Eine kurze Atempause vor dem Showdown. Wie in Trance ging sie zum Gut zurück und langsam auf das Haus zu. Der Hof lag leer und weit vor ihr, eine schmutzig graue Fläche ebenen Lehms zwischen den zerfallenen Resten der Einzäunung. Eine Leere, die sie verhöhnte.
Plötzlich fiel ihr auf, wie still es war. Es hatte immer Geräusche gegeben: Das Raunen des Windes, das leise Gackern der Hühner, Carrys hechelnder Atem. Die winzigen Geräusche der Natur, einzeln nicht zu identifizieren, aber in ihrer Gesamtheit ein nicht fortzudenkender Teil der Welt dort draußen, jenseits des Zaun es. So etwas wie vollkommene Stille gab es in der Welt der Natur nicht.
Jetzt hörte sie - nichts.
Es war still, so unnatürlich still, daß das Schlagen ihres Herzens wie das dumpfe Wummern eines Hammerwerkes in ihren Ohren dröhnte. Eingesperrt! flüsterte eine Stimme hinter ihren Gedanken. Mit einem Mal wußte sie, daß sie den Hof nicht mehr verlassen würde. Sie war gefangen, gefangen unter einer Glocke des Schweigens, fast als hätte das Grauen jetzt seine Fänge auch schon nach dem Tag ausgestreckt, als lauere hinter den vertrauten Umrissen des Hauses etwas unsagbar Böses, Fremdes, vor dessen Anwesenheit selbst die Natur zurückschreckte. Zum allerersten Mal, seit sie dieses Höllenhaus kennengelernt hatte, fiel ihr auf, daß es keinen geschnitzten Giebel hatte. Alle Häuser in diesem Teil des Landes hatten ihn, denn er diente dazu, böse Geister abzuwehren. Pferde- oder Tier köpfe, die die Giebelwände zierten, Reminiszenzen an eine Zeit, in der die Menschen noch gewußt hatten, wie dünn die Wand war, die ihre Welt von jener anderen, entsetzlichen trennte.
Sie beschleunigte ihre Schritte, ging zum Haus hinüber und schlug die Tür unnötig hart hinter sich zu, aber der Knall verwehte viel zu rasch, ein kurzes, abgehacktes Krachen, das sich nur mühsam gegen die Stille behaupten konnte, wie ein Pistolenschuß, der sein Ziel verfehlte. Hinterher wirkte das Schweigen noch bedrückender. Es war keine einfache Stille, das begriff sie plötzlich, nicht die bloße Abwesenheit von Geräuschen, sondern etwas anderes, Unerklärliches, als wäre plötzlich etwas da, etwas, dessen bloße Anwesenheit jeglichen Laut, jegliches Zeichen der normalen Welt draußen ausschloß. Plötzlich begriff sie, daß dieser Satz nicht von ihr war. Sie hatte ihn zitiert, unbewußt und aus der Erinnerung zitiert. Es war ein Satz, den sie gestern abend gelesen hatte - in Stefans Notizen gelesen hatte... Sie lief, so schnell sie konnte, ins Wohnzimmer hinüber. Ihre Schritte schienen auf dem knöcheltiefen Teppich vollkommen lautlos zu sein. Diese Stille. Diese entsetzliche STILLE! Sie mußte etwas dagegen tun!
Mit zitternden Händen riß sie die Schranktür auf, griff wahllos nach einer Schallplatte und legte sie auf. Ihre Hand hämmerte auf die Schalter der Stereoanlage, und die Lautsprecherboxen erwachten knisternd zum Leben. Für zwei, drei Sekunden lauschte sie auf die dumpfen Trommelschläge, die aus den Boxen drangen, aber die Stille war immer noch da: ein unsichtbarer, tödlicher Kreis, der sich unbarmherzig um sie zusammen zog, auf absurde Art die elektronisch verstärkte Rockmusik zurückdrängte, als würden die Töne in einer unsichtbaren Masse verschwinden;verschluckt, eliminiert, als hätte es sie nie gegeben.
Ein neuerliches, eisiges Frösteln durchlief Liz, als sie die Platte erkannte, die sie aufgelegt hatte: es war eine von Stefans Heavy-Metal-Platten, Heaven And Hell von Accept. Ein Stück, das sie noch nie gemocht hatte. Es war düster und bedrohlich, und es ließ verschwommene Bilder des Schreckens vor den Augen des Zuhörers aufsteigen. Trotzdem kam sie nicht einmal auf den Gedanken, das Gerät abzuschalten. Alles war besser als dieses tödliche Schweigen.
Sie öffnete eine Flasche Bitter Lemon, trank die leicht säuerlich schmeckende Flüssigkeit mit großen Schlucken und war hinterher beinahe durstiger als zuvor. Die Stille war immer noch da und schien sogar noch intensiver geworden zu sein, wie farblose unsichtbare Watte, die sie einhüllte.
Ihr Blick fiel auf die dem Fenster gegenüberliegende Wand; die Wand, hinter der Peters Zimmer lag. Und das Andys. Sie war sicher, daß das Mädchen jetzt nicht dort war, aber sie war auch sicher, daß sie sich im Haus aufhielt. Irgendwo bei Stefan. Sie stellte sich vor, wie die beiden nebeneinander im Bett lagen, nackt, schlafend, erschöpft und ausgelaugt von dem Opfer, das sie dar gebracht hatten.
Liz stöhnte ganz leise. Etwas tun. Sie mußte ... etwas tun, irgend etwas, ganz gleich, was, nur nicht weiter passiv bleiben. Vielleicht hatte sie eine Chance, eine winzige Chance, die Bestie zu besiegen. Aber die hatte sie bestimmt nicht, wenn sie hier stand und darauf wartete, was als nächstes geschah. Das Ding hatte eine schwache Stelle. Wenn all dies wirklich geschah, mußte es sie haben. Es war ein Naturgesetz, die unumstößliche Regel der Entropie: Nichts existierte ewig. Was lebte, konnte sterben. Was tötete, konnte getötet werden.
Sie kam sich unbeschreiblich lächerlich vor bei diesem Gedanken, eine Ameise, die einen Berg umstoßen wollte, nein, schlimmer: eine pawlowsche Hündin, die ganz genau das tat, was die Kreatur im See von ihr erwartete, und sich auch noch einbildete, ihr damit zu schaden. Ihr Blick fiel auf den Kalender. Sie hatte ihn nicht abgerissen - weiß Gott, sie hatte anderes zu tun gehabt, als ein Kalenderblatt abzureißen! - aber sie glaubte die Zahl auf dem nächsten Blatt trotzdem deutlich zu erkennen: eine häßliche, fette Fünf, die sie angrinste, mit dreißig Zentimeter langen Zähnen. Der letzte Tag. Weniger als vierundzwanzig Stunden, bis...
Bis was? dachte sie verzweifelt. Gott, wenn sie doch wenigstens wüßte, was geschah, wovor sie überhaupt Angst haben mußte, was ...
Aber es gab ja jemanden, der es ihr sagen konnte!
Verdammt, sie hatte selbst das vergessen, obwohl es der eigentliche Auslöser gewesen war! Der Radiergummi in ihrem Kopf war sehr gründlich gewesen.
Sie fuhr herum, riß den Telefonhörer von der Gabel und tippte mit fliegenden Fingern die Nummer ein. Es war eine winzige Chance, so klein, daß sie im Grunde selbst kaum daran zu glauben wagte, aber es war eine Chance.
Diesmal war die Leitung nicht tot, aber die Zeit schien sich endlos zu dehnen, während sie auf das monotone Tuten des Freizeichens lauschte. Sie zählte das Klingeln am anderen Ende der Leitung mit: fünf, zehn, elf... Was, wenn Gabi einfach so tief schlief, daß sie das Schrillen des Apparates nicht hörte, und irgend so ein verdammter Computer der Post die Leitung kappte, ehe sie wach wurde, oder...
Mitten in diesem Gedanken vernahm sie ein scharfes Klicken, dann meldete sich eine sehr verschlafene Gabi und fragte knurrig, wer da um diese gotteslästerliche Zeit bei ihr anrief.
»Ich bin's, Liz«, unterbrach sie sie. Sie ließ sie nicht einmal zu Ende sprechen. Sie hätte ihr Zeit geben müssen, um wenigstens halbwegs wach zu werden, aber sie hatte diese Zeit nicht. Ihr Leben vertickte mit jedem winzigen Ruck des Sekundenzeigers, jedes überflüssige Wort schmälerte ihre Chance. »Tut mir leid, wenn ich dich um ....« Sie sah auf die Armbanduhr und erschrak selbst ein bißchen. »... um halb sechs aus dem Bett klingele, aber es ist wichtig.«
Gabi schwieg einen Moment, aber als sie weiter sprach, klang ihre Stimme vollkommen verändert. Da war keine Spur mehr von Müdigkeit und erst recht keine Verärgerung, dafür etwas anderes: ein sonderbar betroffener Ton und eine schwache, aber durchaus hörbare Spur von Hysterie. »Was ist los? Ist irgend etwas passiert, vorgestern? Warum habt ihr nicht angerufen. Stefan hatte versprochen, mir Bescheid zusagen, ob ihr gut angekommen...«
»Das sind wir«, unterbrach sie Liz. »Es ist nichts passiert keine Sorge. Aber ich muß mit diesem Mädchen sprechen. Ich... ich brauche ihre Nummer.«
Wieder antwortete Gabi nicht gleich, und Liz fügte hastig hinzu: »Ich weiß, es ist eine irrsinnige Zeit, jemanden anzurufen, aber es ist wichtig. Sie wird mich verstehen, wenn ich ihr erklärt habe, was ...«
»Darum geht es nicht«, unterbrach sie Gabi. Ihre Stimme war jetzt ganz klar, und sie sprach sehr ruhig. Trotzdem war jener sonderbare Unterton viel deutlicher geworden. »Ich ...ich kann dir ihre Nummer geben, Liz, aber du wirst sie nicht erreichen.«
Liz verstand nicht gleich, was Gabi meinte. In den letzten Tagen waren Schrecken und Furcht so sehr zu einem Teil ihres Lebens geworden, daß sie den hysterischen Ton in ihrer Stimme gar nicht mehr registrierte. »Dann geh hinunter und ruf sie ans Telefon, bitte«, sagte sie. »Ich muß sie sprechen, Gabi. Es ist furchtbar wichtig.«
»Ich kann sie nicht holen, Liz«, sagte Gabi.
»Aber du ...«
»Sie ist tot.«
ODER MEINST DU VIELLEICHT DEINE NÄRRISCHE KLEINE FREUNDIN, DIE MIT DINGEN SPIELT, VON DENEN SIE NICHTS VERSTEHT?
Es war das - die Worte der Kreatur im Wasser -, was sie zuerst hörte, noch bevor der Schrecken kam und sich wie eine feucht kalte Hand um ihr Herz legte. Tot? »Tot?« flüsterte sie. »Aber... mein Gott, was...«
»Es war ein Unfall, Liz«, sagte Gabi leise. Ihre Stimme zitterte. Ganz entfernt registrierte Liz, daß sie sich wohl getäuscht haben mußte, was Gabis Verhältnis zu Stefanie betraf - die beiden schienen sich weit mehr gemocht zu haben, als sie bisher an nahm.
»Ein... Unfall?«
»Ja. Ein entsetzlicher Unfall, Liz. Niemand weiß, was wirklich passiert ist. Die Polizei untersucht den Fall, aber ich... ich glaube, sie sind auch ratlos.«
»Was ist passiert?« flüsterte Liz. Sie erschrak fast vor ihrer eigenen Stimme. Etwas spannte sich in ihr zusammen, tief, tief in ihr, etwas wie eine stählerne Feder, die mehr und mehr zusammengepreßt wurde. Wenn sie sich entspannte, würde sie sie zerreißen. »Es gab... eine Art Kurzschluß«, antwortete Gabi stockend. »Sie hat... telefoniert, und der Strom muß irgendwie in die Leitung gekommen sein. Ich weiß, das ist unmöglich, aber so war es. Mein Gott, Liz, es war schrecklich. Walter ist... ist zuerst zu uns gekommen, und ich...ich habe sie gesehen. Ihr Gesicht... ihr ganzes Gesicht war...«
»Wann war das?« fragte Liz.
»Wann?« Gabi überlegte zwei, drei Sekunden. »Gestern nacht. Kurz nach Mitternacht. Vielleicht etwas später.«
Liz hängte ein. Sie war ganz ruhig. Nein, nicht ruhig - sie war am Rande einer Panik, aber was sie im Moment spürte, kam einer Lähmung gleich. Irgendwo in ihrem Gehirn mußte eine Sicherung herausgesprungen sein. Die Leitungen, die für Furcht und Entsetzen zuständig waren, waren vorübergehend außer Betrieb.
Aber nicht für sehr lange. Der Lead-Sänger von Accept sang zum dritten Mal hintereinander Heaven is there, where hell is, als das Telefon auf ihrem Schoß schrillte. Liz hob sofort ab, überzeugt, daß es Gabi war, die zurück rief, um sich zu erkundigen, ob alles in Ordnung sei.
Aber es war nicht Gabi.
Es war die Banshee, eine Banshee mit einem gewaltigen Daumen, der die Sicherung in ihrem Schädel erbarmungslos wieder hin eindrückte. Klick.
DAS WAR SEHR UNHÖFLICH VON DIR, sagte eine wohlbekannte Stimme. Liz sprang so abrupt auf, daß das Telefon zu Boden fiel.
MAN HÄNGT NICHT MITTEN IM GESPRÄCH EIN, OHNE WENIGSTENS AUF WIEDERSEHEN ZU SAGEN, OPFER. Diesmal war die Stimme in ihrem Kopf. Liz stieß einen halb erstickten Schrei aus, taumelte zum Plattenspieler und riß die Lautstärkeregler mit einem Schlag bis zum Anschlag hoch. Sie mußte diese entsetzliche STIMME übertönen.
Der Lärm war unbeschreiblich. Es war Stefans Anlage, und wie alles, was er anschaffte, mußte es das Größte und Beste sein, was es für Geld zu kaufen gab. Vierhundert Watt Musik schlugen über ihr zusammen, brachten die Gläser auf dem Regal zum Klirren und verwandelten den Raum in ein Inferno aus kreischenden Tönen und hämmernden, nervenzerfetzenden Trommelschlägen. Der kratzende Säuferbaß des Accept-Sängers schwoll zum Brüllen eines Gottes an:Heaven is there, where hell ist, Heaven is there, where hellis, Heaven is there, where hell is - immer und immer wieder, als hätte die Platte einen Sprung, obwohl es eine CD war und gar nicht hängen konnte, und der Geräuschorkan traf sie wie ein körperlicher Schlag. Ihre Hand zuckte automatisch zum Regler, aber sie führte die Bewegung niemals zu Ende. Die dröhnende Musik aus den über steuerten Lautsprechern löschte die STIMME aus, brachte ihren Schädel zum Schweigen, Schmerzen pulsierten hinter ihrer Stirn, in ihren Zähnen und Augen, aber sie war gleichzeitig Rettung, ein winziger Strohhalm, der sie noch davor bewahrte, in den Wahnsinn abzugleiten. Wimmernd, die Hände gegen die Schläfen gepreßt, sank sie zu Boden. Sie wußte, daß sie den Verstand verlieren würde, wenn sie jetzt abschaltete. Alles um sie herum war Bedrohung, fremd, ein Teil jenes Alptraumes, den sie seit Tagen durchlebte. Es gab nur noch die Musik, an die sie sich klammern konnte. Heaven is there, where hell is, du dämliche Ziege, begreif das endlich, Heaven is there, where hell is, es gibt keine Rettung, nicht vor IHM,Heaven is there, where hell is!
Eine Berührung an der Schulter ließ sie zusammenfahren. Sie sah auf und erkannte durch einen Schleier von Tränen Stefans Gesicht. Er bewegte die Lippen, deutete auf sie und auf den Verstärker und sagte etwas, aber sie konnte die Worte nicht verstehen. Stefan schüttelte den Kopf, richtete sich auf und drehte die Musik leiser. Nach dem ungeheuerlichen Dröhnen war sie fast taub. Obwohl er schrie, konnte sie ihn kaum verstehen. In ihren Ohren war ein dumpfes an und ab schwellendes Rauschen.
»Kannst du mir erklären, was das soll?« schrie er. Seine Wut prallte von ihr ab. Er konnte sie nicht mehr verletzen. Stefans Gesicht verzerrte sich. »Meine Geduld ist erschöpft!« brüllte er.
Er packte sie bei der Schulter, riß sie hoch und schüttelte sie wild. »Rede endlich, du blöde, hysterische ...« Er brach ab, ballte die Faust, wie um sie zu schlagen, und starrte sie aus Augen an, die vor Zorn brannten. Seine Kiefer mahlten. In seinem Gesicht zuckten Muskeln, wo gar keine waren. »Ich warte!«
»Worauf?« fragte Liz. Die Sicherung war wieder herausgesprungen.
»Auf eine Erklärung!« brüllte Stefan. Das Rauschen in ihren Ohren sank weiter herab, sie hörte, daß der Plattenspieler noch immer lief. Heaven is there, where hell is, sang der Lead-Sänger, und der Chor intonierte dazu: And hell is down on earth! »Antworte gefälligst!« brüllte Stefan und packte sie wütend bei der Schulter. Liz schlug seine Hände beiseite. »Faß mich nicht an!« zischte sie. »Faß mich nie wieder an, hörst du! Nie wieder! Vielleicht solltest du mir ein paar Fragen beantworten - zum Beispiel, wo du gestern abend warst.«
Sein Blick wurde lauernd. »Was soll das?«
Liz atmete scharf und hörbar ein, aber mit einem Mal verrauchte ihr Zorn, so abrupt, wie er gekommen war. »Ich habe dich gesehen, Stefan«, sagte sie matt. »Gestern.«
»So?« Seine Augen schienen zu brennen. »Und?«
»Am See«, fuhr Liz fort. »Mit An ...« Es war absurd, aber sie brachte nicht einmal mehr den Namen über die Lippen. »Mit dem Mädchen, Stefan.«
Er antwortete nicht, sondern starrte sie nur weiter aus brennenden Augen an, und Liz fügte hinzu, sehr leise und sehr ruhig: »Ich werde dich verlassen, Stefan. Jetzt. Ich...ich gehe.«
»Bist du sicher?« fragte Stefan kalt.
Liz nickte. »Völlig. Gib mir die Wagenschlüssel.«
Was dann geschah, kam völlig unerwartet. Einen Moment lang starrte Stefan sie ungläubig an, dann stieß er einen quietschenden, beinahe komischen Laut aus, machte einen weiteren, halben Schritt auf sie zu...
... und schlug ihr warnungslos mit dem Handrücken über den Mund.
Im ersten Moment spürte Liz nicht einmal den Schmerz. Für eine Sekunde war sie einfach gelähmt vor Schrecken und Schock. Dann, als sie endlich begriff, was er tat, schlug sie seinen Arm zur Seite, riß sich los und versuchte an ihm vorbei zur Tür zu kommen.
Sie war viel zu langsam. Stefan holte sie mit zwei blitzschnellen Schritten ein, packte sie an der Schulter und versetzte ihr einen Schlag mit der flachen Hand, der sie gegen die Wand taumeln ließ. Sie schrie auf, riß schützend die Hände vor das Gesicht und trat nach ihm. Stefan grunzte, wich ihrem Fuß aus und schlug abermals zu. Diesmal mit der Faust. Und mit aller Kraft.
Liz glaubte, der Hieb müsse ihr das Genick brechen. Sie verlor den Boden unter den Füßen. Sie hatte es für eine dumme Redensart gehalten, eine Floskel, aber sie flog wirklich durch das Zimmer, segelte drei, vier Meter weit scheinbar schwere los durch die Luft und prallte dann mit entsetzlicher Wucht gegen den Tisch. Glas splitterte. Und etwas, das sich wie brechende Knochen anhörte.
Der Aufprall betäubte sie nicht, aber er raubte ihr jedes bißchen Kraft. Sie schlug gegen etwas Scharfkantiges, das ihre Bluse und eine tausendstel Sekunde später ihren Rücken aufriß, prallte mit dem Hinterkopf gegen ein Tischbein und schmeckte Blut. Übelkeit packte sie. Dann war Stefan über ihr. Seine Faust traf ihr Gesicht dicht unterhalb des Auges. Der Schmerz explodierte mit der Wucht und Heftigkeit einer Atombombe in ihrem Schädel. Aus den Lautsprechern dröhnten weiter die düsterrasenden Rhythmen der Heavy-Metal-Gitarren. Heaven is there, where hell is, and hell is down on earth, und das war alles, was sie noch bewußt wahrnahm. Das und seine Faust, die noch einmal auf ihr Gesicht her abfuhr.
Sie war sehr froh, als es so schlimm wurde, daß der Schmerz ihr die Besinnung raubte.