Überall in der Stadt Tear erwachten die Menschen im Morgengrauen und erzählten von den Träumen dieser Nacht. Sie hatten geträumt, daß der Drache im Herzen des Steins gegen Ba'alzamon kämpfte, und als sie ihre Augen zu der großen Festung des Steins erhoben, da erblickten sie eine neue Flagge, die am höchsten Punkt im Wind flatterte. Auf weißem Untergrund wand sich dort die Gestalt einer großen Schlange mit roten und goldenen Schuppen, mit einer goldenen Löwenmähne und vier Beinen. Jedes der Beine endete in fünf goldenen Klauen. Männer kamen halb betäubt und verängstigt vom Stein herunter und erzählten mit gedämpfter Stimme von dem, was in dieser Nacht geschehen war. Dann strömten Männer und Frauen durch die Straßen und weinten, als sie von der Erfüllung der Prophezeiung sprachen.
»Der Drache!« riefen sie. »Al'Thor! Der Drache! Al'Thor!«
Mat spähte durch eine Schießscharte hoch oben an der Seite des Steins auf die Stadt hinunter und schüttelte den Kopf, als er dem Chor der Stimmen lauschte, der sich wellenförmig aus dem Häusermeer erhob. Na ja, vielleicht ist er es wirklich. Er hatte immer noch daran zu kauen, daß Rand wirklich hier war.
Jeder im Stein schien den Leuten unten beizupflichten, oder falls nicht, ließen sie es sich nicht anmerken. Er hatte Rand seit letzter Nacht nur einmal gesehen, wie er mit Callandor in der Hand durch einen Gang geschritten war. Dabei umringten ihn ein Dutzend verschleierter Aiel, und hinter ihm lief ein Rattenschwanz von Bewohnern des Steins: eine ganze Reihe der Verteidiger und die meisten der überlebenden Hochlords. Die letzteren schienen im Mindestfall damit zu rechnen, daß Rand ihre Hilfe benötigen werde, um die Welt zu regieren. Die Aiel hielten alle mit scharfen Blicken zurück, und falls notwendig, streckten sie die Speere vor. Sie glaubten ganz sicher, daß Rand der Drache sei, obwohl sie ihn bei einem anderen Namen nannten: Der Mit Der Morgendämmerung Kommt. Es befanden sich beinahe zweihundert Aiel im Stein. Sie hatten ein Drittel ihrer Kämpfer während der Auseinandersetzungen verloren, aber sie hatten zehnmal mehr Verteidiger getötet oder gefangengenommen.
Als er sich von der Schießscharte abwandte, fiel sein Blick auf Rhuarc. An einem Ende des Raums stand ein hohes, eigenartiges Regal. Zwei holzgeschnitzte, glänzende Räder aus einem dunkel geäderten Holz hielten das Ganze. Dazwischen war das Regal mit allen Bücherborden aufgehängt, so, daß die Bretter waagrecht hängen blieben, wenn die Räder bewegt wurden. Auf jedem Brett lag ein großes, in Gold gebundenes Buch. Auf den Umschlägen glitzerten Edelsteine. Der Aiel hatte eines der Bücher geöffnet und las darin. Irgendwelche Abhandlungen, dachte sich Mat. Wer hätte geglaubt, daß ein Aiel Bücher liest? Wer hätte geglaubt, daß ein Aiel überhaupt blutig lesen kann?
Rhuarc blickte in seine Richtung. Es war ein selbstbewußter Blick aus kalten, blauen Augen. Mat blickte schnell wieder weg, bevor der Aiel seine Gedanken von seinem Gesicht ablesen konnte. Wenigstens trägt er keinen Schleier, dem Licht sei Dank! Seng mich, diese
Aviendha hätte mir ja beinahe den Kopf abgerissen, als ich sie fragte, ob sie auch ohne Speer tanzen könne. Bain und Chiad waren auch wieder eine Sache für sich. Sie waren wirklich hübsch und mehr als freundlich, aber er brachte es niemals fertig, mit der einen zu sprechen, ohne daß die andere dabei war. Die männlichen Aiel schienen seine Bemühungen, mit einer allein zu reden, amüsant zu finden, und Bain und Chiad wohl offensichtlich auch. Frauen sind so schon eigenartig, aber neben diesen Aiel-Frauen ist das ja noch normal, was mir bisher eigenartig erschien!
Der große Tisch in der Mitte des Raums war wunderbar geschnitzt und an den Kanten und den dicken Tischbeinen vergoldet. Er war für die Versammlungen der Hochlords bestimmt gewesen. Moiraine saß auf einem der thronähnlichen Stühle. In dessen hochaufragende Lehne war das Halbmondwappen von Tear mit Gold, geschliffenen Karneolen und Perlmutt eingelegt. Egwene, Nynaeve und Elayne saßen nahe bei ihr.
»Ich kann immer noch nicht glauben, daß Perrin hier in Tear ist«, sagte Nynaeve gerade. »Seid Ihr sicher, daß es ihm gutgeht?«
Mat schüttelte den Kopf. Er hätte an sich erwartet, daß Perrin letzte Nacht mit den anderen oben im Stein gekämpft hätte. Der Schmied war immer schon tapferer als andere Verrückte gewesen.
»Es ging ihm gut, als ich ihn verließ.« Moiraines Antwort klang ernst. »Ob dem immer noch so ist, weiß ich nicht. Seine... Begleitung befindet sich in erheblicher Gefahr, und es könnte sein, daß er den Kopf in dieselbe Schlinge gesteckt hat.«
»Seine Begleitung?« fragte Egwene in scharfem Ton. »Wa... , wer ist denn Perrins Begleiter?«
»Welche Gefahr?« wollte Nynaeve wissen.
»Nichts, worüber Ihr euch die Köpfe zerbrechen müßtet«, sagte die Aes Sedai gelassen. »Ich werde in Kürze hingehen und mich um sie kümmern. Ich habe das nur hinausgeschoben, um Euch dies hier zu zeigen, das ich unter den Ter'Angreal und anderen Gegenständen gefunden habe, die mit der Einen Macht zusammenhängen und die von den Hochlords im Laufe der Zeit gesammelt wurden.« Sie nahm etwas aus ihrer Gürteltasche und legte es vor sich auf den Tisch. Es war eine Scheibe von der Größe einer Männerhand, anscheinend aus zwei aneinandergelegten Tränen geformt, die eine pechschwarz und die andere schneeweiß.
Mat erinnerte sich dunkel daran, daß er bereits andere Scheiben dieser Art gesehen hatte. Uralt, genau wie diese, aber zerbrochen, während diese ganz war. Drei hatte er bisher zu Gesicht bekommen; nicht alle zusammen, sondern in Bruchstücken. Aber das konnte an sich gar nicht sein, denn sie bestanden aus Cuendillar, das von keiner Macht der Welt, nicht einmal von der Einen Macht, zerstört werden konnte.
»Eines der sieben Siegel, mit denen Lews Therin Brudermörder und die Hundert Gefährten das Gefängnis des Dunklen Königs verschlossen«, sagte Elayne und nickte, als wolle sie sich das selbst bestätigen.
»Genauer gesagt«, warf Moiraine ein, »ist es ein Zentrum eines der Siegel. Aber im wesentlichen habt Ihr schon recht. Während der Zerstörung der Welt hat man sie verstreut und zur Sicherheit verborgen. Seit den Trolloc-Kriegen waren sie tatsächlich verschwunden.« Sie schniefte. »Ich höre mich schon wie Verin an.«
Egwene schüttelte den Kopf. »Ich denke, wir mußten wohl erwarten, eines hier vorzufinden. Schon zweimal hat Rand Ba'alzamon gegenübergestanden, und beide Male war zumindest eines der Siegel gegenwärtig.«
»Und dieses ist nicht zerbrochen«, sagte Nynaeve. »Zum erstenmal ist das Siegel unzerstört. Als spiele das jetzt noch eine Rolle.«
»Glaubt Ihr, es spiele keine Rolle mehr?« Moiraines Stimme klang gefährlich ruhig, und die anderen Frauen runzelten die Stirn, als sie so zu ihnen sprach.
Mat rollte die Augen. Sie redeten nur von unwichtigen Dingen. Es gefiel ihm nicht besonders, daß er kaum zwanzig Fuß entfernt von dieser Scheibe stand, nun, da er wieder wußte, was das war, ganz gleich, wieviel Cuendillar wert war, aber... »Entschuldigung«, sagte er.
Sie drehten sich alle um und sahen ihn an, als habe er etwas Wichtiges unterbrochen. Seng mich! Hol sie aus einer Gefängniszelle heraus, rette ihnen ein dutzendmal das Leben, bevor die Nacht vorüber ist, und dann funkeln sie einen genauso böse an wie die verfluchten Aes Sedai! Na ja, sie haben sich ja auch keineswegs bei mir bedankt, oder? Man hätte denken können, ich steckte meine Nase in Dinge, die mich nichts angingen, anstatt verdammte Verteidiger davon abzuhalten, ihnen ein Schwert in den Leib zu rammen. Laut sagte er nur milde: »Es macht Euch doch nichts aus, wenn ich eine Frage stelle, oder? Ihr habt immer nur über dieses Aes Sedai... äh... Sachen gesprochen, und keine hat sich die Mühe gemacht, mir etwas zu erklären.«
»Mat?« sagte Nynaeve warnend und zog dabei an ihrem Zopf, aber Moiraine warf ruhig und nur mit ein klein wenig Ungeduld in der Stimme ein: »Was möchtet Ihr denn wissen?«
»Ich möchte wissen, wie all dies überhaupt sein kann.« Er wollte in ganz sanftem Ton sprechen, doch dann redete er sich heiß: »Der Stein von Tear ist gefallen! Die Prophezeiungen sagten, das werde niemals geschehen, bis das Volk des Drachen käme. Heißt das etwa, wir sind das verdammte Volk des Drachen? Ihr, ich, Lan und ein paar hundert verdammte Aiel?« Er hatte den Behüter in dieser Nacht ebenfalls gesehen. Er hatte keinen großen Unterschied entdecken können, wer tödlicher war — Lan oder die Aiel. Als sich Rhuarc aufrichtete und ihn anblickte, fügte er hastig hinzu: »Ach, tut mir leid, Rhuarc. Nur ein verbaler Ausrutscher.«
»Möglicherweise«, sagte Moiraine bedächtig. »Ich kam, um Be'lal davon abzuhalten, Rand zu töten. Ich hatte den Fall des Steins von Tear nicht erwartet. Vielleicht sind wir das. Prophezeiungen erfüllen sich, wie es bestimmt ist, und nicht, wie wir es für richtig halten.«
Be'lal. Mat schauderte. Er hatte letzte Nacht schon diesen Namen gehört, und im hellen Tageslicht gefiel er ihm auch nicht besser. Wenn er gewußt hätte, daß einer der Verlorenen frei war und auch noch hier im Stein, dann hätte er sich diesem Ort erst gar nicht genähert. Er blickte Egwene, Nynaeve und Elayne an. Also, ich hätte mich vielleicht trotzdem wie eine verdammte Maus eingeschlichen, aber bestimmt nicht rechts und links Leuten auf den Kopf gehauen! Sandar war bei Tagesanbruch aus dem Stein geeilt. Wie er behauptete, wollte er Mutter Guenna die Neuigkeiten mitteilen, aber Mat glaubte eher, er wollte sich nur den Blicken der drei Frauen entziehen, die aussahen, als hätten sie sich noch nicht entschieden, was mit ihm geschehen solle.
Rhuarc räusperte sich. »Wenn ein Mann Clanhäuptling werden will, geht er nach Rhuidean im Land der Jenn Aiel, zu dem Clan, den es nicht gibt.« Er sprach leise und sah mehrmals finster den rotgefransten Seidenteppich unter seinen weichen Stiefeln an wie ein Mann, der etwas zu erklären versucht, was er nicht erklären wollte. »Frauen, die Weise Frauen werden wollen, treten diese Reise ebenfalls an, aber falls sie erwählt werden — wenn überhaupt —, halten sie das geheim. Die Männer, die in Rhuidean erwählt werden, die alles überlebt haben, werden am linken Arm gezeichnet. So.«
Er schob den Ärmel seines Mantels und des Hemdes zurück, um seinen linken Unterarm zu enthüllen. Die Haut dort war viel blasser als die seiner Hände und seines Gesichts. In die Haut eingeätzt, als sei es ein Teil von ihr, war der gleiche rotgoldene Drache wie auf der Flagge über dem Stein. Er zog sich in zwei Bändern um seinen Unterarm.
Der Aiel ließ seinen Ärmel seufzend herunterrutschen. »Der Name wird nicht ausgesprochen, außer unter den Clanhäuptlingen und den Weisen Frauen. Wir sind... « Er räusperte sich wieder, offensichtlich unfähig, es auszusprechen.
»Die Aiel sind das Volk des Drachen«, sagte Moiraine ruhig, aber es klang doch ein wenig überrascht, wie Mat es bei ihr noch nie bemerkt hatte. »Das hatte ich nicht gewußt.«
»Dann ist nun wirklich alles vollbracht«, sagte Mat, »wie es prophezeit wurde. Wir können uns alle ohne weitere Sorgen auf den Weg machen.« Die Amyrlin wird mich nun nicht mehr brauchen, um in dieses verdammte Horn zu stoßen!
»Wie kannst du so etwas sagen?« wollte Egwene wissen. »Hast du nicht verstanden, daß die Verlorenen wieder frei sind?«
»Ganz zu schweigen von den Schwarzen Ajah«, fügte Nynaeve grimmig hinzu. »Wir haben hier nur Amico und Joyia gefangen. Elf sind entkommen! Ich möchte gern wissen, wie sie das angestellt haben. Und das Licht allein weiß, wie viele andere wir überhaupt noch nicht kennen.«
»Ja«, sagte Elayne mit genauso harter Stimme. »Ich bin vielleicht noch nicht soweit, einem der Verlorenen gegenüberzutreten, aber ich will wenigstens Liandrin die Haut abziehen!«
»Natürlich«, sagte Mat verbindlich. »Sicher.« Sind die verrückt geworden? Sie wollen die Schwarzen Ajah und die Verlorenen fangen? »Ich meinte nur, daß das schwerste Stück Arbeit getan ist. Der Stein ist an das Volk des Drachen gefallen, Rand hat Callandor, und Shai'tan ist tot.« Moiraines Blick war so hart, daß er glaubte, der ganze Stein bebe einen Moment lang.
»Schweigt still, Ihr Narr!« sagte die Aes Sedai mit einer Stimme, die in ihn schnitt wie ein Messer. »Wollt Ihr seine Aufmerksamkeit auf Euch lenken, indem Ihr den Dunklen König beim Namen nennt?«
»Aber er ist tot!« protestierte Mat. »Rand hat ihn getötet. Ich habe die Leiche gesehen!« Und wie die gestunken hat! Ich hätte nicht gedacht, daß etwas so schnell verwesen kann.
»Ihr habt ›die Leiche‹ gesehen«, wiederholte Moiraine mit spöttisch verzogenem Mund. »Die Leiche eines Mannes. Nicht den Dunklen König, Mat.«
Er blickte Egwene und die beiden anderen Frauen hilfesuchend an. Sie wirkten genauso verwirrt wie er. Rhuarc sah aus, als habe er gerade erfahren, daß eine gewonnene Schlacht in Wirklichkeit noch nicht einmal ausgetragen worden war. »Wer war das dann?« wollte Mat wissen. »Moiraine, mein Gedächtnis weist Lücken auf, in die ein ganzer Wagen mitsamt dem Gespann hineinpaßt, aber ich erinnere mich genau daran, wie Ba'alzamon in meinen Träumen war. Ich weiß es noch genau! Seng mich, ich glaube nicht, daß ich das jemals vergessen kann! Und ich habe das erkannt, was noch von seinem Gesicht übrig war.«
»Ihr habt Ba'alzamon erkannt«, sagte Moiraine. »Oder vielmehr den Mann, der sich Ba'alzamon nannte. Doch der Dunkle König lebt noch in seinem Verlies unter dem Shayol Ghul, und der Schatten liegt noch immer über dem Muster.«
»Das Licht erleuchte und beschütze uns«, murmelte Elayne mit schwacher Stimme. »Ich glaubte... ich glaubte, die Verlorenen seien das Schlimmste, worüber wir uns jetzt noch Gedanken machen müßten.«
»Seid Ihr sicher, Moiraine?« fragte Nynaeve. »Rand war sicher — ist immer noch sicher —, daß er den Dunklen König getötet hat. Ihr scheint aber sagen zu wollen, daß Ba'alzamon gar nicht der Dunkle König war. Das verstehe ich nicht. Wie könnt Ihr so sicher sein? Und wenn er nicht der Dunkle König war, wer war er dann?«
»Ich kann aus dem einfachsten aller Gründe sicher sein, Nynaeve. Wie schnell auch die Verwesung fortschritt — es war doch der Körper eines Menschen. Glaubt Ihr, wenn der Dunkle König getötet würde, würde er einen menschlichen Körper zurücklassen? Der Mann, den Rand tötete, war ein Mensch. Vielleicht war es der erste der befreiten Verlorenen, oder vielleicht war er auch niemals vollständig gefangen. Das werden wir möglicherweise nie erfahren.«
»Ich... weiß vielleicht, wer es war.« Egwene brach mit verunsicherter Miene ab. »Zumindest habe ich vielleicht einen Hinweis. Verin zeigte mir eine Seite aus einem alten Buch, in dem Ba'alzamon und Ishamael gemeinsam erwähnt wurden. Es war fast vollständig im Hochgesang geschrieben und beinahe unverständlich, aber ich erinnere mich an etwas wie ›einen Namen, der sich hinter einem anderen Namen verbirgt‹. Vielleicht war Ba'alzamon in Wirklichkeit Ishamael?«
»Möglich«, sagte Moiraine. »Vielleicht war es Ishamael. Aber selbst wenn, dann leben immer noch neun der dreizehn. Lanfear und Sammael und Ravhin und... pah! Selbst wenn wir wissen, daß zumindest einige dieser neun in Freiheit sind, ist das keineswegs das Wichtigste.« Sie legte eine Hand auf die schwarzweiße Scheibe, die auf dem Tisch lag. »Drei der Siegel sind zerbrochen. Nur vier halten noch. Nur diese vier Siegel stehen zwischen dem Dunklen König und der Welt, und es kann sein, daß er sogar jetzt schon die Welt auf gewisse Weise berühren kann. Welchen Kampf wir auch hier gewonnen haben mögen — Schlacht oder Scharmützel —, es war alles andere als der letzte.«
Mat beobachtete, wie ihre Mienen an Entschlossenheit gewannen — Egwenes und Nynaeves und Elaynes —, langsam, zögernd, aber immer deutlicher, und er schüttelte den Kopf. Verdammte Frauen! Sie sind alle bereit, weiterzumachen, weiterhin Schwarze Ajah zu jagen, gegen die Verlorenen und gegen den verfluchten Dunklen König zu kämpfen. Na ja, sie sollten nicht glauben, daß ich sie das nächstemal wieder aus der heißen Suppe ziehe. Das sollten sie wirklich nicht glauben!
Einer der hohen Türflügel öffnete sich, während er überlegte, was er sagen solle, und eine hochgewachsene junge Frau von adliger Haltung betrat den Raum. Sie trug ein Diadem mit einem im Flug befindlichen goldenen Habicht auf der Stirn. Das schwarze Haar fiel ihr bis auf die bleichen Schultern, die von ihrem Kleid aus feinster roter Seide freigelassen wurden, genau wie ein großzügiges Stück ihres, wie Mat feststellte, bewundernswerten Busens. Einen Moment lang musterte sie Rhuarc interessiert mit ihren großen, dunklen Augen, und dann wandte sie sich kühl und majestätisch den Frauen am Tisch zu. Sie schien Mat vollständig zu ignorieren.
»Ich bin nicht gewohnt, daß man mir aufträgt, Botschaften zu überbringen«, verkündete sie und wedelte ein zusammengefaltetes Pergament in einer schmalen Hand.
»Und wer seid Ihr, Kind?« fragte Moiraine.
Die junge Frau richtete sich noch gerader auf, obwohl Mat das für unmöglich gehalten hätte. »Ich bin Berelain, die Erste von Mayene.« Sie warf das Pergament mit einer hochmütigen Geste vor Moiraine auf den Tisch und wandte sich wieder der Tür zu.
»Einen Moment, Kind«, sagte Moiraine und entfaltete das Pergament. »Wer hat Euch das gegeben? Und warum habt Ihr es gebracht, wenn Ihr es nicht gewohnt seid, Botschaften zu überbringen?«
»Ich... weiß nicht.« Berelain stand der Tür zugewandt da. Sie hörte sich erstaunt an. »Sie war... beeindruckend.« Sie schüttelte sich und schien ihre Selbstachtung wiederzugewinnen. Einen Augenblick lang betrachtete sie leicht lächelnd Rhuarc. »Ihr seid der Führer dieser Aiel-Männer? Euer Kampfeslärm hat meinen Schlaf gestört. Vielleicht dürft Ihr einmal mit mir dinieren. Eines Tages in nächster Zukunft.« Sie blickte sich zu Moiraine um. »Man hat mir mitgeteilt, daß der Wiedergeborene Drache den Stein eingenommen habe. Informiert den Lord Drachen, daß die Erste von Mayene heute abend mit ihm zu speisen wünscht.« Und damit defilierte sie aus dem Raum. Mat konnte es nicht anders beschreiben, so würdevoll wirkte diese Ein-Frau-Prozession.
»Die hätte ich gern als Novizin in der Burg.« Egwene und Elayne sagten fast gleichzeitig dasselbe und lächelten sich dann gezwungen an. »Hört mal her«, sagte Moiraine. »›Lews Therin gehörte mir, gehört mir und wird mir immer und ewig gehören. Ich gebe ihn in Eure Hände, um ihn für mich zu hegen, bis ich komme, ihn zu holen.‹ Unterschrieben ist es mit ›Lanfear‹.« Die Aes Sedai richtete ihren kühlen Blick auf Mat. »Und Ihr habt geglaubt, es sei vollbracht? Ihr seid ein Ta'veren, Mat, ein Strang, der wichtiger für das ganze Muster ist als die meisten anderen. Ihr seid dem Horn von Valere verbunden. Für Euch ist überhaupt nichts vorüber.«
Sie sahen ihn alle an. Nynaeve wirkte traurig, Egwene blickte ihn an, als habe sie ihn noch nie zuvor gesehen, und Elayne, als warte sie darauf, daß er sich in irgend jemand anderen verwandle. Rhuarc hatte einen gewissen Respekt im Blick, obwohl Mat alles in allem genausogern darauf verzichtet hätte.
»Also gut, selbstverständlich«, sagte er lahm. Seng mich! »Ich verstehe schon.« Ich frage mich, wie schnell Thom wieder reisefertig sein kann. Zeit zum Abhauen. Vielleicht kommt Perrin mit. »Ihr könnt auf mich zählen.«
Von draußen erklangen nach wie vor unablässig die Rufe: »Der Drache! Al'Thor! Der Drache! Al'Thor! Der Drache! Al'Thor! Der Drache!«
Und es stand geschrieben, daß keine Hand außer der seinen das Schwert halten könne, das im Stein lag, und er zog es hervor und es war wie Feuer in seiner Hand und sein Ruhm verbrannte die Welt. So begann es. So singen wir von seiner Wiedergeburt. So singen wir vom Beginn.
— aus Do'in Toldnra te, Lieder des Letzten Zeitalters, Quarto Neun: Die Legende vom Drachen, komponiert von BOANNE, Meisterin aller Gesänge in Taralan, Viertes Zeitalter