Die Mittagssonne tauchte den Hof in harte, schattenlose Helligkeit, als sie das Haus verließ. Hinter dem Gatter verwehte die Staubfahne von Ohlsbergs Wagen. Seine Reifen hatten tiefe Zwillingsspuren im weichen Lehm der Ausfahrt hinterlassen, und die Atmosphäre schien seltsam aufgewühlt, als hinge noch ein schwaches Echo von Ohlsbergs und Stefans Aktivitäten, ihres rastlosen Hin- und Herlaufens, ihres Redens und Hantierens in der Luft.
Und von Stefans Zorn. Ihr Blick wanderte zu der zerwühlten Stelle im Lehm hinüber. Der Boden war aufgerissen und mit dunklen, unregelmäßigen Flecken besudelt, und obwohl sie sich mit aller Kraft gegen die Vorstellung wehrte, glaubte sie für einen Augenblick wieder Carrys zerfetzten, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelten Leichnam dort liegen zusehen.
Carry... Tränen füllten ihre Augen, aber sie versuchte nicht einmal, sie zurückzuhalten. Sie hatte ihn geliebt. Er war nur ein Tier gewesen, hatte Ohlsberg gesagt, aber sie hatte ihn geliebt, hatte seine tölpelhafte Bärbeißigkeit gemocht. Wie sehr, spürte sie erst jetzt, als er nicht mehr da war.
Nur ein Tier... Seltsamerweise spürte sie kaum Trauer. Eine unerwartete Ruhe hatte sie erfaßt, eine tödliche, betäubende Ruhe, wie sie sich oft nach einem schweren Verlust einstellt, bevor der tiefer sitzende Kummer kommt.
Nur ein Tier... dachte sie noch einmal. Aber der Tod dieses großen starken Hundes hatte ihr gegolten. Carry war stellvertretend für sie gestorben, und eigentlich hätte sie es sein müssen, die jetzt zerfetzt und ausgeblutet unter der Plane hinter der Scheune liegen mußte.
Stefans Worte fielen ihr ein: Schaufeln Sie irgendwo hinter dem Haus ein Loch und legen Sie ihn hinein.
Wie hatte er nur so herzlos sein können? Mit einem Mal fror sie. Der Wind schien plötzlich kälter geworden zu sein. Sie schlang die Arme um den Oberkörper und zog die Schultern zusammen, aber es half nichts. Die Kälte kam nicht von außen. Sie hatte plötzlich das Bedürfnis, mit jemandem zureden, aber die Auswahl war nicht besonders groß. Stefan kam nicht in Frage, und Andy...
Andy! Großer Gott, bei allem hatte sie das Mädchen total vergessen! Sie hatte sie seit dem vergangenen Abend nicht mehr gesehen, ja, ihre Anwesenheit war ihr bis zu diesem Moment nicht einmal bewußt gewesen. Ihr schlechtes Gewissen meldete sich: was, wenn das arme Ding alles mitbekommen hatte und jetzt zitternd vor Angst in irgendeiner Ecke hockte? Peter würde ihr kaum Trost spenden können.
Aber sie noch weniger, dachte sie matt. Sie war eine Fremde für Peters Tochter, und sie hatte das Mißtrauen nicht vergessen, mit dem Andy sie angeblickt hatte, gestern. Gestern? Ja, es war tatsächlich erst einen Tag her, gerade vierundzwanzig Stunden. Seltsam, daß Ohlsberg die Gelegenheit nicht ergriffen hatte, sie oder Stefan auf Andy anzusprechen. Wahrscheinlich hatte er sich nicht getraut, nachdem Stefan ihn gleich zur Begrüßung angebrüllt hatte, daß man es sicherlich noch in Schwarzenmoor hören konnte. Und danach - nun, vielleicht hatte sich in irgendeiner Ecke seines Modergehirnes doch noch eine Spur von Taktgefühl gehalten. Auf jeden Fall war auch Andy im Moment kaum die richtige Gesprächspartnerin für sie. Blieb nur noch Peter.
Liz seufzte schmerzlich. Es war absurd, aber im Moment hatte sie viel mehr Vertrauen zu ihm, einem Wildfremden, als zu Stefan, ihrem eigenen Mann.
Sie schob auch diesen Gedanken auf die Wirkung von Swensens blödsinniger Droge, ließ sich aber von dieser Erkenntnis keineswegs von ihrem Entschluß abbringen, ihn zu suchen. Verdammt, sie mußte einfach mit irgend jemandem reden, und wenn es ein Stein war!
Sie überquerte den Hof, ging zur Scheune und schob einen Torflügel weit genug auf, um hindurch schlüpfen zu können. Der Raum war dunkel und leer; der halb auseinandergenommene Traktor, der nun nie wieder (woher wußte sie das?) zusammengesetzt werden sollte, stand da, umgeben von einem Kranz sorgfältig sortierter metallener Eingeweide, daneben der Jaguar, ein Gegensatz, wie er größer kaum vorstellbar war, aber Peter war nicht da. Liz war enttäuscht. Sie hatte inständig gehofft, ihn hier zu treffen, denn alles andere bedeutete, daß er hinter dem Haus war, auf der anderen Seite des Gebäudes, und dort hinzugehen - sich der Ruine auch nur zu nähern - war unmöglich. Nicht jetzt. Vielleicht würde sie nie wieder die Kraft haben, auf die andere Seite des Hauses zu gehen. Auf jeden Fall nicht jetzt.
Als sie die Scheune wieder verlassen wollte, sah sie den Schatten vor dem Wald. Der Schrecken dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Wenigstens in dieser Hinsicht arbeiteten ihre Sinne mit fast übernatürlicher Schärfe: sie vermochte sehr wohl zwischen den grauen Schemen des Wahnsinns und der Realität zu unterscheiden. Der Schatten da drüben vor dem Wald war echt, ein richtiger Schatten, den ein richtiger Mensch warf. Ein richtiger Ohlsberg, genauer gesagt. Liz erkannte ihn sofort, aber sie versuchte noch einen Augenblick, ihn wegzuleugnen. Ohlsberg? Hier? Dann begriff sie. Er war zurückgekommen, um mit ihr abzurechnen. Vorhin im Haus, in Stefans Gegenwart, hatte er es nicht gewagt, auch nur ein Wort über Andy und die Starbergs zu verlieren, aber sie hatte sich wieder in ihm getäuscht - er dachte keineswegs daran, auch nur den Bruchteil eines Millimeters zurückzuweichen. Er war weggefahren, gerade so weit, daß Stefan denken mußte, er wäre wirklich fort, aber wahrscheinlich stand sein Wagen nur hinter der nächsten Biegung des Weges, und er hatte dort drüben Position bezogen, um auf sie zu warten. Mistkerl, verdammter!
Einen Moment lang überlegte sie, einfach ins Haus zurückzugehen, Stefan zu rufen und zuzusehen, wie er hinüberstürzte und Ohlsberg auf die Hörner nahm. Aber sie verwarf diesen Gedanken fast ebenso rasch wieder, wie er ihr kam - was würde es schon nutzen? Ohlsberg hatte entschieden: er wollte nicht Stefan, er wollte sie, und nichts auf der Welt würde ihn aufhalten. Sie konnte Stefan nicht ewig wie einen lebenden Schutzschild vor sich herschieben. Früher oder später würde Ohlsberg sie allein erwischen, und je länger sie wartete, desto heftiger würde die Auseinandersetzung werden. Nein - trotz allem war noch ein winziger Rest von der kalten Entschlossenheit der vergangenen Horror-Nacht in ihr. Sie würde es durchstehen. Wenn es sein mußte, jetzt und hier.
Sie warf einen Blick zum Haus, um sich davon zu überzeugen, daß sie auch wirklich allein war, trat vollends aus der Scheune und überquerte mit schnellen, sehr sicheren Schritten den Hof. Swensens idiotische Spritze war jetzt auf ihrer Seite, denn sie machte sie ruhiger, als sie sonst wohl gewesen wäre, Ohlsberg würde sich wundern, wenn er glaubte, leichtes Spiel mit einer ohnehin völlig eingeschüchterten wehrlosen Frau zu haben. Sie war weder das eine noch das andere. Und sie kalkulierte sogar diese Möglichkeit ganz kalt ein:daß sie sich wirklich körperlich mit ihm auseinandersetzen mußte. Möglicherweise gehörte Ohlsberg zu der Sorte Mann, die niemals eine Frau schlugen - sie hoffte es -, aber sie gehörte ganz entschieden nicht zu der Art Frau, die Hemmungen hatte, einen Mann zu schlagen.
Sie blieb in der Auffahrt stehen - sie dachte nicht daran, den Heimvorteil zu verschenken - und blickte aufmerksam zu ihm hinüber. Er stand auf der anderen Seite des Weges, schon halb im Wald verborgen, so daß seine schwarze Jacke mit den Schatten zu verschmelzen schien, und obwohl sie sein Gesicht nicht erkennen konnte, spürte sie, daß... etwas nicht so war, wie sie erwartete. »Was wollen Sie?« fragte sie ruhig. »Uns ein wenig ausspionieren, oder mit mir reden?«
Ohlsberg bewegte sich unruhig. Er trat nicht aus dem Wald heraus, aber sie sah, wie er den Kopf drehte und einen Moment zum Haus hin überblickte.
»Stefan ist im Haus und betrinkt sich«, sagte sie kalt. Ihre Worte waren ganz bewußt verletzend. »Sie brauchen also keine Angst zu haben. Ich bin ganz allein.« Wieder bewegte sich Ohlsberg, und wieder blieb er stehen, ohne den Wald zu verlassen. Es war, als suche er Schutz zwischen den Bäumen. »Ich ... muß Sie sprechen, Frau König«, sagte er. »Sie allein. Es ist wichtig.«
»Wichtig?« Liz versuchte zu lachen, aber es gelang ihr nicht ganz. Statt verletzend zu klingen, hörte es sich selbst in ihren eigenen Ohren jämmerlich an. »Für wen, Ohlsberg? Für Sie?«
»Auch«, sagte Ohlsberg. Er klang nervös - nein, ängstlich. Wieder irrte sein Blick zum Haus, als hätte er Angst, daß jeden Moment jemand herauskommen und ihn sehen könnte. Aber Liz hatte plötzlich das sehr bestimmte Gefühl, daß es nicht Stefan war, vor dem er sich fürchtete.
»Was wollen Sie?« fragte sie noch einmal. »Ich wüßte nicht, was wir miteinander zu besprechen haben.«
»Bitte, Frau König - es ist wichtig. Ich ... (zum Teufel, er HATTE Angst! Der Mann war fast verrückt vor Angst!) ...ich dürfte nicht mit Ihnen reden, aber ich muß. Sie müssen weg hier, Sie und Ihr Mann, aber vor allem Sie.«
»Warum?« fragte Liz mißtrauisch. »Passen wir nicht ins Stadtbild?«
Ohlsberg hob die Hand, als wolle er auffahren, aber der erwartete Zornesausbruch blieb aus. Statt dessen seufzte er nur tief, schüttelte den Kopf und trat nun doch aus dem Wald heraus, wenn auch nur einen Schritt. Sie standen sich jetzt in acht oder neun Schritten Abstand gegenüber, wie zwei Duellanten.
»Worum geht es?« fragte Liz. »Um das Mädchen?«
Ohlsberg schüttelte den Kopf, dann nickte er. »Ja. Aber anders, als Sie jetzt wahrscheinlich glauben.« Er seufzte, schüttelte ein paar mal den Kopf und begann tatsächlich mit den Händen zu ringen. »Ich kann Sie ja verstehen«, sagte er. »Aber Sie müssen mir glauben, wenn ich sage, daß ich es gut mit Ihnen meine. Sie...«
»Ihnen glauben?« Liz lachte schrill. »Aber natürlich. Warum sollte ich Ihnen wohl mißtrauen, nicht?«
»Gut«, sagte Ohlsberg, »ich erkläre es Ihnen. Ich... ich versuche es wenigstens.«
»Nur zu«, sagte Liz ruhig, obwohl sie innerlich nicht mehr halb so gelassen war, wie sie sich gab. Ohlsbergs Angst war nicht gespielt. Plötzlich hatte sie das Gefühl, daß es anders war, ganz ganz anders, als sie bisher geglaubt hatte.
»Nicht hier«, sagte Ohlsberg gehetzt. »Wir treffen uns heute abend, im Ort.«
»Niemals«, antwortete Liz, und, das Wort kam so schnell und so heftig, daß Ohlsberg nicht noch einmal auf seinem Vorschlag beharrte. Er seufzte.
»Dann auf halbem Weg«, sagte er. »Kennen Sie den alten Baum, einen Kilometer vor Schwarzenmoor?«
»Die Eiche?« Natürlich kannte sie die - eine gewaltige, mehr als dreißig Meter hohe Eiche, die vor einem halben Jahrhundert einmal vom Blitz gespalten und schwarzverbrannt, aber nicht nieder gebrochen war. Ohlsberg nickte.
»Eine Stunde vor Sonnenuntergang«, sagte er hastig.
»Aber reden Sie mit niemandem darüber, nicht einmal mit Ihrem Mann - versprechen Sie mir das?«
Liz starrte ihn an. Es war völlig absurd - Ohlsberg verlangte nicht mehr und nicht weniger von ihr, als sich ihm vollkommen auszuliefern. Wenn sie tat, was er wollte, dann konnte er alles mit ihr tun - sie sogar erschlagen, wie Carry erschlagen worden war -, und niemand würde es merken. Niemand würde ihn auch nur verdächtigen! Es wäre Wahnsinn, ja zu sagen.
Und gleichzeitig waren in seinem Blick ein solcher Ernst, in seinen Worten eine solche Eindringlichkeit - und Angst! -, daß sie einfach nicht anders konnte als ihm glauben. Widerstrebend nickte sie. »Gut. Ich komme. Aber ich warne Sie. Wenn Sie irgend etwas vorhaben...«
»Das habe ich nicht«, versicherte er hastig. »Wirklich, Frau König, ich stehe auf Ihrer Seite, auch wenn es Ihnen vielleicht schwer fällt, das zu glauben. Es ist alles ganz anders, als Sie annehmen. Sie...«
Er brach ab. Eine halbe Sekunde lang stand er reglos und wie gelähmt da, dann fuhr er zusammen wie unter einem Hieb und wirbelte auf dem Absatz herum, um wieder im Wald unterzutauchen. Liz starrte ihm eine Sekunde verblüfft hinterher, ehe auch sie sich umdrehte. Auf halber Strecke zwischen dem Haus und ihr stand das Mädchen. Sie war herausgekommen, ohne daß Liz es gehört hatte, und der weiche Lehm des Hofes hatte ihre Schritte gedämpft, so daß Liz nicht einmal bemerkt hatte, wie sie nähergekommen war. Und irgend etwas an ihr...
Es war wie vorhin, als sie Stefan auf diese sonderbar tierische Weise hatte trinken sehen: sie konnte das Gefühl nicht erklären, aber es war mindestens ebenso stark wie bei ihm, wenn nicht stärker. Etwas an dem Mädchen war ihr unheimlich. Sie sah aus wie gestern: eine schmalgesichtige dunkelhaarige Kindfrau mit großen Augen, aus denen etwas wie ein niemals ganz verlöschender Schmerz sprach, ein unauslöschlich eingegrabenes Mißtrauen gegen die ganze Welt, aber da war auch noch etwas. Liz schauderte.
Es half nichts, es leugnen zu wollen - in diesem Moment hatte sie Angst vor Andy. Sie versuchte den Gedanken zu verscheuchen, aber es gelang ihr nicht. Irgend etwas...umgab das Mädchen. Eine unsichtbare Aura, ein finsteres knisterndes Ding, das ...
Mach dich nicht lächerlich! dachte sie wütend. An diesem Kind war nichts Unheimliches oder gar Gefährliches. Gar nichts.
Sie rang sich zu einem Lächeln durch, trat auf Andy zu und hob die Hand. Das Mädchen wich einen Schritt zurück, sah sie aus seinen großen, traurig-mißtrauischen Augen an und fuhr auf dem Absatz herum, um ins Haus zurück zulaufen.
Liz blickte ihr verwirrt nach. Beinahe schämte sie sich ihrer eigenen Gefühle - aber sie war fast froh, daß Andy vor ihr fortgelaufen war. Im nach hinein überlief sie ein kaltes Frösteln bei dem Gedanken, daß sie Andy um ein Haar berührt hätte.
Sie blieb einen Moment unschlüssig stehen, wandte sich dann endgültig um und ging mit raschen Schritten zum Haus zurück - aber nicht zu rasch, um Andy nicht zu begegnen.
Sie hatte Glück. Von dem Mädchen war keine Spur mehr zu sehen, als sie das Haus betrat. Stefan und Peter redeten im Wohnzimmer miteinander; sie hatte nicht einmal gemerkt, daß Peter wieder ins Haus gekommen war, aber sie hörte ihre Stimmen durch die Tür, als sie auf dem Weg nach oben daran vorbei kam. Sie ging ins Schlafzimmer, schloß die Tür hinter sich und setzte sich auf die Bett kante. Für einen Moment begann sich das Zimmer um sie herum zu drehen, der Boden zu wanken. Sie war verwirrt, bis ins Innerste verstört und verunsichert wie niemals zuvor in ihrem Leben.
Was bedeutet das alles! Sie verstand nichts mehr, rein gar nichts. Plötzlich war alles anders, Schwarz war Weiß, Weiß wurde zu Schwarz, die Guten waren plötzlich auf Ohlsbergs Seite, und ihr eigener Mann wurde zu einem grunzenden Tier. Und nach der gestrigen Nacht blieb ihr nicht einmal mehr der Ausweg, sich einfach für unzurechnungsfähig zu erklären. Selbst der letzte Ausweg, der Dolch, um geistiges Harakiri zu begehen, war ihr genommen. Es war wahr. Die Schrecken der letzten Nacht waren nicht nur ihrem Unterbewußtsein entsprungen. Sie war nicht verrückt. Eingebildete Monster massakrierten keine Hunde.
Ihre Finger glitten wie von selbst zur Schublade des Nachtschrankes, öffneten sie und nahmen das Röhrchen mit den Tabletten heraus. »Nehmen Sie alle zwei Stunden eine davon, und Sie werden sich wohl fühlen«, hatte Swensen gesagt.
Die Verlockung war groß. Sie kannte Mittel wie diese. Tranquilizer, Psychopharmaka, hübsche bunte, kleine Teufelsdinger mit wohlklingenden Namen, die zwar nicht halfen, ein Problem zu lösen, aber sehr wohl, es zu vergessen. Vielleicht, überlegte sie, hatten Stefan und der Arzt sogar recht. Vielleicht gab es gar keine Bedrohung, und sie war schlicht überarbeitet und am Ende ihrer Kräfte. Alles, was geschehen war, konnte Zufall sein. Zufälle und Banalitäten, die sie schlicht über- oder falsch bewertete. Selbst der Tod des Hundes mochte erklärbar sein; irgendwie. Aber wenn es so war, dann brauchte sie keine Tabletten, um damit fertig zu werden.
Sie legte das Röhrchen in die Schublade zurück, schloß den Schrank und ließ sich nach hinten aufs Bett sinken. Mit einem Mal fühlte sie sich müde, obwohl sie Angst davor hatte, einzuschlafen. Wenn sie schlief, konnte die Angst wiederkommen, eingebildet oder nicht.
Trotzdem schlief sie wenige Augenblicke später ein.
Sie träumte, ohne sich genau erinnern zu können, was - es hatte irgend etwas mit Stefan zu tun, der sich in ein grunzendes sabberndes Etwas verwandelte, und Ohlsberg, der sie voller Mitleid anstarrte und immer wieder sagte: Sie sollten wirklich nicht hier sein, Kindchen. Als sie am frühen Nachmittag erwachte, war sie in Schweiß gebadet, und ihr Herz hämmerte wild.
Noch anderthalb Tage. Der Countdown lief.