Rand ging langsam zwischen den riesigen, matt schimmernden Sandsteinsäulen hindurch, an die er sich aus seinen Träumen erinnerte, in den Saal hinein. Stille erfüllte die Schatten, und doch rief ihn irgend etwas. Und vor ihm blitzte etwas auf wie ein Leuchtfeuer, das einen Augenblick lang die Schatten zurückdrängte. Er schritt hinaus unter eine große Kuppel und sah, was er gesucht hatte. Callandor hing mit dem Griff nach unten in der Luft und wartete auf keine andere Hand als die des Wiedergeborenen Drachen. Während es sich drehte, wurde das wenige Licht in winzige Lichtsplitter gebrochen, und von Zeit zu Zeit flammte es wie durch ein Licht aus seinem Innern hell auf. Es rief ihn, lockte ihn. Es wartete auf ihn.
Ich bin der Wiedergeborene Drache. Falls ich nicht bloß irgendein Verrückter bin mit dieser verfluchten Fähigkeit, die Macht lenken zu können — eine Marionette Moiraines und der Weißen Burg.
»Nimm es, Lews Therin. Nimm es, Brudermörder.«
Er fuhr zu der Stimme herum. Der hochgewachsene Mann mit kurzgeschnittenem weißen Haar, der aus den Schatten der Säulen trat, kam ihm bekannt vor. Rand hatte keine Ahnung, wer er war, dieser Bursche in einem roten Seidenmantel mit schwarzen, Längsstreifen an den Puffärmeln und schwarzen Hosen, die in kunstvoll mit Silber verzierten Stiefeln steckten. Er kannte den Mann nicht, aber er hatte ihn in seinen Träumen gesehen. »Ihr habt sie in einen Käfig gesperrt«, sagte er. »Egwene und Nynaeve und Elayne. In meinen Träumen. Ihr habt sie in einen Käfig gesperrt und ihnen weh getan.«
Der Mann machte eine wegwerfende Bewegung mit der Hand. »Sie bedeuten weniger als nichts. Vielleicht eines Tages, wenn sie ausgebildet sind, aber nicht jetzt. Ich gebe zu, überrascht zu sein, daß sie Euch wichtig genug waren, um für mich nützlich zu sein. Aber Ihr wart immer schon ein Narr, der eher seinem Herzen folgte als der Macht. Ihr seid zu früh gekommen, Lews Therin. Nun müßt Ihr tun, worauf Ihr noch nicht vorbereitet seid, oder Ihr müßt sterben. Sterben in dem Bewußtsein, daß Ihr diese drei Frauen, an denen Euch soviel liegt, in meinen Händen zurücklaßt.« Er schien auf etwas zu warten. »Ich habe vor, sie weiterhin zu benützen, Brudermörder. Sie werden mir und meiner Macht dienen. Und das wird ihnen viel mehr weh tun als alles, was sie vorher erlitten haben.«
Hinter Rand blitzte Callandor auf, und sein Licht pulsierte warm an Rands Rücken. »Wer seid Ihr?«
»Ihr erinnert Euch tatsächlich nicht an mich, oder?« Der weißhaarige Mann lachte plötzlich. »Wenn man es so betrachtet, erkenne ich Euch auch nicht wieder. Ein Bauernbursche mit einem Flötenkasten auf dem Rücken. Hat Ishamael die Wahrheit gesagt? Er hat doch immer gelogen, wenn er sich damit auch nur den kleinsten Vorteil ergaunern konnte. Erinnert Ihr euch denn an nichts, Lews Therin?«
»Ein Name!« wollte Rand wissen. »Nennt mir Euren Namen.«
»Ihr könnt mich Be'lal nennen.« Das Gesicht des Verlorenen verfinsterte sich, als Rand auf diesen Namen nicht reagierte. »Nimm es!« fauchte Be'lal, und seine Hand deutete auf das Schwert hinter Rand. »Einst sind wir Seite an Seite in den Krieg gezogen, und deshalb gebe ich Euch eine Chance. Eine winzige Chance, doch eine, Euch zu retten und auch die drei, die ich zu meinen Spielzeugen machen will. Nimm das Schwert, Bauer! Vielleicht reicht es aus, um Euch zu helfen, mich zu überleben.«
Rand lachte. »Glaubt Ihr, Ihr könntet mich so leicht das Fürchten lehren, Verlorener? Ba'alzamon selbst hat mich verfolgt. Glaubt Ihr, ich werde mich nun vor Euch ducken, vor einem Verlorenen kriechen, wenn ich dem Dunklen König selbst widerstanden habe?«
»Glaubt Ihr das wirklich?« fragte Be'lal leise. »Ihr wißt wirklich überhaupt nichts.« Plötzlich hielt er ein Schwert in der Hand, ein Schwert mit einer Klinge, die aus schwarzem Feuer geformt war. »Nimm es! Nimm Callandor! Dreitausend Jahre lang, während ich gefangen lag, hat es hier gewartet. Auf Euch. Einer der mächtigsten Sa'Angreal , wie wir je angefertigt haben. Nehmt es und verteidigt Euch, falls Ihr dazu in der Lage seid!«
Er ging auf Rand zu, als wolle er ihn zu Callandor hintreiben, doch Rand hob seine Hände, und Saidin erfüllte ihn: der süße Strom der Macht, angereichert mit der ekelerregenden Bösartigkeit der Verderbtheit. Und er hielt ein Schwert aus roten Flammen in der Hand, ein Schwert, das auf seiner feurigen Klinge das Zeichen eines Reihers trug. Er bewegte sich, wie Lan es ihm beigebracht hatte, und er glitt wie im Tanz aus einer Figur in die andere: ›Die Seide zur Seite schieben‹; ›Das Wasser fließt bergab‹; ›Wind und Regen‹. Die Klinge aus schwarzem Feuer traf auf die aus rotem, und es regnete Funken, es dröhnte, als zersplittere weißglühendes Metall.
Rand erreichte mit einer flüssigen Bewegung wieder die Engarde-Position und mühte sich, seine plötzlich aufkeimende Unsicherheit nicht zu zeigen. Auch auf der schwarzen Klinge war ein Reiher zu sehen. Der Vogel war so dunkel, daß er fast nicht sichtbar war. Einmal hatte er einem Mann mit einem stählernen Reiherschwert gegenübergestanden, und er hatte es mit knapper Not überstanden. Er wußte, daß er an sich kein Recht hatte, das Zeichen des Schwertmeisters zu führen. Es war das Schwert gewesen, das ihm sein Vater gegeben hatte. Doch wenn er sich ein Schwert in seiner Hand vorstellte, war es immer dieses. Einmal hatte er sich selbst beinahe den Tod gegeben, wie es ihn der Behüter gelehrt hatte, aber er wußte, daß diesmal der Tod endgültig sein würde. Be'lal war besser als er im Schwertkampf. Stärker. Schneller. Ein wirklicher Meister des Schwerts.
Der Verlorene lachte auf und schwang sein Schwert mit schnellen Bewegungen vor sich. Das schwarze Feuer brauste auf, als werde es durch das schnelle Vorbeistreichen der Luft gespeist. »Ihr wart früher einmal ein großer Schwertkämpfer, Lews Therin«, sagte er spottend. »Erinnert Ihr euch daran, als wir diese zahme Sportart aufnahmen und lernten, mit dem Schwert zu töten, wie es in alten Büchern gestanden hatte? Erinnert Ihr euch auch nur an eine dieser verzweifelten Schlachten oder wenigstens an eine unserer blutigen Niederlagen? Natürlich nicht. Ihr erinnert Euch an nichts, oder? Diesmal habt Ihr nicht genug gelernt. Diesmal, Lews Therin, werde ich Euch töten.« Be'lals Spott wurde beißender. »Vielleicht könnt Ihr euer Leben ein wenig verlängern, wenn Ihr Callandor nehmt. Ein wenig.«
Er näherte sich langsam, als wolle er Rand Zeit geben, Zeit, sich umzudrehen und zu Callandor zu laufen, dem Schwert, Das Nicht Berührt Werden Kann, und es an sich zu nehmen. Aber der Zweifel nagte an Rand. Callandor konnte nur vom Wiedergeborenen Drachen berührt werden. Er hatte ihnen aus hunderterlei Gründen gestattet, ihn dazu auszurufen, weil er zu dieser Zeit keine andere Wahl gehabt hatte. Aber war er wirklich der Wiedergeborene Drache? Wenn er nicht im Traum, sondern nun in Wirklichkeit hinlief, um Callandor zu berühren, würde dann seine Hand auf eine unsichtbare Wand treffen, während ihn Be'lal von hinten niederstach?
Er stellte sich dem Verlorenen mit dem Schwert, das ihm vertraut war, der Klinge, die er mit Saidin geschmiedet hatte. Und wurde zurückgetrieben. Auf das ›Fallende Blatt‹ antwortete ihm ›Gewässerte Seide‹. ›Die Katze tanzt auf der Mauer‹ traf auf ›Der Keiler stürmt bergab‹. ›Der Fluß unterspült das Ufer‹ hätte ihn beinahe den Kopf gekostet, und er mußte sich wenig elegant zur Seite werfen, als die schwarze Flamme seine Haare versengte. Er rollte sich ab, kam auf die Beine und mußte sich ›Steine fallen von den Klippen‹ erwehren. Methodisch und absichtsvoll trieb ihn Be'lal im Kreis herum immer weiter auf Callandor zu.
Schreie warfen ein Echo zwischen den Säulen, das Klingen von Stahl auf Stahl, doch Rand hörte das kaum. Er und Be'lal waren im Herzen des Steins nicht mehr allein. Männer mit Brustpanzern und Helmen mit breiten Rändern fochten mit Schwertern in den Händen gegen schattenhafte, verschleierte Gestalten, die mit ständig zustechenden kurzen Speeren zwischen den Säulen einherhuschten. Ein paar der Soldaten formierten sich zu einer Reihe. Pfeile blitzten aus der Düsternis heran und trafen sie in die Kehle, ins Gesicht, und sie starben in ihrer Formation. Rand bemerkte den Kampf kaum — selbst als Männer nur wenige Schritte von ihm entfernt tot niederstürzten. Sein eigener Kampf war zu verzweifelt, und er benötigte all seine Konzentration. Feuchte Wärme rieselte an seiner Seite herunter. Die alte Wunde brach wieder auf.
Er stolperte plötzlich, da er den Toten vor seinen Füßen nicht bemerkt hatte, bis er auf dem Rücken, den Flötenkasten hart im Kreuz, auf dem Steinboden lag.
Be'lal hob seine Klinge aus schwarzem Feuer und fauchte: »Nimm es! Nimm Callandor und verteidige dich! Nimm es, oder ich töte dich sofort! Wenn du es nicht nimmst, töte ich dich jetzt!«
»Nein!«
Selbst Be'lal fuhr ob des Kommandotons in der Stimme der Frau zusammen. Der Verlorene trat aus Rands Schwertradius und wandte sein finsteres Gesicht Moiraine zu, die mitten durch die Schlacht schritt, die Augen gerade auf ihn gerichtet, als bemerke sie die Todesschreie in ihrer Umgebung gar nicht. »Ich hatte geglaubt, ich hätte Euch endlich los, Frau. Macht nichts. Ihr seid nur ein Plagegeist. Eine Stechmücke. Ein Stechmich. Ich werde Euch zu den anderen sperren und Euch lehren, mit Euren lächerlichen Kräften dem Schatten zu dienen«, schloß er unter verächtlichem Lachen und hob die freie Hand.
Moiraine war nicht stehengeblieben oder hatte auch nur ihren Schritt verlangsamt, während er sprach. Sie befand sich nicht mehr als dreißig Schritt von ihm entfernt, als er die Hand bewegte, und sie erhob augenblicklich ihre beiden Hände.
Einen Moment lang stand Überraschung auf das Gesicht des Verlorenen gezeichnet, und er hatte gerade noch Zeit, »Nein!« zu schreien. Dann schoß ein Feuerbalken, heißer als die Sonne, aus den Händen der Aes Sedai, eine gleißende Leuchtspur, die alle Schatten auslöschte. Sie traf auf Be'lal, und der wurde zu einer durchscheinenden Gestalt aus schimmernden Lichtpunkten, die weniger als einen Herzschlag lang in diesem Licht tanzten und sich dann auflösten, bevor noch sein Schrei verklungen war.
Als dieser Lichtbalken verschwand, herrschte Schweigen im Raum, Schweigen, bis auf das Stöhnen der Verwundeten. Aller Kampf war auf einen Schlag beendet. Verschleierte und Gerüstete standen gleichermaßen wie betäubt da.
»Er hatte recht, was eine Sache betraf«, sagte Moiraine würdevoll und kühl, als stünde sie auf einer Wiese. »Ihr müßt Callandor an Euch nehmen. Er hatte vor, Euch zu töten, um es Euch abzunehmen, doch es ist Euer durch das Recht Eurer Geburt. Es wäre wohl viel besser gewesen, Ihr hättet mehr gelernt und erfahren, bevor Eure Hand es aufnimmt, aber Ihr seid nun an diesem Punkt angelangt, und es ist keine Zeit mehr, um zu lernen. Nehmt es, Rand.«
Peitschenartige schwarze Blitze wanden sich um sie. Sie schrie, als sie von ihnen in die Luft gehoben und zur Seite geworfen wurde wie ein Sack Getreide, bis sie gegen eine der Säulen knallte.
Rand blickte auf zum Ursprung der Blitze. Dort befand sich ein tieferer Schatten, beinahe am oberen Ende der Säulen, eine Schwärze, gegen die alle anderen Schatten wie die Mittagssonne wirkten, und aus dieser Schwärze blickten ihn zwei Feueraugen an.
Langsam senkte sich der Schatten herab und verfestigte sich zu Ba'alzamon, in totes Schwarz gekleidet wie ein Myrddraal. Doch selbst die Kleidung war nicht so schwarz wie der Schatten, der um ihn hing. Er hing in der Luft, zwei Spannen über dem Fußboden, und starrte Rand mit einem Zorn im Blick an, der genauso feurig war wie seine Augen. »Zweimal in diesem Leben habe ich dir die Chance geboten, mir lebend zu dienen.« Flammen loderten in seinem Mund auf, als er sprach, und jedes Wort toste wie aus einer Esse. »Zweimal hast du dich mir verweigert und mich verwundet. Nun wirst du eben im Tod dem Herrn der Gräber dienen. Stirb, Lews Therin Brudermörder! Stirb, Rand al'Thor! Es ist Zeit für dich, zu sterben! Ich nehme deine Seele an mich!«
Als Ba'alzamon die Hand ausstreckte, drückte sich Rand hoch und warf sich verzweifelt auf Callandor zu, das immer noch glitzernd in der Luft leuchtete. Er wußte nicht, ob er es noch erreichen und dann auch noch berühren könne, aber er war sicher, daß es seine einzige Chance darstellte.
Ba'alzamons Schlag traf ihn im Sprung, bohrte sich in ihn, riß etwas aus ihm heraus, wollte einen Teil seiner selbst aus ihm herauszerren. Rand schrie. Er fühlte sich, als falle er wie ein leerer Sack in sich zusammen, als würde sein Innerstes nach Außen gekehrt. Der Schmerz in seiner Seite, die Wunde, die er in Falme erhalten hatte, war ihm beinahe willkommen, etwas, woran er sich halten konnte, was ihn an das Leben erinnerte. Seine Hand schloß sich krampfartig zur Faust. Sie schloß sich um den Knauf Callandors. Die Eine Macht durchströmte ihn, ein Strom, stärker als er glauben konnte, und er floß von Saidin in das Schwert hinein. Die Kristallklinge schien heller als selbst Moiraines Feuer. Es war unmöglich, Callandor noch anzusehen, unmöglich noch als Schwert zu erkennen. Reines Licht flammte in seiner Hand. Er kämpfte gegen den Strom an, gegen diese unwiderstehliche Flut, die auch ihn, alles, was in seinem Innersten war, mit sich in das Schwert reißen wollte. Einen Herzschlag lang, jahrhundertelang, hing er so, schwankend, am Rande des Weggeschwemmtwerdens wie Sand in einer Springflut. Unendlich langsam gewann er an Gleichgewicht. Es war noch immer, als stünde er barfuß auf der Schneide einer Rasierklinge über einem bodenlosen Abgrund, doch irgend etwas sagte ihm, daß dieser Zustand noch der beste sei, den er erwarten könne. Um soviel Macht zu lenken, mußte er auf dieser Schärfe tanzen, wie er durch die Positionen des Schwertkampfes getanzt war.
Er wandte sich Ba'alzamon zu. Das Reißen in ihm hatte aufgehört, seit seine Hand Callandor berührt hatte. Nur ein Augenblick war vergangen, doch er schien eine Ewigkeit gedauert zu haben. »Du wirst meine Seele nicht bekommen«, rief er. »Diesmal will ich es ein für allemal beenden! Ich werde es jetzt beenden!«
Ba'alzamon floh, und Mann wie Schatten verschwanden.
Einen Moment lang stand Rand nur da und runzelte die Stirn. Da war etwas wie... ein Falten... zu spüren gewesen, als Ba'alzamon verschwand. Ein Verdrehen, als habe Ba'alzamon irgendwie die Wirklichkeit verdreht. Er ignorierte die Männer, die ihn anblickten, ignorierte Moiraine, die zusammengebrochen am Sockel einer Säule lag, fühlte durch Callandor hinaus und verformte die Wirklichkeit, um ein Tor aus ihr heraus zu erschaffen. Er wußte nicht, wohin, nur, daß er dorthin wollte, wohin Ba'alzamon geflohen war.
»Nun bin ich der Jäger«, sagte er und trat durch das Tor.
Der Steinboden unter Egwenes Füßen bebte. Der Stein erzitterte und dröhnte. Sie fing sich wieder und blieb lauschend stehen. Es kam kein weiteres Geräusch, kein weiterer Erdstoß. Was auch immer geschehen sein mochte: Es war vorüber. Sie eilte weiter. Ein eisernes Gittertor stand ihr im Weg. Das Schloß daran war so groß wie ihr Kopf. Sie lenkte die Macht der Erde darauf, bevor sie dort ankam, und als sie gegen die Gitterstäbe richtete, zerfiel das Schloß in zwei Teile.
Schnell durchschritt sie das Zimmer dahinter und vermied es, die Dinge anzusehen, die an den Wänden hingen. Peitschen und eiserne Klammern waren am auffälligsten. Leicht schaudernd öffnete sie eine kleinere Eisentür und trat in einen Korridor mit vielen rauhen Holztüren. Schilffackeln, die in Abständen in Eisenklammern hingen, beleuchteten ihn. Sie empfand beinahe genausoviel Erleichterung, diese Dinge hinter sich lassen zu können, wie darüber, das vorzufinden, was sie suchte. Aber welche Zelle?
Die Holztüren ließen sich leicht öffnen. Einige waren nicht abgeschlossen, und die Schlösser an den anderen hielten nicht länger als das große zuvor. Aber jede Zelle war leer. Natürlich. Niemand würde sich ausgerechnet hierher träumen. Jeder Gefangene, der Tel'aran'rhiod erreicht, würde sich einen viel angenehmeren Ort erträumen.
Einen Augenblick lang empfand sie so etwas wie Verzweiflung. Sie hatte sich eingeredet, daß es wichtig sei, die richtige Zelle zu finden. Aber vielleicht war sogar das unmöglich. Dieser erste Korridor erstreckte sich weiter und weiter, und andere mehr zweigten davon ab.
Plötzlich sah sie eine Bewegung ein Stück weit vor sich. Eine Gestalt war da, fast noch weniger materiell als Joyia Byir zuvor. Es war aber eine Frau gewesen. Da war sie sicher. Eine Frau, die auf einer Bank neben einer Zellentür saß. Das Abbild formte sich wieder und verschwand erneut. Es konnte aber bei diesem schlanken Hals und dem blassen, unschuldig wirkenden Gesicht mit den Schlafzimmeraugen keinen Irrtum geben. Amico Nagoyin war dabei, auf Wache einzuschlafen und von ihrem Wachdienst zu träumen. Und offensichtlich spielte sie schläfrig mit einem der gestohlenen Ter'Angreal . Egwene verstand das nur zu gut; es hatte sie auch große Mühe gekostet, den von Verin erhaltenen nicht ständig zu benützen und auch nur ein paar Tage von ihm zu lassen.
Sie wußte, es war möglich, eine Frau von der Wahren Quelle abzuschneiden, auch wenn sie bereits Saidar berührt hatte, aber ein bereits geschaffenes Gewebe wieder aufzutrennen mußte viel schwieriger sein, als den Strom aufzuhalten, bevor er richtig floß. Sie schuf die Muster, die sie weben wollte, hielt sie bereit, machte aber die Stränge des Elements Geist diesmal viel dicker und schwerer, so daß ein dichteres Gewebe entstand, das jedoch eine Kante wie eine Messerschneide aufwies.
Die flackernde Gestalt der Schwarzen Schwester erschien wieder, und Egwene ließ die Ströme aus Luft und Geist auf sie los. Einen Augenblick lang schien etwas dem Gewebe des Geistes zu widerstehen, doch sie drückte mit aller Macht nach. Da gab es nach.
Amico Nagoyin schrie. Es war ein dünner Laut, kaum hörbar, so schwach wie sie selbst, und sie erschien beinahe wie ein Schatten dessen, was Joyia Byir gewesen war. Doch die aus Luft gewobenen Bande hielten sie fest. Sie verschwand nicht mehr. Angst verzerrte das hübsche Gesicht der Schwarzen Ajah. Sie schien etwas zu plappern, aber selbst ihre Schreie waren ein Flüstern, so leise, daß Egwene es nicht verstand.
Sie verknotete die Gewebe, nachdem sie die Schwarze Schwester ganz darin eingehüllt hatte, und wandte ihre Aufmerksamkeit der Zellentür zu. Ungeduldig sandte sie einen Strom aus dem Element Erde in das Eisenschloß. Es zerfiel zu schwarzem Staub, so fein, daß er sich aufgelöst hatte, bevor er den Boden erreichte. Sie öffnete die Tür und war nicht überrascht, die Zelle leer vorzufinden. Nur eine Schilffackel brannte darin.
Aber Amico ist gebunden und die Tür steht offen.
Einen Moment lang überlegte sie, was sie als nächstes tun solle. Dann trat sie aus dem Traum heraus...
... und erwachte unter Schmerzen und durstig, die Zellenwand am Rücken. Sie blickte direkt auf die verschlossene Zellentür. Natürlich. Was mit lebendigen Dingen dort geschieht, ist Wirklichkeit, wenn sie erwachen. Was ich jedoch mit Stein und Eisen oder Holz dort anstellte, hat in der Welt des Erwachens keine Wirkung.
Nynaeve und Elayne knieten noch immer neben ihr. »Wer auch dort draußen ist«, sagte Nynaeve, »hat vor ein paar Augenblicken geschrien, aber sonst ist nichts geschehen. Hast du einen Fluchtweg gefunden?«
»Wir sollten eigentlich hinausmarschieren können«, sagte Egwene. »Helft mir auf die Beine und ich werde dieses Schloß entfernen. Amico wird uns keine Schwierigkeiten machen. Das war sie, die geschrien hat.«
Elayne schüttelte den Kopf. »Ich habe versucht, Saidar zu erreichen, seit du eingeschlafen warst. Es ist jetzt etwas anders geworden, aber ich bin immer noch davon abgeschnitten.«
Egwene bildete die Leere in sich und wurde zu der Rosenknospe, die sich Saidar öffnete. Die unsichtbare Wand war immer noch da. Jetzt schimmerte sie. Es gab Augenblicke, da sie glaubte, beinahe spüren zu können, wie die Wahre Quelle sie mit Macht zu füllen begann. Beinahe. Die Abschirmung flackerte schneller, als sie nachvollziehen konnte. Sie hätte genausogut immer noch fest sein können.
Sie blickte die anderen beiden Frauen an. »Ich habe sie gebunden. Ich habe sie abgeschirmt. Sie ist ein mit Leben erfülltes Wesen, kein lebloses Eisen. Sie muß immer noch abgeschirmt sein.«
»Es ist auch etwas mit der Abschirmung um uns geschehen«, sagte Elayne. »Aber Amico bringt es immer noch fertig, sie aufrecht zu erhalten.«
Egwene ließ den Kopf an die Wand sacken. »Ich muß es wieder versuchen.«
»Bist du stark genug?« Elayne verzog das Gesicht. »Um es geradeheraus zu sagen, du klingst noch schwächer als zuvor. Dieser Versuch hat dir einiges abverlangt, Egwene.«
»Dort bin ich stark genug.« Sie fühlte sich auch erschöpfter, schwächer, aber es war eben die einzige Möglichkeit, die ihr einfiel. Das sagte sie ihnen, und ihre Gesichter sagten, daß sie ihr zustimmten, wenn auch zögernd.
»Kannst du so bald wieder einschlafen?« fragte Nynaeve schließlich.
»Sing mir was vor.« Egwene brachte ein Lächeln zustande. »So wie damals, als ich ein kleines Mädchen war. Bitte!« Sie hielt eine Hand Nynaeves in ihrer, den Steinring in der anderen, schloß die Augen und versuchte, in der wortlosen gesummten Melodie Schlaf zu finden.
Das breite eiserne Gittertor stand offen, und der Raum dahinter schien leer. Doch Mat ging nur vorsichtig hinein. Sandar war noch draußen im Gang und versuchte, nach allen Seiten gleichzeitig Ausschau zu halten, sicher, daß jeden Moment ein Hochlord oder vielleicht hundert Verteidiger auftauchen würden.
Es befanden sich jetzt keine Menschen in dem Raum. Das hatten sie zweifellos dem Kampf oben zu verdanken, wie er an den halbgegessenen Speisen auf einem langen Tisch sah, von dem sie offensichtlich hastig aufgesprungen waren. Wenn er die Dinge betrachtete, die an den Wänden hingen, war er durchaus froh, ihnen nicht begegnen zu müssen. Peitschen verschiedener Größen und Längen, unterschiedlicher Stärke und mit unterschiedlicher Zahl von Schnüren. Zangen und Klammern und Handschellen. Gerätschaften, die wie Metallstiefel aussahen, und Handschuhe und Helme, auf denen sich große Schrauben befanden, die man wohl anziehen konnte, um diese Stücke zu verengen. Andere Dinge waren da, deren Zweck er nicht einmal ahnte. Wäre er den Männern begegnet, die so etwas benützten, hätte er wohl zuallererst dafür gesorgt, daß sie ihr Leben ließen, bevor er weiterging.
»Sandar!« zischte er. »Wollt Ihr die ganze verdammte Nacht lang dort draußen herumstehen?« Er eilte zur Innentür — wie die äußere verschlossen, aber kleiner — und ging hinein, ohne auf eine Antwort zu warten. Im Korridor dahinter befanden sich viele grobe Holztüren. Die Beleuchtung kam genau wie draußen von qualmenden Schilffackeln. Nicht mehr als zwanzig Schritt vor ihm saß eine Frau auf einer Bank neben einer der Türen. Sie hatte sich eigenartig steif an die Wand gelehnt. Sie drehte den Kopf ganz langsam in seine Richtung, als sie das Knirschen seiner Stiefel auf dem Steinboden hörte. Eine hübsche junge Frau. Er fragte sich, warum sie nur ihren Kopf bewegte und selbst den wie im Halbschlaf.
War sie eine Gefangene? Draußen im Gang? Aber jemand mit einem solchen Gesicht kann nicht zu denen gehören, die solche Sachen wie dort draußen an den Wänden benützen. Sie wirkte wirklich, als schliefe sie.
Ihre Augen waren nur ein wenig geöffnet. Und die Qual, die sich auf diesem lieblichen Gesicht abzeichnete, machte sie wohl eher zu einer der Gefolterten als einem Folterknecht.
»Halt!« schrie Sandar hinter ihm. »Das ist eine Aes Sedai! Sie ist eine von denen, die diese Frauen gefangennahmen, die Ihr sucht!«
Mat verharrte mitten im Schritt und starrte die Frau an. Er erinnerte sich daran, wie Moiraine Feuerkugeln geschleudert hatte. Er fragte sich, ob er eine solche Feuerkugel mit dem Bauernspieß ablenken könne. Er fragte sich auch, ob sein Glück je ausreichen würde, den Aes Sedai zu entkommen.
»Hilf mir«, sagte sie mit schwacher Stimme. Ihre Augen wirkten nach wie vor wie im Halbschlaf, aber der bittende Tonfall ihrer Stimme war wohl hellwach. »Helft mir, bitte!«
Mat zwinkerte. Sie hatte unterhalb ihres Halses noch immer keinen Muskel bewegt. Vorsichtig trat er näher heran und gab Sandar einen Wink, sein Gejammere über die Aes Sedai einzustellen. Sie bewegte den Kopf gerade noch, um ihm mit Blicken folgen zu können, aber auch nicht mehr.
An ihrem Gürtel hing ein großer eiserner Schlüssel. Einen Augenblick lang zögerte er. Eine Aes Sedai, hatte Sandar gesagt. Warum bewegt sie sich nicht? Er schluckte, und dann zog er den Schlüssel so vorsichtig aus der Schlinge, als versuche er, einem Wolf ein Stück Fleisch aus den Zähnen zu ziehen. Sie rollte mit den Augen in Richtung auf die Tür neben ihr und stieß einen Laut aus ähnlich dem einer Katze, die gerade gesehen hat, wie ein riesiger Hund knurrend zu ihr in einen Raum kam, der keinen zweiten Ausgang hat.
Er verstand es nicht, aber solange sie nicht versuchte, ihn davon abzuhalten, die Tür zu öffnen, war es ihm gleich, warum sie wie eine ausgestopfte Vogelscheuche dasaß. Vielmehr fragte er sich, ob sich auf der anderen Seite der Tür etwas befinden könne, wovor er Angst haben sollte. Wenn sie eine von denen ist, die Egwene und die anderen fingen, dann ist es eigentlich logisch, daß sie sich hier befindet, um sie zu bewachen. Tränen drangen aus den Augenwinkeln der Frau. Nur, daß sie aussieht, als wäre da drinnen ein verfluchter Halbmensch. Doch es gab nur einen Weg, das herauszufinden. Er lehnte den Stock an die Wand, drehte den Schlüssel im Schloß und warf die Tür auf, bereit, im Notfall sofort wegzurennen.
Nynaeve und Elayne knieten auf dem Fußboden und hatten eine offensichtlich schlafende Egwene zwischen sich. Er schnappte nach Luft, als er Egwenes verschwollenes Gesicht sah, und änderte seine Meinung, daß sie schlafe. Die anderen beiden Frauen wandten sich ihm zu, als er die Tür so gewaltsam öffnete. Sie wirkten fast genauso zerschlagen wie Egwene. Seng mich! Seng mich! Sie sahen ihn an und schnappten ebenfalls nach Luft.
»Matrim Cauthon«, sagte Nynaeve, und es klang erschrocken, »was beim Licht machst du denn hier?«
»Ich kam, um euch, verflucht noch mal, zu retten«, sagte er. »Seng mich, wenn ich erwartet hätte, so begrüßt zu werden, als ob ich Kuchen stehlen wolle. Ihr könnt mir später ja mal erzählen, warum ihr so ausseht, als hättet ihr mit Bären gekämpft. Wenn Egwene nicht laufen kann, trage ich sie auf dem Buckel. Es sind überall im Stein Aiel, oder jedenfalls nahe genug, und entweder bringen sie die verdammten Verteidiger um, oder die verdammten Verteidiger bringen sie um, aber wie auch immer: Wir sollten hier raus, solange wir, verdammt noch mal, können. Falls wir können!«
»Drücke dich bitte nicht so schmutzig aus«, sagte Nynaeve zu ihm, und Elayne warf ihm einen dieser mißbilligenden Blicke zu, die Frauen so unnachahmlich beherrschen. Keine aber schien ihm ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Sie begannen, Egwene zu schütteln, als sei sie nicht mit mehr Schrammen und blauen Flecken bedeckt, als er je in seinem Leben gesehen hatte. Egwenes Augenlider flatterten und öffneten sich. Sie ächzte: »Warum habt ihr mich aufgeweckt? Ich muß es erst durchschauen. Wenn ich die Bande um sie herum löse, wird sie erwachen und ich kann sie nicht mehr einfangen. Aber wenn nicht, wird sie niemals vollständig einschlafen, und... « Ihr Blick fiel auf ihn, und sie riß die Augen auf. »Matrim Cauthon, was beim Licht tust du denn hier?«
»Sag du es ihr«, sagte er zu Nynaeve. »Ich habe zuviel damit zu tun, Euch zu befreien, als daß ich auf meine Ausdrucksweise achte.« Sie blickten alle an ihm vorbei und sahen so wütend aus, als wünschten sie sich, Messer in den Händen zu halten.
Er wirbelte herum, doch alles, was er sah, war Juilin Sandar, der aussah, als habe er eine verfaulte Pflaume verschluckt.
»Sie haben einen Grund«, sagte er zu Mat. »Ich... ich habe sie verraten. Aber ich mußte.« Das galt den Frauen hinter Mat. »Die eine mit den vielen honigfarbenen Zöpfen hat mit mir gesprochen, und ich... ich mußte es tun.« Einen langen Augenblick über sahen ihn alle weiterhin an.
»Liandrin hat gemeine Tricks auf Lager, Meister Sandar«, sagte Nynaeve schließlich. »Vielleicht ist es wirklich nicht ganz Eure Schuld. Wir können die Schuld ja später aufteilen.«
»Wenn dies nun alles geklärt ist«, sagte Mat, »können wir jetzt vielleicht ja gehen?« Ihm war überhaupt nichts klar, doch in diesem Augenblick war es ihm wirklich wichtiger zu gehen.
Die drei Frauen humpelten hinter auf den Gang hinaus, aber dann blieben sie neben der Frau auf der Bank stehen. Sie rollte mit den Augen und wimmerte. »Bitte. Ich werde zum Licht zurückkehren. Ich schwöre, Euch zu gehorchen. Ich werde mit der Eidesrute in der Hand schwören. Bitte... «
Mat fuhr zusammen, als Nynaeve plötzlich ausholte und mit einem gewaltigen Faustschlag die Frau von der Bank beförderte. Sie lag da, und endlich waren ihre Augen vollständig geschlossen. Doch selbst im Liegen hatte sie dieselbe Körperhaltung wie zuvor im Sitzen auf der Bank.
»Es ist weg«, sagte Elayne aufgeregt.
Egwene beugte sich hinunter und kramte in der Gürteltasche der Frau herum. Dann zog sie etwas heraus, das Mat nicht erkennen konnte, und steckte es in die eigene Tasche. »Ja. Es ist ein wunderbares Gefühl. Etwas hat sich geändert, als du sie geschlagen hast, Nynaeve. Ich weiß nicht, was, aber ich konnte es spuren.«
Elayne nickte. »Ich auch.«
»Ich würde gern alles, aber auch alles, an ihr ändern«, sagte Nynaeve grimmig. Sie nahm Egwenes Kopf in ihre Hände, und Egwene stellte sich keuchend auf die Zehenspitzen. Als Nynaeve die Hände von ihr nahm und sich Elayne zuwandte, waren Egwenes Schrammen verschwunden. Die von Elayne verschwanden genauso schnell.
»Blut und Asche!« grollte Mat. »Wieso schlägst du eine Frau, die bloß dagesessen hat? Ich glaube, sie konnte sich überhaupt nicht rühren!« Alle drei wandten sich zu ihm um, und er gab einen erstickten Laut von sich, als sich die Luft in seiner Umgebung mit einem Mal zu dicker Gelatine verfestigte. Er schwebte in die Luft empor, bis seine Stiefel gut einen Schritt über dem Boden baumelten. Oh, seng mich, die Macht! Nun habe ich befürchtet, daß die verfluchten Aes Sedai die verfluchte Macht gegen mich einsetzen würden, und jetzt tun es die verdammten Frauen, die ich retten wollte! Seng mich!
»Du verstehst überhaupt nichts, Matrim Cauthon«, sagte Egwene mit harter Stimme.
»Und bis du verstehst«, sagte Nynaeve noch nervöser, »schlage ich vor, du behältst deine Meinung für dich.«
Elayne begnügte sich mit einem Blick, der ihn an den seiner Mutter erinnerte, wenn sie hinausging, um eine Rute vom Busch abzuschneiden.
Aus irgendeinem Grund ertappte er sich dabei, sie genauso anzugrinsen wie einst seine Mutter. Das hatte ihm dann so manches Mal eine Tracht Prügel eingebracht. Seng mich, wenn sie das fertigbringen, verstehe ich nicht, wie man sie zuerst einsperren konnte! »Was ich verstehe ist, daß ich euch aus etwas herausgeholt habe, was ihr selbst nicht schaffen konntet, und ihr zeigt soviel Dankbarkeit wie ein verfluchter Mann aus Taren-Fähre, der Zahnweh hat!«
»Du hast recht«, antwortete Nynaeve, und plötzlich knallten seine Stiefel so hart auf den Boden, daß seine Zähne aufeinanderschlugen. Aber er konnte sich wieder bewegen. »So sehr es mich schmerzt, das zugeben zu müssen, aber du hast recht, Mat.«
Er war versucht, darauf etwas Sarkastisches zu entgegnen, aber in ihrer Stimme lag gerade soviel Entschuldigung, daß er es auf sich beruhen ließ. »Können wir jetzt gehen? Da die Kämpfe überall weitergehen, glaubt Sandar, daß er und ich euch durch ein kleines Tor in der Nähe des Flusses hinausbringen können.«
»Ich gehe aber noch nicht, Mat«, sagte Nynaeve.
»Ich will Liandrin finden und ihr die Haut abziehen«, sagte Egwene, und es klang beinahe so, als meine sie das ernst.
»Alles, was ich will«, sagte Elayne, »ist Joyia Byir zu verprügeln, bis sie quiekt, aber eine der anderen tut es auch.«
»Seid ihr alle taub?« grollte er. »Dort draußen ist eine Schlacht im Gange! Ich kam her, um euch zu retten, und das werde ich auch tun!« Egwene tätschelte seine Wange, als sie an ihm vorbeiging, und Elayne tat es ihr nach. Nynaeve schniefte bloß. Er blickte ihnen mit offenem Mund nach. »Warum habt Ihr denn nichts gesagt?« fuhr er den Diebfänger an.
»Ich habe gesehen, was Euch das Reden einbrachte«, sagte Sandar schlicht. »Ich bin doch kein Narr.«
»Also, ich will nicht gerade mitten in einer Schlacht herumhocken!« schrie er den Frauen nach. Sie verschwanden eben durch eine kleine, verschlossene Tür. »Ich haue ab, versteht ihr?« Sie blickten noch nicht einmal zurück. Sie werden dort draußen wahrscheinlich umgebracht! Irgend jemand steckt ihnen ein Schwert in die Rippen, während sie gerade woanders hinschauen! Knurrend legte er sich den Bauernspieß auf die Schulter und ging ihnen hinterher. »Wollt Ihr nur hier herumstehen?« rief er dem Diebfänger zu. »Ich bin nicht von soweit hergekommen, um sie jetzt umbringen zu lassen!«
Sandar holte ihn in dem Raum mit den Peitschen ein.
Die drei Frauen waren schon weg, aber Mat hatte das Gefühl, sie würden bestimmt unschwer zu finden sein. Ich muß bloß Männer finden, die verflucht in der Luft herumhängen! Verdammte Weiber! Er beschleunigte seine Schritte zum Trab.
Perrin schritt grimmig entschlossen durch die Gänge des Steins und suchte nach irgendeinem Anzeichen von Faile. Mittlerweile hatte er sie noch zweimal gerettet. Einmal hatte er sie aus einem eisernen Käfig herausgeholt, ähnlich dem des Aiels in Remen, und einmal hatte er eine stählerne Truhe mit dem Zeichen des Falken an der Seite aufgebrochen, in der sie lag. Beide Male hatte sie sich in Luft aufgelöst, nachdem sie seinen Namen genannt hatte. Springer trabte an seiner Seite und prüfte die Luft. So scharf Perrins Geruchssinn war — der des Wolfs war noch besser. Es war Springer gewesen, der sie zu der Truhe geführt hatte.
Perrin fragte sich, ob er sie wohl je in Wirklichkeit befreien könne. Nun hatte er, wie es schien, schon lange kein Zeichen mehr von ihr entdeckt. Die Gänge des Steins waren leer, die Lampen brannten, an den Wänden hingen Gobelins und Waffen, aber außer Springer und ihm selbst rührte sich nichts. Und ich glaube, das muß Rand gewesen sein. Er hatte nur einen flüchtigen Blick erhascht, einen Mann, der dahinrannte, als verfolge er jemanden. Das kann er doch nicht gewesen sein. Es kann nicht sein, aber ich glaube doch, daß er es war.
Springer lief plötzlich schneller und hielt auf eine weitere hohe Tür zu, diesmal mit Bronze ausgekleidet. Perrin bemühte sich, mit ihm Schritt zu halten, stolperte und fiel auf die Knie. Er streckte gerade rechtzeitig die Hand aus, um nicht aufs Gesicht zu fallen. Schwäche überfiel ihn, als bestünden all seine Muskeln nur noch aus Wasser. Auch nachdem sich dieses Gefühl wieder gelegt hatte, raubte es ihm einen Teil seiner Kraft. Es kostete ihn Mühe, wieder auf die Beine zu kommen. Springer hatte sich umgedreht und blickte ihn an.
Du bist zu sehr hier drüben, Junger Bulle. Das Fleisch wird schwächer. Du kümmerst dich nicht genug darum, an deinem Fleisch festzuhalten. Bald werden Fleisch und Traum miteinander sterben.
»Suche sie«, sagte Perrin. »Das ist alles, was ich will. Suche Faile.«
Gelbe Augen trafen auf gelbe Augen. Der Wolf drehte sich um und trabte zu der Tür hin. Hier durch, Junger Bulle.
Perrin erreichte die Tür und drückte dagegen. Sie rührte sich nicht. Es schien keinen Weg zu geben, sie zu öffnen: keine Klinke, nichts, woran er sie packen konnte. In das Metall war ein feines Muster eingeätzt, so fein, daß selbst seine Augen es kaum erkennen konnten. Falken. Tausende winziger Falken.
Sie muß hier sein. Ich glaube nicht, daß ich es noch viel länger aushalte. Mit einem Aufschrei schwang er seinen Hammer und ließ ihn gegen die Bronzetür donnern. Es klang wie ein großer Gong. Wieder schlug er zu, und der Ton des Aufschlags wurde tiefer. Ein dritter Schlag, und die Bronzetür zersplitterte wie Glas.
Drinnen, hundert Schritt von der zersplitterten Tür entfernt, saß ein Falke an eine Stange gekettet inmitten eines Lichtkreises. Der Rest des riesigen Raumes war von Dunkelheit erfüllt, von Dunkelheit und einem schwachen Rascheln wie von hundert Flügeln.
Er tat einen Schritt in den Raum hinein, und ein Falke flatterte mit ausgestreckten Krallen auf ihn zu. Die Krallen streiften im Vorbeiflug sein Gesicht. Er warf einen Arm über seine Augen. Krallen rissen an seinem Unterarm. Dann taumelte er auf den Vogelsitz zu. Wieder und wieder griffen nun die Vögel an. Falken tauchten ab, schlugen mit ihren Krallen zu, rissen an ihm, aber er schwankte schwerfällig weiter. Blut rann ihm über Schultern und Arme, besonders über den Arm, den er sich zum Schutz vor die Augen hielt. Den Blick hatte er stur auf den Falken in der Mitte des Lichtkreises gerichtet. Er hatte den Hammer verloren; wo, wußte er nicht. Aber er wußte, wenn er zurückgehen würde, ihn zu suchen, käme er ums Leben, bevor er ihn noch fand.
Als er den Vogelsitz erreichte, trieben ihn die zuschlagenden Krallen auf die Knie nieder. Unter seinem Arm hervor sah er den Falken auf der Stange an, und sie starrte mit lidlosen, dunklen Augen zurück. Die Kette, die ihr Bein festhielt, war an der Stange mit einem kleinen Schloß in Form eines Igels befestigt. Er packte die Kette mit beiden Händen. Nun achtete er nicht mehr auf die anderen Falken. Ein Wirbelwind messerscharfer Klauen umgab ihn. Mit letzter Kraft zerriß er die Kette. Der Schmerz und die Falken brachten Dunkelheit über ihn.
Er öffnete die Augen, und entsetzlicher Schmerz überfiel ihn, als hätte man mit tausend Messern sein Gesicht, die Arme und Schultern zerschnitten. Es spielte keine Rolle. Faile beugte sich über ihn. Diese dunklen, schräggestellten Augen blickten besorgt drein. Sie wischte sein Gesicht mit einem bereits blutgetränkten Lappen ab.
»Mein armer Perrin«, sagte sie leise. »Mein armer Schmied. Du bist so schlimm verletzt.«
Mit einer Anstrengung, die ihn weitere Schmerzen kostete, drehte er den Kopf. Er befand sich in dem kleinen Speiseraum im ›Stern‹, und in der Nähe eines Tischbeins lag ein holzgeschnitzter Igel, der nun in zwei Teile zerbrochen war. »Faile«, flüsterte er ihr zu. »Mein Falke.«
Rand befand sich immer noch im Herzen des Steins, aber es war verändert. Hier kämpften keine Männer, es lagen keine Toten herum, und er war ganz allein. Plötzlich ertönte der Klang eines großen Gongs durch den Stein, dann wieder, und selbst die Steine unter seinen Sohlen erzitterten. Ein drittes Mal dröhnte es, und dann brach das Geräusch abrupt ab, als sei der Gong zersprungen. Alles war ruhig.
Wo bin ich hier? fragte er sich. Noch wichtiger, wo ist Ba'alzamon?
Als Antwort schoß zwischen den Säulen ein flammender Lichtschein hervor und genau auf seine Brust zu, ein Lichtbalken wie der Moiraines zuvor. Instinktiv drehte er sein Handgelenk mitsamt dem Schwert. Es war Instinkt und vielleicht noch etwas anderes, was ihn dazu brachte, in diesem Augenblick einen Strom Saidins in Callandor zu leiten, eine Machtflut, die das Schwert heller aufglühen ließ als selbst dieser auf ihn zuschießende Lichtstrahl. Sein unsicheres Gleichgewicht zwischen Existenz und Zerstörung kam ins Wanken. Sicherlich würde ihn dieser Strom mit verschlingen.
Der Lichtstrahl traf auf Callandor und wurde von dessen Schneide gespalten. Auf jeder Seite schoß ein Strahl vorbei. Er spürte, wie sein Mantel versengt wurde und wie die Wolle zu brennen begann. Hinter ihm trafen die beiden Arme aus gefrorenem Feuer, aus flüssigem Licht, auf riesenhafte Sandsteinsäulen. Wo sie auftrafen, hörte der Stein zu existieren auf. Die brennenden Strahlen bohrten sich hindurch zu weiteren Steinsäulen, die das gleiche Schicksal erlitten. Das Herz des Steins grollte, als die Säulen umstürzten und in Staubwolken zerschmettert wurden. Ein Regen von Steinsplittern stob durch den Saal. Was aber direkt in den Lichtstrahl geriet, das... war einfach nicht mehr.
Aus dem Schatten ertönte ein wütendes Grollen, und der flammende Strahl rein weißer Hitze erlosch.
Rand schwang Callandor, als wolle er etwas direkt vor sich treffen. Der weiße Lichtschein, der die Form der Klinge verbarg, flammte hinaus und durchschnitt die Sandsteinsäule, hinter der das Grollen ertönt war. Der matt schimmernde Stein wurde wie Seide zerschnitten. Die durchtrennte Säule wankte. Ein Teil davon brach ab und stürzte von der Decke herab. Unten zerplatzte er in riesige, gezackte Brocken, die auf dem Fußboden zu liegen kamen. Als das Poltern verflogen war, hörte er weiter hinten das Geräusch von Stiefeln auf dem Steinboden. Fliehende Schritte.
Callandor kampfbereit in der Hand, eilte Rand hinter Ba'alzamon her.
Der hohe Torbogen, der aus dem Herzen hinausführte, brach zusammen, als er ihn gerade erreichte. Die gesamte Wand stürzte in Staubwolken und einem Regen von Steinbrocken zusammen, der drohte, ihn zu begraben. Er lenkte die Macht darauf, und alles wurde zu in der Luft schwebendem Staub. Er lief weiter. Er wußte nicht genau, was er gemacht hatte und wie, aber er hatte keine Zeit zum Nachdenken. Er jagte Ba'alzamons sich entfernenden Schritten hinter her, deren Echo in den Gängen des Steins ertönte.
Myrddraal und Trollocs erschienen plötzlich aus dem Nichts heraus, riesige, bestialische Gestalten mit haßverzerrten Gesichtern, Hunderte, und so füllten sie den Gang vor ihm und hinter ihm. Sichelähnliche Schwerter und solche aus tödlichschwarzem Stahl verlangten nach seinem Blut. Ohne zu wissen, wie, verwandelte er sie in Dunst, der sich vor ihm teilte und verschwand. Die ihn umgebende Luft wurde zu stickigem Ruß, der seine Nase verstopfte, ihm den Atem raubte, aber er ließ die Luft wieder frisch und kühl werden. Flammen loderten aus dem Boden unter seinen Füßen empor, brachen aus Wänden und Decke, wütende Feuerzungen, die Gobelins und Läufer verzehrten, Tische und Truhen zu Aschehaufen verbrannten, Zierrat und Lampen vor sich zu Tropfen geschmolzenen, brennenden Goldes reduzierten. Er zerschlug die Feuer, verfestigte sie zu einer roten Glasur auf dem Steinboden.
Die ihn umgebenden Steine wurden durchscheinend wie Nebel; der Stein verblaßte. Die Wirklichkeit erbebte. Er konnte spüren, wie sie sich abwickelte, wie er selbst seinen Lebensfaden abwickelte. Er wurde aus dem Hier herausgestoßen an irgendeinen anderen Ort, wo überhaupt nichts existierte. Callandor flammte in seinen Händen wie die Sonne, bis er glaubte, es werde schmelzen. Er glaubte auch, er selbst werde im Strom der Einen Macht schmelzen, der ihn durchfloß. Diese Flut lenkte er irgendwie dorthin, wo er das Loch wieder verschloß, das sich um ihn herum geöffnet hatte, so daß er sich auf der Seite des Seins halten konnte. Der Stein wurde wieder fest und undurchsichtig.
Er konnte sich nicht einmal vorstellen, was er da eigentlich tat. Die Eine Macht wütete in ihm, bis er sich selbst kaum mehr kannte, bis er kaum noch er selbst war, bis das, was er selbst war, kaum noch existierte. Sein unsicheres Gleichgewicht wankte.
Zu beiden Seiten drohte ein endloser Absturz, das Ausgelöschtwerden durch die Macht, die aus ihm in das Schwert floß. Nur in dem Tanz auf der Schneide der Rasierklinge lag noch etwas wie Sicherheit, wenn auch nicht viel. Callandor leuchtete in seiner Faust, bis es ihm schien, als trüge er die Sonne selbst. Undeutlich flackerte in ihm wie die Flamme einer Kerze im Sturm das sichere Gefühl, daß er alles vollbringen könne, solange er Callandor hielt. Alles.
Er jagte durch endlose Korridore, tanzte auf der Rasierklinge entlang, jagte denjenigen, der ihn töten wollte, den er töten mußte. Diesmal konnte es keinen anderen Ausgang geben. Diesmal mußte einer von ihnen beiden sterben. Daß das auch Ba'alzamon wußte, war klar. Immer weiter floh er, immer befand er sich gerade noch außer Sicht, so daß nur die Geräusche seiner Flucht Rand weiterlockten, doch selbst auf der Flucht verwandte er diesen Stein von Tear, der nicht der echte Stein von Tear war, gegen Rand, und Rand kämpfte instinktiv, vorausahnend und mit der Hilfe des Zufalls dagegen an, kämpfte und rannte diese Messerschneide in vollkommenem Gleichklang mit der Macht entlang, dem Werkzeug und der Waffe, die ihn verschlingen würde, sollte er versagen.
Wasser füllte die Säle von oben bis unten, dick und schwarz wie am Grund des Meeres, und nahm ihm die Luft. Er verwandelte es wieder in Luft, ganz unbewußt, und jagte weiter. Plötzlich gewann die Luft an Gewicht, bis es ihm schien, als drücke ein ganzer Berg auf jede Stelle seines Körpers, als werde er von allen Richtungen gleichzeitig zerquetscht. In jenem Moment, bevor er vollkommen zu nichts zermalmt wurde, wählte er bestimmte Fluten aus dem Strom der Macht aus, der in ihm wütete, und der Druck verschwand augenblicklich, ohne daß ihm bewußt gewesen wäre, wie oder warum und welchen Strang er erwählt hatte; dazu war alles zu schnell gegangen. Er verfolgte Ba'alzamon, und die Luft selbst wurde mit einemmal zu festem Stein, der ihn einschloß. Dann schmolz der Stein, und schließlich war überhaupt nichts mehr da, was seine Lunge füllte. Der Boden unter seinen Füßen zog ihn an, als wöge ein Pfund plötzlich tausend, und dann verflog alles Gewicht so schnell, daß ein einziger Schritt ihn in die Luft hinauf wirbelte. Ein unsichtbarer Schlund öffnete sich und wollte ihm den Verstand aus dem Körper zerren, ihm die Seele selbst entreißen. Er überwand jede Falle und rannte weiter. Was Ba'alzamon auch verformte, um ihn zu vernichten, das heilte er, ohne sich dessen bewußt zu sein. Irgendwie war ihm schon klar, daß er vieles wieder ins natürliche Gleichgewicht brachte, Dinge durch seinen Tanz auf der unmöglich feinen Trennlinie zwischen Existenz und dem Nichts wieder richtete, aber dieses Bewußtsein war nur ganz schwach ausgeprägt. Seine ganze Aufmerksamkeit galt der Verfolgung, der Jagd, dem Tod, der an ihrem Ende stehen mußte.
Und dann befand er sich wieder im Herzen des Steins und schritt durch die mit Trümmern übersäte Bresche, wo einst eine Wand gestanden hatte. Einige Säulen hingen jetzt schief wie abgebrochene Zähne in der Halle. Und Ba'alzamon zog sich vor ihm zurück. Seine Augen flammten, und Schatten hüllten ihn ein. Schwarze Linien wie Stahldrähte zogen sich von Ba'alzamon ausgehend in die Dunkelheit hinein, die sich dort aufbaute, und verschwanden in unvorstellbare Höhen und Entfernungen innerhalb dieser Schwärze.
»Ich lasse mich nicht auflösen!« schrie Ba'alzamon. Sein Mund war Feuer; sein Schrei warf Echos zwischen den Säulen. »Ich kann nicht besiegt werden! Kommt mir zur Hilfe!« Einiges von der ihn einhüllenden Dunkelheit waberte in seine Hände, und er formte daraus eine so schwarze Kugel, daß sie sogar das von Callandor ausgehende Licht aufsaugte. Plötzlicher Triumph erglühte aus den Flammen seiner Augen.
»Du wirst vernichtet!« rief Rand. Callandor wirbelte in seinen Händen. Sein Licht drückte die Dunkelheit zurück, zerschnitt die stahlschwarzen Fäden um Ba'alzamon, und der wand sich in Krämpfen. Als existierten zwei Ba'alzamons gleichzeitig, schien er zu schrumpfen und im gleichen Moment zu wachsen. »Du wirst aufgelöst!« Rand stieß die leuchtende Klinge in Ba'alzamons Brust.
Ba'alzamon schrie, und die Feuer seines Gesichts flammten wild. »Narr!« heulte er. »Den Großen Herrn der Dunkelheit kann niemand jemals besiegen!«
Rand zog Callandors Klinge aus Ba'alzamons Körper heraus, und er sackte herunter und begann zu fallen. Der ihn umgebende Schatten verschwand.
Und plötzlich befand sich Rand in einem anderen Herzen des Steins, umgeben von unbeschädigten Säulen und Männern, die schrien und starben, verschleierten Männern und gerüsteten mit Brustpanzern und Helmen. Moiraine lag immer noch zusammengebrochen am Sockel einer Sandsteinsäule. Und zu Rands Füßen lag die Leiche eines Mannes, der mit einem durch die Brust gebrannten Loch auf dem Rücken lag. Es wäre vielleicht ein gutaussehender Mann von mittleren Jahren gewesen, aber wo sich Augen und Mund befinden sollten, klafften bei ihm nur Löcher, aus denen sich schwarze Rauchwölkchen erhoben.
Ich habe es geschafft, dachte er. Ich habe Ba'alzamon getötet, Shai'tan getötet. Ich habe die Letzte Schlacht gewonnen. Licht, ich bin wirklich der Wiedergeborene Drache! Der Zerstörer ganzer Nationen, der Zerstörer der Welt! Nein! Ich will das Zerstören und das Töten beenden! Ich WERDE es beenden!
Er erhob Callandor über seinen Kopf. Silberne Blitze schlugen aus der Klinge, gezackte Strahlen, die zu der großen Kuppel über ihnen emporschossen. »Haltet ein!« schrie er. Das Kämpfen hörte auf; die Männer sahen ihn staunend an, über schwarze Schleier hinweg oder unter den Rändern runder Helme hervor. »Ich bin Rand al'Thor!« rief er, und seine Stimme dröhnte durch den riesigen Saal. »Ich bin der Wiedergeborene Drache!« Callandor leuchtete in seiner Hand.
Einer nach dem anderen, verschleiert oder mit Helm, knieten die Männer vor ihm nieder und riefen: »Der Drache ist Wiedergeboren! Der Drache ist Wiedergeboren!«