14 Dornenstiche

Die Amyrlin sagte zunächst nichts. Sie ging zu den hohen Bogenfenstern hinüber und blickte über den Balkon hinweg in den darunterliegenden Garten. Die Hände hatte sie auf dem Rücken gefaltet. Minuten vergingen, bevor sie wieder etwas sagte, wobei sie den beiden immer noch den Rücken zuwandte.

»Ich habe dafür gesorgt, daß die schlimmsten Dinge nicht bekannt wurden, doch wie lange kann man das geheimhalten? Die Dienerinnen wissen nichts von den gestohlenen TerAngreal, und sie bringen auch die Toten nicht mit der Abreise oder Flucht Liandrins und der anderen in Verbindung. Das war nicht leicht zu erreichen bei dem Klatsch unter der Dienerschaft. Sie glauben, Schattenfreunde hätten die Morde begangen. Und das stimmt ja sogar. Aber die Gerüchte erreichen auch die Stadt. Daß Schattenfreunde in die Burg eindringen und Morde begehen konnten. Das war nicht zu verhindern. Es verbessert unseren Ruf nicht gerade, ist aber immer noch besser als die Wahrheit. Wenigstens weiß niemand außerhalb der Burg, und auch nur wenige innerhalb, daß Aes Sedai getötet wurden. Schattenfreunde in der Weißen Burg. Pah! Ich habe mein ganzes bisheriges Leben damit verbracht, das abzuleugnen. Ich lasse das nicht zu. Ich werde sie ködern und ausnehmen und zum Trocknen an die Sonne hängen!«

Nynaeve sah Egwene unsicher an. Die fühlte sich aber noch viel weniger wohl in ihrer Haut. Dann holte Nynaeve tief Luft. »Mutter, sollen wir noch weiter bestraft werden, außer dem, was Ihr uns bereits gesagt habt?«

Die Amyrlin blickte sie über die Schulter hinweg an. Ihre Augen lagen im Schatten verborgen. »Euch noch weiter bestrafen? Das könnte man beinahe sagen. Einige werden meinen, ich hätte euch etwas geschenkt, euch erhoben. Jetzt werdet ihr bei dieser Rose den Stich der Dornen erst wirklich zu spüren bekommen.«

Sie ging mit schnellen Schritten zu ihrem Stuhl hinüber und setzte sich. Dann schien ihre Eile wieder verflogen zu sein. Und ihre Unsicherheit hatte wohl zugenommen.

Die Amyrlin unsicher dreinblicken zu sehen ließ Egwenes Magen brennen. Die Amyrlin war immer ruhig und ging voller Sicherheit ihren Weg. Die Amyrlin war die menschgewordene Stärke. Gegenüber all ihrer noch ungeschulten Macht besaß die Frau auf der anderen Seite des Tisches ein Wissen und eine Erfahrung, die ihr erlaubt hätten, sie um eine Spindel zu wickeln. Sie so plötzlich schwankend zu erleben — wie ein Mädchen, das wußte, sie mußte mit einem Kopfsprung in einen Teich eintauchen, von dem sie aber nicht wissen konnte, wie tief er war und ob auf seinem Grund Steine lagen — sie so zu erleben trieb Egwene einen eisigen Schreck bis ins Herz. Was meint sie mit dem Stich der Dornen? Licht, was will sie mit uns machen?

Die Amyrlin befühlte ein geschnitztes, schwarzes Holzkästchen, das vor ihr auf dem Tisch stand, und blickte darauf, als sehe sie durch es hindurch etwas ganz anderes. »Es fragt sich, wem ich vertrauen kann«, sagte sie leise. »Ich sollte eigentlich wenigstens Leane und Sheriam vertrauen können. Aber kann ich mich darauf verlassen? Verin?« Ihre Schultern bebten in einem kurzen, lautlosen Lachen. »Ich vertraue Verin bereits mehr als mein Leben an, aber wie weit kann ich das noch treiben? Moiraine?« Sie schwieg einen Moment lang. »Ich habe immer geglaubt, daß ich Moiraine vertrauen kann.«

Egwene war es unbehaglich. Wieviel wußte die Amyrlin? Sie konnte sie schlecht fragen — nicht den Amyrlin-Sitz. Wißt Ihr, daß ein junger Mann aus meinem Dorf, ein Mann, von dem ich annahm, daß ich ihn eines Tages heiraten würde, der Wiedergeborene Drache ist? Wißt Ihr, daß zwei Eurer Aes Sedai ihm helfen? Wenigstens war sie sicher, daß die Amyrlin nichts von ihrem Traum letzte Nacht wußte, als sie von ihm geträumt hatte, wie er vor Moiraine weglief. Sie glaubte jedenfalls darin sicher zu sein. Sie hielt weiter den Mund.

»Wovon sprecht Ihr?« wollte Nynaeve wissen. Die Amyrlin blickte zu ihr auf, und sie mäßigte ihren Ton und fügte hinzu: »Verzeiht mir, Mutter, aber sollen wir noch mehr bestraft werden? Ich verstehe nicht, was Ihr da über Vertrauen sagt. Falls Ihr auf meine Meinung Wert legt, dann kann man Moiraine nicht vertrauen.«

»So, das glaubt Ihr also?« sagte die Amyrlin. »Ein Jahr aus Eurem Dorf draußen, und Ihr glaubt schon, Ihr wüßtet genug, um zu entscheiden, welche Aes Sedai vertrauenswürdig ist und welche nicht? Ein Kapitän, der kaum gelernt hat, ein Segel zu reffen?«

»Sie hat es nicht so gemeint, Mutter«, sagte Egwene, wohl wissend, daß Nynaeve genau das gemeint hatte, was sie sagte. Sie warf Nynaeve einen warnenden Blick zu. Nynaeve riß hart an ihrem Zopf, hielt aber doch den Mund.

»Tja, wer kann so was schon mit letzter Genauigkeit sagen«, dachte die Amyrlin laut nach. »Vertrauen ist manchmal schlüpfrig wie ein Korb Aale. Wichtig ist, daß ich mit euch beiden arbeiten muß, auch wenn ihr nur dünne Halme im Schilf seid.«

Nynaeves Mund verzog sich, aber ihre Stimme klang ruhig. »Dünne Halme, Mutter?«

Die Amyrlin fuhr fort, als habe Nynaeve nichts gesagt. »Liandrin hat versucht, euch mit dem Kopf voraus in ein Wehr zu stecken, und es kann gut sein, daß sie floh, weil sie hörte, daß ihr zurückkommt und sie demaskieren würdet. Also muß ich glauben, daß ihr keine... Schwarzen Ajah seid. Ich würde eher Schuppen und Innereien essen«, murmelte sie noch, »aber ich schätze, ich muß mich daran gewöhnen, diese Bezeichnung in den Mund zu nehmen.«

Egwene schnappte vor Schreck nach Luft. Wir? Schwarze Ajah? Licht! Doch Nynaeve fauchte: »Das sind wir allerdings nicht! Wie könnt Ihr so etwas sagen? Wie könnt Ihr auch nur daran denken?«

»Wenn Ihr an mir zweifelt, Kind, dann sprecht es aus!« sagte die Amyrlin mit harter Stimme. »Ihr habt vielleicht manchmal die Kräfte einer Aes Sedai, aber Ihr seid es noch nicht, noch lange nicht. Also? Sprecht, wenn Ihr mehr zu sagen habt. Ich verspreche Euch, daß Ihr um Vergebung betteln werdet. ›Dünne Halme‹? Ich werde Euch wie einen Schilfhalm zerbrechen! Ich habe keine Geduld mehr.«

Nynaeves Lippen zitterten. Schließlich aber schüttelte sie sich leicht und atmete tief ein. Als sie weitersprach, klang ihre Stimme immer noch ein wenig herausfordernd, aber eben nur noch ein wenig. »Vergebt mir, Mutter. Aber Ihr solltet nicht... wir sind keine... wir würden so etwas nie tun.«

Mit unterdrücktem Lächeln lehnte sich die Aes Sedai auf ihrem Stuhl zurück. »Also könnt Ihr euer Temperament zügeln, wenn es sein muß. Das wollte ich wissen.« Egwene fragte sich, wieviel von alledem nur eine Prüfung gewesen war. Die Augenpartie der Amyrlin war so angespannt, daß sie wohl wirklich keine Geduld mehr hatte. »Ich wünschte, ich hätte eine Möglichkeit gefunden, Euch die Stola zu verschaffen, Tochter. Verin sagt, daß Ihr bereits ebenso stark seid wie die stärksten Frauen in der Burg.«

»Die Stola!« Nun schnappte Nynaeve nach Luft. »Aes Sedai? Ich?«

Die Amyrlin tat so, als werfe sie etwas weg, und gleichzeitig wirkte sie, als bedaure sie es. »Es hat keinen Zweck, sich etwas zu wünschen, was nicht sein kann. Ich könnte Euch wohl kaum zur Aes Sedai erheben und gleichzeitig losschicken, Töpfe zu schrubben. Und Verin sagt, daß Ihr außerdem noch nicht bewußt die Macht lenken könnt, außer Ihr seid wütend. Ich war bereit, Euch von der Wahren Quelle abzuschirmen, wenn Ihr auch nur versucht hättet, nach Saidar zu greifen. Die letzten Prüfungen für die Stola werden Euch abverlangen, die Macht zu lenken, während Ihr unter größtem Druck absolute Ruhe bewahren müßt. Unter extremem Druck. Selbst ich könnte und würde diese Anforderung nicht weglassen.«

Nynaeve schien wie betäubt. Sie starrte die Amyrlin mit offenem Mund an.

»Ich verstehe nicht, Mutter«, sagte Egwene nach einem Augenblick.

»Ja, das glaube ich. Ihr beiden seid die einzigen Frauen in der Burg, von denen ich absolut sicher bin, daß sie keine Schwarzen Ajah sind.« Der Mund der Amyrlin verzog sich bei dieser Bezeichnung immer noch. »Liandrin und ihre Zwölf flohen, doch waren das alle? Haben sie vielleicht welche zurückgelassen, wie einen Stumpf in seichtem Wasser, den man erst sieht, wenn er ein Leck ins Boot stößt? Möglicherweise finde ich das erst heraus, wenn es zu spät ist, aber ich lasse nicht zu, daß Liandrin und die anderen mit dem davonkommen, was sie taten. Nicht mit dem Diebstahl und schon gar nicht mit den Morden. Keiner tötet meine Leute und kommt ungeschoren davon. Und ich werde keine dreizehn ausgebildeten Aes Sedai dem Schatten dienen lassen. Ich werde sie finden und einer Dämpfung unterziehen!«

»Ich weiß nicht, was das mit uns zu tun hat«, sagte Nynaeve bedächtig. Sie wirkte nicht, als gefielen ihr die eigenen Gedankengänge.

»Nur soviel, Kind: Ihr beide werdet meine Jagdhunde sein und die Schwarzen Ajah zur Strecke bringen. Keiner wird das von euch vermuten — nicht von einem Paar halb ausgebildeter Aufgenommener, die ich öffentlich gedemütigt habe.«

»Das ist verrückt!« Nynaeve hatte die Augen weit aufgerissen, als die Amyrlin die Schwarzen Ajah erwähnt hatte, und ihre Knöchel waren weiß vor Anstrengung, so verkrampfte sie ihre Hände in den Zopf. Sie sagte verbissen: »Das sind alles volle Aes Sedai. Egwene wurde noch nicht einmal zur Aufgenommenen erhoben, und Ihr wißt, daß ich nicht einmal eine Kerze anzünden kann, wenn ich nicht zornig bin — jedenfalls nicht frei willig. Welche Chance hätten wir da?«

Egwene nickte zustimmend. Ihre Zunge klebte am Gaumen. Die Schwarzen Ajah jagen? Da würde ich lieber einen Bären mit der Rute jagen. Sie will uns doch nur Angst einjagen und uns noch weiter bestrafen. Das muß es sein! Wenn es das war, was die Amyrlin versuchte, dann hatte sie nur zuviel Erfolg damit.

Die Amyrlin nickte ebenfalls. »Alles, was Ihr sagt, stimmt. Aber jede von euch ist Liandrin mehr als nur gewachsen, was die reine Geisteskraft anbelangt, und sie ist die stärkste von ihnen. Natürlich sind sie ausgebildet und Ihr nicht, und Ihr, Nynaeve, leidet im Moment noch unter weiteren Einschränkungen. Aber wenn man kein Ruder hat, Kind, dann muß eben eine Planke genügen, um das Boot ans Ufer zu paddeln.«

»Aber ich wäre doch nutzlos!« platzte Egwene heraus. Ihre Stimme überschlug sich beim Sprechen, doch sie hatte zuviel Angst, um sich zu schämen. Sie meint das wirklich so! O Licht, das war ernst gemeint! Liandrin hat mich den Seanchan übergeben, und nun will sie, daß wir dreizehn von der Sorte jagen! »Meine Studien, die Unterrichtsstunden, die Arbeit in der Küche! Anaiya Sedai wird sicher noch weiter mit mir arbeiten wollen, um herauszubekommen, ob ich zu den Träumern gehöre. Ich werde kaum Zeit zum Schlafen und Essen übrig haben. Wie kann ich da noch irgendwen jagen?«

»Ihr werdet die Zeit dazu finden müssen«, sagte die Amyrlin, die nun wieder kühl und ernst wirkte, als wäre die Jagd nach Schwarzen Ajah nicht schlimmer, als den Fußboden zu fegen. »Als Aufgenommene wählt Ihr Eure eigenen Studiengebiete aus, innerhalb gewisser Grenzen natürlich, und auch die Unterrichtszeiten. Und die Regeln sind bei den Aufgenommenen ein wenig lockerer. Ein wenig. Sie müssen aufgespürt werden, Kind.«

Egwene sah Nynaeve an, doch alles, was die sagte, war: »Warum schließt Ihr Elayne nicht hierbei mit ein? Es kann ja wohl nicht sein, daß Ihr glaubt, sie sei eine Schwarze Ajah! Hat es damit zu tun, daß sie die TochterErbin von Andor ist?«

»Schon beim ersten Wurf ein volles Netz, Kind. Wenn ich könnte, würde ich sie bei euch lassen, aber im Moment macht mir Morgase schon genug Ärger. Wenn ich sie bearbeitet und auf den rechten Pfad zurückgeführt habe, wird Elayne sich euch möglicherweise anschließen. Vielleicht.«

»Dann haltet doch auch Egwene heraus«, sagte Nynaeve. »Sie ist ja kaum alt genug, um eine Frau genannt zu werden. Ich werde schon für euch jagen.« Egwene gab einen protestierenden Laut von sich — Ich bin eine Frau! —, doch die Amyrlin kam ihr zuvor.

»Ich will euch nicht als Köder benützen, Kind. Wenn ich hundert von euch hätte, wäre ich immer noch nicht glücklich, aber da ihr nur zu zweit seid, muß es eben so gehen.«

»Nynaeve«, sagte Egwene, »ich verstehe dich nicht. Meinst du damit, daß du das wirklich tun willst?«

»Es ist nicht gerade das, was ich tun möchte«, sagte Nynaeve müde, »aber ich mache mich lieber auf die Jagd nach ihnen, als hier herumzusitzen und mich zu fragen, ob die Aes Sedai, die mich gerade unterrichtet, vielleicht ein Schattenfreund ist. Und was immer sie vorhaben: Ich werde nicht darauf warten, bis sie soweit sind.«

Egwene verursachte ihre eigene Entscheidung Magenschmerzen, aber sie sagte tapfer: »Dann mache ich mit. Ich will genausowenig wie du herumsitzen und warten.« Nynaeve öffnete den Mund und Egwene fühlte einen Moment lang Zorn in sich aufsteigen. Das war aber nach all der Angst wie eine Erleichterung. »Und wage ja nicht wieder, zu sagen, ich sei zu jung. Wenigstens kann ich die Macht benützen, wann immer ich will. Die meiste Zeit über. Ich bin kein kleines Kind mehr, Nynaeve.«

Nynaeve stand da, zog an ihrem Zopf und sagte kein Wort. Schließlich jedoch lockerte sich ihre Haltung. »Du bist keines mehr, ja? Ich habe mir eingeredet, daß du eine Frau seist, aber ich glaube, ich habe es innerlich einfach nicht begreifen wollen. Mädchen, ich... Nein. Frau. Frau, ich hoffe, dir ist klar, daß du mit mir zusammen in einen Kochtopf gehüpft bist, unter dem das Feuer vielleicht schon brennt.«

»Das weiß ich.« Egwene war stolz darauf, daß ihre Stimme bei diesen Worten kaum noch bebte.

Die Amyrlin lächelte erfreut, doch in dem Blick aus ihren blauen Augen lag etwas, das Egwene vermuten ließ, sie habe die ganze Zeit über mit dieser Entscheidung gerechnet. In diesem Moment spürte sie die Fäden des Puppenspielers wieder an Händen und Füßen.

»Verin... « Die Amyrlin zögerte und murmelte dann mehr in sich hinein: »Wenn ich schon jemandem trauen muß, warum dann nicht ihr? Sie weiß bereits genauso viel wie ich und vielleicht sogar mehr.« Ihre Stimme wurde wieder lauter. »Verin wird euch alles berichten, was über Liandrin und die anderen bekannt ist. Sie wird euch auch eine Liste der gestohlenen TerAngreal geben und was man mit ihrer Hilfe tun kann. Soweit wir das eben wissen. Was mögliche in der Burg verbliebene Schwarze Ajah betrifft... Haltet die Augen und Ohren auf und seid vorsichtig mit euren Fragen. Verhaltet euch wie die Mäuse. Wenn ihr auch nur einen Verdacht habt, dann berichtet mir davon. Ich werde mich selbst ein wenig um euch kümmern. Keiner wird das für eigenartig halten, da ich euch ja derart bestraft habe. Ihr könnt mir berichten, wenn ich euch besuche. Denkt aber daran: Sie haben bereits Menschen getötet. Sie werden das vielleicht auch wieder tun!«

»Das ist ja schön und gut«, sagte Nynaeve, »aber wir sind immer noch nur Aufgenommene, sollen jedoch Aes Sedai jagen. Jede Schwester kann uns befehlen, uns um unsere eigenen Aufgaben zu kümmern, oder uns wegschicken, ihre Wäsche zu waschen. Wir haben dann keine andere Wahl, als zu gehorchen. Es gibt Orte, an die eine Aufgenommene nicht gehen darf, und Dinge, die sie nicht tun darf. Licht, wenn wir sicher wären, daß eine Schwester zu den Schwarzen Ajah gehört, könnte sie den Wachen ohne weiteres befehlen, uns in unseren Zimmern einzusperren und dort gefangenzuhalten. Sie würden gehorchen. Sie würden doch das Wort einer Aufgenommenen nicht über das einer Aes Sedai stellen.«

»Im allgemeinen«, erwiderte die Amyrlin, »müßt ihr euch an die Regeln für die Aufgenommenen halten. Es soll ja schließlich niemand Verdacht schöpfen. Aber...« Sie öffnete den schwarzen Kasten auf ihrem Schreibtisch, zögerte dann aber und sah die beiden Frauen an, als sei sie immer noch nicht sicher, ob sie es wirklich tun solle. Dann nahm sie einige feste, gefaltete Blätter heraus. Sie sah sie kurz durch, zögerte nochmals und wählte schließlich zwei davon aus. Die anderen legte sie in den Kasten zurück. Die beiden Dokumente übergab sie Egwene und Nynaeve. »Versteckt sie gut. Sie sind nur für den Notfall bestimmt.«

Egwene entfaltete den starken Papierbogen. Die Schrift darauf war gestochen sauber und abgerundet, und unten befand sich das Siegel mit der Weißen Flamme von Tar Valon.

Was die Trägerin tut, geschieht auf meinen Befehl hin, und ich trage dafür die Verantwortung.

Gehorcht und schweigt gemäß meinem Befehl.

Siuan Sanche Wächterin über die Siegel Flamme von Tar Valon Der Amyrlin-Sitz »Damit könnte ich ja so ziemlich alles tun«, sagte Nynaeve staunend. »Den Wachen den Marschbefehl erteilen. Die Behüter kommandieren.« Sie lachte ein wenig dabei. »Damit könnte ich einen Behüter tanzen lassen.«

»Bis ich es herausfände«, stimmte die Amyrlin trocken zu. »Wenn Ihr keinen äußerst überzeugenden Grund dafür nachweisen könntet, würde ich dafür sorgen, daß Ihr euch wünscht, Liandrin hätte Euch gefangen.«

»Ich habe nicht gesagt, daß ich so etwas tun werde«, sagte Nynaeve schnell. »Ich meine damit, es verleiht mir mehr Autorität, als ich mir vorgestellt hatte.«

»Ihr werdet sie möglicherweise brauchen. Aber denkt daran, Kind: Ein Schattenfreund gibt genausowenig auf dieses Papier wie irgendein Weißmantel. Beide würden Euch vermutlich schon deshalb töten, weil Ihr dieses Papier besitzt. Wenn dieses Dokument ein Schild wäre... Doch Papierschilde sind dünn, und auf diesem ist vielleicht eine Zielscheibe aufgemalt.«

»Ja, Mutter«, sagten Egwene und Nynaeve wie aus einem Munde. Egwene faltete ihr Dokument wieder und steckte es in ihre Gürteltasche. Sie beschloß, es nur dann wieder herauszunehmen, wenn es absolut notwendig war. Und woher weiß ich, wann das der Fall ist?

»Was ist mit Mat?« fragte Nynaeve. »Er ist sehr krank, Mutter, und es bleibt ihm nicht mehr viel Zeit.«

»Ich werde euch benachrichtigen«, antwortete die Amyrlin knapp.

»Aber, Mutter... «

»Ich werde euch schon benachrichtigen! Jetzt aber weg mit euch, Kinder. Die Hoffnung der Burg ruht auf euren Schultern. Geht jetzt in eure Zimmer und ruht euch ein wenig aus. Denkt daran: Ihr habt beide eine Verabredung mit Sheriam und den Kochtöpfen.«


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