24 Wieder unter den Lebenden

Sonnenschein, der durch die Lücken in den Fensterläden auf das Bett schien, weckte Mat auf. Einen Augenblick lang lag er nur mit gerunzelter Stirn da. Bevor der Schlaf ihn übermannt hatte, war er noch auf keinen vernünftigen Fluchtplan gekommen. Aber aufgegeben hatte er auch nicht. Zu viele Erinnerungen waren immer noch wie unter einem dichten Nebel verborgen, doch Aufgeben kam für ihn nicht in Frage.

Zwei Dienerinnen eilten geschäftig herein und brachten heißes Wasser und ein üppig mit Essen beladenes Tablett. Sie lachten und stellten fest, daß er schon soviel besser aussehe und bald wieder auf den Beinen sei, wenn er nur täte, was die Aes Sedai ihm sagten. Er sprach nur kurz mit ihnen und bemühte sich, keine Bitterkeit durchklingen zu lassen. Laß sie nur glauben, daß ich alles mitmache. Als ihm der Duft der Speisen in die Nase stieg, knurrte sein Magen.

Nachdem sie gegangen waren, schlug er die Bettdecke zur Seite und sprang aus dem Bett. Er stopfte sich schnell eine halbe Scheibe Schinken in den Mund und goß dann Waschwasser ein. Er wusch und rasierte sich. Als er beim Rasieren in den Spiegel über dem Waschtisch blickte, stellte er selbst fest, daß er besser aussah.

Seine Wangen waren noch eingefallen, aber nicht mehr so schlimm wie vorher. Die dunklen Ringe unter seinen Augen waren verschwunden, und auch die Augen selbst schienen nicht mehr so tief zu liegen. Es war, als habe jeder Bissen, den er gestern abend zu sich genommen hatte, das Fleisch auf seinen Knochen vermehrt. Er fühlte sich auch kräftiger.

»Wenn es so weitergeht«, murmelte er, »bin ich weg, ehe sie sich umsehen.« Und dann war er doch wieder überrascht davon, daß er sich hinsetzen und jeden Krümel Schinken, Kohlrabi und schließlich Birne verdrücken konnte.

Er war sicher, daß man von ihm erwarte, nach dem Essen gleich wieder ins Bett zu steigen, doch statt dessen zog er sich an. Er stampfte mit den Füßen auf, damit sie richtig in den Stiefeln steckten, betrachtete seine Reservekleider und entschloß sich, sie vorläufig liegen zu lassen. Ich muß erst genau wissen, was ich vorhabe. Und wenn ich sie zurücklassen muß... Er steckte die Würfelbecher in seine Taschen. Damit konnte er sich alle Kleider verdienen, die er brauchte.

Dann öffnete er die Tür und lugte hinaus. Er sah weitere mit blaßgoldenem Holz getäfelte Türen und dazwischen bunte Wandbehänge. Ein blauer Läufer bedeckte den ansonsten weißgekachelten Boden. Aber es stand niemand dort draußen. Kein Wächter. Er warf sich den Umhang über die Schultern und eilte hinaus. Jetzt aber einen Weg nach draußen finden...

Er mußte ein wenig umherwandern, treppauf und treppab, durch Korridore und über Innenhöfe, bevor er fand, was er gesucht hatte: eine Tür nach draußen. Unterwegs sah er doch noch viele Leute: Dienerinnen, weißgekleidete Novizinnen, die ihren Aufgaben nachgingen, wobei die Novizinnen schneller einherhasteten als die Dienerinnen, und auch eine Handvoll grob gekleideter Diener, die große Truhen und andere schwere Gegenstände trugen, dazu Aufgenommene in ihren mit Farbbändern gesäumten Kleidern und sogar ein paar Aes Sedai.

Die Aes Sedai schienen von ihm keine Notiz zu nehmen, als sie geschäftig entlangschritten, oder sie sahen ihn nur ganz flüchtig an. Er trug Bauernkleidung, wenn auch von gutem Schnitt. Er wirkte nicht wie ein Landstreicher, und an den Dienern sah er auch, daß Männer in diesem Teil der Burg durchaus nichts Ungewöhnliches waren. Er hatte den Verdacht, sie betrachteten ihn ebenfalls als Diener, und das paßte ihm durch aus, solange niemand von ihm verlangte, schwere Sachen zu heben.

Er bedauerte, daß keine der Frauen, die er sah, Egwene oder Nynaeve oder Elayne war. Das ist eine Hübsche, auch wenn sie die Nase die ganze Zeit ein wenig hoch trägt. Und sie könnte mir sicher sagen, wo ich Egwene und die Seherin finde. Ich kann nicht gehen, ohne ihnen auf Wiedersehen gesagt zu haben. Licht, ich glaube nicht, daß mich eine von ihnen melden würde, nur weil sie selbst Aes Sedai werden wollen, oder? Seng mich, alter Narr. Das würden sie niemals tun. Ich riskiere es auf jeden Fall.

Aber sobald er draußen unter einem strahlenden Morgenhimmel mit nur wenigen weißen Wölkchen war, dachte er zunächst nicht mehr an die Frauen. Er überblickte einen breiten, mit Steinplatten belegten Hof. In der Mitte stand ein einfacher, gemauerter Brunnen und auf der anderen Seite ein aus grauem Naturstein gebautes Kasernengebäude. Es wirkte beinahe wie ein Felsklotz inmitten der wenigen Bäume, die in ausgesparten Löchern zwischen den Bodenplatten wuchsen. Wachsoldaten in Hemdsärmeln saßen vor dem langen, niedrigen Gebäude und putzten Waffen und Rüstungen. Gerade Wachsoldaten kamen ihm nun recht.

Er schlenderte über den Hof und beobachtete die Soldaten, als habe er nichts Besseres zu tun. Sie unterhielten sich und lachten bei der Arbeit wie Männer nach der Ernte. Von Zeit zu Zeit sah einer von ihnen Mat neugierig an, aber keiner fragte ihn, was er hier zu tun habe. Gelegentlich fragte er einen irgend etwas, und schließlich erhielt er die Antwort, auf die er gewartet hatte.

»Brückenwächter?« fragte ein stämmiger, dunkelhaariger Mann, der kaum fünf Jahre älter als Mat sein mochte. Er sprach mit starkem illianischen Akzent. So jung er auch war, hatte er doch eine schmale, weiße Narbe auf der linken Wange, und die Hände, die sein Schwert ölten, bewegten sich routiniert und sicher. »Ich sein bei Brückenwache und haben Dienst heute abend. Warum du fragen?«

»Ich wollte eigentlich nur wissen, wie die Straßenverhältnisse auf der anderen Seite des Flusses sind.« Das ist in jedem Fall nützlich zu wissen. »Gut zu bereisen? Es wird doch hoffentlich nicht schlammig sein, außer Ihr habt mehr Regen gehabt, als mir bewußt war.«

»Welche Seite von Fluß?« fragte der Wachsoldat gelassen. Sein Blick verließ den Öllappen nicht, mit dem er sein Schwert bearbeitete.

»Äh... Ost. Die Ostseite.«

»Kein Schlamm. Weißmäntel.« Der Mann beugte sich zur Seite, um auszuspucken, doch sein Tonfall änderte sich nicht. »Weißmäntel ihre Nasen in alle Dörfer stecken auf Umkreis zehn Meilen. Sie nicht haben jemand verletzt bisher, aber sie aufregen Leute. Glück stich mich, wenn sie nicht versuchen, zu provozieren uns. Sie aussehen, als ob sie wollen am liebsten angreifen uns. Nicht gut für jemand, der will reisen.«

»Und wie steht es dann im Westen?«

»Das gleiche.« Der Wachsoldat hob den Blick und sah Mat an. »Aber Ihr nicht werdet reisen Ost oder West, Junge. Euer Name sein Matrim Cauthon, oder Glück mich verlassen haben. Letzten Abend eine Schwester persönlich kommen auf Brücke, wo ich stehen Wache. Sie uns Euer Aussehen beibringen, bis jeder können sagen rückwärts. Ein Gast, sie sagen, und ihm nichts tun. Aber nicht erlaubt außerhalb Stadt, und wenn wir Euch müssen festbinden Hand und Fuß, um nicht gehen raus.« Seine Augen zogen sich zusammen. »Ihr etwas von ihnen stehlen?« fragte er zweifelnd. »Ihr nicht aussehen wie Gast bei den Schwestern.«

»Ich habe nichts gestohlen«, sagte Mat mürrisch. Seng mich, ich hatte noch nicht einmal die kleinste Chance, einen Ausweg zu finden. Sie kennen mich also wohl alle. »Ich bin kein Dieb!«

»Nein, ich nicht das sehen in Eurem Gesicht. Keine Diebereien. Aber Ihr aussehen wie Bursche, wer versuchen, mir verkaufen Horn von Valere vor drei Tagen. Er behaupten, das es sein, und es sein verbeult und alt. Ihr haben auch Horn von Valere zu verkaufen? Oder vielleicht es sein Schwert von Drache?«

Mat zuckte bei der Erwähnung des Horns zusammen, brachte es aber fertig, seinen Tonfall nicht zu verändern: »Ich war krank.« Andere Wachsoldaten sahen jetzt zu ihm herüber. Licht, sie wissen jetzt doch alle, daß ich nicht fort darf. Er zwang sich zum Lachen. »Die Schwestern haben mich mit ihrer Kraft geheilt.« Ein paar der Soldaten runzelten die Stirn. Vielleicht waren sie der Meinung, daß andere Männer etwas mehr Respekt zeigen und die Aes Sedai nicht einfach nur Schwestern nennen sollten. »Ich glaube, die Aes Sedai wollen nicht, daß ich gehe, bevor ich wieder zu Kräften gekommen bin.« Er bemühte sich, so vertrauenerweckend zu wirken, daß sie ihm alle glaubten. Nur ein Mann, der mit Hilfe der Macht geheilt wurde. Nicht mehr. Kein Grund, sich weiter Gedanken zu machen.

Der Illianer nickte. »Ihr wirklich sehen nach Krankheit aus im Gesicht. Vielleicht das sein Grund. Aber nie ich haben gehört von soviel Mühe, damit ein Mann bleiben in Stadt.«

»Das ist der Grund«, beharrte Mat energisch. Sie sahen ihn immer noch alle an. »Na ja, ich muß weiter. Sie sagten, ich solle viel spazierengehen. Lange Spaziergänge. Um wieder zu Kraft zu kommen, wißt Ihr.«

Er fühlte ihre Blick auf sich ruhen, als er weiterging. Seine Miene verfinsterte sich. Er hatte nur auf den Busch klopfen wollen, ob seine Beschreibung tatsächlich überall herumgegangen war. Falls nur die Offiziere unter den Brückenwächtern Bescheid gewußt hätten, hätte er vielleicht durchschlüpfen können. Es war immer eine seiner Stärken gewesen, ungesehen irgendwo hinein zu kommen und auch wieder heraus. Das war ein Talent, das man entwickelte, wenn die Mutter einen immer in Verdacht hatte, wieder etwas anstellen zu wollen, und wenn man vier Schwestern hatte, die einen verpetzten. Und jetzt habe ich es geschafft, daß die halbe Kaserne mit Wachsoldaten mich auch wirklich kennt. Blut und blutige Asche! Ein großer Teil des Geländes der Weißen Burg bestand aus Gärten voller Bäume — Lederblatt und Korkeiche und Ulmen meistens. Bald schlenderte er einen breiten, gewundenen Kiesweg entlang. Er hätte sich mitten auf dem Land befinden können, wenn nicht die Türme der Burg über den Baumwipfeln sichtbar gewesen wären. Und natürlich das mächtige, weiße Hauptgebäude der Burg, das wohl hinter ihm lag, aber dessen Gewicht er irgendwie auf den Schultern spürte, als trüge er es mit sich herum. Falls es unbewachte Ausgänge aus dem Burggelände gab, dann waren sie am ehesten hier zu finden. Falls sie existierten.

Ein Mädchen im weißen Novizinnenkleid erschien vor ihm auf dem Weg und schritt zielbewußt in seine Richtung. Sie war so in Gedanken versunken, daß sie ihn zunächst nicht wahrnahm. Als sie nahe genug war, daß er ihre großen, dunklen Augen sehen konnte und die Zöpfe, die sie trug, grinste er plötzlich. Er kannte dieses Mädchen — die Erinnerungen trieben aus verhüllten Tiefen herauf —, obwohl er niemals erwartet hätte, sie hier zu treffen. Er hatte überhaupt nicht erwartet, sie jemals wieder zu sehen. Er grinste in sich hinein. Glück und Unglück heben sich auf. Wie er sich erinnerte, hatte sie sich sehr für Jungs interessiert.

»Else!« rief er ihr zu. »Else Grinwell. Erinnert Ihr Euch noch an mich? Mat Cauthon. Ein Freund und ich haben den Hof Eures Vaters besucht. Denkt Ihr noch daran? Habt Ihr Euch also entschlossen, Aes Sedai zu werden?«

Sie blieb abrupt stehen und sah ihn an. »Was tut Ihr hier draußen?« fragte sie kalt.

»Ihr wißt also auch Bescheid?« Er trat auf sie zu, doch sie wich vor ihm zurück und wahrte den Abstand. Er blieb stehen. »Es ist nicht ansteckend. Ich bin geheilt worden, Else.« Diese großen, dunklen Augen schienen mehr Wissen zu enthalten als damals, und sie wirkten nicht annähernd so warm, aber er glaubte, das käme eben davon, wenn man bei den Aes Sedai lernte. »Was ist los, Else? Ihr schaut drein, als kennt Ihr mich nicht.«

»Ich kenne Euch«, sagte sie. Ihr ganzes Benehmen entsprach nicht mehr dem, an das er sich erinnerte. Jetzt konnte sie beinahe Elayne noch eine Lektion in Hochnäsigkeit erteilen. »Ich habe... Arbeit zu erledigen. Laßt mich vorbei.«

Er verzog das Gesicht. Der Weg war breit genug, daß sechs nebeneinander einhergehen konnten, ohne sich zu behindern. »Ich sagte Euch doch, daß es nicht ansteckend ist.«

»Laßt mich vorbei!«

Er knurrte nur und trat an den Rand des Kieswegs. Sie ging ganz auf der gegenüberliegenden Seite an ihm vorbei und paßte genau auf, daß er sich ihr nicht näherte. Kaum vorbei, beschleunigte sie ihren Schritt und blickte so lange zu ihm zurück, bis sie hinter der nächsten Kurve außer Sicht war. Wollte sichergehen, daß ich ihr nicht folge, dachte er mürrisch. Zuerst die Wächter und nun Else. Ich habe heute wohl keinen Glückstag. Er ging wieder los und hörte bald wildes Geklapper von der einen Seite vor ihm, als ob Dutzende von Stöcken aufeinanderschlügen. Neugierig bog er in diese Richtung ab und schritt zwischen die Bäume.

Nach wenigen Schritten erreichte er einen weiten, festgetrampelten, kahlen Platz. Er war mindestens fünfzig Schritt breit und beinahe doppelt so lang. In Abständen sah er unter den Bäumen am Rand des Platzes Gestelle, in denen Bauernspieße und hölzerne Übungsschwerter hingen, einfache Waffen aus zusammengebundenen Latten, und einige wenige richtige Schwerter, Äxte und Speere.

Auf dieser freien Fläche sah er eine Reihe von Männerpaaren, meist mit freiem Oberkörper, die mit Übungsschwertern aufeinander losschlugen. Bei einigen wirkten die Bewegungen so flüssig, als tanzten sie miteinander, glitten aus einer Fechtfigur übergangslos in die andere und hieben und parierten ohne die kleinste Unterbrechung. Es gab außer ihrem offensichtlichen Können keinen sichtbaren Unterschied zwischen ihnen und den anderen, aber Mat war sicher, daß es sich um Behüter handelte.

Diejenigen, die sich nicht so elegant bewegten, waren ohne Ausnahme jünger, wobei ein älterer Mann jeweils eines dieser Paare überwachte. Diese Männer strahlten selbst im Stehen noch etwas Gefährliches aus. Behüter und Schüler, dachte Mat.

Er war nicht der einzige Zuschauer. Keine zehn Schritte von ihm entfernt standen ein halbes Dutzend Frauen mit alterslosen Aes-Sedai-Gesichtern und noch einmal genauso viele in den mit Farbbändern gesäumten Kleidern der Aufgenommenen. Sie alle beobachteten ein Paar von Schülern, das mit nackten, schweißüberströmten Oberkörpern unter der Leitung eines Behüters focht. Der Behüter wirkte wie ein Steinklotz. Er hielt eine kurzstielige Pfeife, aus der Tabaksrauch quoll, in der Hand, mit der er seine beiden Schüler dirigierte.

Mat setzte sich mit übergeschlagenen Beinen unter einen Lederblattbaum, grub drei große Kieselsteine aus dem Boden und begann, gelangweilt mit ihnen zu jonglieren. Er fühlte sich nicht unbedingt schwach, aber das Sitzen tat ihm doch gut. Falls es wirklich einen Weg aus dem Burggelände gab, würde der auch nicht weglaufen, während er ein wenig rastete.

Bevor er auch nur fünf Minuten dort war, wußte er, wen die Aes Sedai und die Aufgenommenen beobachteten. Einer der beiden Schüler des klotzigen Behüters war ein hochgewachsener, graziler junger Mann, der sich wie eine Katze bewegte. Und beinahe so hübsch aussieht wie ein Mädchen, dachte Mat trocken. Alle Frauen starrten diesen schlanken Burschen mit glänzenden Augen an, sogar die Aes Sedai.

Er ging mit seinem Übungsschwert beinahe so gut um wie die Behüter. Gelegentlich entlockte er seinem Lehrer eine anerkennende Bemerkung. Es war auch nicht so, daß sein Gegner, ein Junge, ungefähr in Mats Alter und mit rotgoldenem Haar, ungeschickt gewesen wäre. Ganz im Gegenteil, soweit Mat es beurteilen konnte. Natürlich hatte Mat nie selbst mit einem Schwert umgehen gelernt. Der goldhaarige Jüngling parierte jeden Blitzangriff und ließ das Schwert seines Gegners abrutschen, bevor es ihn traf. Manchmal brachte er es sogar zu einem Gegenangriff. Aber der gutaussehende Bursche parierte diese dann und griff einen Herzschlag später schon wieder geschmeidig selbst an.

Mat verlegte die Kieselsteine in nur eine Hand, ohne sein Jonglieren zu unterbrechen. Sie wirbelten nach wie vor durch die Luft. Er glaubte nicht, auch nur einem der beiden im Kampf gewachsen zu sein. Ganz bestimmt nicht mit einem Schwert.

»Pause!« Die Stimme des Behüters klang, als schütte man Steine aus einem Eimer. Schwer atmend senkten die beiden ihre Übungsschwerter. Ihr Haar war schweißverklebt. »Ihr könnt euch ausruhen, bis ich meine Pfeife fertiggeraucht habe. Aber erholt euch schnell, ich habe nicht mehr viel Tabak drinnen.«

Jetzt, da sie mit ihrem Herumtanzen aufgehört hatten, konnte Mat den Jungen mit dem rotgoldenen Haar endlich genauer sehen. Er ließ die Kieselsteine überrascht fallen. Seng mich, aber ich wette alles, was ich im Geldbeutel habe, daß der Elaynes Bruder ist. Und der andere ist Galad, oder ich fresse meine Stiefel. Auf der Reise von der Toman-Halbinsel hierher hatte Elayne die meiste Zeit über von Gawyns Tugenden und Galads Sünden geplappert. O ja, Gawyn hatte auch ein paar Schwächen, wenn man Elayne glaubte, aber sie waren unbedeutend. Mat klangen sie eher nach solchen Dingen, die bestenfalls in den Augen einer Schwester Schwächen darstellten. Was Galad betraf, hatte er aus ihren Erzählungen geschlossen, daß er wohl der perfekte Sohn sein mußte, den sich jede Mutter wünschte. Mat hatte keine Sehnsucht danach, viel Zeit in Galads Gesellschaft zu verbringen. Egwene wurde immer rot, wenn Galads Name fiel, auch wenn sie zu glauben schien, daß niemand es bemerkte.

Eine Welle schien die zuschauenden Frauen zu durchlaufen, als Galad und Gawyn aufhörten. Sie wären wohl am liebsten alle gleichzeitig vorgetreten, doch Gawyn erblickte Mat, sagte leise etwas zu Galad, und dann gingen die beiden an den Frauen vorbei. Die Aes Sedai und die Aufgenommenen wandten sich um und verfolgten sie mit Blicken. Mat stand auf, als sich die beiden ihm näherten.

»Du bist doch Mat Cauthon, nicht wahr?« sagte Gawyn grinsend. »Ich war sicher, daß ich dich aus Egwenes Beschreibung erkannte. Und aus Elaynes. Ich hörte, du warst krank. Geht es dir jetzt besser?«

»Mir geht's gut«, sagte Mat. Er fragte sich, ob man von ihm erwartete, daß er Gawyn mit Lord anredete oder so ähnlich. Aber er hatte sich geweigert, zu Elayne Lady zu sagen — nicht, daß sie es verlangt hätte —, und er beschloß, ihren Bruder genauso zu behandeln.

»Bist du aufs Übungsgelände gekommen, um mit dem Schwert zu arbeiten?« fragte Galad.

Mat schüttelte den Kopf. »Ich habe nur einen Spaziergang gemacht. Ich weiß nicht viel über Schwerter. Ich glaube, ich vertraue lieber auf einen guten Bogen oder einen guten Bauernspieß. Ich kann mit Schwertern nicht umgehen.«

»Wenn du viel mit Nynaeve zusammen bist«, sagte Galad, »dann brauchst du Bogen, Bauernspieß und Schwert, um dich zu schützen. Und ich weiß nicht, ob das ausreicht.«

Gawyn blickte ihn staunend an. »Galad, du hast ja beinahe einen Witz gerissen.«

»Ich habe doch einen Sinn für Humor, Gawyn«, sagte Galad stirnrunzelnd. »Du glaubst das nur nicht, weil ich mich nicht gern über Leute lustig mache.« Kopfschüttelnd wandte sich Gawyn wieder Mat zu. »Du solltest schon lernen, ein wenig mit dem Schwert umzugehen. Jeder kann diese Kenntnisse heutzutage gebrauchen. Dein Freund — Rand al'Thor — hat ein ganz ungewöhnliches Schwert gehabt. Hast du was von ihm gehört?«

»Ich habe Rand schon lange nicht mehr gesehen«, sagte Mat schnell. Nur einen Moment lang, bei der Erwähnung von Rands Namen, hatte Gawyns Blick an Intensität zugenommen. Licht, weiß er über Rand Bescheid? Das kann nicht sein. Wenn er es wüßte, dann würde er mich bestimmt als Schattenfreund anklagen, nur weil ich Rands Freund bin. Aber irgend etwas weiß er schon. »Schwerter sind auch nicht der Weisheit letzter Schluß, oder? Ich glaube, ich könnte mich gegen jeden von euch ganz gut behaupten, wenn ihr ein Schwert habt und ich meinen Bauernspieß.«

Gawyns Hustenanfall sollte offensichtlich sein Lachen verdecken. Viel zu höflich sagte er: »Da mußt du aber sehr gut sein.« Galads Gesichtsausdruck war dagegen ganz eindeutig ungläubig.

Vielleicht geschah es, weil beide glaubten, er gebe gewaltig an. Vielleicht geschah es, weil er die Befragung der Brückenwächter falsch angefangen hatte. Vielleicht geschah es, weil Else, die so gern mit Jungs herummachte, nichts mit ihm zu tun haben wollte und weil all diese Frauen Galad ansahen wie eine Katze eine Schale mit Sahne. Aes Sedai und Aufgenommene oder nicht — Frauen waren sie immer noch. All diese Erklärungen schossen Mat durch den Kopf, doch er drängte sie ärgerlich zurück, besonders die letzte. Er machte es, weil er Spaß daran hatte. Und vielleicht verdiente er sich auf die Art etwas. Er mußte noch nicht einmal sein übliches Glück strapazieren.

»Ich wette«, sagte er, »zwei Silbermark gegen zwei von jedem von euch, daß ich euch beide gemeinsam schlagen kann, wie ich es behauptet habe. Eine bessere Quote kann ich euch nicht bieten. Ihr seid zwei und ich bin nur einer, also ist zwei zu eins eine gute Quote.« Er lachte beinahe, als er ihre konsternierten Mienen sah.

»Mat«, sagte Gawyn, »du mußt doch nicht wetten. Du warst krank. Vielleicht versuchen wir es, wenn du wieder kräftiger bist.«

»Es wäre wirklich keine faire Wette«, sagte Galad. »Ich werde sie nicht annehmen, weder jetzt noch später. Du kommst doch aus dem gleichen Dorf wie Egwene, nicht wahr? Ich... ich will nicht, daß sie wütend auf mich wird.«

»Was hat sie damit zu tun? Trefft mich nur einmal mit einem eurer Schwerter, und ich gebe jedem eine Silbermark. Wenn ich euch treffe, bis ihr aufgebt, gebt ihr mir jeder zwei. Glaubt ihr nicht, daß ihr das schafft?«

»Das ist lächerlich«, sagte Galad. »Du hättest keine Chance gegen einen geübten Schwertkämpfer, geschweige denn gegen zwei. Ich werde so etwas nicht ausnützen.«

»Glaubt ihr das wirklich?« fragte eine rauhe Stimme. Der klotzige Behüter kam herüber. Seine schwarzen Augenbrauen hatten sich finster zusammengezogen. »Ihr glaubt, zu zweit seid ihr gut genug mit dem Schwert, um einen Jungen mit einem Stock zu schlagen?«

»Es wäre nicht fair, Hammar Gaidin«, sagte Galad.

»Er ist krank gewesen«, fügte Gawyn hinzu. »Das Ganze ist überflüssig.«

»Auf den Platz«, schnarrte Hammar und wies mit einem kurzen Ruck seines Kopfs die Richtung nach hinten. Galad und Gawyn sahen Mat bedauernd an und gehorchten. Der Behüter musterte Mat von oben bis unten und fragte zweifelnd: »Seid Ihr sicher, daß Ihr dem gewachsen seid, Junge? Jetzt, da ich Euch genauer sehe, glaube ich auch, daß Ihr ins Krankenbett gehört.«

»Ich bin gerade draußen«, sagte Mat, »und ich bin dem gewachsen. Ich muß. Ich will meine zwei Mark nicht verlieren.«

Hammars dicke Augenbrauen hoben sich überrascht. »Ihr wollt diese Wette tatsächlich durchziehen, Junge?«

»Ich brauche das Geld.« Mat lachte.

Sein Lachen brach abrupt ab, als er sich dem nächsten Gestell zuwandte, um einen Bauernspieß herauszuheben, und seine Knie beinahe nachgaben. Er richtete sich ganz schnell auf, damit jeder, der es bemerkt hatte, glauben mußte, er sei nur gestolpert. Dann nahm er sich Zeit bei der Auswahl eines Stocks. Er wählte schließlich einen, der fast drei Finger dick war und beinahe einen Fuß höher als er selbst. Ich muß gewinnen. Ich habe mein dummes Maul aufgerissen, und jetzt muß ich gewinnen. Ich kann mir nicht leisten, die zwei Mark zu verlieren. Ohne die wird es ewig dauern, bis ich das Geld zusammengewinne, das ich brauche. Als er sich umwandte, den Bauernspieß in beiden Händen vor sich haltend, warteten Galad und Gawyn bereits dort auf ihn, wo sie zuvor geübt hatten. Ich muß gewinnen. »Glück«, murmelte er. »Zeit, die Würfel rollen zu lassen.«

Hammar sah ihn eigenartig berührt an. »Ihr sprecht die Alte Sprache, Junge?«

Mat blickte ihn einen Moment lang wortlos an. Ihm war eiskalt. Mit Mühe brachte er seine Füße dazu, ihn auf den Übungsplatz hinauszutragen. »Vergeßt die Wette nicht«, sagte er laut. »Zwei Silbermark von jedem von euch gegen zwei von mir.« Ein Geraune erhob sich unter den Aufgenommenen, als ihnen klar wurde, was da geschah. Die Aes Sedai schauten schweigend zu. Das Schweigen schien Mißbilligung auszudrücken.

Gawyn und Galad bewegten sich voneinander fort, jeder auf einer Seite, und da hielten sie Abstand. Beide hatten ihre Schwerter kaum mehr als halb erhoben. »Kein Einsatz«, sagte Gawyn. »Es gibt keinen Einsatz.«

Zur gleichen Zeit sagte Galad: »Ich werde dir doch nicht dein Geld abnehmen.«

»Aber ich werde euch eures abnehmen«, sagte Mat.

»Gemacht!« brüllte Hammar. »Wenn sie Angst haben, deine Wette anzunehmen, Junge, dann zahle ich den Einsatz eben selbst!«

»Also gut«, sagte Gawyn. »Wenn du darauf bestehst — gemacht!«

Galad zögerte einen Moment, und dann grollte er: »Gemacht. Dann laßt uns dieser Farce ein Ende bereiten.«

Diese kurze Warnung war alles, was Mat benötigte. Als Galad auf ihn zustürmte, glitten seine Hände am Stock entlang, und er wirbelte herum. Das Ende des Stocks knallte dem hochgewachsenen jungen Mann in die Rippen, was ihn zum Aufstöhnen und ins Stolpern brachte. Mat ließ den Stock von Galad abprallen und drehte sich gedankenschnell. Der Stock war herum, gerade, als Gawyn in Reichweite kam. Das Ende senkte sich unter Gawyns Übungsschwert hindurch und riß ihm den Fuß am Knöchel unter dem Leib weg. Als Gawyn stürzte, vervollständigte Mat seine Drehung rechtzeitig, um Galad über den erhobenen Unterarm zu schlagen, so daß es ihm das Übungsschwert nach hinten riß. Doch Galad tauchte geschmeidig ab und kam mit dem Schwert in beiden Händen wieder auf die Beine.

Mat ignorierte ihn für den Augenblick, machte eine halbe Drehung und gab dem Stock mit einer schnellen Drehung aus dem Handgelenk Schwung nach hinten. Gawyn, der sich gerade hochrappeln wollte, bekam den Schlag auf die Schläfe ab. Der dumpfe Aufprall wurde nur teilweise durch das dichte Haar gedämpft. Er brach zusammen.

Mat war sich nur am Rande der Aes Sedai bewußt, die hinrannte, um sich um Elaynes gestürzten Bruder zu kümmern. Ich hoffe, es geht ihm gut. Es sollte doch. Ich habe schon mehr abbekommen, als ich mal von einem Zaun fiel. Er hatte immer noch Galad zum Gegner, und seiner Haltung nach zu schließen, wie er auf den Ballen seiner Füße ganz locker dastand und das Schwert korrekt gehoben hatte, nahm er ihn jetzt wohl ernst.

Diesen Augenblick wählten Mats Beine zum Zittern aus. Licht, ich darf jetzt nicht schwach werden. Doch er konnte fühlen, wie die Schwäche sich in ihm ausbreitete, das, und der Hunger, als habe er seit Tagen nichts mehr gegessen. Wenn ich darauf warte, daß er mich angreift, falle ich auf die Nase. Es war schwierig, die Beine gerade zu halten, doch er trat vor. Glück, bleib mir treu.

Vom ersten Schlagabtausch an wußte er, daß sein Glück oder sein Geschick oder was immer ihn soweit gebracht hatte, durchaus noch vorhanden war. Galad schaffte es, seinen Schlag mit einem harten Ruck abzulenken, und dann den nächsten und den nächsten und den nächsten, aber sein Gesicht war von Anstrengung gezeichnet. Dieser geschmeidige Schwertkämpfer, der beinahe so gut wie die Behüter war, brauchte jede Faser seines Könnens, um Mats Stock von sich fernzuhalten. Er griff nicht an; er konnte sich lediglich verteidigen. Er bewegte sich ständig zur Seite, hielt dagegen, um nicht weiter zurückgedrängt zu werden, und Mat trieb ihn vor sich her. Sein Stock verschwamm beinahe, so schnell zuckte er durch die Luft. Und Galad wich zurück, wich wieder zurück, und seine Holzklinge war nur ein dürftiger Schutz gegen den Bauernspieß.

Hunger nagte an Mat, als habe er ein paar Wiesel verschluckt. Schweiß rann ihm in die Augen, und seine Kraft begann nachzulassen, als verrinne sie mit dem Schweiß. Noch nicht. Ich kann noch nicht fallen. Ich muß gewinnen. Jetzt. Aufbrüllend warf er all seine Kraftreserven in einen letzten Gewaltangriff.

Der Bauernspieß huschte an Galads Schwert vorbei und traf in schneller Folge sein Knie, sein Handgelenk, seine Rippen, und schlug schließlich wie ein Speer in Galads Bauch ein. Stöhnend krümmte sich Galad zusammen, versuchte noch, den Sturz zu vermeiden. Der Stock zitterte in Mats Händen. Mat war bereit zu einem endgültigen, krachenden Schlag auf Galads Kehlkopf. Doch Galad sank zu Boden.

Mat ließ den Bauernspieß beinahe fallen, als ihm klar wurde, was er um ein Haar getan hätte. Gewinnen, nicht umbringen. Licht, woran habe ich da gedacht? Er entspannte sich und stützte das Ende des Stocks auf den Boden. In dem Moment mußte er sich aber auch schon daran festhalten, um auf den Beinen zu bleiben. Der Hunger bohrte in ihm wie ein Messer, das Mark aus einem Knochen schabt. Mit einem Mal bemerkte er, daß nicht nur die Aufgenommenen und die Aes Sedai zusahen. Alles Üben auf dem ganzen Gelände hatte aufgehört. Sowohl die Behüter wie auch die Schüler standen da und beobachteten ihn.

Hammar ging zu Galad hin, der immer noch stöhnend am Boden lag und versuchte, sich aufzurichten. Der Behüter hob die Stimme und rief: »Wer war der größte Schwertmeister aller Zeiten?«

Aus den Kehlen von Dutzenden von Schülern ertönte laut im Chor: »Jearom, Gaidin!«

»Ja!« schrie Hammar und drehte sich dabei um, damit ihn alle hörten. »Zeit seines Lebens hat Jearom mehr als zehntausend Kämpfe bestehen müssen, in der Schlacht wie in Zweikämpfen. Er wurde nur ein einziges Mal besiegt: Von einem Bauern mit einem Bauernspieß wie diesem! Denkt daran! Erinnert euch später an das, was ihr gerade gesehen habt!« Er blickte auf Galad hinunter und fragte leiser: »Wenn du jetzt nicht hochkommst, Junge, ist der Kampf entschieden.« Er hob eine Hand, und die Aes Sedai und Aufgenommenen stürmten herbei und umringten Galad.

Mat rutschte am Stock auf die Knie herunter. Keine der Aes Sedai schaute sich auch nur nach ihm um. Eine der Aufgenommen sah ihn an, ein molliges Mädchen, das er bestimmt um einen Tanz gebeten hätte, wenn sie nicht gerade Aes Sedai werden wollte. Sie blickte mit finsterer Miene herüber, schnaubte und wandte sich wieder um, weil sie sehen wollte, was die Aes Sedai mit Galad machten.

Gawyn war wieder auf den Beinen, stellte Mat erleichtert fest. Er rappelte sich hoch, als Gawyn zu ihm herüberkam. Nur nichts zugeben. Ich komme hier niemals heraus, wenn sie sich entschließen, mich von morgens bis abends zu bemuttern. Blut verkrustete Gawyns Haar über der einen Schläfe, aber einen Schnitt oder eine größere Schramme konnte Mat nicht entdecken.

Er drückte Mat zwei Silbermark in die Hand und sagte trocken: »Ich glaube, nächstesmal werde ich auf dich hören.« Er bemerkte Mats Blick und berührte seine Schläfe. »Sie haben es bereits geheilt, aber es war nicht so schlimm. Elayne hat mich mehr als einmal übler zugerichtet. Du kannst aber mit dem Ding umgehen!«

»Nicht so gut wie mein Pa. Er hat an Bel Tine jedes Jahr den Bauernspieß-Wettkampf gewonnen, solange ich mich zurückerinnern kann, bis auf ein- oder zweimal, wo Rands Pa gewann.« Plötzlich war dieser interessierte Blick wieder in Gawyns Augen, und Mat verwünschte sich, daß er Tam al'Thor erwähnt hatte. Die Aes Sedai und die Aufgenommenen drängten sich immer noch um Galad. »Ich... ich muß ihn ganz schön erwischt haben. Das wollte ich nicht.«

Gawyn blickte hinüber, aber man konnte nichts erkennen außer zwei Ringen von weiblichen Rückenpartien. Die weißen Kleider der Aufgenommenen bildeten den äußeren Ring. Sie drückten sich fast auf die Aes Sedai, so gebannt starrten sie über diese hinweg Galad an. Gawyn lachte. »Du hast ihn nicht umgebracht. Ich habe sein Stöhnen gehört. Er sollte jetzt eigentlich wieder auf den Beinen sein, aber sie lassen natürlich diese Chance nicht verstreichen, wenn sie schon mal die Hände an ihm haben. Licht, vier davon sind Grüne Ajah!« Mat sah ihn verwirrt an — Grüne Ajah? Was hat das mit ihm zu tun? —, aber Gawyn schüttelte den Kopf. »Es ist nicht wichtig. Du kannst sicher sein, daß Galads einzige Sorge die ist, sich nicht plötzlich als Behüter bei einer Grünen Aes Sedai wiederzufinden, bevor sein Kopf wieder klar ist.« Er lachte wieder. »Nein, das würden sie nicht tun. Aber ich wette um die zwei Mark von mir in deiner Hand, daß einige von ihnen das am liebsten täten.«

»Nein, nicht das Geld. Das brauche ich.« Mat schob die Münzen in seine Tasche. Die Erklärung gab für ihn nicht viel her. Außer, daß es Galad gutging. Alles, was er über die Verhältnisse zwischen Behütern und Aes Sedai wußte, waren ein paar Dinge, die er von Lan und Moiraine mitbekommen hatte, und da kam nichts von dem vor, was Gawyn andeutete. »Glaubst du, sie hätten etwas dagegen, wenn ich den Einsatz von ihm hole?«

»Wahrscheinlich hätten sie etwas dagegen«, sagte Hammar trocken, der sich ihnen anschloß. »Ihr genießt bei diesen besonderen Aes Sedai im Moment kein sehr hohes Ansehen.« Er schnaubte. »Man sollte denken, daß selbst Grüne Ajah sich nicht mehr so benehmen sollten wie kleine Mädchen, die gerade vom Schürzenzipfel ihrer Mutter losgekommen sind. So gut sieht er auch wieder nicht aus.«

»Stimmt«, sekundierte Mat.

Gawyn grinste sie beide an, bis Hammar ihm einen bösen Blick zuwarf. »Hier«, sagte der Behüter und drückte Mat zwei weitere Silbermünzen in die Hand. »Ich hole sie mir später von Galad zurück. Wo kommst du her, Junge?«

»Manetheren.« Mat erstarrte, als er den Namen aus seinem eigenen Mund hörte. »Ich meine, ich komme von den Zwei Flüssen. Ich habe wohl zu viele alte Geschichten gehört.« Sie blickten ihn nur wortlos an. »Ich... ich glaube, ich gehe jetzt zurück und sehe zu, daß ich etwas zu essen bekomme.« Die Vormittagsglocke hatte noch nicht einmal geläutet, aber sie nickten, als sei das selbstverständlich.

Er behielt den Bauernspieß, denn niemand hatte ihm gesagt, er solle ihn zurückgeben. Dann ging er langsam davon, bis die Bäume den Übungsplatz hinter ihm verdeckten. Anschließend lehnte er sich auf seinen Stock, als sei der das einzige, was ihn noch aufrecht halten könne. Das stimmte wohl auch.

Er glaubte, wenn er seinen Mantel öffnete, müsse ein Loch dort erscheinen, wo sein Magen gewesen war. Das Loch wurde immer größer und drohte auch den Rest von ihm aufzusaugen. Doch er dachte kaum an seinen Hunger. Er hörte immer wieder diese Stimme in seinem Kopf. Ihr sprecht die Alte Sprache, Junge? Manetheren. Das ließ ihn schaudern. Licht, hilf mir, ich schaufle mir noch mein eigenes Grab. Ich muß hier weg. Aber wie? Er humpelte zur Burg zurück wie ein alter, alter Mann. Wie?


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