Als sie aus dem Wald heraus waren und der Hof in Sichtweite unter ihnen lag, hielt sie an.
»Warum ... halten Sie an?« Heyning sah überrascht auf. Es waren die ersten Worte, die er sagte, seit sie ihn aufgelesen hatte.
»Ich möchte mich mit Ihnen unterhalten«, antwortete Liz. Sie versuchte zu lächeln, aber es gelang ihr nicht. Der Schreck saß ihr noch zu deutlich in den Knochen. Sie bildete sich nur ein, wieder vollkommen ruhig zu sein, aber sie war es nicht. »Hier?« Heyning blickte irritiert aus dem Wagen und rang mit den Händen. Sie nickte. »Warum nicht.«
»Bitte.« Heyning zuckte mit den Achseln. »Fragen Sie. Ich werde antworten, Madam. Wenn... wenn ich es kann.«
Liz schüttelte verärgert den Kopf. »So nicht, Heyning... Peter. Darf ich Peter zu Ihnen sagen?«
Er nickte. »Gern, Madam. Alle sagen Peter zu mir«, erklärte er mit einem scheuen Lächeln. Er begann unruhig auf seinem Sitz hin und her zu rutschen, kramte in den Taschen seines zerschlissenen Jacketts und förderte schließlich eine zerschrammte blecherne Zigarettendose zutage.
»Darf ich... ich meine, haben Sie etwas dagegen, wenn... wenn ich rauche?« fragte er ängstlich. Seine Stimme klang tatsächlich ängstlich! dachte Liz verwirrt. So, als hätte er sie gefragt, ob er sie küssen dürfe! Was um Gottes willen hatte man mit diesem Mann getan? Liz schüttelte den Kopf. »Es stört mich nicht«, antwortete sie, und fügte mit einem Lächeln hinzu: »Wenn Sie mir auch eine geben.«
Er hielt ihr die Blechdose hin und gab ihr mit zitternden Fingern Feuer. Es waren starke, selbst gedrehte Zigaretten, die im Hals kratzten und im ersten Moment ein leichtes Schwindelgefühl auslösten, aber nachdem sie sich dar angewöhnt hatte, schmeckten sie gut. Sie nahm einen Zug und betrachtete sein Gesicht im Widerschein der Glut. Wie alt, hatte er gesagt, war er? Sechsunddreißig? Jetzt, als sie ihm auf so geringe Entfernung gegenüber saß, konnte sie das kaum glauben. Sicher - der Bart ließ ihn älter erscheinen, und die Sonne hatte tiefe Linien in sein Gesicht gegraben. Aber seine Augen waren jung. Jung, voller Kraft und ... ja, und noch etwas, etwas, für das ihr im Moment noch keine passende Bezeichnung einfiel. Wie vorhin im Dorfkrug, als sie ihn das erste Mal gesehen hatte, wußte sie auch jetzt wieder nicht, ob er ihr wirklich gefiel oder sie ab stieß.
Es war verwirrend.
Heyning begann erneut unruhig auf dem Sitz hin und herzu rutschen.
Sie lächelte. »Nervös?«
Er schüttelte den Kopf, dann nickte er. »Nein... ich...ich...«
»Sie brauchen nicht nervös zu sein. Ich will nur mit Ihnen reden.«
»Das weiß ich, Ma'am.« Zum ersten Mal fiel ihr auf, daßer das Wort auf die englische Art aussprach: Er sagte deutlich: Ma'am, nicht Madam. Das hatte sie bisher nur gehört, weil sie es zu hören erwartet hatte.
»Na also.« Sie nahm einen neuen Zug, blies den Rauch in den Wald hinaus und fragte, ohne ihn anzusehen: »Warum wollen Sie für uns arbeiten, Peter?«
»Ich - ich verstehe nicht. Ihr Mann...«
»Was mein Mann gesagt hat, interessiert mich im Augenblick nicht«, schnappte sie. Er zuckte zusammen und senkte unwillkürlich den Blick, und ihr unnötig scharfer Ton tat ihr fast augenblicklich leid. Sie lächelte entschuldigend. »Sehen Sie, Peter, es gibt da ein, zwei Punkte, die ich nicht verstehe. Seit sechs Monaten suchen wir Personal, und niemand hat sich bereit gefunden, auch nur die Hühner für uns zu füttern. Und plötzlich ist jemand da, und der Bürgermeister drängt ihn uns auch noch fast auf. Wie kommt das?«
»Ich - meine Herren sind gestorben, und...«
Er sagte Herren, dachte Liz schaudernd, nicht Herrschaften. Zum Teufel - das war die Art, wie Sklaven redeten und dachten! Wieder stieg Zorn in ihr hoch. »Was hat Ohlsberg Ihnen geboten, damit Sie bei uns arbeiten?« fragte sie gerade heraus.
Das Erschrecken auf seinem Gesicht, sagte ihr, daß ihr blinder Vorstoß genau ins Schwarze getroffen hatte. »Nichts. Er hat mir - nichts...« Er brach ab und starrte zu Boden.
Liz kam sich plötzlich gemein und hinterhältig vor. Sie wußte nicht einmal andeutungsweise, was dieser Mann erlebt hatte, aber er mußte Furchtbares durchgemacht haben, das spürte sie einfach. Es war der Instinkt der Frau in ihr, der sie in Peter vor allem das verwundete, ängstliche Wesen erkennen ließ, einen Mann, der einfach zu viel erlebt, zu viel gelitten hatte, um noch irgend jemandem trauen zu können; und ihr, der Fremden, dem Eindringling, am allerwenigsten. Er war total verstört, mehr noch, verängstigt. Einer plötzlichen Eingebung folgend, legte sie die Hand in einer beruhigenden Geste auf seine Schulter.
Er zuckte zusammen, und sie zog ihre Hand hastig zurück, unterdrückte im allerersten Moment eine Entschuldigung.
»Hören Sie, Peter«, fuhr sie in sanfterem Ton fort. »Ich will Ihnen nichts tun. Es ist nur so ... sehen Sie, als wir uns heute morgen zum ersten Mal begegnet sind, da habe ich gleich gemerkt, daß mit Ihnen irgend etwas nicht stimmte. Sie sind kein sehr guter Schauspieler, wissen Sie. Ohlsberg hat Sie geschickt, stimmt's?«
Der plötzliche Wechsel ihrer Taktik war zu viel für ihn. Sie spürte, daß sie gewonnen hatte, lange bevor er auf sah. Und sie konnte sehen, welcher innere Kampf sich hinter seiner Stirn abspielte, ehe er zögernd nickte.
Das Gefühl, etwas Gemeines zu tun, wurde stärker in ihr. Welche Chance hatte ein Mann wie Heyning gegen sie? Sie, die erfahrene, gebildete Frau, die in ihrem Leben schon mit Hunderten von prominenten und wichtigen Leuten gesprochen hatte, die es gewohnt war, mit Managern und Filmbossen zu verhandeln? Es war nicht fair. Aber sie würde weitermachen, auch wenn sie sich hinterher noch elender fühlte. Heyning würde ihr keine zweite Chance geben. Sie hatte ihn überrumpelt, diesmal noch, aber sie kannte diesen Typ von Mensch. Er war nicht stark, gewiß nicht, aber wenn er einmal eine Gefahr erkannt hatte, dann verstand er ihr mit einem schon beinahe übernatürlichen Geschick auszuweichen. Er würde ihr nie wieder die Chance geben, ihn so in die Enge zu treiben.
»Also?« Der Tonfall ihrer Stimme duldete keinen Widerspruch.
»Er hat... mich gezwungen.«
»Gezwungen? Womit?«
»Ma'am!« In seine Augen trat ein bittender Ausdruck, fast Wie ein Flehen. »Sehen Sie, Peter«, begann Liz von neuem, »ich will Ihnen doch nichts Böses. Ich will Ihnen helfen. Ich kann Ohlsberg genausowenig leiden wie Sie. Aber Sie müssen mir schon etwas mehr erzählen.«
»Bitte ... Sie... Sie werden mir kündigen...«
»Quatsch. Ich und Ihnen kündigen! Seit einem halben Jahr suchen wir einen Mann, da werde ich Sie raus werfen, ehe Sie angefangen haben!«
Heyning wand sich wie unter Schmerzen. »Bitte, Ma'am...«, flehte er. »Ich habe wirklich nichts Schlimmes getan, und ...«
»Warum wollen Sie dann nicht darüber reden?« beharrte Liz. Sie kam sich mit jedem Wort unfairer und gemeiner vor, aber sie war schon so weit gegangen, daß es fast noch unfairer gewesen wäre, jetzt aufzugeben. Früher oder später würde sie ja doch erfahren, was es war.
»Es war«, begann Heyning mit zitternder Stimme, »Ohlsberg ... die ...« Er schluckte, senkte den Blick und begann nervös an seiner Gürtel schnalle herumzufingern. »Es ist wegen Andy«, stieß er schließlich hervor.
»Andy?«
Heyning nickte. »Meine... Tochter«, sagte er leise und ohne sie anzusehen. Liz zuckte zusammen. »Ihre Tochter?« echote sie verblüfft. »Sie haben eine Tochter?« Heynings Augen schimmerten feucht, als er auf sah und all seine Kraft zusammenraffte, um ihrem Blick standzuhalten. »Andy«, wiederholte er schwach. »Sie ist... vierzehn. Vierzehn geworden im letzten Mai.«
Diesmal war es Liz, die eine ganze Weile betreten schwieg. Sie wußte selbst nicht, was sie eigentlich erwartet hatte. Irgendeine dumme alberne Sache, einen kleinen Diebstahl vielleicht, eine Affäre mit irgendeiner Magd - irgend etwas, mit dem Ohlsberg Peter in der Hand hatte - aber nicht das! Das war ein Kaliber, mit dem sie nicht gerechnet hatte. Ihr Zorn auf Ohlsberg stieg.
»Aber das ... das wußte ich ja gar nicht, Peter«, sagte, sie in einem um Verzeihung bittenden Tonfall. »Es tut mir leid. Ich wollte Ihnen nicht weh tun.«
»Niemand weiß es«, erwiderte Heyning. »Nicht einmal die Leute in Schwarzenmoor. Nur... Ohlsberg und die Starbergs. Die Leute, bei denen Andy lebt.«
»Und was ist mit der Mutter?« fragte Liz sanft. »Andys Mutter?« Heyning antwortete nicht sofort. Obwohl er den Blick abgewendet hatte, konnte sie sehen, wie es in seinem Gesicht zuckte. »Sie ist tot«, antwortete er schwach. »Sie starb bei... bei Andys Geburt. Seitdem lebt Andy bei den Starbergs. Ich besuche sie manchmal, aber immer nur nachts und heimlich, wenn es keiner merkt. Herr... Herr Ohlsberg will nicht, daß jemand erfährt, daß ich Andys Vater bin. Er sagt, dann... würden sie sie mir wegnehmen.«
»So?« Liz war nicht überrascht. Das hatte sie fast erwartet.
Peter nickte. »Er... er sagt, sie würden sie in ein Heimbringen lassen.«
Liz machte ein teils wütendes, teils abfälliges Geräusch. Was Peter erzählte, paßte ausgezeichnet in das Bild, das sie sich von Ohlsberg hatte. Ein schmieriger, alter Mann. »Und damit erpreßt er Sie?«
Heyning schwieg.
»Und warum lassen Sie es sich gefallen?«
»Aber was soll ich denn tun! Ohlsberg macht seine Drohung wahr, ganz bestimmt, Ma'am. Sie... sie nehmen mir Andy weg, wenn ich nicht tue, was er verlangt. Ich weiß das. Sie... sie haben es schon einmal gemacht, und sie werden es wieder tun! Und ich will sie nicht verlieren. Ich liebe sie. Sie ist der einzige Mensch, den ich noch habe, seit Ciaire gestorben ist.«
»Ciaire war Ihre Frau?« fragte Liz behutsam.
»Wir... wir waren nicht verheiratet. Wir wollten heiraten, ganz bestimmt, Ma'am, aber... aber ich hatte kein Geld, um eine Familie zu ernähren, und... und...« Er brach ab, begann erst mühsam zu schluchzen und dann hemmungslos zu weinen. Irgend etwas schien sich in Liz zusammen zuziehen. Der Anblick war ihr peinlich, aber das war nur natürlich. Trotzdem - es war nicht das erste Mal, daß sie einen Mann weinen sah, aber es war das erste Mal, daß der Anblick sie so berührte. Hatte sie vorher ein leichtes, noch distanziertes Bedauern verspürt, so fühlte sie nun eine Welle des Mitleids in sich emporsteigen. Sie versuchte sich vorzustellen, was in Peter vorging, welche Qualen er mitmachte. Seit Jahren hatte er leiden müssen. Allein die Vorstellung ließ sie schaudern. Heyning war auf seine Weise hilfloser und verwundbarer als ein Kind - für einen Mann wie Ohlsberg nicht mehr als eine Marionette, an deren Fäden er nach Belieben ziehen konnte.
Sie beugte sich hinüber, legte zaghaft die Hand auf die Schulter und zog ihn dann mit sanfter Gewalt an sich. Diesmal wehrte er sich nicht, sondern schmiegte sich im Gegenteil noch enger an ihre Schulter und weinte hemmungslos. Die Reaktion erschien Liz für einen Moment übertrieben, aber dann dachte sie daran, was für ein ungeheurer Druck sich - vielleicht über Jahre hinweg - in Peter aufgestaut haben mußte. Vierzehn Jahre lang hatte er das Geheimnis für sich behalten, sich allen Schikanen und Erpressungsversuchen Ohlsbergs gebeugt, nur um vielleicht einmal im Monat für wenige flüchtige Stunden seine Tochter sehen zu dürfen.
Liz konnte sich gut vorstellen, was es bedeuten mußte, in einer Stadt wie Schwarzenmoor ein solches Geheimnis über fast anderthalb Jahrzehnte zu bewahren. Für Peter mußte indem Augenblick, in dem er ihr die Wahrheit gesagt hatte, eine Welt zusammengebrochen sein. Und natürlich hatte er Angst - furchtbare Angst, daß sie nun die gleiche, entsetzliche Macht über ihn erlangen könnte wie Ohlsberg. Erst jetzt kam ihr wirklich zu Bewußtsein, wozu sie ihn gezwungen hatte. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich.
»Sie brauchen keine Angst mehr zu haben, Peter«, flüsterte sie.
Heyning streifte ihre Hand ab, faltete die Hände im Schoß und krümmte sich. Er schluchzte wie ein Kind. »Ohlsberg hat gesagt, daß er mir Andy wegnimmt, wenn ... wenn ich Ihnen verrate, daß er mich zu Ihnen geschickt hat. Er hat gesagt, er gibt sie in ein Heim, und ... und ich weiß, daß er es tut. Er hat gesagt, er wird sie mir wegnehmen, und er wir des tun. Er hat es schon einmal getan, und er wird es wieder tun.«
»Das wird er nicht«, widersprach Liz ruhig.
»Doch, Ma'am, das wird er. Er tut immer, was er sagt. Er hat gesagt, er schickt sie fort, und er wird es tun.«
»Das wird er nicht«, sagte Liz noch einmal, »weil er es nämlich gar nicht kann.« Sie schob Heyning mit sanfter Gewalt von sich und legte die Hand unter sein Kinn, um ihn zu zwingen, ihr ins Gesicht zu sehen. »Er kann es nicht, Peter, verstehen Sie?«
»O doch, er kann«, schluchzte Heyning. »Ich weiß das.«
Liz schüttelte ärgerlich den Kopf. »Vielleicht hätte er es früher einmal gekonnt«, sagte sie schärfer, als notwendig gewesen wäre. »Er hat Ihnen bloß eingeredet, daß er es kann, um Sie dazu zu zwingen, ihm zu gehorchen. Andy ist vierzehn, sagen Sie?« Heyning nickte stumm. Eine einzelne Träne lief über seine Wangen und glitzerte hell im Sonnenlicht.
»Und Sie sind ihr leiblicher Vater, ob Sie nun mit ihrer Mutter verheiratet waren oder nicht, stimmt das?«
»Na ... natürlich«, stammelte Peter.
»Können Sie das beweisen?«
»Beweisen?«
»Ich meine, gibt es ein Stammbuch, eine Geburtsurkünde ... irgendein amtliches Papier, auf dem Ihr Name als der des Vaters angegeben ist?« O Gott, warum war es nur so schwer? Warum mußte sie ihm jede noch so winzige Selbstverständlichkeit aus der Nase ziehen? Aber dann begriff sie, daß gerade das der Grund war, aus dem Ohlsberg solche Macht über ihn hatte. Er war nun einmal so. Vielleicht, dachte sie schaudernd, hatten Ohlsberg und die anderen ihn so gemacht, in langer, mühevoller Arbeit. Ihr Zorn auf den Alten wuchs so sehr, daß es jetzt fast weh tat.
Heyning nickte erneut. Er schien etwas sagen zu wollen, aber Liz ließ ihn gar nicht zu Worte kommen. »Dann kann er nichts tun«, fuhr sie fort. »Kein Gericht der Welt kann Sie daran hindern, Ihr Kind zu sich zu nehmen. Wäre sie noch ein Säugling, sähe die Sache anders aus. Aber so...«
»Aber ich kann nicht für sie sorgen!« fuhr ihr Heyning ins Wort.
»O doch. Sie können, Peter. Das Haus ist groß genug, und Sie werden genügend verdienen, um Ihre Tochter ernähren und zur Schule schicken zu können. Zur Not kann sie mir ein bißchen im Haushalt helfen und etwas dazuverdienen. Sie ist alt genug dazu.«
Für einen Moment - für einen unendlich kurzen Moment nur - blitzte so etwas wie Hoffnung in Peters Augen auf. Aber wirklich nur für einen Moment. Danach machte sich die bekannte Resignation wieder in seinem Blick breit. Da war... noch etwas, dachte Liz. Etwas, das er ihr noch nicht verraten hatte. Es war nicht so einfach. Ohlsberg wäre nicht Ohlsberg, wenn es so einfach gewesen wäre. Da war noch mehr. Heyning verzog gequält das Gesicht. »Sie... Sie verstehen nicht, Ma'am«, sagte er stockend. »Andy ist... ist nicht wie die anderen Kinder.«
Liz runzelte die Stirn. »Was heißt das?«
»Sie ist... anders. Sie ist... ein Kind, verstehen Sie?« Er tippte sich mit dem Finger gegen die Stirn und senkte erneut den Blick. »Da oben, jedenfalls. Sie ist fast erwachsen und schon so groß wie ich, aber sie ist ein kleines Kind geblieben, im Kopf.«
Liz brauchte einige Sekunden, um zu begreifen, was Heyning mit seinen Worten ausdrücken wollte. »Sie meinen, Andy wäre... behindert?« fragte sie vorsichtig, »geistig behindert?« War das Ohlsbergs Geheimnis? Lächerlich!
Heyning nickte. »Herr Ohlsberg sagte, sie müsse in ein Heim. Ein Pflegeheim irgendwo in der Stadt. Weit weg von hier. Ich ... ich würde sie nie wieder sehen können. Und ich weiß, daß er seine Drohung wahr machen wird. Ich hätte es Ihnen nicht sagen dürfen.«
Ganz impulsiv wollte sie lachen, aber dann tat sie es doch nicht. Es war lächerlich - für sie, für Stefan, für alle anderen. Aber nicht für Peter. Woher sollte er es auch anders wissen? Sie schwieg einen Moment, ließ dann den Wagen an und fuhr los. »Sie werden Ihrem Mann davon erzählen?« sagte Heyning nach einer Weile. Es war keine Frage, sondern eine Feststellung. Vermutlich war schon der Gedanke, daß sie Stefan nichts davon erzählen könnte, für ihn unvorstellbar.
»Fällt mir nicht ein«, antwortete Liz. »Ich werde es ihm nicht sagen. Irgendwann wird er es erfahren, aber bestimmt nicht von mir.« Sie drehte den Kopf und sah ihn an. Der Fahrtwind spielte mit ihrem Haar. »Vielleicht erzählen Sie es ihm eines Tages selbst. Sie werden sehen, er frißt Sie nicht auf.
Ohlsberg hat Sie gezwungen, bei uns zu arbeiten«, fügte sie plötzlich hinzu. »Warum?«
Heyning antwortete nicht, sondern starrte weiter stumm zu Boden.
»Was genau hat er von Ihnen verlangt?« bohrte Liz weiter.
»Ich - ich soll auf alles achten, was Sie tun«, berichtete Heyning stockend. »Alles, was Sie machen. Ob Sie das Haus verändern, das Land. Ob Sie... er will einfach alles wissen.«
»Und warum?«
»Das weiß ich nicht. Aber er hat gesagt, daß ich auf alle sachten soll, auch auf Kleinigkeiten. Und er würde von Zeit zu Zeit kommen und nachsehen, ob alles in Ordnung ist. Dann sollte ich ihm alles sagen.«
Liz lachte leise. »Es gibt bei uns nichts zu spionieren, Peter«, sagte sie. »Wir leben dort draußen, das ist alles. Aber Sie können Ohlsberg ruhig erzählen, was Sie sehen. Wir haben keine Geheimnisse. Auch nicht vor Herrn Ohlsberg.«