50 Der Hammer

Die Nachmittagssonne brannte heiß auf die Fähre, als sie in Tear anlegte. Auf den dampfenden Pflastersteinen des Kais standen die Pfützen, und die Luft schien Perrin genauso feucht wie in Illian. Die Luft roch nach Pech und Holz und Hanf — er konnte weiter südlich am Fluß Werften erkennen —, nach Gewürzen und Eisen und Hafer, nach Parfüm und Wein und hundert verschiedenen Düften, die er aus dem Gemisch nicht deuten konnte. Das meiste drang aus den Lagerhäusern hinter den Hafenanlagen. Als der Wind einen Augenblick lang auf Nord drehte, fing seine Nase auch den Gestank von Fisch auf, aber der verflog wieder, als sich der Wind erneut drehte. Kein Geruch nach irgend etwas, das man jagen konnte. Sein Geist suchte nach den Wölfen, bevor ihm klar wurde, was er da tat, und er sich dagegen abschloß. Das hatte er in letzter Zeit zu oft getan. Natürlich waren keine Wölfe da gewesen. Nicht in einer Stadt wie dieser. Er wünschte, er fühlte sich nicht so... einsam.

Sobald die Rampe am Ende der Fähre heruntergeklappt war, führte er Traber hinter Moiraine und Lan zum Kai hinüber. Die riesige Gestalt des Steins von Tear lag zu ihrer Linken so im Schatten, daß er wie ein Berg wirkte, trotz der mächtigen Flagge am höchsten Punkt. Er wollte den Stein nicht ansehen, aber es schien unmöglich, die Stadt zu betrachten, ohne hinzuschauen. Ist er schon hier? Licht, wenn er schon versucht haben sollte, da hineinzugelangen, ist er möglicherweise tot. Und dann wäre alles umsonst gewesen.

»Was wollen wir hier eigentlich finden?« fragte Zarine hinter ihm. Sie hatte nicht aufgehört, Fragen zu stellen. Nur fragte sie eben nicht den Behüter oder die Aes Sedai. »In Illian sahen wir Graue Männer und die Wilde Jagd. Was erwartet uns in Tear... von dem irgend jemand verhindern will, daß Ihr es findet?«

Perrin sah sich um. Keiner der Schauerleute, die mit Gütern beladen umherliefen, schien es gehört zu haben. Er war sicher, bei ihnen Angst gewittert zu haben, falls sie gelauscht hätten. Er schluckte die scharfe Erwiderung herunter, die er auf der Zunge gehabt hatte. Sie hatte ohnehin die schnellere und schärfere Zunge.

»Ich wünschte, Ihr wärt nicht so eifrig und optimistisch«, grollte Loial. »Ihr scheint zu glauben, daß es genauso leicht wird wie in Illian, Faile.«

»Leicht?« murmelte Zarine. »Leicht! Loial, man hätte uns beinahe zweimal in einer Nacht umgebracht. Illian allein hätte schon für ein Jägerlied ausgereicht. Wieso nennt Ihr das leicht?«

Perrin verzog das Gesicht. Ihm wäre es lieber gewesen, Loial hätte Zarine nicht bei dem Namen genannt, den sie selbst erwählt hatte. Das erinnerte ihn ständig daran, daß Moiraine glaubte, sie sei Mins Falke. Und es löste auch nicht sein Problem, zu entscheiden, ob sie die schöne Frau sei, vor der ihn Min gewarnt hatte. Zumindest bin ich noch nicht auf den Habicht gestoßen. Oder auf einen Tuatha'an mit einem Schwert! Das wäre ja wohl das mit Abstand Eigenartigste, oder ich will ein Wollhändler sein!

»Hör auf, Fragen zu stellen, Zarine«, sagte er beim Aufsteigen auf Traber. »Du wirst herausbekommen, warum wir hier sind, wenn sich Moiraine entschließt, es dir zu sagen.« Er bemühte sich, den Stein nicht anzusehen.

Sie wandte ihm den Blick aus diesen dunklen, schrägstehenden Augen zu. »Ich glaube, du weißt auch nicht, warum, Schmied. Ich glaube, deshalb sagst du mir nichts, weil du gar nichts weißt. Gib es nur zu, Bauernjunge.«

Er seufzte leicht und ritt hinter Moiraine und Lan her. Zarine bohrte bei Loial keineswegs nach, wenn sich der Ogier weigerte, ihre Fragen zu beantworten. Er glaubte, sie wolle ihn damit so bearbeiten, daß er schließlich doch diesen Namen benützte. Aber das würde er nicht tun.

Moiraine hatte den Umhang aus Ölzeug hinter ihren Sattel geschnallt, oben auf das unauffällige Bündel mit dem Drachenbanner, und trotz der Hitze hatte sie den blauen Leinenumhang aus Illian angelegt. Die tiefe, breite Kapuze verbarg ihr Gesicht. Ihr Ring mit der Großen Schlange hing an einer Schnur um ihren Hals. In Tear, hatte sie gesagt, waren Aes Sedai nicht gerade geächtet, aber es war verboten, die Macht zu benützen. Die Verteidiger des Steins beobachteten jede Frau ganz genau, die den Ring trug. Bei diesem Besuch in Tear wollte sie aber nicht beobachtet werden.

Lan hatte schon vor zwei Tagen seinen farbverändernden Umhang in die Satteltasche gesteckt, als klar war, daß derjenige, der die Schattenhunde ausgesandt hatte — Sammael, dachte Perrin schaudernd, und dann bemühte er sich, nicht mehr an diesen Namen zu denken —, daß derjenige keine weiteren Verfolger mehr geschickt hatte. Der Behüter hatte der Hitze Illians getrotzt, und der etwas geringeren in Tear machte er nun ebenfalls keine Zugeständnisse. Sein graugrüner Mantel war bis zum Kragen zugeknöpft.

Perrin hatte seine Jacke bis zur Mitte aufgeknöpft und das Hemd am Hals aufgebunden. In Tear war es vielleicht ein wenig kühler als in Illian, aber es war immer noch so heiß wie im Sommer in den Zwei Flüssen. Und immer nach dem Regen wurde die Hitze durch die hohe Luftfeuchtigkeit unerträglich. Sein Gürtel mit der Axt daran hing am Sattelhorn. Dort war sie zur Hand, falls er sie brauchte, und er fühlte sich wohler, wenn er sie nicht trug.

Er war überrascht über den Schlamm auf den ersten Straßen, über die sie ritten. Nur Dörfer und Kleinstädte hatten ungepflasterte Straßen, jedenfalls seiner bisherigen Erfahrung nach, und Tear war schließlich eine der großen Städte. Aber es schien den Leuten hier nichts auszumachen. Viele liefen barfuß herum. Eine Frau, die auf kleinen Holzklötzen lief, erregte kurz seine Aufmerksamkeit, und er fragte sich, warum nicht alle so etwas trugen. Diese Pumphosen, die von den Männern getragen wurden, schienen kühler als die enganliegenden, wie er sie trug, aber er hätte sich wohl wie ein Narr gefühlt, wenn er solche Hosen hätte tragen müssen. Er stellte sich vor, wie das bei ihm aussehen mochte, dann auch noch einen dieser runden Strohhüte auf dem Kopf, und dabei mußte er denn doch schmunzeln.

»Was findest du denn lustig, Perrin?« fragte Loial. Seine Ohren hingen herab, so daß die Haarbüschel daran in seinen Haaren verborgen waren, und er musterte die Menschen auf den Straßen besorgt. »Diese Leute wirken... niedergeschlagen, Perrin. So haben sie nicht auf mich gewirkt, als ich das letzte Mal hier war. Selbst Menschen, die zuließen, daß ihr Hain gefällt wurde, sollten nicht so dreinblicken.«

Als Perrin begann, die Gesichter zu betrachten, anstatt alles auf einmal sehen zu wollen, sah er, daß Loial recht hatte. Etwas fehlte an zu vielen dieser Gesichter.

Vielleicht Hoffnung. Neugier. Sie sahen kaum zu den Vorbeireitenden hoch, außer, um den Pferden auszuweichen. Statt um den Ogier auf seinem mächtigen Reittier hätte es sich genausogut um Lan oder Perrin handeln können.

Die Straßen veränderten sich und waren gepflastert, als sie durch das Tor in der hohen, grauen Stadtmauer geritten waren, vorbei an den Soldaten mit ihren harten Blicken aus dunklen Augen. Sie hatten sich die Brustpanzer über rote Jacken mit weiten Ärmeln und engen, weißen Manschetten geschnallt, und auf dem Kopf trugen sie runde Helme mit Rand und Mittelrippe. Statt der Pumphosen der anderen Männer trugen sie enge Hosen, die sie in die kniehohen Stiefel gesteckt hatten. Die Soldaten runzelten die Stirn und hatten die Hände am Schwertgriff, als sie Lans Schwert sahen, und sie warfen auch kritische Blicke auf Perrins Bogen und Axt, doch auf gewisse Weise lag auch in ihren Gesichtern Niedergeschlagenheit, obwohl sie die Ankömmlinge ja so scharf gemustert hatten. Es schien, als sei ihnen im Grunde alles egal.

Innerhalb der Mauer waren die Gebäude größer und höher, wenn sie auch genauso gebaut waren wie die außerhalb. Die Dächer wirkten auf Perrin etwas eigenartig, besonders die nach oben spitz zulaufenden, aber seit er die Heimat verlassen hatte, hatte er so viele Arten von Dächern gesehen, daß er sich höchstens noch fragte, welche Art von Nägeln sie für ihre Dachplatten wohl benutzten. An manchen Orten allerdings gebrauchten die Leute überhaupt keine Nägel auf dem Dach.

Paläste und andere große Gebäude standen anscheinend planlos neben kleineren und gewöhnlicheren Gebäuden. Wenn sich auf der einen Straßenseite ein Block mit Türmen und eckigen, weißen Kuppeln befand, konnte es durchaus sein, daß gegenüber Läden und Schenken und Wohnhäuser standen. Da war zum Beispiel eine riesige Halle mit viereckigen Marmorsäulen davor, die allein schon an jeder Seite vier Schritt maßen. Man mußte fünfzig Stufen erklimmen, um zu dem fünf Spannen hohen Bronzetor zu gelangen. Doch auf der einen Seite stand eine Bäckerei, und auf der anderen hatte ein Schneider seine Werkstatt.

Hier trugen auch mehr Männer Jacken und enge Hosen wie die Soldaten, wenn auch in leuchtenderen Farben und ohne Rüstung. Ein paar hatten sogar Schwerter an der Seite. Keiner von ihnen lief barfuß, nicht einmal die in Pumphosen. Die Kleider der Frauen waren länger und tief ausgeschnitten und zeigten bloße Schultern und einiges vom Busen. Man sah nicht nur Wollstoffe, sondern auch häufig Seide. Das Meervolk handelte sehr viel mit Seide, und dieser Handel lief eben über Tear. Man sah nun auch genauso viele Sänften und Pferdekutschen wie Ochsengespanne und Planwagen. Und doch sah man auch hier auf zu vielen Gesichtern die gleiche Resignation.

Neben der Schenke, die Lan auswählte, dem ›Stern‹, stand auf der einen Seite eine Weberwerkstatt und auf der anderen eine Schmiede. Beide waren durch enge Gassen von der Schenke getrennt. Die Schmiede war aus unverputztem, grauen Stein erbaut, das Haus des Webers und die Schenke dagegen aus Holz, obwohl der ›Stern‹ vier Stockwerke hoch war und auch noch kleine Fenster im Dach hatte. Das Rasseln der Webstühle wetteiferte mit dem Klingen des Schmiedehammers nebenan. Sie übergaben ihre Pferde Stallburschen, die ihre Tiere nach hinten brachten, und traten in die Schenke ein. Aus der Küche kam der Geruch nach Fisch, der dort gebacken und vielleicht auch gekocht wurde, und der Duft von Hammelbraten. Die Männer im Schankraum trugen sämtlich die engen Jacken und weiten Hosen. Perrin glaubte auch nicht, daß reichere Männer, wie die in den bunten Jacken mit Puffärmeln, und Frauen wie die mit den bloßen Schultern und den Seidengewändern, diesen Lärm hier in Kauf nehmen würden. Vielleicht hatte Lan deshalb diese Schenke ausgewählt.

»Wie sollen wir denn bei diesem Lärm schlafen?« knurrte Zarine.

»Keine Fragen!« sagte er lächelnd. Einen Augenblick lang glaubte er, sie würde ihm die Zunge herausstrecken. Der Wirt war ein rundlicher Mann mit Halbglatze. Er trug eine lange, dunkelblaue Jacke und diese weiten Pumphosen. Beim Verbeugen faltete er die Hände über seinem vorstehenden Bauch. Sein Gesicht wirkte erschöpft und resignierend. »Das Licht leuchte Euch, gute Frauen. Willkommen«, seufzte er. »Das Licht leuchte Euch, gute Herren, und willkommen auch Euch.« Er fuhr beim Anblick von Perrins gelben Augen leicht zusammen und wandte sich dann mit müdem Blick Loial zu. »Das Licht leuchte Euch, Freund Ogier, und willkommen. Es ist ein Jahr oder länger her, daß ich einen von Euch in Tear gesehen habe. Irgendeine Arbeit am Stein. Sie wohnten natürlich im Stein, aber ich traf sie eines Tages auf der Straße.« Er schloß mit einem weiteren Seufzer. Offensichtlich brachte er nicht einmal die Neugier auf, Loial zu fragen, warum ein anderer Ogier nach Tear gekommen sei, oder überhaupt, warum sie alle sich hier aufhielten.

Der Mann mit der Halbglatze, der Jurah Haret hieß, führte sie persönlich in ihre Zimmer. Offenbar waren Moiraine mit ihrem Seidenkleid und dem verborgenen Gesicht und Lan mit seinen harten Gesichtszügen und dem Schwert für ihn eine Lady mit ihrem Leibwächter und somit seiner persönlichen Aufmerksamkeit wert. Er hielt Perrin ganz eindeutig für einen Diener, und bei Zarine war er sich ebenso eindeutig unsicher. Das paßte ihr wiederum gar nicht. Loial schließlich war doch einfach ein Ogier. Er rief Männer herbei, die für Loial zwei Betten zusammenschoben, und er bot Moiraine ein eigenes Speisezimmer an, falls sie das wünsche. Sie nahm sein Angebot dankend an.

Sie hielten sich zusammen, so daß sie eine kleine Prozession durch die oberen Räume bildeten, bis Haret sich verbeugte und seufzend ging. Er verließ sie dort, wo er begonnen hatte, nämlich vor der Tür zu Moiraines Zimmer. Die Wände waren weiß getüncht, und Loials Kopf streifte die Decke des Flurs.

»Was für ein anrüchiger Geselle«, knurrte Zarine und wischte sich zornig mit beiden Händen den Staub von ihrem Hosenrock. »Ich glaube fast, er hat mich für Eure Zofe gehalten, Aes Sedai. Das lasse ich mir nicht gefallen!«

»Hütet Eure Zunge«, sagte Lan leise. »Wenn Ihr diesen Namen in Hörweite anderer gebraucht, werdet Ihr es bereuen, Mädchen.« Sie schien etwas entgegnen zu wollen, aber sein eisigblauer Blick brachte ihre Zunge diesmal zum Schweigen und kühlte wohl sogar ihren Zorn ab.

Moiraine beachtete die beiden nicht. Sie blickte ins Nichts und verkrampfte ihre Hände dabei in ihren Umhang, als wolle sie sich die Hände daran abwischen. Perrins Meinung nach war sie sich dessen gar nicht bewußt.

»Wie wollen wir vorgehen, wenn wir Rand suchen?« fragte er, doch sie schien ihn nicht zu hören. »Moiraine?«

»Bleibt immer der Schenke nahe«, sagte sie einen Augenblick später. »Tear kann eine gefährliche Stadt sein, wenn man sich darin nicht auskennt. Hier kann das Muster zerrissen werden.« Das letzte hatte sie leise gesagt, als sei es nur für sie selbst bestimmt. Mit kräftigerer Stimme fuhr sie dann fort: »Lan, wir wollen sehen, was wir herausfinden können, ohne Aufsehen zu erregen. Ihr anderen bleibt in der Nähe der Schenke!«

»Bleibt in der Nähe der Schenke«, äffte Zarine sie nach, als die Aes Sedai und der Behüter die Treppe hinunter verschwanden. Aber sie sagte es wenigstens so leise, daß sie es nicht hören konnten. »Dieser Rand. Ist das derjenige, den Ihr... « Wenn sie in diesem Moment wie ein Falke wirkte, dann allerdings wie ein äußerst nervöser. »Und wir befinden uns in Tear, und im Herzen des Steins ist... Und die Prophezeiungen behaupten... Licht seng mich, Ta'veren, ist das eine Geschichte, an der ich beteiligt sein möchte?«

»Das ist keine Geschichte, Zarine.« Einen Augenblick lang fühlte Perrin die gleiche Hoffnungslosigkeit, wie sie im Tonfall des Wirts gelegen hatte. »Das Rad webt uns in ein Muster. Du hast dich entschieden, deinen Faden mit den unseren zu verknoten, und nun ist es zu spät, das wieder zu entwirren.«

»Licht!« grollte sie. »Jetzt klingst du schon genau wie Sie.«

Er ließ sie bei Loial und ging in sein Zimmer, um seine Sachen zu verstauen. Im Zimmer stand ein niedriges Bett, bequem, aber klein, so wie es die Stadtbewohner für einen Diener für angemessen hielten, dazu ein Waschtisch, ein Hocker und ein paar Haken hingen an der rissigen, getünchten Wand. Als er wieder herauskam, waren beide weg. Das Klingen des Hammers auf dem Amboß lockte ihn.

In Tear sah so vieles eigenartig aus, daß er es als Erleichterung empfand, die Schmiede zu betreten. Das Erdgeschoß bestand lediglich aus einem großen Raum und hatte hinten zwei lange Schiebetüren, die gerade offenstanden. Dahinter befand sich ein Hof, in dem Pferde und Ochsen beschlagen wurden. Selbst die Ochsenschlinge fehlte nicht. Hämmer standen in Ständern, und an den freien Stellen der Wände hingen Zangen aller Arten und Größen. Stützklemmen und Hufmesser und andere Werkzeuge eines Hufschmieds lagen sauber geordnet auf Holzbänken neben Meißeln und Zinken und Stanzen und allem Zubehör, das ein Grobschmied benötigte. In Behältern lagen Eisen- und Stahlstangen verschiedener Durchmesser. Fünf Schleifscheiben mit unterschiedlichen Schleifflächen standen auf dem festgetretenen Erdboden, dazu sechs Ambosse und drei ummauerte Essen mit ihren Blasebälgen. Nur in einer davon glühte gerade die Kohle. Ablöschfässer standen gleich daneben.

Der Schmied hämmerte gerade ein gelbglühendes Eisen zurecht, das er mit einer schweren Zange festhielt. Er trug Pumphosen und hatte blaßblaue Augen, aber die lange Lederweste an seinem nackten Oberkörper und die Schürze unterschieden sich kaum von denen, die Perrin und Meister Luhhan zu Hause in Emondsfeld getragen hatten. Seine kräftigen Arme und Schultern erzählten von langen Jahren der Metallbearbeitung. In seinem dunklen Haar bemerkte er beinahe dieselbe Zahl grauer Haare, an die sich Perrin bei Meister Luhhan erinnerte. Weitere Westen und Schürzen hingen an der Wand, als habe der Mann noch Gehilfen, die jetzt aber nicht sichtbar waren. Das Feuer in der Esse roch wie zu Hause. Das heiße Eisen roch nach der Heimat.

Der Schmied drehte sich um und steckte das Stück, an dem er gearbeitet hatte, in die Kohlen zurück. Perrin trat zu ihm hin, um den Blasebalg zu bedienen. Der Mann blickte ihn an, sagte aber nichts. Perrin zog die Griffe des Blasebalgs mit langsamen, stetigen, gleichmäßigen Bewegungen hoch und runter, damit die Kohle immer genau die richtige Hitze entwickelte. Der Schmied bearbeitet das Eisen aufs neue, diesmal auf dem gerundeten Horn des Ambosses. Perrin meinte, er müsse wohl ein Faßschaber sein, den er da anfertigte. Scharfe, schnelle Hammerschläge erklangen.

Der Mann sprach ihn an, ohne von der Arbeit aufzublicken. »Gehilfe?« war alles, was er sagte.

»Ja«, sagte Perrin genauso knapp.

Der Schmied arbeitete eine Weile weiter. Es war tatsächlich ein Faßschaber, mit dem man das Innere von Holzfässern auskratzte und säuberte. Von Zeit zu Zeit sah er Perrin nachdenklich an. Er legte den Hammer einen Augenblick lang weg, nahm ein kurzes, dickes, quadratisches Metallstück aus einem Behälter und drückte es Perrin in die Hand. Dann kehrte er zu seiner Arbeit zurück. »Seht zu, was Ihr damit anfangen könnt«, sagte er.

Ohne nachdenken zu müssen, schritt Perrin zu einem Amboß auf der anderen Seite der Schmiede hinüber und klopfte mit dem Rohling dagegen. Er ergab einen schönen Klang. Der Stahl war nicht lange genug im Feuer geblieben, um viel Kohlenstoff aufzunehmen. Er schob die gesamte Länge in die glühenden Kohlen, probierte von den beiden Wasserfässern, um festzustellen, welches gesalzen worden war — das dritte Faß enthielt Olivenöl —, legte Jacke und Hemd ab und suchte sich eine Lederweste heraus, die ungefähr auf seinen Oberkörper paßte. Die meisten dieser Burschen aus Tear waren nicht so groß wie er, doch er fand eine passende. Eine entsprechende Schürze zu finden war leichter.

Als er sich umdrehte, sah er, wie der Schmied, der immer noch den Kopf über seine Arbeit gebeugt hatte, nickte und in sich hineinlächelte. Aber nur, weil er sich in einer Schmiede auskannte, mußte er noch kein guter Schmied sein. Das war noch zu beweisen.

Als er mit zwei Hämmern, einer Flachzange mit langen Griffen und einer Meißelklemme zum Amboß zurückkehrte, hatte sich der Stahlrohling zur dunklen Rotglut erhitzt, bis auf ein kleines Stück, das er aus den Kohlen hatte herausragen lassen. Er bediente den Blasebalg und beobachtete, wie die Farbe des Metalls heller wurde, bis sie ein helles Gelb erreichte, beinahe schon weiß. Dann zog er es mit der Zange heraus, legte es auf den Amboß und packte den schwereren der beiden Hämmer. Ungefähr zehn Pfund, schätzte er, und der Schaft war länger, als es die meisten Leute, die nichts vom Schmiedehandwerk verstanden, für nötig hielten. Er hielt ihn nahe beim Ende des Schafts. Aus dem heißen Metall sprühten gelegentlich Funken, und er hatte die Hände eines Schmieds aus der Nähe von Rundhügel mit ihren vielen Narben deutlich in Erinnerung. Der Bursche war leichtsinnig gewesen.

Er wollte nichts besonders Kunstvolles oder Ausgefallenes machen. Im Moment erschien ihm etwas Einfaches am besten. Er begann damit, die Kanten des Rohlings rund zu klopfen, hämmerte dann die Mitte zu einer breiten Klinge zurecht, fast so dick wie der Rohling selbst, aber gut eineinhalb Handspannen lang. Von Zeit zu Zeit legte er den Metallblock ins Feuer zurück, um ihn blaßgelb zu halten, und nach einer Weile wechselte er zu dem leichteren Hammer über, der nur etwa die Hälfte des ersten wog. Das Stück hinter der Klinge hämmerte er dünn, und dann bog er es neben der Klinge um das Amboßhorn herum. Man konnte später einen Holzgriff daran anbringen. Nun steckte er die scharfe Meißelklemme in den Meißelspalt des Ambosses und legte das glühende Metallstück darauf. Ein scharfer Hammerschlag trennte das Werkstück ab, das er geformt hatte. Es war beinahe fertig. Es würde ein Fasenmesser, mit dem man die Oberseiten von Faßdauben glättete und schräg abschnitt, wenn sie zusammengebunden wurden. Es konnte auch zu anderen Arbeiten dienen. Wenn es fertig war. Der Faßschaber des anderen Mannes hatte ihn auf die Idee gebracht.

Sobald er es abgetrennt hatte, warf er das glühende Metallwerkzeug in das Faß mit dem gesalzenen Wasser. Ungesalzenes Wasser verwendete man zur Veredelung für besonders hartes Metall, während Öl es am elastischsten machte, wie es bei guten Messern nötig war. Und bei Schwertern, wie er gehört hatte, aber er hatte noch nie so etwas geschmiedet.

Als sich das Metall genügend — zu einem stumpfen Grau — abgekühlt hatte, holte er es aus dem Wasser und brachte es zu den Schleifscheiben. Ein wenig bedächtige Arbeit mit dem Pedal brachte das Metall zum Glänzen. Vorsichtig erhitzte er die Klinge nun wieder. Diesmal färbte sie sich dunkler — wie Stroh und schließlich wie Bronze. Als der bronzene Farbton wellenförmig die Klinge zu überziehen begann, legte er sie zum Abkuhlen zur Seite. Danach konnte man die endgültige Schneide schleifen. Sie noch einmal ins Wasser zu tauchen würde die Härtung zunichte machen, der er das Ganze gerade unterzogen hatte.

»Eine sehr saubere Arbeit«, sagte der Schmied. »Keine überflüssige Bewegung. Sucht Ihr Arbeit? Meine Gehilfen sind mir gerade davongelaufen, alle drei, diese wertlosen Narren, und ich hätte viel Arbeit für Euch.«

Perrin schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie lange ich in Tear bleibe. Ich würde aber gern noch ein bißchen länger arbeiten, wenn es Euch nichts ausmacht. Es ist schon so lange her, und ich vermisse diese Arbeit. Vielleicht könnte ich ein paar von den Sachen erledigen, die Eure Gehilfen eigentlich hätten tun sollen.«

Der Schmied schnaubte laut. »Ihr seid ein ganzes Stück besser als jeder dieser Halunken, die nur herumhängen und in die Luft starren und etwas von ihren Alpträumen murmeln. Als hätte nicht jeder manchmal Alpträume. Ja, Ihr könnt hier arbeiten, solange Ihr wollt. Licht, ich habe Bestellungen über ein Dutzend Abziehmesser, drei Breitbeile für Küfer, und ein Zimmermann, dort, die Straße hinunter, braucht einen Fugenhammer, und... Zuviel, um alles aufzuzählen. Beginnt mit den Abziehmessern, und dann werden wir sehen, wieviel wir bis zum Abend schaffen.«

Perrin ging in seiner Arbeit auf. Eine Weile lang vergaß er alles, bis auf die Hitze des Metalls, das Klingen seines Hammers und den Geruch der Esse, doch dann kam ein Augenblick, als er aufblickte und feststellte, daß der Schmied — er hatte sich als Dermid Ajala vorgestellt — die Lederweste auszog. Der Beschlaghof war bereits dunkel. Alles Licht rührte von der Esse und einem Paar Lampen her. Und Zarine saß auf einem Amboß neben einer der kalten Essen und beobachtete ihn.

»Also bist du wirklich ein Schmied, Schmied«, sagte sie.

»Das ist er, gute Frau«, sagte Ajala. »Er sagt, er sei nur Gehilfe, aber soweit es mich betrifft, könnte die Arbeit, die er heute geleistet hat, zu seinem Meisterstück erklärt werden. Er arbeitet außerordentlich fein mit dem Hammer, und seine Hand ist mehr als ruhig.« Perrin trat bei diesen Komplimenten verlegen von einem Fuß auf den anderen, und der Schmied grinste ihn an. Zarine sah verständnislos von einem zum anderen.

Perrin ging hinüber und hängte Weste und Schürze auf ihre Haken zurück. Sobald er sie ausgezogen hatte, war er sich Zarines Blicke nur zu bewußt. Es war wie eine Berührung. Einen Augenblick lang schien ihm der von ihr ausgehende Kräuterduft überwältigend. Er zog sich schnell das Hemd über den Kopf, stopfte es hastig in die Hose und schlüpfte in seine Jacke. Als er sich umdrehte, lächelte Zarine ein wenig und auf eine Art, die ihn schon immer nervös gemacht hatte.

»War es das, was du hier tun wolltest?« fragte sie. »Bist du den weiten Weg hierhergekommen, um wieder als Schmied zu arbeiten?« Ajala hielt mit dem Schließen des Hoftores inne und lauschte.

Perrin nahm den schweren Hammer, den er benützt hatte, noch einmal in die Hand. Zehn Pfund schwer, und der Schaft war so lang wie sein Unterarm. Er fühlte sich gut an. Er fühlte sich in der Tat richtig an. Der Schmied hatte einmal kurz seine Augen betrachtet und noch nicht einmal gezwinkert. Die Arbeit war das eigentlich Wichtige, das Geschick in der Bearbeitung des Metalls, und nicht die Augenfarbe eines Mannes. »Nein«, sagte er traurig. »Eines Tages, hoffe ich. Aber noch nicht.« Er wollte den Hammer wieder an die Wand hängen.

»Behaltet ihn.« Ajala räusperte sich. »Ich schenke normalerweise keine guten Hämmer her, aber... Die Arbeit, die Ihr heute geleistet habt, ist viel mehr wert als dieser Hammer, und vielleicht verhilft er Euch ja zu diesem ›eines Tages‹. Mann, wenn ich jemals einen Mann gesehen habe, der für einen Schmiedehammer geschaffen war, dann Euch. Also nehmt ihn mit und behaltet ihn.«

Perrin schloß die Hand um den Schaft. Er fühlte sich absolut richtig an. »Ich danke Euch«, sagte er. »Ich kann gar nicht sagen, was das für mich bedeutet.«

»Vergeßt nur dieses ›eines Tages‹ nicht, Mann. Denkt immer daran.«

Als sie gingen, blickte Zarine zu ihm auf und sagte: »Hast du eine Ahnung davon, wie seltsam Männer sind, Schmied? Nein. Ich habe es auch nicht angenommen.« Sie lief voraus und ließ ihn mit dem Hammer in der Hand stehen. Mit der anderen Hand kratzte er sich am Kopf.

Niemand im Schankraum beachtete ihn, einen Mann mit goldenen Augen, der einen Schmiedehammer trug. Er ging hinauf in sein Zimmer und dachte ausnahmsweise einmal daran, eine Talgkerze anzuzünden. Sein Köcher und die Axt hingen am gleichen Haken. Er wog die Axt in einer Hand und den Hammer in der anderen. Vom reinen Metallgewicht her war die Axt mit ihrer halbmondförmigen Schneide und dem dicken Dorn gute fünf oder sechs Pfund leichter als der Hammer, aber sie fühlte sich zehnmal so schwer an. Er steckte die Axt in ihre Gürtelschlinge zurück und stellte den Hammer mit dem Schaft an die Wand gelehnt daneben auf den Fußboden. Die Schäfte von Axt und Hammer berührten sich fast. Beide Holzstücke waren gleich dick. Zwei Metallstücke, die ebenfalls beinahe das gleiche Gewicht hatten. Lange Zeit saß er auf dem Hocker und betrachtete sie. Er war immer noch damit beschäftigt, als Lan den Kopf ins Zimmer streckte.

»Kommt, Schmied. Wir haben Sachen zu besprechen.«

»Ich bin wirklich ein Schmied«, sagte Perrin, und der Behüter runzelte die Stirn.

»Macht mir jetzt nur nicht schlapp, Schmied. Wenn Euch eure Füße nicht mehr tragen, reißt Ihr uns vielleicht alle mit ins Verderben.«

»Meine Füße werden mich tragen«, grollte Perrin. »Ich werde tun, was notwendig ist. Was wollt Ihr?«

»Euch, Schmied. Habt Ihr nicht zugehört? Kommt mit, Bauernjunge.«

Diese Bezeichnung, bei der ihn Zarine so oft nannte, ließ ihn nun ärgerlich auf die Füße springen, aber Lan drehte sich bereits wieder um. Perrin eilte in den Flur und folgte ihm zum vorderen Teil der Schenke. Er wollte dem Behüter sagen, daß er von Bezeichnungen wie ›Schmied‹ und ›Bauernjunge‹ genug habe und daß sein Name Perrin Aybara laute. Der Behüter zog den Kopf ein und trat in den einzigen privaten Speisesaal der Schenke, dessen Fenster zur Straße hinaus zeigten.

Perrin ging ihm nach. »Jetzt hört mal zu, Behüter, ich... «

»Ihr werdet zuhören, Perrin«, sagte Moiraine. »Seid ruhig und lauscht.« Ihr Gesicht war ausdruckslos, doch ihre Augen blickten genauso grimmig drein, wie ihre Stimme klang.

Perrin hatte nicht bemerkt, daß sich außer dem Behüter und ihm noch jemand im Raum befand. Lan hatte seinen Arm auf den Sims des unbefeuerten Kamins gestützt. Moiraine saß am Tisch im Zentrum des Raums. Er war einfach gearbeitet und bestand aus schwarzem Eichenholz. Keiner der anderen Stühle mit ihren hohen, geschnitzten Lehnen war besetzt. Zarine lehnte an der Wand auf der Lan gegenüberliegenden Seite des Raums und machte eine finstere Miene. Loial hatte sich entschlossen, lieber auf dem Fußboden zu sitzen als auf Stühlen, die viel zu klein für ihn waren.

»Ich bin froh, daß du dich entschlossen hast, auch zu kommen, Bauernjunge«, sagte Zarine sarkastisch. »Moiraine wollte nichts sagen, bis du da warst. Sie sieht uns nur an, als wolle sie entscheiden, wer von uns sterben wird. Ich... «

»Schweigt«, sagte Moiraine in scharfem Ton zu ihr. »Einer der Verlorenen befindet sich in Tear. Der Hochlord Samon ist in Wirklichkeit Be'lal.« Perrin schauderte.

Loial preßte die Augen zu und stöhnte. »Ich hätte im Stedding bleiben können. Ich wäre vielleicht sehr glücklich gewesen und hätte geheiratet, wen meine Mutter für mich aussuchte. Meine Mutter ist eine feine Frau, und sie würde mir keine schlechte Frau verschaffen.« Seine Ohren hatten sich anscheinend ganz in seinen zerzausten Haaren versteckt.

»Ihr könnt zum Stedding Schangtai zurückkehren«, sagte Moiraine. »Geht jetzt gleich, wenn Ihr das wünscht. Ich werde Euch nicht aufhalten.«

Loial öffnete ein Auge. »Ich kann gehen?«

»Wenn Ihr wünscht«, sagte sie.

»Oh.« Er öffnete das andere Auge und kratzte sich mit wurstgroßen, dicken Fingern die Wange. »Ich denke... ich denke... wenn ich die Wahl habe... daß ich lieber bei Euch allen bleibe. Ich habe sehr viele Aufzeichnungen gemacht, aber noch lange nicht genug, um mein Buch fertigzuschreiben, und ich möchte Perrin und Rand nicht verlassen und... «

Moiraine schnitt ihm mit kalter Stimme das Wort ab: »Gut, Loial. Ich bin froh, daß Ihr bleibt. Ich werde gern all Eure Kenntnisse gebrauchen. Aber bis alles erledigt ist, habe ich keine Zeit mehr, mir Eure Klagen anzuhören!«

»Ich schätze«, sagte Zarine mit unsicherer Stimme, »daß es für mich keine Chance gibt, zu gehen?« Sie sah Moiraine an und schauderte. »Ich dachte es mir. Schmied, wenn ich das überlebe, wirst du dafür bezahlen.«

Perrin starrte sie an. Ich? Diese närrische Frau glaubt, daß es meine Schuld ist? Habe ich sie vielleicht gebeten, mitzukommen? Er öffnete den Mund, sah Moiraines Blick und schloß ihn schnell wieder. Einen Augenblick später sagte er: »Ist er hinter Rand her? Um ihn aufzuhalten oder zu töten?«

»Ich glaube nicht«, sagte sie ruhig. Ihre Stimme klang wie kalter Stahl. »Ich fürchte, er will, daß Rand das Herz des Steins betritt und Callandor nimmt. Dann will er es ihm abnehmen. Ich fürchte, er will den Wiedergeborenen Drachen mit der gleichen Waffe töten, die dafür bestimmt ist, ihn zu kennzeichnen.«

»Laufen wir wieder weg?« fragte Zarine. »Wie in Illian? Ich wollte niemals weglaufen, aber ich habe nicht daran gedacht, daß ich auf die Verlorenen stoßen würde, als ich den Jägereid ablegte.«

»Diesmal«, sagte Moiraine, »laufen wir nicht weg. Wir wagen es nicht, davonzulaufen. Welten und Zeiten ruhen auf Rands Schultern, auf dem Wiedergeborenen Drachen. Diesmal kämpfen wir.«

Perrin holte sich nervös einen Stuhl heran. »Moiraine, Ihr sprecht eine Menge Dinge offen aus, von denen Ihr uns sagtet, wir dürften noch nicht einmal daran denken. Ihr habt diesen Raum doch gegen Lauscher abgeschirmt, oder?« Als sie den Kopf schüttelte, packte er die Tischkante so hart an, daß das dunkle Eichenholz ächzte.

»Ich spreche nicht von einem Myrddraal, Perrin. Niemand weiß, wie stark die Verlorenen sind, außer, daß Ishamael und Lanfear die stärksten unter ihnen waren, doch selbst der schwächste unter ihnen könnte meine Abschirmung aus mehr als einer Meile Entfernung noch spüren. Und uns in Sekunden in Stücke reißen. Möglicherweise, ohne sich von dem Fleck zu rühren, an dem er steht.«

»Also, damit sagt Ihr doch, daß er Euch zu Knoten verarbeiten kann«, knurrte Perrin. »Licht! Was sollen wir denn tun? Wie können wir irgend etwas bewirken?«

»Selbst die Verlorenen können Baalsfeuer nicht widerstehen«, sagte sie. Er fragte sich, ob es das war, was sie gegen die Schattenhunde eingesetzt hatte. Was er da gesehen und was sie damals gesagt hatte, erfüllte ihn heute noch mit Unbehagen. »Ich habe im letzten Jahr eine Menge gelernt, Perrin. Ich bin... gefährlicher als damals, als ich nach Emondsfeld kam. Wenn ich Be'lal nahe genug kommen kann, kann ich ihn vernichten. Aber wenn er mich zuerst sieht, kann er uns alle vernichten, lange bevor ich eine Möglichkeit habe.« Sie wandte sich Loial zu. »Was könnt Ihr mir über Be'lal sagen?«

Perrin zwinkerte verwirrt. Loial? »Warum fragt Ihr ihn?« brach es zornig aus Zarine hervor. »Zuerst erzählt Ihr dem Schmied, Ihr wolltet uns gegen einen der Verlorenen kämpfen lassen, der uns alle töten kann, bevor wir auch nur einen Gedanken zu Ende denken, und nun fragt Ihr Loial über ihn aus?« Loial murmelte mit eindringlicher Hummelstimme den Namen, den sie für sich selbst gebrauchte — »Faile! Faile!« —, aber sie konnte sich nicht zurückhalten. »Ich glaubte, die Aes Sedai wüßten alles! Licht, ich bin wenigstens noch schlau genug, um nicht zu sagen, daß ich gegen jemanden kämpfen werde, bis ich alles überhaupt Mögliche über ihn weiß! Ihr... « Unter Moiraines Blick hörte sie mit mürrischer Miene zu sprechen auf.

»Ogier«, sagte Moiraine kühl, »haben ein gutes Gedächtnis, Mädchen. Für die Menschen sind mehr als hundert Generationen seit der Zerstörung der Welt vergangen, aber für die Ogier waren es weniger als dreißig. Wir erfahren aus ihren Geschichten ständig immer noch Dinge, die wir nicht wußten. Nun berichtet, Loial. Was wißt Ihr über Be'lal? Und bitte, faßt Euch diesmal kurz. Ich brauche keine langatmigen Geschichtchen.«

Loial räusperte sich. Es klang, als lasse man Feuerholz durch einen Schlauch rutschen. »Be'lal.« Seine Ohren zuckten aus dem Haar wie die Flügel einer Hummel empor und klappten dann wieder nach vorn. »Ich weiß nicht, was in den Geschichten noch vorhanden sein könnte, das Ihr noch nicht wißt. Er wird nicht oft erwähnt, außer bei der Zerstörung der Halle der Diener, kurz bevor Lews Therin Brudermörder ihn mit Hilfe der Hundert Gefährten zusammen mit dem Dunklen König einschloß. Jalanda, Sohn des Aried, Sohn des Coiam, schrieb, daß man ihn den Neidischen nannte, daß er dem Licht abschwor, weil er Lews Therin beneidete, und daß er auch Ishamael und Lanfear beneidete. In Eine Studie des Schattenkriegs nannte Moilin, Tochter der Hamada, Tochter der Juendan, Be'lal den Netzweber, aber ich weiß nicht, warum. Sie erwähnte, daß er mit Lews Therin ein Brettspiel spielte und gewann, und daß er sich dessen immer brüstete.« Er sah Moiraine an und grollte: »Ich bemühe mich ja, mich kurz zu fassen. Ich weiß nichts Wichtiges über ihn. Mehrere Autoren behaupten, Be'lal und Sammael seien Anführer im Kampf gegen den Dunklen König gewesen, bevor sie dem Licht abschworen, und beide waren Meister im Schwertkampf. Das ist wirklich alles, was ich weiß. Er wird vielleicht noch in anderen Büchern und Geschichten erwähnt, aber ich habe sie nicht gelesen. Be'lal wird einfach nicht oft erwähnt. Es tut mir leid, daß ich Euch nichts Nützliches erzählen konnte.«

»Aber vielleicht habt Ihr das ja«, sagte Moiraine zu ihm. »Ich habe diese Bezeichnung nicht gekannt: Netzweber. Oder daß er den Drachen genauso beneidete wie seine Kumpane im Schatten. Das stärkt meinen Glauben daran, daß er Callandor haben will. Das dürfte der Grund dafür sein, warum er sich zum Hochlord von Tear gemacht hat. Und Netzweber — das ist eine Bezeichnung für einen Intriganten, einen, der geduldig und schlau Intrigen spinnt. Das habt Ihr gut gemacht, Loial.« Einen Augenblick lang verzog sich der breite Mund des Ogiers zu einem geschmeichelten Lächeln, aber dann senkten sich die Mundwinkel wieder.

»Ich kann nicht behaupten, daß ich keine Angst hätte«, gab Zarine plötzlich zu. »Nur ein Narr würde sich nicht vor den Verlorenen fürchten. Aber ich habe geschworen, daß ich einer von Euch sein will, und das werde ich auch halten. Das ist alles, was ich sagen wollte.«

Perrin schüttelte den Kopf. Sie muß verrückt sein Ich wünschte, daß ich keiner von uns sei Ich wünschte, ich wäre zu Hause und würde in Meister Luhhans Schmiede arbeiten. Laut sagte er: »Wenn er sich im Stein befindet und dort auf Rand wartet, müssen wir hineingehen, um zu ihm zu kommen. Wie stellen wir das an? Jeder sagt ständig, niemand könne den Stein ohne Erlaubnis der Hochlords betreten, und wenn ich ihn so ansehe, kann ich auch keine andere Möglichkeit entdecken, als durch das Tor hineinzumarschieren.«

»Ihr geht nicht hinein«, sagte Lan. »Moiraine und ich werden die einzigen sein. Je mehr gehen, desto schwieriger wird es. Welchen Weg hinein ich auch immer finde, ich glaube nicht, daß er selbst für nur zwei leicht wird.«

»Gaidin«, begann Moiraine mit entschlossener Stimme, aber der Behüter unterbrach sie genauso entschlossen.

»Wir gehen zusammen, Moiraine. Ich werde diesmal nicht zurückbleiben.« Nach einem Augenblick des Überlegens nickte sie. Perrin glaubte zu bemerken, wie sich Lan entspannte. »Ihr anderen solltet besser etwas schlafen«, fuhr der Behüter fort. »Ich muß nach draußen und den Stein unter die Lupe nehmen.« Er schwieg einen Moment lang. »Da ist noch etwas, das ich über Eurer Neuigkeit beinahe vergessen hätte, Moiraine. Eine Kleinigkeit, und ich weiß nicht, was sie zu bedeuten hat. Es sind Aiel in Tear.«

»Aiel!« rief Loial. »Unmöglich! Die ganze Stadt wäre in Panik, wenn auch nur ein Aiel durchs Tor marschierte!«

»Ich behauptete nicht, daß sie auf der Straße einhermarschieren, Ogier. Auf den Dächern und hinter den Kaminen der Stadt kann man sich genauso gut verbergen wie in der Wüste. Ich habe nicht weniger als drei von ihnen erspäht, obwohl offenbar sonst niemand in Tear sie gesehen hat. Und wenn ich drei sah, könnt Ihr sicher sein, daß es viel mehr sind, die ich nicht erspähen konnte.«

»Das sagt mir nichts«, meinte Moiraine nachdenklich. »Perrin, warum runzelt Ihr so die Stirn?«

Er hatte gar nicht bemerkt, daß er das tat. »Ich habe über diesen Aiel in Remen nachgedacht. Er sagte, wenn der Stein fiele, würden die Aiel das Dreifache Land verlassen. Das ist die Wüste, nicht wahr? Er sagte, das sei eine Prophezeiung.«

»Ich habe jedes Wort der Prophezeiungen des Drachen gelesen«, sagte Moiraine leise, »und das in jeder Übersetzung, und die Aiel werden darin nicht erwähnt.

Wir stolpern blindlings dahin, während Be'lal sein Netz webt, und das Rad webt sein Muster um uns. Aber entstammen die Aiel dem Weben des Rads oder Be'lals Webkunst? Lan, du mußt mir den Weg in den Stein hinein schnell finden. Uns. Spüre uns schnell einen Weg auf.«

»Wie Ihr befehlt, Aes Sedai«, sagte er, aber sein Tonfall war eher warm als zeremoniell. Er verschwand durch die Tür. Moiraine sah den Tisch an und durch ihn hindurch, so war sie in Gedanken versunken.

Zarine kam herüber und blickte auf Perrin herunter. Den Kopf hielt sie ein wenig schief. »Und was wirst du tun, Schmied? Es scheint, sie wollen, daß wir hier sitzen und warten, während sie auf Abenteuer ausgehen. Nicht, daß ich mich beklagen wollte.«

Das letztere bezweifelte er. »Zuerst«, sagte er zu ihr, »werde ich etwas essen. Und dann werde ich über einen Hammer nachdenken.« Und versuchen, meine eigenen Gefühle in bezug auf dich zu enträtseln, Falke.


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