah einen nach dem anderen an und sagte dann: »Uno, seid Ihr sicher, daß Eure Kundschafter nichts Verdächtiges übersehen haben? Nicht einmal etwas sehr Kleines?«

»Die Wiedergeburt des Drachenlords hat die Bande der Sicherheit gelöst, Moiraine Sedai, und es gibt nirgends Sicherheit, wenn Ihr gegen Myrddraal kämpft. Aber ich gebe Euch mein Ehrenwort, daß die Kundschafter genauso gute Arbeit leisten wie ein Behüter.« Das war eine der längsten Reden Unos gewesen, in denen Perrin keinen Fluch gehört hatte. Auf der Stirn des Mannes stand denn auch Schweiß von dieser Anstrengung.

»Das müssen wir alle«, sagte Moiraine. »Was Rand angerichtet hat, könnte für jeden Myrddraal auf zehn Meilen Entfernung wie ein Leuchtfeuer auf dem Berggipfel gewirkt haben.«

»Vielleicht...«, begann Min zögernd. »Vielleicht solltet Ihr Talismane aussetzen, die sie von uns abhalten.« Lan sah sie abweisend an. Er stellte gelegentlich Moiraines Entscheidungen in Frage, wenn auch selten in Hörweite Dritter, doch es paßte ihm nicht, wenn andere dasselbe taten. Min erwiderte seinen finsteren Blick. »Also, Myrddraal und Trollocs sind schlimm genug, aber wenigstens kann ich sie sehen. Ich hasse den Gedanken daran, daß einer dieser... dieser Seelenlosen sich hier einschleichen und mir die Kehle durchschneiden könnte, bevor ich ihn überhaupt bemerke.«

»Die Wächter, die ich draußen aufgestellt habe, schützen uns vor den Seelenlosen genau wie vor anderen Wesen des Schattens«, sagte Moiraine. »Wenn man — so wie wir — schwach ist, dann ist es oftmals am besten, sich zu verstecken. Wenn einer der Halbmenschen nahe genug ist, um... Also, Talismane anzubringen, die sie töten, wenn sie ins Lager eindringen wollen, ist jenseits meiner Fähigkeiten, und selbst wenn ich das könnte, würde uns das lediglich hier wie in einen Pferch einsperren. Da es unmöglich ist, zwei verschiedene Arten von Wächtern gleichzeitig aufzustellen, überlasse ich es den Kundschaftern und den Wachen und natürlich Lan, uns zu verteidigen, und benütze die eine Art von Abschirmung, die uns ein wenig helfen kann.«

»Ich könnte eine Runde um das Lager drehen«, meinte Lan. »Falls da draußen etwas ist, was die Kundschafter übersehen haben, werde ich es finden.« Das war keine Drohung, sondern einfach eine Tatsache. Selbst Uno nickte zustimmend.

Moiraine schüttelte den Kopf. »Wenn Ihr heute abend gebraucht werdet, mein Gaidin, dann hier.« Ihr Blick wanderte hoch zu den düsteren Bergen, die sie umgaben. »Es liegt so etwas in der Luft.«

»Warten.« Perrin rutschte das Wort heraus, bevor er sich zurückhalten konnte. Als Moiraine ihn daraufhin ansah — in ihn hineinsah —, wünschte er, sich beherrscht zu haben.

»Ja«, sagte sie. »Warten. Überzeugt Euch davon, daß Eure Wachen heute nacht besonders aufmerksam sind, Uno.« Es war nicht nötig, vorzuschlagen, daß die Männer ihre Waffen auch im Schlaf zur Hand behalten sollten, denn die Schienarer taten das sowieso immer. »Schlaft gut«, fügte sie zu allen gewandt hinzu, als sei das noch möglich, und dann ging sie zurück zu ihrer Hütte. Lan blieb noch lang genug, um drei Löffel Eintopf zu schlürfen, und dann eilte er ihr hinterher. Die Nacht verschluckte ihn schnell.

Perrins Augen leuchteten golden, als sie dem Behüter auf seinem Weg durch die Dunkelheit folgten. »Schlaft gut«, murmelte er. Der Geruch gekochten Fleisches machte ihn plötzlich nervös. »Ich habe doch die dritte Wache, Uno?« Der Schienarer nickte. »Dann will ich versuchen, ihrem Ratschlag zu folgen.« Andere kamen an die Feuer, und Fetzen ihrer Unterhaltung folgten ihm den Hang hinauf.

Er hatte eine Hütte für sich, ein kleines Blockhaus, das kaum groß genug war, um aufrecht drin zu stehen. Die Ritzen waren mit getrocknetem Lehm verschmiert. Ein roh gezimmertes Bett mit Kiefernnadeln als Polster unter einer Decke nahm mehr als die Hälfte des Raumes ein. Wer immer sein Pferd abgesattelt hatte, hatte auch seinen Bogen gleich innen neben die Tür gestellt. Er hängte seinen Gürtel mit Axt und Köcher an einen Haken und zog sich vor Kälte zitternd bis auf die Unterwäsche aus. Die Nächte waren noch kalt, doch die Kälte hielt ihn davon ab, zu tief zu schlafen. Im Tiefschlaf träumte er Dinge, die er dann nicht mehr einfach abschütteln konnte.

Eine Weile lang lag er zitternd und nur von einer dünnen Decke bedeckt da und starrte die Deckenbalken an. Dann kam der Schlaf, und mit ihm kamen Träume.


Загрузка...